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Das eine Zentrum der kommunistischen Bewegung in der Zeit der deutschen Reformation lag in Sachsen. Ein anderes Zentrum bestand in der Schweiz, jenem eigenartigen Konglomerat bäuerlicher und städtischer Republiken, die sich um die Zentralmasse der Alpen zu vereinigter Abwehr gemeinsamer Gegner zusammengedrängt haben.
Schon zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts hatten sich die Bergländer Uri, Schwyz und Unterwalden erhoben gegen Ausbeutung und Unterdrückung durch Grundherren, namentlich geistliche, und durch das aufstrebende Haus Habsburg. Dank ihrer Wehrhaftigkeit und der Unzugänglichkeit ihres Gebiets gelang ihnen der Freiheitskampf. Den siegreichen Kantonen schlossen sich im vierzehnten Jahrhundert benachbarte Städte an, die von dem aufstrebenden Fürstentum ebenso bedroht wurden wie die süddeutschen und rheinischen, welche damals den gleichen Kampf gegen den gleichen Gegner führten. Aber die Städte der schweizerischen Eidgenossenschaft erzielten, dank ihrer Allianz mit den Urkantonen, bessere Erfolge als ihre Genossen nördlich des jugendlichen Rheins. Im Kampfe Ludwigs des Bayern gegen Papsttum und Habsburger standen die Schweizer auf Ludwigs Seite. Die katholische Reaktion unter Karl IV., welche die deutschen Städte so schwer traf, schädigte die Freiheit der Eidgenossen nicht. Im fünfzehnten Jahrhundert waren sie stark genug, zum Angriff übergehen zu können, namentlich gegen den »Erbfeind«, die Habsburger, und durch Eroberung und Kauf ihr Gebiet erheblich zu vergrößern.
Sie wurden völlig unabhängig vom Deutschen Reiche; aber auch der päpstlichen Ausbeutung wußten sie Schranken zu setzen.
Dieses neue, unabhängige Gemeinwesen sollte jedoch in jener Zeit nicht zu einem Einheitsstaat werden. Was es zusammenhielt, war die Erkenntnis, daß jeder seiner Bestandteile für sich allein ohnmächtig sei gegenüber den übermächtigen fürstlichen Nachbarn. Das war aber auch so ziemlich die ganze Interessengemeinschaft zwischen den einzelnen Kantonen. Und daneben bestanden scharfe Interessengegensätze zwischen den ökonomisch rückständigen bäuerlichen Urkantonen und den reichen, ökonomisch weit vorgeschrittenen Städten.
Dieser Interessengegensatz trat deutlich zutage während der Reformation. Die Urkantone hatten kein Interesse daran. Die päpstliche Ausbeutung, in der Eidgenossenschaft bereits erheblich reduziert, drückte diese armen Gegenden überhaupt wenig. Dagegen hatten sie zur Zeit der Reformation alle Ursache, mit den katholischen Mächten, mit Frankreich, Mailand, Venedig, dem Papst, auch den Habsburgern, auf gutem Fuße zu stehen, denn das waren die Hauptkonsumenten der einzigen wertvollen Ware, welche die Schweizer Bauern und kleinen Adligen damals auf den Markt zu bringen hatten: ihrer wehrhaften Söhne. Das »Reislaufen«, der Söldnerdienst, bildete die Hauptquelle zur Geldgewinnung für die ländliche Bevölkerung der Schweiz, namentlich in den Bergkantonen. Ein Anschluß an die Reformation bedeutete den Bruch mit den katholischen Mächten, drohte mit dem Versiegen der reichlichen Geldquellen. Daher hielt das biedere Landvolk fest am Glauben der Väter.
Anders stand es in den Städten. Das städtische Bürgertum hatte am auswärtigen Söldnerdienst kein Interesse; im Gegenteil, er war ihm unangenehm, da er die Macht des ihm feindlichen Adels stärkte und die Wehrhaftigkeit und Selbständigkeit der unteren Klassen, die es ausbeutete, vermehrte. Denn die Schweizer Söldner waren meist nicht heimatlose Lumpenproletarier, sondern Bauernsöhne, die nach beendetem Kriegsdienst heimzogen.
Wohl aber hatten die Städte alle Ursache zur Feindschaft gegen die katholische Sache. War auch in der Schweiz die päpstliche Ausbeutung mehr eingeschränkt als in Deutschland, so hielt doch das habgierige Papsttum an seinen Rechten in den reichen Städten viel zäher fest als in den armen Berggegenden. Aber ebenso wichtig wie der Gegensatz gegen das Papsttum wurde der gegen die katholischen Fürsten, in erster Linie die Habsburger. Die deutsche Reformation war eine Erhebung nicht bloß gegen den Papst, sondern auch gegen den Kaiser, das heißt das Haus Habsburg, und als solche wurde sie auch in der Schweiz aufgefaßt.
Für die Urschweizer freilich hatte das Haus Habsburg längst aufgehört, der »Erbfeind« zu sein. Sie standen schon zu fest, als daß dieses Fürstengeschlecht sie noch hätte bedrohen können; sie hatten durch Gegnerschaft gegen dasselbe nichts zu gewinnen, sondern nur an Sold- und Bestechungsgeldern zu verlieren. Ganz anders die Städte der Nordschweiz, die an habsburgische Besitzungen grenzten und, von diesen bedroht, nach ihnen lüstern, in steter Gegnerschaft zu den Habsburgern standen. Namentlich Zürich war am Kampfe gegen die Habsburger auf das lebhafteste interessiert. Es wurde auch der Vorkämpfer der Reformation in der Schweiz, während die Urkantone für den Katholizismus eintraten: Die Nachkommen Tells verbündeten sich zu diesem Zwecke mit dem Habsburger Ferdinand.
Wie im Deutschen Reiche, brachte auch in der Schweiz die Reformationsbewegung eine kommunistische Bewegung an die Oberfläche. Aber die Verhältnisse der Eidgenossenschaft waren ganz anderer Natur als die Sachsens, und demnach auch der Charakter des schweizerischen Kommunismus sehr verschieden von dem des sächsischen.
Der letztere war jünger, wesentlich beeinflußt von den taboritischen Traditionen. Auf die Schweiz hatten diese kaum erheblichen Einfluß geübt. Wohl aber war sie seit langem den Einwirkungen der Waldenser und der Begharden ausgesetzt gewesen; der Waldenser, die von Südfrankreich und Norditalien kamen, und der Begharden, die von den Niederlanden aus das Rheintal entlang sich ausbreiteten, über Köln und Straßburg nach Basel gelangten.
War aber das Taboritentum, das in siegreichem Kampfe emporkam, gewalttätig, so neigten die Waldenser und Begharden, die übermächtigen Gegnern in hoffnungsloser Schwäche gegenüberstanden, seit jeher zur Friedfertigkeit. Schon dieser Unterschied mußte darauf hinwirken, daß die Kommunisten in der Schweiz anders fühlten, dachten und handelten als die in Sachsen. Indes viel einschneidender noch als durch importierte Lehren wird der Charakter der sozialen Bewegung eines Landes bestimmt durch dessen eigenartige gesellschaftliche und politische Verhältnisse. Und diese waren in der Schweiz in vielem sehr verschieden von denen Sachsens. Was letzteres Land auszeichnete, war der Bergbau, namentlich auf Silber. Er förderte das Aufkommen der fürstlichen Gewalt, schuf aber auch in den Bergarbeitern ein kraftvolles, trotziges, in großen Massen zusammenwohnendes Proletariat, förderte die Warenproduktion in der Landwirtschaft, damit aber auch den Landhunger der Grundherren, und spitzte alle sozialen Gegensätze jener Zeit aufs schärfste zu.
Ganz anders in der Schweiz. Da ist kein Bergbau, daher auch kein wehrhaftes Massenproletariat. Die Landwirtschaft ist, wenigstens zum großen Teil noch, sehr urwüchsig, der Bodenkommunismus noch stark, von einem absoluten Fürstentum keine Spur. Vielmehr finden wir bäuerliche und städtische Republiken, eine bäuerliche und bürgerliche Demokratie, die, solange sie sich noch schwach und bedroht fühlt, dem Kommunismus sympathisch gegenübersteht, dessen nächste Feinde auch ihre Feinde sind.
Alles das mußte darauf hinwirken, die friedfertigen Tendenzen des Waldenser- und Beghardentums in der Schweiz zu verstärken. Es bewirkte aber auch, da die Klassengegensätze noch nicht so schroff zugespitzt waren wie in Sachsen, daß die Bewegung weniger eine proletarische wurde als dort. Die Zahl der Kommunisten aus den höheren Klassen in Sachsen zur Zeit der Münzerschen Bewegung war eine verschwindende. Das ist wohl mit einer der Gründe, warum Münzer so riesenhoch emporragte aus der namenlosen Masse, die ihn trug und furchtbar machte, die aber keine Vorkämpfer lieferte, welche imstande gewesen wären, ihre Persönlichkeit und die Erinnerung daran literarisch zu fixieren.
Ganz anders die schweizerischen und die von ihnen beeinflußten Kommunisten. Es wimmelt unter ihnen von gesellschaftlich hervorragenden und gebildeten Leuten. Unser Blick bleibt da nicht an einem einzigen haften. Wir werden eher verwirrt durch die Fülle interessanter Charakterköpfe, die uns entgegentreten. Die schweizerische Bewegung ist schwächlicher und historisch weniger bedeutend als die sächsische, aber literarisch interessanter und intellektuell höher stehend.
So viel zu ihrer allgemeinen Charakterisierung.
Von Waldensern und Begharden finden sich im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert zahlreiche Spuren in der Schweiz – Blutspuren, Hinrichtungen von Anhängern dieser Sekten. Es waren meist Leute aus den unteren Klassen: Handwerker, Proletarier, Bauern, die den Kommunismus als Geheimlehre in geheimen Zusammenkünften predigten. Neben dieser proletarischen Bewegung scheint sich zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts eine Art Salonkommunismus in humanistischen Kreisen gebildet zu haben.
Wurde Zürich das Wittenberg der Eidgenossenschaft, so spielte Basel dort dieselbe Rolle wie Erfurt in Sachsen. Es wurde für die Schweiz der Hauptsitz des Humanismus. Ein Kreis von freidenkenden Gelehrten und Künstlern fand sich in Basel zusammen, dessen Zentrum seit 1513 Erasmus von Rotterdam bildete, der Busenfreund Thomas Mores und der berühmteste unter den nordischen Humanisten, der mit zeitweiligen Unterbrechungen, Reisen nach den Niederlanden, namentlich Löwen usw., in Basel bis zu seinem Tode (1536) blieb. In diesem Kreise wurden die mannigfaltigsten neuen Ideen diskutiert, wahrscheinlich auch manche der späteren Wiedertäufer. Unter anderem weist ein Brief des Ökolampadius darauf hin. Wir haben diesen Basler Gelehrten bereits kennen gelernt; er war mit Münzer 1524 bei dessen Aufenthalt an der Schweizer Grenze in Verbindung getreten und hatte ihn aufgefordert, dem Volke zu predigen. Später leugnete der vorsichtige Herr Professor freilich jeden derartigen Verkehr mit dem gefährlichen Mann. Er habe Münzer kaum gekannt und seinen Namen erst erfahren, nachdem er ihn zu sich geladen. Aber Ökolampadius hat auch mit anderen gefährlichen Leuten verkehrt, so mit dem Magister Hans Denck, der später einer der hervorragendsten Theoretiker der Wiedertäufer wurde. Ökolampadius, bei dem Denck Vorlesungen gehört hatte, verschaffte ihm 1523 die Stelle eines Rektors an der Sebaldusschule in Nürnberg. Aber Dencks Ansichten erregten Anstoß, er kam in Konflikt mit der Obrigkeit und mußte Nürnberg verlassen, wie wir noch sehen werden. Ökolampadius wurde beschuldigt, Dencks Anschauungen genährt zu haben. Dagegen verwahrte sich der Basler Gelehrte in einem Briefe vom 25. April 1525 an den Nürnberger Patrizier Willibald Pirkheimer: »Denck hat von mir kein Gift aufgenommen, wenn er überhaupt eines aufnahm ... Aber vor einem Jahrzehnt (also 1515) soll von einigen sehr gelehrten Männern viel darüber (die Ketzerei, der Denck anhing) im engsten Kreise gesprochen worden sein, von denen er sie vielleicht erfuhr.« Zitiert bei Keller, Die Reformation, S. 330.
Unter den »gelehrten Männern«, die sich damals in Basel sammelten, finden wir viele spätere Häupter der Wiedertäufer: 1521 und 1522 war dort der Züricher Patriziersohn Konrad Grebel bereits »ein ausgezeichneter Patron des Evangeliums«, Dr. Balthasar Hubmeier aus Waldshut verkehrte dort viel; ferner gehörten zu jenem Kreise noch der Schwabe Wilhelm Reublin, Pfarrer in St. Alban zu Basel, Ulrich Hugwald, der Basler Professor, der, wie wir gesehen haben, mit Ökolampadius Münzer zum Agitieren aufgefordert hatte. Wir finden dort Ludwig Hätzer, den Buchhändler Andreas auf der Stülzen, Simon Stumpf und andere; lauter spätere Agitatoren der Wiedertäufer.
In der langen Liste, die uns Keller gibt, dem wir diese Namen entnehmen, erscheinen uns noch ein Niederländer bemerkenswert, Rode, der später im Norden wirkte und Jürgen Wullenweber für die Wiedertäufer einnahm, und der Ritter de Coct, ein Vertreter der südfranzösischen »Brüder«. Mit dem Süden wie mit dem Norden standen die Basler im engsten Verkehr.
Neben diesen Indizien, auf die uns Keller hingewiesen, möchten wir noch die Tatsache anführen, daß die kommunistische Utopie des Thomas Morus gerade in Basel damals die größte Aufmerksamkeit gefunden hat.
Die erste Auflage der lateinisch abgefaßten »Utopia« erschien 1516 in Löwen, unter der Obhut des Erasmus, Mores Freund, der in jenem Jahre dort weilte. 1518 wurde eine zweite Auflage nötig, sie erschien in Basel bei dem berühmten Drucker Froben.
Aus einem Briefe des Beatus Rhenanus an Pirkheimer Mitgeteilt in meinem »Thomas More und seine Utopie«. Stuttgart 1888, S. 265. ersehen wir, wie eifrig damals in Basel die »Utopia« diskutiert wurde.
1524 aber erschien die erste deutsche Übersetzung, und überhaupt die erste Übersetzung der »Utopia«, ebenfalls in Basel, besorgt von Klaudius Cantiuncula. Am Schlusse des Buches steht: »Gedruckt zu Basel durch Joannem Bebelium im MXXIIII. Jar.« (A. a. O., S. 256.)
Sehr bedeutsam wäre es, wenn Kellers Hypothese, aufgestellt in seinem bereits mehrfach zitierten Buche über »die Reformation und die älteren Reformparteien«, sich als richtig erweisen würde, daß es in Basel die Buchdrucker waren, welche die Hauptträger der waldensischen und beghardischen Überlieferungen bildeten und dieselben den Gelehrten übermittelten.
Gerade zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts war Basel der wichtigste Ort im deutschen Sprachgebiet für den Buchdruck geworden. Neben der weltberühmten Offizin des Froben, den wir schon genannt, entstanden dort die Druckereien von Amander, Petri, Gengenbach, Cratander, Capito usw. Die Buchdrucker spielten in Basel eine hervorragende Rolle. Und sie standen im engsten Verkehr mit den Künstlern und Gelehrten jener Stadt. Keller weist auf den Ausspruch Lorcks hin (in dessen »Handbuch der Geschichte der Buchdruckerkunst«): »Selten haben Wissenschaft, Kunst und Technik brüderlicher zusammengewirkt als dort.« Keller hat aber auch eine Reihe von Beziehungen von Buchdruckern, besonders in Basel, zu Waldensern und Begharden herausgefunden. Namentlich ist die Tatsache zu erwähnen, daß sämtliche deutschen Bibelübersetzungen, die vor der lutherischen im Drucke erschienen, einander gleich sind. Sie stimmen alle überein mit einer deutschen Übersetzung aus dem vierzehnten Jahrhundert, die, wie Keller überzeugend nachweist, waldensischen Ursprungs war. Dieselbe Übersetzung war bei den Wiedertäufern und deren Nachfolgern, den Mennoniten, bis ins siebzehnte Jahrhundert im Gebrauch (im wesentlichen, mit mundartlichen Änderungen).
Daß die Buchdrucker ausschließlich die waldensische Übersetzung reproduzierten, läßt allerdings darauf schließen, daß die waldensischen Überlieferungen unter ihnen sehr verbreitet und sehr lebendig waren.
Das ist auch nicht unwahrscheinlich. In der besonderen Klassenlage der Buchdrucker jener Zeit können wir allerdings eine Erklärung für die kommunistischen Sympathien nicht finden, auf die ihre waldensischen Tendenzen hinweisen. Mehr noch als die gewöhnlichen Handwerker bildeten sie, die den Künstlern und Gelehrten so nahe standen, zum Teil aus diesen Kreisen sich rekrutierten, eine privilegierte Klasse, die an der allgemeinen Gleichmachung kein Interesse hatte. Höchstens könnte man sagen, daß die Buchdrucker als gebildete Lohnarbeiter, also als gebildete Ausgebeutete, eher kommunistische Ideologen liefern konnten als die anderen gebildeten Klassen jener Zeit, die Geistlichen, die Professoren, die Juristen, deren Berufstätigkeit und Interessen viel enger mit der Aufrechthaltung der bestehenden Klassenunterschiede verknüpft waren. Aber die kommunistischen Sympathien der Buchdrucker werden leichter erklärlich, wenn man den umgekehrten Weg einschlägt: eher als die Brücke von der Buchdruckerei zum Kommunismus findet man die Brücke vom Kommunismus zur Buchdruckerei.
Wir haben schon des öfteren Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, welches Interesse die Kommunisten an einer guten Volksbildung nahmen. Von den Waldensern an läßt sich dies Interesse verfolgen. Es führte dazu, daß die Kommunisten eifrig nach dem neuen Mittel griffen, die Schrift zu vervielfältigen und unter die Massen zu bringen.
Wir wissen, wie die Brüder vom gemeinsamen Leben sich hauptsächlich auf das Abschreiben und Verbreiten von Büchern verlegten. Als die Buchdruckerkunst aufkam, gehörten sie zu den ersten, die sich ihrer bemächtigten und Buchdruckereien gründeten; die erste zu Marienthal bei Geisenheim im Rheingau (vielleicht schon 1468, jedenfalls vor 1474), denen bald zahlreiche andere folgten. Einer der ersten ausgezeichneten Pariser Buchdrucker, Jodocus Badius Ascensius, war Schüler einer Brüderschule. Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, II, S. 189.
Wie eifrig die böhmischen Brüder den Buchdruck betrieben, haben wir bereits erwähnt. (1. Bd. S. 372.)
Münzer scheint in seinen Wanderjahren auch »Buchdruckern als gelehrter Gehilfe sich angeschlossen zu haben«. (Seidemann.) Zu Allstätt hielt er sich einen eigenen Drucker, und unter den Nürnberger Buchdruckergesellen hatte er Anhänger.
Der schon erwähnte gelehrte Wiedertäufer Hans Denck war mit Vorliebe in Buchdruckereien tätig, zuerst in Basel in der Offizin des Cratander und dann in der des Curio; 1525, nach seiner Vertreibung aus Nürnberg, in St. Gallen.
Bezeichnend ist die Klage, die ein katholischer Mönch, der Augustiner Ordensprovinzial Konrad Treger, darüber anstimmte, daß er lange Zeit keinen Buchdrucker finden konnte, der seine gegen die »böhmische Ketzerei« gerichtete Schrift hätte drucken wollen (1524). Er klagte, die Anhänger dieser Ketzerei hätten es so weit gebracht, »das wenig trucker gefunden werdent, die das, (was) inen zuwider, trucken wöllent oder dörffent«. (Ludw. Keller, Die Anfänge der Reformation und die Ketzerschulen, Berlin 1897, S. 35.)
Daß die Kommunisten an der Buchdruckerei das größte Interesse nahmen und ihr zahlreiche Arbeiter lieferten, daran ist gar nicht zu zweifeln. Wir wagen es nicht, darüber mehr mit Bestimmtheit zu sagen.
Das Dunkel völlig zu erhellen, welches über den Anfängen der Wiedertäufer oder, besser gesagt, über ihrem Zusammenhang mit den früheren kommunistischen Sekten schwebt, ist bisher noch nicht möglich. Greifbar tritt die neue Sekte erst in Zürich ans Tageslicht, zur Zeit der Reformation Zwinglis.
Die lutherische Reformation begann mit der Bekämpfung eines der wirksamsten Mittel, Geld aus Deutschland nach Italien zu bringen: des Ablasses. Zwingli begann seine reformierende Tätigkeit (zuerst 1506 bis 1516 als Pfarrer in Glarus, 1516 bis 1519 als Leutpriester in Einsiedeln, dann als Pfarrer in Zürich) mit einer Bekämpfung des Mittels, das päpstliches Geld in die Schweiz brachte, des Söldnerwesens. Luther begann als Theolog, Zwingli als Politiker. Nicht katholischen Dogmen, sondern den benachbarten großen katholischen Dynastien, den Valois und Habsburgern, galten seine ersten Angriffe. Noch 1519 war Zwingli bei der Kurie so gut angeschrieben, daß, als er an der Pest erkrankte, der päpstliche Legat sich beeilte, ihm seinen eigenen Leibarzt zu schicken. Erst als die Wogen der deutschen Reformation bis nach der Schweiz hinüberschlugen und auch diese in Bewegung setzten, wurde dort der Kampf gegen die katholischen Weltmächte zu einem Kampfe gegen den Katholizismus (1522). Sobald aber die Züricher sich einmal auf diese Bahn begeben hatten, schritten sie rasch und ohne besondere Schwierigkeiten darauf fort.
»Erst 1523,« sagt Vögelin, »bricht plötzlich die kirchliche Reform herein. Ohne große Vorbereitung entwickelt Zwingli in den Schlußreden der ersten, im Januar 1523 in Zürich abgehaltenen Disputation ein vollständiges Programm seiner ganzen Reform, hierin Luther ganz ungleich, welcher in seinen 95 berühmten Thesen eigentlich nur 95mal das gleiche, nämlich die Rechtfertigung durch den Glauben, wiederholt, weil dies das einzige war, was ihm auf dem Herzen lag. Luther ist schrittweise zur Reform gedrängt worden durch den Widerstand der katholischen Hierarchie. In Zwinglis klarem Geiste hat sich das vollständige Gebäude der Reformation bereits im Jahre 1523 gestaltet und ist in den 65 »Schlußreden« (Thesen) ausgeführt, welche nicht an äußerer Wirkung, wohl aber an wissenschaftlicher Bedeutung den lutherischen Thesen weit überlegen sind.
»Nun weisen die nächsten drei Jahre eine Reihe von Triumphen auf; Schlag auf Schlag folgen: die Loslösung vom bisherigen kirchlichen Verband, zunächst von Konstanz, dann von Rom, Aufhebung der Klöster, des geistlichen Standes, Säkularisierung der ganzen geistlichen Gewalt, Abschaffung der Bilder und der Messe. Dies alles bildet ein in sich zusammenhängendes geschlossenes Ganzes, und man kann sagen, im Jahre 1525 ist die Reform in Zürich siegreich vollendet zu Stadt und Land.« Sal. Vögelin, Ulrich Zwingli, Rede, gehalten 1884 bei der Zwingli-Gedenkfeier, S. 3 und 4. Zürich 1884.
Die Abschaffung der Bilder aus den Kirchen führte zur Vernichtung manchen Kunstwerkes in Zürich und später in Basel. Der Vandalismus, den man heute den Sozialdemokraten nachsagt, wurde damals von den gut bürgerlichen Reformern geübt, ohne die Mißbilligung selbst eines Erasmus zu finden. Im Gegenteil, er amüsierte ihn. Als die Basler ihre Kirchenbilder in zwölf großen Haufen verbrannten, schrieb Erasmus an Pirkheimer, er wundere sich, daß die bärtigen Heiligen sich das ruhig hätten gefallen lassen. Von der heiligen Jungfrau wundere es ihn nicht, sie sei ja wegen ihrer Sanftmut bekannt.
Mit Entrüstung weist Janssen darauf hin, wie profitabel für die bürgerlichen Gewalten der Bildersturm war: »Im Kirchenschatz einer einzigen Kirche (des Großmünster), den der (Züricher) Rat am 2. Oktober 1525 wegnehmen ließ, befanden sich unter anderem vier silberne Brustbilder der Märtyrer Zürichs, vier kostbare Kreuze, vier schwere, reiche Monstranzen, ein Marienbild von sechzig Pfund reinen Goldes« usw. usw. »Die goldenen Kunstschätze waren über einen Zentner schwer, die silbernen mehrere Zentner; alle wurden zerschlagen und in die Münze geschickt.« (Geschichte des deutschen Volkes, III, S. 82, 83.) Janssen merkt in seiner sittlichen Entrüstung gar nicht, wie famos er da den Grad der Ausbeutung illustriert, die es der katholischen Kirche ermöglichte, solche Schätze aufzuspeichern, neben der nicht geringen Menge dessen, was sie konsumierte.
Im Kampf gegen diese Ausbeutung wurde Luther an Klarheit und Konsequenz von Zwingli weit übertroffen. Trotzdem nahm die Zwinglianische Reformbewegung in einem Punkte denselben Weg wie die Lutheranische. Wie diese, beruhte auch jene in ihren Anfängen auf dem Zusammenwirken aller mit den bestehenden kirchlichen Verhältnissen unzufriedenen Klassen. Aber hier wie dort kommt nach dem gemeinsamen Kampfe die Entzweiung: jede der vereinigten Richtungen und Klassen sucht den Sieg in ihrem Interesse und ihrem Sinn auszunützen; der Führer der Bewegung, der Reformator, der von allen diesen Parteien bisher getragen worden, muß sich jetzt für eine derselben und gegen deren Gegner entscheiden, muß sich gegen einen Teil seiner bisherigen Helfer wenden. Das ist eine Eigentümlichkeit aller revolutionären Bewegungen, die durch das Zusammenwirken verschiedener Klassen mit entgegengesetzten Interessen zustande kommen. Wiclif hatte darin das gleiche Schicksal wie Luther, und Hus wäre es ähnlich gegangen, wenn er das Aufkommen des Taboritentums erlebt hätte. Was Luther besonders kennzeichnete, war nur die Raschheit, mit der er den Umschwung vollzog, der Mangel an jeder sachlichen Motivierung desselben und die Berserkerwut, mit der er seine »lieben Brüder« von gestern anfiel.
Als in Zürich der Konflikt mit der herrschenden Kirche begann, hielten auch die dortigen kommunistischen Sektierer es nicht mehr für notwendig, ihr Geheimnis streng zu wahren. Schon im Frühjahr 1522 kamen die Behörden darauf, daß in Zürich eine »Ketzerschule« existiere, eine Organisation, in der der Buchhändler Andreas auf der Stülzen als Lehrer tätig war, der dem Basler Kreise angehört hatte. Unter den Mitgliedern finden wir den Züricher Bürger Klaus Hottinger, den Weber Lorenz Hochrütiner, den Bäcker Heinrich Aberli und den Schneider Hans Okenfuß, alles spätere Wiedertäufer. 1522 wurde die Gesellschaft noch nicht verfolgt. Im Gegenteil, wir finden Hottinger und seine Leute im freundschaftlichsten Verkehr mit Zwingli. Die Züricher Ketzerschule stand im engsten Verkehr mit der von St. Gallen, deren Mitglieder meist Weber waren. Sie hielten ihre Versammlungen im Zunfthaus der Weber ab. Auch in anderen Städten der Schweiz gab es solche Ketzerschulen. Ludwig Keller, Die Anfänge der Reformation und die Ketzerschulen, S. 24, 26, vergleiche S. 48.
Im Spätherbst 1522 kam Konrad Grebel von Basel nach Zürich zurück und schloß sich sofort der »Ketzerschule« an. Von Haus aus unabhängig und reich, hatte er in Wien und Paris studiert, sich den Ruf eines Gelehrten erworben, aber auch in wildem Studentenleben seinem Körper bedenklich zugesetzt. Der Konflikt, in den er darüber mit seinen Eltern geriet, wurde verschärft durch eine heimliche Ehe, die er wider deren Willen schloß. Seine materielle Stellung litt sehr darunter.
Als er jetzt nach Zürich heimkehrte, schloß er sich mit Enthusiasmus der kirchlichen Bewegung an; er wurde einer der »Brüder«, blieb aber in bestem Einvernehmen mit Zwingli.
Ihm folgten zahlreiche Genossen aus dem Basler Kreise, denen sich jetzt in Zürich ein freieres Feld zu eröffnen schien. Wilhelm Reublin verließ seine Pfarre in Basel und erhielt eine solche in Wietikon. Simon Stumpf wurde Pfarrer in Höngg bei Zürich. Ludwig Hätzer, einen gelehrten jungen Priester aus dem Thurgau, der auch in Basel gewesen, finden wir 1523 ebenfalls in Zürich.
Zu den Genossen, die von außen zuströmten, gesellten sich zahlreiche Proselyten aus der Stadt selbst. Unter ihnen der Hervorragendste Felix Manz, ein Mann von philologischer Bildung, der neben Grebel bald in erster Linie unter den »Spiritualen«, wie die Züricher »Brüder« anfangs hießen, stehen sollte. Bei Felix' Mutter, der »Manzin«, die ein Haus in der Neustadt besaß, versammelte sich gewöhnlich die Gemeinde.
Diese wuchs und begann sich zu fühlen. Zwingli liebäugelte mit ihr. Nun galt es, ihn vorwärts zu treiben auf der Bahn sozialer Reformen. Darüber kam es zum Konflikt, der sich nach und nach immer mehr zuspitzte.
Die Brüder verlangten Aufhebung der Zinsen und Zehnten, der Kirchensteuern. Zwingli hatte sich ihnen gegenüber wiederholt dafür ausgesprochen. Aber jetzt wurde ihm vor dieser Bundesgenossenschaft bange. Der Große Rat erklärte sich am 22. Juni 1523 entschieden gegen die Antastung des Kirchenzehnten, und der Reformator verstand den Wink. Drei Tage später hielt er im Großmünster eine Predigt, in der er sich auf den Standpunkt des Rates stellte. Damit zeigte er bereits, daß er nicht gesonnen sei, noch weiter mit den Brüdern zu gehen.
Indes gaben diese den Kampf nicht auf. Sie forderten Zwingli auf, die Kirche unabhängig vom Staate zu organisieren. Die Antwort darauf war im Herbst die Einführung der Staatskirche, wodurch die Entscheidung in allen kirchlichen Fragen dem Großen Rat, also den herrschenden Klassen, zugewiesen wurde.
»Zwingli hat,« schreibt darüber Vögelin, »in vollständiger Übereinstimmung mit dem weltlichen Regiment, eine Staatskirche mit einem Glaubenszwang aufgerichtet, der strenger und drückender war als die Zustände in der katholischen Kirche. Es ist notorisch, daß man im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts glauben konnte oder nicht glauben konnte, was man wollte; wenn man sich nur dazu hergab, die katholischen Gebräuche leidlich mitzumachen und den Priestern ihre Sporteln zu zahlen, so fragte niemand nach der inneren Überzeugung. Die reformierte Kirche stellte das umgekehrte, weniger unsittliche, aber unverständigere Prinzip auf: Du mußt im Herzen meiner Überzeugung sein.« A. a. O., S. 8.
Diese Einrichtung war ein Schlag ins Gesicht der »Spiritualen«. Nicht dazu hatten sie den Kampf gegen die päpstliche Herrschaft begonnen, damit aus der Kirche ein willenloses Herrschaftsmittel in den Händen der Besitzenden werde. Der Kampf zwischen ihnen und Zwingli wurde jetzt ein erbitterter. Aber während die Spiritualen nur mit Worten stritten, verfügte Zwingli über die ganze Gewalt des Staates. Und er machte von ihr reichlichen Gebrauch. Schon zu Ende des Jahres 1523 kam es zu Verhaftungen und Ausweisungen von Brüdern. So wurde im Dezember dieses Jahres Simon Stumpf ausgewiesen.
Die Verfolgung schüchterte die Brüder nicht ein, sie vermehrte nur ihren Eifer und festigte ihren Zusammenhalt. Die Sekte wuchs rasch, in der Stadt und auf dem Lande. Die Ausgewiesenen trugen die Lehre in die benachbarten Kantone, wo sie bald Boden gewann. Gleichzeitig aber begannen sich die Brüder strenger abzusondern von der Masse der übrigen Bevölkerung. Als ihr unterscheidendes Merkmal trat immer schärfer die Verwerfung der Kindertaufe hervor.
In dieser Situation traf sie das Jahr 1525.
Um 1525 hatten die Theoretiker der Wiedertäufer noch nicht gesprochen. Aber deren Ausführungen sollten vornehmlich auf die theologische Begründung und Ausspinnung ihrer Lehren gerichtet sein. Diese selbst traten in ihren Grundzügen zu Beginn des Bauernkriegs bereits mit genügender Deutlichkeit hervor.
Über die »Ketzerschule«, die Andreas auf der Stülzen in Zürich schon 1522 gehalten, hatte der Rat eine Untersuchung eingeleitet. In dem Verhör sagten mehrere Teilnehmer der Versammlungen aus, Andreas »habe sich auf Zwinglis eigene Predigt berufen, als er lehrte, eine Ehefrau, die sich ihrer Frömmigkeit überhebe, sei nicht besser als die von ihr gescholtene Dirne, wenn diese gegen Gott sich als Sünderin bekenne. Geiz und Wucher mit Pfründen, und sonst, überhaupt wenn Geistliche und Weltliche überflüssiges Gut zusammenlegen, um ›den glatten balg dest baß und richlicher zuo erziechen und zuo erneren‹, habe der Stülzer dem Stehlen gleichgestellt, wo es aus Armut geschehe; wenn er auch nicht fordere, daß der Wucherer wie der Dieb an den Galgen geführt werde, so sei vor Gott und gemäß der evangelischen Lehre doch kein Unterschied zwischen beiden. Ja, der Reiche, der den Armen von Haus, Hof, Acker, Matten und dem Seinen vertreibe, sei böser als ein Dieb und ein Mörder vor Gott dem Herrn. Besonders sei Andreas gegen den Krieg als eine Sünde aufgetreten; denn wer trotz väterlichen Erbes und Gutes in den Soldkrieg ziehe und so Biederleute totschlage, sei vor Gott und nach der evangelischen Lehre dem Mörder gleich.« (Egli, Die Züricher Wiedertäufer zur Reformationszeit. Nach den Quellen des Staatsarchivs dargestellt, S. 15, 16. Zürich 1878.)
Die Grundzüge der wiedertäuferischen Anschauungen standen also wohl vor dem Bauernkrieg schon fest. Es scheint uns hier der geeignetste Moment, sie auseinanderzusetzen, bevor wir in der Erzählung der äußeren Schicksale der Sekte weiterschreiten.
Was dem Beobachter der Wiedertäufer vor allem auffiel, war die große Verschiedenheit der Meinungen unter ihnen. Sebastian Franck, der sie genau kannte und sie sehr wohl verstand, da er ihnen in vielen Punkten sympathisch, wenn auch skeptisch und ängstlich gegenüberstand, sagt in seiner Chronik, die 1531 erschien, von ihnen: »Wiewohl alle Sekten unter sich selbst zerspalten sind, so sind doch sonderlich die Täufer also untereinander uneinig und zerrissen, daß ich nichts Gewisses und Endliches von ihnen zu schreiben weiß.« Chronica, Zeytbuch vnd bibel von anbegyn biß inn diß gegenwärtig MDXXXI. jar, Fol. 445. Straßburg 1531.
So sagt auch Bullinger in seiner Schrift gegen die Wiedertäufer, daß »etliche vermeinen, daß es nicht möglich sei, daß man ordentlich alle der Wiedertäufer Unterschiede, gegensätzliche Meinungen und schädliche, greuliche Sekten oder Rottungen erzählen möge: wie es denn wahr ist, daß ihrer wenig funden werden, die miteinander einhellig sind und nicht jeder sein besonderes Geheimnis, das ist Phantasie, haben.« Darum will er auch nicht alle ihre Sekten und jeglichen »Lätzkopfs Spintisy« abmalen, sondern nur die wichtigsten Richtungen unter ihnen darstellen. Wiedertäufer, S. 17.
Die Zerrissenheit und Mannigfaltigkeit ist keine besondere Eigentümlichkeit der Wiedertäufer. Wir haben sie schon bei den Waldensern, den Begharden und den Taboriten gefunden. Sie war zum Teil Folge ihrer großen Toleranz in Glaubenssachen, die bewirkte, daß zum Beispiel in Tabor die verschiedensten Sekten friedlich zusammenhausten, zum Teil Folge des Umstandes, daß diese Sekten es zu einer festen, öffentlichen Organisation nur selten gebracht haben. Der Begriff des Wiedertäufers blieb daher ein ebenso schwankender, wie etwa vor einigen Jahrzehnten in Rußland der eines »Nihilisten«. Die Berichterstatter rechneten die verschiedensten Sekten zu ihnen. Andererseits ist es natürlich, daß sich jede revolutionäre, also kritische Bewegung nicht nur nach außen, sondern auch nach innen kritisch verhält. Dies macht sie in ihren Anfängen, solange sie nicht festen Boden unter den Füßen hat und noch tastend ihren Weg sucht, zu Spaltungen geneigt. Die Wiedertäufer sind aber – wenigstens in Deutschland – über dieses Stadium nicht hinausgekommen.
Bullinger beschreibt die verschiedenen Richtungen der Wiedertäufer ausführlicher, aber auch gehässiger als Franck. Wir halten uns an diesen und teilen einige seiner Ausführungen mit.
Die einen, sagt er, feiern den Sonntag, andere nicht. Manche haben Regeln über eigenartige Kleidung und Speisen und sondern sich auch äußerlich von der Welt ab. Deren sind nur wenige. Andere bequemen sich den Verhältnissen an. Etliche lehren, sie könnten nicht sündigen, »der mehrere Teil predigt das Kreuz«, machen einen »Abgott aus dem Leiden«. Etliche predigen und leiden darob Martern. Andere halten dafür, es sei die Zeit gekommen, zu schweigen. Etliche leiden an Verzückungen und prophezeien. »Etliche halten große Stücke auf Gesichte und Träume, etliche gar nichts. Die halten sich an den Buchstaben der Schrift.« Manche legen weder auf Predigten noch auf Bücher einen Wert.
»Etliche haben ein reguliert Schweigen und gehn mit viel Gesetzen und äußerlichen Dingen um ... in Kleidern, Haarflechten, Essen, Reden. Diese nennt man die schweigenden Brüder.« Die anderen halten diese Dinge alle frei. Etliche halten viel auf die Schrift, andere nur auf die unmittelbare Eingebung Gottes. Diese nehmen an, man könne auch ohne die Schrift gläubig und selig werden. »Fast alle halten die Kinder für rein und unschuldig Blut und die Erbsünde für keine verdammliche Sünde, weder an Kindern noch an Alten.«
»Etliche tun schier nichts denn Beten und wollen allem Unglück mit ihrem regulierten Gebet entgegenkommen; gleich als tue man Gott einen besonders großen Dienst daran, wenn wir immer beten, das Maul müd machen und nicht vielmehr uns selbst. Diese wollen auch, man soll allem Übel nit anders denn mit Gebet widerstehn, und wollen den Ihren keine Waffen erlauben, damit sie stets gelassen stehn und keiner Rachsucht geziehn werden. Etliche haben andere Opinion und schier jeder eine besondere, also daß kaum zwei unter ihnen durchaus eines Sinnes sind, denn was sie einander zu Lieb heucheln und zu Dienst glauben. Deshalb ihre Artikel alle zu schreiben unmöglich ist, so viel und mancherlei fürwitzige müßige Fragen bringen sie täglich auf die Bahn ...
»Viele halten, wir sollten solche Leute eher wünschen oder im Himmel suchen denn auf Erden haben, oder vielleicht in der Republik Platos.«
Viele unter ihnen hegen chiliastische Vorstellungen. Sie nehmen an, »die Gottseligen, die in Christo entschlafen sind, werden friedlich auferstehn und mit Christo regieren tausend Jahr hie auf Erd. Etliche halten, auf ewig, und vermeinen, das Reich Christi werde hier auf Erden sein, wie die Propheten im Buchstaben lauten und Lactantius verstanden hätt und die Juden heut noch verstehn.« Nicht wenige haben den jüngsten Tag schon kommen sehen und daraufhin ihr Hab und Gut vergeudet. Einige hassen die Bilder, andere geniert es nicht, selbst in Kirchen zu gehen und die Messen zu hören usw. usw.
Alle diese Unterschiede sind untergeordneter Art, betreffen Äußerlichkeiten oder entstammen gar nur Verschiedenheiten des Temperaments und der Veranlagung, wohin wir zum Beispiel die verschiedene Stellung zu Offenbarungen und Träumen rechnen. Daneben kommen in den bisher genannten Punkten noch einige taktische Fragen geringerer Bedeutung in Betracht.
Aber auch in wichtigen, prinzipiellen Fragen herrschte nicht vollständige Einigkeit unter den Wiedertäufern.
Da war vor allem die Grundfrage, die Eigentumsfrage.
»Etliche,« sagt Franck, »halten sich selbst für die Heiligen und Reinen; die haben, von anderen abgesondert, alle Dinge gemein; keiner sagt, daß etwas sein ist, und ist alles Eigentum bei ihnen Sünd.
»Die anderen haben also all Ding gemein, daß sie einander keine Not sollen leiden lassen. Nicht daß einer dem anderen in das Seine falle, sondern daß in der Not eines jeden Gut des anderen sein soll, und keiner nichts gegen den anderen verbergen, sondern ein offen Haus haben. Und daß der Geber willig und bereit, der Nehmer aber unwillig sein soll und, sofern er's umgehn kann, seinen Bruder spar und keine Überlast tue. Aber hierin ist große Heuchelei, Untreue und sehr viel Ananie, wie sie selbst wohl wissen.
»An etlichen Orten, als zu Austerlitz in Mähren, haben sie Ökonomos, Schaffner, und alle einen Küchensäckel, daraus man einem jeden geben soll, was ihm not ist. Ob es aber geschehe und recht ausgeteilet werde, darum frage ich sie. Diese tun die anderen Brüder in Bann, als die nicht auf dem rechten Wege sind, und ist des Bannens in ihren Gemeinden viel, also, daß schier eine jede Gemeinde die andere in Bann tut, wer sich nicht in allen Stücken unterschreibt ...
»Die anderen Täufer halten nichts auf die erst erzählte Gemein und Gemeinschaft, achten sie auch unnötig und etwas zuviel, daß sie (die anderen) sich die vollkommenen Christen nennen, mit Verachtung der anderen. Diese arbeiten, ein jeder für sich selbst, helfen, fragen, bieten einander (meines Bedünkens) die Händ gut heuchlerisch, obwohl ich die, die es recht meinen, hiemit nicht will getadelt haben.«
Wir finden also bei den Wiedertäufern zwei Richtungen, wie unter den Taboriten und den böhmischen Brüdern (und in den Anfängen des Christentums), eine strengere, die mit dem vollkommenen Kommunismus Ernst machen will, die alles Privateigentum abschafft und alle aus dem gemeinsamen »Küchensäckel« ernährt. Und daneben die mildere, die das Privateigentum anerkennt und bloß verlangt, man solle es besitzen, »als besitze man es nicht«. Das Auftreten dieser beiden Richtungen neben- oder nacheinander ist nicht ein zufälliger, sondern ein typischer Vorgang, der in der kommunistischen Bewegung mit Naturnotwendigkeit eintritt, solange sie über die urchristliche Grundlage nicht hinaus kann.
Mit der Eigentumsfrage hängt eng zusammen die Frage der Eheform. Auch darin waren sie nicht einig, ebensowenig wie ihre eben genannten Vorgänger.
Etliche lehren, sagt Franck, man soll nicht in einer Familie mit Andersgläubigen leben. Viele Ehen wurden dadurch zerstört. Andere unter ihnen lehren selbst dawider.
Etliche haben es für ihre Pflicht gehalten, Haus und Familie zu verlassen, nach dem Beispiel der Apostel. Sie berufen sich auf Petrus, der da sprach: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Er (Christus) aber sprach zu ihnen: Wahrlich ich sage euch, es ist niemand, der ein Haus verläßt, oder Brüder, oder Weib, oder Kinder, um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfältig wieder empfange in dieser Zeit, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben. (Lukas 18, 28 bis 30.) – Cornelius erzählt uns ein Beispiel davon, wie diese Aufforderung zur Auflösung der Familie unter Umständen wirkte: »In der Nacht erhob sich der Bauer Hans Ber zu Alten-Erlangen von seinem Lager und griff nach Kleid und Gerät. ›Wo willst du hin?‹ fragte ihn sein Weib. Er antwortet: ›Ich weiß es nicht. Gott weiß es wohl.‹ Sie beschwört ihn, zu bleiben: ›Was habe ich dir Leides getan? Bleib hier und hilf mir meine kleinen Kinder ziehen.‹ ›Liebe Frau,‹ erwiderte er, ›laß mich mit zeitlichen Dingen unbeschwert. Gott segne dich, ich will von dannen, den Willen des Herrn zu erfahren.‹« (Cornelius, Geschichte des Münsterischen Aufruhrs, II, S. 49.)
Nicht wenige unter ihnen, sagt Franck weiter, predigen gegen eine derartige Auflösung der Familie.
»Es hat sich auch eine Sekte unter ihnen aufgetan, die wollen, wie alle Dinge, auch die Weiber gemein haben. Aber die sind bald von den anderen Brüdern vertuscht ( vertust) und ausgemustert worden. Etliche haben den Hut und den Hätzer beschuldigt als Fürnehmer dieser Sekte. Wohlan, sie haben drum, es ist wahr, ihr Urteil erstanden.«
Den Thurgauer Ludwig Hätzer haben wir bereits kennen gelernt. Dieser gehörte nicht nur in Ehefragen zu den kühnsten Denkern seiner Partei. Er war einer von den Täufern, welche die Göttlichkeit Christi leugneten, Christus nur als Lehrer und Vorbild, nicht als »Abgott« gelten ließen. 1529 wurde er zu Konstanz hingerichtet wegen »Ehebruchs«. Ob und wie weit dabei seine Lehre mit beteiligt war, wissen wir nicht. »Er war hoch mit dem Geist Gottes verständigt,« berichtet von ihm ein mährisches »Chronikl« der Wiedertäufer, »wie seine Schriften melden. Er hat einen Reim zu Kostnitz (Konstanz) angeschrieben von der Gottheit, der lautet also:
»Ich bin allein der ewig Gott,
Der ohne Hilf alles erschaffen hat,
Fragst du, wieviel doch meiner sein?
Ich bin's allein, meiner sein nit drei,
Sag' auch dabei ohn' allen Won,
Weiß glatt auch von keiner Person.
Ich bin auch weder dies noch das,
Wem ich's nit sag', der weiß nit was.«
J. Beck, Die Geschichtsbücher der Wiedertäufer in Österreich-Ungarn, Wien 1883, S. 34.
Hans Hut aus Franken war ein Buchkrämer, ein eifriger Anhänger Münzers (der selbst weit davon entfernt war, Weibergemeinschaft zu predigen). Nach der Niederwerfung des thüringischen Bauernaufstandes schloß er sich den süddeutschen Wiedertäufern an.
Die Tendenzen, deren er und Hätzer beschuldigt werden, erinnern an die der Adamiten in Böhmen und der Brüder und Schwestern des freien Geistes. Da ist es merkwürdig, daß Bullinger von einer Sekte der »freien Brüder« unter den Täufern spricht, die nicht nur im Namen, sondern auch in den Ideen eine große Verwandtschaft mit den Brüdern vom freien Geist aufweist. Ob diese Übereinstimmung auf Überlieferung beruht, oder ob da wieder einmal gleiche Verhältnisse ganz selbständig, ohne jeden Zusammenhang mit ihren Vorgängern, die gleichen Erscheinungen zutage gefördert haben, können wir nicht entscheiden.
»Die freien Brüder,« sagt Bullinger, »welche fast von den anderen Täufern allen die groben, wüsten Brüder genannt und verbannt und verworfen werden, machen die achte Sekte im Täuferorden: Deren wurden auch von Anfang der Täuferei nicht wenig hier und da, besonders im (Züricher) Oberland, funden. Die Täufer verstanden die christliche Freiheit fleischlich. Denn sie wollten von allen Gesetzen frei sein, dieweil doch Christus sie ledig und frei gemacht hätte. Darum vermeinten sie auch, sie wären von Rechts wegen weder Zins noch Zehnten, auch die Pflichten der Knechtschaft oder Leibeigenschaft fürderhin zu zahlen und zu leisten nicht schuldig. Etliche aber, die etwas bescheidener sein wollten, lehrten, ob man gleich die Dinge von Rechts wegen nicht schuldig wäre, sollte man es dennoch den Heiden bezahlen, damit sie keine Klage hätten und die Lehre nicht lästerten. Doch sollte keine Leibeigenschaft unter den Christen mehr sein. Etliche dieser freien Brüder, verzweifelt öde Buben, beredeten leichtfertige Weiber, daß es ihnen nicht möglich wäre, selig zu werden, sie schlügen denn ihre Ehr in die Schanz. Und mißbrauchten hierzu, nicht ohne Gotteslästerung, des Herrn Wort: So jemand nicht verscherzte und verlöre alles, das er lieb hätte, möcht er nicht selig werden. Item, man müsse um Christi willen allerlei Schmach und Schand leiden. Dieweil auch Christus geredet habe, die Publikanen (Zöllner) und Huren werden im Himmelreich den Gerechten vorgehen, so sollen die Weiber zu Huren werden und ihre Ehr verscherzen, so werden sie im Himmel größer sein denn die frommen Weiber. Andere machten es etwas subtiler. Denn so wie sie lehrten, alle Dinge gemein haben, also auch die Weiber. So sprachen etliche, nachdem sie wiedertauft wären, wären sie wiedergeboren und könnten nicht sündigen; das Fleisch könnte und möchte allein sündigen. Und es geschah unter manchem ( sömlichen) falschen Schein und erlogenem Fürgeben des öden Gedichts große Schand und Üppigkeit. Da durften sie über das alles sagen, es wäre des Vaters (Gottes) Wille. Und hier sind unter vielen üppigen Buben entstanden die geistlichen Ehen. Denn die Weiber wurden beredet, sie versündigten sich schwer mit ihren Ehemännern, die noch nicht wiedergetäuft, also Heiden wären; mit ihnen aber, den Täufern, sündigten sie nicht, da zwischen ihnen eine geistliche Ehe bestehe.« Wiedertäufer, Fol. 32.
Es ist uns leider nicht gelungen, andere gleichzeitige Zeugnisse über die freien Brüder aufzufinden. Bullingers Streitschrift ist keine unbefangene und zuverlässige Quelle. Aber in den wesentlichen Punkten dürfen wir seine Darstellung der freien Brüder doch für richtig halten, gerade in jenen Punkten, in denen sie sich mit den Brüdern und Schwestern vom freien Geist berühren, nämlich in der »freien Liebe«, dem »kommunistischen Anarchismus«, ihrer Sündlosigkeit, da alles, was sie täten, Gottes Wille sei.
Wie gegenüber Eigentum und Ehe, waren die Wiedertäufer auch in ihrem Verhalten gegenüber dem Staate, der öffentlichen Gewalt, nicht völlig einig. Darin stimmten sie allerdings überein, daß sie mit dem Staate so wenig als möglich zu tun haben wollten. Sie wollten von ihm nichts wissen, aber sie verwarfen die gewaltsame Auflehnung gegen ihn und predigten die Pflicht des leidenden Gehorsams. Man wollte die »Staatsknechtschaft«, um modern zu sprechen, loswerden dadurch, daß man den Staat ignorierte.
Sie lehren, berichtet Franck, man solle Gewalt leiden, Genommenes nicht fordern. Ein Christ solle kein Amt bekleiden, »er möge weder leibeigene noch sonstige Knechte haben, auch niemals Krieg führen und die Faust zücken«. Gott räche sich selbst.
Etliche unter ihnen verlangen, man solle nie schwören. »Auch daß ein Christ keine Obrigkeit möge sein, die ein Halsgericht besitzt und über das Blut urteilt oder die Krieg führt.« Andere billigen wenigstens die Notwehr. »Jedoch lehren sie alle einhellig, der Obrigkeit in allen Dingen, so nicht wider Gott sind, gehorsam zu sein, nicht allein Zins und Steuer, sondern den Mantel zu dem Rock und was man nicht entbehren will zu geben. Sie sagen, sie seien auch bereit, Gewalt zu leiden und auch den Tyrannen gehorsam zu sein ... Dieses haben mir zur Antwort geben, so viel ich darum hab angeredt, sie seien da, um Christi willen zu leiden mit Geduld, nicht zu fechten mit Ungeduld. Denn das Evangelium lehr und woll nicht mit der Faust, wie die Bauern im Sinne hatten, sondern mit Leiden und Sterben verteidigt und bestätigt werden ... Deshalb hält es meines Erachtens nicht so große Not, daß man einen Aufruhr von ihnen besorgt. Der Teufel, der gern Mord sieht und eine Lust hat, im Blute zu baden, flößt vielen einen törichten Eifer ein, die armen Leute zu tyrannisieren ... Nun, weil kein Aufruhr vorhanden ist, soll man niemanden unter ihnen bloßen Argwohns wegen also martern. Ich besorgte von keinem Volke weniger einen Aufruhr, wenn ich Papst, der Kaiser oder der Türke selbst wäre, denn von diesem.«
Das war der entscheidende Punkt, der Münzer, und die Mehrheit der deutschen Kommunisten vor dem Bauernkrieg überhaupt, von ihnen trennte, so sehr sie den Züricher Brüdern in anderen Punkten nahe standen.
Es ist noch ein Brief erhalten, den die uns bereits bekannten Grebel, Manz, Andreas auf der Stülzen, Hans Okenfuß, Heinrich Aberli und andere an Münzer richteten, am 5. September 1524. Sie erklärten, sie seien mit ihm in vielem einverstanden, »und daß Du mitsamt Karlstadt bei uns für die reinsten Verkünder und Prediger des reinsten göttlichen Wortes geachtet sind«. Sie freuen sich, »daß wir einen funden haben, der eines gemeinen christlichen Verstandes mit uns sei«, seine »Büchlinen« haben »uns Armgeistige über die Maßen gelehrt und gestärkt«; aber er ist ihnen nicht radikal genug in seiner Lehre und sie ermahnen ihn, »Du wollest Dich ernstlich befleißen, nur göttliche Worte unerschrocken zu predigen, nur göttliche Bräuche aufzurichten ... und alle Anschläge, Worte, Bräuche und Gutdünken aller Menschen, auch Deine selbst, verwerfen, hassen und verfluchen«. Sie wenden sich gegen seine deutsche Messe, die ihnen noch zu weit von der apostolischen Einfachheit entfernt ist. Auch daß er in der Kirche Tafeln (Bilder?) aufgerichtet hat, mißfällt ihnen. Sie wenden sich aber auch gegen seine Gewalttätigkeit. Wer nicht glauben will und dem Wort Gottes widerstrebt, »den ... soll man nicht töten, sondern für einen Heiden und Zöllner achten und sein lassen. Man soll auch das Evangelium und seine Bekenner nicht schirmen mit dem Schwert, oder sie sich selbst, was, wie wir durch unseren Bruder vernommen haben, Deine Meinung ist. Rechte, gläubige Christen sind Schafe unter den Wölfen, Schafe der Schlachtung; sie müssen in Angst und Not, in Trübsal und Verfolgung, in Leiden und Sterben getauft werden, darin erprobt werden und dürfen das Vaterland der ewigen Ruh nicht leiblicher, sondern geistlicher Erwürgung erlangen. Sie gebrauchen auch weder weltliches Schwert noch Krieg, denn bei ihnen ist das Töten ganz abgetan.«
Dem Brief ist eine Nachschrift beigegeben: Eben haben die Brüder erfahren von Luthers »Brief und schändlich Büchlein«, in dem er die Fürsten auffordert, der Münzerschen Agitation ein Ende zu machen. »Des Huiufen Bruder schreibt, Du habest wider die Fürsten gepredigt, daß man sie mit der Faust angreifen sollte. Ist es wahr ... so ermahn ich Dich bei dem gemeinen Heil unser aller, Du wollest davon abstehen und allem Gutdünken jetzt und hernach, so wirst Du gar rein werden, der Du uns sonst in anderen Artikeln (also abgesehen von der Messe, den »Tafeln« und dem gewaltsamen Weg) besser gefällst denn keiner in diesen deutschen und auch anderen Ländern. So Du dem Luther und den Herzogen in die Hände kommst, laß die gemeldeten Artikel fallen und bei den anderen steh wie ein Held.« Der Brief ist im Originalwortlaut abgedruckt bei Cornelius, a. a. O., II, S. 240 ff., Beilage 1. Das Original ist in der Bürgerbibliothek zu St. Gallen.
Ob Münzer den Brief erhielt und welche Antwort er darauf erteilte, wissen wir nicht. Bald nach dessen Abfassung finden wir ihn an der Schweizer Grenze im Verkehr mit den Schweizer Wiedertäufern. Über die Art dieses Verkehrs bestehen nur Vermutungen; aber daß es im Punkte des gewaltsamen Weges zu keiner Verständigung kam, lehren die Ereignisse, die sich nach Münzers Rückkehr nach Thüringen abspielten.
Die Ablehnung des gewaltsamen Weges war für die Wiedertäufer der entscheidende Glaubensartikel – ebenso wie vorher bei den böhmischen Brüdern. Das sieht man daraus, daß sie trotz ihrer sonstigen Toleranz und trotzdem sie die verschiedensten Richtungen unter sich duldeten, doch stets dagegen protestierten, daß Münzer einer der Ihrigen gewesen sei. Auch Münzers Anhänger hielten sie von sich fern. Franck berichtet: »Münzer soll noch (1531) einen großen Anhang heimlicher Jünger in Thüringen haben, die sind nicht Täufer, er hat auch selbst nicht wiedergetauft, wie ich glaubwürdig berichtet bin.«
Das letztere wäre freilich für sich allein kein Beweis dafür, daß Münzer nicht zu den Täufern gehörte. Gleich diesen hat auch Münzer sich gegen die Kindertaufe geäußert. In seiner »Protestation« schrieb er: Zu den Zeiten der Apostel hat man darüber gewacht, daß der Widersacher nicht den Weizen mit dem Unkraut mischen könne. »Darum hat man allein die erwachsenen Leute nach langer Unterrichtung zu Kirchenschülern aufgenommen ... Ach, was soll ich sagen, es hat sich nie und nirgends mit einem einzigen (Wort?) geäußert oder gezeigt, in allen Büchern der Kirchenlehrer von ihres Schreibens Anfang, was die rechte Taufe sei. Ich bitte alle buchstabischen Gelehrten, daß sie mir anzeigen, wo es in dem heiligen Buchstaben steht, daß ein einziges unmündiges Kindlein getauft sei von Christo und seinen Boten, oder aufgesetzt sei, zu beweisen, unsere Kinder also wie jetzund zu taufen.«
Mit der Praxis der Wiedertaufe haben aber die Züricher erst Ende Januar oder Anfang Februar 1525 begonnen, zu einer Zeit, wo Münzer wahrscheinlich schon aufgebrochen war, um an dem großen Revolutionskampf teilzunehmen, und wo ihm derartiger sektiererischer Kleinkram höchst bedeutungslos erscheinen mußte.
Die Idee der Wiedertaufe beziehungsweise Spättaufe ist keine neue. Schon im zwölften Jahrhundert griffen Häretiker wie Petrus de Brugs und Heinrich von Toulouse »die Taufe der Kinder an; nur der Erwachsene, des Glaubens Fähige solle getauft werden«. Ignaz von Dölliger, Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters, I, S. 84, 101 und öfter. München 1890. Namentlich stark äußerte sich die Idee der Wiedertaufe später in den Anfängen der böhmischen Brüder. »Es wäre besser, nach Art der alten Kirche, nur Erwachsene zu taufen, die durch ihre Werke ihren Glauben bereits betätigen können,« meinte Peter Chelèicky. Er verwarf die Kindertaufe nicht unbedingt, zog aber die Taufe an Erwachsenen vor. Als sich die Gemeinde der böhmischen Brüder 1407 in Lhota konstituierte, war ihre erste Handlung die Wiedertaufe, die an den Anwesenden vollzogen wurde. Die Spättaufe erhielt sich bei ihnen bis zum Aufkommen der Wiedertäufer. Damals waren die böhmischen Brüder bereits verbürgerlicht; sie wollten mit den Wiedertäufern nicht verwechselt werden, die denselben Charakter trugen, den die Jünger Chelèickys anfangs getragen hatten. Die Taufe an Erwachsenen ward jetzt ein gefährliches Symbol, und darum erwuchs von nun an in der böhmischen Sekte eine immer stärkere Abneigung dagegen. Endlich schaffte sie eine Synode zu Jungbunzlau 1534, im Jahre des Münsterschen Aufstandes, völlig ab. Gindely, Geschichte der böhmischen Brüder, I, S. 36, 224. Es war also kein neues Prinzip, dessen Annahme den Züricher Brüdern ihren Namen gab. Die Gegnerschaft gegen die Kindertaufe war die logische Folge der Gegnerschaft gegen die Staatskirche.
Solange die katholische Kirche im christlichen Abendland wirklich katholisch gewesen war ( katholikos, griechisch = allgemein), bedeutete dort die Taufe die Aufnahme in die Gesellschaft überhaupt. Die Taufe am Neugeborenen war da nichts Widersinniges. Ganz anders wurde es, sobald sich Oppositionsparteien, ketzerische Parteien bildeten, die den Anspruch der katholischen Kirche bestritten, daß sie die ganze Gesellschaft umfasse. Bildeten sich neben ihr andere kirchliche Gemeinschaften, dann lag die Forderung nahe, daß der einzelne nicht willenlos durch den Zufall der Geburt einer bestimmten Kirche zugeteilt werden, sondern daß ihm die Entscheidung darüber frei bleiben solle, bis er fähig sei, selbständig zu denken.
Aber nicht alle protestantischen Sekten zogen diese Konsequenz. Der Protestantismus der herrschenden Klassen bedeutete nichts als das Bestreben, die Kirche als Herrschaftsmittel zu erobern und dem Staat einzuverleiben. Die Kirche wurde ein Stück des Staates, die Staatskirche; die Staatsgewalt bestimmte in den Ländern, in denen es zu einer Reformation kam, welcher Kirche, welchem »Glauben« die Staatsbürger angehören sollten. Besonders kraß äußerte sich das später im monarchischen Deutschland, wo sich der Grundsatz bildete: cujus regio, ejus religio, wem das Land gehört, der bestimmt dessen Religion; wo die Landeskinder sofort und ohne Murren den Glauben wechseln mußten, wenn der Landesvater aus irgend einem Grunde den Glauben wechselte oder sie einem anderen andersgläubigen Landesvater vererbte, verschenkte, verschacherte oder sonstwie abtrat.
In den demokratischen protestantischen Gemeinwesen trieb das Staatskirchentum nicht so absurde Konsequenzen wie in den monarchischen; aber es trat dort früher zum Vorschein, zuerst in Zürich, wo Zwingli, wie wir gesehen haben, schon 1523 die Staatskirche einführte. Mit der Einführung der Staatskirche war aber die Taufe Erwachsener unvereinbar. Wie jeder Mensch von Geburt aus einem bestimmten Staat angehört, so gehörte er auch in den Ländern der Staatskirche von Geburt aus einer bestimmten Konfession an. Die Spättaufe bedeutete die Leugnung der Autorität des Staates, die Leugnung seiner Berechtigung, das Glaubensbekenntnis seiner Angehörigen zu bestimmen. Zwingli, als Lenker des Züricher Staates, konnte sie unmöglich anerkennen, wenn er auch früher, in seiner ideologischen Zeit, solange er noch in der Opposition stand, nach seinem eigenen Zeugnis für die Spättaufe gewesen war.
In seiner Schrift »Vom tauf, vom widertauf und vom Kindtauf« (1525) sagt Zwingli: »Denn der Irrtum hat auch mich vor einigen Jahren verführt, daß ich meint', es wäre viel besser, man taufte die Kindlein erst, wenn sie zu gutem Alter kommen wären.« (Ausführlicher handelt darüber J. Loserth, Dr. Balthasar Hubmeier und die Anfänge der Wiedertaufe in Mähren, S. 78, Brünn 1893.)
Dagegen wurden die »Brüder« um so mehr gedrängt, die Berechtigung der Taufe an Erwachsenen zu behaupten und die Kindertaufe als ungültig und nichtig zu verwerfen, je mehr sie verfolgt wurden, je mehr sie sich als Minorität fühlten, die darauf verzichtete, den Staat zu erobern, die sich nur dadurch zur Geltung bringen konnte, daß sie sich von der Menge absonderte und als besondere Gemeinde der »Heiligen« und »Auserwählten« organisierte – zwei Beinamen, die sehr hochmütig klingen und die doch nur bezeugen, daß sie die Hoffnung aufgaben, jemals die Masse der Bevölkerung zu bilden.
So trat die Frage der Spättaufe oder, wie ihre Gegner sagten, der Wiedertaufe immer mehr in den Vordergrund. Sie bildete ebensowenig das eigentliche Kampfobjekt, wie es die Frage des Abendmahls unter beiderlei Gestalten bei den Hussiten gebildet hatte. Das sagt Zwingli selbst in einem Briefe an Vadian vom 28. Mai 1525. Er bezeichnet darin den Kampf gegen die Täufer als den schwersten, den er je zu führen gehabt. Alle früheren Kämpfe seien ein Kinderspiel dagegen gewesen. Jedoch sei der Widerstand notwendig, da es sich nicht um die Taufe handle, sondern um Aufruhr, Rottung und Verachtung der Obrigkeit. (Egli, Züricher Wiedertäufer, S. 34.)
Durch die Verhältnisse wurde, wie bei den Hussiten der Laienkelch, so hier die Wiedertaufe das Feldzeichen, um das sich die Brüder scharten, an dem sie sich erkannten. Von ihr haben sie den Namen erhalten, unter dem sie in der Geschichte bestehen. »Wiedertäufer« oder »Anabaptisten« (von den griechischen Worten Ana, einer Partikel, die den Begriff der Wiederholung in sich schließt, und Baptistes, der Täufer). Sie selbst protestierten gegen diese Benennung. Sie tauften nicht zweimal, sie erklärten vielmehr, die Kindertaufe sei überhaupt keine Taufe, sondern, wie Hubmeier sagte, nur ein Kinderbad. (In seiner Schrift: Vom Christenlichen Tauff der Gläubigen, 1525. Einen Auszug daraus gibt Loserth, a. a. O., S. 84 ff.)
Noch vor dem Ausbruch des deutschen Bauernkrieges fiel der entscheidende Schlag gegen die Züricher Wiedertäufer.
Angefeuert von deren Predigern, namentlich von Reublin, hatten mehrere Eltern sich geweigert, ihre Neugeborenen taufen zu lassen. Vergeblich bemühten sich Pfaffen und Ratsherren, sie zur Nachgiebigkeit zu überreden. Da erließ der Rat am 18. Januar 1525 das Gebot der Kindertaufe und setzte auf dessen Übertretung die Strafe der Landesverweisung. Drei Tage darauf begann die Ausführung des Ratsbeschlusses. Reublin, Hätzer, Andreas auf der Stülzen und Brödli, ein Graubündner, der in Zollikon als Prediger wirkte, aber von seiner Hände Arbeit sich ernährte, wurden ausgewiesen.
Die Antwort auf diesen Schlag war würdig und kühn. Die zurückgebliebenen Brüder versammelten sich, und in der Versammlung erhob sich Jürg Blaurock, der in Chur Mönch gewesen, und bat Konrad Grebel, daß dieser ihn taufe mit der rechten, wahren, christlichen Taufe. Nachdem Konrad ihn getauft, taufte nun Jürg alle anderen Anwesenden. Von da an war die Wiedertaufe oder Spättaufe das anerkannte Symbol der Aufnahme in den Bund der Brüder. Gleichzeitig begann man den Versuch, den Kommunismus praktisch durchzuführen. »Man war,« erzählt ein Zeuge (Heini Frei, genannt Gigli), »der Meinung, daß alle Dinge sollten gemein sein und zusammengeschüttet werden, und was dann einem jeglichen fehle und anläge, solle er dann vom Haufen nehmen, so viel er zur Notdurft brauchen müßte. Und waren auch der Meinung, daß sie gern reiche Leute und große Geschlechter hineingezogen und gebracht hätten.« (Egli, Züricher Wiedertäufer, S. 24, 97.)
Die Züricher Brüder hatten sich zur Wiedertaufe bekannt im vollen Bewußtsein dessen, was sie erwartete.
»Sogleich, als Zwingli von neuem, und nun dringender noch als früher, den Kampfruf erschallen ließ, schlug blendend und erschreckend die Flamme schwärmerischer Begeisterung empor. Plötzlich sah man eine Menge Leute, wie zur Reise fertig, gegürtet mit Stricken, durch Zürich ziehen. Auf Markt und Plätzen blieben sie stehen und predigten von der Besserung des Lebens, von der Bekehrung zur Unschuld und Gerechtigkeit und brüderlichen Liebe. Dazwischen riefen sie gegen den alten Drachen und seine Häupter, das ist gegen Zwingli und seine Amtsgenossen, und weissagten den Untergang der Stadt binnen kurzem, wofern sie die Stimme des Herrn nicht hören wolle. ›Wehe, wehe über Zürich!‹ tönte das Rufen bald klagend, bald drohend, wie eine Mahnung aus einer anderen Welt, überall durch die engen Straßen der volkreichen Hauptstadt.
»Der Rat ließ viele zur Haft bringen, unter ihnen auch Manz und Blaurock. Es folgten Verbote, Verhöre und Strafen, dann wieder Verhaftungen, Gespräche, verstärkte Strafen. Aber diese Leute hatten einen Geist, welcher der Zwinglischen Theologie spottet, und die Gewalt trieb, wie der Wind die Feuersbrunst, den Namen ihrer Kirche in die Weite.« Cornelius, a. a. O., II, S. 29, 30.
In der Tat, in der ganzen deutschen Schweiz ging bald ihr Same auf, aller Orten verbreitet durch die aus Zürich Ausgewiesenen.
Am erfolgreichsten waren sie an der deutschen Grenze, in Waldshut, Schaffhausen, St. Gallen.
Die Züricher Reformationsbewegung hatte, wie in anderen Städten der Schweiz und Süddeutschlands, so auch in diesen lebhaften Widerhall gefunden. Und wie in Zürich traten auch dort radikale, wiedertäuferische Elemente auf, die über die Zwinglische Reform hinauswollten. Diese waren erfolgreicher in den kleinen Städten als in der Großstadt – die Kleinstädte waren damals in der Mehrheit ihrer Bevölkerung immer plebejischer gesinnt als die Großstädte, wie wir schon bei den Hussiten gesehen haben. Schon vor 1525 war in Waldshut die Kindertaufe zwar noch gestattet, aber nicht mehr geboten. Schaffhausen ging nicht so weit wie Waldshut, verhielt sich aber zum mindesten nicht ablehnend gegen die Wiedertäufer. In St. Gallen hatte schon 1524 ein Weber, Lorenz Hochrütiner, ein Anhänger Grebels, der 1523 aus Zürich ausgewiesen worden war, eine kleine Brüdergemeinde gegründet, die gedieh.
Die Züricher Massenausweisungen zu Beginn des Jahres 1525 brachten erhöhtes Leben in diese Orte. Grebel wandte sich nach Schaffhausen, Brödli fing in dem Schaffhauser Ort Hallau zu predigen an, Reublin endlich ging nach Waldshut.
Nur langsam machte die neue Lehre Fortschritte in Schaffhausen. Hallau dagegen wurde rasch erobert und ebenso Waldshut. Der Führer der Bewegung dort war Dr. Balthasar Hubmeier, der, wie wir wissen, mit dem Basler Kreise verkehrt hatte.
Diesen Mann müssen wir etwas näher betrachten. Um 1480 in Friedberg bei Augsburg geboren, hatte er sich der Gelehrtenlaufbahn zugewendet und war Professor an der Universität Ingolstadt geworden, die ihn 1515 zum Prorektor ernannte. Im nächsten Jahre folgte er einem Rufe als Domprediger nach Regensburg. Am hervorstechendsten wurde dort seine Agitation gegen die Juden, von denen die Handwerker behaupteten, daß sie den Rückgang der Stadt und des Handwerks verursachten. 1519 wurden die Juden ausgewiesen. Bald darauf, 1521, verließ auch Hubmeier selbst Regensburg. Was ihn von dort trieb, wissen wir nicht. Vielleicht seine Teilnahme an der Reformationsbewegung. Er begab sich nach Waldshut, welche Stadt damals im Besitz der Habsburger war. Hubmeier gewann als Prediger dort bald bedeutenden Einfluß, namentlich unter dem gemeinen Mann. Dieser Einfluß wuchs, als unter dem Einfluß der Züricher Reformationsbewegung in Waldshut eine demokratische antihabsburgische Bewegung aufkam; diese Bewegung, die schließlich am Vorabend des Bauernkriegs zur Lossagung der Stadt von der habsburgischen Herrschaft führte, ward von Hubmeier geführt, der dort dieselbe Rolle spielte wie Zwingli in Zürich, mit dem er in lebhaftestem Verkehr stand.
Aber, wie schon bemerkt, mit dieser Bewegung gediehen auch in Waldshut die »Brüder«.
Als Zwingli den Kampf gegen diese aufnahm, mußte auch Hubmeier sich entscheiden. Aber in Waldshut war der gemeine Mann mächtiger als in Zürich, die rebellischen Bauern Süddeutschlands näher. Hubmeier trennte sich von Zürich und wendete sich mit seiner Gemeinde den Täufern zu, mit denen er schon vorher sympathisiert und in vielen Punkten übereingestimmt hatte.
Als Reublin nach Waldshut kam, ließ Hubmeier sich von ihm taufen (Ostern 1525). Mehr als 300 Einwohner der Stadt folgten seinem Beispiel. An den Getauften vollzog Hubmeier auch die Fußwaschung. Ein boshafter Berichterstatter erzählt: »Und als er mit den jungen Weibern fertig war und an die alten Böcke kam, hat er gesagt, es solle nun ein anderer die Füße waschen.« (Loserth, Hubmeier, S. 82.) Das können wir ihm nicht übelnehmen. Mit Hubmeier war ganz Waldshut gewonnen; diese rebellische Stadt, die den Habsburgern den Gehorsam gekündigt hatte, wurde »eine Burg der täuferischen Kirche, von wo Antrieb und Werbung nach allen Seiten ausging«. (Cornelius.)
Gleichzeitig wuchs auch die St. Galler Gemeinde rasch an, namentlich nach einer Agitationstour, die Grebel von Schaffhausen dorthin unternahm. Die Gemeinde zählte bald 800 Genossen. Ganz Appenzell geriet in Aufregung.
Manz brachte die täuferische Lehre nach Graubünden, andere verbreiteten sie in Basel und Bern, und im Kanton Zürich selbst stockte die Agitation nicht, trotz aller Maßregeln der Behörden. Namentlich im Oberland, im Amt Grüningen, war sie eine Zeitlang sehr erfolgreich.
Man sieht, welchen Erfolg Ausweisungen haben, wenn die Partei, die sie schädigen sollen, in den Verhältnissen ihre Nahrung findet. Und das war damals der Fall. Die ausgewiesenen Agitatoren hätten keine solchen Erfolge erzielt, wenn nicht gleichzeitig der deutsche Bauernkrieg auch die Schweiz aufs tiefste erregt und dort die unteren Klassen ebenso wie bürgerliche Ideologen für die wiedertäuferische Predigt aufs günstigste gestimmt hätte. Der blutige Kampf an den Grenzen der Republik, was war er anders als die Einleitung jener furchtbaren Ereignisse, von denen die Apokalypse spricht, in denen die Gottlosen vertilgt werden und nur die Auserwählten übrigbleiben, um des tausendjährigen Reiches teilhaftig zu werden?
Als der große Kampf zu Ende war, die rebellische Bauernschaft Deutschlands aus tausend Wunden blutend am Boden lag, da änderte sich auch die Situation für die Täufer in der Eidgenossenschaft. Ihre größten Erfolge hatten diese friedliebenden Sektierer, die den Aufruhr verabscheuten, während des Aufruhrs und durch ihn erzielt. Seine Niederschlagung zog ihnen den Boden unter den Füßen weg – wenigstens in ihrer Heimat. Jetzt wurden die unteren Klassen kleinmütig und verzagt, indes den Ausbeutern der Kamm schwoll und das famose Beispiel der deutschen Nachbarn ihren Blutdurst entzündete. In der zweiten Hälfte des Jahres 1525 werden die Verfolgungen der Wiedertäufer in der Schweiz allgemein, und sie gestalten sich um so erbitterter und grausamer, je bedrohlicher das Anwachsen der kommunistischen Sektierer unter der Ägide des Bauernkriegs gewesen war.
Anfangs Juni bereits erhob sich der Rat von St. Gallen und dekretierte das Verbot der Wiedertaufe. Die Bürger mußten der Obrigkeit unbedingten Gehorsam schwören, wer den Eid weigerte, hatte das Gebiet der Stadt zu verlassen. Im Juli wurde Manz von dem Rat zu Chur verhaftet und an Zürich ausgeliefert. Im August ward der Rat von Schaffhausen der Wiedertäufer Herr. Der Oktober sah die Verhaftung Grebels und Blaurocks, die auf Züricher Gebiet, im Grüningischen, agitierten. Im November belegte Bern die Täuferei mit der Strafe der Landesverweisung. Im Dezember endlich fiel Waldshut, die Burg der Wiedertäufer, ohne Schwertstreich in die Hände der österreichischen Regierung. Hubmeier, dem jeder andere Ausweg verlegt war, floh nach Zürich, wo er ergriffen und gefangen gesetzt wurde.
Das Jahr, dessen erste Hälfte so voll glänzender Erfolge gewesen war, endete mit völliger Niederschlagung und Zersprengung der Täufer in der ganzen Eidgenossenschaft.
Die meisten flohen nach Deutschland, so Reublin, Hätzer, Blaurock (dieser erst 1527). Andere krochen zu Kreuze und widerriefen ihre Irrtümer; der bekannteste unter ihnen war Hubmeier. Nach seiner Gefangennahme in Zürich zwang man ihn, mit Zwingli zu disputieren, den Gefangenen mit seinem Kerkermeister, der jeden Tag das Schlimmste über ihn verhängen konnte! Hubmeier war nicht der Mann, die ekelhafte Komödie würdevoll zu gestalten. Um sich zu retten, verleugnete er seine Grundsätze und sprach bei der Disputation zuerst schwankend und schmeichelnd, und als das seinen Gegnern nicht genügte, erklärte er sich zum Widerruf seiner »Irrtümer« bereit.
Nachdem er diesen geleistet und geschworen, das Züricher Gebiet nie wieder zu betreten, wurde er gnädigst entlassen (April 1526).
»Aber,« jammert Bullinger, »wiewohl dieser Handel Doktor Balthasars viele einfache, verirrte Leute vernünftig und rechtsinnig machte, waren doch der halsstarrigen Täufer noch viele, die dadurch, auch durch andere Dinge nicht zur Besserung bewegt wurden.« Der Widertäuffer Ursprung, S. 13.
Ihnen rückte die Obrigkeit mit schweren, sich steigernden Strafen zu Leibe. Schon am 7. März 1526 hatte der Rat von Zürich bestimmt, es sollten alle, die halsstarrig zur Sache der Täufer hielten, »bei Wasser und Brot auf Stroh in den neuen Turm gelegt werden«. Dort sollte man sie »ersterben und faulen lassen«, auch die Frauen und Mädchen. Aber auch jeden, der einen Täufer beherbergte, ihm Speise und Trank reichte, bedrohte strenge Strafe. Endlich wurde über Rückfällige die Todesstrafe verhängt. Als erster erlitt sie Felix Manz, am 5. Januar 1527. Er wurde ertränkt, sein Vermögen konfisziert.
Wohl gelang es durch diese Verfolgungen nicht, die Wiedertäuferei in der Schweiz zu vernichten, wie ja keine der kommunistischen Sekten bisher mit Gewalt völlig ausgerottet werden konnte. Aber die Gunst der Verhältnisse stand nicht mehr auf ihrer Seite, und so war die kommunistische Bewegung in der Eidgenossenschaft bald nach der Niederschlagung der deutschen Bauern auf dasselbe Niveau zurückgedrängt, auf dem sie vor dem Beginn der Reformation gestanden, auf das Niveau einer für die herrschenden Klassen ungefährlichen, für die daran Beteiligten aber höchst gefahrvollen Geheimbündelei, deren Existenz nur noch in zeitweiligen Prozessen und Hinrichtungen an den Tag trat.
Für die Öffentlichkeit verschwand sie.
Aber gerade zu der Zeit, als der Niedergang des Täufertums in der Schweiz anhub, begann sein Aufsteigen in Deutschland.
Man sollte erwarten, daß die Niederwerfung der bäuerlichen Erhebung, die eine so gewaltige Reaktion gegen die Täufer im Nachbarland hervorrief, um so mehr jedes Aufkommen derselben in Deutschland selbst unmöglich machen mußte. Aber diese Erwägung, die den Verhältnissen eines modernen, zentralisierten Staates entsprechen würde, rechnet nicht mit dem feudalen Partikularismus, der gerade im Reiche damals noch so stark war. Erschwerte dieser Partikularismus die Zusammenfassung aller revolutionären (oder rebellischen) Kräfte zu einer einheitlichen Bewegung, so milderte er auch die Wucht des Rückschlags, der nicht alle diese Kräfte auf einmal und in gleichem Maße traf.
An eine bäuerliche Bewegung war nach dem Bauernkrieg freilich nicht mehr zu denken. Mit den Bauern war auch die Mehrheit der kleineren Städte niedergeschlagen worden, die sich ihnen angeschlossen hatten. Dagegen hatte die Mehrheit der größeren freien Reichsstädte der bäuerlichen Erhebung gegenüber ebenso kühl gegenübergestanden, wie der ihr vorhergegangenen Erhebung des niederen Adels unter Sickingen. Nicht nur das Großbürgertum, die Patrizier, standen den Bauern feindlich gegenüber, auch das mittlere und kleinere Bürgertum, die städtische Demokratie der Zunft, hegte für die ländliche Bevölkerung nur laue Sympathien, die von offener Abneigung oft nicht weit waren.
Aber hatte die großstädtische Demokratie es im allgemeinen versäumt, durch ihre Kraft die Erhebung der bäuerlichen und kleinstädtischen Demokratie zu verstärken, so wurde sie dafür auch nicht, wenigstens nicht direkt, von deren Niederlage betroffen. Die Demokratie in den meisten freien Reichsstädten Süddeutschlands stand nach dem Bauernkrieg noch ungebrochen da. Und gerade damals erhielten die Kämpfe zwischen ihr und der städtischen Aristokratie einerseits, die zwischen der Gesamtheit der städtischen Bevölkerung und dem nach der Beherrschung und Ausbeutung der Städte trachtenden Fürstentum andererseits, Kämpfe, die ja in jenen Jahrhunderten nie ganz aufhörten, einen akuten Charakter.
Die Masse der Bevölkerung in den Reichsstädten hatte die Erhebung Luthers gegen den Papst freudig begrüßt und unterstützt. Diese freudige Unterstützung erlahmte jedoch in dem Maße, als Luther der Demokratie gegenüber lauer wurde.
Um dieselbe Zeit, als Luther anfing, sich von der Demokratie abzuwenden, erstand in Zürich eine Form kirchlicher Reformation, die den Interessen der städtischen zünftigen Demokratie völlig angepaßt war. Sie erregte bald die Aufmerksamkeit der süddeutschen Reichsstädte und gewann dort an Boden, zunächst ohne sich feindselig zum Lutheranismus zu stellen. Dagegen mußten die beiden Richtungen sofort in Gegensatz zueinander treten, sobald Luther und seine Leute sich entschieden gegen die Demokratie erklärten. Und so bedeutet gerade die Zeit des Bauernkriegs auch die Zeit, in der der große Kampf zwischen Luther und Zwingli seinen Anfang nimmt; anscheinend ein Kampf um ein Wort, ein Kampf darum, ob Christus sprach: »Das (Brot) ist mein Leib«, oder »Das bedeutet meinen Leib«, in Wirklichkeit ein Kampf zwischen bürgerlich-demokratischer und fürstlicher Reformation, gefochten mit theologischen Argumenten, aber um sehr reale Objekte.
Ganz Deutschland erfüllte dieser Kampf seit 1525; am lebhaftesten wurde er geführt in den süddeutschen Reichsstädten, in Straßburg, Ulm, Konstanz, Lindau, Memmingen, Augsburg usw. Wie schon früher bei ähnlichen Gelegenheiten, war auch jetzt der lachende Dritte die kommunistische Bewegung. Wie ehedem der Kampf gegen den römischen Papst, so war es nun der Kampf gegen den Papst von Wittenberg, der den Kommunisten Luft und Licht zu freier Entwicklung schaffte. Gegen die Lutheraner konnten die süddeutschen Zwinglianer die Wiedertäufer benutzen, darum duldeten sie sie in den ersten Jahren nach 1525, wie ja auch Zwingli selbst, der sie jetzt verfolgte, kürzlich noch sie begünstigt hatte.
Süddeutschland wurde die Zuflucht der politischen Flüchtlinge aus der freien Republik. Zahlreich kamen sie und rasch gewannen sie noch zahlreicheren Anhang. Ihre friedfertige Gesinnung, die den gewaltsamen Aufstand verpönte, entsprach gerade der allgemeinen Stimmung der unteren Klassen nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes. Auch ehemalige Anhänger Münzers wandten sich ihnen jetzt zu. So der Buchkrämer Hans Hut, dessen wir oben bereits gedacht haben; so Melchior Rinck, zuerst Schulmeister zu Hersfeld, dann Pfarrer zu Eckartshausen im Amt Eisenach, der bei Frankenhausen mitgefochten hatte, aber, glücklicher als Münzer, mit dem Leben davongekommen war. Jetzt schloß er sich den Täufern an.
So rasch erfolgte nun das Anwachsen der Wiedertäuferei in Deutschland, daß man dort vielfach der Ansicht war, sie sei überhaupt erst während oder nach dem Bauernkrieg entstanden. Die Täufer selbst förderten diese Ansicht, da sie dadurch die Beschuldigung zu widerlegen hofften, als hätten sie den Bauernaufstand angezettelt, wie ihre Gegner gern behaupteten. Sie konnten sich darauf berufen, daß die Annahme der Wiedertaufe als Symbol der Brüder, ihre ausgesprochene Loslösung von der Zwinglianischen Kirche und ihre Konstituierung als besondere religiöse Gemeinschaft erst in den Beginn des Jahres 1525 fiel.
Sebastian Franck akzeptiert diese Darstellung der Täufer, wie er denn aufs eifrigste bemüht ist, nachzuweisen, daß sie gar nicht aufrührerisch gesinnt seien.
Jedenfalls kommt seine Anschauung der Wahrheit näher als die andere, noch allgemeiner verbreitete, der auch Bullinger huldigte, als sei Münzer der Begründer der Täufersekte gewesen. Allerdings hatte Bullinger die Anfänge der Wiedertaufe in Zürich selbst gesehen, aber dem Züricher Pfarrer mußte es erwünscht sein, den Ursprung der unbequemen Sekte von der Heimat des Zwinglianismus abzuwälzen und der Heimat des Luthertums aufzuhalsen.
Zum Jahre 1526 bemerkt Franck in seiner Chronik: »Gleich in und nach dem Aufruhr der Bauern entstand aus dem Buchstaben der Schrift eine neue Sekte und besondere Kirche, die nannten etliche Wiedertäufer, etliche Täufer. Die fingen an, mit einer besondern Taufe sich von den andern zu unterscheiden und alle andern Gemeinden als unchristlich zu verachten. – Deren Vorsteher und Bischöfe waren namentlich Balthasar Hubmeier, Melchior Rinck, Johannes Hut, Johannes Denck, Ludwig Hätzer. Deren Lauf ging so schnell, daß ihre Lehre bald das ganze Land durchkroch und sie bald einen großen Anhang erlangten, viel Tausend tauften und auch viel guter Herzen ... zu ihnen zogen. Denn sie lehrten im Schein nichts, denn Liebe, Glauben und Kreuz, erzeigten sich in vielen Leiden geduldig, demütig, brachen das Brot miteinander zum Zeichen der Einigkeit und Liebe, halfen einander treulich mit Vorsatz, Leihn, Borgen, Schenken und lehrten alle Dinge gemein haben, hießen einander Brüder. Wer aber ihrer Sekte nicht war, den grüßten sie kaum, boten auch dem keine Hand; hielten sich auch zusammen und nahmen so jählings zu, daß die Welt sich eines Aufruhrs von ihnen besorgte, dessen sie doch, wie ich höre, allenthalben unschuldig befunden worden sind.« Seb. Franck, Chronik, S. 444.
Die Sekte erschien um so gefährlicher, als sie ihre Verbreitung in den großen Städten fand. Bezeichnend dafür ist ein Brief, den Dr. Eck an den Herzog Georg von Sachsen am 26. November 1527 über die Wiedertäufer schrieb. Da heißt es unter anderem: »Denn gar besorgniserregend ist diese Sekte, und wie gnädiger Herr und seine fürstlichen Räte erwägen, mehr Schadens da zu fürchten, denn bei dem jüngsten bäurischen Aufruhr: denn diese Sekte wurzelt in den Städten. Wenn nun der Aufruhr anginge, würden die in den Städten sich erheben, da würden sie Geschütze, Pulver und Harnische, auch kriegsgeübte Knechte haben, und es würde ihnen das Bauernvolk auf dem Land zufallen, und es würde alles über sich gehn wider die Geistlichkeit, Fürsten und Adel. Darum die Fürsten und der Adel wohl aufsehn müssen.« Abgedruckt bei Seidemann, Th. Münzer, S. 150, 151.
Die Hauptsitze der süddeutschen Täuferei wurden Augsburg und Straßburg, zwei Weberstädte, in denen schon das Beghardentum sehr stark gewesen.
Bezüglich der letzteren Stadt erinnern wir an Friedrich Reiser, den Waldenser, dem der Kongreß von Tabor den Sitz in Straßburg anwies, das »zweifellos seit Jahrhunderten der Vorort der deutschen Gemeinden gewesen ist«. (Keller.)
Wie stark die kommunistische Sektiererei zeitweise in Augsburg gewesen, zeigt die Tatsache, daß dort 1393 auf einmal nicht weniger als 280 waldensische Ketzer, meist Weber und Holzarbeiter, prozessiert wurden. Bender, Geschichte der Waldenser, S. 70.
Ein anderer Mittelpunkt dieser Sektiererei war Nürnberg. Wir wissen, daß Münzer dort zahlreiche Gesinnungsgenossen fand. Aber in Nürnberg war das Patriziat zu mächtig, als daß eine populäre Bewegung hätte aufkommen können.
Zu Ende des Jahres 1524, vielleicht unmittelbar nach Münzers Anwesenheit, wurden in Nürnberg eine Reihe von »Ketzern« verhaftet, darunter Dürers Schüler Jörg Penz, die Brüder Hans Sebald und Barthel Behaim, Ludwig Krug und Sebald Baumhauer, sowie endlich der uns schon von Basel her bekannte Hans Denck, der 1523 Rektor an der Sebaldusschule geworden war auf die Empfehlung des Ökolampadius hin, des Biedermanns, der es später für nötig fand, sich deswegen bei Pirkheimer weiß zu waschen.
Den Gefangenen wurde der Prozeß gemacht. Keller hat die Prozeßakten studiert, die im Kreisarchiv zu Nürnberg liegen. Er bemerkt, es ergebe sich aus ihnen »die Tatsache, daß wir in den Gefangenen die Glieder einer Brüdergemeinde vor uns haben, die unter dem Schleier des Geheimnisses seit langer Zeit bestand und die auswärts, zum Beispiel in Erlangen, Beziehungen besaß«. Keller, Die Reformation, S. 422, 423.
Die Hauptangeschuldigten wurden ausgewiesen, darunter auch Denck. Er ging in die Schweiz, wo damals die Sache der Brüder im Aufschwung begriffen war. Zu Anfang des Jahres 1525 finden wir ihn in St. Gallen als Korrektor in einer Druckerei. Aber der Herbst dieses Jahres sah ihn schon wieder in Deutschland, in Augsburg. Dort begann der Gegensatz zwischen Luthertum und Zwinglianismus am schroffsten zutage zu treten, dort tobte in jenen Jahren der Kampf zwischen beiden Richtungen am mächtigsten, dort fanden die Täufer die für sie günstigsten Bedingungen vor.
Schnell wuchs die Gemeinde, um 1527 soll sie nach Urbanus Rhegius bereits 1100 Köpfe stark gewesen sein. Man schrieb das im wesentlichen der Wirksamkeit Dencks zu, »der mit seinen Landfahrern«, den wandernden Agitatoren, »bei uns auch seinen neuen Tauforden hat wollen aufrichten, sich zuerst in die Winkel gesteckt und heimlich sein Gift ausgegossen hat«, wie ein gegen ihn gerichtetes Pamphlet des Urbanus Rhegius klagt. »Wider den newen Taufforden. Notwendige Warnung an alle christglaubigen durch die Diener des Euangelii zu Augspurg«, 1527. Diese Schrift bringt keine nennenswerten Aufschlüsse über das Täufertum. Am meisten scheint die frommen »Diener des Euangelii« der wiedertäuferische Satz geärgert zu haben, es sei »niemand ein rechter Prediger, er sei denn ein Landfahrer und bleib nit an einem Ort«. Das war seit den Waldensern traditionelle Vorschrift der kommunistischen Sekten.
Denck wurde durch die Verhältnisse in Augsburg sehr begünstigt. Immerhin dürfen wir seinem Eifer und seiner hohen Intelligenz ein gut Teil der Erfolge zuschreiben, die er erzielte. Neben Hubmeier trat er in die erste Linie unter den Vorkämpfern der Brüder. Peter Gynoräus, der 1526 zu Augsburg lebte, spricht von ihm als von dem »Haupt der Wiedergetauften«. Bucer nennt ihn »Papst«, Haller in einem Briefe an Zwingli vom 2. Dezember 1527 den »Apollo der Wiedertäufer«.
Ein bedeutender Gelehrter und Philosoph, wirkte Denck vor allem dahin, die Lehren des Täufertums ihres materiellen, »fleischlichen« Inhalts zu entkleiden und zu »vergeistigen«. Er wurde einer der Hauptvertreter der milderen, wenn man will praktischeren, versöhnlicheren Richtung unter den Wiedertäufern, die neben der ursprünglichen strengen Richtung aufkam und nicht nur die strikte Durchführung der Gütergemeinschaft, sondern auch die vollständige Passivität dem Staate gegenüber sehr lästig fand. In Deutschland gelangte allerdings der Gegensatz zwischen den beiden Richtungen nicht zur vollen Entfaltung; dazu kam es erst in Mähren, wo die Gemeinde mehr Ellenbogenraum fand und sich eher den Luxus innerer Streitigkeiten gestatten konnte. Aber die Ansätze zur Bildung der neueren, praktischeren Richtung im Gegensatz zur alten, zürcherischen traten schon in Deutschland hervor, namentlich in Augsburg, wo die Gemeinde so sehr gedieh und wo auch Mitglieder der höheren Klassen ihr angehörten, darunter Eitelhans Langenmantel, »ein Bürger des fürnehmsten Geschlechts zu Augsburg«, der »reichlich begabt war in der Schrift und Göttlicher Erkenntnus, wie seine Büchlein, in Druck ausgangen, nachweisen«. (Chronikl bei Beck, Geschichtsbücher, S. 36.) Er starb 1529 für seine Sache den Märtyrertod.
Wie bei den böhmischen Brüdern sind es auch hier zumeist die Gebildeten, die auf seiten der milderen Richtung stehen; neben Denck besonders Hubmeier, der zwar zu Zürich der Sache der Wiedertäufer untreu geworden war, sich ihr aber sofort wieder angeschlossen hatte, sobald er die Züricher Mauern hinter sich wußte.
Indes gab es Gebildete auch auf der anderen Seite. Der ebengenannte Eitelhans Langenmantel zum Beispiel ist für den strengeren Kommunismus eingetreten, wenn die ihm zugeschriebene »kurze Rede von der wahren Gemeinschaft« wirklich von ihm herrührt. Er wendet sich gegen die Ansicht derer, die da sagen: »Es sei nicht ein Gebot, daß man die Güter in gemein haben sollt', so es aber in Lieb und frommem Willen geschehe, sei es wohl recht. Sonst aber mag ein jeder es ins Gemeine geben oder behalten, er wird doch von der rechten Gemeinschaft Christi nicht ausgeschlossen sein.« Dagegen erklärt Langenmantel: »Das höchste Gebot Gottes ist die Liebe. Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst. In der Gemeinschaft der zeitlichen Güter wird diese Liebe erkannt. Niemand soll sagen: Mein, mein. Es ist auch des Bruders. Wer wird wohl seinem Bruder die höheren, geistigen, zukünftigen Güter geben, wenn er sich bei den zeitlichen weigert? Nur wer die Gemeinschaft hält, ist in Christo, wer sie nicht hält, außer ihm und seiner Gemeinschaft ... Wollte aber jemand sagen, weil man dann alle Dinge gemein haben soll, so muß man auch die Weiber gemein haben: so sag' ich nicht also, sondern was Gott zusammengeordnet hat, soll der Mensch nicht ändern. Dies aber ist die rechte Gemeinschaft, daß keinem abgeschlagen werde, was ihm not: ein Weib für sich zu nehmen allein, es geschehe in dem Herrn. So soll auch in zeitlichen Gütern einem jeden zugeteilt werden, was ihm not tut. Solche Gemeinschaft, wo der eine reich ist und viele Güter hat, der andere arm ist und Mangel leidet, gehört nicht Christo zu.« Zitiert bei Loserth, Der Kommunismus der mährischen Wiedertäufer im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, Wien 1894, S. 99, 100.
Der entschiedenste Vertreter der strengen Richtung dagegen wurde der Buchbinder und Kolporteur (»Buchführer«) Hans Hut, der, wie wir gesehen, durch die Münzersche Schule gegangen war, und der beschuldigt wurde, einer der Anhänger der Weibergemeinschaft zu sein.
Bereits auf dem zweiten Augsburger Kongreß der Brüder stießen Denck und Hut aufeinander.
So wichtig war Augsburg, daß dort die ersten zwei Kongresse (Synoden) der Täufer stattfanden. Der erste im Frühjahr 1526. Es nahmen an ihm teil Hans Denck, Hans Hut, Ludwig Hätzer, Jakob Groß aus Waldshut, Kaspar Färber aus dem Inntal und Balthasar Hubmeier. Diese Synode sanktionierte die Einführung der Spättaufe nach Deutschland, die bis dahin nur in der Schweiz geübt worden war.
Wichtiger war die zweite Synode, im August 1527, der bereits mehr als 60 Abgeordnete beiwohnten. Ihre Hauptaufgabe war die Organisierung der Agitation, die Entsendung von »Aposteln« in die verschiedensten Gebiete, vielleicht auch die Feststellung des Programms, des »Bekenntnisses«.
»Über die Beschlüsse dieser Versammlung,« sagt Keller, dem wir in bezug auf diese zwei Kongresse folgen, »fehlen uns leider die Protokolle. Indes steht wenigstens so viel fest, daß die Abgeordneten nach längeren Debatten, bei welchen sich eine Differenz zwischen Denck und Hut herausstellte, schließlich in voller Einmütigkeit ihre Beschlüsse faßten, und daß Dencks Ideen es waren, welche den Sieg davontrugen.« Die Reformation, S. 429.
Neben Delegierten aus dem jetzigen Gebiet Süddeutschlands und der Schweiz treffen wir auf diesen Kongressen auch solche aus Österreich. Auch dort war die Wiedertäuferei eingedrungen. Zunächst in dem an die Schweiz grenzenden Tirol und den benachbarten Alpenländern.
Tirol spielte damals ökonomisch und politisch eine viel bedeutendere Rolle als heute. Außer in Sachsen und Böhmen war der Bergbau nirgends so hoch entwickelt wie in Tirol und den östlich angrenzenden Gebieten. Nicht nur reiche Eisen- und Kupfererze sowie mächtige Salzlager fanden sich dort, sondern auch zahlreiche Adern von Gold und Silber. Wie in den erstgenannten Ländern, mußte auch in Tirol der »Bergsegen« zur Verschärfung der sozialen Gegensätze beitragen. Indes geschah dies in den Alpenländern in geringerem Grade als in Sachsen. Die Hauptursache davon bildete wohl die Unwegsamkeit des Landes, die Abgeschlossenheit und Unfruchtbarkeit der einzelnen Täler. Die Bewohner der Seitentäler blieben unberührt von den Einflüssen der wenigen Handelsstraßen, welche die hohen Alpenpässe überschritten. Ihre Bedürfnisse blieben die alten, und die Art und Weise, sie zu befriedigen, änderte sich nicht. Kein Gewinn lockte den Kaufmann in die unwegsamen Wildnisse, der Bauer erzeugte keinen Überschuß, den er austauschen konnte.
Die Reichtümer, welche die Bergleute, namentlich die in den Gold- und Silbergruben, erzeugten, dienten nur teilweise zur Förderung der Warenproduktion im eigenen Lande. Die Hauptgewerken der Tiroler Bergwerke waren Nichttiroler, darunter die wichtigsten die Augsburger Fugger und Höchstetter. Aber selbst Spanier beuteten Tiroler Bergwerke aus. Und auch was den Landesherren zufiel, den Habsburgern, blieb nicht im Lande, sondern wurde in der Welt zerstreut zur Förderung ihrer Weltpolitik; es wanderte in die Taschen von Söldnern aus der Schweiz, aus den Niederlanden, aus Spanien; in die Taschen von Staatsmännern, die an den verschiedenen Höfen zu bestechen waren, und in die Taschen deutscher Kurfürsten und ihrer Beamten.
Wir finden daher in Tirol neben ökonomisch hoch entwickelten Gegenden auch sehr rückständige. Die alte Markverfassung besaß im allgemeinen noch große Kraft, und die Ausbeutung der Bauern war, wenigstens nördlich vom Brenner, gering. Die Zuspitzung der Klassengegensätze, die der Bergsegen mit sich brachte, erstreckte sich fast nur auf die Städte und Bergwerksorte und deren nächste Umgebung.
Als die Wogen des Bauernkriegs 1525 auch in die Tiroler und Salzburger Alpen hineinschlugen und deren Bevölkerung in Bewegung setzten, da waren es nicht die Bauern, sondern die Bergknappen, die an der Spitze der Erhebungen standen. Dies ist ausführlich dargetan in meiner schon erwähnten Abhandlung »Die Bergarbeiter und der Bauernkrieg«, Neue Zeit 1889, S. 508 ff.
Da zeigte sich's, welche militärische Kraft die Bergarbeiter besaßen und wie gefährlich der Aufstand in Thüringen hätte werden können, wenn die dortigen Bergarbeiter sich ihm energisch angeschlossen hätten. Die Aufstände in Nordtirol und im Salzburgischen waren 1525 die einzigen, die nicht mit der Gewalt der Waffen niedergeschlagen wurden. Man wurde ihrer Herr durch »geistige Mittel«, das heißt durch erlogene Versprechungen und durch Ausnützung des bornierten Partikularismus, den die Tiroler und Salzburger Bergknappen ebensogut betätigten wie die Mansfelder. Man beruhigte einzelne der gefährlichsten Erhebungen durch Abstellung einiger allzu schreienden Mißstände, gewann dadurch freie Hand gegenüber anderen Insurgenten, und nachdem man diese niedergeschlagen und Zeit gehabt, Truppen zusammenzuziehen, konnte man auch den militärisch unbesiegt gebliebenen Distrikten den Herrn zeigen. Diese gewannen nichts durch ihren Verrat an der allgemeinen Sache, die allgemeine Niederdrückung der arbeitenden Klassen nach 1525 traf schließlich auch sie.
Besiegt und bedrückt, ohne militärisch überwunden zu sein, waren die unteren Klassen Tirols nach dem Bauernkrieg ebenso unzufrieden und mißgestimmt wie die des südlichen Deutschland, aber doch nicht so entmutigt.
In dieser Stimmung fanden sie die Prediger der Wiedertäufer, die aus der Schweiz und Bayern nach Tirol kamen. Bald zeigte sich's, welch fruchtbaren Boden dies Land der neuen Lehre biete.
Vornehmlich waren es die Bergwerksorte, in denen das Täufertum um sich griff. Schon vor dem Bauernkrieg hatten sie die lutherische Lehre gern angenommen, die in den Ländern der katholischen Habsburger einen rein oppositionellen, entschieden fürstenfeindlichen Charakter trug. »Außer den Geistlichen nahmen sich auch Laien, und zwar Erzknappen, Gerichtschreiber, Studenten und andere heraus, das neue Evangelium zu predigen ... Von allen Seiten loderte die Begeisterung für die neue Lehre empor. Hauptherd der Widersacher des alten Kirchentums war die Bruderschaft zu Schwaz mit ihren zahlreichen Knappen.« Loserth, Der Anabaptismus in Tirol von seinen Anfängen bis zum Tode Jakob Hutters, S. 21. Wien 1892.
Das Jahr 1525 inaugurierte die Abwendung der demokratischen Elemente in Tirol von der Lehre Luthers, der sich als Feind der Demokratie entpuppt hatte. Rasch wandten sie sich den Täufern zu, sobald sie mit deren Lehren bekannt wurden.
Bereits 1526 wird von einigen »Brüdern« im Inntal berichtet, darunter der Bergrichter Pilgram Marbeck aus dem Bergort Rattenberg. 1527 werden auch schon andere Bergorte als Sitze der Wiedertäuferei genannt, so Schwaz, Kitzbichel, Sterzing, Klausen usw., und die »Bergwerksverwandten« werden als diejenigen genannt, bei denen sich die Sekte am meisten einwurzelt. Loserth, a. a. O., S. 37 und viele andere Stellen. Vergleiche auch Beck, Die Geschichtsbücher der Wiedertäufer, S. 80, 81. Daneben ist uns die Anzahl der Weber unter den Tiroler Täufern aufgefallen. Aber auch an Mitgliedern aus anderen Schichten der arbeitenden Klassen war kein Mangel; selbst einzelne Adlige schlossen sich der Sekte an.
Wie in den süddeutschen Städten, so vermehrte sich auch in Tirol während der ersten Jahre nach dem Bauernkrieg die Zahl der Täufer ungemein rasch.
Aber die Zeit der ungehinderten Ausbreitung dauerte in allen diesen Gebieten gar kurz. Kaum hatten sie begonnen, einen merklichen Anhang zu gewinnen, da vereinigten sich auch schon städtische und fürstliche Behörden zu ihrer Verfolgung. Wohl führten die Täufer, wie ihre Gegner selbst zugestanden, ein demütiges und friedfertiges Leben und verwarfen jeden Aufruhr. Aber das nützte ihnen nichts. Die Konsequenz ihrer Lehren, erklärte man, sei doch die Revolution. Diese Argumentation finden wir in einer offiziellen wider sie gerichteten Schrift, »Ein kurzer Unterricht«, Der volle Titel lautet: »Ein kurzer unterricht den Pfarherrn und Predigern Inn meiner gnedigen Herrn der Marggrafen zu Brandenburg etc. Fürstenthumben und Landen hientden in Franken und auf dem Gebirg verordnet, wes sie das volck wider etliche verfürische lere der widertauffer an den Feyertägen aufs der Cantzel zum getreulichsten und besten aus Götlicher schrifft vermanen und unterrichten sollen.« In der Einleitung heißt es, die Markgrafen von Brandenburg hätten den Befehl erlassen, gegen die Wiedertäufer zu predigen; deshalb sei dies Büchlein geschrieben worden, weil »wir dabei bedacht, daß es vielleicht etlichen unserer Pfarrherrn und Prediger am notdürftigen Verstand und dem Verständnis unseres Befehls ermangeln möchte«. Jedem Pfarrherrn sei ein Exemplar dieser Schrift zu schicken. aus dem Jahre 1528: Allerdings, heißt es da, verlangen die Wiedertäufer Gehorsam gegen die Obrigkeit. Aber daß dies nur Hinterlist, kann man daraus ersehen, »daß sie sich zusammen versprechen und verpflichten, in keiner Widerwärtigkeit voneinander zu weichen, sondern Leib und Leben beieinander zu lassen, das dann so viel mit sich bringt, daß sie solch Versprechen und Pflicht höher achten wie die Pflicht gegen ihre von Gott eingesetzte Obrigkeit«. Die einfältigen Leute verstehen das anfangs nicht, aber der Grund ihrer teuflischen Lehre ist dahin gerichtet, groß und mächtig zu werden. Dann würden sie der Obrigkeit sich widersetzen und ihren Mutwillen treiben. Wer lehrt, daß alles gemein sein soll, »der hat nichts anderes im Sinn, denn die Untertanen wider die von Gott verordnete Obrigkeit und den armen Haufen wider die Habhaften (Besitzenden) zu Unfrieden und Aufruhr zu bewegen«.
Diese Argumentation mußte zu Ende der zwanziger Jahre, wo die Erinnerung an den Bauernkrieg noch so frisch war, bei den Machthabern volles Verständnis finden. Überdies galten, wie wir aus dem Briefe Ecks gesehen haben, die Wiedertäufer als besonders gefährlich, weil sie die Städte bedrohten, und endlich ist nicht zu übersehen, daß sich bei einem großen Teil der Wiedertäufer, namentlich der proletarischen Hutschen Richtung, trotz aller Friedfertigkeit eine stark rebellische Ader nicht verleugnete. Wohl erklärten alle ohne Ausnahme jeden Versuch einer bewaffneten Empörung für wahnsinnig und sündhaft; aber nichtsdestoweniger waren viele davon überzeugt, daß das Ende der herrschenden Gesellschaft nahe, nur glaubten sie nicht mehr an den Erfolg eines inneren Aufstandes, sondern setzten ihre Zuversicht auf einen auswärtigen Krieg.
Woran die Bauern gescheitert, das sollten jetzt die Türken zustande bringen. Hans Hut selbst und ebenso viele seiner Genossen bauten auf den bevorstehenden Einbruch der Türken. Diese werden das Reich zerstören, lehrte Hut. Währenddessen sollten die Genossen sich in den Wäldern verborgen halten, dann aber hervorkommen, sobald die Türken ihre Arbeit getan, und das Werk vollenden. Er gab sogar ein genaues Datum für den Beginn des tausendjährigen Reiches an: Pfingsten 1528.
Ebensowenig wie zu ihrer Zeit die Prophezeiungen Dolcinos, waren die Huts bloße Hirngespinste. Die Türken nahten wirklich. Der Sultan Suleiman kam, allerdings nicht 1528, sondern 1529, und es gelang ihm nur, Ungarn zu erobern, nicht aber nach Deutschland einzudringen. Vor Wien scheiterte er, zur Betrübnis nicht bloß der energischeren Wiedertäufer, sondern auch der energischeren Gegner des Kaisers unter den deutschen Fürsten, vor allem des von patriotischen Geschichtschreibern so verherrlichten Landgrafen Philipp von Hessen.
Die Kommunisten waren also nicht die einzigen »Landesverräter«.
Diese türkischen Sympathien eines Teiles der Wiedertäufer verbesserten jedenfalls nicht die Stimmung zu ihren Gunsten, namentlich nicht in den kaiserlichen Ländern.
Am 18. April 1528 wurden den Landesgerichten und Städten Niederösterreichs von der Regierung folgende Kennzeichen der Brüder mitgeteilt:
»1. Wenn ein Wiedertäufer einem anderen begegnet, greift er an den Hut und spricht: Gott grüß' dich, Bruder im Herrn, und dieser antwortet: Gott dank' dir im Herrn.
»2. Ist ihre Meinung und Vorhaben, daß keine Obrigkeit außer Gott soll geduldet werden und alle Güter unter ihnen gemein seien.
»3. Wenn die Türken ins Land kommen, wollen die Wiedertäufer sich ihnen anschließen, ihren Obrigkeiten nicht helfen, auch alle, so nicht ihres Glaubens seien, totschlagen, den Kaiser nicht ausgenommen.« (Loserth, Hubmeier, S. 190.)
Indes darf man der Furcht vor dem Zusammenwirken der Täufer mit den Türken keinen allzu großen Einfluß auf die Verfolgung der ersteren zuschreiben. Es war nur eine Minorität unter ihnen, die auf die Türken ihre Hoffnung setzte, und die Verfolgungen der Wiedertäufer gingen in Orten und zu Zeiten, wo keine Türkenfurcht bestand, ebenso vor sich wie zur Zeit eines drohenden Türkeneinfalls in den östlichen Ländern der Habsburger.
Die Türkenfurcht genügt nicht, die grausame und wütende Verfolgung der Wiedertäufer zu erklären, die sich gegen sie erhob, sobald sie auf die unteren Klassen Einfluß gewonnen hatten. Diese Verfolgung kann nur erklärt werden als Nachwirkung des Bauernkriegs, der in demselben Maße, in dem er den herrschenden Klassen Furcht eingejagt, ihren Blutdurst und ihre Rachsucht erregt hatte. Seitdem sahen sie in jedem, der mit den unteren Klassen sympathisierte, wie demütig und friedfertig er auch sein mochte, einen Todfeind, der nicht erbittert genug bekämpft, nicht grausam genug bestraft werden konnte.
Protestanten und Katholiken wetteiferten in der Verfolgung der Täufer. »Das meiste Blut floß in katholischen Ländern,« schreibt Cornelius (Münsterischer Aufruhr, II, 57). »In Deutschland übertrafen in harter und blutiger Verfolgung die protestantischen Stände sogar die katholischen,« meint Beck (Die Geschichtsbücher der Wiedertäufer, XVIII). In Wirklichkeit hatte keine der beiden Parteien darin etwas vor der anderen voraus.
1526 kamen nur vereinzelte Verfolgungen von Täufern in Süddeutschland vor. Als aber deren Zahl rasch wuchs, da mehrten sich auch die Verfolgungen. Das Jahr 1527 sah schon zahlreiche Hinrichtungen von Brüdern, allgemein aber wurde die Hetzjagd gegen sie im folgenden Jahre, eingeleitet durch ein kaiserliches Mandat vom 4. Januar, das auf die Wiedertaufe den Tod setzte. Dies Mandat wurde vervollständigt durch den Reichstag von Speier, 1529, denselben, auf dem die evangelischen Stände gegen jeden ihnen angetanen Glaubenszwang protestierten, wovon sie den Namen der Protestanten erhielten.
Im § 6 des Reichstagsabschieds von Speier heißt es: »Nachdem auch kürzlich eine neue Sekte der Wiedertaufe entstanden, so in gemeinen Rechten verboten und vor viel hundert Jahren verdammt worden ist, welche Sekte ... je länger, je schwerlicher einbricht und überhand nimmt, hat ihre Majestät, um solch schwerem Übel und was daraus folgen mag, zuvorzukommen und Fried und Einigkeit im heiligen Reich zu erhalten, eine rechtmäßige Konstitution, Satzung und Ordnung aufgerichtet und allenthalben im heiligen Reich zu verkündigen befohlen, also lautend, daß alle und jede Wiedertäufer und Wiedergetaufte, Männer und Weibspersonen verständigen Alters vom natürlichen Leben zum Tode mit Feuer, Schwert oder dergleichen nach Gelegenheit der Personen ohne vorhergehende Inquisition der geistlichen Richter gerichtet oder gebracht werden.«
Wie wilde Tiere sollten sie getötet werden, sobald man sie gefangen, ohne Richterspruch, ohne gerichtliche Untersuchung!
Und dieser Reichstagsabschied blieb nicht, wie so viele andere, auf dem Papier. Eher taten die einzelnen Stände bei der Ausführung noch etwas hinzu.
»Etliche hat man,« schreibt ein Chronist der Wiedertäufer, »zerreckt und zerstreckt, etliche zu Asche und Pulver verbrannt, etliche an Säulen gebraten, etliche mit glühenden Zangen zerrissen, einige in Häuser versperrt und alles miteinander verbrannt, andere an die Bäume gehenkt, etliche mit dem Schwert hingerichtet, etliche ins Wasser gestoßen. Vielen wurden Knebel ins Maul gelegt, daß sie nicht sollten reden, und sind also zum Tode geführt worden.
»Wie die Schafe und Lämmer führte man sie in Haufen zur Schlacht und Metzg. Die biblischen Bücher hat man an etlichen Orten aufs höchste verboten, an manchen Orten verbrannt. Andere sind in finstern Türmen verhungert oder verfault; gar viele sind, ehe man sie tötete, mit allerlei Plag gepeinigt, etliche, die man zu jung geachtet zum Richten, mit Ruten geschwungen worden. Auch sind viele zu Jahren in Türmen und Gefängnissen gelegen. Die gefangenen Täufer wurden den sonderbarsten Quälereien unterworfen, die oft eines gewissen grimmigen Humors nicht entbehrten. So berichten zum Beispiel die Geschichtsbücher der Täufer von einem Bruder Libich, der auf einer Agitationsreise 1538 im Inntal verhaftet und in den Turm des Wellenbergs bei Innsbruck gelegt wurde. »Nachdem aber dieses sonderlich ein böser Turm ist, voll Ungeheuer der Geister oder des bösen Feindes, wie man wohl weiß, hat der liebe Bruder darinnen viel versucht werden müssen vom bösen Feind ... Er kam zu ihm in Gestalt einer Jungfrau, und wenn er betete, legte er sich ihm etwa dieweil ins Bett, in Weibesgestalt, daß er ihn mit Müh' heraus konnte bringen und davon kugeln.« Konnte der Teufel als Jungfrau »nichts ausrichten, fuhr er oben aus zum Turm mit einem so grausamen Gestank, den er hinter sich ließ, daß der Bruder ohnmächtig möcht worden sein.« Aber die Kerkermeister waren nicht zufrieden damit, den armen Bruder derlei aufgeregten Phantasien zu überlassen: »Über das alles, damit nur alle Versuchung vollendet und keine unterlassen wurde, so haben die Gottlosen und Kinder des Satans eine Schwester, die auch um des Glaubens willen gefangen lag, Urschel (Ursula) Hellriglin, ein schönes, junges Mensch, zu ihm ins Gefängnis gelegt und dem Libich an sein Fuß gehängt und viel Zeit also beieinander gelassen. Was der Teufel und seine Kinder gern gesehen hätten, ist gut zu denken!« Aber es passierte nichts Sündhaftes, so versicherten wenigstens Libich und die Hellriglin. Diese war 1539, siebzehn Jahre alt, verhaftet worden. 1544 wurde sie zur Landesverweisung begnadigt, »um des weiblichen Geschlechts Blödigkeit willen, auch von wegen ihrer Jugend und Fürbitten«. Mit ihr wurde Libich freigelassen und verwiesen, weil er sich »bekehrt« hatte. (Beck, Geschichtsbücher, S. 155 ff.) Vielen wurden Löcher durch die Backen gebrannt und sie hierauf entlassen. Die übrigen, die dem allen entronnen sind, hat man verjagt von einem Land zum andern, von einem Ort zum andern. Gleichwie die Eulen und Nachtraben, die des Tags nicht wandeln dürfen, mußten sie sich oftmals in Felsen und Steinklüften, in wilden Wäldern, in Gruben und Löchern der Erde aufhalten und verkriechen. Man suchte sie mit Hunden und Schergen, man stellte ihnen nach wie den Vögeln in den Lüften – und das ohne alle Schuld, ohne alle Übeltat, Leuten, die niemandem Leid oder Schaden taten, noch zu tun begehrten.« Beck, Geschichtsbücher, S. XIX, XX.
Diese Klage ist die prosaische Wiedergabe eines Liedes aus jener Zeit, das Leonhard Schiemer dichtete, ein Franziskaner, der, nachdem er im Kloster nicht gefunden, was er gesucht, sich den Wiedertäufern zugesellte und, trotzdem er ein studierter Mann war, das Schneiderhandwerk erlernte. Er gehörte der strengeren Richtung der Täufer an. Im November 1527 fiel er in Rattenberg (in Tirol) in die Hände der Behörden, am 14. Januar 1528 wurde er enthauptet. Er hat mit seinem Leben die Wahrheit seines Liedes bezeugt, in dem er sang:
Dein heilig Statt hant sie zerstört,
Dein Altar umgegraben,
Dazu auch deine Knecht ermördt,
Wo sie's ergriffen haben.
Nur wir allein,
Dein Häuflein klein,
Sind wenig überblieben,
Mit Schmach und Schand
Durch alle Land
Verjaget und vertrieben.
Wir sind zerstreut, gleichwie die Schaf,
Die keinen Hirten haben,
Verlassen unser Haus und Hof,
Und sind gleich dem Nachtraben,
Der sich auch oft
Hält in Steinkluft.
In Felsen und in Kluften
Ist unser G'mach.
Man stellt uns nach
Wie Vöglein in der Lufften.
Wir schleichen in den Wäldern um,
Man sucht uns mit den Hunden,
Man führt uns als die Lämmlein stumm
Gefangen und gebunden.
Man zeigt uns an
Vor jedermann,
Als wären wir Aufrührer;
Wir sind geacht,
Wie Schaf zur Schlacht,
Als Ketzer und Verführer.
Viel sind auch in den Banden eng
An ihrem Leib verdorben.
Etliche durch die Marter streng
Umkommen und gestorben.
*
Ohn alle Schuld,
Hie ist Geduld
Der Heiligen auf Erden.
Man hat sie an die Bäum gehenkt.
Erwürget und zerhauen.
Heimlich und öffentlich ertränkt
Viel Weiber und Jungfrauen.
Die haben frei,
Ohn alle Scheu,
Der Wahrheit Zeugnuß geben.
Daß Jesus Christ
Die Wahrheit ist,
Der Weg und auch das Leben.
Noch tobt die Welt und ruhet nicht,
Ist gar unsinnig worden.
Viel Lügen sie auf uns erdicht.
Mit Brennen und mit Morden
Tut sie uns bang.
O Herr, wie lang
Willst du dazu doch schweigen?
Richt' den Hochmut,
Der Heiligen Blut
Laß vor dein Thron aufsteigen.
Wie heftig die erste große Verfolgung wütete, kann man daraus ersehen, daß fast alle hervorragenden Täufer in ihr zugrunde gingen, soweit sie nicht durch einen natürlichen Tod dem Henker entzogen wurden, wie Denck, der zu Ende des Jahres 1527 zu Basel von der Pest hinweggerafft wurde, und der kränkliche Konrad Grebel, der im Sommer 1526 in Graubünden starb.
Auf diese Weise kam Zwingli um die Rache an seinem großen Feind, den er einmal den »Koryphäus der Wiedertäufer« genannt. Dafür gelang es ihm, Grebels Vater, der sich mit seinem Sohne versöhnt hatte, am 30. Oktober 1526 hinrichten zu lassen, unter der Anklage, er habe eine französische Pension angenommen. Der alte Grebel beteuerte bis zuletzt seine Unschuld, und Bullinger selbst fand die Hinrichtung nicht gerechtfertigt. (Vergleiche den Artikel »Grebel« von Meyer v. Knonau in der »Allgemeinen deutschen Biographie«.)
Der erste Märtyrer der Täufer war, wie schon erwähnt, Felix Manz. Ihm folgte am 21. Mai 1527 der gelehrte Michael Sattler, aus Staufen im Breisgau, ein gewesener Mönch, der sich 1524 den Brüdern angeschlossen hatte. Zu Rottenburg am Neckar wurde er gefangen genommen, »mit glühenden Zangen gerissen und danach verbrennt, standhaftig in Gott«. Hans Hut ging in demselben Jahre in Augsburg bei einem Fluchtversuch zugrunde, den er aus dem dortigen Kerker unternahm. 1528 erlitten Brödli und Hubmeier den Märtyrertod, 1529 wurde Langenmantel gerichtet, wie wir gesehen, Blaurock ward zu Klausen in Tirol verbrannt, Hätzer zu Konstanz enthauptet. Rinck geriet in die Gewalt des Landgrafen Philipp von Hessen, der es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte, friedliche Leute ihres Glaubens willen zu töten, zum großen Ärger Luthers, der ihm mit dem sanften Melanchthon vergeblich zuredete, den Reichstagsabschied von 1529 schonungslos zu vollstrecken. Indessen gewannen die Unglücklichen, die in des Hessen Hände gerieten, nicht viel. Der milde Fürst verurteilte sie zu lebenslänglicher Gefangenschaft.
Alle zum Tod Geführten starben standhaft und mutig, selbst Hubmeier, dieser allerdings nicht, ohne vorher eine bedenkliche Schwäche an den Tag gelegt zu haben. Im Sommer 1527 war er in Nikolsburg in Mähren ergriffen und nach Wien geschleppt worden auf Befehl Ferdinands, des Bruders des Kaisers Karl. Seit 1521 war Ferdinand Besitzer der habsburgischen Hausmacht in Deutschland, seit 1526 König von Ungarn und Böhmen. Wie 1525 in Zürich, so suchte Hubmeier auch jetzt sich zu retten durch Widerrufung seiner Irrtümer; selbst in bezug auf die Taufe und das Abendmahl erklärte er, sich einem Konzil unterwerfen zu wollen. Gleichzeitig bot er dem Ketzerverfolger Ferdinand seine guten Dienste an. In einer Eingabe an den König, seiner »Rechenschaft«, vom 3. Januar 1528, pries er Ferdinands allbekannte Milde und bat, »Eure Majestät wolle mir gefangenem und betrübtem Menschen, der da liegt in großer Krankheit, in Kälte und Trübsal, verzeihen und Gnade und Barmherzigkeit mitteilen; denn mit Gottes Hilfe will ich mich dermaßen führen, schicken und halten, daß Eure Königliche Majestät ein Gefallen daran haben soll. Das Volk will ich mit großem Ernst und hohem Fleiß zu Andacht, Gottesfurcht und Gehorsam weisen, wohin ich immer gebracht würde.« Zitiert bei Loserth, Hubmeier, S. 180.
Aber alles Bitten und alle Versprechungen waren vergebens. Hubmeier war als Führer der Waldshuter Opposition ein Rebell gegen das habsburgische Regiment gewesen, und dieses Verbrechen haben die Habsburger nie verziehen.
Als Hubmeier sah, daß sein Schicksal besiegelt sei, ermannte er sich, gestärkt durch sein tapferes Weib Elsbeth, eine Bürgerstochter aus der Reichenau am Bodensee, die er 1524 in Waldshut geheiratet hatte. Sie redete ihm Mut zu, und so starb er denn auch standhaft auf dem Scheiterhaufen (zu Wien, 10. März 1528). Drei Tage später wurde sein braves Weib in der Donau ertränkt.
Eine Schwäche, wie sie Hubmeier an den Tag legte, fand sich nur selten unter den Täufern. Allgemein staunte man über ihre Standhaftigkeit und die Freudigkeit, mit der sie in den Tod gingen. Wie die christlichen Schriftsteller auf das heldenmütige Sterben der Märtyrer des Urchristentums hinweisen, als Beweis für die Heiligkeit und Erhabenheit ihrer Sache, so wiesen auch die Täufer auf ihre Märtyrer hin.
Und wie um die Märtyrer der Urchristen bildete sich auch um die der Täufer ein Legendenkranz, voll von Wundern. Nur eines derselben, das bezeichnend ist, sei hier mitgeteilt. Ein mährisches »Chronikl« berichtet aus dem Jahre 1527, Leonhard Kaiser, »der erstlich ein Pfaff war«, sei in Schärding zum Feuertod verurteilt worden. Als er auf einem Karren zur Richtstatt geführt wurde, »da griff er auf dem Weg mit der Hand herab vom Karren und brach ein Blümlein ab, nahm's und sprach zum Richter, der neben ihm ritt: Da brech' ich ein Blümlein ab; wofern das und ich verbrennen, so sei auch das ein Zeichen, daß mit mir recht ist gehandelt worden. Wo aber ich und das Blümlein nicht verbrennen, sondern das Blümlein in meiner Hand unverbrannt bleibt, so gedenkt, was ihr gehandelt habt! – Danach hat man viele Klafter Holz mit ihm verbrannt, aber er ist nicht verbrannt. Demnach hat man noch einmal soviel Holz genommen, aber man konnte ihn nicht verbrennen, bloß sein Haar verbrannte und die Nägel an den Fingern wurden etwas braun. Das Blümlein hatte er noch so frisch in der Hand, als er es abbrach. Und da man seinen Leib wischte, ging Ruß herab, und er war darunter noch schön weiß.« Man wußte sich nicht anders zu helfen, als den feuerfesten Heiligen zu zerstücken und die Stücke in den Inn zu werfen. Beck, Geschichtsbücher, S. 25, 26.
Ergreifender als diese Phantasiestückchen sind die beglaubigten Berichte über Hinrichtungen von Täufern, wie zum Beispiel jener über die eines sechzehnjährigen Mädchens in Salzburg. Sie konnte auf keine Weise zum Widerruf gebracht werden, doch bat jedermann um ihr Leben, »denn alle fühlten, daß sie rein und unschuldig war wie ein Kind. Der Nachrichter nahm sie auf den Arm, trug sie an die Roßtränke, tauchte sie unter das Wasser, bis sie ertrunken war, dann zog er den entseelten Leib wieder hervor und übergab ihn dem Feuer.« Keller, Die Reformation, S. 446.
Aber aller Heroismus selbst der Zartesten und Wehrlosesten gegenüber den ausgesuchtesten Bestialitäten rührte nicht die Landesväter und ihre geistlichen und weltlichen Bedienten. Was bei den Märtyrern der ersten Christen als göttlich galt, war bei den Wiedertäufern ein Werk des Teufels.
»Woher,« fragt Faber von Heilbronn, »entspringt es, daß die Wiedertäufer also fröhlich und getrost die Pein des Todes leiden? Sie tanzen und springen in das Feuer, sehen das blitzende Schwert mit unerschrockenem Herzen, reden und predigen dem Volk mit lachendem Mund, sie singen Psalmen und andere Lieder, bis ihnen die Seele ausgeht, sterben mit Freuden, als wären sie bei einer fröhlichen Gesellschaft, bleiben stark, getrost und standhaft bis in den Tod.« Alles das ist – ein Werk des höllischen Drachens.
Auch Luther nannte die Standhaftigkeit der Wiedertäufer höllische Verstocktheit, ein Werk des Satans. »Heilige Märtyrer,« sagte er, »wie unser Leonhard Kaiser, sterben mit Demut und großer Sanftmut gegen ihre Feinde; diese (die Wiedertäufer) aber gehen in den Tod, indem sie sich durch den Zorn gegen ihre Feinde in ihrer Hartnäckigkeit bestärken.« Zitiert bei Cornelius, Münsterischer Aufruhr, II, S. 55.
Dem biederen Gottesmann ist da in seiner blinden Wut gegen die Wiedertäufer ein Malheur passiert. Der »heilige Märtyrer«, »unser« Leonhard Kaiser, den er ihnen als Muster vorhielt, war nicht, wie er sich einbildete, ein Lutheraner, sondern der Vorsteher der täuferischen Gemeinde in Schärding gewesen, derselbe, der sich, wie wir bereits oben gesehen, der Legende zufolge, im Feuer nicht wie Fleisch und Knochen, sondern wie echter Meerschaum verhielt.
Alle Standhaftigkeit und aller Heldenmut hatten nur ein Ergebnis: die Zahl der Blutzeugen der Wiedertaufe ins Ungeheure zu vermehren. Bereits um 1530 zählte man ihrer (nach Sebastian Franck) an 2000.
Man sagt gern: Ideen können nicht mit Gewalt unterdrückt werden. Für diesen Ausspruch gibt es zahlreiche Belege, und er klingt sehr tröstlich für alle Verfolgten. Aber so unbedingt, wie er hingestellt wird, ist er nicht richtig. Freilich, eine Idee selbst kann man mit Gewalt nicht töten; aber eine Idee ist auch für sich allein nur ein Schatten ohne Kraft und ohne Wirkung. Welche Kraft ein gesellschaftliches Ideal erlangt – und nur um diese Art von Ideen handelt es sich hier –, das hängt von den Individuen ab, die es erfassen, von ihrer Kraft in der Gesellschaft. Ist es möglich, eine Klasse niederzuschlagen, die ein bestimmtes Ideal hegt, dann schlägt man damit auch dieses nieder.
Das sechzehnte Jahrhundert gehörte dem staatlichen Absolutismus. Auch in den wenigen freien Städten wurde die Macht der Staatsgewalt über die unteren Klassen immer mehr eine unbeschränkte. Die Magistrate, die Stadträte der Reichsstädte wurden seit dem sechzehnten Jahrhundert immer unabhängiger von der Bürgerschaft, gebärdeten sich immer mehr als »Landesherrn«. 1602 stellte der Rat von Hamburg der Bürgerschaft gegenüber die Behauptung auf: »Auch wenn eine Obrigkeit gottlos, tyrannisch und geizig wäre, so gebührte es dennoch den Untertanen nicht, daß sie sich dagegen auflehnten und widersetzten, sondern sie sollten dasselbe vielmehr als eine Strafe des Allmächtigen, welche die Untertanen mit ihrer Sünde verwirkt, erkennen« usw. (Maurer, Städteverfassung, IV., S. 186.) Schärfer konnte ein Fürst jener Zeit auch nicht sein unbeschränktes Gottesgnadentum betonen. Man kann also von einem städtischen Absolutismus wohl ebensogut reden, wie von einem fürstlichen. War der Absolutismus mit der ritterlichen und bäuerlich-kleinbürgerlichen Opposition fertig geworden, so erdrückte er spielend leicht die kommunistischen Regungen einiger Proletarier und machtlosen bürgerlichen Ideologen. Ebenso schnell, wie er gekommen war, verschwand der Anabaptismus in Süddeutschland; die Katastrophe von Münster (1535), auf die wir in einem anderen Zusammenhang zurückkommen, führte zu seiner Hinausfegung aus ganz Deutschland, bis auf wenige kraftlose Reste einiger Geheimbünde, die hie und da noch einige Zeit ein trauriges Dasein fristeten.
Die blutige Verfolgung war eine der Ursachen, und zwar die wichtigste, des raschen Verschwindens der Täufer in Deutschland; aber nicht wenig trug dazu auch der Umstand bei, daß gerade um die Zeit, als die Verfolgung begann, die Täufer außerhalb Deutschlands eine Freistatt fanden, wohin sie nun zahlreich strömten. Diese Freistatt, das Amerika des sechzehnten Jahrhunderts, war Mähren.
Mähren bot für die Entwicklung des Täufertums sehr günstige Bedingungen. Mit Böhmen unter den gleichen Herrschern stehend, hatte die Markgrafschaft dessen Geschicke während und nach den Hussitenkriegen geteilt. Die Kämpfe, die im ersten Jahrzehnt der Reformation Deutschland zerrissen, waren in den Ländern der böhmischen Krone längst ausgekämpft worden. Sie hatten mit einem Kompromiß zwischen dem alten und dem neuen Glauben geendet, der zu der Gewohnheit religiöser Toleranz führte. Und neben Katholiken und Utraquisten war die Sekte der böhmischen Brüder entstanden, ohne die geringste Gefährdung von Staat und Gesellschaft und zum größten ökonomischen Nutzen der Herren, in deren Gebieten sie wohnten.
Um geduldet zu werden, brauchte eine neue Sekte in Böhmen und Mähren nicht den Schutz der Staatsgewalt zu gewinnen. Der Landesfürst war dort seit den Hussitenkriegen machtlos. Der hohe Adel erfreute sich fast völliger Unabhängigkeit. Hatte eine Sekte die Gunst eines der Barone gewonnen, dann durfte sie sich ruhig auf seinem Gebiete ansiedeln, mochte der Landesfürst darüber denken wie er wollte. Das änderte sich nicht, als Böhmen und Mähren 1526 den katholischen Habsburgern zufielen.
Die Wiedertäufer standen den böhmischen Brüdern sehr nahe, die in den ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts noch eine angesehene Stellung in Böhmen und Mähren einnahmen. Sebastian Franck berichtet darüber in seiner schon mehrfach zitierten Chronik:
»Die Picarder, von Valdo also verleitet, sind in Böhmen ein sonder christlich Volk und Sekte der Christen ... Sie leiden kein Bettler unter ihnen, helfen und raten einander brüderlich. Doch sind sie in zween oder als Etliche wollen, in drei Haufen geteilt, in den großen, kleinen und gar kleinen, die halten es aller Ding mit den Wiedertäufern, halten alle Dinge gemein, taufen kein Kind« usw. (Fol. 138.)
Dieselben Magnaten in Böhmen und Mähren, die Anhänger und Beschützer der böhmischen Brüder waren, so die Herren von Kaunitz, von Lichtenstein, Graf v. Zierotin, nahmen sich auch der verfolgten Wiedertäufer an (vergleiche L. Keller, Die Anfänge der Reformation, S. 56).
Trotz dieser günstigen Verhältnisse haben die Wiedertäufer nie festen Fuß in Böhmen gefaßt. Das erklärt sich wohl durch die nationalen Verhältnisse. Die Wiedertäufer waren deutsche Emigranten. Im sechzehnten Jahrhundert war aber der im vorhergehenden Jahrhundert so hoch gediehene nationale Gegensatz in Böhmen noch sehr stark. Die Deutschen konnten sich da in der tschechischen Bevölkerung nicht recht wohl fühlen. In Mähren dagegen waren die nationalen Gegensätze nie so schroff gewesen, und Deutsche konnten dort leichter eine Heimat finden.
Schon im Herbst 1526 zog Hubmeier von Augsburg nach Mähren »mit einer Menge Volkes«, und fand gastfreie Aufnahme in Nikolsburg, im Gebiete des Herrn Leonhard von Lichtenstein, der selbst die Taufe empfing. Eine Gemeinde wurde dort organisiert und – das ist bezeichnend – auch sofort eine Druckerei eingerichtet, die Hubmeiers Schriften druckte. Drucker war Simprecht Sorg, genannt Froschauer, aus Zürich.
Der Ruf des neuen »Emaus« verbreitete sich bald allenthalben unter den Brüdern, und gar mancher entzog sich der Verfolgung durch den Auszug in das gelobte Land. Die Freiheit und das Gedeihen förderten aber die schon vorhandene Spaltung. Die Gegensätze zwischen der strengeren und der milderen Richtung, die bereits in Deutschland aufgetaucht, aber durch die Verfolgung in den Hintergrund gedrängt worden waren, kamen in Mähren zur vollen Entfaltung. Daß gleichzeitig auch unter den böhmischen Brüdern diese Gegensätze noch bestanden, hat deren Verschärfung unter den Wiedertäufern, sobald sie mit jenen in engere Berührung traten, wohl noch begünstigt. Die Führer der beiden Richtungen waren Hubmeier und Hut, der bald nach diesem in Mähren eintraf.
Der drohende Türkenkrieg machte den Zwiespalt akut. Eine Kriegssteuer wurde zu der Bekämpfung der Ungläubigen ausgeschrieben. Sollten die Täufer sie zahlen? Sie verwarfen den Krieg; und die Macht der Kaiserlichen gegenüber den Türken zu stärken, paßte schon gar nicht in die Pläne Huts, der von diesen eine günstige Wendung zugunsten der Täufer erwartete. Eine Reihe von Disputationen fanden darüber in und bei Nikolsburg statt.
»Nachdem ein Geschrei ausging,« berichten die Geschichtsbücher der Wiedertäufer, »im 1527. Jahr, daß der Türk wolle vor Wien in Österreich ziehn, versammelten sich die Brüder und Ältesten der Gemeinde zu Pergen (bei Nikolsburg) im Pfarrhof ... ein Gespräch zu halten von den obgemeldeten Artikeln, haben aber nicht einhellig können miteinander stimmen.« Und an anderem Ort: »Hans Hut und andere kamen alle zusammen zu Nikolsburg im Schloß (des Lichtenstein), ein Gespräch zu halten von wegen des Schwerts, ob man das brauchen soll oder tragen oder nicht; auch ob man Steuer zum Krieg geben soll und anderer Verordnung halber, darin sie aber nicht übereinkommen konnten. Sind also unvereinigt voneinander geschieden. Weil aber Hans Hut nicht mit dem Herrn Leonhard von Lichtenstein für das Schwert hat stimmen können oder wollen, ist er wider seinen Willen im Schloß auf Nikolsburg behalten worden. Einer aber, der dem Hut wohlwollte und für ihn Sorge trug, hat ihn bei Nacht in einem Hasengarn durch ein Fenster die Mauer herabgelassen. Des andern Tags hat sich ein groß Gemurmel und Beschweren im Volk der Stadt wider den Herrn Leonhard und seinen Anhang erhoben, weil sie Hut mit Gewalt im Schloß behalten haben. Dadurch ist der Balthasar Hubmeier bewogen worden, öffentlich im Spital mit seinen Gehilfen davon zu reden, weil sie vormals nicht miteinander haben stimmen können des Schwerts und der Steuer halber.« Beck, Die Geschichtsbücher usw., S. 49 bis 51.
Es scheint also damals bei den friedfertigen Brüdern ziemlich heiß hergegangen zu sein.
Hans Hut blieb nicht in Mähren. Im Herbst 1527 finden wir ihn wieder in Augsburg, wo er ergriffen wurde und, wie schon berichtet, seinen Tod fand.
Hubmeier aber setzte seinen Feldzug gegen die strengere Richtung fort, die den Krieg der Staaten, also den Gebrauch des Schwertes unter Führung der Obrigkeit, als unchristlich unter allen Umständen verwarf. Seine Schrift »Vom Schwert« ist ausschließlich der Polemik gegen die Brüder gewidmet. »Von dem Schwert. Ein Christennliche erklerung der Schrifften, so wider die Oberkait (das ist, das die Christen nit sollent im Gwalt sitzen, noch das schwert fieren) von etlichen Brüdern gar ernstlich angezogen verdendt. D. Balthasar Huebmör von Friedberg, 1527.« Einen ausführlichen Auszug daraus gibt Loserth in seinem »Hubmeier«, S. 166 ff. Einige charakteristische Stellen seien daraus (nach dem Loserthschen Auszug) wiedergegeben. Zunächst weist Hubmeier die Brüder darauf hin, daß sie mit den Verhältnissen rechnen müßten, in der wirklichen, nicht in einer erträumten Welt leben sollten. Er beginnt mit dem Wort Christi: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« »Aus dieser Stelle schließen etliche Brüder, daß ein Christ das Schwert nicht führen darf. Würden solche Leute die Augen ordentlich auftun, sie würden anders reden, nämlich daß unser Reich von dieser Welt nicht sein sollte. Aber leider, Gott sei's geklagt, ist's von dieser Welt ... wir sind im Reiche der Welt, der Sünde, des Todes und der Hölle. Aber Vater, hilf du uns aus dem Reich, wir stecken drin bis über die Ohren und können seiner nicht ledig werden.«
In gleicher Weise behandelt Hubmeier noch fünfzehn Stellen aus der Bibel, welche die strengere Richtung für sich anführt. Natürlich ist es ihm leicht, im Neuen Testament Stellen zu finden, welche die Notwendigkeit der Obrigkeit dartun. Ist aber die Obrigkeit notwendig, so muß ihr ein guter Christ auch beistehen. »Wenn nun die Obrigkeit die Bösen strafen will, wie sie bei dem Heile ihrer Seele zu tun schuldig ist, und allein nicht imstande ist, die Bösen zu bewältigen und infolgedessen die Untertanen durch Glocken, Büchsensturm, Kreuzschüsse, Briefe und Aufgebote auffordert, so sind die Untertanen gleichfalls bei ihrem Seelenheile schuldig, der Obrigkeit beizustehen und zu helfen, damit sie die Bösen nach dem Willen Gottes abtun und ausrotten kann.« Allerdings soll der Gehorsam kein blinder sein. »Wenn aber eine Obrigkeit kindisch oder töricht wäre, ja etwa garnicht geschickt zu regieren, kann man ihr dann mit Fug abkommen und eine andere nehmen, so ist es gut ... »Ja ja, versuch's,« sagt eine Randnote in dem von Loserth benutzten Exemplar im Mährischen Landesarchiv. so es aber füglich und mit Frieden, auch ohne großen Schaden und Empörung nicht geschehen kann, so dulde man sie.«
Verteidigt er aber die Kriegssteuer und die Unterstützung der Obrigkeit durch die Untertanen, so auch das Recht der Christen, selbst Obrigkeiten zu werden und das Schwert zu führen.
Gleichzeitig veröffentlichte Hubmeier Streitschriften gegen Zwingli und dessen Leute. Eine derselben zeigt, daß auch sein Kommunismus ein sehr milder war. In seinem »Gespräch auf Meister Ulrich Zwinglis Taufbüchlein von der Kindertaufe« »Ein Gesprech Balthasar Huebmörs von Friedberg, Doktors, auff Mayster Ulrich Zwinglens zu Zürich Taufbuechlein von dem Kindertauf. Die Wahrheit ist untödtlich. Nikolsburg 1526.« Ausführlich mitgeteilt bei Loserth, a. a. O., S. 137 ff. erwidert er auf den Vorwurf der »Gemeinschaft«, des Kommunismus: »Ich habe immer und allerweg von der Gemeinschaft der Güter also geredet, daß ein Mensch mit dem andern Mitleid haben, die Hungrigen speisen, die Durstigen tränken, die Nackten kleiden soll, denn wir sind ja nicht Herrn unserer Güter, sondern nur Schaffner oder Austeiler. Es ist gewißlich keiner, der da sagt, daß man dem andern das Seine nehmen soll und es gemein machen, sondern eher den Rock zum Mantel lassen.« Nicht sehr erbaulich ist es, daß Hubmeier, als er verhaftet worden, sich in seiner bereits erwähnten »Rechenschaft« der Gnade des Königs Ferdinand unter anderem dadurch zu empfehlen suchte, daß er seinen scharfen Gegensatz gegen Hans Hut hervorhob. Er schreibt da »vom jüngsten Tag«, der in der Sprache jener Zeit nichts anderes bedeutete als die Revolution; »Wiewohl uns Christus viele Zeichen gegeben hat, um zu erkennen, wie nahe der Tag seiner Ankunft uns vor der Tür steht, so weiß doch diesen Tag niemand wie Gott allein. Ich bin auch deshalb fast hart wider Johannes Hut und seine Anhänger gewesen, weil diese eine bestimmte Zeit des jüngsten Tages, nämlich die nächsten Pfingsten, angenommen, dem Volke gepredigt und dieses hierdurch bewogen haben, Haus und Gut zu verkaufen, Weib und Kind zu verlassen und die Einfältigen bewogen haben, ihre Arbeit zu verlassen und ihm nachzulaufen. Ein Irrsal, welches aus dem großen Unverstand der Schrift entsprungen ist.« Aus den vierthalb Jahren bei Daniel habe Hut vier gemeine Jahre gemacht, was ein großer Fehler sei. Nach Hubmeiers Berechnungen sei ein Tag des Danielischen Jahres einem gemeinen Jahr gleich, daher machen diese vierthalb Jahre 1277 Jahre aus, die an der Rechnung Huts fehlen. »Was ich ihm öffentlich und ernstlich unter die Nasen gestoßen und ihm sträflich verwiesen, daß er das arme Volk also aufrede und verführe, wie ich mit den Schlußreden bezeugen kann, die ich wider ihn gehalten.« Ein Revolutionär, der die Revolution erst nach 1277 Jahren erwartete, war allerdings höchst ungefährlich.
Auch an einer anderen Stelle der »Rechenschaft« zieht Hubmeier gegen Hut los: »Mit der Taufe und dem Sakrament (des Abendmahls), wie die beiden Artikel Johann Hut mit seinen Anhängern gelehrt, bin ich fast übel daran, will auch mit Lehren und Schreiben darwider sein, soweit mir Gott mein Leben lang Kraft gibt ... Die Taufe, die ich gelehrt und die Taufe Huts sind so fern voneinander als Himmel und Hölle. Auch mit dem Nachtmahl hoffe ich zu Gott, werde ich seine Bürde nicht tragen.«
Nach dem Tode der beiden großen Gegner verstummte der Streit zwischen den beiden Richtungen keineswegs, wenn er auch zeitweilig zurücktrat, als sich die Verfolgung der Täufer (vorübergehend) bis nach Mähren erstreckte und gleichzeitig der Türkeneinfall die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Aus Deutschland zogen damals viele Brüder nach Mähren. Ein »Volk« ließ sich zu Rossitz nieder, unter Gabriel Ascherham, nach dem es die Gabrieler hieß. Als es dort zu eng wurde, zog ein Teil, meist Pfälzer, unter Führung Philipp Pleners – daher die Philipper genannt – nach Auspitz. Beide »Völker« gehörten zur milderen Richtung, standen im Gegensatz zur strengeren, waren aber auch untereinander zerfallen. Unter den Nikolsburgern ging der Streit zwischen den beiden Richtungen fort, von denen die strengere jetzt den Beinamen der » Gemeinschaftler« oder » Stäbler«, die andere den Namen der » Schwertler« erhielt.
Auf Seite der letzteren stand Leonhard von Lichtenstein. Als ihm der Zwist zu arg wurde, zwang er die strengen Kommunisten, 200 Erwachsene, auszuwandern (1528). Das erste, was diese taten, als sie der alten Gemeinde den Rücken gekehrt, war die Bekundung ihres Kommunismus: »Zu der Zeit haben diese Männer,« ihre Führer, »einen Mantel vor dem Volk niedergebreitet, und jedermann hat sein Vermögen dargelegt, mit willigem Gemüt, ungezwungen und ungedrungen, zur Unterhaltung der Dürftigen, nach der Lehre der Propheten und Apostel.« Beck, Geschichtsbücher, S. 75.
Sie zogen nach Austerlitz, das auf dem Gebiet der Herren von Kaunitz lag, die sie gern aufnahmen. Schon 1511 hatten sich dort »Pikarden« niedergelassen. Bald folgten den Einwandernden zahlreiche Genossen, Austerlitz wurde der Hauptort der Täufer in Mähren.
Aber auch unter den Austerlitzern sollte es zu Streitigkeiten kommen. Ein anschauliches Bild davon gibt uns der Brief, den der uns schon bekannte Wilhelm Reublin von Auspitz aus an seinen Freund, den obenerwähnten Tiroler Bergrichter Pilgram Marbeck, am 26. Januar 1531 schrieb, in dem er darstellt, wie und warum er mit seinen Anhängern aus Austerlitz vertrieben worden sei (am 8. Januar 1531). Unter anderem wirft er den Zurückbleibenden vor, daß sie »die Gemeinschaft der zeitlichen und leiblichen Güter fälschlich und mit Trug gehandelt ... Sie haben das Ansehen gehalten, den Reichen eigene Häuslein vergönnt, so daß der Franz und sein Weib ein Leben führen wie die Edlen. Beim Essen haben die gemeinen Brüder mit Erbsen und Kraut vorlieb genommen, aber die Ältesten und ihre Weiber bekamen Braten, Fisch, Vögel und guten Wein; manche ihrer Weiber habe ich nie an den gemeinen Tischen gesehen. Ein anderer durfte nicht Schuh noch Hemd haben, aber sie selbst hatten gute Hosen, Röcke und Pelze im Überfluß.« Der Brief ist im Wortlaut abgedruckt als Beilage V zu Cornelius, Münsterischer Aufruhr, II, S. 253 bis 259.
Reublin und seine Anhänger zogen nach Auspitz und bildeten dort eine eigene Gemeinde, aber bald wurde auch Reublin als »lügenhafter, untreuer, tückischer Ananias« erfunden und ausgeschlossen. Er hatte 40 Gulden, die er aus Deutschland mitgebracht, für sich behalten, statt sie der Gemeinde abzuliefern.
Um 1531 war wohl der Höhepunkt der Verwirrung im täuferischen Lager in Mähren. Franck, der damals seine Chronik herausgab, kennzeichnete den Zustand der mährischen »Brüder« sehr richtig an der bereits zitierten Stelle (II. Bd. S. 145), wo er darauf hinweist, es sei des Bannens in ihren Gemeinden gar viel, und wo er seinen Zweifel darüber ausdrückt, ob in Austerlitz »recht ausgeteilt« werde.
»Von einer fleischlichen Freiheit in die andere«, berichten die Geschichtsbücher der mährischen Wiedertäufer von jener Zeit, sind die Brüder gewachsen, »damit der Welt ganz gleich worden, daß sie niemand mehr von den Weltmenschen konnte unterscheiden noch kennen«. Beck, Geschichtsbücher, S. 99.
Aber was als ein Auflösungsprozeß erschien, war in Wirklichkeit bloß ein Gärungsprozeß, der ein geklärtes und dauerhaftes Produkt lieferte.
Das Ergebnis aller dieser Kämpfe war eine kommunistische Organisation, die sich fast ein Jahrhundert lang bewährte und die nur der Gewalt erlag. Das Hauptverdienst der definitiven Organisierung der Täufer fällt den Tiroler Emigranten zu, die seit 1529 zu Hunderten nach Mähren zogen und der dortigen Bewegung ihren Stempel aufdrückten. Unter ihren Führern ragte besonders hervor der Hutmacher Jakob, nach seinem Gewerbe Huter genannt (häufig mit Hans Hut verwechselt). Er beeinflußte so sehr die Neuorganisation, daß man sie nach ihm benannte. In Mähren hießen die Wiedertäufer fortan die Huterischen Brüder. Inwieweit das Genie Huters an der Neuorganisation beteiligt, inwieweit er bloß Vollstrecker des Willens der Masse war, die hinter ihm stand und ihm ihre Kräfte lieh, ist heute schwer festzustellen.
Im Herbst 1529 kamen Jakob Huter und Sigmund Schützinger mit mehreren Genossen aus Tirol nach Austerlitz und schlossen sich der dortigen Gemeinde an. Sie erkannten, daß in Mähren gut wohnen sei. Jakob kehrte nach Tirol zurück, um »ein Völklein nach dem andern« nach Mähren zu senden. Diese Neuankömmlinge brachten Enthusiasmus, Opfermut und Disziplin mit sich und bildeten den Kern der kommunistischen Gemeinden, der bald auch die anderen Elemente derselben zu friedlichem und stetigem Zusammenleben drängte.
Im August 1533 kam Huter selbst wieder mit zahlreichen Anhängern, denn in Tirol »hatte die Tyrannei einen so hohen Grad erreicht«, wie die Brüder erklärten, die im Juli dieses Jahres im Gufidauner Bezirk (Tirol) zu einem Kongreß zusammengetreten waren, »daß für die Heiligen keines Bleibens mehr war«. Und nun begann die eigentliche Reorganisationsarbeit. Sie muß höchst energisch und zielbewußt betrieben worden sein, denn die endgültigen Grundzüge der täuferischen Gemeinschaft standen bereits fest, als die Erhebung der Täufer zu Münster (1534), die allenthalben zu der schärfsten Verfolgung der Anabaptisten anspornte, vorübergehend auch einen Teil der mährischen Adeligen erschreckte, so daß sie den Täufern ihren Schutz entzogen. Die erste große Verfolgung derselben in Mähren begann. Die Täufergemeinden mußten sich auflösen, ihre Mitglieder wurden ausgewiesen. Wir erfahren bei dieser Gelegenheit, wie zahlreich sie damals waren. Man schätzte die Zahl der mährischen Täufer auf 3000 bis 4000.
Auch Huter mußte flüchten. Der Protest gegen die Verfolgung der Brüder, den er am 1. Mai 1535 an den Landeshauptmann von Mähren schickte, zeugt von ausnehmender Kühnheit des Mannes. »Ach und Wehe!« ruft er unter anderem, »und abermals Wehe in Ewigkeit euch mährischen Herren, daß ihr dem grausamen Tyrannen und Feind der göttlichen Wahrheit, Ferdinand, habt zugesagt und bewilligt, die Frommen und Gottesfürchtigen zu vertreiben aus euren Landen, und fürchtet den sterblichen unnützen Menschen mehr, denn den allmächtigen Gott und Herrn.« Der Protest ist abgedruckt als 17. Beilage bei Loserth, Anabaptismus in Tirol bis zum Tode Huters, S. 171 bis 175.
Der Protest hatte nur eine Wirkung: die Nachstellung nach Huter zu verschärfen. »Und die Obrigkeit hat dem Bruder Jakob ernstlich nachgestellt und sich oft hören lassen, wenn sie nur den Jakob Huter hätten, als wollten sie damit sagen, es würde danach alles in das alte Stillschweigen kommen.« Beck, Geschichtsbücher, S. 117.
Huter ging nach Tirol zurück, war aber dort nicht sicherer als in Mähren. Am letzten November 1535 wurde er in Klausen gefangen genommen. Von seiner Behandlung erzählen die Brüder: »Ließen ihn in eiskaltes Wasser setzen und nachdem in eine heiße Stuben führen und mit Ruten schlagen. Auch haben's ihm seinen Leib verwundet, Branntwein in die Wunden gossen und an ihm angezündt und brennen lassen usw.« Er wurde verbrannt, am frühen Morgen des 3. März 1536, in aller Stille, denn man fürchtete das Volk.
Der Führer war gefallen, aber die Gemeinde besaß innere Kraft genug, diesen Schlag und noch andere zu überwinden. Schon 1536 konnten sich die Täufer in Mähren wieder sammeln. Die Herren, auf deren Gütern sie gesessen waren, hatten während der Verfolgung die ökonomische Bedeutung dieser fleißigen und geschickten Arbeiter erkannt. Sie beriefen sie zurück, aus allen Schlupfwinkeln kamen sie hervor, und bald waren nicht nur die alten Schäden ausgebessert, sondern man konnte sogar an die Gründung neuer Gemeinden gehen.
Die Verfolgung schädigte die Täufer nicht nur nicht, sie scheint sie im Gegenteil gekräftigt zu haben, indem sie alle zweifelhaften Elemente von ihnen abriß. Die Einigkeit war seit 1536 viel größer als vordem, und sie machte von da an rasche Fortschritte. Alle anderen Abzweigungen wurden schließlich von der Huterischen Richtung aufgesogen.
Die Grundlage der nunmehrigen Organisation der mährischen Täufer war der strengste Kommunismus. Es galt als Sünde, selbst geringfügige Dinge als Eigentum zu besitzen. »Hans Schmidt, zum Tode verurteilt, schickt seiner Magdalena seinen Ohrlöffel zum Andenken, in der Voraussetzung, daß die Brüder nichts dawider haben. Derselbe Hans Schmidt stirbt für die Lehre von der Gemeinschaft. Sie ist ihm der höchste Schatz, das Schönste auf Erden, dessen beraubt zu sein das größte Unglück ist ...
»Wer sich den Taufgesinnten anschloß, hatte sich seines ganzen Besitzes zu entäußern und ihn den verordneten Vorstehern zu übergeben. Der Gemeinde wandten sich nun allerdings vornehmlich arme Leute zu, Arbeiter, Handwerker, aber wir erfahren aus den Tiroler Akten, daß, ganz abgesehen von vereinzelten adeligen Personen, sich auch recht wohlhabende Bauern der neuen Lehre zuwandten.« Loserth, Der Kommunismus usw., S. 102, 108.
Was man der Gemeinde gab, gehörte ihr, war nicht etwa nur eine Aktieneinlage. Selbst wenn ein Mitglied wieder austrat oder ausgeschlossen wurde, erhielt es das Eingebrachte nicht zurück.
Auch in Beziehung auf Staat und Krieg blieb der strengere Standpunkt Sieger. In allen billigen Sachen sollte man sich der Obrigkeit fügen, aber Gott mehr gehorchen als den Menschen, das heißt die Täufer behielten sich selbst die Entscheidung darüber vor, in welchen Sachen sie gehorchen wollten.
Die Teilnahme an der Staatsgewalt blieb ebenso verpönt wie der Kriegsdienst oder auch nur das Zahlen einer Kriegssteuer.
»Wo man etwas, das von Gott nicht geordnet, bei uns suchen wollte, als Steuer in Krieg oder Henkergeld oder andere Sachen, die einem Christen nicht gebühren und in der Schrift keinen Grund haben, die mögen wir keineswegs bewilligen,« erklärten die Täufer 1545 in einer Denkschrift an den mährischen Landtag.
Bei den Täufern war also die Entwicklung eine andere als bei den böhmischen Brüdern. Bei diesen ging aus dem Kampfe der beiden Richtungen die gemäßigte, bei jenen die strengere siegreich hervor.
Wir suchen den Grund davon in der Verschiedenheit der Verhältnisse, unter denen jede der beiden Sekten sich konsolidierte.
Die böhmische Brüderunität wirkte innerhalb ihrer Nation. Sobald ihr Gemeinwesen anfing zu gedeihen und sich auszubreiten, erstand in den Augen der Brüder die Möglichkeit und der Wunsch, die ganze Nation für sich zu gewinnen. Jeder Versuch einer praktischen Tätigkeit in dieser Richtung mußte aber innerhalb der damals aufstrebenden Warenproduktion mit ihren Begleiterscheinungen zu einer Schwächung der kommunistischen Neigungen und der Abstinenzpolitik führen.
Die Täufer in Mähren waren und blieben Deutsche inmitten einer tschechischen Bevölkerung. Sie fühlten sich als Fremde innerhalb dieser, und es kostete sie keine Überwindung, eine kleine Sekte zu bleiben, das Völkchen der »Auserwählten« und »Heiligen« inmitten der »Heiden«. Sie gewannen nur wenige Berührungspunkte mit ihrer Umgebung und fühlten sich durch diese nicht angezogen, sondern vielmehr zusammengedrängt und aufeinander angewiesen.
Es ist eine bekannte Erscheinung, daß, selbst ohne kommunistische Organisation, Menschen gleichen Stammes oder gleicher Sprache inmitten einer fremden Bevölkerung sich solidarischer fühlen als in ihrer Heimat.
Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Bei den böhmischen Brüdern geht das Vordringen der gemäßigten Richtung Hand in Hand mit dem Eindringen der »Intelligenz«, der Gelehrten, eines das andere bedingend. Die Gelehrten innerhalb der Unität bildeten die entschiedensten Vertreter der gemäßigten Richtung, sei es, weil ihr Blick ein weiterer war, sei es, weil sie die Abschließung der Sekte von der Gesellschaft am härtesten empfanden.
Auch bei den Wiedertäufern sind die Gelehrten in der Mehrzahl die Träger der milderen Anschauungen. Aber die erste große Verfolgung in Deutschland, die 1527 beginnt und bis in den Anfang der dreißiger Jahre währt, rafft sie fast alle hinweg, und sie finden keine Nachfolger. Von Gelehrten ist seitdem nichts mehr bei den Täufern zu merken, so ziemlich alle Leute von Bedeutung unter ihnen sind von da an einfache Handwerker. Der Gelehrtenhaß, zu dem die meisten kommunistischen Sekten des Mittelalters und der Reformationszeit neigen, kann sich nun ungehindert bei ihnen entwickeln.
»Schon den Zeitgenossen,« sagt Loserth, »ist die tiefe Mißachtung der Wiedertäufer gegen alles gelehrte Wesen, die hohen Schulen und die einzelnen Gelehrten aufgefallen. ›Sind denn diese Wiedertäufer,‹ ruft Fischer aus, Vier und fünfzig Erhebliche Ursachen, Warumb die Wiedertauffer nicht sein im Land zu leiden. Gestellt durch Christophorum Andream Fischer, d. Pfarrherrn zu Veldsperg, S. 64, 65. Ingolstadt 1607. ›nicht meistenteils Hauer (Winzer), Bauern, Handwerker, gar grobe fleischliche, unwissende, ungelehrte Leute, vom gemeinen Pöbel zusammengerottet? Verachten sie nicht alle freien Künste, wie auch die Heilige Schrift da, wo sie ihnen nicht taugt? Schlagen sie nicht alle hohen Schulen in den Wind? Vernichten sie nicht die gelehrten Leut'? Verwerfen sie nicht die Historien?‹ Es ist viel Wahres an dem, was Fischer behauptet. In zahlreichen gerichtlichen Verhören und Sendbriefen an die Gemeinde in Mähren sprachen sie ihre Verachtung gelehrten Wesens unbedenklich aus, ja selbst ihre gelehrten Richter und die zu ihrer Bekehrung abgesandten Geistlichen verschiedener Konfessionen behandeln sie aus dem Grunde ziemlich geringschätzig.« Loserth, Kommunismus der Wiedertäufer, S. 144.
Daß sich seit der ersten Verfolgung keine gebildeten Ideologen mehr den Täufern anschlossen, liegt wohl zum großen Teil an den Verhältnissen, welche diese Verfolgung schufen. Von 1527 an war jeder in der bürgerlichen Gesellschaft geächtet, der sich zu den Täufern bekannte. Konnte er sich nicht dazu entschließen, Bauer mit den Bauern, Handwerker mit den Handwerkern zu werden und sich selbst an die Grenzen der zivilisierten Welt zu verbannen – die Türken drangen damals bis nach Mähren vor –, dann tat er besser, seine Überzeugungen, auch wenn sie noch so täuferisch waren, in seinem Busen zu verschließen.
Und die Gelehrten mit täuferischen oder proletarischen Sympathien mußten seit 1525 sehr selten werden. Denn in diesem Jahre wurde mit der bürgerlichen Freiheit auch die Freiheit der Wissenschaft in Deutschland erschlagen. Die Wissenschaft wurde ebenso wie die Kirche eine Magd des Staates. Die Professoren wurden fürstliche Bediente wie die Pastoren. Die Kühnheit und Selbständigkeit, welche die deutsche Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten vor 1625 entwickelt hatte, waren nun wie weggeblasen. Wo hätten da Gelehrte mit revolutionären Ansichten herkommen sollen?
Neben diesen Umständen kommt noch ein Moment in Betracht, das den Sieg der strengeren Richtung unter den Täufern erklärt.
Dieselbe Verfolgung, welche die Gelehrten in der täuferischen Bewegung ausmerzte, trieb die große Masse der tirolischen Brüder nach Mähren, unter denen so viele Bergleute waren, die durch die Schule kapitalistischer Ausbeutung gegangen waren und im Großbetrieb Disziplin und planmäßiges Zusammenwirken gelernt hatten. Daneben kamen Weber, unter denen der kommunistische Enthusiasmus stets besonders stark gewesen war.
Dem Eindringen dieser Elemente schreiben wir es vornehmlich zu, daß der strenge Kommunismus in den mährischen Gemeinden die Oberhand gewann.
Dessen Grundlage war, wie die aller bisher betrachteten Arten des Kommunismus, die Gemeinsamkeit des Konsumierens, das Gemeineigentum an den Konsumtionsmitteln. Damit war notwendig die Aufhebung der Einzelfamilie verbunden. Zur Aufhebung der Einzelehe kam es allerdings bei den mährischen Täufern nicht. Die eine Form dieser Aufhebung, das Zölibat, war ihnen verboten durch ihren Gegensatz zur päpstlichen Kirche; es hätte sie auf eine Stufe mit den Mönchen gebracht, den Bestgehaßten unter den Verteidigern des Papsttums, den Vorkämpfern der schlimmsten Arten damaliger Ausbeutung und Korruption. Noch mehr als das Zölibat widersprach aber der freie Geschlechtsverkehr den Anschauungen und Bedürfnissen des Kleinbürgertums und Kleinbauerntums, in deren Ideenkreis sich auch das Proletariat jener Zeit bewegte.
Größere Freiheit der Liebe oder der Ehe war eine Forderung, die den revolutionären oberen Klassen, den Fürsten, den Kaufleuten, den humanistischen Gelehrten des sechzehnten Jahrhunderts näher lag als den Elementen, aus denen sich die Täufer rekrutierten. Bei den aufstrebenden oberen Klassen konnte man Lebensfreudigkeit finden, das Bewußtsein der eigenen Persönlichkeit, zu deren kraftvoller Entwicklung und Betätigung alle Bedingungen gegeben waren, »Individualismus« und Haß gegen jederlei Zwang. Die Kommunisten aus den mißhandelten und niedergetretenen unteren Klassen konnten sich in den Kämpfen ihrer Zeit nur dadurch einigermaßen behaupten, daß sie ihre Persönlichkeit aufgehen ließen in einer großen Gemeinschaft. Für diese Elemente mit ihrer düsteren Asketik war die geschlechtliche wie jede andere Lust etwas, das überhaupt keine Beachtung verdiente, und das Geltendmachen der Individualität dabei etwas Sündhaftes, um so mehr Verwerfliches, je auffallender es ihnen bei den oberen Klassen mit Üppigkeit und Übermut verbunden erschien. Die moderne individuelle Geschlechtsliebe war damals erst in ihren Anfängen, und die Vorbedingungen dazu fanden sich mehr in manchen der oberen Klassen als in den unteren.
So waren es denn in der Reformation gerade die Fürstendiener, die auf leichtere Löslichkeit der Ehe drängten; Luther und Melanchthon haben sogar die Vielweiberei für erlaubt gehalten! Und Luther erklärte selbst das außereheliche Geschlechtsleben für verdienstlicher als die Keuschheit: »Alle Nonnen und Mönche, die ohne Glauben sind und sich ihrer Keuschheit und ihres Ordens trösten, sind nicht wert, daß sie ein getauftes Kind wiegen oder ihm einen Brei machen sollen, wenn's gleich ein Hurenkind wäre. Ursache: Denn ihr Orden und ihr Leben hat nicht Gottes Wort für sich; sie mögen sich auch nicht rühmen, daß Gott gefalle, was sie tun, wie ein Weib tun kann, ob's gleich ein unehelich Kind trägt.« Zitiert bei Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, II, S. 278.
Bei den Kommunisten jener Zeit herrschte dagegen mit wenigen Ausnahmen die größte Strenge in Ehesachen. Der Ehebruch war ein schweres Verbrechen und die Ehe galt ihnen als unlöslich. »Was Gott zusammengefügt, soll der Mensch nicht scheiden,« sagten die Täufer. Im Falle eines Ehebruchs wurde nicht bloß der schuldige Teil mit zeitweiliger Ausschließung bestraft, sondern auch der schuldlose Gatte bekam sein Teil. Er durfte sich nicht mehr mit dem schuldigen Teil einlassen, wenigstens so lange nicht, als dieser nicht völlig entsühnt war. Eine Verfehlung dagegen zog unnachsichtlich die Ausschließung nach sich. So heißt es zum Beispiel in den »Geschichtsbüchern« zum Jahr 1530 von Jörg Zaunring, dem Nachfolger Wilhelm Reublins in der Vorsteherschaft der Auspitzer Gemeinde: »Als nämlich einer, mit Namen Thomas Lindl, mit des Jörg Zaunring Weib die Ehe gebrochen hatte, so haben sie (wohl die Ältesten) diese zwei nur heimlich in Unfrieden gestellt, und der Jörg hat sich während der Zeit der Strafe seines Weibes ihrer entäußert und enthalten. Aber sobald sie den zweien den Frieden und die Verzeihung ihrer Sünden verkündeten, nahm sich der Zaunring wiederum seines Weibes wie vorhin an, und als solches offenbar ward, konnte die Gemeinde dieses Laster des Ehebruchs und des Hurenwerks mit so geringer Straf nicht leiden ... Nachdem aber Linhard Schmerbacher, ein Diener der zeitlichen Notdurft, des Jörg Zaunring Handel der Gemeinde angezeigt hat, wie er sich der Hure habe teilhaftig gemacht, da hat die Gemein einhellig erkannt: Weil Christi Glieder nicht Hurenglieder sein sollen, werden sie billig ausgeschlossen und von der Gemeinde ausgetan.« J. Beck, Geschichtsbücher, S. 101.
Die Ausschließung bildete die schwerste Strafe, die den Täufern zu Gebote stand.
Von Weibergemeinschaft war also bei ihnen keine Spur. Sie waren im Gegenteil in Ehesachen strenger als die »Heiden«. Aber von der Ehe selbst blieb bei den Täufern nicht viel übrig, außer der Paarung, und da individuelle Geschlechtsliebe ihnen durch ihre düstere, freudlose Askese, die Tanz und Liebesspiel verpönte, noch ferner gerückt war als der Masse der Bevölkerung ihrer Zeit, wurden die Ehen meist von den »Ältesten«, den Vorstehern der Gemeinde arrangiert, ähnlich wie die Paarungen im platonischen Staat und bei den Perfektionisten von Oneida. (I. Bd. S. 171. »Kein Mann sah sein Weib, als wenn er auf die bestimmte Zeit sich mit ihr in seiner Schlafkammer befand,« berichtet Grimmelshausen in seinem 1669 erschienenen »Simplicius Simplicissimus« von den Wiedertäufern. Ist dies Buch auch nur ein Roman, so finden wir darin doch ein getreues Bild des Haushalts der ungarischen Wiedertäufer seiner Zeit und es weiß sie nicht genug zu rühmen. »Ein solch seliges Leben, wie diese wiedertäuferischen Ketzer führen, hätte ich auch gern aufgebracht,« meint Simplicissimus, 5. Buch, 19. Kapitel.)
Die, abgesehen von der Paarung, wesentlichsten Funktionen der Einzelehe lösten sie auf durch gemeinsamen Haushalt und gemeinsame Kindererziehung.
Die Gemeinde zerfiel in mehrere über ganz Mähren zerstreute Haushaltungen, »Haushaben«. Zur Zeit ihrer höchsten Blüte zählte sie ihrer siebzig, in deren jeder 400 bis 600 Personen und noch mehr zusammenlebten, in den größten sogar 2000. »Sie alle hatten nur eine Kuchel (Küche), ein Backhaus, ein Bräuhaus, eine Schul, eine Stube für die Kindbetterinnen, eine Stube, da alle Mütter mit ihren jungen Kindern beieinander waren, und so fortan.
»Da in einer solchen Haushaltung ein Wirt und Haushalter war, der alles Getreide, Wein, Wolle, Hanf, Salz, Vieh und alle Notdurft einkaufte von dem Geld aller Handwerke und alles Einkommens und wiederum nach Notdurft an alle im Haus austeilte, da holte man das Essen für die Schulkinder, Sechswöchnerinnen und für all das andere Volk in eine Stube, das Speisezimmer. Für die Kranken sind Schwestern verordnet, die ihnen das Essen und Trinken zutragen und ihnen dienen.
»Die gar Alten setzt man besonders und reicht ihnen etwas mehr als den jungen und gesunden Leuten und allen nach der Gebühr und Vermögen.« Andreas Ehrenpreis, Ein Sendbrief ... brüderliche Gemeinschaft, das höchste Gebot der Liebe betreffend, 1650. Zitiert bei Loserth, Der Kommunismus der mährischen Wiedertäufer, S. 115 ff. Ehrenpreis, ein Müller, war 1639 bis 1662 Vorsteher der gesamten Brüderschaft. Aus dieser und anderen seiner Schriften, die höchst wichtige Aufschlüsse über die Organisation der mährischen Täufer geben, teilt Loserth zahlreiche Auszüge mit.
Über die Kost bei diesen gemeinsamen Mahlzeiten berichtet ein Brief aus der Zeit des Verfalls der Gemeinde, wo sie, aus Mähren vertrieben, in Ungarn ein mühsames Dasein fristete (1642), »den ältesten Brüdern gen Wintz ... geschrieben, wie wir's mit Speis und Trank ob unserem Tisch halten: Fleisch haben wir alle Tage übers Nachtessen, morgens die Woche ein-, zwei-, drei- oder viermal, nach Gelegenheit der Zeit. Bei den anderen Mahlzeiten nehmen wir mit Gemüse vorlieb.
»Alle Tag über Essen zweimal ein geschmeidigs Trinkl Wein, sonst weder Mittag, Marend (Vesper) oder abends nichts, ausgenommen, wenn wir abends zum Gebet gehen, nehmen wir ein Trinkl an, zuweilen hat man auch Bier.
»Mit dem Brot, wie man's im Haus insgemein hat, nehmen wir gern vorlieb, lassen uns auch das ganze Jahr nichts Besonders backen, es habe denn besondere Ursache, als des Herrn Gedächtnis oder andere Feiertage, Ostern, Pfingsten und Weihnachten.« Beck, Geschichtsbücher, S. 406, 407.
Die Kost der »Geschwistriget« (Geschwister), wie sich die Täufer untereinander nannten, war also einfach, aber ausgiebig. Dabei wird nicht schablonisiert, sondern, wie schon oben bemerkt, »jedem nach Gebühr und Vermögen gegeben«; in welcher Weise dies geschah, zeigt uns eine Speiseordnung von 1569, die, für eine Zeit der Hungersnot erlassen, die Kost regelte nach Alter, Geschlecht, Beschäftigung, Gesundheitszustand usw. Selbst dieses so rohe und primitive Gemeinwesen steht hoch über den »Staatsküchen« mit ihren für jedermann ohne Ausnahme gleichen und gleich großen Portionen, die Eugen Richters Phantasie im sozialdemokratischen »Zukunftsstaat« des zwanzigsten Jahrhunderts sah.
Neben dem gemeinsamen Haushalt ist besonders bemerkenswert die gemeinsame Kindererziehung der Täufer. Beck spricht von der » spartanischen Erziehung der Kinder, welche von der Brust der Mutter in die gemeinsamen Kinderstuben wanderten, wo sie, den Eltern und den kindlichen Gefühlen entfremdet, heranwuchsen«. (Geschichtsbücher, S. XVII.) Vielleicht noch besser hätte er von einer platonischen Erziehung der Kinder sprechen können. Viele Seiten der Kindererziehung der Wiedertäufer erinnern an die platonische Republik, wie auch manches bei ihnen an die Moresche »Utopie« gemahnt. Es ist nicht unmöglich, daß manches davon auf Übertragung beruht. Plato war den Kommunisten der Reformationszeit nicht unbekannt. Thomas Münzer weist auf ihn hin (vergl. II. Bd. S. 64), ebenso Sebastian Franck (vergl. II. Bd. S. 144), der den Täufern so nahe stand. Die Gelehrten, die sich der täuferischen Bewegung in ihren Anfängen anschlossen, haben Plato sicher gekannt. In dem Basler Humanistenkreis, der sich um Erasmus von Rotterdam gruppierte und der so viele der ersten gelehrten Täufer beeinflußte, wurde auch die Moresche »Utopie« beachtet und diskutiert. Es ist nicht nur nicht unmöglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß Anregungen aus diesen Schriften durch die Gelehrten auch den ungebildeteren Brüdern vermittelt wurden. Indes ist dieser Vorgang nicht bezeugt, und es ist auch nicht unbedingt notwendig, ihn anzunehmen, um die Ähnlichkeit der »Huterischen« Einrichtungen mit denen Platos und Mores zu erklären. Diese Ähnlichkeit kann auch darauf beruhen, daß die Logik der Tatsachen die ungebildeten Proletarier in Mähren auf denselben Weg trieb, der sich dem griechischen Weltweisen und dem englischen Humanisten als die Konsequenz ihrer Ideen erschloß.
So weit wie Plato gingen die Huterischen nicht, daß sie der Mutter das Kind nach der Geburt genommen und es ihr unmöglich gemacht hätten, es wiederzuerkennen. Es gab eine besondere, gemeinsame Stube für die Kindbetterinnen und eine solche für die Frauen mit den Säuglingen. Aber das Kind blieb dort bei seiner Mutter. Mit anderthalb bis zwei Jahren kam es jedoch schon in die allgemeine Erziehungsanstalt, in die Schule.
Das war einer der Punkte, an dem die Gegner der Täufer den meisten Anstoß nahmen: »Die verkehrten Wiedertäufer handeln gegen die Natur,« schreibt der schon einmal erwähnte Fischer 1607. »Sie sind unverständiger als die kleinen Vögelein und unbarmherziger als die wilden Tiere gegen ihre Jungen; denn sobald die Mutter das Kind entwöhnt hat, wird es von den rechten, natürlichen Müttern genommen und bestellten Schwestern übergeben. Hernach den unbekannten Schulmeistern und jähzornigen Kindererzieherinnen, die dann ohne Liebe, Sittsamkeit und Erbarmung bisweilen heftig und unbarmherzig dreinschlagen. So werden sie mit der größten Strenge erzogen, so daß sie wohl manche Mutter nach fünf oder sechs Jahren und gar letzlich nicht mehr recht sieht, noch kennt, aus welchem viele Blutschanden entstehen.« Die Kinder seien unter diesem System meist kränklich und »geschwollen«.
Die Praxis urteilte anders. Fischer selbst dementiert sich, indem er an anderer Stelle darüber jammert, daß die Wohlhabenden in Mähren am liebsten Frauen, die aus den Schulen der Wiedertäufer kamen, zu Ammen und Kindsmädchen nähmen, was sie sicher nicht getan hätten, wenn die Ergebnisse dieser Schulen so klägliche gewesen wären. »Gott erbarm, es ist weit gekommen, denn es müssen jetzt fast alle Frauen in Mähren zu Hebammen, Saugammen und Kindswärterinnen lauter wiedertäuferische Weiber haben, als wenn sie allein in diesen Sachen die erfahrensten wären.« Glänzender konnte man die Überlegenheit kommunistischer Kinderzucht nicht bezeugen, als es hier der erbittertste Gegner der Kommunisten tut. Auch an anderem Orte, in einer Schrift von 1604, ereifert sich Fischer über die wiedertäuferischen »Saugammen, dieweil sie samt der Milch das wiedertäuferische Gift etlichermaßen den christlichen, unschuldigen Kindern zu trinken geben«.
Waren die Frauen als Erzieherinnen kleiner Kinder gesucht, so genossen andererseits die Schulen so guten Ruf, daß auch Andersgläubige gern ihre Kinder dorthin sandten.
Wie die anderen Kommunisten seit der Zeit der Waldenser, legten auch die »Huterischen« das größte Gewicht auf eine gute Volksbildung. Ihre Schuleinrichtungen und pädagogischen Regeln sind heute noch beachtenswert, sie waren großartige Leistungen im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, die wohl den Tiefstand der Pädagogik bedeuteten und ihre allgemeine Grausamkeit und Roheit auch im Schulwesen bekundeten.
Zur Illustrierung der gewöhnlichen Erziehungsmethoden jener Zeit diene folgender Fall, den Erasmus von Rotterdam berichtet und der keine Ausnahme, sondern ein Typus ist. Ein Schulmeister pflegte nach der Mahlzeit, die er mit seinen Schülern einnahm, immer einen derselben hervorzuziehen und einem rohen Prügelmeister zur Züchtigung zu übergeben, der, sinnlos sein Amt verwaltend, einmal einen schwächeren Knaben nicht eher losließ, als bis er selbst vor Schweiß troff und der Knabe halbtot zu seinen Füßen lag. Der Lehrer aber wendete sich mit ruhiger Miene zu den Schülern und sagte: » Er hatte zwar nichts getan, aber er mußte gedemütigt werden.« Das war die Pädagogik der Gegner des Kommunismus. Es ist heute noch die Pädagogik des preußischen Staates. Erst kürzlich kam ein Gymnasialoberlehrer in Berlin vor Gericht, weil er einen Schüler blutig geschlagen hatte. Der famose Erzieher erzielte einen Freispruch, obwohl nachgewiesen wurde, daß der Schüler sich absolut nichts habe zuschulden kommen lassen. Aber das Gericht nahm an, der Lehrer habe eine Geste des Schülers als eine Widersetzlichkeit gegen seine Autorität auffassen können, und bereits der bloße Verdacht eines derartigen furchtbaren Verbrechens berechtigt natürlich zu jeder Brutalität.
Die Täufer dagegen erklärten: »Mit harten Streichen wird nicht viel gerichtet. Man muß durch die Lehre auf die Kinder wirken, denn wäre an sich schon so viel Gottesfurcht in ihnen, daß sie sich selbst verhüten könnten, bedürfte man keiner Schulmeister.«
Die täuferischen Schulen enthielten ein zahlreiches Lehrpersonal, Schulmeister und »Schulschwestern« sowie »Kindsdirnen« unter einer »Schulmutter«. Sie hatten nicht bloß für das geistige, sondern auch für das körperliche Wohl der Jugend zu sorgen.
Die Erziehung und der Unterricht waren durch »alte Bräuche« geregelt, die 1568 niedergeschrieben wurden. Diese Schulordnung legt den Schwerpunkt auf das körperliche Wohl der Jugend. »Wenn ein Kind,« heißt es da zum Beispiel, »zur Schule gebracht wird, so muß sein Gesundheitszustand auf das sorgsamste untersucht werden. Hat es eine böse Sucht, als Fäule, Franzosen und dergleichen, so muß es während des Schlafens, Essens, Trinkens und der Reinigung von den übrigen Kindern abgesondert werden.«
Wenn die Schulmutter den kranken Mund eines Kindes gereinigt hat, so soll sie nicht mit ungewaschenen Fingern den Mund der gesunden untersuchen, sondern »alleweil zuvor mit einem sauberen Tüchel und Wasser die Finger reinigen«.
Die Schulmutter soll auch die Schulschwestern unterrichten, wie man den Mund der Kinder reinigt.
Auf peinlichste Reinlichkeit wird überhaupt großer Wert gelegt.
Den Schlaf der kleinen Kinder haben die Schwestern zu überwachen. Man hüte sich, sie zu schlagen, wenn sie etwa im Schlafe aufschreien. Wenn sich eins ausdeckt, decke man es zu, auf daß es sich nicht erkälte. Sollten die biederen Wiedertäufer bei der Abfassung ihrer Schulordnung Herrn Eugen Richters Strampel-Annie um drei Jahrhunderte vorgeahnt haben? Bei der Nacht darf keinem Kinde, es wäre denn krank, zu essen gereicht werden.
Schlafende Kinder soll man nicht ohne dringenden Grund aufzustehen zwingen usw.
Man sei mit den Kindern nicht unnützerweise streng. Wenn ein Kind beim Spinnen etwas verschuldet, hüte man sich, sofort dreinzuhauen. Da genügt eine Anzeige bei der Schulmutter. Die großen Buben züchtigt der Schulmeister, die Dirnen die Schulmutter. Wegen Diebstahls, Lügen und anderer Sünden soll bei der Bemessung der Strafe stets der Rat eines Bruders beigezogen werden. Allzu harte Züchtigungen, etwa Schlagen auf die Köpfe oder auf den Mund sind streng untersagt.
Bei der Erziehung soll individualisiert werden: »In der Zucht der Kinder bedarf es großen Aufmerkens und eines rechten Unterscheids: Das eine läßt sich mit Freundlichkeit ziehen, das andere wird durch Gaben gewonnen, ein drittes erfordert strengere Zucht.«
Den Kindern, die zum erstenmal zur Schule kommen, soll man nicht die Köpfe zu brechen versuchen.
Diese Mitteilungen aus der Schulordnung dürften genügen, zu zeigen, daß Loserth berechtigt ist, zu sagen, sie »enthalte Grundsätze, die auch der Schule der Neuzeit Ehre machen würden«.
Welche Gegenstände außer Lesen und Schreiben, deren so ziemlich alle Täufer kundig waren, und der täuferischen Lehre in den Schulen gelehrt wurden, ist unbekannt. Mit geistiger Bildung scheint produktive Arbeit Hand in Hand gegangen zu sein. Wenigstens wurden die Mädchen schon früh zum Spinnen angehalten.
Bis zu welchem Jahre der Schulunterricht sich erstreckte, wissen wir nicht. Aus der Schule kamen die Kinder in die Industrie, Landwirtschaft oder in den Haushalt. Die industrielle und landwirtschaftliche Arbeit galt zunächst der Deckung der Bedürfnisse der Gemeinde. Bevor diese befriedigt waren, durfte für andere nicht gearbeitet werden.
Aber die Täufer waren ausgezeichnete und fleißige Arbeiter, und ihre Arbeit lieferte einen bedeutenden Überschuß. Besonders hervorragend waren ihre Leistungen auf den Gebieten der Pferdezucht, der Müllerei und Bierbrauerei, sowie endlich der Messerfabrikation und der Tuchmacherei, die ihr vornehmstes Gewerbe bildete. Auch hier finden wir wieder die Wollenweberei in inniger Verbindung mit dem Kommunismus.
Die Überschüsse, die sie auf diesen und anderen Produktionsgebieten erzielten, nahmen innerhalb einer Gesellschaft der Warenproduktion natürlich die Form von Waren an. Sie verkauften einen großen Teil ihrer Produkte, was ihnen wieder die Möglichkeit gewährte, die Erzeugung bestimmter Produkte beständig weit über ihre eigenen Bedürfnisse hinaus auszudehnen. So gelangten sie in manchen Produktionszweigen zu einem industriellen Großbetrieb.
Die Form des Haushaltes und die der Produktion haben seit jeher in enger Beziehung zueinander gestanden. Früher galt dies noch viel mehr als jetzt. Die kapitalistische Produktion hat diese Beziehung gelockert, indem sie die Werkstätte von der Haushaltung loslöste; die Beziehung zwischen beiden ist nicht mehr eine unmittelbare. Im Altertum und Mittelalter aber waren beide aufs engste miteinander verknüpft, die Ausdehnung des Wirtschaftsbetriebs bestimmte die Ausdehnung der Familie.
Aber umgekehrt blieb auch die Ausdehnung der Familie nicht ohne Einfluß auf die Ausdehnung des Wirtschaftsbetriebs.
Der gemeinsame Haushalt, zum Beispiel der Klöster oder der Beghardenhäuser, begünstigte denn auch stets die Tendenz zur Einrichtung von Großbetrieben. Wenn etwa zwanzig Weber in gemeinsamem Haushalt lebten, lag es nahe, daß sie auch den Rohstoff gemeinsam kauften und in einem gemeinsamen Lokal verarbeiteten. Aber diese Tendenzen haben nur geringe Ausbildung erhalten; bei den einen – den Klöstern – wurden sie gehemmt dadurch, daß diese Organisationen regelmäßig früher oder später aufhörten, Arbeitsorganisationen zu sein und Ausbeuterorganisationen wurden; bei den anderen, den Beghardenhäusern und ähnlichen Instituten, hinderten die Verfolgungen, daß sich die Gemeinsamkeit der Arbeit entwickelte, feste Wurzeln gewann und auf die Produktionsweise Einfluß übte.
Und Klöster wie Beghardenhäuser gediehen als Arbeitsinstitutionen in einer Zeit, in der gesellschaftlich wie technisch die Vorbedingungen des industriellen Großbetriebs nicht gegeben waren.
Anders stand es mit den Wiedertäufern in Mähren. Ihre Organisationen waren gesicherter, als die meisten Beghardenhäuser gewesen waren; aber als Fremde, die nur geduldet und der steten Feindschaft des Landesherrn ausgesetzt waren, konnten sie ihre Haushaben auch nicht zu Ausbeuterinstituten entwickeln wie die Klöster. Endlich traten sie auf zu einer Zeit, wo schon zahlreiche Vorbedingungen gesellschaftlicher Produktion gegeben waren. Das Berg- und Hüttenwesen wurde bereits kapitalistisch bewirtschaftet und diszipliniert. Aber auch das Handwerk strebte damals schon vielfach danach, sich auszudehnen zur Manufaktur und die Schranken der zünftigen Einengung des Betriebs auf wenige Gesellen zu sprengen. Wenn da gemeinsame Haushaltungen von 1000 bis 2000 Personen sich bildeten, mußte die ihnen innewohnende Tendenz zur Einrichtung und Entwicklung von Großbetrieben einen günstigen Boden finden.
Bei den Wiedertäufern »ging alles auf den Großbetrieb aus, und die einzelnen Handwerker arbeiteten einander in die Hände. Es war strengstens untersagt, ein Rohprodukt wo anders als von den Wiedertäufern selbst zu nehmen, vorausgesetzt, daß es vorhanden war. So wurden aus den Schlächtereien die Felle an die Gerber abgeliefert und von diesen zubereitet an Sattler, Riemer und Schuster geliefert. Ebenso war das Verhältnis zwischen den Baumwollstuben und Webereien, den Tuchmachern und Schneidern usw. Nur wenige Rohprodukte, wie Eisen, feinere Öle und anderes, wurden aus der Fremde genommen. Im einzelnen wurde das Gewerbe im großen betrieben, denn für ihre Produkte: Messer, Sensen, Beuteltücher, Tücher, Schuhe usw., fanden sie nicht allein an den eigenen Brüdern, sondern auch an den übrigen Nachbarn fleißige Abnehmer.«
Unter den Rohprodukten, die sie kauften, hätte Loserth, der diese Schilderung gibt, noch eines nennen sollen, das sehr wichtig war, die Wolle. Ihre Tuchfabrikation gedieh so sehr, daß die mährische Wolle ihnen nicht mehr genügte und sie ausländische, wahrscheinlich ungarische, einführten. Darauf deutet folgender Passus aus ihren Geschichtsbüchern hin: »Anno 1544 ist uns vom Landtag verboten worden, die Wolle für unsere Werkstätten anderswo als in den königlichen Städten oder auf den Schlössern und Höfen der Grundherren zu kaufen.« Beck, Geschichtsbücher, S. 158.
Jedes Handwerk besaß seine Einkäufer, Austeiler (oder Zuschneider) und Vorgestellten. Jene kauften, wenn nötig, das Rohmaterial im großen ein, die anderen teilten es an die einzelnen Arbeiter aus und überwachten deren planmäßiges Zusammenarbeiten. Die Regelung desselben und der Produktion überhaupt beschäftigte die Brüder ungemein; das bezeugen die zahlreichen Arbeitsordnungen, die sie erlassen haben. Leider sind »für die meisten Handwerke, und darunter für einige, die, wie die Tuchmacherei, besonders lebhaft und erfolgreich betrieben wurden, keine Ordnungen mehr erhalten«. Wir sind daher in bezug auf die Höhe, die der Großbetrieb der Täufer erlangte, auf bloße Vermutungen angewiesen. Wir wissen nicht, wie weit die Arbeitsteilung und das planmäßige Zusammenarbeiten in den einzelnen Industrien ging.
Sicher ist es, daß sie über die Höhe des damaligen zünftigen Handwerks hinaus einen großen Schritt zum Manufaktursystem getan haben. Auch sorgten sie dafür, technisch stets auf der Höhe ihrer Zeit zu stehen. So wurden zum Beispiel von Zeit zu Zeit Müller bis nach der Schweiz geschickt, um die dortigen Betriebseinrichtungen zu studieren.
Waren sie technisch dem Handwerk überlegen, so noch mehr kommerziell, namentlich dadurch, daß sie die Rohstoffe im großen kauften oder aus den eigenen Wirtschaften bezogen. Auch das kam ihnen zugute, daß sie Handelskrisen, Absatzlosigkeit leichter überwanden als private Produzenten. Gänzlich konnten sie eine zeitweise Überproduktion nicht vermeiden, da sie im großen für den Markt arbeiteten.
So wurde zum Beispiel im Jahre 1641, allerdings zu einer Zeit des Verfalls, in einer ungarischen Gemeinde (in Mähren gab es damals keine mehr) auf einer Konferenz von Gemeindevorstehern den Messerschmieden unter anderem vorgeworfen: »Die Werkstätten macht man so groß, daß man sie nicht besetzen kann, und wenn sie besetzt sind, kann man die Menge Messer nicht verkaufen, dagegen bleibt andere Hausarbeit liegen oder man muß sie verlohnen (von Lohnarbeitern besorgen lassen) um bares Geld.« Beck, Geschichtsbücher, S. 465.
Dergleichen Klagen kommen einigemal vor, doch waren die Wirkungen der Überproduktion nicht allzu schlimm. Die überschüssigen Arbeitskräfte wurden einfach für einige Zeit statt in der Industrie in der Landwirtschaft beschäftigt, wo es an Arbeit nie fehlte.
Zu allen diesen Vorteilen der kommunistischen Großproduktion vor der »individualistischen« der einzelnen Handwerker gesellte sich natürlich noch der, daß die Erhaltung des einzelnen im gemeinsamen großen Haushalt viel billiger zu stehen kam als in den kleinen Einzelhaushaltungen der Handwerksmeister. Und so kann es uns nicht überraschen, daß seit der Organisation der Huterischen Gemeinden in Mähren die Klagen über die verderbliche Konkurrenz, welche die Kommunisten den zünftigen Meistern machen, nicht verstummen.
Schon 1545 erklären die Brüder in ihrer Eingabe an den mährischen Landtag: »Der Städte halber, die sich, wie wir hören, über uns beschweren und beklagen, als ob wir den Landhandwerkern das Brot vom Munde abschnitten, so wissen wir's nicht anders, denn daß wir uns in allem ehrlicher Arbeit befleißen, einem jeden seinen Pfennig zu vergelten, welche unsere Ehrlichkeit nun fast unter allem Volk bekannt ist ... So sich nun jemand unbillig beschwert, können wir deswegen unsere Arbeit nicht verschlechtern.«
Und zum Jahre 1600 berichten die Geschichtsbücher: »In diesem Jahre ist von unseren Widersachern großes Geschrei ausgangen in Mähren, wie sich die Brüder über die Maßen im Lande häufen und mit ihrem Handwerk den Städten und Flecken nicht geringen Schaden und Abbruch an ihrer Nahrung tun. Die Landesherren haben derohalben beschlossen, uns die Aufrichtung neuer Haushaben zu untersagen, den Grundherren aber auch fernerhin zu gestatten, sich der Arbeiten der Brüder zu bedienen.« Beck, Geschichtsbücher, S. 171, 331.
Sogar zur Ehre einer poetischen Verurteilung ist die Konkurrenz der Täufer gekommen. 1586 erschien: »ein anders schön neves Lied, darinnen der Betrug und arglist art der Huetterischen Widertauffer wahrhaftig und eigentlich vor Augen gestellt wirdet«. Als Verfasser nannte sich Johann Eysvogel von Köln, »gewester Hutterischer Widertauffer, Bruder zu Austerlitz in Märhern«. Da heißt es:
Das Getreid tun sie aufkaufen,
Wohl in dem Mährerland,
Sie schütten's auf ein Haufen.
Ist doch ein' große Schand,
Daß man's von ihn' tut leiden.
All Handwerk sie verderben
Hierum wohl in dem Land,
Mit allerlei gewerben
Sind sie gar wohl bekannt –
Um zwiefach Geld sie geben
Ihr' War' ohn' alle Scheu,
Kaufen alles auf daneben.
Kein Armer kommt nicht bei.
Das Brot tun sie abschneiden
Dem Armen wohl vor dem Maul.
Das macht: daß man's tut leiden.
Wie im Schulwesen wird auch in der Produktionsweise der Täufer deren Überlegenheit über die entsprechenden Einrichtungen ihrer Gegner am eindringlichsten zutage gebracht in den Klagen der letzteren. Wir verweisen darauf alle jene, die da behaupten, daß der Kommunismus unter allen Umständen unwirtschaftlich sei. Die Erfahrungen der Wiedertäufer bestätigen die Regel, die wir bei der Vergleichung der Klöster mit den religiösen kommunistischen Kolonien in Amerika gefunden haben. (I. Bd. S. 173.)
Derselbe Grund, der die städtischen Handwerker zu Gegnern der Huterischen machte, gewann ihnen die Gunst der großen Grundherren, auf deren Gütern sie lebten und denen sie zinsbar waren. Mit den Wiedertäufern und durch sie nahm der Adel an Reichtum und Wohlleben zu, sie wurden für ihn ökonomisch unentbehrlich.
Neben ihren Produkten waren es auch ihre Lohnarbeiter, die den Täufern ökonomische Bedeutung verliehen. Nicht wenige der Brüder und Schwestern waren nämlich in Privatdiensten beschäftigt. Daß man täuferische Ammen und Erzieherinnen suchte, haben wir schon gesehen. Indes auch in landwirtschaftlichen und industriellen Privatbetrieben finden wir Täufer tätig, zum Beispiel als Müller. Aber namentlich als Verwaltungsbeamte waren sie sehr beliebt, was sich wohl daraus erklärt, daß die Verwaltung der großen Haushaben das Organisations- und Verwaltungstalent unter ihnen besonders hoch entwickelte. Voll Wut schreibt einer ihrer bissigsten Gegner, der schon mehrfach zitierte Christoph Fischer: »Weil ihr die Herren in Mähren also habt eingenommen, daß sie alles tun nach eurem Rate und Angeben, weil ihr von den Herren über alle ihre Wirtschaften zu Kastnern, Kellermeistern, Burggrafen, Müllern, Schäfflern, Fischmeistern, Gärtnern, Förstern und Meiern gesetzt werdet, weil ihr bei ihnen in großer Reputation und Ansehen seid, also daß ihr auch mit ihnen esset, trinket und dergleichen Favor von ihnen erlanget: heißt das nicht herrschen und regieren?«
Der biedere Fischer übertreibt natürlich, aber richtig ist es, daß die Täufer als Verwaltungsbeamte sehr gesucht waren. Genau genommen waren es jedoch nicht die einzelnen derart beschäftigten Individuen, die in Privatdiensten standen, sondern die ganze Gemeinschaft. Die einzelnen waren nur als deren Beauftragte bei den Privaten tätig. Sie standen nicht nur unter der Disziplin der Gemeinschaft, sondern mußten ihr auch alle ihre Einnahmen abliefern, nicht nur ihre Gehälter und Löhne, sondern sogar ihre Trinkgelder und Geschenke, mochten diese nun in Geld oder in Naturalien bestehen.
Im allgemeinen scheint die Durchführung dieser Bestimmung keine Schwierigkeiten gefunden zu haben, außer bei den Ärzten. Bei aller Verachtung der Gelehrsamkeit hielten die Täufer viel auf Arzneikunde und Badekuren. Ihre Bader hatten wahrscheinlich mit der Wissenschaft nicht allzuviel zu tun, sie müssen aber sehr gewandte Praktiker gewesen sein, denn sie waren im ganzen Lande gesucht, ja mitunter wurde einer sogar an den kaiserlichen Hof entboten, trotz des Abscheus vor den Kommunisten, der dort herrschte.
So heißt es in den Geschichtsbüchern zum Jahre 1603: »In diesem Jahre ... ist der Bruder Georg Zobel, ein Diener der Notdurft und vornehmer alter Arzt, dem das ganze Baderhandwerk in der Gemein befohlen war, und der auch von vielen angesehenen Herren und vom Kaiser selbst ist gebraucht worden, zu Nikolsburg im Herrn entschlafen.« (Beck, Geschichtsbücher, S. 336.) Vergleiche S. 329, wo erzählt wird, daß dieser Zobel nach Prag an des Kaisers Hof entboten wurde, wegen einer »Infektion«, die damals in Böhmen wütete.
Bezeichnend ist die Baderordnung von 1654; sie fordert von den Badern unter anderem, sie sollen
4. Fleißig lesen und sich üben in der Heiligen Schrift und in Arzneibüchern.
8. Beim Kräutersammeln und Wurzelngraben nicht Fürwitz treiben, zu Wein gehen und keine Kräuter oder Wurzeln heimbringen!
16. Sich nicht von der Arbeit abziehen, als wenn sie zu köstlich oder zu gut dazu wären oder nicht zur Arbeit geschaffen.
17. Auch nicht eigene Arzneien haben, ihren Gewinn und Eigennutz damit zu schaffen.
19. Alles Geld, sei es geschenkt oder Trinkgeld, samt allem Verdienst, soll mit treuer Hand dem Vorgestellten zugestellt werden usw. Beck, Geschichtsbücher, S. 485, 486.
Aber schon 1592 wurde über die Bader geklagt: »Ein Teil lassen sich so ungern Ordnung geben und bleiben nicht gern in der Ordnung, nehmen sich gar zu viel Freiheit und sind viel zu eigenwillig« usw.
Sie fügten sich der kommunistischen Disziplin am schwersten, vielleicht deswegen, weil sie eine Ausnahmestellung einnahmen, über die Masse der Brüder an Bildung und Ansehen hinausragten.
Die Verfassung der Brüder war eine demokratische. An der Spitze der Gemeinschaft standen teils geistliche, teils weltliche Beamte. Erster«, die »Diener des Wortes«, waren entweder Apostel, die in der Welt herumzogen, um neue Genossen zu werben, oder Prediger zu Hause. Die weltlichen Beamten, »Diener der Notdurft«, waren die Einkäufer, Vorgestellten, Haushalter, Meier. Die oberste Gewalt lag bei der Gemeinde. Aber um diese nicht bei jeder Gelegenheit befragen zu müssen, gab es einen Rat der Ältesten, mit dem die Diener der Gemeinschaft Angelegenheiten von geringerer Bedeutung erledigten. An der Spitze der gesamten Gemeinschaft stand ein Bischof. Die Beamten wurden jedoch nicht gewählt, sondern unter denen, die als tauglich erschienen, durch das Los, »die Anzeige des Herrn«, bestimmt. Aber er konnte sein Amt nicht antreten, ehe nicht die Gemeinschaft den Willen Gottes sanktioniert und den Erlösten bestätigt hatte.
Fast ein Jahrhundert lang erhielt sich das eigenartige Gemeinwesen, das wir hier gezeichnet haben, in voller Kraft. Es fiel nicht durch innere Entartung, sondern durch äußere Gewalt.
Seitdem Böhmen und Mähren den Habsburgern zugefallen waren, standen diese in ständigem, wenn auch meist unblutigem Krieg mit dem selbstherrlichen Adel dieser Länder. Endlich kam es zu jenem großen Entscheidungskampf, der den Dreißigjährigen Krieg einleitete und mit der völligen Niederlage des Adels in der Schlacht am Weißen Berge (1620) endigte. Der Adel wurde fast vernichtet. Mit ihm fielen seine Schützlinge, die Brüderunität in Böhmen, die Huterischen Gemeinden in Mähren.
Am 22. September 1622 ließ der Kardinal Dietrichstein im Auftrag Ferdinand II. ein Patent ergehen, »daß alle diejenigen, so der Huterischen Bruderschaft zugetan, es seien Manns- oder Weibspersonen, von gemeldetem Dato an über vier Wochen bei hoher Leibes- und Lebensstrafe sich nicht weiter in Mähren sollten finden und betreten lassen«.
Diesmal blieb der Ausweisungserlaß nicht auf dem Papier. Das organisierte Wiedertäufertum in Mähren nahm ein Ende. Viele der Täufer wurden katholisch, wobei aber die meisten im Herzen der alten Lehre treu blieben, mitunter diese noch den jüngeren Generationen vererbten; viele gingen bei flüchtigem Umherirren im Winter zugrunde; einem Teil endlich gelang es, mit Hinterlassung fast aller Habe, sich nach Ungarn durchzuschlagen, wo sie schon seit 1546 mehrere Haushaben angelegt hatten. Die ungarischen Machthaber konnten Kolonisten wohl brauchen und nahmen die Flüchtlinge gern auf. Diese organisierten sich in der neuen Heimat nach alter Weise, aber sie kamen zu keiner Bedeutung mehr. Die Gemeinschaft erholte sich nicht mehr von dem furchtbaren Schlage, der sie betroffen und ihres ganzen Vermögens beraubt hatte. Die damaligen Zustände in Ungarn, wo Türkeneinfälle und Bürgerkriege einander ablösten, waren auch nicht dazu angetan, ein armes Gemeinwesen zu Wohlhabenheit aussteigen zu lassen. Es verfiel und verkam und mit ihm verkam der Kommunismus.
Aber die kommunistische Idee hatte eine solche Lebenskraft, daß sie alles überwand. Als die wiedertäuferischen Haushaben sich auch in Ungarn nicht länger behaupten konnten, zogen die Verfolgten noch weiter nach dem Osten, nach dem südlichen Rußland, wo einzelne Adlige die fleißigen, friedfertigen und hohe Abgaben zahlenden Wiedertäufer ebenso gern aufnahmen, wie früher Adlige in Mähren und dann in Ungarn. Eine ganze Reihe von Haushaben oder »Brüderhöfen« wurden von ihnen im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts in der Ukraine und anderen Teilen Südrußlands gegründet. Sie gediehen dort bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein. Auch diesmal war es nicht der Adel, sondern die Staatsgewalt, die schließlich ihnen den weiteren Aufenthalt in Rußland unmöglich machte. Im Jahre 1874 wurde dort die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, einer der Glaubensartikel der »Huterischen« war aber, wie wir gesehen, die Ablehnung des »Schwertes«, das heißt des Kriegsdienstes. Lieber setzten sie sich abermals dem Risiko einer Wanderung aus, als daß sie ihrer Überzeugung untreu geworden wären.
Diesmal wandten sie sich nach den Vereinigten Staaten, wo heute noch einige ihrer Haushaben bestehen und gedeihen. Jede der Haushaben besteht aus ungefähr 125 Leuten, insgesamt zählten sie 1908 1400 Mitglieder.
R. Wolkan berichtet über den bedeutendsten ihrer Bruderhöfe, Wolfs Creek, der am James River gelegen ist, einem Nebenflüsse des Missouri:
»Die Vieh- und Schafställe haben an der Nordseite dicke Mauern, die zahlreichen Selbstbinder, Pflüge, Dreschmaschinen und sonstigen Ackergeräte stehen schön unter Dach. Ein Gasmotor treibt einen gewaltigen Rahmseparator und eine Buttermaschine, ein Pferd treibt die gemeinschaftliche Waschmaschine. Zwei sehr große Mauergrappen und ein großer Kochofen schaffen die gemeinschaftlichen Mahlzeiten, eine praktische Kellervorrichtung mit durchrieselndem frischen Wasser hält Milch und Butter kühl. Tauben gibt's auf den Dächern zu Tausenden; alle Monate werden sie nach Chicago verkauft und bringen 2¼ bis 2½ Pfund Sterling (offenbar ein Versehen, es muß heißen Dollar. K.) pro Dutzend.« R. Wolkan, Österreichische Wiedertäufer in Amerika, Österreichische Rundschau, XIV, S. 222. Wien und Leipzig.
Trotz dieser Benutzung der modernen industriellen Technik haben sie ihren überlieferten Kommunismus in ungeschwächter Kraft bewahrt. In ihrer heutigen Verfassung sagt der achte Artikel:
»Kein Mitglied der Kirche darf Privateigentum besitzen, denn er übergibt sich dem Herrn und seiner Kirche mit allem, was er hat und zu leisten vermag, wie es in der ursprünglichen apostolischen Kirche der Fall war, wo keiner von seinem Besitz sagte, daß er sein Eigentum sein, sondern alles war für sie Gemeineigentum. Das halten wir für den sichersten Weg und die vollkommenste Grundlegung. Und wird sind davon fest überzeugt in unseren Herzen.«
Nicht minder zäh halten sie an ihrer Staatsfeindschaft fest. Einer ihrer jetzigen Leiter, David Hofer, berichtet, daß sie sich bis heute an keiner Wahl in den Vereinigten Staaten beteiligt haben und keiner von ihnen bisher irgend ein staatliches Amt angenommen hat. W. A. Hinds, American communities, S. 415. Chicago 1908. Das Kapitel » The Bruederhof communities« in dem Werk ist von David Hofer verfaßt.
Diese amerikanischen Kolonien der Wiedertäufer waren mir nicht bekannt, als ich die erste Auflage des vorliegenden Werkes schrieb. Ich nahm an, die Haushaben seien sämtlich den Verfolgungen erlegen, die sie in Österreich-Ungarn verschwinden ließen, und knüpfte daher an meine Darstellung ihres Kommunismus die Bemerkung:
»Ob er sich behauptet hätte, wenn der Gemeinschaft in Mähren eine ungestörte Fortentwicklung gegönnt gewesen wäre, kann mit Bestimmtheit weder bejaht, noch verneint werden. Sehr wahrscheinlich ist es nicht, daß es dem Täufertum gelungen wäre, seinen Kommunismus auf die Dauer inmitten einer kapitalistischen Gesellschaft unversehrt zu behaupten, mit der es durch Warenproduktion und Lohnarbeit in enger ökonomischer Verbindung stand und der damals noch die Zukunft gehörte.«
Wolkan, der zu seiner Überraschung durch einen Zufall auf die verschollenen Wiedertäufer in Amerika aufmerksam gemacht wurde, meint, diese meine Auffassung werde durch das Fortbestehen des täuferischen Kommunismus in Amerika widerlegt: »Die blühenden Kolonien am James River setzen den Vorkämpfer der Sozialdemokratie ins Unrecht.«
Wolkan vergißt, daß meine Frage sich auf den Fortbestand des Kommunismus in Mähren bezog; ich hielt es für unmöglich, daß sich ein derartiger primitiver Kommunismus » inmitten einer kapitalistischen Gesellschaft unversehrt behaupten kann«, und das ist auch heute noch meine Ansicht.
Der Huterische Kommunismus hat sich nur erhalten, weil sich seine Bekenner von der kapitalistischen Gesellschaft so fern als möglich hielten. Das war in Südrußland im achtzehnten und der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts nicht schwer. Das ist aber bisher auch in Amerika noch unter gewissen Umständen möglich trotz aller Selbstbinder, Dreschmaschinen und Gasmotoren. Wolkan selbst berichtet darüber:
»Hier leben die Huterer ein weltabgeschiedenes, aber, wie aus allen ihren Briefen hervorgeht, offenbar glückliches Dasein. Noch immer bekennen sie sich als Deutsche, wie ihre Väter es waren, deren Satzungen sie treu geblieben sind. Aber wie diese selbst uns ein Abbild vergangener Jahrhunderte aufrollen, so ist auch ihrer Sprache, die seit mehr als 150 Jahren mit dem großen Strom unserer Muttersprache in keinem lebendigen Zusammenhang mehr steht, manches Altertümliche in Wortformen und Satzwendungen geblieben, das uns Moderne ganz seltsam berührt. Und so sehr halten sie fest am vererbten alten Gute, daß sich nur wenige in Amerika die englische Sprache angeeignet haben ... Auch in ihrer Kleidung haben sie den alten, einfachen und sonderbar anmutenden Schnitt der Vorfahren beibehalten, der jeden Knopf als überflüssig betrachtet; auf dem Kopf tragen sie, ein Erbstück aus Rußland, hohe Pelzmützen.«
Dieser Kommunismus, der die Welt umwandeln wollte, erhielt sich demnach nur durch völlige Absonderung von der Welt – die kapitalistisch war. Kapitalismus und Kommunismus können in einer Gesellschaft nicht gleichzeitig bestehen.
In Mähren wären also wohl die Haushaben der Wiedertäufer früher oder später denselben Weg gegangen, den zu unserer Zeit in Amerika kommunistische Kolonien gehen, sobald ihnen der Kapitalismus zu nahe kommt.
Auf jeden Fall aber ist das Gemeinwesen der Huterischen in Mähren von der größten Bedeutung für die Geschichte des Sozialismus. Es bildet die reifste Frucht des ketzerischen Kommunismus und zeigt uns am deutlichsten und klarsten die Tendenzen der Wiedertäufer. Seine Grundlinien sind noch dieselben wie die des Mönchtums; die Haushabe ist nur eine Art Kloster. Aber sie macht bereits einige Schritte über dieses hinaus in der Richtung des modernen Sozialismus, indem sie in den klösterlichen Kommunismus die Ehe einführt und industrielle Großbetriebe in einer Weise entwickelt, daß sie nicht mehr bloße Nebenerscheinungen des Kommunismus sind, sondern anfangen, dessen Grundlagen zu bilden.
Aber trotz ihrer Wichtigkeit und Eigenart sind die wiedertäuferischen Organisationen in Mähren eine Zeitlang völlig vergessen gewesen. »Es ist eine seltsame Sache, daß die Erinnerung an die Wiedertäufer in Mähren so allgemein aus dem Volksgedächtnis entschwunden und daß ihr Andenken erst seit kurzem, und nur in der gelehrten Forschung, aber nicht im entferntesten in ausreichendem Maße aufgefrischt worden ist.« Gindely, Geschichte der Böhmischen Brüder, II, S. 19.
So schrieb ein böhmischer Historiker im Jahre 1858. Seitdem hat die gelehrte Forschung ausreichendes Licht über sie verbreitet, namentlich dank dem Eifer des Dr.
Josef Beck, der ein ungemein ausgedehntes Material über sie sammelte und zum Teil selbst veröffentlichte in den hier so oft zitierten Geschichtsbüchern der Wiedertäufer, die 1883 erschienen. Sein Nachlaß bot dann noch reiche Ausbeute, die
Loserth trefflich verwertete. Aber außerhalb der Spezialgeschichte haben die mährischen Wiedertäufer bis heute noch nicht gebührende Beachtung gefunden, und die bürgerlichen Geschichtschreiber des älteren Sozialismus haben sie so gut wie völlig ignoriert.
Das Handwörterbuch der Staatswissenschaften wußte in seiner ersten Auflage, die
vor meinem Buch erschien, noch nichts von den mährischen Wiedertäufern (in dem Artikel »Sozialismus und Kommunismus« von G. Adler). Die zweite Auflage, die
nach der ersten Auflage meines Buches erschien, übernimmt von diesem meine Darstellung der Haushaben der mährischen Wiedertäufer, »vergißt« aber im Literaturverzeichnis mein Buch, das von ihr geplündert wurde, zu nennen.
Es entspricht dies der Objektivität, mit der auch sonst in diesem Sammelpunkt bürgerlicher »voraussetzungsloser Wissenschaft« die Marxisten behandelt werden.
Das darf uns nicht wundern. Diesen Herren handelte es sich in der Regel nicht darum, den Sozialismus zu begreifen, sondern darum, Material zu sammeln, das zu seiner Verurteilung dienlich erschien. Dazu eigneten sich die mährischen Wiedertäufer schlecht. Weit tauglicher dafür erschien der Aufstand der Wiedertäufer in Münster. Dieser ist es denn auch, der in den herkömmlichen Geschichtsbüchern als die Verkörperung des wiedertäuferischen Wesens hingestellt wird; auf ihn weist man mit Vorliebe hin, wenn man zeigen will, welche Scheußlichkeiten der Kommunismus naturnotwendig gebiert.
Wer von den Wiedertäufern hört, denkt in der Regel zuerst an den Münsterschen Aufruhr, und ist von diesem die Rede, spricht man von einer grauenhaften, wahnsinnigen Orgie.
Wir werden gleich sehen, ob und inwieweit dies berechtigt ist.