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Der Inbegriff der Gesetze, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist, heißt die Rechtslehre (Ius). Ist eine solche Gesetzgebung wirklich, so ist sie Lehre des positiven Rechts, und der Rechtskundige derselben oder Rechtsgelehrte ( Iurisconsultus) heißt rechtserfahren (Iurisperitus), wenn er die äußern Gesetze auch äußerlich, d. i. in ihrer Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fälle, kennt, die auch wohl Rechtsklugheit (Iurisprudentia) werden kann, ohne beide zusammen aber bloße Rechtswissenschaft (Iurisscientia) bleibt. Die letztere Benennung kommt der systematischen Kenntnis der natürlichen Rechtslehre ( Ius naturae) zu, wiewohl der Rechtskundige in der letzteren zu aller positiven Gesetzgebung die unwandelbaren Prinzipien hergeben muß.
Diese Frage möchte wohl den Rechtsgelehrten, wenn er nicht in Tautologie verfallen, oder statt einer allgemeinen Auflösung auf das, was in irgend einem Lande die Gesetze zu irgend einer Zeit wollen, verweisen will, eben so in Verlegenheit setzen, als die berufene Aufforderung: Was ist Wahrheit? den Logiker. Was Rechtens sei ( quid sit iuris), d. i. was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben, kann er noch wohl angeben: aber ob das, was sie wollten, auch recht sei, und das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt Recht sowohl als Unrecht ( iustum et iniustum) erkennen könne, bleibt ihm wohl verborgen, wenn er nicht eine Zeit lang jene empirischen Prinzipien verläßt, die Quellen jener Urteile in der bloßen Vernunft sucht (wiewohl ihm dazu jene Gesetze vortrefflich zum Leitfaden dienen können), um zu einer möglichen positiven Gesetzgebung die Grundlage zu errichten. Eine bloß empirische Rechtslehre ist (wie der hölzerne Kopf in Phädrus' Fabel) ein Kopf, der schön sein mag, nur Schade! daß er kein Gehirn hat.
Der Begriff des Rechts, so fern er sich auf eine ihm korrespondierende Verbindlichkeit bezieht (d. i. der moralische Begriff desselben) betrifft erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, so fern ihre Handlungen als Fakta auf einander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können. Aber zweitens bedeutet er nicht das Verhältnis der Willkür auf den Wunsch (folglich auch auf das bloße Bedürfnis) des anderen, wie etwa in den Handlungen der Wohltätigkeit oder Hartherzigkeit, sondern lediglich auf die Willkür des anderen. Drittens, in diesem wechselseitigen Verhältnis der Willkür kommt auch gar nicht die Materie der Willkür, d. i. der Zweck, den ein jeder mit dem Objekt, was er will, zur Absicht hat, in Betrachtung, z. B. es wird nicht gefragt, ob jemand bei der Ware, die er zu seinem eigenen Handel von mir kauft, auch seinen Vorteil finden möge, oder nicht, sondern nur nach der Form im Verhältnis der beiderseitigen Willkür, so fern sie bloß als frei betrachtet wird, und ob durch die Handlung eines von beiden sich mit der Freiheit des andern nach einem allgemeinen Gesetze zusammen vereinigen lasse.
Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.
»Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.«
Wenn also meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so tut der mir Unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hindernis (dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen.
Es folgt hieraus auch: daß nicht verlangt werden kann, daß dieses Prinzip aller Maximen selbst wiederum meine Maxime sei, d. i. daß ich es mir zur Maxime meiner Handlung mache; denn ein jeder kann frei sein, obgleich seine Freiheit mir gänzlich indifferent wäre, oder ich im Herzen derselben gerne Abbruch tun möchte, wenn ich nur durch meine äußere Handlung ihr nicht Eintrag tue. Das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die Ethik an mich tut.
Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle, sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von andern auch tätlich eingeschränkt werden dürfe; und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist. – Wenn die Absicht nicht ist Tugend zu lehren, sondern nur, was recht sei, vorzutragen, so darf und soll man selbst nicht jenes Rechtsgesetz als Triebfeder der Handlung vorstellig machen.
Der Widerstand, der dem Hindernisse einer Wirkung entgegengesetzt wird, ist eine Beförderung dieser Wirkung und stimmt mit ihr zusammen. Nun ist alles, was unrecht ist, ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen: der Zwang aber ist ein Hindernis oder Widerstand, der der Freiheit geschieht. Folglich: wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d. i. unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, d. i. recht: mithin ist mit dem Rechte zugleich eine Befugnis, den, der ihm Abbruch tut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft.
Dieser Satz will so viel sagen als: das Recht darf nicht als aus zwei Stücken, nämlich der Verbindlichkeit nach einem Gesetze und der Befugnis dessen, der durch seine Willkür den andern verbindet, diesen dazu zu zwingen, zusammengesetzt gedacht werden, sondern man kann den Begriff des Rechts in der Möglichkeit der Verknüpfung des allgemeinen wechselseitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar setzen. So wie nämlich das Recht überhaupt nur das zum Objekte hat, was in Handlungen äußerlich ist, so ist das strikte Recht, nämlich das, dem nichts Ethisches beigemischt ist, dasjenige, welches keine andern Bestimmungsgründe der Willkür als bloß die äußern fordert; denn alsdann ist es rein und mit keinen Tugendvorschriften vermengt. Ein striktes (enges) Recht kann man also nur das völlig äußere nennen. Dieses gründet sich nun zwar auf dem Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetze; aber die Willkür darnach zu bestimmen, darf und kann es, wenn es rein sein soll, sich auf dieses Bewußtsein als Triebfeder nicht berufen, sondern fußt sich deshalb auf dem Prinzip der Möglichkeit eines äußeren Zwanges, der mit der Freiheit von jedermann nach allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann. – Wenn also gesagt wird: ein Gläubiger hat ein Recht von dem Schuldner die Bezahlung seiner Schuld zu fordern, so bedeutet das nicht, er kann ihm zu Gemüte führen, daß ihn seine Vernunft selbst zu dieser Leistung verbinde, sondern ein Zwang, der jedermann nötigt dieses zu tun, kann gar wohl mit jedermanns Freiheit, also auch mit der seinigen nach einem allgemeinen äußeren Gesetze zusammen bestehen: Recht und Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei.
Das Gesetz eines mit jedermanns Freiheit notwendig zusammenstimmenden wechselseitigen Zwanges unter dem Prinzip der allgemeinen Freiheit ist gleichsam die Konstruktion jenes Begriffs, d. i. Darstellung desselben in einer reinen Anschauung a priori, nach der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter dem Gesetze der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung. So wie wir nun in der reinen Mathematik die Eigenschaften ihres Objekts nicht unmittelbar vom Begriffe ableiten, sondern nur durch die Konstruktion des Begriffs entdecken können, so ists nicht sowohl der Begriff des Rechts, als vielmehr der unter allgemeine Gesetze gebrachte, mit ihm zusammenstimmende durchgängig wechselseitige und gleiche Zwang, der die Darstellung jenes Begriffs möglich macht. Dieweil aber diesem dynamischen Begriffe noch ein bloß formaler in der reinen Mathematik (z. B. der Geometrie) zum Grunde liegt: so hat die Vernunft dafür gesorgt, den Verstand auch mit Anschauungen a priori zum Behuf der Konstruktion des Rechtsbegriffs so viel möglich zu versorgen. – Das Rechte ( rectum) wird als das Gerade teils dem Krummen, teils dem Schiefen entgegen gesetzt. Das erste ist die innere Beschaffenheit einer Linie von der Art, daß es zwischen zwei gegebenen Punkten nur eine einzige, das zweite aber die Lage zweier einander durchschneidenden oder zusammenstoßenden Linien, von deren Art es auch nur eine einzige (die senkrechte) geben kann; die sich nicht mehr nach einer Seite als der andern hinneigt, und die den Raum von beiden Seiten gleich abteilt, nach welcher Analogie auch die Rechtslehre das Seine einem jeden (mit mathematischer Genauigkeit) bestimmt wissen will, welches in der Tugendlehre nicht erwartet werden darf, als welche einen gewissen Raum zu Ausnahmen ( latitudinem) nicht verweigern kann. – Aber ohne ins Gebiet der Ethik einzugreifen, gibt es zwei Fälle, die auf Rechtsentscheidung Anspruch machen, für die aber keiner, der sie entscheide, ausgefunden werden kann, und die gleichsam in Epikurs intermundia hingehören. – Diese müssen wir zuvörderst aus der eigentlichen Rechtslehre, zu der wir bald schreiten wollen, aussondern, damit ihre schwankenden Prinzipien nicht auf die festen Grundsätze der erstem Einfluß bekommen.
(Ius aequivocum.)
Mit jedem Recht in enger Bedeutung ( ius strictum) ist die Befugnis zu zwingen verbunden. Aber man denkt sich noch ein Recht im weiteren Sinne ( ius latum), wo die Befugnis zu zwingen durch kein Gesetz bestimmt werden kann. – Dieser wahren oder vorgeblichen Rechte sind nun zwei: die Billigkeit und das Notrecht; von denen die erste eine Recht ohne Zwang, das zweite einen Zwang ohne Recht annimmt, und man wird leicht gewahr, diese Doppelsinnigkeit beruhe eigentlich darauf, daß es Fälle eines bezweifelten Rechts gibt, zu deren Entscheidung kein Richter aufgestellt werden kann.
I
Die Billigkeit
(Aequitas)
Die Billigkeit (objektiv betrachtet) ist keinesweges ein Grund zur Aufforderung bloß an die ethische Pflicht anderer (ihr Wohlwollen und Gütigkeit), sondern der, welcher aus diesem Grunde etwas fordert, fußt sich auf sein Recht, nur daß ihm die für den Richter erforderlichen Bedingungen mangeln, nach welchen dieser bestimmen könnte, wie viel, oder auf welche Art dem Anspruche desselben genug getan werden könne. Der in einer auf gleiche Vorteile eingegangenen Maskopei dennoch mehr getan, dabei aber wohl gar durch Unglücksfälle mehr verloren hat, als die übrigen Glieder, kann nach der Billigkeit von der Gesellschaft mehr fordern, als bloß zu gleichen Teilen mit ihnen zu gehen. Allein nach dem eigentlichen (strikten) Recht, weil, wenn man sich in seinem Fall einen Richter denkt, dieser keine bestimmte Angaben ( data) hat, um, wie viel nach dem Kontrakt ihm zukomme, auszumachen, würde er mit seiner Forderung abzuweisen sein. Der Hausdiener, dem sein bis zu Ende des Jahres laufender Lohn in einer binnen der Zeit verschlechterten Münzsorte bezahlt wird, womit er das nicht ausrichten kann, was er bei Schließung des Kontrakts sich dafür anschaffen konnte, kann bei gleichem Zahlwert, aber ungleichem Geldwert sich nicht auf sein Recht berufen, deshalb schadlos gehalten zu werden, sondern nur die Billigkeit zum Grunde aufrufen (eine stumme Gottheit, die nicht gehört werden kann): weil nichts hierüber im Kontrakt bestimmt war, ein Richter aber nach unbestimmten Bedingungen nicht sprechen kann.
Hieraus folgt auch, daß ein Gerichtshof der Billigkeit (in einem Streit anderer über ihre Rechte) einen Widerspruch in sich schließe. Nur da, wo es die eigenen Rechte des Richters betrifft, und in dem, worüber er für seine Person disponieren kann, darf und soll er der Billigkeit Gehör geben; z. B. wenn die Krone den Schaden, den andre in ihrem Dienste erlitten haben, und den sie zu vergüten angefleht wird, selber trägt, ob sie gleich nach dem strengen Rechte diesen Anspruch unter der Vorschützung, daß sie solche auf ihre eigene Gefahr übernommen haben, abweisen könnte.
Der Sinnspruch (dictum) der Billigkeit ist nun zwar:
»Das strengste Recht ist das größte Unrecht« ( summum ius summa iniuria); aber diesem Übel ist auf dem Wege Rechtens nicht abzuhelfen, ob es gleich eine Rechtsforderung betrifft, weil diese für das Gewissensgericht (forum poli) allein gehört, dagegen jede Frage Rechtens vor das bürgerliche Recht (forum soli) gezogen werden muß.
II
Das Notrecht
(Ius necessitatis)
Dieses vermeinte Recht soll eine Befugnis sein, im Fall der Gefahr des Verlusts meines eigenen Lebens einem anderen, der mir nichts zu Leide tat, das Leben zu nehmen. Es fällt in die Augen, daß hierin ein Widerspruch der Rechtslehre mit sich selbst enthalten sein müsse – denn es ist hier nicht von einem ungerechten Angreifer auf mein Leben, dem ich durch Beraubung des seinen zuvorkomme ( ius inculpatae tutelae), die Rede, wo die Anempfehlung der Mäßigung ( moderamen) nicht einmal zum Recht, sondern nur zur Ethik gehört, sondern von einer erlaubten Gewalttätigkeit gegen den, der keine gegen mich ausübte.
Es ist klar: daß diese Behauptung nicht objektiv, nach dem, was ein Gesetz vorschreiben, sondern bloß subjektiv, wie vor Gericht die Sentenz gefällt werden würde, zu verstehen sei. Es kann nämlich kein Strafgesetz geben, welches demjenigen den Tod zuerkennte, der im Schiffbruche, mit einem andern in gleicher Lebensgefahr schwebend, diesen von dem Brette, worauf er sich gerettet hat, wegstieße, um sich selbst zu retten. Denn die durchs Gesetz angedrohte Strafe könnte doch nicht größer sein, als die des Verlusts des Lebens des ersteren. Nun kann ein solches Strafgesetz die beabsichtigte Wirkung gar nicht haben; denn die Bedrohung mit einem Übel, was noch ungewiß ist (dem Tode durch den richterlichen Ausspruch) kann die Furcht vor dem Übel, was gewiß ist (nämlich dem Ersaufen) nicht überwiegen. Also ist die Tat der gewalttätigen Selbsterhaltung nicht etwa als unsträflich (inculpabile), sondern nur als unstrafbar (impunibile) zu beurteilen, und diese subjektive Straflosigkeit wird durch eine wunderliche Verwechselung von den Rechtslehrern für eine objektive (Gesetzmäßigkeit) gehalten.
Der Sinnspruch des Notrechts heißt: »Not hat kein Gebot ( necessitas non habet legem)«; und gleichwohl kann es keine Not geben, welche, was unrecht ist, gesetzmäßig machte.
Man sieht: daß in beiden Rechtsbeurteilungen (nach dem Billigkeits- und dem Notrechte) die Doppelsinnigkeit (aequivocatio) aus der Verwechselung der objektiven mit den subjektiven Gründen der Rechtsausübung (vor der Vernunft und vor einem Gericht) entspringt, da dann, was jemand für sich selbst mit gutem Grunde für recht erkennt, vor einem Gerichtshofe nicht Bestätigung finden und, was er selbst an sich als unrecht beurteilen muß, von eben demselben Nachsicht erlangen kann: weil der Begriff des Rechts in diesen zwei Fällen nicht in einerlei Bedeutung ist genommen worden.
Man kann diese Einteilung sehr wohl nach dem Ulpian machen, wenn man seinen Formeln einen Sinn unterlegt, den er sich dabei zwar nicht deutlich gedacht haben mag, den sie aber doch verstatten daraus zu entwickeln, oder hinein zu legen. Sie sind folgende:
1. Sei ein rechtlicher Mensch (honeste vive). Die rechtliche Ehrbarkeit (honestas iuridica) besteht darin: im Verhältnis zu anderen seinen Wert als den eines Menschen zu behaupten, welche Pflicht durch den Satz ausgedrückt wird: »Mache dich anderen nicht zum bloßen Mittel, sondern sei für sie zugleich Zweck.« Diese Pflicht wird im folgenden als Verbindlichkeit aus dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person erklärt werden ( Lex iusti).
2. Tue niemanden Unrecht (neminem laede), und solltest du darüber auch aus aller Verbindung mit andern heraus gehen und alle Gesellschaft meiden müssen ( Lex iuridica).
3. Tritt (wenn du das letztere nicht vermeiden kannst) in eine Gesellschaft mit Andern, in welcher Jedem das Seine erhalten werden kann ( suum cuique tribue). – Die letztere Formel, wenn sie so übersetzt würde: »Gib Jedem das Seine«, würde eine Ungereimtheit sagen; denn man kann niemanden etwas geben, was er schon hat. Wenn sie also einen Sinn haben soll, so müßte sie so lauten: » Tritt in einen Zustand, worin Jedermann das Seine gegen jeden Anderen gesichert sein kann« ( Lex iustitiae).
Also sind obstehende drei klassische Formeln zugleich Einteilungsprinzipien des Systems der Rechtspflichten in innere, äußere und in diejenigen, welche die Ableitung der letzteren vom Prinzip der ersteren durch Subsumtion enthalten.
1. Der Rechte, als systematischer Lehren, in das Naturrecht, das auf lauter Prinzipien a priori beruht, und das positive (statutarische) Recht, was aus dem Willen eines Gesetzgebers hervorgeht.
2. Der Rechte als ( moralischer) Vermögen Andere zu verpflichten, d. i. als einen gesetzlichen Grund zu den letzteren ( titulum), von denen die Obereinteilung die in das angeborne und erworbene Recht ist, deren ersteres dasjenige Recht ist, welches unabhängig von allem rechtlichen Akt jedermann von Natur zukommt; das zweite das, wozu ein solcher Akt erfordert wird.
Das angeborne Mein und Dein kann auch das innere (meum vel tuum internum) genannt werden; denn das äußere muß jederzeit erworben werden.
Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), so fern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht. – Die angeborne Gleichheit, d. i. die Unabhängigkeit nicht zu mehrerem von anderen verbunden zu werden, als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann; mithin die Qualität des Menschen sein eigener Herr ( sui iuris) zu sein, imgleichen die eines unbescholtenen Menschen ( iusti), weil er vor allem rechtlichen Akt keinem Unrecht getan hat; endlich auch die Befugnis, das gegen andere zu tun, was an sich ihnen das Ihre nicht schmälert, wenn sie sich dessen nur nicht annehmen wollen; dergleichen ist ihnen bloß seine Gedanken mitzuteilen, ihnen etwas zu erzählen oder zu versprechen, es sei wahr und aufrichtig, oder unwahr und unaufrichtig ( veriloquium aut falsiloquium), weil es bloß auf ihnen beruht, ob sie ihm glauben wollen oder nicht Vorsetzlich, wenn gleich bloß leichtsinniger Weise, Unwahrheit zu sagen, pflegt zwar gewöhnlich Lüge ( mendacium) genannt zu werden, weil sie wenigstens so fern auch schaden kann, daß der, welcher sie treuherzig nachsagt, als ein Leichtgläubiger anderen zum Gespötte wird. Im rechtlichen Sinne aber will man, daß nur diejenige Unwahrheit Lüge genannt werde, die einem anderen unmittelbar an seinem Rechte Abbruch tut, z. B. das falsche Vorgeben eines mit jemanden geschlossenen Vertrags, um ihn um das Seine zu bringen ( falsiloquium dolosum), und dieser Unterschied sehr verwandter Begriffe ist nicht ungegründet: weil es bei der bloßen Erklärung seiner Gedanken immer dem andern frei bleibt, sie anzunehmen, wofür er will, obgleich die gegründete Nachrede, daß dieser ein Mensch sei, dessen Reden man nicht glauben kann, so nahe an den Vorwurf, ihn einen Lügner zu nennen, streift, daß die Grenzlinie, die hier das, was zum Ius gehört, von dem, was der Ethik anheim fällt, nur so eben zu unterscheiden ist.; – alle diese Befugnisse liegen schon im Prinzip der angebornen Freiheit und sind wirklich von ihr nicht (als Glieder der Einteilung unter einem höheren Rechtsbegriff) unterschieden.
Die Absicht, weswegen man eine solche Einteilung in das System des Naturrechts (so fern es das angeborne angeht) eingeführt hat, geht darauf hinaus, damit, wenn über ein erworbenes Recht ein Streit entsteht und die Frage eintritt, wem die Beweisführung ( onus probandi) obliege, entweder von einer bezweifelten Tat, oder, wenn diese ausgemittelt ist, von einem bezweifelten Recht, derjenige, welcher diese Verbindlichkeit von sich ablehnt, sich auf sein angebornes Recht der Freiheit (welches nun nach seinen verschiedenen Verhältnissen spezifiziert wird) methodisch und gleich als nach verschiedenen Rechtstiteln berufen könne.
Da es nun in Ansehung des angebornen, mithin inneren Mein und Dein keine Rechte, sondern nur Ein Recht gibt, so wird diese Obereinteilung als aus zwei dem Inhalte nach äußerst ungleichen Gliedern bestehend in die Prolegomenen geworfen und die Einteilung der Rechtslehre bloß auf das äußere Mein und Dein bezogen werden können.
Alle Pflichten sind entweder Rechtspflichten (officia iuris), d. i. solche, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist, oder Tugendpflichten (officia virtutis s. ethica), für welche eine solche nicht möglich ist; – die letztern können aber darum nur keiner äußeren Gesetzgebung unterworfen werden, weil sie auf einen Zweck gehen, der (oder welchen zu haben) zugleich Pflicht ist; sich aber einen Zweck vorzusetzen, das kann durch keine äußerliche Gesetzgebung bewirkt werden (weil es ein innerer Akt des Gemüts ist); obgleich äußere Handlungen geboten werden mögen, die dahin führen, ohne doch daß das Subjekt sie sich zum Zweck macht.
Warum wird aber die Sittenlehre (Moral) gewöhnlich (namentlich vom Cicero) die Lehre von den Pflichten und nicht auch von den Rechten betitelt? da doch die einen sich auf die andern beziehen. – Der Grund ist dieser: Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der alle moralische Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann.
Da in der Lehre von den Pflichten der Mensch nach der Eigenschaft seines Freiheitsvermögens, welches ganz übersinnlich ist, also auch bloß nach seiner Menschheit, als von physischen Bestimmungen unabhängiger Persönlichkeit ( homo noumenon), vorgestellt werden kann und soll, zum Unterschiede von eben demselben, aber als mit jenen Bestimmungen behafteten Subjekt, dem Menschen (homo phaenomenon), so werden Recht und Zweck, wiederum in dieser zwiefachen Eigenschaft auf die Pflicht bezogen, folgende Einteilung geben.
Einteilung nach dem objektiven Verhältnis des Gesetzes zur Pflicht.
Da die Subjekte, in Ansehung deren ein Verhältnis des Rechts zur Pflicht (es sei statthaft oder unstatthaft) gedacht wird, verschiedne Beziehungen zulassen: so wird auch in dieser Absicht eine Einteilung vorgenommen werden können.
Das rechtliche Verhältnis des Menschen zu Wesen, die weder Recht noch Pflicht haben.
Vacat.
Denn das sind vernunftlose Wesen, die weder uns verbinden, noch von welchen wir können verbunden werden.
Das rechtliche Verhältnis des Menschen zu Wesen, die sowohl Recht als Pflicht haben.
Adest.
Denn es ist ein Verhältnis von Menschen zu Menschen.
Das rechtliche Verhältnis des Menschen zu Wesen, die lauter Pflichten und keine Rechte haben.
Vacat.
Denn das wären Menschen ohne Persönlichkeit (Leibeigene, Sklaven).
Das rechtliche Verhältnis des Menschen zu einem Wesen, was lauter Rechte und keine Pflicht hat (Gott).
Vacat.
Nämlich in der bloßen Philosophie, weil es kein Gegenstand möglicher Erfahrung ist.
Also findet sich nur in Nr. 2 ein reales Verhältnis zwischen Recht und Pflicht. Der Grund, warum es nicht auch in Nr. 4 angetroffen wird, ist: weil es eine transszendente Pflicht sein würde, d. i. eine solche, der kein äußeres verpflichtendes Subjekt korrespondierend gegeben werden kann, mithin das Verhältnis in theoretischer Rücksicht hier nur ideal, d. i. zu einem Gedankendinge ist, was wir uns selbst, aber doch nicht durch seinen ganz leeren, sondern in Beziehung auf uns selbst und die Maximen der inneren Sittlichkeit, mithin in praktischer innerer Absicht fruchtbaren Begriff machen, worin denn auch unsere ganze immanente (ausführbare) Pflicht in diesem bloß gedachten Verhältnisse allein besteht.
Elementarlehre. Methodenlehre. | |||
Rechtsfpflichten. Tugendpflichten. | Didaktik. Asketik. | ||
Privatrecht. Öffentliches R., |
und so weiter, alles, was nicht bloß die Materialien, sondern auch die architektonische Form einer wissenschaftlichen Sittenlehre enthält; wenn dazu die metaphysischen Anfangsgründe die allgemeinen Prinzipien vollständig ausgespürt haben.
*
Die oberste Einteilung des Naturrechts kann nicht (wie bisweilen geschieht) die in das natürliche und gesellschaftliche, sondern muß die ins natürliche und bürgerliche Recht sein: deren das erstere das Privatrecht, das zweite das öffentliche Recht genannt wird. Denn dem Naturzustande ist nicht der gesellschaftliche, sondern der bürgerliche entgegengesetzt: weil es in jenem zwar gar wohl Gesellschaft geben kann, aber nur keine bürgerliche (durch öffentliche Gesetze das Mein und Dein sichernde), daher das Recht in dem ersteren das Privatrecht heißt.