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Wer über die Reformationszeit schreibt, lenkt gewöhnlich die Aufmerksamkeit auf ihre theologischen Zänkereien, sieht darin ihren wichtigsten Inhalt. Die Zurückführung der Kämpfe jener Zeit auf die Gegensätze materieller Interessen wird gern als leere »Konstruktion« zugunsten einer vorgefaßten materialistischen Auffassung verdächtigt. Und doch gibt es genug Zeitgenossen der Reformation, die, ohne eine Ahnung von der Theorie des historischen Materialismus zu haben, jene materiellen Interessen aufdeckten. Man braucht nur nicht durch spätere idealistische Darstellungen die Unbefangenheit des Blickes verloren zu haben, um genug derartige Zeugnisse zu finden.
Einer der scharfsinnigsten und gebildetsten, aber auch skrupellosesten Männer seiner Zeit war der Italiener Äneas Sylvius Piccolomini. Ehedem ein eifriger Verfechter einer Reformierung der Kirche und ein scharfer Kritiker des Papsttums, hatte er dann seinen Frieden mit dem Papst gemacht und war dafür mit dem Kardinalshut belohnt worden, 1456. Zwei Jahre später wurde er Papst, Pius II. Als solcher brachte er es fertig, seine eigenen früheren Schriften als ketzerisch zu verdammen.
Nach seiner Ernennung zum Kardinal richtete an ihn Martin Mayer, ein geborener Heidelberger, Kanzler des Mainzer Erzbischofs Ditrichs von Erbach, einen Brief, in dem es unter anderem heißt: »Tausend Manieren (sie sind vorher zum Teil aufgezählt) werden ausgedacht, unter denen der römische Stuhl uns, wie Barbaren, auf feine Manier unser Gold wegnimmt. Dadurch ist es geschehen, daß unsere Nation, die, einst so berühmt, mit ihrem Mut und Blut das Römische Reich erworben hat und die Herrin und Königin der Welt war, jetzt in Armut versunken, dienend und tributpflichtig geworden ist und, im Schmutze liegend, schon viele Jahre her ihr Unglück und ihre Armut beweint. Nun aber sind unsere Fürsten aus dem Schlafe erwacht und haben zu bedenken angefangen, wie sie diesem Unheil begegnen möchten, ja sie haben beschlossen, das Joch völlig abzuschütteln und sich die alte Freiheit wiederzugewinnen. Und es wird ein nicht geringer Fall der römischen Kurie sein, wenn die Fürsten des Römischen Reiches wirklich vollbringen, was sie im Sinne führen.« Bei Ullmann, Reformatoren usw., I, S. 214.
Äneas Sylvius hielt es für notwendig, zur Widerlegung Mayers ein eigenes Buch über die Lage Deutschlands zu schreiben, das 1458, kurz vor seiner Erwählung zum Papst, erschien. Wir benutzten die Leipziger Ausgabe von 1496: Enee Sylvii, de Ritu, Situ, Moribus ac Conditione alemanie, Lyptzick. »Arm am Geiste war derjenige,« erklärt er darin, »der behauptete, Deutschland sei arm.« Er sucht dies zu beweisen, indem er auf den Handel und den Bergbau hinweist, die damals in Deutschland blühten und große Reichtümer brachten. »Wenn es wahr ist,« rief er, »daß wo Kaufleute auch Reichtümer zu finden sind, dann muß man gestehen, daß die Deutschen die reichste Nation sind, da ihr größter Teil, lüstern nach Handelsprofiten, weithin alle Länder durchstreift ... Und dann bedenke man die Gold- und Silberadern, die, früher unbekannt, bei euch entdeckt wurden. In Böhmen besitzt Kuttenberg, in Sachsen Rankberg, in Meißen Freiberg auf schwindelnden Höhen unerschöpfliche Silberminen.« Er weist dann auf die Gold- und Silberberge im Inn- und Ennstal hin, auf die Goldwäschereien am Rhein und in Böhmen und fragt endlich: »Wo gibt es bei euch ein Wirtshaus ( diversorium), wo man nicht aus Silber tränke? Welches Weib, nicht bloß unter den Edlen, sondern auch unter den Plebejern, glänzt nicht von Gold? Soll ich hinweisen auf die Halsketten der Ritter und die aus reinstem Golde gewirkten Zügel der Pferde, auf die Sporen und Schwertscheiden, die mit Edelsteinen besät sind, auf die Fingerringe und Wehrgehänge, die Panzer und Helme, die von Gold funkeln? Und wie prächtig sind die Geräte der Kirchen, wie viele Reliquien finden wir da mit Perlen und Gold eingerahmt, wie reich ist der Schmuck der Altäre und der Priester!«
Deutschland sei also wohl in der Lage, dem römischen Stuhle Abgaben zu entrichten. Wohin käme aber dieser, wenn Deutschland seine Sendungen einstellte? Er würde arm und elend werden, unfähig, seine großen Pflichten zu erfüllen. Denn die geringen, unsicheren Einnahmen aus dem Kirchenstaat reichten dazu nicht aus. Ohne Reichtum könne man nicht intelligent und angesehen sein. Die Priester waren auch unter allen Gesellschaftsordnungen ( in omni lege) reich.
Es kann keinen größeren Widerspruch zwischen zwei Schriften geben, als diese beiden aufweisen. Man möchte sagen: nur die eine kann richtig sein, die andere muß lügen. Und doch sind beide richtig, wenn auch nicht ohne Übertreibungen. Jede für sich allein gäbe nur ein unvollkommenes Bild von der Lage Deutschlands in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts. Sie sind beide richtig, gerade weil sie in unversöhnlichem Gegensatz zueinander stehen, denn dieser spiegelt getreulich den großen Gegensatz in den Dingen wider, der damals bestand, und der, eben weil er unversöhnlich war, nur durch den Kampf der beiden und den Sieg des einen über den anderen aufzuheben war.
Der Brief Mayers und die Erwiderung des Äneas Sylvius zeigen uns aufs deutlichste den Kernpunkt, um den die Reformation sich drehte, losgelöst von dem Wust theologischer Zänkereien über Prädestination und Abendmahl usw., den die kirchlichen Reformatoren der verschiedenen Parteien später darüber gelagert haben.
Äneas Sylvius hatte recht: Deutschland war im fünfzehnten Jahrhundert reich und blühend durch seinen Bergbau und seinen Handel. Er hatte auch darin recht, daß der römische Stuhl vornehmlich auf die Einnahmen aus Deutschland angewiesen war. Denn die anderen großen Kulturnationen Europas hatten sich damals bereits von der päpstlichen Ausbeutung in hohem Grade freigemacht. Um so mehr warf sich die Kurie mit der ganzen Kraft ihrer ausbeuterischen Fähigkeiten auf die deutsche Nation, und um so hartnäckiger verweigerte sie dieser jede, wenn auch noch so geringe Konzession. Eine Milderung der päpstlichen Ausbeutung war nicht zu erwarten. Deutschland mußte sie entweder widerstandslos dulden oder sich völlig losreißen von Rom.
Und dieser Gedanke faßte immer festeren Fuß, denn Martin Mayer hatte auch recht. So sehr auch der Reichtum in Deutschland zunahm, so bedeutete doch die päpstliche Ausbeutung eine höchst drückende Last und ein Hemmnis der ökonomischen Entwicklung.
Schon der Umstand benachteiligte Deutschland, daß es eine Last zu tragen hatte, von der die übrigen Kulturnationen frei waren. Auch in Frankreich, in England, in Spanien beutete die Kirche die Volksmassen aus. Aber der wesentlichste Teil des Ertrags der Ausbeutung blieb im Lande, fiel den herrschenden Klassen zu, die alle fetten Pfründen teils mit eigenen Mitgliedern, teils mit Kreaturen und Schmarotzern aus anderen Klassen besetzten. In Deutschland dagegen fielen viele Pfründen Ausländern zu, Kreaturen des Papstes, nicht der deutschen Fürsten. Und alle einträglichen kirchlichen Stellen in Deutschland waren Handelsartikel, die der Papst an den Meistbietenden verkaufte. »Wie ein großer Teil der Ämter und Stellen an der Kurie käuflich war, so wurden die Pfründen mehr und mehr zu einem gangbaren Handelsartikel; es kam so weit, daß man den Vertrieb der fetteren Benefizien, um ihn noch schwunghafter zu gestalten, gegen mäßigen Zins den großen Handelsgesellschaften überließ, wie zum Beispiel die Fugger nach dem Tode eines Augsburger Chorherrn dessen Pfründen an sich brachten. Sie wurden dann nochmals verkauft und von den neuen Käufern vielleicht nochmals an den Meistbietenden verpachtet. Wimpheling kannte einen Geistlichen, der vierundzwanzig Pfründen, darunter acht Kanonikate, besaß, ohne auch nur eine selbst zu versehen. Capito sagt sogar einem Straßburger Stiftsherrn Jakob nach, daß er sich hundert Pfründen verschafft und damit einen wahrhaften Handel getrieben habe.« (F. v. Bezold, Geschichte der deutschen Reformation, Berlin 1890, S. 78.) »Nicht leicht hat einer hier eine fette Pfründe,« sagt Hutten einmal, »der nicht zu Rom darum gedient oder viel Geld zur Bestechung dahin geschickt oder sie geradezu durch Vermittlung der Fugger gekauft hat.« (»Die römische Dreifaltigkeit«, Gespräche von Ulrich v. Hutten, übersetzt und erläutert von David Fr. Strauß, Leipzig 1860, S. 106.) Dafür waren die Fugger auch eifrige Katholiken, die mit Geldspenden zur Bekämpfung Luthers nicht sparten.
Ungeheure Summen flossen für alle diese kirchlichen Stellen jahraus jahrein nach Rom und entgingen den großen Ausbeutern in Deutschland, seinen Fürsten und Kaufherren. Und so groß auch die Profite waren, die Handel und Bergbau abwarfen, so rasch Deutschlands Reichtum steigen mochte, die Geldbedürfnisse und die Geldgier der Ausbeuter stiegen noch rascher.
Im fünfzehnten Jahrhundert hatten Warenproduktion und Warenhandel, also die sogenannte Geldwirtschaft, in Deutschland bereits eine namhafte Ausdehnung erreicht. Die Produktion für den Selbstgebrauch, die Naturalwirtschaft, war, als ausschließliche Form der Produktion, selbst auf dem Lande in raschem Rückgang begriffen. Immer größer wurde allenthalben das Bedürfnis nach Geld, am größten bei den herrschenden Klassen. Nicht nur, weil sich deren Lebenshaltung am raschesten zu einem ausschweifenden Luxus steigerte, sondern auch, weil die Anforderungen an sie wuchsen, die nur mit Geld befriedigt werden konnten. Das absolute Fürstentum, das sich damals entwickelte, brauchte Geld, um seine Söldner und seine Beamten zu bezahlen, es brauchte Geld, um den unbotmäßigen Adel an seinen Hof zu ziehen und sich dienstbar zu machen, es brauchte endlich Geld, um die Werkzeuge seiner Gegner zu bestechen. Da hieß es, Steuern erfinden, Bürger und Bauern schinden und schaben, ihnen auspressen, was erpreßt werden konnte. Aber nur selten genügten die regelmäßigen Einnahmen, und dann hieß es Schulden machen – Schulden, die wieder neue Ausgaben an Zinsen erforderten.
Trotz aller Erpressungen und allen Pumpens kamen die wenigsten Fürsten damals mit ihren Finanzen zurecht, und so empfanden sie – und mit ihnen die Untertanen, auf denen diese und noch andere Lasten ruhten –, daß sie verarmten, trotz des steigenden Reichtums Deutschlands, und daß es unerträglich sei, ruhig zuzusehen, wie der Papst für nichts und wieder nichts den Rahm abschöpfe und ihnen nur die Magermilch lasse.
Aber es war keine so einfache Sache, sich von der päpstlichen Ausbeutung zu befreien. Allerdings, gleich den Fürsten, ja noch weit mehr als diese, litt die Masse der Nation, litten ihre unteren Klassen, die Bauern, die städtischen Proletarier und die unmittelbar darüber liegenden Volksschichten, das Bürgertum und der niedere Adel, unter der Herrschaft Roms. Schon vor Wiclif und Hus, unter Ludwig dem Bayern, hatten sie sich geneigt gezeigt, den Kampf gegen die Kurie aufzunehmen. Aber nicht minder litten die niederen Klassen unter der steigenden Ausbeutung durch den hohen Adel, die großen Kaufleute und die Fürsten, und England wie Böhmen hatten gezeigt, wie gefährlich es für die Machthaber sei, eine der großen Autoritäten in der Gesellschaft zu untergraben. Wie die Revolutionskriege Frankreichs zu Ende des achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts eine Periode der Reaktion in Europa hervorriefen und der allenthalben aufstrebenden Bourgeoisie für lange Zeit die Lust nahmen, auf revolutionäre Weise, im Bunde mit Kleinbürgern und Proletariern, gegen den fürstlichen Absolutismus und den aristokratischen Grundbesitz zu kämpfen, so erzeugten auch die Hussitenkriege eine Periode der Reaktion nicht bloß in Böhmen, sondern auch in Deutschland, und es brauchte lange, bis unter den herrschenden Klassen des Reiches die Ideen der Losreißung von Rom die Oberhand gewannen.
Dazu kam, daß die Allianz zwischen Kaiser und Papst, welche die Luxemburger unter Karl IV. und Sigismund begründet hatten, unter deren Nachfolgern auf dem kaiserlichen Throne, den Habsburgern, ihre Fortsetzung fand. Zu den Gründen, welche die Luxemburger zu Freunden des Papsttums gemacht, gesellte sich für die Habsburger noch die Türkengefahr, die gerade die habsburgischen Lande bedrohte, und die anscheinend nur durch einen vom Papst organisierten Kreuzzug beschworen werden konnte.
Der schläfrige Friedrich III. war in den wichtigsten Fragen der Kirchenpolitik nur ein Werkzeug des schlauen Renegaten Äneas Sylvius; Maximilian, der »letzte Ritter«, dieser pedantische Romantiker auf dem Throne, zeigte sich höchst unstet und haltlos. Aber wie eng ihm die kaiserlichen und päpstlichen Interessen verknüpft erschienen, kann man daraus ersehen, daß er den Plan fassen konnte, die kaiserliche Krone mit der päpstlichen Tiara auf demselben Haupte zu vereinigen. Und Karl V., so energisch er den Papst als Herr der habsburgischen Erblande bekämpfte, wann immer dieser seine Pläne kreuzte, so wenig er sich scheute, seine Landsknechte gegen Rom selbst zu senden und dieses verwüsten zu lassen, so energisch trat er als Kaiser in Deutschland für die bedrohte päpstliche Autorität ein – so energisch, wie ein deutscher Kaiser als solcher damals überhaupt noch auftreten konnte.
Nimmt man zu alledem die heillose Zerklüftung Deutschlands, die allerdings die Macht des Kaisers auf ein Minimum reduzierte, aber auch die Zusammenfassung der Gegner von Kaiser und Papst zu einheitlichem Vorgehen sehr erschwerte, dann ist es begreiflich, daß die Reformation in Deutschland erst ein Jahrhundert nach dem Beginn der Hussitenkriege in Fluß kam.
Inzwischen war aber die Entwicklung auf allen Gebieten weit vorgeschritten. Wie sehr hatten sich die Mittel des geistigen und militärischen Kampfes vervollkommnet! Die Buchdruckerkunst war erfunden und das Geschützwesen ausgebildet worden. Die Mittel des Verkehrs, namentlich des Seeverkehrs, waren hoch entwickelt. Kurz vor der Reformation hatten zum ersten Male in der Weltgeschichte kühne Seefahrer den Atlantischen Ozean direkt quer durchschifft. 1497 John Cabot, von Bristol nach Labrador schiffend, 1498 Kolumbus, von Palos nach Westindien. Die Normannen, die um das Jahr 1000 nach Amerika gelangt waren, hatten den Weg über Island und Grönland gewählt.
Den Anlaß zu diesen Fahrten im fünfzehnten Jahrhundert gab das Vordringen der Türken und anderer zentralasiatischer Völkerschaften, welche die alten Handelswege nach dem Orient sperrten. Dank der Höhe, welche die europäische Schiffahrt damals erlangt hatte, führte dies nicht zur Unterbrechung des Handels zwischen Ostasien und Europa, sondern dazu, daß einerseits längs der Küste Afrikas, andererseits quer über den Ozean neue Straßen nach Indien gesucht wurden. Das Zeitalter der Entdeckungen begann, die moderne Kolonialpolitik nahm ihren Anfang.
Dadurch wurde nicht nur der Gesichtskreis der Menschheit plötzlich ungeheuer erweitert und eine völlige Revolution des menschlichen Wissens angebahnt, sondern auch eine ökonomische Revolution eingeleitet. Der wirtschaftliche Schwerpunkt Europas wurde vom Becken des Mittelmeers an die Küsten des Atlantischen Ozeans verlegt. Die ökonomische Entwicklung Italiens und des Ostens von Europa wurde unterbunden und gehemmt, die von Westeuropa dagegen durch einen gewaltsamen Stoß plötzlich nach vorwärts gedrängt. Bestehende Gegensätze, sowohl solche zwischen den Klassen als auch solche zwischen den Staaten, wurden aufs äußerste verschärft und auf die Spitze getrieben, neue Gegensätze wurden geschaffen, alle die Leidenschaften entfesselt, die der neuen kapitalistischen Form der Ausbeutung eigentümlich sind, und mit der ganzen Kraft und Rücksichtslosigkeit des Mittelalters, dessen Barbarei man kaum verlassen, zur Geltung gebracht. Alle überkommenen sozialen und politischen Verhältnisse stürzten zusammen, alle herkömmliche Moral erwies sich als haltlos. Eine Reihe ungeheurer Kämpfe durchtobte Europa ein Jahrhundert lang, in denen Habgier und Mordlust und die Raserei der Verzweiflung die grauenhaftesten Orgien feierten. Wer kennt nicht die Bartholomäusnacht, wer weiß nicht, wie die Helden des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland, wie Alba in den Niederlanden, Cromwell in Irland gehaust haben – ganz abgesehen von den Greueln der gleichzeitigen Kolonialpolitik!
Diese riesenhafte Umwälzung, die größte, die Europa seit der Völkerwanderung gesehen, fand erst (außer für England) im Westfälischen Frieden, 1648, einigermaßen einen Abschluß. Sie ging hervor aus der deutschen Reformation, die ganz Europa erregte und die Stichworte und Argumente für die Kämpfenden bis in die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts lieferte, so daß der oberflächliche Beschauer meint, in allen diesen Kämpfen habe es sich nur um Fragen der Religion gehandelt. Man nennt sie in der Tat Religionskriege.
Angesichts alles dessen ist es kein Wunder, daß die deutsche Reformationsbewegung alle früheren Bewegungen dieser Art an welthistorischer Bedeutung turmhoch überragt, daß sie die Reformation überhaupt geworden ist, daß die Deutschen, trotzdem sie den anderen Kulturnationen Europas in der Empörung gegen Rom so spät nachhinkten, als das auserkorene Volk der Geistesfreiheit gelten konnten, das bestimmt war, sie den anderen Völkern zu bringen.
Der Mann, der den Funken in das Pulverfaß werfen sollte, an dem der ungeheure Weltbrand sich entzündete, der Mann, der anscheinend der Urheber aller dieser Umwälzungen geworden ist, vergöttert von den einen, verflucht von den anderen, war der Augustinermönch Dr. Martin Luther.
Wenn er in den Mittelpunkt der Bewegung geriet, so verdankte er dies nicht überlegener Einsicht, nicht originellem und kühnem Denken. Darin waren ihm gar manche seiner Zeitgenossen weit voraus. Nicht nur in Frankreich und Italien, sondern auch in Deutschland waren viele Mitglieder der höheren Klassen bereits dahin gelangt, die Formen des kirchlichen Denkens völlig abzustreifen, ja ihrer zu spotten, dank der neueren Bildung des sogenannten Humanismus, der sich zuerst in Italien im vierzehnten Jahrhundert entwickelte, anknüpfend an die Antike, deren Wiedergeburt (Renaissance) er gewissermaßen bedeutete. In Deutschland sind hier namentlich die jüngeren Erfurter Humanisten zu nennen, unter der Führung Mutians, der der Kirche die Wissenschaft entgegenstellte und die Gottheit Christi leugnete. Luther trat in den Kreis dieser Humanisten während seiner Erfurter Studienjahre ein (1501). Aber es scheint, daß mehr ihr fröhliches Leben als ihr Geist ihn anzog; wenigstens war von diesem nicht viel mehr zu merken, als sich nach der Fröhlichkeit der Katzenjammer einstellte, und Martin den Entschluß faßte, ins Kloster zu gehen (1505).
Aber auch unter denen, die der christlichen Lehre treu blieben, fanden sich viele, die sich in wesentlichen Punkten von der katholischen Lehre emanzipierten. Wir wollen nur auf einen verweisen, Johann von Wesel, Professor an der Erfurter Universität, der 1481 starb, zwei Jahre ehe Luther geboren wurde. Mit welcher Kraft zog dieser gegen den Papst los, den »bepurpurten Affen«, gegen die Lehren vom Ablaß und der Heiligenverehrung, die Beichte, das heilige Abendmahl, die letzte Ölung, das Fasten! »Wenn der heilige Petrus das Fasten eingesetzt hätte,« sagte er einmal in einer Predigt, »so hätte er es wohl getan, um seine Fische besser zu verkaufen.«
Ullmann, dessen Schrift: Reformatoren vor der Reformation, I, S. 333, wir dies Zitat entnehmen, hat eingehend über Johann von Wesel gehandelt. »Ob Wesels Schrift und Lehre über den Ablaß,« sagt er, »auf die Entwicklung der Überzeugungen Luthers einen Einfluß übte, ist nicht sicher zu entscheiden. Möglich ist es, ja selbst wahrscheinlich, da Luther in Erfurt Wesels Schriften studierte und auch unabhängig von den Schriften die Lehren Wesels auf dieser Universität gewiß fortwirkten. Bei allem dem aber war Wesel bei der Abfassung seiner Schrift gegen den Ablaß theoretisch schon weiter vorgeschritten als Luther im Stadium der Thesenherausgabe; Wesels Polemik war klarer, bewußtvoller und umfassender, sie ging mehr auf das ganze Institut und dessen letzte Gründe, als die, wenn auch kräftige, tiefe und kühne, so doch zugleich in der Erkenntnis noch etwas unsichere, mehr gegen augenblickliche Übelstände gerichtete Polemik Luthers.« (A. a. O., I, S. 307.)
Luther, seit 1508 Professor der Theologie in Wittenberg, seit 1515 Stadtpfarrer daselbst, erboste sich über den Ablaßhandel, den um 1517 Tetzel in Sachsen trieb, um das Geld aus den Taschen jener, die nie alle werden, in die unergründliche Schatzkammer des Papstes Leo X. zu eskamotieren. Erbittert darüber, gleich so vielen anderen, entschloß er sich, dagegen aufzutreten. Die Form, in der er dies tat, war keine ungewöhnliche; er schlug, wie das Universitäts-Professoren damals zu tun pflegten, 95 Thesen (Lehrsätze) über den Ablaß an die Tür einer Wittenberger Kirche an (am 31. Oktober 1517) und erbot sich, darüber zu disputieren. Auch der Inhalt dieser Thesen war kein revolutionärer; sie behandelten bloß Punkte, über die innerhalb der Kirche selbst bis dahin Einigkeit nicht geherrscht hatte. Gegen den Ablaß grundsätzlich aufzutreten, wie Wesel es getan, fiel ihm nicht ein. Sagt doch die 71. These: »Wer wider die Wahrheit des päpstlichen Ablasses redet, der sei im Fluch und vermaledeiet.« Luther selbst erzählte von sich später: »Da ich die Sache wider den Ablaß anfing, war ich so voll und trunken, ja so ersoffen in des Papstes Lehre, daß ich vor großem Eifer bereit wäre gewesen, wenn's in meiner Macht gestanden, zu ermorden, oder hätte zum wenigsten Gefallen daran gehabt und dazu geholfen, daß ermordet worden wären alle die, so dem Papste nicht hätten wollen gehorsam sein.«
Der Streit zwischen Luther und Tetzel war, wie Zeitgenossen der beiden richtig bemerkten, ein bloßes Mönchsgezänk. Aber ein Gezänk, bei dem es sich nicht um bloße Dogmen handelte, sondern um den Geldbeutel, und in dem Punkt war die Kurie stets besonders kitzlich. Und dieses Gezänk fiel in eine höchst unruhige, bedenkliche Zeit. Ganz Deutschland war damals voll Kampfeslust gegen den Papst und seine Kirche. Unter den »Pfeilen gegen den Schurken«, wie Hutten sich ausdrückt, die aus Deutschland dem Pfaffentum um die Ohren schwirrten, waren die wichtigsten und wirksamsten die Briefe unberühmter Männer, Wir sind mit Janssen der Meinung, daß diese Übersetzung von » Epistolae obscurorum virorum« weniger mißverständlich ist als die herkömmliche: »Briefe der Dunkelmänner«. eine Reihe von Briefen, die 1515 bis 1517 von Freunden Mutians, namentlich Crotus Rubianus und Hutten, herausgegeben wurden, Satiren und Karikaturen, »die aus den Vertretern der kirchlichen Wissenschaft eine Bande von lauter Idioten und Lumpen machten«. (Bezold.)
Der Ablaßschacher hatte lebhafte Proteste allenthalben in Deutschland hervorgerufen; angesichts einer solchen Situation mußte es der Kurie doppelt unerwünscht sein, wenn ein Mann der Kirche selbst, ein Professor der Theologie, einen Streit über eine so heikle Angelegenheit wie den Ablaß entfachte. Nicht lange, und sie mengte sich selbst in den Streit, um Ruhe zu schaffen, bewirkte dadurch aber gerade das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigte. Auf der einen Seite bewies sie, wie ohnmächtig sie bereits in Deutschland geworden war, denn es gelang ihr nicht, die kirchlichen und weltlichen Oberen Luthers zu veranlassen, daß sie ihm Schweigen geboten. Dagegen bewirkte das Eingreifen des Papstes, daß alle die zahlreichen Gegner des Papsttums jetzt auf Luther aufmerksam wurden, sich um ihn scharten und ihn vorwärtsdrängten. Dadurch, daß das Duell zwischen Luther und Tetzel zu einem Duell zwischen Luther und dem Papste wurde, wurde es auch eines zwischen diesem und der deutschen Nation.
Ohne rechte eigene Initiative wurde Luther vorwärtsgeschoben von Freund und Feind, zum Bruch mit dem Papsttum. Wenn er 1519 verfluchte, was er noch 1518 gesegnet, für alleinseligmachend erklärte, was er eben noch verdammt, so war dies nicht Folge einer Erweiterung seiner Erkenntnis, sondern die Folge der Wirkung rein äußerer Einflüsse, von denen er sich tragen und leiten ließ.
Die Bannbulle, die der Papst 1520 gegen Luther erließ, war ein Schlag ins Wasser; sie wurde in Deutschland nur so weit beachtet, daß sie Luthers Popularität vermehrte und ihn drängte, auf dem einmal betretenen Wege fortzuschreiten.
Der neugewählte Kaiser Karl V., der 1519 auf Maximilian gefolgt war, berief Luther nach Worms zum Reichstag (1521) in der Hoffnung, es werde ihm gelingen, den streitbaren Professor einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.
Man hat Luthers Anwesenheit in Worms mit der Hussens in Konstanz verglichen. Aber die Situation war eine ganz andere. Hus hatte sein Vaterland verlassen, um vor einer Kirchenversammlung, einer Versammlung seiner geschworenen Feinde zu erscheinen. Luther erschien auf einem deutschen Reichstag, dessen Stände in ihrer Mehrheit ihm günstig gestimmt waren. Es ist richtig, er hielt sich tapfer, aber er hatte bereits die Brücken hinter sich abgebrochen, er konnte nicht mehr zurück, ohne einen Akt der Feigheit und Ehrlosigkeit zu begehen. Und er folgte vielleicht in Worms nicht nur den Forderungen der Mannhaftigkeit, sondern auch, und mehr noch, den Geboten der Klugheit, wenn er erklärte: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.« Denn durch Unterwerfung hätte er seine Feinde nicht versöhnt, seine Freunde aber gegen sich erbittert. Von der Unterwerfung drohte ihm größere Gefahr als von der Standhaftigkeit. Er wußte, wenn er in Worms aufrecht blieb, würden die Fürsten und Ritter nicht dulden, daß ihm auch nur ein Haar gekrümmt werde. Ungeschädigt verließ er den Reichstag.
Münzer höhnte auch später Luther, weil dieser sich mit seinem Heldentum in Worms so brüstete: »Über deinem Rühmen möchte einer wohl entschlafen vor deiner unsinnigen Torheit, daß du zu Worms vor dem Reich gestanden bist. Dank hab' der deutsche Adel, dem du das Maul also wohl bestrichen hast und Honig gegeben; denn er wähnte nicht anders, du würdest mit deinem Predigen behaimische (böhmische) Geschenke geben, Klöster und Stifte, welche du jetzt den Fürsten verheißest. So du zu Worms hättest gewankt, wärest du eher erstochen vom Adel worden als losgegeben; weiß es doch ein jeder.« Hoch verursachte Schutzrede, 1524
Es waren weder außergewöhnliche Einsicht, noch auch außergewöhnliche Kühnheit, die Luther zum Mittelpunkt der Reformationsbewegung machten. Seine außergewöhnlichen Eigenschaften lagen in anderer Richtung. Nicht als Denker, nicht als Märtyrer zeichnete sich Luther aus, sondern als Agitator, durch eine Vereinigung von Eigenschaften, die nur selten in einem Manne vereinigt sind.
Über dem Doktor und Professor der Theologie vergaß er nie den Bauernsohn. Ein Gelehrter, verstand er doch das Bedürfen, das Fühlen und Denken der niederen Volksklassen, und er wußte ihre Sprache zu handhaben, wie keiner seiner Zeitgenossen, wie nur wenige nach ihm. Ein Meister der Polemik, gleich Lessing, verstand er die seltene Kunst – und darin berührt er sich mit Lassalle, mit dem er sonst nicht viel Ähnlichkeit aufweist –, gleichzeitig die Massen fortzureißen und den herrschenden Klassen zu imponieren.
Das hatte in Deutschland keiner der Gegner des Papsttums vor ihm verstanden. Jeder von ihnen wendete sich in Wirklichkeit, wenn auch nicht immer absichtlich, bloß an eine Klasse. Die einen an die untere, wie zum Beispiel der Verfasser der »Reformation Kaiser Sigismunds«, die »das erste revolutionäre Schriftstück in deutscher Sprache« ist (Bezold). Diese gerieten, und mit Recht, bei den höheren Klassen in den Verdacht taboritischer Tendenzen. Die Herrschenden fühlten sich von ihnen nicht nur abgestoßen, sondern oft zu ihrer direkten Verfolgung veranlaßt. Jene Mitglieder der höheren Klassen aber, die sich gegen die päpstliche Gewalt wandten, schrieben nicht für die Masse. So zum Beispiel Gregor von Heimburg, um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts Stadtsyndikus von Nürnberg, »der bürgerliche Luther vor Luther« (Ullmann), der in einer Reihe ebenso gelehrter wie scharfer Schriften von 1440 bis 1465 das Papsttum auf das entschiedenste bekämpfte. In den Bann getan, von den Nürnbergern und sonstigen Schützern im Stiche gelassen, mußte er nach Böhmen zu Podiebrad flüchten. Nach dessen Tode (1471) ging er nach Sachsen, wo er 1472 sein kampfreiches Leben beschloß.
Ein so tapferer und gewandter Kämpfer er gewesen war, er hatte die Massen kalt gelassen, denn er hatte nicht für sie geschrieben.
Dasselbe gilt von Hutten. Auch er wandte sich anfangs bloß an die oberen Klassen. Selbst als die lutherische Bewegung schon ganz Deutschland ergriffen hatte, als Hutten es für notwendig fand, ein Sendschreiben an die Deutschen aller Stände zu erlassen Omnibus omnis ordinis ac status in Germania Principibus, Nobilitati ac Plebeis, Ulrichus de Hutten, Eques, Orator et Poeta laureatus. Vergleiche darüber D. Fr. Strauß, Ulrich von Hutten, II, S. 89 ff, S. 102 ff. Leipzig 1858. (Ende September 1520), da schrieb er es lateinisch und berief sich darauf, er habe bisher lateinisch geschrieben, »um die zu reformierenden Kirchenhäupter erst gleichsam unter vier Augen zu warnen und nicht gleich das gemeine Volk in Mitwissenschaft zu ziehen«.
Allerdings, unmittelbar darauf, im Dezember desselben Jahres, sah er sich schon getrieben, an dies »gemeine Volk« zu appellieren, um dessen Kraft für seine Sache zu gewinnen. Seine nächste Schrift erschien deutsch, die »Klag und Vermahnung gegen den unchristlichen Gewalt des Papstes und der ungeistlichen Geistlichen«.
Er sagt in dieser Schrift, die in Reimen verfaßt ist:
»Latein ich vor geschrieben hab,
Das war eim jeden nit bekannt;
Jetzt schrei ich an das Vaterland,
Teutsch Nation in ihrer Sprach,
Zu bringen diesen Dingen Rach.«
Aber als deutscher Schriftsteller hinkte Hutten hinter Luther einher, der schon vor ihm, namentlich in dem Sendschreiben »an den christlichen Adel deutscher Nation«, und viel wirksamer als Hutten, seine Agitation in deutscher Sprache eröffnet hatte.
Die Verbindung von Gelehrsamkeit mit eindringlicher und packender Volkstümlichkeit wurde bei Luther noch verstärkt durch die Verbindung von Eigenschaften, die noch seltener als jene vereinigt gefunden werden: die Vereinigung der Schmiegsamkeit, der charakterlosen Anpassungsfähigkeit des Höflings mit der urwüchsigen Kraft, ja Grobheit des Bauern und der wilden Leidenschaft, die mitunter bis zu blinder Tollwut ausartete, des Fanatikers.
In der Hitze des Kampfes mit Rom wurde Luther aufs äußerste getrieben. Freudig nahm er die Hilfe aller Revolutionäre an, die ihm zueilten, und stimmte in ihren Ton ein. In dem schon erwähnten Sendschreiben an den christlichen Adel deutscher Nation predigte er geradezu die Revolution. Er tritt ein für Ritter und Bauern, er brandmarkt die Ausbeuter, nicht bloß die Kirchenfürsten, sondern auch die Kaufleute. Er verlangt eine demokratische Organisation der kirchlichen Gemeinde.
Und diese Revolution sollte auf gewaltsame Weise durchgesetzt werden. Gleichzeitig mit dem Sendschreiben an den deutschen Adel gab Luther eine gegen ihn erschienene Schrift des Sylvester Prierias »über das unfehlbare päpstliche Lehramt« mit Randglossen heraus. Da erklärte er im Nachwort: »Wenn die Raserei der Romanisten so fortfährt, so scheint mir kein anderes Heilmittel übrig zu bleiben, als daß der Kaiser, die Könige und Fürsten mit Gewalt der Waffen dazu tun, sich rüsten, diese Pest des Erdkreises angreifen und diese Sache zur Entscheidung bringen, nicht mehr mit Worten, sondern mit Eisen. Wenn wir Diebe mit dem Strang, Mörder mit dem Schwert, Ketzer mit dem Feuer bestrafen, warum greifen wir nicht vielmehr mit allen Waffen diese Lehrer des Verderbens an, diese Kardinäle, diese Päpste und das ganze Geschwür des römischen Sodom, welche die Kirche Gottes ohne Unterlaß verderben, und waschen unsere Hände in ihrem Blute.«
Selbst gegen die Fürsten zog er los, wenn sie nicht in sein Horn bliesen, und wir möchten niemand raten, sich über lebende deutsche Fürsten heute so zu äußern, wie es der »teure Mann Gottes« tat. Den Kaiser nannte er öffentlich einen Tyrannen. Vom Herzog Georg von Sachsen sprach er einfach als von dem »Dresdner Schwein«. »Fahren die Fürsten fort,« schrieb er einmal, »auf jenes dumme Hirn des Herzogs Georg zu hören, so befürchte ich sehr, es stehe ein Aufruhr bevor, welcher in ganz Deutschland Fürsten und Magistrate vernichten und zugleich den ganzen Klerus mit einwickeln wird. So nämlich erscheint mir die Lage der Dinge. Das Volk ist überall aufgeregt und hat Augen, will und kann nicht durch die Gewalt gedrückt werden. Der Herr ist es, der dies tut und die Drohungen und vorhandenen Gefahren vor den Augen der Fürsten verbirgt, ja er wird durch deren Blindheit und Gewalttätigkeit solches vollbringen, so daß es mir vorkommt, als sähe ich Deutschland schwimmen im Blut.« Er sei weit entfernt, dies zu fürchten. Das Verderben stehe nicht ihm, sondern den Fürsten bevor.
Noch 1523, als sich schon Sickingen gegen die Fürsten erhoben hatte und ein allgemeiner Aufruhr drohte, veröffentlichte Luther eine Schrift am 1. Januar: »Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei«, gegen die katholischen, nicht bloß geistlichen, sondern auch weltlichen Fürsten. »Gott, der Allmächtige,« schreibt er da, »hat unsere Fürsten toll gemacht, daß sie nit anders meinen, sie mögen tun und gebieten ihren Untertanen, was sie nur wollen.« »Gott hat sie in verkehrten Sinn geben und will ein Ende mit ihnen machen, gleichwie mit den geistlichen Junkern.« »Sie konnten nicht mehr, denn schinden und schaben, einen Zoll auf den anderen, eine Zinse über die andere zu setzen; da einen Bären, hier einen Wolf auslassen, dazu kein Recht, Treu noch Wahrheit bei ihnen lassen funden werden, und handeln, daß Räuber und Buben zuviel wäre, und ihr weltlich Regiment ja so tief daniederliegt wie der geistlichen Tyrannen Regiment.« Von Anbeginn der Welt an, meint er, sei ein kluger Fürst ein seltener Vogel gewesen; noch viel seltener sei ein frommer zu finden. » Sie sind gemeiniglich die größten Narren und die ärgsten Buben auf Erden.« »Man wird nicht, man kann nicht, man will nicht eure Tyrannei und Mutwillen die Länge leiden. Liebe Fürsten und Herren, da wisset euch nach zu richten, Gott will's nicht länger haben. Es ist nicht mehr eine Welt, wie vor Zeiten, da ihr die Leute wie das Wild jagtet und triebet.«
Wenn wir bei der Wiedergabe dieser Stellen etwas ausführlich geworden sind, so geschah es nicht nur zur Charakterisierung Luthers. Jetzt, wo »gutgesinnte« Leute, darunter Stützen der lutheranischen Kirchen, sich so lebhaft über die »maßlose Heftigkeit und Roheit« der sozialdemokratischen Agitation entrüsten, scheint es uns angezeigt, darauf hinzuweisen, welche Sprache der Mann ungestraft führte, dessen Lehre zu einer der Stützen der heutigen Gesellschaft geworden ist.
Aber während Luther eine solche Sprache führte, hütete er sich wohl, ihr eine entsprechende Tat folgen zu lassen. Bei allem revolutionären Gebaren überschritt er nie die Schranken, die ihm die Rücksicht auf die Gunst seines Herrn und Schützers, des Kurfürsten Friedrich von Sachsen, zog. Als die Reformation weiter ging, als in dem nationalen Kampfe gegen Rom in Deutschland ebenso wie ehedem in England und Böhmen die Klasseninteressen und Klassengegensätze hervortraten, als es zu einem Bürgerkrieg kam, in dem ein Hüben und Drüben nur galt, da zeigte sich Luther als kein Cato; er schlug sich auf die siegreiche Seite, nachdem er so lange als möglich auf beiden Achseln getragen. Nachdem er von 1517 bis 1522 die Hilfe aller demokratisch-revolutionären Elemente angenommen, mit ihnen allen geliebäugelt hatte, hat er sie von 1523 bis 1525 alle nacheinander im Stich gelassen und verraten, zuerst die ritterliche Opposition unter Sickingen und Hutten, dann die bäuerlich-kleinbürgerliche Opposition im großen Bauernkrieg.
Man geht jedoch zu weit, wenn man behauptet, durch seinen Verrat habe er die Niederlage der einen wie der anderen verschuldet. Kein einzelner, und sei er noch so gewaltig, kann die Machtverhältnisse der Klassen nach Belieben gestalten. Die Elemente der demokratischen Opposition, die damals in Deutschland scheiterten, waren schon fast ein Jahrhundert früher in Böhmen trotz aller militärischen Erfolge gescheitert; sie waren im sechzehnten Jahrhundert allenthalben in Europa im Niedergang begriffen.
Luther machte nicht die Sache der Fürsten dadurch siegreich, daß er auf ihre Seite trat; sondern dadurch, daß er auf die siegreiche Seite der Fürsten trat, erschien er als Sieger und gewann alle die Belohnungen und Ehren für seine Person und sein Andenken, die der Sieg mit sich bringt. Dadurch aber, daß er vorher fünf Jahre lang mit flammenden Worten die Hilfe aller Revolutionäre aufgerufen, seine Sache als die ihre hingestellt hatte, gewann er die Liebe und Bewunderung aller Ausgebeuteten.
Dieser seltenen Mischung von revolutionärer Leidenschaft und Rücksichtslosigkeit mit charakterlosem Opportunismus schreiben wir es zu, daß Luther während des gewaltigen Sturmes, der im Beginn des sechzehnten Jahrhunderts über Deutschland dahinbrauste, eine Zeitlang gleichzeitig der populärste und der mächtigste Mann war, anscheinend der Schöpfer und Lenker der ganzen Bewegung. Aber daß er diese Rolle spielen konnte, verdankte er nicht bloß seinen persönlichen Eigenschaften, sondern, und vielleicht in noch höherem Grade, den Verhältnissen des Landes, dessen Fürst ihn schützte.
Wir haben im vorigen Bande bei unserer Darstellung der Wurzeln der taboritischen Bewegung gesehen, welche Bedeutung die Silberbergwerke im vierzehnten Jahrhundert für Böhmen besaßen, wie die sozialen Gegensätze dadurch gesteigert wurden, welche Macht das Land und dessen Beherrscher erlangten. Im fünfzehnten Jahrhundert ging der Ertrag der böhmischen Bergwerke zurück, dagegen kamen damals die Bergwerke Sachsens, namentlich Meißens und Thüringens, gewaltig in Aufschwung. Der Silberreichtum Freibergs war schon 1171 bekannt, das Freiberger Bergrecht ist die Grundlage des Bergrechts für ganz Deutschland geworden. Zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wurde es aber überholt durch Schneeberg, wo 1471 neue Erzadern entdeckt wurden, die es für einige Zeit zum ergiebigsten aller deutschen Silberbergwerke machten. 1492 wurde am Schreckenstein eingeschlagen und 1496 daselbst der Grundstein zur Bergstadt Annaberg gelegt. 1516 kam das Joachimsthaler Bergwerk in Aufschwung, das halb böhmisch, halb sächsisch war, 1519 das Marienberger.
In Thüringen war das bedeutendste Bergwerk das Mansfeldische. Seit dem zwölften Jahrhundert in Betrieb, lieferte es neben Kupfer auch Silber und Gold. Der Mansfeldische Kupferschiefer wurde bis nach Venedig transportiert, wo man sich auf das Ausscheiden des Goldes besser verstand als in Deutschland.
Der rasch wachsende Reichtum an edlen Metallen förderte Warenproduktion und Warenhandel in den sächsischen Städten. Erfurt wurde eine reiche und mächtige Stadt als Stapelplatz Sachsens für den Handel nach dem Süden (Venedig); Halle, später Leipzig, wurden die Hauptstapelplätze für den nordischen Handel. Nach beiden Seiten entwickelte sich der Handel auf das lebhafteste. Der Handelsweg von Sachsen nach Italien ging über Nürnberg und Augsburg und trug viel bei zu der mächtigen Stellung, welche diese beiden Städte vom vierzehnten bis in das sechzehnte Jahrhundert einnahmen.
Mit dem Handel entwickelte sich auch die Produktion. Kunst und Handwerk gediehen in den genannten Städten.
Aber nicht nur das städtische Leben wurde durch den sächsischen »Bergsegen« tief beeinflußt. Vielleicht noch tiefer war seine Wirkung auf dem Lande.
Der Bedarf der Bergwerke an Holz war ein bedeutender; teils an Bauholz, zum Auszimmern der Schachte, zur Anlegung von Gleisebahnen (mit Holzgleisen, wie wir sie in Agricolas Buch »Vom Bergwerk« dargestellt sehen) usw., teils und besonders an Brennholz, zum Schmelzen der Erze. Ursprünglich mochten die Wälder der Markgenossenschaft, in deren Gebiet ein Bergwerk lag, genügt haben, den Bedarf an Holz und Holzkohle zu befriedigen. Je größer aber die Bergwerke wurden, desto weiter mußte man zur Deckung des Holzbedarfes über das Gebiet der Mark hinausgreifen, desto mehr Holz mußte man kaufen. Die Ausscheidung des Bergwerks aus der Mark machte vollends einen geregelten Holzhandel nötig. Wir finden diesen denn auch in Sachsen im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts hochentwickelt, bereits das Objekt mehrfacher Handelsverträge.
So erfahren wir zum Beispiel über das Mansfeldische Bergwerk: »1510 haben die Grafen von Mansfeld mit Graf Botho zu Stolberg der (Holz-) Kohlen und des Floßes (geflößten Holzes) halber sich dergestalt verglichen, daß der Graf von Stolberg und seine Untertanen keinen höheren Preis auf die Kohlen machen sollten, sondern diesen: für die Hüttenmeister zu Herkstädt und Mansfeld neun Kübel und denen zu Eisleben acht Kübel für einen Gulden geben und ausfolgen lassen sollen.« J. A. Bieringens S. S. Theol. Cultor. und Mannßfeldischen Landes-Kindes Historische Beschreibung des sehr alten und löblichen Mannßfeldischen Bergwerks, Leipzig und Eißleben 1743, S. 15.
In den Bergwerksbezirken bedurfte man aber noch anderer ländlicher Produkte. Diese Bezirke lagen in der Regel in unfruchtbaren, hochgelegenen, bergigen Gegenden, wo wenig Getreide wuchs, viel zu wenig, um die Menschenmassen zu ernähren, die sich um ein größeres Bergwerk sammelten. Die Bergleute konnten ihr Getreide nicht selbst bauen, sie mußten es kaufen. Je mehr der Bergbau sich entwickelte, desto mehr trat neben dem Holzhandel der Getreidehandel in den Vordergrund. Er bildete zum Beispiel eine der Haupteinnahmequellen Zwickaus, das an der Straße aus den sächsischen »Niederlanden« in das »Hochland« lag.
Bauern und Grundherren wurden so in vielen Gegenden Sachsens frühzeitig zu Warenproduzenten. Sobald sie aber einmal zum Verkauf produzierten, war es ihnen gleich, was sie produzierten, wenn das Produkt nur verkäuflich war. Es mußte nicht just Getreide sein. Der Markt dafür war doch ein beschränkter, viel weiter der für Handelspflanzen. Nirgends in Deutschland war deren Kultur so weit entwickelt wie in Sachsen, namentlich in Thüringen. Den Mittelpunkt ihres Anbaus bildete Erfurt.
»In und um Erfurt stand insbesondere der Waid-, Saflor-, Anis-, Koriander, Korten- und Gemüsebau in Blüte. Die Kultur des Waids, der die Stelle des jetzigen Indigo vertrat, war dort von solcher Wichtigkeit, daß manches Dorf in der Umgebung bei gesegneter Ernte in einem Jahre nach gegenwärtigem Geldwert für mehr als 100 000 Taler Waid verkaufte.« Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, II, S. 296.
Erfurts Handel versorgte die meisten Färbereien Deutschlands mit Waid und Safran. Chr. J. Fischer, Geschichte des teutschen Handels, Hannover 1797, II, S. 659. Auch Gotha verdankte seinen Reichtum zum großen Teil seinem Handel mit landwirtschaftlichen Produkten, namentlich Getreide, Holz und Waid. Galletti, Geschichte Thüringens, Gotha 1784, V, S. 143.
Noch zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts sollen über dreihundert thüringische Dörfer Waid gebaut haben, trotzdem damals die Konkurrenz des Indigo bereits sehr stark war. Zur Geschichte der deutschen Wollenindustrie. Hildebrands Jahrbücher 1866, S. 207 ff.
Die Gegensätze zwischen Grundherren und Bauern, die durch die Entwicklung der Warenproduktion erzeugt werden und auf die wir schon wiederholt zu sprechen gekommen sind, mußten demnach zu Beginn der Reformation in Sachsen besonders stark entwickelt sein; besonders hoch der Wert des Landes und die Gier der Grundherren danach; besonders ausgebildet das System der Geldabgaben und die Geldgier der Fürsten und Grundherren; und besonders groß die Abhängigkeit der Bauern von Kaufleuten und Wucherern. Diese Klassen, die Kapitalisten, die Fürsten, die Grundherren, waren es, die den ganzen Gewinn aus dem wirtschaftlichen Aufschwung zogen. Dank der raschen Vermehrung des Geldmetalls und dem Sinken seiner Produktionskosten stiegen damals die Preise der landwirtschaftlichen Produkte enorm. »Alle Menschen auf Erden,« sagt Aventin in seiner Chronik, »schreien und klagen, warum doch das Getreide so überschwenglich und je länger je mehr täglich teurer wird, und sind doch allenthalben in Städten, Märkten und Dörfern Bauersleute genug.« In Sachsen, dem Mittelpunkt des Bergsegens, muß die Preissteigerung besonders arg gewesen sein. Aber sie half den Bauern nichts. In den Städten dagegen veranlaßte sie die heftigsten Lohnkämpfe.
So finden wir zu Beginn der Reformation die Klassengegensätze in Sachsen besonders schroff zugespitzt. Ähnlich wie hundert Jahre vorher im benachbarten Böhmen. Aber dort hatten die Bergarbeiter noch eine konservative Macht dargestellt. Ihre Proletarisierung war erst in den Anfängen gewesen; sie zählten zu den privilegierten Klassen und waren als Deutsche bei der allgemeinen Lage in Böhmen von vornherein darauf angewiesen, für die überlieferte Ordnung, für den Landesfürsten und den Papst einzutreten.
Seitdem hatte die Proletarisierung der Bergleute und ihre kapitalistische Ausbeutung enorme Fortschritte gemacht. Und in Sachsen waren sie nicht Landesfremde, sie besaßen keine Privilegien, die der Umsturz der bestehenden Ordnung bedrohen konnte. Sie waren, wie wir im ersten Bande gesehen haben (S. 143 ff.), mit dieser Ordnung in den letzten Jahrzehnten vor der Reformation in immer heftigere Konflikte gekommen. Weit entfernt, einer revolutionären Bewegung entgegenzutreten, waren sie vielmehr stets bereit, wo eine solche ausbrach, sich ihr anzuschließen. Und ihre Zahl, ihre Wehrhaftigkeit und die ökonomische Bedeutung ihres Gewerbes gaben ihnen eine Macht, mit der die Staatsmänner rechnen mußten.
Den größten Machtzuwachs durch den »Bergsegen« erhielt aber die revolutionärste der damaligen Klassen, diejenige, die durch alle Tendenzen der Zeit am meisten begünstigt wurde, das absolute Fürstentum.
Der Besitz von Gold und Silber hat seit den Anfängen der Warenproduktion stets besondere Macht verliehen, vielleicht niemals aber mehr als im sechzehnten Jahrhundert, wo die Machtquellen bereits sehr stark versiegten, die aus der Naturalwirtschaft flossen, und die Machtmittel des Kreditsystems noch wenig entwickelt waren. Nach Gold und Silber drängte daher damals alles. Aber nur mühsam deckten die meisten Fürsten ihre Geldbedürfnisse durch Zölle und Auflagen. Anders die Fürsten, in deren Gebiet gold- oder silberreiche Bergwerke lagen.
Ohne jedes Risiko, wenigstens dort, wo sie den Bergbau nicht selbst betrieben, erwarben sie große Schätze; denn die Gewerken, die Ausbeuter des Bergwerks, mußten die Bergbauberechtigung teuer bezahlen, namentlich in Bergwerken auf edle Metalle, wo zu dem Bergzehnten noch der Schlagschatz kam. Dazu gesellten sich oft noch andere Abgaben, Stollenneuntel, Hüttenzins usw. Die Gewerken wurden dabei oft arm, namentlich wenn es kleinere Leute waren, aber die Fürsten reich, reich an barem Gelde.
Die bestgefüllte Geldkiste unter den deutschen Fürsten zu Ende des fünfzehnten und zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts besaßen die Herren von Sachsen. Seit der Erbteilung der Brüder Ernst und Albrecht (1485) zerfiel das Kurfürstentum Sachsen in zwei Teile: Ernst erhielt als Hauptteil Thüringen, Albrecht Meißen. Die Silberbergwerke im Erzgebirge waren jedoch nicht geteilt worden. Sie blieben gemeinsames Eigentum der beiden Häuser, bloß der Ertrag wurde geteilt. Dank diesen Erträgen spielten im sechzehnten Jahrhundert die sächsischen Fürsten eine hervorragende Rolle in Deutschland, die erste neben dem Kaiser.
Der Rest kaiserlicher Macht beruhte damals zum großen Teil nur noch auf der Geldnot und der Habgier der deutschen Fürsten, namentlich der Kurfürsten. Diese waren tatsächlich zu selbständigen Herren geworden; wenn sie sich die kaiserliche Würde gefallen ließen, so vornehmlich deswegen, um einen Käufer zu finden, dem sie einen, in Wirklichkeit recht unerheblichen Teil ihrer Souveränitätsrechte verschachern konnten. Dieselbe Rolle, die ehedem zu Ende der altrömischen Republik die Lumpenproletarier der Hauptstadt und dann das Prätorianergesindel gespielt, spielten im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert die Kurfürsten. Jede Kaiserwahl wurde für sie ein gutes Geschäft. Von allen Kandidaten nahmen die edlen Herren Bestechungsgelder, um schließlich dem Meistbietenden ihre Stimmen zu geben.
Vielleicht am schamlosesten ging es bei dem Wahlgeschäft zu, das die Ernennung eines Nachfolgers Maximilians I. bezweckte, noch bei dessen Lebzeiten begann und von 1516 bis 1519 dauerte. Dieselben Dynastien, die damals um die Vorherrschaft in Europa stritten und abwechselnd das Papsttum zu ihrem Werkzeug machten, bewarben sich auch um die Kaiserkrone: die französische der Valois und die der Habsburger, deren Machtzentrum damals aus Deutschland nach Spanien glitt.
Fast alle Kurfürsten nahmen von beiden Seiten Geld – von dem französischen Franz I. wie von dem spanischen Karl I. Namentlich die beiden Hohenzollern, Joachim I. von Brandenburg und sein Bruder Albrecht, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, entwickelten eine Geldgier und einen Schachergeist, wie sie unsere »Arier« nur bei dem unverfälschtesten Judentum suchen.
Der einzige der Kurfürsten, der kein Geld nahm, war Kurfürst Friedrich von Sachsen (von der Ernestinischen Linie, der Thüringen zugefallen war). Ihm selbst hatten die anderen Kurfürsten, lüstern nach den Schätzen des Mitbesitzers der Silberbergwerke Meißens, die Kaiserkrone angeboten – natürlich gegen entsprechendes Trinkgeld. Allein Friedrich wies diese Krone zurück. Er wußte, sie sei den Preis nicht wert, und er lenkte die Wahl auf den Habsburger. Trotz der Tiroler Bergwerke, der Handelsblüte der damals habsburgischen Niederlande und der Macht Spaniens schien ihm der Habsburger Karl für die Selbständigkeit der deutschen Fürsten weniger bedrohlich als Franz I., der Besitzer des damals schon wohlorganisierten und kompakten Frankreich.
Auf weitere Erwägungen, welche die Wahl Karls förderten, so die Türkengefahr, wollen wir hier nicht eingehen.
Durch seinen Reichtum und seine Macht wurde der Kurfürst von Sachsen der Kaisermacher. Aber er wurde dadurch auch der Mittelpunkt der Opposition, welche die nach Selbständigkeit strebenden deutschen Fürsten dem Kaiser und dem Papst bereiteten. Zu Beginn der Reformation spielte Sachsen in Deutschland eine ähnliche Rolle wie in der neuen Zeit Preußen.
Die 1502 von Friedrich gegründete Universität Wittenberg erhielt die geistige Leitung der romfeindlichen und gleichzeitig fürstenfreundlichen Bewegung. Luther, seit 1508 Professor an ihrer Schule, geriet unter ihren Einfluß, wurde schließlich ihr Wortführer und der Vertrauensmann und Schützling des Kurfürsten. Und der Monarch, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, wagte sich an Friedrich nicht heran und mußte ihn und seine Leute gewähren lassen.
Sachsen ist aber der geistige Mittelpunkt nicht bloß der absolutistischen, siegreichen, sondern auch der demokratischen, unterliegenden Opposition gegen Rom geworden. In Thüringen war es noch einer Reihe kleinerer Städte gelungen, ihre Reichsunmittelbarkeit, das heißt die Freiheit von fürstlicher Herrschaft zu wahren, so Mühlhausen, Nordhausen und andere. Erfurt stand unter der Oberhoheit des Erzbischofs von Mainz; es wußte jedoch die Herzöge von Sachsen auf das geschickteste gegen diesen auszuspielen. Das ganze fünfzehnte Jahrhundert hindurch dauerten die Streitigkeiten um Erfurt zwischen den Erzbischöfen von Mainz und dem Hause Sachsen. Nur die Stadt selbst zog Vorteil aus dieser gegenseitigen Eifersüchtelei; sie entzog sich der Oberherrschaft der Erzbischöfe, ohne der sächsischen Herrschaft anheimzufallen; sie konnte sich zu den Reichsstädten zählen. Erfurt war zu Beginn der Reformation die erste Handelsstadt Mitteldeutschlands, die allerdings bald ihren Platz an das aufstrebende Leipzig abgeben sollte, das bereits die alte Handelsstadt Halle überflügelt hatte. Erfurts Universität galt im fünfzehnten Jahrhundert als die vornehmste Deutschlands. Sie wurde der Sitz des jüngeren deutschen Humanismus, der sich den gleichgesinnten Bewegungen Italiens und Frankreichs anschloß und mit ihnen in genialer und übermütiger Verhöhnung des überlieferten Glaubens zu wetteifern suchte. Wir haben dieses Kreises bereits gedacht, der sich um Mutian bildete, dem Hutten und eine Zeitlang auch Luther angehörte, und der auf rein geistigem Gebiet die entschiedenste Lossagung von den überkommenen kirchlichen Anschauungen bedeutete.
Aber nicht bloß die gelehrte und bürgerliche Opposition fand in sächsischen Städten ihre besondere Förderung, sondern auch die kommunistische.
Wir haben im ersten Bande die kommunistische Bewegung Deutschlands zur Zeit der katholischen Reaktion Karls IV. verlassen. Den blutigsten Verfolgungen gelang es nicht, die Bewegung gänzlich auszurotten, die aus dem innersten Bedürfen einer stets sich ergänzenden und stets wachsenden Volksschicht, des Proletariats, ihre Nahrung zog. Aber es gelang dieser Bewegung auch nicht vor der Reformation, größere Bedeutung zu erlangen, denn die Klasse, auf die sie sich stützte, das Proletariat, war zwar unausrottbar, aber viel zu schwach und unbedeutend für das gesellschaftliche Leben, um sich hervorwagen zu können, solange die herrschenden Gewalten alle festsaßen und sich nicht durch gegenseitigen Kampf erschütterten.
Die Hussitenkriege blieben auf die deutsche Bewegung nicht ohne Einfluß. Eiferten sie auf der einen Seite die herrschenden Klassen zu besonderem Mißtrauen und besonderer Strenge gegenüber allen verdächtigen Regungen in den unteren Klassen an, so wurde andererseits durch sie Böhmen ein Asyl, von dem aus deutsche Emigranten auf Deutschland wirken konnten. Die tschechischen Taboriten unterstützten eifrig die Propaganda im Ausland. »Was uns von hussitischer Propaganda in Deutschland überliefert ist, weist fast durchgängig auf taboritischen Ursprung zurück. In den Heeren der ›Brüder‹ erhob sich der hussitische Geist zu universalen Entwürfen; hier wurde mehr als einmal der kühne Gedanke laut, man werde und müsse die ganze Christenheit mit den Waffen oder auf dem Wege friedlicher Belehrung zur Annahme der Wahrheit bringen. Die ›Ketzerbriefe‹, die volkstümlichen Manifeste der Taboriten, worin sie alle Christen ohne Unterschied der Nation oder des Standes zur Befreiung von der Pfaffenherrschaft und zur Einziehung der geistlichen Güter aufriefen, wurden bis nach England und Spanien getragen; im Dauphiné schickte das Volk Geldbeiträge nach Böhmen und begann auf gut taboritisch die Herren totzuschlagen. Vor allem in Süddeutschland finden wir taboritische Emissäre tätig. Zwei wesentliche Momente kamen hier der böhmischen Propaganda zustatten, einmal das Vorhandensein zahlreicher Waldensergemeinden, dann ein starker sozialistischer Zug, der sich namentlich in den unteren Schichten des Stadtvolkes bemerklich machte und neben den Juden in erster Linie die reiche Hierarchie bedrohte.« Fr. von Bezold, Geschichte der deutschen Reformation, S. 127,128.
Ein anderes sichtbares Ergebnis hatte diese Propaganda von Böhmen aus freilich nicht, als eine Reihe von Märtyrern zu liefern.
Den Einfluß des Taboritentums empfanden natürlich vornehmlich die Nachbarländer Böhmens, darunter wieder in erster Linie die ökonomisch entwickeltsten, Franken und Sachsen. Bereits 1425 wurde in Worms ein »Hussitischer Missionar« verbrannt, der sächsische Edelmann Johann von Schlieben, genannt Drändorf, der sich allerdings schon vor dem Ausbruch der Hussitenkriege, 1416, einer kommunistischen Sekte angeschlossen und sein Vermögen an seine armen Mitbrüder verteilt hatte. Nachdem er lange in Sachsen, am Rhein und in Franken gewirkt hatte, wurde er ergriffen, als er versuchte, die zwei vom Kirchenbann betroffenen Städte Heilbronn und Weinsberg aufzuwiegeln.
Besonders bemerkenswert ist aber Friedrich Reiser, der aus einer schwäbischen Waldenserfamilie stammte, jedoch in Nürnberg (von 1418 bis 1420) seine Ausbildung erhielt, wo damals das beghardisch-waldensische Sektierertum sehr stark war. Als wandernder Agitator (Apostel) durchzog er Deutschland, die Schweiz, Österreich, um endlich in Prag seine Zuflucht zu suchen. Dort ließ er sich von einem taboritischen Geistlichen zum Priester weihen (1433); im Jahre darauf verließ er aber wieder Böhmen, um seine Agitationsfahrten durch Deutschland fortzusetzen. Er wirkte nun vornehmlich in Franken, in Nürnberg, Würzburg, Heilbronn. 1447 nimmt er an einem Kongreß (Apostelsynode) der Brüder zu Heroldsberg bei Nürnberg teil, wo er zum Bischof gewählt wird; einige Jahre später finden wir ihn als Teilnehmer an einem Kongreß deutscher Waldenser in Tabor, auf dem die erschütterte Organisation der Gemeinden wieder hergestellt wurde. Reiser wurde Oberdeutschland als Provinz zugewiesen; er ließ sich in Straßburg nieder. 1458 wurde er dort den Dominikanern denunziert und nach einem martervollen Prozeß verbrannt. Vergleiche über Reiser L. Keller, Die Reformation usw., S. 261 bis 281.
Reisers Lebenslauf ist charakteristisch; er zeigt uns, welch enge Verbindung trotz des damals wütenden nationalen Kampfes zwischen den tschechischen Taboriten und den deutschen »Brüdern« bestand.
Auch nach dem Sturze Tabors hörte die Verbindung mit Böhmen nicht gänzlich auf. Erinnern wir uns der Verhandlungen zwischen den böhmischen Brüdern und den Waldensern, die eine Vereinigung der beiden Sekten bezweckten, schließlich aber scheiterten.
Das Auftreten des Pfeifers von Niklashausen scheint ebenfalls noch auf ein Fortwirken taboritischer Einflüsse hinzudeuten. In Niklashausen, einem ostfränkischen Dorf an der Tauber, trat 1476 ein Jüngling auf, Johann, » wahrscheinlich nach seinem Geburtsland, vielleicht auch nach seinen Meinungen Behem, Böheim, Böhme genannt«. Ullmann, Reformatoren, I, S. 423. Er war ein Musikant, »wie noch heute viele unserer Musikanten aus Böhmen zu kommen pflegen«, und hieß nach seinem Beruf der Pauker oder Pfeifer. Aber 1476 verbrannte er seine Pauke und fing an, das Evangelium der Gleichheit und der Revolution zu predigen, aufgefordert von der heiligen Jungfrau, wie er selbst sagte, aufgestachelt von einem anderen, wie seine Gegner behaupteten, welcher andere nach den einen ein »Jünger Hussens«, nach anderen einer der strengen Franziskaner, nach einer dritten Quelle, der ältesten, ein Begharde gewesen sein soll. Eine alte, wahrscheinlich gleichzeitige Urkunde (vollinhaltlich abgedruckt bei Ullmann, S. 441 ff.) gibt an, er habe erklärt: »Der Kaiser ist ein Bösewicht, und mit dem Papst ist es nichts. Der Kaiser gibt den geistlichen und weltlichen Fürsten, Grafen und Rittern Zoll und Auflegung über das gemeine Volk: Ach weh, ihr armen Teufel!«
»Die Geistlichen haben viel Pfründen, das soll nicht sein; sie sollen nicht mehr haben, als von einem Mal zum anderen reicht. Man wird sie erschlagen, und in kurzem wird es dahin kommen, daß die Priester gern ihre Platten bedecken möchten, um nicht erkannt zu werden. Eher wolle er einen Juden bessern, denn einen Geistlichen und Schriftgelehrten.
»Die Fische im Wasser und das Wild auf dem Felde sollen gemein sein. Würden die geistlichen und weltlichen Fürsten, Grafen und Ritter nicht mehr haben wie die Gemeinen, so hätten wir alle genug, was denn auch geschehen soll. Es wird dahin kommen, daß die Fürsten und Herren noch um einen Tagelohn arbeiten müssen.«
Der Erfolg des kühnen Agitators war groß, massenhaft strömten ihm Bauern und Proletarier zu. »Die Handwerksgesellen, wie es uns ein Chronist anschaulich berichtet, liefen aus den Werkstätten, die Bauernknechte vom Pflug, die Grasemägde mit ihren Sicheln, alle ohne Urlaub ihrer Meister und Herren, und wanderten in den Kleidern, darin sie die Tobsucht ergriffen hatte; die wenigsten hatten Zehrung, aber die, bei denen sie einkehrten, versahen sie mit Essen und Trinken und war der Gruß unter ihnen nicht anders denn Bruder und Schwester.« Ullmann, a. a. O., S. 426.
Zehntausende kamen zusammen bei kommunistisch-enthusiastischen Picknicks, ähnlich denen, die wir in den Anfängen Tabors kennen gelernt haben. Schließlich soll man noch weiter gegangen sein und eine bewaffnete Erhebung geplant haben. Ob diese wirklicher Grund oder bloßer Vorwand des Einschreitens war, ist heute nicht mehr festzustellen. Genug, der Bischof Rudolf von Würzburg schickte nun seine Reiter aus, die den Pfeifer im Schlafe überfielen und gefangen nahmen, seinen Anhang, der ihn schützen wollte, mit leichter Mühe zersprengten. Den Unglücklichen erwartete mit zweien seiner Genossen das gewöhnliche Widerlegungsmittel jener Zeit, der Scheiterhaufen.
Die Tätigkeit Drändorfs (Schliebens) wie die Reisers und des Pfeifers Johann Böhme deutet ebenso wie zahlreiche andere Tatsachen darauf hin, daß Franken im fünfzehnten Jahrhundert ein Hauptherd der waldensisch-beghardischen Bewegung in Deutschland wurde, wie es früher schon das Rheintal geworden war, die große Verkehrsstraße zwischen Italien und den Niederlanden, die von Süden her Waldenser, von den Niederlanden her Begharden nach Deutschland gebracht hatte, die gerade an dieser Verkehrsstraße die ökonomisch höchststehenden Teile des Reiches fanden. Köln, Straßburg, Basel waren im vierzehnten Jahrhundert Hauptorte der Bewegung gewesen, zu ihnen gesellte sich nun Nürnberg.
Ein weiterer Hauptherd bildete sich in Sachsen. Neben Böhmen und Franken gehörte im fünfzehnten Jahrhundert Meißen zu den Gegenden, in denen Kongresse der »Brüder« abgehalten wurden – zum Beispiel eine allgemeine Synode drei Jahre nach der Taborer, von der wir oben gesprochen, in Engelsdorf –, was unmöglich gewesen wäre ohne eine erhebliche Ausdehnung der Bewegung in jener Gegend.
Natürlich konnten die kommunistischen Sekten nur in der Form geheimer Verbindungen existieren. »Abgelegene Mühlen, Weiler, Höfe wurden die gewöhnlichen Sitze der ›Brüder‹, und im kleinsten Kreise sammelten sie sich, wenn sie ihren Gottesdienst hielten, um jedes Aufsehen zu vermeiden.
»Dies sind die Versammlungen, welche in Tritheims Sponheimer Chronik zum Jahre 1501 beschrieben werden. ›Sie kommen zusammen,‹ sagt Tritheim, ›in Gruben und verborgenen Höhlen zur Nachtzeit; hier treiben sie wie Bestien schändliche Unzucht. Dieses niederträchtige Geschlecht wächst und mehrt sich täglich auf wunderbare Weise.‹« L. Keller, Die Reformation, S. 304.
Wie andere rebellische Richtungen, bekamen auch die »Grubenheimer« seit dem erfolglosen Auftreten von Papst und Kaiser gegen Luther, seit der Verbrennung der Bannbulle (1520) und noch mehr seit dem Wormser Reichstag von 1521 den Mut, offen hervorzutreten. Dieser Reichstag war die Katastrophe für Kaiser und Papst in Deutschland.
Die beste Stütze von gesellschaftlichen oder politischen Mächten, welche ihre materielle Grundlage verloren haben, ist ihr traditionelles Ansehen, ihr Prestige. Kraft dessen können sie sich unter Umständen lange auch gegen überlegene Gegner halten – je länger, um so rascher freilich dann der Zusammenbruch, wenn sich dieses Prestige in einer Kraftprobe als hohler Schein erweist.
Für Kaiser und Papst bewirkten dies die Ereignisse von 1520 und 1521. Noch niemand in Deutschland hatte bisher den beiden vereint ungestraft getrotzt. Nun erhob sich ein einfacher Mönch, ihnen entgegenzutreten, und sie wagten es nicht, ihn niederzuschlagen. Die Bannbulle blieb völlig wirkungslos, und triumphierend verließ Luther den Reichstag, wenig bedroht durch die lahme Reichsacht, die ihm nachhinkte. Je weniger die unteren Schichten des Volkes die Fürsten und Ritter bemerkten, die hinter Luther in Worms gestanden hatten, je isolierter dieser für das Volksbewußtsein dort erschienen war, desto mächtiger mußte der Ausgang des Reichstags auf die große Masse wirken. Erwies sich die Wahrheit so stark, daß ein simples Mönchlein sie den größten Beherrschern der Christenheit gegenüber unverzagt und ungestraft vertreten konnte, dann durften sich alle ungescheut hervorwagen, die eine gute Sache zu vertreten hatten.
In Sachsen ging's zunächst los. Wenige Wochen nach der Erklärung der Reichsacht gegen Luther und seine Freunde, im Juni 1521, erhob sich das Volk von Erfurt und machte in einer Reihe von Aufständen dem katholischen Kirchenregiment ein Ende. Auch in Wittenberg kam es zu Unruhen, für uns besonders wichtig sind aber die Bewegungen zu Zwickau, deren Anfänge in das Jahr 1520 zurückreichen.
Wir haben bereits oben gesehen, daß diese Stadt Bedeutung hatte als Vermittlerin des Getreidehandels zwischen dem sächsischen Tiefland und den Bergwerksgegenden. Je mehr sich der Bergbau entwickelte, desto mehr blühten Zwickaus Handel und Industrie auf. Namentlich als 1470 die Silberschätze des benachbarten Schneeberg entdeckt worden, wuchs der Reichtum in Zwickau rasch. »Erst nach dem Anbruch der Schneeberger Bergwerke erhielt unsere Stadt ihre noch jetzt sichtbare Verbesserung hinsichtlich der Gebäude. Viele Bürger, zum Beispiel Mich. Polner, Joh. Federangel, Andr. und Nik. Gaulenhöfer, Klem. Schicker ( meist Tuchmacher) und besonders die beiden nachher in den Adelsstand erhobenen Brüder Martin und Nikolaus Römer wurden dadurch reich, und Nahrung und Verdienst der übrigen verbesserte sich durch die verbesserte Geldmenge.« E. Herzog, Chronik der Kreisstadt Zwickau, I, S. 81.
Die reichsten Leute Zwickaus waren Tuchmacher. »Vor dem Dreißigjährigen Kriege war seit den ältesten Zeiten das Hauptgewerbe die Tuchweberei. Bereits 1348, wo sie Statuten erhielten, bildeten die Tuchmacher eine Innung, die vornehmste und wahrscheinlich die älteste des Ortes, und in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts lieferte Zwickau nebst Oschatz die meisten und besten Tuche im Meißnerland, obgleich dieselben immer noch nicht den beliebten lündischen (Londoner) und niederländischen gleichkamen. 1540 zählte man unter den Hausbesitzern 230 Tuchmacher, ja, einer alten, wohl nicht unbegründeten Sage nach soll deren Zahl in den blühendsten Zeiten bis auf 600 gestiegen sein.« A. a. O., I, S, 234.
Diese »blühendste Zeit« war gerade jene, von der wir hier handeln. Im Jahrzehnt des Bauernkriegs wurden jährlich durchschnittlich 15 000 bis 20 000 Stein Wolle verarbeitet und 10 000 bis 20 000 Stücke Tuch produziert.
Die Tuchmacher bildeten nicht nur der ökonomischen Bedeutung, sondern auch der Zahl nach einen wichtigen Teil der Bevölkerung der Stadt. Sie zählte damals ungefähr 1000 Häuser; davon war in der blühendsten Zeit ein Viertel bis die Hälfte im Besitz von Tuchmachermeistern (jedenfalls mehr als 230, vielleicht annähernd 600).
Die Tuchmacherei war Exportgewerbe, sie wurde kapitalistisch von großen Kaufleuten ausgebeutet. Es war damals nichts Ungewöhnliches, daß reiche Kaufleute mit der Ausbeutung der Konsumenten durch den Handel die Ausbeutung der Arbeiter in den zwei großen kapitalistischen Industrien jener Zeit verbanden, der Weberei und dem Bergbau. Das bekannteste Beispiel davon sind die Fugger, die ihren Reichtum nicht nur aus dem Handel mit allem möglichen zogen (auch mit kirchlichen Stellen, wie wir gesehen haben), sondern auch aus der Ausbeutung der Augsburger Weber und der Tiroler Bergleute. Etwas Ähnliches vollzog sich in Zwickau. Die Gewerken in Schneeberg waren zum großen Teil Zwickauer Tuchmachermeister und Tuchhändler, darunter vornehmlich der schon erwähnte Kaufmann Martin Römer, der sächsische Fugger, der 1483 mit Hinterlassung eines großen Vermögens starb. A. a. O., II, S. 140 bis 149.
Aber die Bergleute, die durch die Fugger ausgebeutet wurden, waren von den Augsburger Webern räumlich weit entfernt. In Zwickau dagegen saßen die ausgebeuteten Webergesellen, die »Tuchknappen«, ganz nahe bei den von denselben Kapitalisten ausgebeuteten Bergleuten. Es war dies eine ganz eigenartige Situation. Der rebellische, trotzige Sinn der Bergleute mußte den Tuchknappen Courage machen. Der kommunistische Enthusiasmus dieser mußte auch jene anstecken. Da dürfen wir uns nicht wundern, daß die Kommunisten in und um Zwickau die ersten waren, die in Deutschland während der Reformation es wagten, offen ihr Haupt zu erheben.
Schon 1520 finden wir daselbst eine organisierte Gemeinde mit Vorstehern, die Apostel hießen, wie bei den Waldensern. Das langersehnte tausendjährige Reich schien ihnen jetzt zu kommen durch ein furchtbares blutiges Strafgericht Gottes, eine gewaltsame Revolution. Ihr Hauptanhang waren die Tuchknappen der Stadt; aber sie gewannen Genossen auch unter den Bergleuten und unter manchen Gebildeten; unter den letzteren wird genannt Max Stübner, der in Wittenberg studiert hatte, einer der »Apostel«. Ihr Führer war der Weber Nikolaus Storch.
Auch außerhalb Zwickaus gewannen sie Einfluß, sogar zu Wittenberg selbst. Neben den niederen Volksklassen waren es dort ebenfalls gebildete Ideologen, die sich ihnen zuwandten. Noch waren damals die Klassengegensätze in der Reformationsbewegung nicht hervorgetreten, noch erschien diese einerseits als eine nationale, die ganze Nation ohne Unterschied der Klasse in gleichem Sinne umfassende, und andererseits als eine rein religiöse Bewegung zur Reinigung der Kirche, zur Wiederherstellung des evangelischen Christentums.
Wir haben bereits im ersten Band darauf hingewiesen, wie leicht in diesem Stadium der Bewegung Ideologen, die nicht direkt an der Ausbeutung der unteren Volksklassen interessiert waren, dazu gelangen konnten, der kommunistischen, auf die urchristliche Tradition gestützten Bewegung sympathisch entgegenzukommen.
Selbst auf Melanchthon, Luthers Freund und Mitarbeiter, machten die Zwickauer Schwärmer tiefen Eindruck. Man sehe aus vielen Zeichen, meinte er, daß gewisse Geister in ihnen wohnten. Über Nikolaus Storch schrieb er an den Kurfürsten Friedrich: »Hab' so viel von ihm vermerkt, daß er der Schrift Sinn recht hat, in den höchsten und vornehmsten Artikeln des Glaubens, wiewohl er eine sonderliche Weise zu reden führt.« Friedrich selbst wußte infolge der Haltung seiner Theologen nicht recht, was er von den Schwärmern denken solle. Melanchthon war klug genug, sich nicht zu kompromittieren und Luther die Entscheidung über die Natur dieser Schwärmgeister zu überlassen; aber er fühlte sich so sehr zu ihnen hingezogen, daß er einen der »Apostel«, den schon genannten Stübner, in sein Haus aufnahm. Luther konnte ihm über die Zwickauer anfangs nicht viel sagen; er wohnte auf der Wartburg, wo er abwartete, welchen Erfolg die gegen ihn ausgesprochene Reichsacht haben werde. Bald freilich wurde es Luther klar, wohin die »Brüder« hinauswollten, und dann trat er energisch gegen sie auf.
Viel entschiedener als Melanchthon wandte sich den Schwärmern Luthers Freund und Kollege Karlstadt zu, für dessen revolutionäres Ungestüm die Luthersche Bewegung viel zu langsam voranging. Viel früher als Luther, der ihm später nur zögernd folgte, nahm er den Kampf gegen das Priesterzölibat und die lateinische Messe auf. Er eiferte auch gegen die Heiligenbilder und das Fasten, aber er ging noch weiter. Ganz in taboritisch-beghardischer Weise verurteilte der gelehrte Professor jegliche Gelehrsamkeit. Nicht die Gelehrten, sondern die Handwerker sollten das Evangelium predigen, jene von diesen lernen, die hohen Schulen geschlossen werden.
Der weitaus hervorragendste unter den Anhängern der Zwickauer Apostel war aber Thomas Münzer. Er bildet von 1521 bis 1525 den Mittelpunkt der ganzen kommunistischen Bewegung in Deutschland. Seine Gestalt ragt so mächtig daraus hervor, seine Geschichte ist mit der ihren so eng verflochten, und alle zeitgenössischen Zeugnisse darüber beziehen sich so ausschließlich auf ihn, daß auch wir dem allgemeinen Beispiel folgen und als Geschichte der kommunistischen Bewegung der ersten Jahre der Reformation eine Geschichte Münzers geben müssen.