Adam Karrillon
Erlebnisse eines Erdenbummlers
Adam Karrillon

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»Michel, horch, der Seewind pfeift.«

Über ein Jahr schon hatte ich mich mit Schreiben abgemüht, da kam vom Norden herunter ein frischer Hauch für meine vertrocknende Seele. Eine Depesche aus dem Hamburger Zippelhaus bot mir eine Schiffsarztstelle an auf einem jener Dampfer, die den Gefangenenaustausch über die Ostsee hin vermitteln sollten. Nicht eine Nacht mehr schlief ich in meinem Bett. Die harte Bank eines Eisenbahnabteils war mein Lager. In Hannover trank ich meinen Frühkaffee und zum Mittag schon war ich in Hamburg angeheuert und nahm die Weisung entgegen, daß ich in Stettin den Dampfer »Regina« aufzusuchen hätte. Da dies am gleichen Tage nicht mehr ging, blieb ich bei meinem Vetter Seitz über Nacht und setzte erst am nächsten Tage die Reise fort. Gegen Mittag war ich mit meinem Koffer an der Oder. Ich nahm eine Droschke und ließ mich nach dem Hafen fahren. Den Kai entlang entzifferte ich die Namen aller Schiffe. Eine »Regina« war nicht darunter. Ich fragte nach ihr in einer Anzahl von Büros. Man kannte sie nicht.

Ich muß gestehen: Mein Glaube an die Vortrefflichkeit republikanischer Neuordnungen im deutschen Reich war durch dies Erlebnis schon stark erschüttert und wurde es noch mehr, als ich bei der Admiralität vorfahrend alle Türen schon um vier Uhr geschlossen fand. Was wollte ich da auch nur lästig fallen, ich Rückständiger, der ich das Dogma von der Heiligkeit des Achtstundentags noch nicht kannte.

Gut, um zu lernen, schlief ich noch einmal in einer Hafenschenke und sprach am nächsten Morgen wieder bei der Admiralität vor. Warum das verlodderte Institut den stolzen Namen trägt, weiß ich nicht. Seine Holztreppen waren ausgetreten und erinnerten an ein verkommenes Hotel, und seine Angestellten schienen fürs Äpfelessen bezahlt zu werden. Bei meinem Eintritt ins Büro zum mindesten schaffte niemand etwas anders. Ich stellte mich als Schiffsarzt der »Regina« vor, und erregte bei Buben und Mädels Heiterkeit. Meine Frage nach dem augenblicklichen Standort des Schiffes beantwortete man mir nach langem Hin- und Herfragen von Pult zu Pult dahin, daß ich schleunigst nach Swinemünde fahren solle, wo ich möglicherweise das Schiff vor seiner Ausreise noch antreffen könne.

»Das ist vor Nacht unmöglich, und von heut' auf morgen?«

»Nun da gehen Sie in der Stadt in ein Hotel und leben auf ungerechte Kosten. Sie sind angeheuert und fallen den Woermanns zur Last.«

Schön so! Nun wußt' ich, daß man im neuen Staat nicht kleinlich mehr dachte. Ich suchte mir zum Logieren keine Spelunke mehr aus und fuhr am nächsten Morgen die Oder hinunter und ließ mich beim Fischmarkt zu Swinemünde aufs Trockene setzen. Ich suchte eine kleine Weile den Strand entlang und fand da unter allerlei Kähnen auch mein Schiff, die »Regina«. Aber wie sah sie aus, diese Königin? So gar nicht wie Woermannsdampfer vordem auszusehen pflegten, frisch gewaschen und fein bemalt, ach ganz und gar nicht. An hundert Stellen guckte das rostende Eisen der Schiffswände durch die Ölfarbe hindurch. Verschossene Wimpel schienen nicht zu wissen, welche Farben sie zu tragen hätten, und trugen deshalb gar keine.

Meine Kammer fand ich ungeordnet, das Bett nicht gemacht, den Waschtisch beschmutzt. Von der Schiffsbemannung wurde ich mit Freundlichkeit aufgenommen und mit wahrem Heißhunger von den Wanzen, als ich des Abends zu Bette ging.

Die erste Ausreise am nächsten Morgen führte mich keineswegs an einen finnischen oder russischen Hafen, sondern mit einer Ladung Berliner Urwähler nach Pillau. Als wir das Stimmvolk ausgeladen hatten, erinnerte ich mich der Tatsache, daß schon die Karthager die baltischen Küsten des Bernsteins wegen aufgesucht hätten und wollte mein Glück probieren. Im Stillen rechnete ich mit Manschettenknöpfen oder einer Zigarrenspitze. Doch wie ich auch den Ufersand durchwühlen mochte, ich fand nichts dergleichen, vielleicht weil ich ein Pechvogel bin und mir es überall so geht. Ich entdeckte an der Goldküste keine Uhrketten, an der Elfenbeinküste keine Elefantenzähne, nur Knechte fand ich überall, so weit ich auch von der Sklavenküste entfernt sein mochte.

Wir fuhren am gleichen Tage noch leer nach Swinemünde zurück und so ging es denn noch, so lange die Abstimmung dauerte, herüber und hinüber, wobei es mir möglich war, auch einmal nach Königsberg hinaufzudampfen, bis der Tag erschien, der uns die Schwingen frei machte zu einem Fluge über die ganze Ostsee hinüber in den finnischen Busen hinein. Von jenen waldumsäumten Buchten habe ich den Romantitel »Wiljo Ronimus« heimgebracht und den Roman dazu geschrieben. Einen Verleger hat das Opus noch nicht gefunden, und so bin ich gezwungen, die Neugierigen einstweilen auf das Karlsruher Tageblatt zu verweisen, wo unter dem Titel »Briefe aus Swinemünde« alle meine Erlebnisse auf der Ostsee getreulich aufgezeichnet sind. Auch der Umstand findet sich dort, daß ich über dem Untergang der »Irmgard« einige Rippen gebrochen habe und den Seedienst aufgeben mußte. Es war dies im Herbst des Jahres 1920.

Seitdem sitze ich in Wiesbaden, unterstütze meine Frau im Haushalt, spalte Holz und übe noch gar manche Künste, zu deren Ausübung weder andere Leute noch ich selber mir vor Jahren das nötige Talent zugetraut hätten.

Mag's mir zurzeit auch an allerlei fehlen, was man des Lebens kleine Zierden nennt, an guten Freunden mangelts nicht. Viel schon haben sie mir getan, fast zuviel, zumal als sie an meinem Elternhause zu Waldmichelbach eine Tafel anbringen ließen, auf der verzeichnet steht, wann ich geboren bin. Schade, daß ein anderes Datum mir zurzeit noch unbekannt ist. Welch vollendeter Abschluß meiner Lebensbeschreibung wäre nicht erzielt, wenn ich wie der allweise Doppelkollege Johannes Dietz, weiland Barbier und Schriftsteller, hierhersetzen könnte: »Und darnach bin ich gestorben meines Alters? So und soviel Jahre.«

Ende


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