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6. Kapitel

Menzels Abenteuerroman.

Die Totenstille, die diesen Sätzen folgte, war begreiflich, war zugleich aber auch erfüllt von zahllosen unausgesprochenen Fragen.

Dann öffnete sich die Tür, und Frau Menzel, die ihren Arm wie schützend um die Schultern ihrer Enkelin gelegt hatte, trat langsam ein.

Inges Vater erhob sich. Er wollte seinem Kinde entgegeneilen, aber der harte Blick seiner Mutter bannte ihm am Platze.

»Fritz«, sagte die hagere grauhaarige Frau anklagend, »weshalb ließest du mich und dein Kind all die Jahre über deinem Verbleib im Unklaren?! Weshalb nennst du dich plötzlich Holger Jörnsen?!«

Der einstige Steuermann des Triton, der zusammen mit seinem unglücklichen Vater damals vor achtzehn Jahren den sinkenden Golddampfer verlassen hatte, sah seine strenge Mutter seltsam vorwurfsvoll an.

»Ich hatte eine heilige Mission übernommen, Mutter«. erklärte er schlicht. »Du weißt, daß unser Name mit dem schweren Makel eines Verdachts behaftet war. Du kennst die niederträchtigen Gerüchte, die meinen Vater, unseren Vater in den Tod trieben. Das Wrack des Triton wurde nie gefunden, und böse Zungen behaupteten, wir hätten uns an dem Golde bereichert, das heißt also, Vater und ich hätten das Wrack geplündert und nachher gesprengt. Die Menschen besitzen ja eine besondere Fertigkeit darin, alles zu Ungunsten anderer auszuwerten. Ich war als Taucher ausgebildet, – als Taucher sollte ich das Wrack geleert haben. All das ist Lüge, Verleumdung. Aber ich ahnte, daß es bei dem Unfall nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Meine Frau starb, – das gab den Ausschlag. Ich ging scheinbar in die Fremde, nach Mexiko. Die Schuldigen sollten sich in Sicherheit wiegen. Aber sie waren vorsichtig. Sie fingen mich ... Sieben Fahre hielten sie mich gefangen. Dann entfloh ich und begann ihnen nachzuspüren. Glaubst du, ich habe mich nicht nach meinem Kinde und nach dir gesehnt in all meiner Einsamkeit? Glaubst du, es wurde mir leicht, euch beiden nicht einmal Geldsendungen zukommen zu lassen, da ich eure Not kannte? Aber der Spione und Feinde waren zu viele ... Sollte ich mein Leben aufs Spiel setzen, nachdem diese erbarmungslosen Schurken mir bereits fast das Augenlicht geraubt hatten? – Ich hatte eine Mission, Mutter ... Der Name Menzel und damit der meines Kindes sollten rein werden von jeglichem Verdacht. Du bist hart geworden ... Ich auch. »Ich verstehe dich, Mutter. Aber ich konnte nicht anders handeln, das wirst du später begreifen.«

Bisher hatte unser Sonnenscheinchen den wiedererstandenen Vater nur immerfort aus tränenumflorten Augen mit versteckter sehnender Zärtlichkeit angeschaut, jetzt riß sie sich aus der Umklammerung der Großmutter los und flüchtete mit einem freudigen Aufschluchzen an ihres Vaters Brust.

Harst zog mich schnell ins Nebenzimmer.

Wir beide waren bei dieser Wiedersehensszene überflüssig. Wir gingen nach hinten in den kleinen Hof hinab, und hier, wo unser Hühnervolk uns lustig umgackerte und unsere zahmen Kaninchen ihre Nasen zutraulich an unseren Beinen rieben, sagte mein Freund mit jener monotonen Stimme, deren Klangfarbe gleichfalls ein Zeichen stärkster geistiger Konzentration ist. mit hellseherischer Bestimmtheit: »Ich wette, mein Alter, daß Fritz Menzel seine Gegner nicht einmal kennt. Das mag dir höchst unwahrscheinlich klingen, aber seine Andeutungen weisen darauf hin, daß er selbst noch im Dunkeln tappt, und wenn du dir seinen Bericht über seine nächtlichen Beobachtungen ins Gedächtnis zurückrufst, ferner auch sein Anliegen an uns. das durchaus ernst gemeint war, wie wir nun wissen, dann mußt du mir beipflichten.«

»Und weshalb nennt er sich hier Holger Jörnsen?!«, warf ich nachdenklich ein. »Weshalb wohnt er bei Anna Jörnsen?!«

»Das sind Fragen, die er uns sehr bald beantworten wird. Ich glaube nicht, daß der echte Holger Jörnsen tot ist ... Es sei denn, daß Peter Petersen, der Tote, um den sich jetzt alles dreht, gar nicht der Sohn des ehemaligen Reeders Petersen aus Hamburg ist ...«

Er zuckte etwas hilflos die Achseln. »Ein schwieriger Fall, mein Alter ... sehr schwierig. Wenn ein kriminelles Problem bis in eine Vergangenheit, die achtzehn Jahre zurückliegt, hinübergreift, dann sind die Fährten längst verweht, dann richtet nur der eiskalte logische Verstand etwas aus – –nur! – Oh – –

Sonnenscheinchen, – – nun, kleine blonde Inge, wir gratulieren herzlichst zu dem wiedergefundenen Vater!« Das junge ranke Mädel stand uns mit ernstestem Gesichtchen gegenüber.

»Herr Harst, in den ersten Freudenrausch fiel so mancher bittere Tropfen«, sagte sie leise und bekümmert. »Vater möchte Sie sprechen ... Es ist alles so ... ungeklärt, so widerspruchsvoll ... Vater meint, wenn Sie nicht helfen, kann er seine Bemühungen als zwecklos aufgeben ...«

»Er kennt also seine Feinde nicht?«

»Nein ... Das ist es ja, er kämpft all die Jahre gegen Gespenster, wie er sich ausdrückt ... Kommen Sie bitte, es drängt ihn, sich Ihnen anzuvertrauen ...«

Fritz Menzel saß uns gegenüber, und wir hörten seine Geschichte wortlos mit an. Es war der Dornenpfad eines zähen Charakters und ein Abenteuerroman, mit dem man einen ganzen Band füllen könnte.

Ich beschränke mich auf das zum besten Verständnis Notwendigste. – Menzels Verdacht, daß ein sorgfältig geplanter Anschlag auf den Golddampfer stattgefunden hätte, stützte sich auf zwei unumstößliche Tatsachen: Die Stelle im Kanal unweit der englischen Küste, wo der Triton im Nebel urplötzlich auf ein Riff aufgelaufen zu sein schien, war in Wirklichkeit frei von allen Untiefen. Zweitens: Der starke Stoß, den der Dampfer erhielt und der den Schiffsboden aufriß, so daß sofort ungeheure Wassermengen hineinfluteten und sogar die Schottentüren durch den Wasserdruck gesprengt wurden, konnte auch eine Explosion gewesen sein. Menzel vermutete, daß eine Höllenmaschine, die im Kielraum sich entlud, das Unheil herbeigeführt habe. Als er dann nach seines Vaters und seiner Gattin Tode Hamburg auf einem nach Mexiko bestimmten Dampfer verließ, merkte er schon in London, wo das Schiff seine Ladung ergänzte, daß er beständig beobachtet wurde. Er zog es daher vor, die Reise fortzusetzen, obwohl es seine Absicht gewesen, zunächst in England zu bleiben, und hier seine Ermittlungen zu beginnen. Aber selbst in Mexiko spürte er überall diese geheime Ueberwachung, er begab sich daher ins Innere des Landes, arbeitete auf einer deutschen Hazienda und hoffte, soviel Geld zurücklegen zu können, daß er nach einiger Zeit abermals seine Ermittlungen in England aufnehmen könnte. Ueber anderthalb Jahre hielt er sich auf diese Weise verborgen, korrespondierte mit seiner Mutter nur durch Vermittlung eines in Mexiko-Stadt wohnenden Freundes, dann wurde er eines Nachts von Maskierten überfallen und im Auto verschleppt und sieben Jahre auf einer Insel im Golf von Mexiko gefangen gehalten. Seine Wächter waren mexikanische Banditen, die von einem Unbekannten bezahlt wurden. Man folterte ihn, um aus ihm herauszupressen, weshalb er Hamburg verlassen hätte und wie er über den Untergang der Triton dächte. Die Schurken raubten ihm fast das Augenlicht. Er blieb dabei, daß er aus Schmerz um den Verlust seiner Frau nur Hamburg verlassen hätte. Er verriet nichts von seinen Absichten und Vermutungen, und endlich gelang ihm, eine wahrhaft tollkühne Flucht mit Hilfe seines Freundes Holger Jörnsen, der in selbstloser Treue keine Mühe gescheut hatte, seinen Verbleib auszukundschaften.

Menzel, nur noch ein Skelett und durch Fieber und schlechte Ernährung an den Rand des Grabes gebracht, brauchte ein volles Jahr, die Folgen seiner Haft zu überwinden, und diese endlosen Monate, die die Freunde als Jäger und Fallensteller in den Hochsteppen Nordmexikos verlebten, bescherten ihnen zufällig die notwendigen Barmittel, den Kampf gegen die selbst Holger Jörnsen unbekannten Gegner späterhin mit Nachdruck aufzunehmen. – Ich lasse nun Fritz Menzel weitererzählen ...


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