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Die Warenproduktion und der Warenhandel erzeugten nicht nur neue Klassen mit neuen Interessen und neuen Anschauungen. Sie wandelten auch die Klassen, die sie vorfanden, entsprechend um. Die neuen Bedürfnisse, welche sie hervorriefen, wanderten aus den Städten auf das flache Land und erzeugten dort ebenso wie hier das Bedürfnis und die Gier nach Gold und Silber, den Waren, die alles kauften. Damit erwuchs auch die Notwendigkeit, den Feudalismus den neuen Produktionsbedingungen anzupassen, aus dem Grundbesitz eine Geldquelle zu machen; die Landwirtschaft mußte zur Warenproduktion übergehen; der Landwirt mochte fortfahren, zum Selbstgebrauch zu produzieren, aber er mußte daneben noch einen Überschuß herstellen, der als Ware auf den Markt gebracht werden konnte.
Diesen Markt bot die Stadt. Sie brauchte nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Rohstoffe in immer steigendem Maße, nicht nur Korn und Fleisch, Käse und Butter, sondern auch Wolle und Flachs, Häute, Holz usw...
Unter gewissen Umständen wurde dadurch der Bauer instand gesetzt, Warenproduzent zu werden. Die Landwirtschaft wurde dann eine Geldquelle, und wo dies der Fall war, lag es ebenso im Vermögen, wie im Interesse des Bauern, die persönlichen Dienste und die Naturallieferungen, zu denen er dem Feudalherrn gegenüber verpflichtet war, in Geldabgaben zu verwandeln. Unter besonders günstigen Verhältnissen vermochte er sich sogar vom Joche der Feudalität völlig zu befreien.
Ebensosehr wie diese Bauern trachteten auch die Feudalherren nach Umwandlung der feudalen Leistungen in Geldabgaben. Aber diese Umwandlung war nur unter besonders günstigen Umständen dem Bauern förderlich. Sie wurde ihm verderblich, wenn die landwirtschaftliche Warenproduktion nicht genügend entwickelt war. Für die englischen Bauern war sie allerdings ein Mittel der Lockerung der feudalen Bande, für die Masse der Bauern Deutschlands wurden die Geldabgaben eine Geißel, die sie zur Verzweiflung trieb und ruinierte, ohne den Feudalherren einen erheblichen Vorteil zu bringen.
Indessen hatten die englischen Bauern sich ihrer günstigen Lage nicht lange zu freuen. Die Warenproduktion verlieh dem Grund und Boden selbst den Charakter einer Ware und damit einen Wert, der nicht bestimmt wurde durch die Zahl der Bewohner, die er ernährte, sondern durch den Überschuß, den er lieferte. Je geringer die Zahl seiner Bebauer im Verhältnis zum Erträgnis, und je anspruchsloser deren Lebenshaltung, desto erheblicher der Überschuß, desto größer der Grundwert.
Im ganzen westlichen Europa sehen wir daher am Ausgang des Mittelalters und dem Beginn der neuen Zeit zwei eigentümliche Erscheinungen: es ersteht ein Hunger nach Land, und zwar namentlich nach solchem Land, das zu seiner Bewirtschaftung wenig Hände benötigt, z. B. Wälder und Weiden. Und gleichzeitig damit geht das Bestreben, die landwirtschaftliche Bevölkerung möglichst zu lichten, teils dadurch, daß man Kulturen, die viele Hände erfordern, durch andere ersetzt, die weniger Hände beanspruchen, teils durch Vermehrung der Arbeitslast der einzelnen Landbebauer, so zum Beispiel dadurch, daß jetzt zwei Leute leisten, was bisher drei geleistet haben, und der dritte überflüssig wird.
Auch die Feudalzeit hatte ihren Landhunger, der ebenso gierig war, wie der der Neuzeit; aber sein Charakter war ein ganz anderer. Die alten Feudalherren waren lüstern nach dem Lande mit den Bauern, die neuen Herren verlangten nach dem Lande der Bauern.
Was der Feudaladel verlangte, das war nicht Land allein, sondern Land und Leute. Je dichter besiedelt sein Grund und Boden war, desto größer die Zahl der Abgaben Entrichtenden und Dienste Leistenden, desto größer das kriegerische Gefolge, das er erhalten konnte. Das Streben des mittelalterlichen Adels ging nicht dahin, die Bauern zu verjagen, sondern sie an die Scholle zu fesseln und soviel als möglich neue Ansiedler heranzuziehen.
Anders der neue Adel.
Da die Bauernschinderei nicht Geld genug abwarf, sah er sich immer mehr gezwungen, selbst zur Warenproduktion überzugehen, eigene landwirtschaftliche Betriebe einzurichten – in England wurden diese bald an kapitalistische Pächter übergeben –: dazu bedurfte man eines Teiles des Bauernlandes, aber nicht seiner Inhaber. Man hatte alles Interesse daran, sie zu vertreiben.
Dazu kam, daß, wie erwähnt, Weiden und Wälder einen Wert erhielten. Die Feudalherren fingen jetzt an, die Gemeinweiden und Gemeinwälder als Privateigentum an sich zu ziehen und die Bauern von deren Benutzung auszuschließen.
Von den Gemeinweiden hing aber die Erhaltung des Viehstandes des Bauern ab; das Rindvieh wiederum war für ihn nicht nur nützlich wegen des Ertrags an Milch, Fleisch und Häuten, sondern geradezu unentbehrlich für den Ackerbau als Zugvieh und Düngerlieferant. Die Wälder waren für den Bauern wichtig wegen der Jagd, der Holz- und Streunutzung und auch als Weidegrund für die Schweine. Mit den Gemeinwäldern und Gemeinweiden wurden also dem Bauern wichtige Betriebsmittel entzogen; und gleichzeitig ruinierten ihn, wie schon erwähnt, die Geldabgaben. Kein Wunder, daß ein Bauer nach dem anderen zugrunde ging und aus seinem Heime vertrieben wurde, nicht durch das »Judentum«, sondern durch den christlich-germanischen Adel. Wo der ökonomische Prozeß das Bauernlegen nicht so schnell vorangehen ließ, als den Interessen des Grundherrn entsprach, half dieser vielfach nach durch Prozesse auf Grundlage eines den Bauern unbekannten Rechtes, des römischen, das den großen Grundbesitzern jetzt sehr gut paßte, oder aber auch durch direkte physische Gewalt ohne jeden Versuch eines Vorwandes.
Eine massenhafte Proletarisierung des Landvolkes war die Folge dieser Entwicklung. Das Proletariat wurde noch vermehrt durch die Aufhebung der Klöster, von der wir noch in einem anderen Zusammenhang sprechen werden, und die Auflösung der Gefolgschaften.
Solange für die Produkte der Landwirtschaft kein Markt vorhanden war, wußten die Grundherren mit den massenhaften Lebensmitteln, welche ihnen ihre Hintersassen lieferten, nichts anderes anzufangen, als sie zu konsumieren. Und da sie trotz ihrer guten Mägen das allein nicht zustande brachten, luden sie andere dazu ein, ihnen zu helfen, gute Freunde, fahrende Ritter, reisige Knechte, die von ihnen abhängig wurden, ihr Gefolge bildeten, ihnen Ansehen und Macht verliehen. Der Graf von Warwick soll auf seinen Schlössern jeden Tag 30 000 Menschen gespeist haben. Dafür war er aber auch mächtig genug, Könige ein- und abzusetzen. Er war der »Königsmacher«.
Das änderte sich, als sich den Grundbesitzern die Möglichkeit bot, den Überschuß an landwirtschaftlichen Produkten, den sie nicht verzehren konnten, zu verkaufen, dafür etwas einzutauschen, was unter den neuen Verhältnissen mehr Macht und Ansehen Verlieh als ein Gefolge, nämlich Geld. Gleichzeitig wuchs die Macht der Landesfürsten und damit die Macht der Polizei. Die inneren Fehden wurden immer seltener, damit die Gefolgschaften immer überflüssiger. Sie fingen an, ihren Herren als Banden unnützer Fresser zu erscheinen, die man sich soviel als möglich vom Halse schaffen mußte. Die Landesfürsten förderten die Auflösung der Gefolgschaften, indem sie dieselbe vielfach in Fällen erzwangen, wo die Gefolgschaft noch eine Macht war, die gefährlich werden konnte.
Die Auflösung der Gefolgschaften, die Legung der Bauern und, seit der Reformation, die Einziehung der Klöster schufen rasch eine ungeheure Masse von Proletariern.
Die germanischen Völker, die in das römische Reich einbrachen, hatten mit der römischen Produktionsweise auch die Möglichkeit der Verarmung übernommen. Bereits zur Zeit der Merowinger finden wir unter den Bettlern an den Kirchentüren auch solche mit fränkischen Namen erwähnt. (Paul Roth, Geschichte des Benefizialwesens von den ältesten Zeiten bis ins zehnte Jahrhundert. Erlangen 1850. S. 185.) Das ganze Mittelalter hindurch ist die Sorge für die Armen eine der wichtigsten Funktionen der Kirche. Aber die Armut war doch bloß eine vereinzelte Erscheinung. Wohl kannte das Mittelalter auch Notstände der Massen, aber diese waren in der Regel dem äußeren Feinde oder der Natur zuzuschreiben, Plünderungszügen der Ungarn oder Normannen, Mißwachs usw. Diese Notstände erstreckten sich mehr oder weniger auf das ganze Volk und waren vorübergehender Natur. Erst mit dem Beginn der neuen Zeit ersteht wieder ein Proletariat als besondere, zahlreiche Klasse der Gesellschaft, als stehende Institution, wie es am Ende der römischen Republik und in der Kaiserzeit bestanden.
Aber zwischen diesem neugeschaffenen und dem antiken Proletariat bestand ein großer Unterschied. Das neue Proletariat fand nicht eine Klasse vor, die noch unter ihm stand, von deren direkter oder indirekter Ausbeutung es hätte leben können, keine Sklaven und keine rechtlosen Provinzialen. Das moderne Proletariat besaß aber zur Zeit seiner Entstehung auch keine Souveränitätsrechte, aus deren Verkauf es hätte Gewinn ziehen können, wie der souveräne Pöbel des alten Rom. Das moderne Proletariat entstand nicht als Bodensatz der herrschenden, ausbeutenden Klassen, es bildete sich aus der Auflösung beherrschter, ausgebeuteter Klassen. Zum erstenmal in der Weltgeschichte sehen wir im fünfzehnten Jahrhundert eine Klasse freier Proletarier erstehen als die unterste Klasse der Gesellschaft, eine Klasse, deren Interessen nicht die Ersetzung der Klassenherrschaft, die sie vorgefunden, durch eine andere, sondern die Aufhebung jeder Klassenherrschaft fordern.
Von der großen weltgeschichtlichen Rolle, die damit dem Proletariat zugefallen war, hatte freilich – und wie wäre es anders möglich gewesen? – zur Zeit seiner Entstehung niemand eine Ahnung, am allerwenigsten die Proletarier selbst.
Daß sie die unterste Klasse der Gesellschaft waren, kam ihnen allerdings nur zu deutlich zum Bewußtsein. Nichts nannten sie ihr eigen, als ihre Arbeitskraft, und sie hatten keine Wahl, als sie zu verkaufen oder elend zu verhungern.
Mit der neuen Ware erstanden auch gleichzeitig die Käufer für sie: die Kriegsherren und die Kaufleute. Sie bedurften ihrer in den Söldnerheeren und den Manufakturen. Die Proletarisierung der Massen durch die oben gekennzeichneten Methoden war ebenso wichtig für die Entwicklung des Kriegswesens wie der Industrie. Aber bei weitem nicht alle freigesetzten Leute fanden in diesen beiden Zweigen menschlicher Tätigkeit ihr Unterkommen. Was die kapitalistischen Manufakturen vornehmlich brauchten, das waren geschickte Arbeiter, und die fanden sie nur spärlich unter den davongejagten Bauern, Kriegsknechten, Mönchen. Wohl begann das Handwerk bereits Proletarier zu liefern – die Zunftmeister klagten schon damals über die Konkurrenz der Kaufleute, welche fremde Waren einführten und die Produkte der heimischen Industrie in Manufakturen außerhalb des Bereichs des Zunftwesens herstellen ließen – aber das Handwerk stand im allgemeinen noch auf festen Füßen. Kein Wunder, daß die Kapitalisten über Arbeitermangel jammerten, indes die Arbeitslosen zu Tausenden herumliefen.
Die Kriege nahmen bedeutende Menschenmassen in Anspruch; aber das Landvolk war zum großen Teile des Waffenhandwerks entwöhnt, und der Krieg wurde gerade seit dem Ausgang des Mittelalters eine Kunst, die gelernt sein wollte. Nicht jeder konnte Soldat werden; wer es aber wurde, der blieb es, der wurde unfähig zu einem anderen Gewerbe. Die stehenden Heere waren indes im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert noch sehr gering; die Mehrzahl der Soldaten wurde nach Beendigung des Krieges entlassen. Unfähig zu einer friedlichen Arbeit, verwildert und vertiert, setzten die verabschiedeten Kriegsknechte jedermann in Schrecken; niemand wollte etwas mit ihnen zu tun haben. In Not und Verzweiflung entschlossen sie sich leicht, das, was sie unter ihren KondottieriSo wie heute große Bauunternehmer mit ausgedehnten Arbeiterarmeen die Riesenbauten unserer Zeit, Kanäle und dergleichen ausführen, so übernahmen im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert in Italien große Kriegsunternehmer mit wohlausgerüsteten Heeren die Lieferung von Schlachten, Belagerungen und ähnlichen Bedürfnissen für den »süßen« Handel, natürlich zu entsprechenden Preisen. Diese Großlieferanten des Waffenhandwerks hießen Kondottieri. im großen für andere betrieben, nun im kleinen für sich zu treiben. Sie wurden Räuber. Natürlich suchten sie die Wehrlosesten am meisten heim: die Bauern. Eine Folge der Proletarisierung der Massen, wurden sie ihrerseits wiederum ein Mittel, diese Proletarisierung zu beschleunigen. Dies gilt auch von den damaligen Kriegen.
In Deutschland nahm die Proletarisierung des Landvolkes seit dem Bauernkrieg große Dimensionen an, indes die Entwicklung der kapitalistischen Industrie und einer Kolonialpolitik durch die Veränderung der Wege des Weltverkehrs gehindert wurde. Das Proletariat fand also die Abzugskanäle der Industrie und der Kolonien nicht vor, die es in anderen Ländern wenigstens zum Teile aufsaugten, und mußte sich gänzlich auf Krieg und Räuberei werfen. Dies erscheint uns als eine wichtige Ursache der Dauer des Dreißigjährigen Krieges. Der Krieg wurde möglich durch die massenhaften Proletarier, welche die Soldtruppen lieferten. Der Krieg selbst erzeugte wieder neues Bauernelend, neue Proletarier und damit auch neue Söldner. Die kämpfenden Parteien fanden also das Reservoir von Soldaten nicht eher erschöpft, als bis der Bauer fast völlig verschwunden war. Dann gab's freilich auch keine Soldaten mehr.
Die Not zwang die nicht in den Waffen geübten Arbeitslosen zur Ausbeutung des Mitleids oder der Vertrauensseligkeit besser Situierter. Die Landstreicherei und Gaunerei wurden eine Landplage, Räuber und Diebe machten alle Straßen unsicher.
Vergebens suchte man durch eine furchtbar grausame Blutgesetzgebung die Landstreicherei zu unterdrücken. Arbeitsgelegenheit wurde dadurch nicht geschaffen, die Proletarisierung des Landvolkes dadurch nicht gehindert. Alle Versuche, die Kleinbauern vor den Grundherren zu schützen, erwiesen sich als vergeblich. Das Massenelend und die Massenverwilderung wuchsen trotz aller Gesetze und Erlasse, trotz Galgen und Rad.
Das Schicksal der Bauern, die auf ihren Höfen belassen wurden, war nicht viel besser als das ihrer freigesetzten Brüder. In manchen Gegenden, namentlich Englands, verschwand der Bauer völlig, um durch kapitalistische Pächter ersetzt zu werden, die mit Taglöhnern wirtschafteten, an denen von jener Zeit an kein Mangel war.
Wo die Bauern nicht durch Taglöhner ersetzt wurden, mußten jene es sich gefallen lassen, auf das Niveau der letzteren herabgedrückt zu werden. Im Mittelalter hatte der Feudalherr seiner Bauern bedurft. Je mehr Bauern, desto mehr Macht. Als die Städte mächtig genug wurden, entlaufene Bauern gegen ihre Herren zu schützen, als auch die Kreuzzüge eine Menge Volks außer Landes führten, das des harten Druckes der Leibeigenschaft überdrüssig geworden, und eine allgemeine Bevölkerungsabnahme auf dem Lande eintrat, da mußten die Feudalherren günstige Bedingungen gewähren, um ihre Leute zurückzuhalten und neue anzuziehen. Daher die Verbesserung der Lage der Bauern im dreizehnten Jahrhundert. Vom vierzehnten Jahrhundert an wird der Bauer in steigendem Maße für den Feudalherrn überflüssig, und damit verschlechtert sich seine Lage wieder zusehends. Wenn man ihn nicht verjagt, so deswegen, um den Taglöhner zu ersparen. Die Ländereien des Bauernhofes werden beschnitten, damit das Gebiet der Gutsherrschaft vergrößert werden kann, oft bleibt dem Bauer nichts als eine Hütte und etwas Gartenland. Die Frondienste der Bauern wurden natürlich nicht entsprechend beschnitten. Im Gegenteil, sie wurden ins Ungemessene verlängert. Die Produktion für den Selbstgebrauch hat eine gewisse Grenze, das Bedürfnis der zu Versorgenden, auch dort, wo sie auf der Zwangsarbeit beruht. Der Warenproduktion mit Zwangsarbeit ist dagegen dieselbe maßlose Profitwut eigen wie dem Kapitalismus: Geld kann man nie genug haben. Es fehlt ihr aber die eine Schranke des Kapitalismus, die diesem mitunter fühlbar wird, die Widerstandskraft des freien Arbeiters.
Die Warenproduktion mit Zwangsarbeit ist daher die scheußlichste Form der Ausbeutung. Die orientalische patriarchalische Sklaverei erscheint als eine Idylle gegenüber der Sklaverei, wie sie in den Zucker- und Baumwollplantagen der Südstaaten der Union noch vor wenigen Jahrzehnten herrschte. Und so war auch die Leibeigenschaft der Feudalzeit unvergleichlich milder als die, welche aus der Entwicklung der Warenproduktion erwuchs. (Vergleiche Marx, Kapital, 1. Band, S. 219 [Fabrikant und Bojar].)
Die kapitalistische Produktionsweise in den Städten förderte mitunter die Leibeigenschaft. Der Kapitalismus bedurfte zu seiner Entwicklung massenhafter Zufuhr von Rohstoffen, wie sie damals mitunter nur der landwirtschaftliche Großbetrieb mit Leibeigenen leisten konnte. Die Leibeigenschaft in Europa war in der Tat zu gewissen Zeiten ebenso eine Lebensbedingung für die kapitalistische Produktionsweise, wie später die Sklaverei in Amerika.
Noch 1847 konnte Marx schreiben: »Die direkte Sklaverei ist der Angelpunkt der bürgerlichen Industrie, ebenso wie die Maschinen usw. Ohne Sklaverei keine Baumwolle, ohne Baumwolle keine moderne Industrie. Nur die Sklaverei hat den Kolonien ihren Wert gegeben; die Kolonien haben den Welthandel geschaffen; und der Welthandel ist die Bedingung der Großindustrie.« (Marx, Das Elend der Philosophie, Stuttgart 1885. S. 103.) – Noch vor wenigen Jahrzehnten, während des Sezessionskrieges, erklärten die englischen Kapitalisten die Sklaverei der Südstaaten für eine notwendige Existenzbedingung der englischen Industrie.
Nichts komischer, als wenn Großgrundbesitz und Kapital sich um die Liebe der Arbeiterklasse bewerben: »Ich bin der natürliche Schützer des Arbeiters,« ruft jener; »ich will, daß jeder seine feste Stellung in der Gesellschaft habe, daß es keine Proletarier gebe.« »Höre nicht auf die Lockungen,« ruft der Kapitalist, »ich bin es, der dich aus dem Joche der Leibeigenschaft erlöst hat.«
In Wirklichkeit haben Grundbesitz und Kapital einander nichts vorzuwerfen; nicht nur das Kapital, auch der Grundbesitz hat an der »Befreiung« der Arbeiter von der Scholle mitgearbeitet; andererseits hat auch das Kapital für Leibeigenschaft und Sklaverei geschwärmt, wo es ihm paßte.
Die Entwicklung der Warenproduktion führte dazu, daß die Formen des Feudalismus zur größtmöglichen Ausbeutung des ländlichen Arbeiters ausgenutzt wurden, den man kaum mehr Bauer nennen kann.
Indes die Ausbeutung des Leibeigenen wuchs, schwand die Notwendigkeit des Feudaladels rasch dahin. Im Mittelalter hatte nicht nur der Feudalherr zu seiner Erhaltung des Bauern bedurft, sondern dieser auch des Feudalherrn, der ihn vor Vergewaltigung schützte, ihm einen Teil seiner gerichtlichen und administrativen Pflichten gegenüber dem Gemeinwesen abnahm und ihn vor allem von der erdrückenden Last des Kriegsdienstes befreite.
Mit der Entwicklung des modernen Staates wurden die Gründe immer hinfälliger, die den Bauer im Anfange des Mittelalters in die Abhängigkeit trieben. Je stärker die staatliche Zentralgewalt wurde, je mehr die Polizei die inneren Fehden unterdrückte und der Adel aufhörte, eine selbständige militärische Macht zu besitzen, desto überflüssiger wurde es für den Bauern, einen Herrn zu haben, der ihn gegen die Mächtigen schützte. Der Schutz- und Schirmherr wurde jetzt derjenige, gegen den er des meisten Schutzes bedurfte.
Der Feudalherr hatte dem Bauer die Last des Kriegsdienstes abgenommen und sie auf sich geladen. Der moderne Staat nahm sie dem Feudalherrn ab und lud sie wieder dem Bauer auf. An Stelle des Ritterheers trat, wie schon erwähnt, das Söldnerheer, das sich aus Bauern rekrutierte: entweder aus den zugrunde gegangenen oder, sobald diese Quelle schwächer floß, aus den noch seßhaften Bauern. Aus der Werbung wurde bald eine wenig verblümte Pressung. Der Bauer war es auch, dem die Erhaltung des Heeres zufiel; die Soldaten wurden bei ihm einquartiert, und zu den Abgaben an Adel und Kirche gesellten sich die Geldabgaben an den Staat, hauptsächlich zur Erhaltung des Heeres. Wohl prahlte der Adel nach wie vor, daß er der zur Verteidigung des Vaterlandes auserkorene Stand sei, aber seine ganze Ritterlichkeit bestand jetzt darin, daß er sich die gut bezahlten Offiziersstellen vorbehielt.
Auch an der Landesverwaltung und Gerichtsbarkeit hatte der Grundbesitz immer weniger Anteil; sie fielen immer mehr der Bureaukratie zu, zu deren Erhaltung der Bauer natürlich auch beitragen mußte. Was sich von der alten feudalen Gerichtsbarkeit in den Patrimonialgerichten noch erhielt, wurde nur ein neuer Hebel zur Vermehrung der Ausbeutung.
Von allen Diensten, die der Adel einst dem Bauer erwiesen und wofür dieser ihm seine Gegenleistungen abstattete, blieb keiner übrig, indes die Leistungen des Bauern maßlos ausgedehnt wurden.
Schließlich wurden die feudalen Lasten und Schranken zu einer wahren Fessel der Produktion, welche dringend danach verlangte, daß die ländliche Warenproduktion den feudalen Charakter gänzlich abstreife. Die feudale Aneignungsweise geriet in Widerspruch mit den Forderungen der Produktionsweise. Der feudale Adel, längst überflüssig geworden, wurde von diesem Punkte an entschieden schädlich, seine Beseitigung ein Gebot der Notwendigkeit.
Wir können auf diese weitere Entwicklung hier nicht näher eingehen, da in dem von uns behandelten Zeitraum nur ihre Anfänge sichtbar werden. Der erste und, wenn auch nicht der Form, so doch dem Endziel nach, schüchterne Protest gegen diese Anfänge des eben gekennzeichneten modernisirten, den Bedürfnissen der Warenproduktion angepaßten Feudalismus waren die Bauernkriege. Sie bildeten gleichzeitig eine der letzten krampfhaften Zuckungen der ersterbenden Markgenossenschaft; sie waren aber auch die Vorläufer der großen Revolution von 1789.
Zwischen dem großen Adel und den Bauern stand der niedere Adel, die Ritter, zum großen Teil Nachkommen der alten, gemeinfreien Bauern, die infolge günstiger Umstände ihre Freiheit zu wahren gewußt hatten. Dem Lehndienst an einen Mächtigeren hatten sie sich freilich nicht entziehen können, aber sie waren frei von grundherrlichen Leistungen und Abgaben. (G.L.v. Maurer, Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- und Stadtverfassung und der öffentlichen Gewalt. München 1854. S. 236 ff.)
Der Ritter stand zwischen dem großen Grundherrn und dem Bauern, wie heute der Kleinbürger zwischen dem Kapitalisten und dem Arbeiter steht. Und er spielte auch eine ähnliche schwankende Rolle, ging heute mit den Bauern gegen die Fürsten, um morgen mit den Fürsten gegen die Bauern zu gehen, sobald diese gefährlich wurden. Der Typus dieses Rittertums ist Götz von Berlichingen. Natürlich fehlte es auch nicht an Rittern, die mit vollem Herzen für die Sache der Bauern eintraten: wer hat nicht schon von Florian Geyer gehört? Aber in der Mehrzahl blieben sie unzuverlässig. Selbst Huttens Stellung gegenüber den Bauern war keine entschiedene.
Ob das Rittertum für die Sache der Bauern oder der Grundherren eintrat, sein Untergang als selbständige Klasse war nicht aufzuhalten. Entweder gelang es dem Ritter, in die Klasse der großen Grundherren aufzusteigen, seine Güter so sehr zu erweitern, daß er zur Warenproduktion übergehen konnte, oder sein Grundbesitz wurde bedeutungslos, oft die Beute eines mächtigen Nachbarn, stets unzureichend, dem Ritter einen »standesgemäßen« Unterhalt zu gewähren. Dieser war gezwungen, von der Bildfläche als Grundbesitzer zu verschwinden und in den Städten sein Fortkommen zu suchen als Kaufmann oder, was für weniger entwürdigend galt, als Literat im Gefolge eines großen Herrn, namentlich aber als eine Art höherer Lakaien und Leibgardisten des Fürsten. Der Ritter wurde zum Höfling oder zum Landsknecht.
In Spanien, England und anderen Ländern eröffnete die Kolonialpolitik dem niederen Adel eine willkommene Gelegenheit, sein Ideal zu erreichen: ohne Arbeit reich zu werden. Das Faustrecht, das man ihm daheim legte, gelangte in den Kolonien und im Seeraub zu hoher Blüte.
Neben dem Kaufmann war der niedere Adel eine wichtige Triebkraft der Kolonialpolitik.
Natürlich vollzog sich die Anpassung des niederen Adels an die neue Produktionsweise ebensowenig ohne schwere Konvulsionen, als die anderen sozialen Umwandlungen der Reformationszeit. Hartnäckig strebte das Rittertum danach, seine Selbständigkeit aufrecht zu erhalten, was jedoch nur möglich war, wenn die feudale Produktionsweise in ihrer ursprünglichen Form fortbestehen blieb. Dabei nahm aber das Rittertum die Bedürfnisse an, welche die Entwicklung der Warenproduktion in den herrschenden Klassen geweckt: die Ansprüche des Rittertums an das Leben wurden immer größer, die Möglichkeit, ihnen auf dem Boden der feudalen Produktionsweise zu genügen, immer geringer. Wenn andererseits das Rittertum die Lebensweise der Feudalzeit fortsetzen wollte, geriet es immer mehr in Gegensatz zu den tatsächlichen Verhältnissen.
Der Kontrast zwischen Wollen und Können beim Rittertum ward immer schärfer, er bildete eine der charakteristischsten Eigentümlichkeiten der Anfänge der Neuzeit. Dieser Kontrast nahm oft eine tragische Gestalt an, aber dem damaligen städtischen Literatentum, das den neuen Geldmächten zujauchzte, erschien er nicht so. Der Ritter war neben dem Mönch und dem Bauern der Vertreter der alten, feudalen Produktionsweise. Jeder dieser drei Stände wurde von der Bevölkerung der großen Städte, in denen sich das geistige Leben konzentrierte, gehaßt und verachtet. Aber das Bürgertum, solange es revolutionär war, hatte nichts von Rührseligkeit und Heuchelei an sich. Moralische Entrüstung war die Waffe, die es am seltensten anwendete. Es bekämpfte seine Gegner durch Spott und Hohn. Der dumme Bauer, der geile Pfaffe, der verkommene bettelstolze Ritter gehören zu den Lieblingsfiguren der Literatur der Renaissance und ihrer Ausläufer.
Wir treffen sie zuerst in Italien, wo die neue Produktionsweise sich am frühesten entwickelt, bald aber werden diese Figuren in der Literatur von ganz Europa heimisch. Vom Dekameron (erschien 1352 oder 1353) des Boccaccio bis zum Don Quixote (erschien 1604) des Cervantes zieht sich eine lange Reihe von Dichtungen, in denen bald der eine, bald der andere, bald alle drei genannten Stände dem Gelächter preisgegeben werden.
Der größte Teil dieser Literatur ist heute vergessen. Zwei Figuren unter den vielen, welche die lachende Grabrede des Rittertums bildeten, sind aber heute noch jedermann bekannt, sie sind, für unsere Begriffe, unsterblich geworden: Don Quixote und Falstaff.
Die »Lustigen Weiber von Windsor« (geschrieben 1602) erscheinen heute den meisten als ein sehr harmloses Lustspiel, aber es ist ein erbitterter Klassenkampf, der da mit genialem Humor travestiert wird. Ob Shakespeare mit dem Lustspiel eine politische Tendenz verfolgte, wissen wir nicht; aber er zeichnete, was er sah, den Kampf zwischen dem niedergehenden Rittertum, das sich nicht dem bürgerlichen Rahmen anpassen will, und dem aufstrebenden Bürgertum dessen Weiber klüger und tapferer sind, als die Ritter ohne Furcht und Tadel. Die »Lustigen Weiber von Windsor« sind der übermütige Jubelruf der siegreich vordringenden Bourgeoisie.