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Tante Guschi saß in ihrem Altjungfernstübchen im Kaiser-Wilhelm-Stift zu Kiel am Fenster über einer Handarbeit gebeugt und stichelte emsig drauf los. Dabei war natürlich ihren Gedanken voller Spielraum gelassen, und wenn sich ihre Augen auch ab und zu hoben, um in den großen Garten mit den einladenden Lauben zu blicken, woselbst sich die Bewohner dieses Ruheplatzes auf neutralem Gebiet zu einem Plauderstündchen zu treffen pflegten, so war doch die Aussicht auf dieses Plauderstündchen, das auch sie sich zeitweise gönnte, nicht imstande, ihre Gedanken von dem abzulenken, was sie unausgesetzt beschäftigte
Diese Gedanken drehten sich immer nur um den Kreis, den das grausame Schicksal auseinandergesprengt hatte.
Malve machte ihr keine Sorge; die hatte einen guten Mann, der sie sozusagen auf Händen trug. Und wenn dennoch nicht der glückliche Ausdruck auf ihrem Gesichte lagerte, den man billigerweise erwarten durfte, so war unfehlbar das aufregende Leben daran schuld, das sie zu führen genötigt war. Ihr Mann liebte die Abwechselung, Malve aber war an ein ruhiges Leben zu sehr gewöhnt gewesen, als daß sie die vielen Geselligkeiten, Theaterbesuche und Zerstreuungen gar mancherlei Art nicht als eine Last empfunden hätte, an die man sich in ihrem Alter nicht so leicht gewöhnt.
Aber dennoch konnte Malve mit ihrer späten Heirat zufrieden sein. Sie hatte ein hübsches Heim, lebte sorgenlos an der Seite eines stattlichen Gatten – ja, Malve machte der einsamen Frau am Fenster ihres Altjungfernstübchens weder heute noch sonst Sorge.
Doch die beiden anderen. Das waren ihre Sorgenkinder.
Ueber Thiddis Schicksal breitete sich freilich ein tiefes Dunkel. Der war im Weltall für Auguste verschollen. Daß er das bei Chatham deponierte Geld erst vor einigen Wochen erhoben, hatte sie durch Malve erfahren, deren Gatte in dem Newyorker Bankhause Nachfrage gehalten. Geschrieben hatte Thiddi nicht, Gott sei's geklagt.
Und nun stets die bange Frage: »Wie mag es ihm ergehen?«
Ach, Guschis Herz bangte sich um den Liebling. Und sie hatte so viel Zeit für ihre Sorgen.
Auch für Vetter Theodor, der in dem Hause Westerfeldt als junger Ehegatte eine etwas klägliche Figur spielte, zitterte ihre große, warme Seele. Der behäbige, alte Junggeselle paßte nicht in das Haus der strengen Etikette hinein. Paßte auch nicht zu dem schillernden Falter, zu der schönen Mercedes, deren Liebreiz Guschi zwar heute noch nicht in Abrede stellen konnte, der aber keineswegs mehr so einnehmend auf sie wirkte als damals, als sie die erste Bekanntschaft der Dame gemacht.
Theodor war in der Tat in der kurzen Zeit seiner Ehe mit der lebenslustigen Frau alt und stumpf geworden. Er konnte sich weder in den Ton des Hauses einleben, noch sich an die oft recht frappierenden Launen seiner schönen Gattin gewöhnen. Er war eine Null in dem Kreise, in den er als Familienglied eingetreten war, während er gewohnt war, als Hauptperson einst unter den Seinen zu gelten. Hier war er nicht das Familienoberhaupt, das er von rechtswegen sein sollte: dieser Rang wurde ihm von Hans Westerfeldt erfolgreich streitig gemacht.
So kam es wohl, daß ein altes Herzleiden, welches sich in asthmatischen Anfällen äußerte, und das durch die beschauliche Ruhe seines bisherigen Lebens siegreich bekämpft gewesen, ganz plötzlich mit erschreckender Gewalt wieder bei ihm auftrat und ihn zu einem unwirschen, lebensmüden Hypochonder machte.
Ja, Guschi hatte allen Grund, über das Schicksal ihrer beiden Mannsleute sich zu beunruhigen.
Sie hätte viel darum gegeben, an ihres Vetters Seite stehen zu können, ihm seine Leidenszeit nach besten Kräften zu mildern, Rücksichten auf seine Wünsche zu nehmen, wie sie es von jeher gewohnt gewesen, doch sah man sie nicht gern in dem vornehm zugeschnittenen Hause in Hamburg.
Und es kam ihr auch so vor, als ob Theodor Lamprecht in ihrer Gegenwart das Beschämende seiner Stellung deutlicher zu Gemüte trat. Da hielt sie sich lieber fern, durch diese Entfernung doppelt und dreifach leidend.
Wie sie nun beute – man schrieb den 5. Mai – an ihrem Fenster arbeitend saß, ihren trostlosen Gedanken so recht ausgiebig nachhängend, klopfte es und auf ihr kurzes »Herein!« trat der Vielumsorgte über die Schwelle
Guschi traute ihren Augen nicht.
Himmel, wie sah der Liebe, Gute aus! Hohl die Augen, welk die Wangen, unsicher der Gang.
»Aber Theodor!« schrie Tante Guschi förmlich auf. »Lieber, alter Theodor, wo kommst du denn so mit einem Male her?«
Theodor Lamprecht wankte auf einen Stuhl zu und ließ sich schwerfällig darauf nieder. Dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn, er rang offensichtlich nach Luft.
Fräulein Auguste strich ihm beruhigend über die Wangen.
»Na, na, komm' nur erst mal 'n bißchen zu dir, Theodor. Mach' dir die Weste auf, ich helfe dir. Und dann trinke mal vorerst einen tüchtigen Schluck von diesem Tokaier. Mein Besuchswein,« setzte sie scherzend hinzu.
Wie war sie um den Vetter bemüht! Sie war so recht in ihrem Elemente. Für jemanden sich mühen dürfen, für sein Wohlbehagen sorgen, das machte sie glücklich.
Wie lange auch hatte sie diesem Genuß entsagen müssen.
Nun placierte sie den lieben Alten auf das weiche Sofa, schob ihm ein Kissen hinter den Rücken, damit er bequem sitzen könne, und öffnete die Fensterflügel weit, so daß die noch etwas herbe aber erfrischende Frühlingsluft ungehindert eindringen konnte.
»Wird dir schon ein wenig besser, Theodor?« fragte sie, sich liebreich zu dem Leidenden niederbeugend. »Bist wohl zu schnell gegangen. Sieh, das mußt du bei deinen asthmatischen Anfällen vermeiden. Jede Anstrengung ist dir doch vom Arzt so strenge verboten worden.«
»Ja, Anstrengung und Aufregung,« gab Theodor Lamprecht zu. Er griff nach seiner Cousine Hand, die er dankbar drückte.
»Komm', setze dich zu mir, Guschi,« bat er. »Ach, wie ist mir jetzt wohl. Wohl wie seit langem nicht«
»Sprich nicht so viel, Theodor,« warnte Auguste.
»Ich habe genügend Luft,« hielt der Leidende dagegen »Und ich muß mich mal aussprechen, sonst ersticke ich. Zuerst, Guschi, habt ihr was von Thiddi gehört?«
»Nichts, Theodor,« gab Auguste kleinlaut zu.
»Nichts,« echote Theodor Lamprecht. »Er zürnt mir gewiß. Und mit Recht. Der gute, liebe Junge. Ich habe sein Leben zerstört. Einzig ich. Nun habe sich meine Strafe dafür. Ich wollte sie auch auf mich nehmen, klaglos, denn ich habe mein Schicksal mir selber geschaffen. Doch die Angst, die Sorge, die Sehnsucht nach meinem Jungen, die frißt an mir und – und – die Reue« .
»Aber Theodor, rege dich doch nicht auf. Geschehenes ist nun mal geschehen.«
»Ja, darin hast du recht. Leider. Vorgetan und nachbedacht, hat manchem schon groß' Leid gebracht.«
»Das laß nun begraben sein, Theodor. Und wer kann wissen, ob es unserem Jungen nicht ganz gut drüben geht, und all unsere Angst um ihn unnötig ist.«
»Nein Guschi. Es geht ihm nicht gut. Er würde schreiben. Leben tut er ja, da er Malves Geld sich erhoben hat. Lange genug hat er damit gewartet. Daß er es tat und seinen Stolz herunterkämpfte, sieh, das war die Not. Aber Guschi, er soll doch nicht ganz um sein Erbteil kommen. Die da in Hamburg sollen nicht alles haben, auf daß sie einzig und allein spekulierten. Ich bin gekommen, ein Testament zu machen. Das braucht niemand zu wissen, außer dir. Unser Thiddi soll durch meinen Leichtsinn nicht untergehen.«
Die alte Dame drückte die Hand, die noch vor kurzem so lebenskräftig herumhantiert hatte, jetzt aber welk und schlaff in der ihren lag.
»Das, was du vorhast, Theodor, kann ich nur billigen,« lobte sie.
»Es ist nicht mehr als recht, Guschi, und – ich werde ruhiger in meinem Gemüte. Ach, du Gute, weißt ja nicht, was mich zu diesem Schritte getrieben. Schon längst ging mir ein Licht auf, daß ich das Opfer einer großen Spekulation geworden, daß Hans Westerfeldt mit geschäftlichen Sorgen zu kämpfen hatte. Aber auch Mercedes war gezwungen worden, mir ihre Hand zu reichen. Sie tat es nicht, wie ich glaubte, aus Liebe zu mir, ich alter Narr, nein, aus pekuniären Gründen. Und sie tat mir leid, eben deswegen. Ich zürnte ihr nicht, wenn sie sich wie toll von einem Vergnügen in das andere stürzte, für mich niemals einen Augenblick eines gemütlichen Beisammenseins fand; ich zürnte ihr auch nicht, als ich sah, welches Vergnügen sie daran fand, sich von jungen Kavalieren den Hof machen zu lassen. Nein, nein, keine eifersüchtige Regung wallte in mir auf. Nur meine große Torheit sah ich ein und unter dieser litt ich, wenn ich bedachte, welche Folgen diese große Lebenstorheit gezeitigt. Ein gemütliches Familienleben war dadurch zerrissen worden, ein junges, hoffnungsvolles Leben in die Brüche gegangen. Und ich hatte Heimweh nach euch, Sehnsucht nach der Ruhe und dem Frieden vergangener Tage. Und dann mein Asthma, dieser schreckliche Kampf nach Luft. Keine Ruhe mehr für mich, nicht bei Tage, nicht in der Stille der Nacht. Ach, diese Nächte, Guschi, die waren die schlimmsten. Aber genug davon.«
Theodor Lamprecht atmete schwer.
Auguste sagte:
»Ja, Theodor, laß es genug sein. Du leidest. Sprich nicht mehr darüber. Der Mensch irrt wohl mal. Mache ein Testament zugunsten unseres Lieblings und du wirst ruhiger in deinem Gemüte werden.«
»Ja, Ruhe, Ruhe. Ach, Guschi, wie ich mich nach Ruhe sehne.«
Sein Blick irrte zum Fenster hinaus, richtete sich auf das Blau des Himmels. Und wie in Gedanken verloren redete er weiter. Es war, als spräche er zu sich selber, als habe er die Gegenwart der Cousine ganz vergessen.
»Es war ja vorgestern abend. Vorgestern abend war's,« wiederholte er wie aus tiefen Gedanken heraus. »Ich war leidend, hatte mehrere Tage zu Bett gelegen. Gegen Abend raffte ich mich zusammen und schlich mich hinunter. Ich hatte den Wunsch, Mercedes zu sehen, ihr Lachern zu hören, ihr heiteres Geplauder. Das Treppengehen hatte mich ermüdet, so setzte ich mich in die Nische des Speisezimmers, stützte den Kopf in die Hand und brütete dumpf vor mich hin. Ich wußte gar nicht, daß Mercedes sich in dem kleinen Ecksalon, welcher neben dem Speisezimmer liegt, befand. Ich hätte sie sonst zu mir gerufen. Plötzlich höre ich Hans Westerfeldts Stimme und sehe im Spiegel, wie er den Kopf in die Tür zum Salon steckt und wie suchend umherblickt.
›Wo ist dein Mann?‹ fragt er.
Mercedes antwortete in ungeduldigem Tone: ›Nenne ihn nicht meinen Mann. Ich kann und will's nicht hören. Im übrigen ist er elend und liegt zu Bette.‹
›Mercedes,‹ sagte Hans Westerfeldt, der mittlerweile eingetreten ist, ›wär's nicht am Ende deine Pflicht, dich mehr um den Leidenden zu kümmern?‹
›Pflicht?‹ höhnt Mercedes. ›Pflicht sagst du? Ich erkenne keine Pflichten dem alten Manne gegenüber an.‹
›Er ist noch nicht alt,‹ wandte Hans Westerfeldt ein.
Da ruft Mercedes impulsiv aus:
›Ein Mummelgreis ist er gegen dich, du, mein schöner Hans, mein einzig Geliebter, mein Gatte vor Gott.‹
Sie ist auf ihn zugestürzt, hängt an seinem Halse und er beugt sich zu ihr, küßt leidenschaftlich ihren Mund, ihre Augen, ihre Hände. Ach, wie spießbürgerlich kam ich mir in meiner Nische vor. Ich bin wohl in Liebesangelegenheiten ein recht tölpelhafter Stümper.
›Ach, Hans,‹ klagt da Mercedes, ›wie ist mir doch alles so zuwider, was Krankheit und Gebrechlichkeit anbelangt Ich habe förmlich einen Haß auf Theodor, wenn er mit seiner Luft ringt.‹
Und ihre Stimme dämpfend, fährt sie fort:
›Ich wollte, es wäre bald vorbei mit ihm, dann wäre ich frei. Frei, Hans, und wir könnten uns auch vor der Welt angehören. Sein Geld gehört uns. Hab' ich ihn doch mit Leichtigkeit dazu gebracht, ein Testament zu meinen Gunsten zu machen.‹
Sie sprichst leise, doch meine Ohren sind durch die Leidenszeit geschärft. Ich höre alles, kein Wort entgeht mir. Man lauerte auf meinen Tod. Das lähmte mich zuerst. Dann aber bäumte sich etwas in mir hoch. Nenne es Stolz, gekränkte Eitelkeit, wie du willst. Aber was es auch sei, es war die gerechte Strafe für meine hahnebüchene Dummheit, für die Wahnsinnstat eines alten verliebten Narren. Mir geschah schon recht.«
Auguste hatte schon mehrere Male versucht, den Redenden zu unterbrechen jetzt fuhr sie mit einer verzweiflungsvollen Energie dazwischen.
»Nein,« schrie sie, »nein und tausendmal nein, dir geschah nicht recht! Schmähliches Unrecht ist dir geschehen, man hat deine Vertrauensseligkeit mit schändlichem Undank belohnt, man hat deine Liebe mit Füßen getreten, man hat dich belogen und betrogen.«
»Nun gut, alte Guschi, man hat das getan. Und was tat ich? Ich lohnte euch eure Liebe mit schlechtem Danke, indem ich euch einfach um dieses schillernden Weibes willen verließ. Sie hat das letzte bißchen Lebenskraft in mir vernichtet. Ich fühle mich müde und möchte schlafen für immer.«
»Lieber Theodor, sprich nicht so,« bat Auguste, indem sie sich eine Träne verstohlen aus dem Auge wischte.
Theodor Lamprecht wehrte ungeduldig ab. Zitternd kam es aus der wunden Brust:
»Ich raffte mich an dem gestrigen Tage zu einer letzten Handlung auf. Ich begab mich auf die Reise zu dir. Ich habe auch nicht die Absicht, in das Haus zurückzukehren, wo man mir solches angetan; die kurze Spanne Zeit, die ich noch zu leben habe, will ich in Ruhe leben.«
»Damit tust du wohl,« stimmte Auguste bei. »Ich bin im allgemeinen nicht für Ehetrennungen, allein ich sehe doch ein, es gibt Fälle, wo ein Zusammenleben zur Unmöglichkeit wird.«
»Weißt du hier einen Rechtsanwalt?« fragte Herr Lamprecht.
»Ja, Theodor. Gerade gegenüber wohnt Justizrat Petersen. Dem kannst du dich anvertrauen«
So kam an diesem Abend ein rechtskräftiges Testament zustande, welches der schönen Mercedes' Hoffnungen zuschanden werden ließ, welches das vor ungefähr einem Jahr verfaßte Testament null und nichtig machte und die Gattin des Rentiers Lamprecht nur auf das ihr zustehende Pflichtteil setzte.
Die Teilhaberschaft des pp. Lamprecht wurde dem Bankier Westerfeldt gekündigt. Mochte für ihn die Hetze nach dem schnöden Mammon von neuem beginnen, was kümmerte es Theodor Lamprecht? Er zog sein Vermögen einfach aus dem Geschäft heraus, selbst auf die Gefahr hin, dasselbe verlieren zu müssen.
Am Tage, der diesem immerhin sehr aufregenden Tage folgte, saßen die beiden Verwandten wieder beieinander.
Theodor Lamprecht war fürsorglich auf dem Sofa in Augustes friedlichem Altjungfernstübchen gebettet worden, denn er fühlte sich sehr matt. Da langte der Postbote durchs offene Fenster der Dame einen Brief. Durch Augustes Glieder lief ein Zittern. Auslandsmarken!
Himmel, war's zu glauben? Thiddis Handschrift war es. Ein dicker Brief von Thiddi!
Die erregte Frau schwenkte den Brief wie eine Siegestrophäe in der Luft herum.
»Hurra, von Thiddi, von unserem Jungen« rief sie, während dicke Tränen über ihre Wangen rollten.
Theodor Lamprecht war mit einem Ruck auf den Beinen.
»Was sagst du, Guschi? Von unserem Thiddi?«
Auguste erbrach mit zitternden Händen das Schreiben. Es war ein langer Brief. Ein Brief voller Liebe und Sehnsucht nach den Seinen.
Auguste aber hörte aus all diesen lieben Worten und all den Erlebnissen eines sich durchringenden Menschen nur das eine heraus: den Ruf nach ihr.
»Komm zu mir, Tante Guschi.«
Ja sie kam. Sie war bereit. Immer war sie bereit gewesen
Sie hatte den Vetter ganz vergessen. Thiddi rief nach ihr. Sie sollte ihm sein Heim gründen, wohinein er ein liebes Mädchen als seine Gattin führen wollte. Ach, wie wollte sie arbeiten! Galt es doch ihrem wiedergeschenkten Jungen die Wege zu ebnen.
»Ja, Thiddi, ich komme.«
Jetzt fiel ihr Blick auf Theodor Lamprecht. Der war ganze sachte wieder auf seinen Sitz zurückgeglitten. Mit blassen Lippen und schier verglasten Augen lag er da.
»Theodor!« schrie Auguste und war mit einem Satze an seiner Seite.
»Guschi,« murmelten die blassen Lippen, »liebe, treue Guschi, Gott segne dich und ihn – ihn unseren Jungen und sein Mädel. Gott segne euch alle.«
Auguste richtete den schwer nach Luft Ringenden hoch, flößte ihm Wein ein und rieb ihm die Stirn mit kaltem Wasser.
Dankbar blickte Theodor Lamprecht sie an.
»Wie bin ich froh, daß ich das noch erleben durfte. Die Freude löscht alle Qual der letzten Zeit aus. Macht alles gut. Ich gehe ein zur Ruhe, Guschi. Grüße mir den Thiddi –«
Der Mund war verstummt.
Auguste brach haltlos an dem Lager nieder. Sie drückte dem Entschlafenen mit lieben Händen die müden Augen zu.
»Schlafe wohl, Theodor. Schlafe sanft.«
Der Tod Theodor Lamprechts machte einen dicken Strich durch die Berechnungen der Westerfeldts. Und doch wirkte er versöhnend. Versöhnend nach allen Seiten hin
Heiße Tränen wurden ihm nachgeweint, und sein Andenken wurde bei denen, die einst seine Welt waren, in hohen Ehren gehalten.