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Nr. 104
[Postkarte]
[Stempel: Berlin-Steglitz – 26. 9. 23]
Der intime Brief ist vorläufig nicht nötig, er wäre auch nicht schlimm geworden, nur eine Bitte um Rat und dgl., aber meine Beschäftigung während des größten Teiles der Reise war er. Ich war freilich auch ein wenig stumpfsinnig, denn die Nacht vorher war eine der allerschlimmsten gewesen, etwa dreiteilig zuerst ein Überfall durch alle Ängste, die ich habe, und so groß wie diese ist kein Heer der Weltgeschichte, dann stand ich auf, weckte das arme gute Fräulein (das wegen der Schienenlegung der Elektrischen in meinem Zimmer schlief, müde, nach schrecklich umständlichem Kofferpacken) und holte mir Foligan aß es gierig und dämmerte dann eine Viertelstunde, dann aber war es zuende und ich beschäftigte mich den Rest der Nacht mit der Koncipierung des Absagetelegrammes an den Vermieter nach Berlin und mit der Verzweiflung darüber. Aber früh (dank Dir und Schelesen) fiel ich nicht um, als ich aufstand und fuhr weg, vom Fräulein getröstet, von Pepa geängstigt, vom Vater liebend gezankt, von der Mutter traurig angeschaut.
Wie geht es dem Fräulein Ella Proch?
In Beřkowitz war ich gekränkt, daß Du die Kinder und Fini nicht auf der Bahn waren.
Nr. 105
[Postkarte]
[Stempel: Berlin-Steglitz – 26. 9. 23]
Ottla, ein Nachtrag: Butter ist hier zu haben soviel man will, nur essen kann man sie nicht. Wenn Du mir hie und da ein Päckchen Muster ohne Wert schicken wolltest nebylo by to špatné bylo by to spíše dobré, denn nur von Butter werde ich ein wenig dick und die Schelesner Dicke habe ich zum Teil in der Nacht vor der Abfahrt verloren (hätte freilich auch niemals wegfahren können, wenn ich nicht die Dicke gehabt hätte, um sie zu verlieren) Willst Du also schicken? Wir verrechnen es dann, etwa 5 K kostet das ganze Päckchen, ich habe schon einmal hierher Butter geschickt, versuchswegen, sie kam gut an, das Mädchen sagte, sie hätte bis dahin die hiesige Butter für sehr gut gehalten, erst durch das Paket hätte sie erfahren, daß es so viel bessere Butter überhaupt gibt. Alles Gute Dir, Pepa den Kindern, Fini.
F
Nr. 106
[Postkarte]
[Stempel: Berlin-Steglitz – 2. 10. 23]
Liebste Ottla, eben bekomme ich kurz nach Deinem lieben Brief eine entzückende Nachricht: die Hausfrau ist angeblich mit mir zufrieden. Freilich, leider, das Zimmer kostet nicht mehr 20 K sondern für September etwa 70 K und für Oktober zumindest 180 K, die Preise klettern wie die Eichhörnchen bei Euch, gestern wurde mir fast ein wenig schwindelig davon und die innere Stadt ist davon und auch sonst für mich schrecklich. Aber sonst, hier draußen, vorläufig, hier ist es friedlich und schön. Trete ich abends an diesen lauen Abenden aus dem Haus kommt mir aus den alten üppigen Gärten ein Duft entgegen, wie ich ihn in dieser Zartheit und Stärke nirgends gefühlt zu haben glaube, nicht in Schelesen, nicht in Meran, nicht in Marienbad. Und alles andere entspricht dem bisher. Ja es ist eine Zürauer Reise, freilich es sind erst 8 Tage vorüber und wenn Du nach Arbeit und Zeiteinteilung fragst, weiß ich noch nichts zu sagen. Näheres beschreiben ist schwer, den Eltern gegenüber bemühe ich mich es zu tun, übrigens, hättest Du keine Lust, es Dir anzuschauen? Ich hoffe, Du würdest mich noch nicht auf der Kirchentreppe ausgestreckt finden zwischen den Kindern. – Die Butter ist bis jetzt Dienstag leider nicht gekommen, man wird aufhören müssen sie zu schicken. Ich bekomme übrigens knapp erträgliche, auch Milch.
Was macht mein lieber Pepa? Wieviele events versäume ich! Grüß die Kinder und Fini.
Von der Ella Prochaska hast Du nichts geschrieben.
Nr. 108
[Berlin-Steglitz, 8. Oktober 1923]
Liebe Ottla, kein »intimer Brief«, nur ein Ansatz zu ihm, und nach einer ein wenig unruhigen Nacht:
Ob Du mich stören würdest, darüber müssen wir nicht sprechen. Wenn mich alles in der Welt stören würde – fast ist es so weit –, Du nicht. Und außer der Freude Dich hier zu haben, wäre mir dadurch vielleicht eine Reise erspart.
Das bist also Du. Über Dich hinaus aber, das muß ich sagen fürchte ich mich sehr. Dazu ist es viel zu früh, dazu bin ich nicht fest genug hier eingerichtet, dazu schwanken mir die Nächte zu viel. Du verstehst es gewiß: das hat nichts mit Lieb-haben, nichts mit Willkommen-sein zu tun, – nicht in dem der kommt liegt der Grund dafür, sondern in dem der empfängt. Diese ganze Berliner Sache ist ein so zartes Ding, ist mit letzter Kraft erhascht und hat wohl davon eine große Empfindlichkeit behalten. Du weißt, in welchem Tone man manchmal, offenbar unter dem Einfluß des Vaters, von meinen Angelegenheiten spricht. Es ist nichts Böses darin, sondern eher Mitgefühl, Verständnis, Pädagogik u. dgl., es ist nichts Böses, aber es ist Prag, wie ich es nicht nur liebe, sondern auch fürchte. Eine derartige noch so gutmütige, noch so freundschaftliche Beurteilung unmittelbar zu sehen und zu hören, wäre mir wie ein Herüberlangen Prags hierher nach Berlin, würde mir leid tun und die Nächte stören. Sag mir bitte daß Du das genau mit allen seinen traurigen Feinheiten verstehst.
Ich weiß nun nicht ob Du wirst kommen können, aber ich weiß auch nicht, ob nicht vielleicht ich für paar Tage nach Prag fahren soll. Entscheide Du und rate mir. Ich will, wenn es nur irgendwie möglich ist, den Winter über in Berlin bleiben. Da sollte ich doch vielleicht vorher, jetzt solange noch erträgliches Wetter ist, nach Prag fahren, die Eltern sehn, mich richtig verabschieden, zur Vermietung meines Zimmers raten u. dgl. Außerdem müßte ich mir verschiedene Wintersachen holen (Mantel, Kleid, etwas Wäsche, Schlafrock, vielleicht Fußsack), die mir auf andere Weise zu schicken oder zu bringen, viel Umstände machen würde. Schließlich müßte ich eigentlich endlich auch mit dem Direktor sprechen, eine Sache allerdings, die ich, wenn Du Dich dazu drängen würdest, ohne Bedauern Dir überlassen würde. Jedenfalls wollte ich, wenn ich fahre, etwa am 20. wieder hier sein.
So, nun habe ich meine Sorgen auf Dich überwälzt. Vielleicht werde ich dadurch wieder so frei und so schön müde, wie gestern, wo ich zwar wie täglich nach 7 Uhr aufstand aber um 9 vor Müdigkeit guter Müdigkeit, ganz ohne Fieber, es nicht aushielt, mich ins Bett legte, wie Helene halb im Schlaf das Gabelfrühstück und das Mittagessen fletscherte und gegen 5 Uhr sehr mühselig nur deshalb aufstand, weil ein Besuch kommen sollte. Abend kam dann neben Deiner Karte eine Karte der Mutter, in welcher angezeigt war, daß Klopstock, der arme liebe unglückliche (augenblicklich wieder sehr unglückliche) Junge, ohne mir vorher davon zu schreiben, heute erschreckend hierherkommen soll. Nun vielleicht kommt er doch nicht; wenn man ihm doch nur äußerlich ein wenig helfen könnte, er hat kein Zimmer, sein Freitisch ist gefährdet, seine Hand verletzt, eine schwere Prüfung steht ihm bevor, Geld hat er wahrscheinlich auch keines und das alles ist für ihn ein Grund eine Besuchsfahrt nach Berlin zu machen. Nun, er wird wohl nicht kommen. Freilich, Prag ist auch nicht gut für ihn, aber die Studiermöglichkeiten in Berlin sind für ihn noch schwieriger als dort. Hier solltest Du eigentlich auch raten, große Mutter. – Lebwohl, grüß Pepa, die Kinder und Fini. Aussprüche der Věra? Fortschritte der Helene?
Nun habe ich, in lauter schwierigen Dingen befangen, vergessen Dir für die Butter zu danken. Mittwoch kam sie, vielleicht also doch noch das erste Päckchen? Sie ist ausgezeichnet.
Nr. 111
[Postkarte]
[Stempel: Berlin-Steglitz – 16. 10. 23]
Liebste Ottla, bitte veranlasse, daß mir Geld geschickt wird, ich hatte nicht viel mit, die Mutter hatte damals keines, konnte mir nicht für Oktober vorausgeben, ich wußte ja auch nicht, wie lange ich bleibe, aber sie versprach mir vom 1. Oktober ab in jedem Brief kleinere Beträge zu schicken. Nun habe ich schon öfters darum gebeten, aber es kommt nichts, heute ist der 16te und ich habe für diesen Monat erst 70 K im Ganzen bekommen; sollte das Geld aus der Anstalt nicht gekommen sein oder sollte ein Geldbrief vielleicht doch verloren gegangen sein? Oder will man mich auf diese Weise zum Geldverdienen erziehn, aber dann hätte man mich nicht soviel Zeit verlieren lassen sollen. Gestern z.B. haben Möbelpacker einen riesigen Flügel des früheren Mieters aus meinem Zimmer transportiert. Wenn es eine Möbelpackerschule gäbe, wo man aus jedem Menschen einen Möbelpacker machen kann, würde ich leidenschaftlich eintreten, vorläufig habe ich die Schule noch nicht gefunden. – Die Butter kommt richtig an, heute auch das große von Klopstock vermittelte Paket. Aber man braucht auch anderes. So steht mir, fürchte ich eine große Ausgabe bevor, der Ankauf einer Petroleumlampe. In meinem Zimmer ist nur mir nicht genügendes Gaslicht und eine zu kleine Petroleumlampe.
Nr. 112
[Postkarte]
[Stempel: Berlin-Steglitz – 17. 11. 23]
Liebe Ottla, das erste in der neuen Wohnung geschriebene Wort gehört Dir, schon deshalb weil Du ja vielleicht bald in direkte Beziehung zu ihr kommen wirst. Sie wird Dir gefallen, glaube ich. Was die Übersiedlung betrifft, kann ich nicht sagen, daß sie mich sehr angestrengt hat. Um ½ 11 etwa ging ich aus der alten Wohnung fort, fuhr in die Stadt, war in der Hochschule, wollte dann zum Essen gehn, um nachher gleich nach Steglitz zu fahren und doch noch ein wenig an der Übersiedlung teilzunehmen, wurde aber in der Friedrichstraße plötzlich angerufen, es war Dr. Löwy (die Müritzer aus unserer Familie kennen ihn), ich hatte ihn in Berlin noch nicht gesehn, er war sehr lieb und freundschaftlich, lud mich gleich zum Mittagessen bei seinen Eltern ein, wohin er eben ging, ich zögerte vor diesem Billionengeschenk, auch wollte ich ja nach Steglitz, aber schließlich ging ich doch, kam in den Frieden und die Wärme einer wohlhabenden Familie und ehe ich an der Gartentür in Steglitz läutete, war es schon 6 Uhr und die Übersiedlung restlos vollzogen. Ich vergaß daß kein Platz ist und habe noch eine Bitte. Die Mutter in der Empfindlichkeit ihrer Fürsorge macht mir gerade in dem Augenblick das Angebot einer Eiersendung, wo wirklich keine hier zu haben sind.
Wenn Du kommst, bring bitte Dir Bettwäsche mit, aber solche die Du hier lassen kannst. Dein hiesiges Bett ist herrlich.
Auch Fußsack wäre manchmal ganz nett
Nr. 9 ist vor paar Tagen richtig angekommen
Nr. 113
An Julie und Hermann Kafka
[Postkarte]
[Stempel: Berlin-Steglitz – 17. 10. 23]
Liebste Eltern, ich habe wenn ich nicht irre, schon 10 Tage keine Nachricht von Euch, das ist recht lange, und überhaupt ist es so, daß in der Korrespondenz immerfort von mir die Rede ist und ich von den vielen kleinen Merkwürdigkeiten (hoffentlich geschehen keine großen) die doch jeden Tag auch bei Euch geschehen, gar nichts erfahre. Das ist doch nicht richtig. Mir geht es weiterhin gut. Da ich keine »Merkwürdigkeit« mich betreffend vergesse, ergänze ich die Speisezettel-Mitteilungen dahin, daß das erste Frühstück um einen ausgezeichneten Honig bereichert worden ist, freilich kostet das Geld und nicht wenig. Der Kuchen hat Aufsehen erregt, die Hausfrau bittet um das Recept, ich sagte ihr freilich daß das Recept ohne des Fräuleins Hände nicht viel helfen wird. Das von Klopstock vermittelte Paket kam gestern Dienstag in ausgezeichnetem Zustand an. Vielen Dank
Herzlichste Grüße Euch und allen
F
Ist das Geld aus der Anstalt gekommen? Von den Geldbriefen bekam ich bisher nur Nr. I.
Nr. 114
[Berlin-Steglitz, 4. Oktoberwoche 1923]
Liebe Ottla, sehr schade daß ich diesmal am 28ten nicht in Prag bin, ich hatte große Pläne, nicht kleinliche Seidenpapierpackungen u. dgl. wie sonst, sondern etwas ganz großes, offenbar schon unter dem Einfluß des Berliner Geschmackes, so etwa wie die jetzige große Revue heißt: »Europa spricht davon«. Es hätte eine Nachbildung des Schelesner Bades werden sollen, das Dich so gefreut hat. Ich hätte einfach mein Zimmer ausgeräumt, ein großes Reservoir dort aufstellen und mit saurer Milch füllen lassen, das wäre das Bassin gewesen, über die Milch hingestreut hätte ich Gurkenschnitten. Nach der Zahl Deiner Jahre (die ich mir hätte sagen lassen müssen, ich kann sie mir nicht merken, für mich wirst Du nicht älter) hätte ich ringsherum die Kabinen aufgestellt, aufgebaut aus Chokoladeplatten (Da sich Pepa meist an der Übernahme der Geburtstagsgeschenke beteiligt, wäre dadurch auch meine alte Chokoladeschuld an ihn abgezahlt gewesen, falls es nicht schon früher und einigemal geschehen sein sollte) Die Kabinen wären mit den besten Sachen von Lippert gefüllt gewesen, jede mit etwas anderem. Oben an der Zimmerdecke, schief in der Ecke, hätte ich eine riesige Strahlensonne aufgehängt, zusammengesetzt aus Olmützer Quargeln. Es wäre bezaubernd gewesen, man wäre gar nicht imstande gewesen, den Anblick lange auszuhalten. Und wieviel Einfälle hätte ich sonst noch beim Aufbau mit dem Fräulein gehabt!
Nun, daraus wird also nichts, die ganze Pracht schrumpft in einen Geburtstagskuß zusammen, sei er desto fester, es ist ja auch mehr als es sonst bei Prager Geburtstagen gegeben hat.
Was Deine Reise betrifft, so kann ich mir vorstellen, daß es in vielfacher Hinsicht ein schwerer Entschluß ist. Wenn ich mir nur die Aufschriften im Prager Tagblatt vorstelle! Wäre ich damals nicht weggefahren, jetzt gewiß nicht. Ja, bin ich denn überhaupt weggefahren? Wie ich vor den Aufschriften gezittert habe und wie ich jetzt noch zittere tagtäglich fast, wenn ich auf dem Steglitzer Rathausplatz die ersten Seiten der ausgehängten Blätter in den Zeitungsfilialen überfliege (die Zeitung kaufe ich mir als Landbewohner nur Sonntag). Und dabei ist alles buchstäblich wahr im allgemeinen, aber im besonderen doch nicht und darauf kommt es an, möge es so bleiben, auch das kann sich natürlich plötzlich ändern, aber wo denn nicht in der weiten Welt?
Da mir Max die Wintersachen bringt, kannst Du ja den Termin der Reise, wenn sie überhaupt ohne Störung der Familie möglich wird, ganz nach den sonstigen Verhältnissen bequem bestimmen.
Das Verzeichnis der Sachen, die ich brauchen könnte, schließe ich gleich hier an, gib es bitte der Mutter und dem Fräulein, ich will es nicht direkt an die Eltern schicken, der Vater hätte nicht den richtigen Sinn dafür, also etwa:
3 weiche Hemden, 2 lange Unterhosen, 3 gewöhnliche Socken, 1 P. warme Socken, 1 Frottierhandtuch, 2 dünne Handtücher, 1 Leintuch (es genügt so ein leichtes, wie ich es mithabe) 2 Deckenüberzüge, 1 Kissenüberzug, 2 Nachthemden.
Das wäre die Wäsche. An Kleidern:
den starken Mantel, einen Anzug (etwa den schwarzen, dessen dünneren Bruder ich mithabe) und irgendeine Hose, die ich zuhause tragen kann. Dann vielleicht den Schlafrock und mit noch größerem »vielleicht« den alten blauen Raglan, aus dem ich mir hier einen Hausrock machen lassen könnte. (Dieser Mantel hat sich ja als ziemlich unverkäuflich erwiesen und es ist lästig, zuhause immer im Straßenrock zu sein). Sollte ich später einmal bei offenem Fenster auf dem Kanapee liegen – ich werde es ja höchstwahrscheinlich nicht tun – oder auf dem Balkon, der mir hier auch zur Verfügung steht, käme noch der Fußsack, Pulswärmer und die Mütze in Betracht, diese Sachen hätten aber, selbst wenn man sich entschließt sie zu schicken, erst für späterhin Zeit, es würde ja eine ganz ungeheuerliche Sendung.
Irgendwelche Handschuhe für den Tag könnte man vielleicht auch beipacken, dann 1 Bügel fürs Kleid und 2 Bügel für die Mäntel.
Nun das wäre also alles, ein großer Haufen, in welchen Koffer wird man es packen?
Und nun noch ein besonders schweres Gepäckstück, der Besuch beim Direktor. Willst Du ihn wirklich machen? Ich werde darauf noch zurückkommen, vielleicht hast auch Du Einfälle dazu, heute mache ich nur einen Entwurf (Das Geld ist doch aus der Anstalt gekommen? die Mutter hat mir darauf nicht geantwortet): Es wäre zu erzählen daß ich vorigen Herbst und Winter an Lungenfieber und Magen- und Darmkrämpfen krank war, fast immer lag, sehr herunterkam. Gegen das Frühjahr zu wurde die Lunge besser, der Gesamtzustand aber viel schlechter, denn es begann eine oft ganz unerträgliche Schlaflosigkeit mit den abscheulichsten Kopfzuständen bei Tage, die mich zu allem unfähig machten, insbesondere auch zu einem Besuch in der Anstalt. Ich sah, daß, wenn ich irgendwie weiterleben wollte, ich etwas ganz Radikales tun müßte und wollte nach Palästina fahren. Ich wäre ja dazu gewiß nicht imstande gewesen, bin auch ziemlich unvorbereitet in hebräischer und anderer Hinsicht, aber irgendeine Hoffnung mußte ich mir machen. (Hinsichtlich Palästinas wäre hinzuzufügen, daß es auch wegen der Lunge gewählt war und auch wegen der verhältnismäßig billigen Lebenshaltungskosten dort, da ich bei Freunden gelebt hätte. Von Billigkeit und Kosten wäre überhaupt der Wahrheit gemäß öfters zu reden) Dann kam mit meiner Schwester Hilfe Müritz und die Aussicht auf Berlin als Zwischenstation, Vorbereitungsmöglichkeit für Palästina. Ich versuchte es mit Berlin (auch hier Freunde erwähnen, und Lebenshaltungskosten) und es geht erträglich vorläufig. Lobe nicht übermäßig! Nun habe ich Furcht, daß, wenn ich längere Zeit hierbleibe, irgendwelche Abzüge an den 1000 K gemacht werden, dies würde mir dann die Berliner Möglichkeit nehmen (und damit eigentlich jede Möglichkeit) denn die Teuerung hier ist groß, in manchem fast größer als in Prag und ich brauche wegen meiner Krankheit mehr als ein anderer. Das Ziel bleibt für mich, einmal die Pension ganz entbehren zu können, für absehbare Zeit bin ich aber ganz abhängig von ihr. (Ein gefährliches Kapitel übrigens, da es beinhaltet, daß ich nicht mehr zurückkomme, sehr zart, nur im Fluge zu berühren) Das scheint mir vorläufig alles, bis auf die selbstverständlichen Erklärungen der Dankbarkeit und Freundschaft. Arme Ottla, schwere Aufgaben, aber für eine Mutter zweier Kinder wird es vielleicht auch zu bewältigen sein. (Gut wäre es vielleicht etwas über meine Beschäftigung hier zu sagen, das werde ich mir noch überlegen, Du könntest ja auch sagen, daß Du darüber nichts weißt.)
Gern hätte ich schließlich paar kleine Geschichten über Věra, Helene (es ist leicht hinzuschreiben, daß Věra mich nicht vergißt, aber wer kann mir die Sicherheit geben?). Dann auch sonst über die Familie und besonders über das Fräulein. Aber natürlich nicht wie in Deinem letzten Brief, mitten in der Nacht. Wie es jetzt auch fast bei mir geworden ist. Leb wohl!
F
Und grüß Pepa!
Nr. 115:
An Ottla und Josef David
[Berlin-Steglitz, Mitte Dezember 1923]
Liebste Ottla, siehst Du ich verspäte mich auch und habe keine solche Tat hinter mir, wie den Weg zum Direktor. Es war ein starkes Stück, ich danke Dir vielmals; daß es ganz so glatt ging wie Du es beschreibst, kann ich kaum glauben. Verschweigst Du mir nichts? Nun im letzten Grunde ist es nicht phantastischer, als das wunderbare Paket, das Ihr mir geschickt habt und die Ankündigung gar eines 15 kg Paketes, vor dem ich mich fast fürchte. Jedenfalls dem Vater den Dank zu unterbreiten, wage ich gar nicht mehr. Und der Mutter kann ich auch hier innerhalb Deines Briefs danken. Aber 15 kg scheint mir auch von der Seite des Bedarfs gesehn, zu viel; was kann darin nur alles sein? Und aus Deinem Haushalt gar? Ich durchsuche in der Erinnerung Deinen Besitz. Du hast doch gar nicht soviel. Manchmal freilich Vormittag, wenn der Vater zu Dir zu Besuch kam, hattest Du im Zimmer vielerlei Besitz, aber davon taugte kaum etwas zum Wegschicken. Den größten Eindruck machten übrigens auf D. merkwürdiger Weise die Abwisch- und Tischtücher, sie sagte, sie möchte am liebsten heulen und sie tat wirklich fast etwas derartiges. – In der Beilage schicke ich das Briefkonzept, das Pepa, bitte, zu übersetzen so gut sein möge. Aber lies und redigiere es bitte vorher, es muß sich ja decken mit allem was bei dem Direktor gesprochen wurde und auch mit dem Ton, in dem es geschah. Von Palästina scheinst Du z. B. nichts gesprochen zu haben, auch von meiner Berliner Beschäftigung nichts. Kann ich in dem Brief davon schweigen ist es mir natürlich sehr recht. Sollte der Brief an den Direktor persönlich gerichtet sein? Oder vielleicht an die Anstalt? Das letztere würde eine gewisse Nüancierung verlangen. Aber der Brief an den Direktor mag wirklich genügen. Soll ich aber außer dem officiellen Brief noch einen kleinen persönlichen Dankbrief (der deutsch sein könnte) an den Direktor schreiben? Ob das nötig wäre, würde von dem Eindruck abhängen, den Du vom Direktor hattest.
Warum geht es Dir diesen Monat gar so gut? Offenbar hast Du die Puppen mit großem Gewinn verkauft. Andererseits freilich ist Věra bei Dir und läßt Dich schreiben, woraus man schließen könnte, daß sie gespannt das Ohr auf den Bauch der Puppe gelegt hat und zuhört wie es dort spricht. Jedenfalls, wenn die Puppe nichts anderes erreicht, den Begriff, den sich Věra von Berlin macht, wird sie entscheidend beeinflussen. – Rede nicht immerfort von Geld, das Du schuldig bist. Ich habe die paar Tage von Dir (fast hätte ich, ich glaube nach einer hebräischen Redensart gesagt: von Deinem Fett) gelebt, das Papier auf dem ich schreibe ist von Dir, die Feder von Dir, u.s.w.; wenn jemand auf ausgesucht kostspielige Weise eine Berliner Reise machen will, dann soll er als mein Gast kommen. Alles Gute! Und ruiniert Euch nicht meinetwegen! Und wegen Dr. Kaiser mach Dir keine Sorgen. Er hat sein Geld.
F
Grüß Klopstock schön! Hat er zu essen? Und seine Gesundheit?
so muß ich mich drängen, um auch zu Wort zu kommen. Kann ja auch nichts Kluges sagen. Ich wäre sehr neugierig etwas über Věras Ansicht über Berlin zu hören. Viele herzliche Grüße. Dora
Ich freue mich schon auf den Brief
Sehr geehrter Herr Direktor! Ich erlaube mir mitzuteilen daß ich mich für einige Zeit in Steglitz bei Berlin aufhalten möchte und bitte dies kurz erklären zu dürfen: Der Zustand meiner Lunge war im vorigen Herbst und Winter nicht gut und wurde noch verschlechtert durch schmerzhafte Magen- und Darmkrämpfe, nicht ganz klaren Ursprungs, die ich im Laufe jenes Halbjahres in voller Stärke einigemal hatte. Das Lungenfieber und jene Krämpfe bewirkten es, daß ich einige Monate das Bett kaum verließ. Gegen das Frühjahr zu besserten sich diese Leiden, wurden aber abgelöst durch eine äußerste Schlaflosigkeit, ein Leiden, das ich als Vorläufer und Begleiterscheinung der Lungenkrankheit schon seit Jahren hatte, aber doch nur zeitweilig und nicht vollständig und nur aus bestimmten Anlässen, diesmal aber kam es ohne bestimmten Anlaß und dauernd, es halfen kaum Schlafmittel. Der Zustand grenzte monatelang knapp ans Unerträgliche und verschlechterte auch noch die Lunge. Im Sommer fuhr ich mit Hilfe einer Schwester – selbst war ich weder zu Entschlüssen noch zu Unternehmungen fähig – nach Müritz an der Ostsee, der Zustand besserte sich dort im Grunde gar nicht, aber es fand sich dort die Möglichkeit, daß ich im Herbst nach Steglitz fahren könnte, wo Freunde ein wenig für mich sorgen wollten, was allerdings bei den schon damals schwierigen Berliner Verhältnissen eine unbedingte Vorbedingung für meine Reise war, denn allein hätte ich in meinem Zustand in der fremden Stadt nicht leben können.
Hoffnung gebend erschien mir ein zeitweiliges Leben in Steglitz unter anderem aus folgenden Gründen:
1.) Von einem vollständigem Wechsel der Umgebung und allem was damit zusammenhängt versprach ich mir einen günstigen Einfluß auf mein Nervenleiden. An das Lungenleiden dachte ich erst in zweiter Reihe denn sofort etwas gegen das Nervenleiden zu tun, war viel dringlicher.
2.) Es traf sich aber zufällig, daß die Wahl des Ortes – wie mir schon mein Arzt in Prag sagte, der Steglitz kennt – auch für das Lungenleiden nicht ungünstig war. Steglitz ist ein halbländlicher, gartenstadtähnlicher Vorort von Berlin, ich wohne in einer kleinen Villa mit Garten und Glasveranda, ein halbstündiger Weg zwischen Gärten führt zum Grunewald, der große botanische Garten ist 10 Minuten entfernt, andere Parkanlagen sind in der Nähe und von meiner Straße ab führt jede Straße durch Gärten.
3.) Mitbestimmend war schließlich für meinen Entschluß die Hoffnung, in Deutschland mit meiner Pension leichter das Auskommen finden zu können, als in Prag. Diese Hoffnung erfüllt sich allerdings nicht mehr. In den letzten zwei Jahren wäre dies zugetroffen, aber gerade jetzt im Herbst hat die Teuerung hier die Weltmarktpreise erreicht und vielfach überschritten, so daß ich nur äußerst knapp das Auskommen finde und auch dies nur, weil mich Freunde beraten und weil ich ärztliche Behandlung noch nicht aufsuchte:
Im ganzen kann ich berichten, daß der Aufenthalt in Steglitz bis jetzt auf meinen Gesundheitszustand günstig einwirkt. Ich wollte deshalb sehr gerne noch einige Zeit hierbleiben, immer freilich unter der Voraussetzung, daß die Teuerung mich nicht vorzeitig zur Rückkehr zwingt.
Ich bitte nun höflichst sehr geehrter Herr Direktor um die Bewilligung meines hiesigen Aufenthaltes von Seiten der Anstalt und füge das Ersuchen bei, mir die Pensionsbezüge auch weiterhin an die Adresse meiner Eltern überweisen zu lassen wie bisher. Zu dieser letzteren Bitte werde ich dadurch veranlaßt, daß jede andere Überweisung mich finanziell schädigen würde und ich bei der Knappheit meiner Mittel jede Schädigung sehr schmerzlich fühlen würde. Schädigen würde mich jede andere Überweisung deshalb, weil sie entweder in Mark erfolgen würde (dann hätte ich Kursverlust und Kosten) oder in Kč (dann hätte ich noch größere Kosten) während die Eltern doch immer eine Möglichkeit finden können, mir durch einen Bekannten der gerade nach Deutschland fährt, das Geld kostenlos, ev. gleich für zwei Monate zu schicken. Die Überweisung an die Eltern würde allerdings nicht hindern, daß ich immer rechtzeitig die vielleicht notwendige Lebensbestätigung, über deren Form ich mich zu belehren bitte, von hier aus direkt an die Anstalt senden würde.
Indem ich nochmals bitte dieses ganze für mich sehr wichtige Ersuchen günstig aufzunehmen
verbleibe ich
mit ergebenen Grüßen
Pepo, prosím, nezlob se k vůli te velké práci, za to přece zase Hakoah proti Slavii prohrála. Pozdravuj tvé rodiče a sestry. A Ottlo prosím vysvětli rodičům, že ted' jen jednou nebo dvakrát týdnĕ mohu psát, porto je už, tak drahé jako u nás. Vám ale přikládám české známky, abych Vás také trochu podporoval.