Walther Kabel
Mein Feind Cordy
Walther Kabel

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. . . Mein Schreibtisch ist diesmal außerordentlich wertvoll. Er besteht nur aus drei Steinblöcken, die über und über mit tief eingegrabenen Hieroglyphen bedeckt sind. Die Schreibtischplatte ist daher recht rauh, aber Sussik hat sie leidlich mit Lehm geglättet, das heißt: Die Gravierungen ausgefüllt! Ein Professor für Ägyptologie würde sich deshalb die Haare gerauft haben. Aber wir hier in unserer Oase sind ganz auf das Praktische eingestellt. Unser Respekt vor den Resten einer Kulturepoche, die dreitausend Jahre zurückliegt, ist nicht allzu groß.

Wer Sussik ist?

Ein Bischarin, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt. Einen Geburtsschein besitzt er nicht, die sind in seiner Heimat noch unbekannt.

Sussik ist mein Diener. – Nein, ich will dies sofort richtig stellen, er ist mein Freund. – Freundschaft hat verschiedene Fundamente. Unser Fundament war nubischer Wüstensand, bleichende Knochen, Blut und . . . Wasser.

Sussik stinkt auch nach Hammeltalg in ranzigstem Zustand, aber der Duft stört mich nicht mehr. Eine Nase gewöhnt sich an alles. Freund Sussik war vier Jahre am ersten Nilkatarakt (bei der Nilstadt Elephantine, der zweite Katarakt befindet sich bei Wadi Halfo) Fremdenführer. Mithin hätte er eigentlich ein Gauner schlimmster Sorte sein müssen. Aber das traf bei ihm nur gemäßigt zu. Ich will nicht behaupten, daß er absolut ehrlich war. Das ist niemand. Die es behaupten, sind die ärgsten Spitzbuben. Immerhin war er genügend Naturkind geblieben, um die Segnungen der in Elephantine erworbenen Zivilisation schleunigst wieder über Bord zu werfen, – diese seemännische Redensart trifft bei ihm zu, denn er hatte auf einem der berühmten Kataraktboote gedient. –

Sussik ist mein Freund. Ich werde nachher noch genügend von ihm zu reden haben.

Mein Schreibtisch steht in einem Leinenzelt, das unter einer Schicht Flugsand sich viele Jahre tadellos konserviert hatte. Sogar die in Schwarz aufgedruckte Londoner Firma, die es einst für die verschollene Expedition geliefert hatte, ist noch zu entziffern.

In diesem geräumigen Zelt hause ich zusammen mit Sussik. Es steht dicht neben dem uralten Gemäuer an der Westseite der Oase, an den ehrwürdigen Resten eines nubischen Tempels, die der Antilopenjäger Gupa zum Ausspannen der Felle benutzt. Das Mauerwerk hat so zahllose Risse, in die man bequem die Spannpflöcke hineintreiben kann. Zuweilen sperrt Gupa dann ohne Absicht ein Chamäleon oder eine andere Art Eidechsen durch die straffe Haut in eine Spalte ein, und die armen Viecher müssen fasten. Es schadet ihnen nichts.

Neben meinem Zelt wohnt in einem zweiten der Mann aus dem Weißen Rößl, Herr Tübbicke, und das dritte Zelt gehört Gupa, der meist hoch zu Dromedar mit A. A. A. abwesend ist. Sie jagen.

Und die Oase?

Tübbicke hat sie »Olaf« getauft, aber das war Unsinn, es ist einfach die Oase, unsere Oase. Ich gehe jede Wette ein, daß wir die ersten Europäer sind, Tübbicke und ich, die hier längere Zeit verweilten. Die, die vor uns hier waren, hatten wohl allen Grund, schleunigst wieder abzuziehen. Die langen Speere der Bischarin sind wohl noch von den unruhigen Zeiten der Madhisten-Aufstände her so verdammt scharf.

Unsere Oase liegt etwa am Südrande der Nubischen Wüste. Etwa. Ich bin kein Geometer, und die Vermessung dieses Gebietes von 400 000 Quadratkilometer hat bisher nicht stattgefunden. Sie liegt dort, wo die große Karawanenstraße von Assuan nach Berber den Bir Schikr berührt, – und dann nach Nordosten zu – irgendwo zwischen den gelben ungeheuren Dünen von Flugsand, der so leicht ist, daß jeder Lufthauch ihn in Bewegung bringt. So locker ist dieser eigentümliche Sand, daß die Bischarin ihn wie die Pest meiden. Kein Menschenfuß, kein Dromedarhuf, kein Eselsbein ist diesem Pulverstaub gewachsen. Wie wir diese Dünen, die von den Bischarin so treffend mit »Berge, die fließen«, bezeichnet werden, passieren konnten, dankten wir der finsteren Lady Jane.

Was ich seinerzeit auf der Schule über Nubien gelernt hatte, war spottwenig gewesen. Wir hatten da in meiner Heimatstadt Göteborg einen Geographielehrer, der als Junggeselle in einem Gasthaus speiste, stets »Mittagsschoppen« einhielt und, da die Geographiestunden nachmittags lagen, fast regelmäßig auf dem Katheder sanft einschlief und den Lehrstoff von einem von uns vorlesen ließ. Daß der Vorleser dabei mit Skat spielte oder mit uns sonstigen Unfug trieb, schadete unseren Kenntnissen bedenklich. Später als Student und Ingenieur hatte ich für Ägypten, Nubien und den Sudan auch nur mäßiges Interesse. Erst als wir drei, A. A. A., Gupa, ich (und Wrangel) gezwungen waren, den kleinen Spazierritt ins Nubische hinein zu wagen, – als wir dann gerade zur Zeit die Überbleibsel der schon erwähnten verschollenen Goldexpedition ausbuddelten, stieß ich dabei in einer der Kisten auf des Franzosen Moiree dickes Werk über Ägypten, ich nahm es mit, es liegt nun als einziges Buch hier auf meinem steinernen Schreibtisch – aufgeschlagen, und ich habe soeben bei einer Morgenzigarre abermals darin studiert und fand viel Wissenswertes.

Für den Durchschnittsgebildeten ist Nubien (es sei denn, er hätte Karl Mays »Im Reiche des Madhi« gelesen) ein Teil von Ägypten, in dem Nubien eine endlose Wüste, die man mit dem Luxuszug Wadi Halfa – Berber schleunigst durchquert, um recht rasch nach dem fruchtbareren Sudan und nach Chartum zu gelangen, wo es vornehme Hotels, Jazzband, Wasserspülung, Eisfabriken und ähnlich wichtige Dinge gibt.

Nubien war einst ein Kulturreich, ebenso mächtig wie das nördlichere Pharaonenland.

Es war . . .

Jahrtausende ließen von dieser Kultur nur noch steinerne Denkmäler übrig. Fremde Völkerschaften verdrängten die Ureinwohner, dieses ungeheure Gebiet von 750 000 Quadratkilometer zählt heute kaum eine Million Einwohner, die Madhisten-Kriege schlachteten ein Drittel der Bevölkerung hin, – als es dann mit der Herrschaft des Madhi zu Ende ging, als die Engländer als die wahren Herren ihre Geschäftstüchtigkeit auch auf die Ausbeutung der uralten Goldminen ausdehnten, war die Nubische Wüste als Nordteil Nubiens für wenige Jahre an den Börsen sattsam bekannt.

Auch Ägypten hat also seine Periode des Goldtaumels gehabt, wie Kalifornien, Alaska, Südafrika. Wer weiß heute noch etwas davon?! 1906 war diese Massensuggestion verpufft. Viele Millionen waren zwecklos für Expeditionen ausgegeben worden, die nach Goldfundstellen suchen sollten. Fünfunddreißig solcher Expeditionen haben die Einöden durchquert . . . Spekulanten erschossen sich, als die Schwindelaktien der zahlreichen verheißungsvollen Gesellschaften nicht einmal mehr als Tapeten verwendbar waren . . .

Und doch steht fest, daß die Ägypter hier einst phantastische Goldmengen durch ihre Sklaven schürfen ließen. Steininschriften beweisen es. Goldkarawanen führten das edle Metall in langen Barren gen Norden, nicht etwa Kamelkarawanen, denn das Kamel und das Dromedar wurden erst später von Arabien her eingeführt. Esel und Pferde besorgten diese Transporte, die stets unter dem Schutze von Bewaffneten nordwärts zogen. Schon damals gab es dieselben Karawanenstraßen wie heute, schon damals war die Gilde der Wüstenräuber äußerst rührig, – heute sind diese unbequemen Leute seltener und vorsichtiger. So manche jener Goldkarawanen erreichte nie ihr Ziel. Die schwarzbraunen Banditen flüchteten mit dem Golde, – ein Sandsturm kam, und Gold und Banditen schliefen den ewigen Schlaf unter meterhohen Sandwehen . . .

So schreibt Moiree . . . Er schreibt viel Wissenswertes.

Aber Moiree kannte nicht Lady Jane und Lord James Cordy und uns vier . . . Dann hätte er noch weit Interessanteres berichten können. Er kannte auch unsere Oase nicht – unsere grüne, wundervolle Oase, eingebettet in dunklen Granit, umsäumt von gelben Sanddünen . . .

Wenn ich durch den Zelteingang hinausschaue über dieses kleine Paradies, sehe ich die Sonne auf dem blanken Spiegel des winzigen Sees glänzen . . . Prächtige Kraniche, schwarze Störche und melancholische Marabus, die sich rasch an unsere Gegenwart gewöhnt haben, stehen halb im Wasser und lauern den zahllosen Fröschen auf. In den Palmenkronen lauern große weißköpfige Geier auf Gupas Jagdbeute. Gupa spendet ihnen regelmäßig die Innenteile, und wenn er guter Laune ist, wirft er ihnen auch einmal einen ganzen Schakal hin oder einen langohrigen Fennek . . .

Heute haben wir sanften Wind. Die Dornbüsche, die Tamarinden und Gummiakazien rauschen fast heimatlich. Aber drüben sitzt mein Freund Sussik und bringt seine Frisur wieder in Ordnung, und damit schwindet jeder Gedanke an meine nordischen Kindheitsstätten. Sussik kaut nämlich Hammeltalg – so lange, bis er einen schaumigen Kloß im Munde hat, und damit reibt er seinen schwarzen Bubikopf ein, weil nur derart präparierter Hammeltalg in der sengenden Sonne nicht zerfließt . . .

A. A. A. und Gupa sind morgens wieder davongeritten. Es gibt nur einen einzigen Pfad durch die »fließenden Berge«. Wir kennen ihn, aber andere kennen ihn auch, und auf diese anderen warten wir. Drei Wochen sind wir nun hier. Wir haben Geduld. Sie werden kommen. Dann müssen all die dunklen Fragen sich klären. Wir fürchten keine Überraschung, denn wir haben uns wirksam geschützt. Unsere Oase ist eine Festung mit unersteigbaren Wällen, und die einzige »Leiter« ist sorgsam »verlegt« . . . Mein Feind Cordy wird ein sehr langes Gesicht machen, wenn er den »Pfad« nicht mehr vorfindet. Ich liebe lange Gesichter, ich liebe sie, ohne schadenfroh veranlagt zu sein . . . Wera hat auch ein längliches, feines Antlitz.

Wera?!

Fünf Wochen, nein sechs – sechs Wochen sind es her, seit wir die Fährte Lord Cordys im Wadi Arabah verloren durch einen der so seltenen, kurzen Platzregen. Gegen Regenwäsche ist auch Wrangels Nase machtlos, und als die Dunkelheit kam, gaben wir es auf, nach Weras Entführern zu suchen und lagerten in einer jener Kalksteinhöhlen, die besser sind als ein Luxushotel – billiger jedenfalls.

Wir waren müde, abgehetzt, durchnäßt, verärgert. Tübbicke konnte seine schwere Enttäuschung darüber, daß unser Abenteuer nun in Wahrheit zu Wasser geworden, nicht verbergen. Mißmutig schaute er zu, wie Gupa aus Reisern, Gras und Kameldung ein Feuer anzufachen suchte . . .

»Weshalb haben Sie eigentlich der Lady das Notizbuch weggenommen, Olaf?!« meinte er neugierig, und diese Neugier zauberte wieder ein friedliches Lächeln um seinen freundlichen Mund. »Man klaut doch nur Dinge, die von Wert sind . . . Ich habe mir das Büchlein angesehen . . . Es enthält lediglich vier Seiten Zahlen, – Preise für Einkäufe in Kairo, denke ich . . .«

»Sie denken daneben.«

»Bitte, es sind Notizen über Einkäufe! Geben Sie das Ding mal her.«

Gupa an der anderen Seite des qualmenden Feuers, über dem nun, gestützt durch drei Steine, ein Aluminiumtopf stand, mischte sich mit seinem kräftigen Baß etwas gereizt ein. Wir hatten uns der deutschen Sprache bedient – nicht absichtlich. Unser Kamerad mit dem undurchdringlichen Golemgesicht sagte ziemlich scharf: »Sprecht englisch . . .! Auch ich will wissen was vorgeht.«

Er schüttete gemahlene Hirse in das Wasser des Kessels, tat den Inhalt einer Konservenbüchse hinzu und behielt seine steinerne Miene bei, als ich mich bei ihm mit Recht entschuldigte . . .

»Es handelt sich um Lady Janes Notizbuch, lieber Gupa . . .«

»Es handelt sich um viel ernstere Dinge«, erklärte er laut. »Wir haben zwei Gegner, und jeder von ihnen hat Begleiter. Der eine ist Lord Cordy, der andere seine Frau. Sie sind ebenfalls verfeindet.«

»Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte«, lächelte Tübbicke sorglos. »Ich möchte wohl wissen, wie uns hier jemand finden soll . . .?!« Er war Optimist. Er nahm das Leben von der leichten Seite. Auch das ist Jungbrunnen.

Gupas dunkle Augen ruhten mit etwas geringschätzigem Ausdruck auf Tübbickes frischem Gesicht. Seine Stimme grollte fast, als er entgegnete: »Der Lord wird uns finden . . .! Er verlor etwas – er oder einer seiner Begleiter . . . Hier dies!«

Er griff in sein mantelartiges Gewand hinein, in das er sich allerlei Taschen eingenäht hatte. Ein schmutziger brauner viereckiger Stab kam zum Vorschein.

»Da!«

Nichts weiter sagte er . . .

Tübbicke lachte. »Was ist das?! Ein Gummiknüttel?!«

»Es ist Gold«, erklärte Gupa. »Ich fand es im Geröll des Passes vor der Notbrücke, die wir errichteten.

Er kratzte mit dem Messer die Schmutzschicht an einer Stelle ab.

Es war ein Goldbarren von etwa zwanzig Zentimeter Länge und fünf Zentimeter Dicke.

Tübbicke wog die Goldstange mit feierlicher Miene in der Hand. »Das imponiert mir, das sehe ich zum ersten Male.«

»Ich nicht«, – Gupa schaute mich an. »Olaf, du weißt, daß ich am Amur Goldminen besaß. Ich war Millionär . . .«

Freund Adolar starrte ihn sprachlos an. »Millionär?! Sie?!«

»Ich – ja! Und ich weiß mehr über die Goldminen der Erde als mancher andere. Dieser Barren ist sehr alt. Er muß aus einer sehr alten ägyptischen Schatzkammer stammen. Lord Cordy ist ein Abenteurer, – Sie sagten das, Mr. Tübbicke. Er ist noch mehr: Ein Mörder und Frauenentführer. Ich nehme an, es war nicht Wera Zubanoffs Schönheit, die ihn lockte. Die Fürstin Zubanoff hat uns vieles verschwiegen, obwohl wir ihre Retter sind, Retter waren, Olaf . . .!« Und jetzt traf mich ein ironischer Blick. »Was besagt das Büchlein, Olaf? Wir müssen klar sehen.«

Ich hielt das kleine Notizbuch, das in einer Klapphülle steckte wie in einem Zigarettenetui, in der Linken. Ein Druck auf den Knopf ließ das Etui auseinanderschnappen, und das Büchlein, mit einem Gummiband befestigt, öffnete sich von selbst. Der Flammenschein beleuchtete die Zahlen und die daneben gekritzelten Wörter.

Tübbickes Stirn brauste sich. Sein Gesicht ward hart.

»Reden Sie, Lensen!«

»Ich werde vorlesen«, meinte ich achselzuckend. »Ich habe die feine Witterung eines Schweißhundes auch für entlegene Dinge wie dies Geschreibsel. Hier steht als erste Zahl:

400 – K. – Kuft

Halten Sie ›Kuft‹ für Toilettenseife, Tübbicke?!«

Er schwieg und senkte den Kopf.

»Hier steht weiter:

4 T. – K. – K.

Glauben Sie, es handelt sich um Zahnbürsten, Tübbicke?!«

»Kuft ist eine Stadt am Nil«, sagte der Rat widerwillig.

»Also wußten Sie ganz gut, daß es nicht Notizen über Einkäufe sind. Es sind Angaben über eine Reiseroute nach Süden, – von Kairo aus in Kilometern berechnet, dazu noch in Tagesmärschen von Ort zu Ort. Da von Kairo bis Kuft in der Luftlinie die Strecke vierhundert Kilometer beträgt, da für diese Entfernung vier Tagesritte vorgesehen sind, ergäbe das pro Tag hundert Kilometer. Das schaffen nur erstklassige Reitdromedare wie die der Bischarin. – Weiter steht hier:

300 – Kuft – Ass.
3½ T.

Meinen Sie nicht, Tübbicke, daß ›Ass‹ gleich Assuan sein soll? Oder denken Sie an Skatkarten?!«

Adolar mit den drei A rief ärgerlich:

»Genug davon! – Die Route ist bis hinab zur großen Karawanenstraße genau berechnet ... bis zum Bir Schikr, dann folgt nur noch eine Zahl:

150 – Irba,

und das verstehe ich nicht recht.«

Ich mußte lächeln. Für einen Reisenden aus dem »Weißen Rößl« hatte der Herr Rat erstaunliches Talent zum Kombinieren.

Mein Lächeln machte ihn verlegen.

»Natürlich ist Irba das Irba-Gebirge, das im Osten am Roten Meere liegt. Aber – – die 150?!«

». . . Können nur bedeuten: 150 Kilometer von Bir Schikr gen Osten«, erklärte ich.

»Nun – – und?!« Jetzt wurde Tübbicke lebhafter. »Was soll es mit dieser Reiseroute?! Wer quält sich denn heutzutage noch per Dromedar bis zur Nubischen Wüste durch?! Mein Reisehandbuch umfaßt nur Oberägypten bis zum großen Stauwerk bei Assuan, und ich habe mir nur eine Nilfahrt bis Siuk leisten können, doch . . .«

Ich sagte ironisch: »Tübbicke, Sie werden mir nie einreden, daß Sie lediglich zum Vergnügen nach Ägypten gekommen sind . . .! Als wir Sie trafen, waren Sie zweifellos nach dem Kloster St. Antonius unterwegs. Was wollten Sie dort?«

Er zögerte, dann erklärte er offen:

»Jemand suchen, Lensen . . . Oder nein, weshalb das Versteckspiel, Sie heißen Abelsen, ich werde jedoch Olaf sagen, wie es Gupa tut. Ich könnte Ihr Vater sein.«

»Und Sie sind nicht Rechnungsrat im Ruhestande . . .?!«

Er streckte mir die Hand hin. »Ich bin es – Tatsache! Ich werde Ihnen gelegentlich eine abenteuerliche Geschichte erzählen, die den großen Vorzug der Wahrheit hat. Ich gebe zu: Meine Interessen lenken mich ostwärts. Ich wollte in den uralten Wüstenklöstern St. Antonius und St. Paulus Nachforschungen anstellen, aber – das hätte Zeit. Ich möchte mich von Ihnen beiden nicht gern trennen, Sie könnten mir später helfen. Ich habe eben meinen Entschluß geändert. – Meinen Sie, daß Lord Cordy ebenfalls die Route bis Bir Schikr kennt?«

Ich löste das Gummiband, und das Büchlein enthüllte sein letztes Geheimnis. Zwischen Etui und Rückendeckel war ein zusammengefalteter Zettel eingeklemmt. Mit Tinte stand da in groben Zügen – eine fast brutale Schrift:

»Du wirst mich niemals daran hindern, W. Z. zu zwingen, mit nach der Oase zu kommen. Sie kennt alles Nötige, nur sie! – Hüte Dich, das Recht ist auf meiner Seite. Solltest Du mir bis Bir Schikr folgen, ist es Dein eigener Schade!«

Keine Unterschrift . . .

Trotzdem: Cordy war der Schreiber, und Cordy war auch der heimtückische Schütze gewesen, der mich im Tale von St. Antonius hatte auslöschen wollen.

Tübbicke und Gupa pflichteten mir vollkommen bei. Wir kannten nun unser fernes Ziel. Es war die Nubische Wüste. Wir glaubten auch, daß wir allen Grund hätten, uns zu beeilen. Wir aßen rasch, Gupa übernahm die erste Wache. Um Mitternacht weckte er mich.

Diese Nacht sollte nicht ruhig verlaufen. Die kalte Schönheit der mondbeschienenen Berge paßte in meine Stimmung hinein. Wera Zubanoff war aus meinem Herzen getilgt. Ich hatte mich zu mir selbst zurückgefunden. Ich wollte frei bleiben. Die breite Straße des Alltags war nichts mehr für mich. Das Abenteuer lockte, und aus der Vorfreude wuchsen mir die Kräfte, den Trieb auszuschalten und nur Mann zu sein, Mann von einst, als die Araukaner mich El Gento nannten. Was ich für Liebe gehalten, war doch nur Trieb des Augenblicks gewesen. Das wahrhaft Beständige in mir war die Unrast derer, die abseits vom Alltag ihre Pfade suchen.

Wrangel hob den Kopf von den Vorderpfoten, stellte die kleinen Ohren aufhorchend nach vorn, und aus seinem breiten Brustkasten kam ein warnendes Murren.

Ich äugte durch die Spalten des Steinwalles, den wir vor dem Höhleneingang aufgeschichtet hatten.

Die Schlucht entlang kam leichten, federnden Schrittes die stolze Gestalt der Lady Jane Cordy.

 

Sie kam allein, ohne Waffen, jedenfalls ohne ihre Büchse und ohne den Ledergurt mit den Pistolen. Nur ihr Mondschatten begleitete sie.

Wie ich sie so stolz und aufrecht nahen sah, fühlte ich abermals eine stille Sympathie für diese rätselhafte Frau, über die auch Tübbicke recht wenig hatte berichten können. Was er in Kairo über sie in den Zeitungen gefunden hatte, müßte alles mehr Vermutung sein. – Missionarin, – – Königin der Bischarin?! Das erstere war möglich, das zweite war Sensationsmache.

Sie kam ruhig heran, sie mußte unseren Aufenthaltsort kennen, sie blieb unten vor der Höhle stehen, zu der ein paar schmale treppenartige Terrassen emporführten.

»Mr. Abelsen . . .« rief sie halblaut.

Mein breitkrempiger Strohhut war unverkennbar.

»Sie wünschen?«

Ich hütete mich, den Kopf zu heben. In den Strohhut mochte man mir von drüben ein Loch schießen, mein Schädel war vorläufig noch zu wertvoll. – Ich traute ihr nicht.

»Ich möchte Sie allein sprechen«, sagte sie ebenso gedämpft und setzte den einen Fuß auf die unterste Terrasse.

»Bitte . . . Meine Gefährten schlafen weiter hinten. Nur der Hund ist bei mir.«

»Geben Sie mir mein Notizbuch zurück . . .« Ihre Stimme klang befehlend.

»Sehr gern . . . Ich hielt es für ein Zigarettenetui, und ich wollte mir ein Andenken an Ihre Undankbarkeit aneignen.«

Sie spürte den beißenden Spott.

»So spricht man nicht mit einer Dame, Mr. Abelsen . . .

»Aber mit einer Feindin, Mylady! – Salonphrasen wären hier wenig am Platze.«

Sie lachte bitter. »Ich lebe seit fünf Jahren unter den Bischarin, und die haben keine Salons. – Natürlich wußten Sie, daß es ein Notizbuch ist. Sie hofften darin irgend etwas zu finden . . .«

»Papier – ja! Ich schreibe gern.«

»Schämen Sie sich! Ein Mann wie Sie sollte alle Winkelzüge verachten.«

»Danke. Nehmen Sie sich bitte dasselbe vor, und wir werden vielleicht Freunde werden.«

Sie mochte sich getroffen fühlen, denn sie schwieg eine Weile.

Ich warf ihr das Notizbuch in flachem Bogen vor die Füße. »Verzeihen Sie diese Art der Rückgabe, aber Ihre Bischarin lauern doch zweifellos in der Nähe.«

»Ja, Ihre Höhle ist eingekreist, und Sie werden hier ausgehungert werden, falls Sie nicht . . .

». . . Wollen Sie die Wildwestszenen fortsetzen, Mylady?! Wir sind hier in nächster Nähe einer Weltstadt, denn siebzig oder achtzig Kilometer haben nichts zu bedeuten. Falls ich meinen Hund auf Sie hetze, wirft er Sie nieder, – und das Bild von heute nachmittag würde sich wiederholen.«

»Das Bild würde anders wirken, Mr. Abelsen. Vier Kilometer nach Westen lagert ägyptische Gebirgsartillerie, die sich wohl auf einem Übungsmarsch befindet. Der Steckbrief gegen Sie läuft noch. Ich warne Sie. Ich kenne keine Rücksichten.«

Sie sprach kalt und unerbittlich. Vielleicht log sie.

». . . Was fanden Sie in dem Notizbuch?!« fügte sie drohend hinzu. »Lügen Sie nicht!« Sie hatte das silberne Etui aufgehoben und aufgeklappt.

»Ich fand . . .« – ich mußte antworten und lügen – »die Tagesritte bis zu den Weideplätzen der Bischarin. Ich würde an Ihrer Stelle die Bahn oder einen Dampfer benutzen, Mylady, falls Sie wieder dorthin zurückkehren wollen. Oder wollen Sie den edlen Wettstreit zwischen uns beiden, Ihren Gatten zu finden, fortsetzen?! Ich werde ihn finden . . . Tübbicke ist ohne Makel, ohne Steckbrief, und er wird die Stelle am Nil schon entdecken, wo Ihr Gatte vielleicht ein Schiff bereithielt, um die schöne Wera in ein Flitterwochennest zu verschleppen . . .« – das war roh. Das war Absicht. Das war aber auch die einzige Möglichkeit, jeden Verdacht Lady Janes zu zerstreuen, ich könnte den in dem Etui versteckten Zettel gefunden und meine Schlüsse daraus gezogen haben.

Meine schamlosen Andeutungen entlockten ihr nichts als eine stolz-wegwerfende Kopfbewegung. Sie zauderte noch Sekunden, dann drehte sie sich um und wollte davongehen.

»Lady Cordy . . .!« – Was hatte sie nun vor.

Sie wandte den Kopf halb zurück.

»Jede Gefängniszelle müßte sich Ihrer schämen!« sagte sie ungeheuer verächtlich. »Ich will Sie nie mehr sehen, ich habe Sie leider überschätzt!«

Sie verschwand im Mondschatten der Schluchtwand, ihre Gestalt zerschmolz in der dort lauernden Finsternis, – und ich konnte mit mir zufrieden sein. Ich hatte gewußt, daß von ihr nichts zu erfahren sein würde, ich hatte sie getäuscht: Wir würden uns wiedersehen, denn sie war ja zweifellos hinter ihrem Gatten her – weshalb?!

. . . Und ich dachte an frühere Erlebnisse, dachte an des Schicksals unberechenbare Launen, das hier wieder einmal Menschen und unberechenbares Geschehen durcheinandergewirbelt hatte . . .

Bestand nicht eine entfernte Ähnlichkeit zwischen Lady Janes undurchsichtigem Vorhaben und Wera Zubanoffs abenteuerlicher Fahrt bis zur Küste Sachalins?! Auch Wera hatte gesucht, liebenden Herzens gesucht, – und der Abschluß war eine grausame Enttäuschung gewesen. Zwei Frauen, und doch wie grundverschieden in ihrem Wesen und Sichgeben, wie ähnlich in dem einen: Erstarrt zu zäher Energie, zielbewußt, hart, wenn es darauf ankam. Aber Wera trotz allem immer noch »Weibchen«, – Jane Cordy vermännlicht, außerhalb der Gefühlswelt der Frau stehend, wohl hineingedrängt in ein seltsames Dasein fern aller Kultur! Wie bitter hatte es geklungen, als sie die fünf Jahre unter den Bischarin erwähnt hatte!! Freiwillig war sie nicht in die nubische Wüste gezogen – niemals! Und – fünf Jahre, in denen dann, wie Tübbicke es wußte, nur ganz selten über sie ungewisse Kunde in die Öffentlichkeit gedrungen war. –

Ich schaute auf meinen linken Unterarm. Das Zifferblatt der Armbanduhr, eine matte Scheibe mit Leuchtstrichen, zeigte den Anbruch der zweiten Morgenstunde.

Ich beobachtete die gegenüberliegende Schluchtwand. Sie stieg erst steil an, ging dann in eine breite Geröllhalde über. Daß dort hinter den Steinen Bischarin lauerten, daß vielleicht gar über unserer Höhle ein paar dieser glänzenden Reiter und Speerwerfer steckten, – das war gewiß.

Würden sie nun abziehen?!

Ich nahm mein Fernglas. Äußerlich war damit nicht mehr viel Staat zu machen. Es war zerschrammt, zerbeult, aber es war einmal eines der besten gewesen, die ich vom versunkenen »Paradies der Enterbten« mitgenommen hatte.

Ich stellte es ein. Die Geröllhalde lag im klaren Mondlicht da. Zwischen den Felstrümmern bewegte sich ein Tier . . . Es war ein Klippdachs, eins der scheuesten Geschöpfe dieser steinigen Einöde. Er lief eilfertig hin und her, nach einer Weile erschien ein zweiter, das Weibchen, mit drei rattengroßen Sprößlingen. Die ganze Familie zog die Halde empor, Vater Dachs als Vorhut voran, seine Familie zehn Meter hinter ihm.

Nein, dort steckten keine Bischarin. Wo ein Dachs zu nächtlicher Futtersuche ausgeht, ist das Gelände unverdächtig.

Ich wollte gerade das Glas in den Lederbeutel zurückschieben, als von Westen her klingender Hufschlag ertönte. Das war ein beschlagenes Pferd, und der Reiter trabte. Noch sah ich ihn nicht. Mir fiel Jane Cordys Drohung ein: Ägyptische Artillerie!

Einen Moment ward mir unbehaglich zumute.

Dann bog der Reiter um die Felsgruppe: Ein Mann in gelbem Reitanzug – wie aus dem Modenblatt geschnitten, im Munde eine Zigarette, in der Linken einen Reitstock mit gekrümmter Silberkrücke.

Das Sattelzeug war funkelnagelneu, das Pferd war ein Apfelschimmel von tadellosem Gliederbau, mit einem fast zu kleinen Köpfchen, ohne Zweifel arabisches Vollblut.

Ich hatte das Glas schon wieder an den Augen.

Wenn dieser Sonntagsreiter vor dem Mena-House-Hotel erschienen wäre, – dort gehörte er hin, dort war die Zentrale aller reichen Globetrotter für Ägypten. Hier?!

Es war ein bartloses, braunes Gesicht mit kurzer Oberlippe . . . Tübbicke konnte mit dem da nicht konkurrieren. Ich auch nicht. Die letzten Jahre hatten meiner Haut die Runen des Erlebens eingekerbt.

Der Gentleman warf seinen Zigarettenstummel weg, brachte sein Pferd zum Stehen und blickte sich um.

Es war zweifellos ein Engländer.

Er stieg zu meinem Erstaunen gemächlich aus dem Sattel. Vor der Brust baumelte ihm etwas Blankes, das er nun wie ein Jongleur in die rechte Augenhöhle warf. Er musterte die Terrassen vor unserer Höhle, nahm sein Prachttier am Zügel und kam näher. Vor der untersten Terrasse, wo noch vor zehn Minuten Lady Jane gestanden hatte, machte er halt und blickte zu mir empor. Sehen konnte er mich nicht. Ich hatte den Hut abgenommen. Er faßte an die Krempe seines Tropenhelms . . .

»Ralph Cudderson«, sagte er. »Ich habe doch das Vergnügen mit Mr. Lensen . . .

Dabei klemmte er den Reitstock unter den Arm und lüftete seinen Korkhelm. Sein hellblonder Scheitel war schon reichlich dünn.

Was sollte ich tun?!

». . . Sie können sich getrost melden, Mr. Lensen«, fügte Cudderson hinzu. »Ich traf vorhin eine Dame und zwölf etwas fragwürdig duftende Kerle, an denen das Beste ihre Dromedare waren. Das heißt, einer ritt ein Maultier, und . . .«

». . . Was tun Sie hier?«

Er pfiff durch die Zähne. »Das ist schwer zu beantworten . . . Eigentlich gar nichts. Eigentlich . . . Ich hatte da in Kairo eine Dame gesehen, die mich fabelhaft interessierte: Wera Zubanoff. Zwei Tage reite ich nun hier in dieser scheußlichen Gegend umher und suche sie.«

»Und – was sind Sie von Beruf, Mr. Cudderson?«

»Nichts.« Er setzte seinen weißen Topf wieder auf. »Nichts, das ist doch selbstverständlich . . . Leute, die arbeiten, werden doch nicht so verrückt sein und blindlings hinter einer Fürstin Zubanoff hertraben. Ich bin der Sohn von Cudderson und Walker, Immobilien-Bank, London, und gänzlich schuldlos daran, daß mein Vater unanständig reich ist. Ich wohne seit sechs Wochen im Mena House, wir hatten da famose Bridgespieler und glänzende Golfleute. Die Pyramiden, die Sphinx und die alten Grabkammern haben mich noch keinen Tropfen Schweiß gekostet. Aber diese aschblonde Russin . . . wie gesagt, ich suche sie. Sie soll mit einem Führer nach dem Kloster St. Antonius unterwegs sein, hörte ich, und da bin ich eben vorgestern früh losgeritten und habe mich verirrt. Die Dame vorhin, die mit den zwölf Niggern . . .«

»Nubiern . . .« verbesserte ich.

»Meinetwegen auch Nubiern –, sie beschrieb mir den Weg in diese Schlucht und riet mir, mich Ihnen anzuschließen. Ich bin ein durchaus verträglicher Mensch, Mr. Lensen. Ich habe nicht einmal einen Spleen. Nur, ich möchte Wera Zubanoff heiraten, unbedingt. Ihr Gatte hat sich von ihr getrennt und soll sich in eins der Koptenklöster auf der Nilinsel Kalabsche – oder so ähnlich – zurückgezogen haben. Er wird wohl hinsichtlich der Scheidung keinerlei Schwierigkeiten machen.«

Der Mann war harmlos.

Ich erhob mich, stieg über den Wall und stand vor ihm.

Sein Pferd trug zwei Satteltaschen, zusammengerollte Wolldecken, zerlegbare Zeltstangen und einen Wasserschlauch.

»Mr. Cudderson«, sagte ich schmunzelnd, »Sie haben ganz entschieden keinen Spleen. Wissen Sie, wer die Dame war, die sie hierher schickte?«

»Nein, – mir auch gleichgültig, Mr. Lensen. – Wo ist die Fürstin?«

Er hielt mir sein Zigarettenetui hin. »Bitte – echtes Elefantenleder!!«

»Die Zigaretten?!«

»Nein, die sind von Cheffger, London. Ich habe fünftausend Stück an Bord.«

»An Bord?!«

»Ja doch! Denken Sie, ich bin zu Fuß nach Ägypten gekommen? Die Minnawatta ankert auf dem Nil, tausenddreihundert Tonnen, allermodernste Motoren, siebzehn Knoten, – ganz netter Kahn. Wo ist die Fürstin?«

Hätte er mich dies noch vor vier Tagen gefragt, würde ich ihn als Nebenbuhler betrachtet und dementsprechend behandelt haben.

»Ich weiß es leider nicht, Mr. Cudderson. Wir haben ihre Fährte verloren.«

»Fährte?!« Er schüttelte den Kopf. »Sie reden wie ein Trapper, Mr. Lensen, und weshalb in aller Welt schleppen Sie sich hier mit dem Ding umher?!« Er tippte mit dem Zeigefinger auf meinen Büchsenlauf. Er trug hellgelbe Waschlederhandschuhe mit Reitstulpen. »Hier braucht man doch keine Waffen! Mein Reitstock ist schon beinahe zuviel des Guten. Wenn man ein Scheckbuch, ein paar lose hundert Pfund in der Tasche hat, lebt man hier bequemer und sicherer als in London. Meinen Sie nicht?«

»Nein.«

Er blickte mich verdutzt an. »Haben Sie denn schlechte Erfahrungen gemacht?!«

»Ja.«

»Inwiefern? Ich bin gespannt . . .«

»Wir haben gestern Wera Zubanoffs Führer begraben, und der starb an der Bleikrankheit, Mr. Cudderson.«

Er verstand. »Nicht möglich!! Erschossen?! Und die Fürstin?«

»Entführt!«

Ihm fiel vor Schreck das Einglas aus dem Auge. »Hier . . . in Ägypten?! Keine zehn Reitstunden von Kairo entfernt?! Das ist geradezu unerhört!« Er war ganz fassungslos. »Ich kann daran kaum glauben! Dort drüben am Nil rollen die Expreßzüge, rollen Straßenbahnen, Autos und . . . – scherzen Sie auch nicht?!«

»In solchen Dingen – nein!«

Er schaute mich lange an. »Sie haben ein Gesicht wie ein . . . ein . . . na, sagen wir: wie ein Gentleman, der gern Löwen jagt. Sie gefallen mir. Die Dame vorhin meinte, ich sollte mich Ihnen anschließen, Sie hätten zwar die Manieren eines Hottentotten, aber den Mut und die Schlauheit eines Tigers . . . Ich kenne Tiger nur aus dem Londoner Zoo. Und schießen – hm, ja, beim Taubenschießen in Monte Carlo erhielt ich einen Trostpreis, und . . . – Sie wollen also Wera Zubanoff befreien . . . Ich mache mit, klar! Ich bitte also in aller Form, Sie begleiten zu dürfen, Mr. Lensen, obwohl ich Ihnen zweifellos sehr zur Last fallen werde. Ohne meinen Diener bin ich geradezu hilflos. Mac besorgt alles für mich, am liebsten hätte ich auch Mac hier zu Ihnen geschickt, aber . . .«

». . . Haben Sie ihn denn mit?!«

Er blickte mich fast entsetzt an. »Aber natürlich! Er lagert drüben im zweiten Tale. Ohne Mac Olby bin ich einfach undenkbar. Wir haben doch noch zwei Packpferde mit. Die Gummibadewanne nahm sehr viel Platz in Anspruch.«

Jetzt war ich sprachlos. »Wo kriegen Sie denn das Wasser zum Morgenbade her?!«

»Oh, Mac filtriert es, ich benutze stets dasselbe, es handelte sich bisher auch nur um . . .«

Er mochte ja ein guter Kerl sein, dieser Cudderson . . . Als Begleiter war er unmöglich. Ich erklärte ihm das auch ganz unverblümt.

». . . Unser Ritt kann wochenlang dauern . . . Es geht wirklich nicht, Mr. Cudderson.«

»Schade . . .« Er überlegte angestrengt. »Die Badewanne können wir wegwerfen, Mr. Lensen«, meinte er bittend. »Nötigenfalls kaufe ich auch Waffen . . . auch ein Auto, vielleicht können wir auch die Minnawatta benutzen . . .«

Donnerwetter – – die Jacht! An die hatte ich gar nicht mehr gedacht, und gerade sie – – siebzehn Knoten . . .!!

Ich war auch jetzt ehrlich.

»Die Jacht gibt den Ausschlag, Mr. Cudderson!«

»Allerdings«, sagte hinter mir Mr. Tübbicke vergnügt. »Entschuldigen Sie, meine Herren, daß ich mich einmische . . . Die Jacht kenne ich, Olaf. Erstklassig! Und Mr. Cudderson kenne ich auch . . . Sie besinnen sich doch, wir spielten mal zusammen Golf . . . Sie wohnten freilich im Mena House, ich nur im Nebenhause . . .«

Sie schüttelten sich die Hände, und das Ende vom Liede war, daß Cudderson sofort mit seinem unentbehrlichen Mac nach Kairo zurückkehren und uns mit der Minnawatta beim Dorfe Cotsch gegenüber Abu Girzeh erwarten wollte. Es wäre besser gewesen, wir hätten diese Vereinbarung in Ruhe besprochen, denn später sollte sich zeigen, daß auch hier wieder einmal der alte Satz zutraf: Eile mit Weile! Das konnte freilich niemand voraussehen. Wir waren schuldlos an alledem, was nachher kam. Und es . . . kam allzuviel, die Zufälligkeiten, die uns sämtlich ungünstig, häuften sich zu Bergen an.

Als Gupa, der einen beneidenswert tiefen Schlaf hatte, von diesem Zuwachs an Gefährten erfuhr, gab er seinem Unmut höchst eindeutig Ausdruck: Er spie in die noch glühenden Reste des Feuers und drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter.

 


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