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Nr. 55
[Ansichtspostkarte: Weimar, Goethes Gartenhaus, Schlafzimmer]
[Stempel: Prag – 2. 1. 18]
Liebe Ottla, so etwa wollte ich es hören und es ist gut. Wann ich komme weiß ich noch nicht, der Direktor macht Schwierigkeiten, heute gehe ich zum Professor, vielleicht bin ich wirklich zu gesund und muß die schwere Probe der Kündigung bestehn. Geht es nicht anders, tue ich es. Wegen Oskar werde ich Dir vielleicht wirklich telegraphieren müssen, aber würdest Du dann im Geheimen eine Nacht in Prag bleiben? Ich werde es zu vermeiden suchen. – Die Phantasie von der glücklichen Mutter im Badezimmer hat mein 2ter Brief schon widerlegt. – An die Wäsche denke ich manchmal. Da sie geflickt war, muß sie, wenn sie wieder geflickt wird, in der Zwischenzeit wieder zerrissen worden sein. Kündige ich hier, werde ich auf die Wäsche noch mehr achtgeben müssen als früher. Übrigens – die Prager Zeit habe ich bisher nicht schlecht bestanden, das gibt Hoffnung.
Franz Grüße Toni und Hr. Hermann
Franz
Nr. 57
[Prag, 5. Mai 1918]
Liebe Ottla, eigentlich läßt sich noch nichts sagen, ich bin ja noch nicht eingerichtet (in Deinem Zimmer wohl, aber in der Stadt noch nicht) Der Atem ist etwas schlechter, aber wahrscheinlich deshalb weil ich hier schneller gehe (es ist auch schon besser geworden), der Schlaf ist sehr schlecht, ich war die ersten Tage kaum recht wach, aber das wird doch nur Übergang sein – und was alles übrige betrifft, so kann ich nur sagen, daß ich bis jetzt die Übersiedlung ihrem Wesen nach nicht bereue, Dich aber würde ich gerne wieder einmal sehn und am Ohr zupfen, bei Elli habe ich es versucht aber es ist nicht das Richtige.
Franz
Grüße herzlich Frl. Greschl von mir, auch Frl. David. Hr. Hermann natürlich auch. Für den Garten weiß ich nichts neues, nur den beiliegenden Jauchedüngungsratschlag. Seitdem ich heute zufällig in die Schrebergärten hinter Baumgarten gekommen bin, bin ich auf unsern Garten nicht mehr so stolz (ohne ihn deshalb weniger gern zu haben). Was wir dort gemacht haben, kann und tut fast jeder. Die Schrebergärten sind etwa jeder halb so groß wie unser Garten, die meisten sind gut, viele aber ausgezeichnet bearbeitet. – Ja, der Plan: von den unglücklichen Karotten (1) angefangen, 2: Möhren, 3 Zwiebeln, Salat 4 Spinat Radieschen 5 Pflanzen, 6 Pfl. und Fräulein 6 Erbsen 7 Zwiebeln (1 Reihe Steck– zwei Reihen Samenzwiebeln, dazwischen Knoblauch und Radieschen – nein ich kann nicht weiter, es verwirrt sich mir, aber Du erkennst es ja.
Wir schicken Dir durch Karl 490 K – davon ich 380 K – und die Mutter 110 K es ist nach Deiner beiliegenden Aufstellung mit einer Differenz von 3 K zu Deinen Gunsten. Eine Bitte des Herrn Oberinspektor: er wird im Laufe dieses Monats einmal durch Michelob fahren. Könnte man ihm dann auf telegraphische Benachrichtigung hin 2-3 Schock Eier zum Zug schicken?
Franz
Nr. 60
[Stempel: Prag – 8. IX. 18]
Liebe Ottla, danke für die Abmeldung, ich wollte Dich mit dem Telegramm nur ein wenig anfeuern; daß Du jetzt viel Unruhe hast weiß ich natürlich, aber zum Abschied von Zürau ist das zu ertragen. Wegen der Schule aber mußt Du doch keine Unruhe haben, denn die Wahl ist doch sehr groß und vielleicht nicht einmal gar so wichtig, will man lernen so erlernt man doch überall, zur Not mit Hilfe von Büchern, alles was nötig ist. Ich habe ein wenig herumgeschrieben und herumgefragt und besitze vorläufig folgendes: Prospekte der Gartenschulen Eisgrub und Klosterneuburg (letztere ist jedenfalls die bessere, man kann dort ungeheuer viel erlernen und kann es – ein Vorteil, der wohl an allen diesen Schulen besteht – in beliebig kurzer Zeit und Auswahl, indem man nur als Hospitant mittut, man bekommt dann zwar kein Abgangszeugnis in aller Form, das ist ja aber auch nicht gar so nötig, die Bestätigung über den Besuch und die einzelnweise abgelegten Prüfungen kann Dir vollständig genügen) Einen Haufen Prospekte tschechischer Haushaltungsschulen habe ich außerdem, es sind das Schulen, die meistens mit Landwirtschaftsschulen in Verbindung sind, wo man allerdings nur durch den Augenschein das Passende wird herausfinden können. Es wird ja überhaupt das Beste sein, wenn Du ein bischen herumfährst und nachsiehst. Von eigentlichen landwirtschaftlichen Schulen habe ich nur nach Budweis, Liebwerda und Friedland geschrieben. Die Haushaltungsschule in Budweis (man kann noch so sehr von landwirtschaftlicher Schulung schreiben, sie verstehen, wenn es sich um Mädchen handelt immer schlecht, und so hat mir aus Budweis auch nur die Haushaltungsschule geantwortet) eröffnet diesen Winter wegen Lebensmittel– und Kohlenmangel überhaupt nicht, mit diesen Dingen muß man auch rechnen und deshalb ist auch die Besichtigung notwendig. Von Liebwerda-Teschen, und von Friedland habe ich noch keine Antwort. Durch einen Bekannten habe ich mich über diese Schulen bei einem großen Fachmann erkundigt und habe erfahren, daß die Akademie in Liebwerda zwar sehr gut ist, aber daß die Aufnahme Mittelschulbildung zur Voraussetzung hat, gegenwärtig studiert dort tatsächlich ein Mädchen (aber vielleicht gibt es auch dort dieses Hospitantenwesen) Noch mehr aber als Liebwerda hat dieser Fachmann Friedland empfohlen, es ist ein zweijähriger Kurs der gut in einem Jahr gemacht werden kann und der dann für Dich überall eine Empfehlung wäre, übrigens hättest Du dort auch Protektion, nicht nur durch diesen Mann sondern auch durch den Oberinspektor, der den Direktor kennt. Wenn Du Dich also nicht für Wien entschließst, das abgesehn von dem Fehlen der Landwirtschaft auch zunächst ganz gut wäre, besonders da es Dir auch ganz neue Verhältnisse zeigen würde, wäre es am besten, wenn Du nach Friedland (eine merkwürdig schöne traurige Stadt in meiner Erinnerung, ich war dort 14 Tage) fährst und mit den Leuten sprichst. Vielleicht schreiben sie mir auch inzwischen. Wegen der Kosten des Ganzen mußt Du mit dem Vater gar nicht reden, ich zahle es sehr gern, das Geld hat so wie so immer weniger Wert und so lege ich es bei Dir an, es wird dann die erste Hypothek auf Deiner künftigen Wirtschaft sein. Bis Sonntag dürfte ich zuhause sein, dann fahre ich wahrscheinlich weg, nach Turnau; brauchst Du mich übrigens zu den Besichtigungsfahrten, kannst Du mich haben. Je früher Du – da es nun schon einmal beschlossen ist – von Zürau weggehn kannst, in allen Ehren natürlich, – desto besser Du hast dann mehr Zeit Dich umzusehn vor dem neuen Schuljahr. Wenn Du übersiedelst, vergiß meine Zeitungen nicht. Schick sie vielleicht mit der Post. Leb wohl und grüß herzlich alle
Franz
Was wird denn das Fräulein machen?
Liebe Ottla, ein Nachtrag: die Antwort aus Friedland ist gekommen ich antworte dem Direktor mit dem abschriftlich beiliegenden Brief. Es sind zwei Schulen: die Winterschule (zwei Winterkurse immer von Anfang November bis Ende März, welche aber von »altern Landwirten, welche schon längere Zeit in der Praxis stehn« in einem Kurs absolviert werden können.) dann ist dort noch die heuer allerdings zweifelhaft gewordene Haushaltungsschule. Solltest Du erst nach Prag kommen, wenn ich schon weg bin, wirst Du alle Prospekte in Deinem–meinem Zimmer finden und alles was an Briefen oder Prospekten in meiner Abwesenheit gekommen sein sollte, im Bureau von Fräulein Kaiser und von Herrn Klein (der auch die Zuleger und Graupner kennt und bei der Landesverwaltungskommission ev. urgieren würde) bekommen.
Gerade bekomme ich noch einen wichtigen Auftrag: Hasen und Rebhühner wieviel Du bekommen kannst dem Hr. Oberinspektor per Nachnahme schicken! Herr Lüftner bekommt, falls die Preise nicht gar zu übertrieben sind, zu jedem Stück außer dem Geld von Herrn Oberinspektor auch noch etwas Rauchzeug (Tabak Cigarren, Cigaretten, Virginia was er will)
Leb wohl
Franz Liebe Ottla, noch ein zweiter Nachtrag. Es kam eine Antwort von der Tetschner Akademie. In gewissem Sinn ist natürlich die Akademie noch viel besser, als die Friedländer Winterschule, aber sie hat Hochschulcharakter und ihre Anforderungen sind viel größer. Da kommt es darauf an, was Du Dir zutraust, übrigens auch darauf, ob Du angenommen wirst. Nicht als ordentliche Hörerin allerdings, das ist glaube ich für Mädchen überhaupt unmöglich, aber auch bei außerordentlichen macht man wegen der Vorbildung Geschichten, bei Dir meiner Meinung nach unnötige. Regelrecht dauert die Sache in Tetschen-Liebwerd 3 Jahre, für außerordentliche Hörer läßt sich natürlich die Dauer nach Belieben, nach Fleiß und nach Auswahl der Lehrgegenstände abkürzen. In seiner Antwort fragt mich der Direktor nach Deiner Vorbildung, ich antworte ihm, wie Du in der Beilage siehst, mit Berufung auf Hr. Sekretär Fritsch, der zufällig beim Landesausschuß (es ist eine Landesanstalt) gerade das Referat der Akademie hat und über Deine Aufnahme mitzuentscheiden hätte.
Ich glaube, Du wirst hauptsächlich zwischen diesen zwei Schulen Friedland und Teschen zu wählen haben und am besten Dir beide vorher ansehn.
Leb wohl!
Franz
Nr. 62
[Stempel: Prag – II. XI. 18]
Liebe Ottla mir geht es ganz erträglich, ich bin jeden Vormittag außer Bett, draußen war ich noch nicht, vielleicht heute, vielleicht morgen.
Deine Lage ist nicht leicht, das weiß ich. Hunger haben, ohne eigenes Zimmer sein, Verlangen nach Prag haben und dabei einen großen Stoff lernen sollen, das ist eine große Probe, sie überstehn ist natürlich auch groß. Die Umstände in Zürau waren für Dich und Deine Zwecke viel günstiger. Nun, in den ersten Tagen kannst Du noch keinen Überblick haben, aber bald wirst Du doch erkennen, ob Du es halbwegs achtbar leisten kannst. Sollte das Lernen oder Deine Gesundheit leiden, kommst Du natürlich zurück. Allerdings hätte dann der Vegetarianismus eine Schlacht, verloren, denn die »ältern Landwirte« nähren sich im Gasthaus sicher ausgezeichnet. Übrigens gibt es ja noch eine Rettung, falls Pakete ankommen. Ich würde Dir gern regelmäßig Mehl schicken; es soll zu haben sein. Die Friedländer Plünderungen haben hier nicht gefallen, besonders die Stilisierung der »Prager Tagblatt« Notiz nicht. Da Friedland sonst so friedlich ist und nichts Ärgeres kennt, waren gleich in der Einleitung die Ausschreitungen als »furchtbar« bezeichnet. Schlimm ist jedenfalls daß man Deinen Zucker und vielleicht noch anderes fortgetragen hat und daß Du an dem Tag nicht viel gelernt hast. Die Eltern sind schon beruhigt.
Also liebe Ottla: lernen oder zurückkommen, gesundbleiben oder zurückkommen. Setzt Du es durch, werde ich Dich bewundern, kommst Du zurück, werde ich Dich trösten.
Noch eins: Überfüll die Lehrbücher nicht allzusehr mit angefangenen Briefen. Sie könnten in der Schule, wenn Du auf Deinem hohen Platz sitzst, auf den Boden fallen, aufgehoben werden und durch die Klasse wandern.
Leb wohl
Franz
Empfiehl mich der Frau Hub
Nr. 64
[Postkarte, mit Zeichnungen Kafkas; Bildunterschrift: »Ansichten aus meinem Leben«]
[Schelesen, Anfang Dezember 1918]
Und wie geht es Dir? Weihnachten bring Hefte und Bücher, ich werde Dich prüfen. Soll ich übrigens nach Prag kommen? Es geht mir hier ebenso gut wie in Zürau, nur ist es hier etwas billiger; 6 frc. pro Tag (bei dem in Wien jetzt üblichen Umrechnungskurs 1 K = 10 ct.) Ich will 4 Wochen hier bleiben, könnte aber gut und gern Weihnachten nach Prag kommen. Viele Grüße.
Franz
Karte dem Oberinspektor?