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Wörtlich: »mein lieber Herr Freund«
Von jemand »mein lieber Herr und Freund«, »mein lieber Herr soundso« tituliert werden, ist nur um etwas, aber nur um sehr wenig angenehmer, als ein Glas Wasser trinken müssen, wenn man nicht durstig ist. Denn entweder gilt die Anrede einer Respektsperson, und dann ist das »lieber«, oder sie gilt als Zeichen der Vertraulichkeit, und dann ist das »Herr« zu viel.
Zu denjenigen, welche diese und ähnliche Titulaturen beständig im Munde führen, gehörte, wie männiglich bekannt, unser dominus spectabilis, Gabriel Maßlaczky, dem wir schon vorgestellt zu sein das Glück haben und der, wie wir wissen, königlicher Tabular-Advokat ist. Er hat es sich so angewöhnt, jedermann mit »lieber« anzureden, daß er einmal sogar eine Bittschrift, um ein mandatum fulminatorium mit »liebe königliche Tafel« begann. Aber das hat man ihm vielleicht nur nachgesagt.
Da wir schon das Glück hatten, mit ihm zusammenzutreffen, so möge der »liebe Herr Leser« jetzt die Güte haben, ihm den Besuch in seiner eigenen Wohnung zurückzugeben.
Man pflegt in Pest nicht höher als drei Stock hoch zu bauen, was viel zur Schönheit der Stadt beiträgt; in der Stadt ist nur ein einziges vier Stock hohes Haus auf der Landstraße; es ist das jenes Haus, von dem behauptet wird, daß es seinem Besitzer jede Stunde einen Dukaten abwirft; wer den spectabilis dominus Maßlaczky aufsucht, kann ihn in jenem Hause finden, natürlich im vierten Stockwerke, da es ein fünftes nicht mehr giebt.
Hier wohnt er schon seit undenklichen Zeiten, so wie er als junger Advokat sich eingerichtet, in zwei Zimmern und einem Vorzimmer; alle Möbel, Schränke, Aktenstellagen sind den spitzen und stumpfen Winkeln so angepaßt, daß sie in einer anderen Wohnung sich gar nicht stellen ließen.
Im Vorzimmer, das sich nur auf ein, jede Geduldprobe übersteigendes Klingeln öffnet, finden wir jederzeit einen alten, jubilierten Husaren, als des Herrn Fiskals Umundauf, der von früh bis Mittag ein Paar Csizmen oder einen Mantel putzt oder aber mit großem Eifer aufräumt, obwohl man nicht recht sieht, was es da eigentlich aufzuräumen giebt.
Das ganze Meublement besteht in einem Strohlager, einem Kleiderstock und einer hölzernen Truhe, die aber beständig so untereinander geworfen sind, daß ein häufiger Besucher sich nur darüber wundern kann, wie es möglich ist, mit diesen drei Einrichtungsstücken eine solche Mannigfaltigkeit in die Unordnung zu bringen.
Klopfen wir nun an die gegenüberstehende Thüre, so erschließt sich uns die sogenannte »Kanzlei«, in der zwei ungeheure Schränke den Hauptplatz einnehmen; der eine ist braun angestrichen, der andere grau; die halb offenstehende Thür des einen läßt uns gewahren, daß er vollgepfropft ist mit Aktenstößen und Protokollfolianten; der zweite hat zwei Schlösser vorgehängt, in dem mögen sich die sorgfältiger aufbewahrten Schriften befinden.
An der Mauer spreizen sich abgeschabte Lederstühle; einigen derselben mag es sehr erwünscht sein, mit dem Rücken sich an die Wand lehnen zu können, denn sie würden sicher auseinander fallen, wenn sie aus ihren Winkeln in die Mitte des Zimmers citiert würden; sie alle haben ein schlotteriges, wackeliges Gestell, trotz der eisernen »S«-Klammern, die es zusammenhalten, und aus dem abgewetzten Lederüberzuge drängt sich die Roßhaarfüllung sehnsüchtig ans Tageslicht hervor. Jener Trödler kann längst schon ein Millionär sein, von dem sie der Herr Fiskal noch in seinen jungen Jahren als Prozeßkostenäquivalent übernommen hat, seit welcher Zeit es ihm nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen ist, sie neu überziehen zu lassen; es pflegen zwar jedes zweite, dritte Jahr, wie Maikäfer, Gerüchte aufzutauchen, der Herr Fiskal werde sich neu möblieren, ja eine neue Wohnung nehmen, weil er sich verheirate; dann aber verstummen diese Gerüchte wieder und es bleibt alles beim Alten.
In der Mitte des Zimmers steht ein langer, grüner Tisch, an den Rändern mit Kupfernägeln beschlagen und hier und dort mit Tinte beklext. Auf demselben liegen einige kolossale Bände, wahrscheinlich das corpus juris und steht ein würfelförmiges, bleiernes Tintenfaß, in welchem Kielfedern bis an die Fahne stecken, welch letztere in schönes Zickzack zugeschnitten sind, das bei manchen sogar die Hirschgeweihform nachahmt, ein Beweis, daß der Schreiber mit dem Nützlichen auch das Schöne zu verbinden sucht.
Dort aber sitzt auf einem der halsbrecherischen Stühle der alte Jurat Bogozy und kopiert einen Stoß Schriften, den er vor sich liegen hat. Er schreibt eine schöne Hand, macht keinen Fehler, läßt nie etwas aus – etwas hinzuzusetzen überstiege ohnehin seine Fähigkeit.
Es sind schon zwanzig Jahre, daß der alte Spatz den klangvollen Titel: » Juratus tabulae regiae notarius« führt, ohne ihn mausernd abstreifen zu können; jedes Jahr macht er ein paarmal den Versuch, aber der Arme giebt stets der Prüfungskommission so verkehrte Antworten, und hat so wenig einen blauen Dunst von der Rechtswissenschaft, daß man ihm jedesmal einen Dukaten herauszahlt, jenen Dukaten nämlich, der für das Advokatendiplom entrichtet zu werden pflegt und den er immer wieder zurück erhält.
Alle Journalistenanekdoten, die seit Verböczys Zeiten cirkulieren, werden auf Rechnung des armen Bogozy erzählt; sogar das wurde ihm aufgehängt, daß er von dem betreffenden Censor, über die Rákóczy- nota (nota infidelitatis) befragt, zur Antwort gab: er erinnere sich zwar nicht mehr der Worte, könne sie jedoch pfeifen, wenn es verlangt würde Nicht übersetzbares Wortspiel: der Jurat verwechselt das lateinische nota, mit nóta, was im Ungarischen Lied Melodie bedeutet.; und doch ist das schon eine alte Anekdote.
Seit zwanzig Jahren ist er der Sündenbock, die Zielscheibe der sich erneuernden jüngeren Juratengeneration, die nicht ermangeln, ihn in ihre Kreise zu ziehen und ihren Scherz mit dem armen alten Jungen zu treiben, der ihr Vater sein könnte.
Manchmal durchschwärmt er eine Nacht um die andere mit seinen jungen Kollegen, aber deshalb sitzt er dennoch jeden Morgen Schlag 9 Uhr in der Kanzlei, wo er seit zwanzig Jahren die lateinischen und ungarischen Repliken kopiert, ohne je von einem Jüngeren abgelöst worden zu sein, und die vielen Tintenflecke ringsherum auf dem Fußboden sind ebenso viele Zeugnisse seines langjährigen Fleißes, wie nicht minder dafür, daß dies Zimmer niemals gescheuert zu werden pflegt.
Das war gerade der rechte Mann für Herrn Maßlaczky. Er schreibt alles ab, was man ihm vorlegt, wie eine Kopiermaschine, wie ein Storchschnabel, und hat er es abgeschrieben, so ist es ihm auch aus dem Kopfe verschwunden und wenn sein Leben auf dem Spiele stünde, wüßte er nicht mehr eine Zeile davon wiederzusagen; nicht einmal das weiß er, ob es ein Todesurteil oder eine Fassion Feierlicher Verkauf unbeweglicher Güter. war, was er geschrieben. Als Jahresgehalt bezieht er dreißig Gulden W. W.; so viel hatte er schon vor zwanzig Jahren. Er hat nie mehr verlangt. Er disputiert nicht, will nicht den Gescheiten spielen, die Neugierde plagt ihn nicht, es fällt ihm nicht ein, in den Geheimnissen der Prozesse herumzuspüren, und selbst wenn er einen Rausch hat, ist sein Mund eine verschlossene Pforte, der kein verräterisches Wort entschlüpft. Es ist, als ob der liebe Gott ihn eigens für den Herrn Fiskal erschaffen hätte.
Jetzt klopfen wir an die Thüre des Nebengemachs. Herein! Wir treten in ein nicht ganz von Spinnengeweben freies Schlafzimmer, welches lang und schmal ist, so daß man den in der Mitte stehenden gefirnißten runden Tisch jedesmal rechts oder links auf die Seite schieben muß, um vorbeizukommen, wenn man von einem Ende des Zimmers zum anderen gelangen will.
Neben dem Fenster steht ein Sekretär, der sorgfältig verschlossen ist. Was darin sich befindet, wer kann es wissen? Vor ihm steht ein eiserner Stuhl ohne Lehne mit einem runden Luftkissen. Jenseits des Tisches steht ein mit Leder überzogenes langes Ruhebett, zu dem man jedoch nicht gelangen kann, da der Tisch vorsteht; es ist auch nicht dazu da, daß man sich darauf setze, sondern dazu, um die vielen Prozeßakten darauf abzulagern, mit denen außerdem alle übrigen Möbel des ganzen Zimmers so bedeckt sind, daß ein Besucher nicht weiß, wo er sich niederlassen soll.
Rings an den Wänden erblickt man schöne weibliche Porträts in den verschiedenartigsten Ausgaben: Stahlstiche, Öl- und Aquarellbilder, Lithographieen, Pastellzeichnungen und Silhouetten; es sind lauter einstmalige Geliebte des Herrn Fiskal, die er von Jahr zu Jahr wechselte, denen er den Hof machte, wenn er an sie herankonnte, die er zu heiraten beabsichtigte, um die er sich lange bemühte und die dann alle andere Männer nahmen und jetzt Familienmütter, glückliche Frauen u. s. w. sind.
In der ganzen Wohnung ist nicht ein einziger Spiegel, was beweist, daß er nicht zu den eiteln Männern gehört. Über seinem Bette pickt eine Wanduhr und vor demselben stehen ein Paar gestickte Pantoffeln, vielleicht das Souvenier einer der ihm untreu Gewordenen. Darin besteht der ganze Luxus.
Bei sich zu Hause schert sich Herr Maßlaczky nicht viel um die Leute; wer ihn besuchen kommt, thut es gewiß nur notgedrungen, weil er genötigt ist, sich bei ihm Rat zu erholen und der muß mit allem zufrieden sein, wie er es bei ihm findet. Frauen besuchen ihn unter keinem Vorwand; der Herr Fiskal ist zu Hause nichts weniger als galant. Bei fremden Leuten, da ist's was anderes, da ist er nicht sein eigener Herr; aber bei ihm zu Hause, da fühle jedermann, daß er der Herr, und wem es nicht beliebt, sich auf den staubigen Stuhl zu setzen, nun, der möge stehen.
Die Lage, in der wir ihn bei unserem Eintreten finden, ist nicht im mindesten dazu angethan, bei uns einen besondern Respekt zu erwecken. Er sitzt eben in einem Sitzbade hinter einer niedrigen spanischen Wand, welche nur seinen Kopf hervorgucken läßt.
Wenn er wahrnähme, daß wir hier sind, würde ihn das nicht im geringsten genieren, wie wir uns sogleich überzeugen können, indem der alte Husar hereintritt und mit lauter Stimme, als ob sein Herr gleichfalls taub wäre, jemand anmeldet.
– Der Herr Baron Bela Karpáthi wünscht seine Aufwartung zu machen.
– Soll nur hereinkommen! brüllt Maßlaczky zurück, ohne sich zu derangieren. Laß ihn herein!
– Ergebenster Diener – ergebenster Diener – ergebenster ...
Der Ankömmling grüßt rechts und links und bekomplimentiert selbst die verschlossenen Schränke. Er bildet sich ein, daß, wo er eintritt, überall Excellenzen und hohe Herrschaften herumsitzen, im Zimmer befindet sich aber niemand, als Frater Bogozy, und würde nicht einen Augenblick von seinen Schriften aufblicken, nicht um ein Königreich.
Seine freiherrliche Gnaden, Herr Abellino Karpáthi, ist trotz seiner vorgerückten Jahre noch immer ein vollständiger Kavalier, schade freilich, daß er nicht mehr in eigener Equipage fährt, was zumal in so regnerischer Zeit ein großes Agrément wäre; allein er ersetzt diesen Mangel durch Regenschirm und Überschuhe, welche letztere er im Vorzimmer ausgezogen hat, und er steht nun vor uns, als käme er aus dem Schächtelchen.
Das Leben, sollte man meinen, müsse ihm eine schwer zu tragende Last sein, jede seiner Bewegungen ist darauf berechnet, irgend einen Körperdefekt zu verbergen: wenn er geht, schleift er seinen linken Fuß nach, als ob er affektiert tänzeln würde, wodurch er das von der lästigen Gicht herrührende Hinken unmerklich machen will; wenn er sich setzt, fühlt er einen bis ins Gehirn hinaufreichenden stechenden Schmerz und dann pflegt er durch eine lächelnde Grimasse seine Gesichtsverzerrung zu maskieren; wenn er mit jemand spricht, wirft er den Kopf vornehm zurück, und die herabfallenden Haare verdecken dann die ins Ohr gesteckte Gehörmuschel, welche verraten könnte, daß seine stolze Kopfhaltung mit seiner Schwerhörigkeit in Verbindung steht. Auch im Lächeln muß er sich mäßigen, weil sonst der Golddraht seiner falschen Zähne sichtbar würde. Er liebt aber noch immer lustige Gesellschaften, wo es lebhaft hergeht und viel geschwatzt und gelacht wird, und er glaubt, niemand bemerke, wie elend er sei. Elend, körperlich sowohl, als geistig, bedauernswert elend. Er gehört zu den kläglichen Geschöpfen, welche die Fähigkeit verloren haben, etwas Schlechtes zu thun, und denen nur der Wille, das Gelüste dazu geblieben.
Noch einmal verneigt er sich im Zimmer mit einer kühnen Luftschwenkung seines Rohrstockes, als ob er ihn nicht deshalb trüge, um sich auf ihn zu stützen, und geht dann zum Spektabilis hinein.
Im ersten Moment sieht er nicht, wo der Gesuchte sich befindet, und läßt nur ins Blinde ein paar »ergebenster Diener!« los; da mit einemmal taucht hinter der spanischen Wand Maßlaczkys kurze Hand hervor und ertönt seine scharfe, durchdringende Stimme.
– Ah, mein lieber Herr Baron! belieben Sie sich nur einstweilen zu setzen, mein bester Herr Baron. Im Augenblick, sogleich! Ich muß nur noch drei Minuten im Wasser sitzen. Bitte, nicht da auf die Papiere, lieber dorthin; aber nein, da sind gleichfalls Papiere; nur ein Weilchen Geduld. Audiat Bogozy! sagen Sie dem Thomas, er soll dem gnädigen Herrn einen Stuhl hereinbringen.
Da aber Bogozy eben in der Mitte einer Zeile ist und die Tinte in seiner Feder ausschreiben will, und da Thomas so taub ist, daß er den vom Frater Bogozy hinausgerufenen Rapport dahin versteht, er solle zum Bäcker um Semmeln laufen, was er auch thut, es aber nicht zu den Obliegenheiten des Juraten gehört, den Klienten Stühle nachzutragen: so kann der gnädige Herr die drei Minuten stehen bleiben, bis Maßlaczky sein Bad beendigt hat und einen Stuhl von Akten frei macht, damit er sich daraufsetzen kann.
– Gleich werde ich zu Diensten stehen, erlauben mir nur, gnädiger Herr Baron, daß ich mich noch ein wenig wasche.
Er mag es erlauben oder nicht, Herr Maßlaczky schürzt sich die Hemdärmel auf und vollzieht in dem vor ihm stehenden Waschbecken eine so gründliche Waschung, daß jeder türkische Derwisch ihn darum beneiden könnte; er reibt und scheuert sein eigenes Gesicht, als wäre es das eines fremden Menschen, dessen Physiognomie zu bearbeiten er eine Wette eingegangen; dann aber trocknet er sich den gewaschenen Teil mit einem groben, rauhen Handtuch ab, daß man fürchten muß, er werde sich die alte Haut ganz herunterreiben und mit einer neuen Epidermis zum Vorschein kommen.
Abellino ist unterdessen genötigt, sich die Zeit damit zu vertreiben, daß er sich den großen goldenen Knopf seines Spazierstockes in den Mund steckt und mit geheimem Ingrimm den grauen Kopf des Herrn Fiskals sich betrachtet, der nicht aufhört, sein kurzgeschnittenes Haar untereinander zu reiben.
Als wir den Herrn Fiskal zum erstenmal sahen, trug er schönes braunes Haar mit einem steifgewichsten, kühn emporstrebenden Schopf; zu Hause jedoch schont er seine Perücke und nimmt keinen Anstand, sich den Personen seiner intimeren Bekanntschaft als Graukopf zu präsentieren.
Wie kränkt es Abellino, daß dieser Lateiner, diese Speckschwartennotabilität ihn zu seiner intimen Bekanntschaft rechnet.
Endlich ist Herr Maßlaczky mit seinen Zähnen und Ohren fertig geworden, ist in einen bunten, großblumigen Schlafrock gekrochen und steht nun so dem gnädigen Herrn zu Diensten, der, als er noch in Paris lebte, es für eine Beleidigung angesehen hätte, wenn jemand es gewagt haben würde, auch nur seine Visitenkarte im Schlafrock zu übernehmen.
– Also, wie geht es, lieber Baron? womit kann ich dienen, mein bester Herr Baron? Wem habe ich dies Glück zu verdanken? Befinden Sie sich schon besser mit der Gicht, lieber gnädiger Herr?
Der liebe gnädige Herr fand es nicht der Mühe wert, auf diese vielen unnützen Fragen zu antworten, sondern fragte selbst: Mein Herr, wie steht unser Prozeß?
Der Herr Fiskal zog die eine Schulter in die Höhe und auch die eine Augenbraue und erwiderte in sehr trockenem Tone: Gewiß nicht zum besten, lieber gnädiger Herr, ich könnte sagen, sehr schlecht.
Abellino stutzte.
– Wie soll ich das verstehen?
– So, daß kaum etwas anderes übrig bleiben wird, als unseren Prozeß von neuem zu beginnen.
– Ah, pardieu, Herr Fiskal, das ist ein schlechter Scherz, zu einem solchen Scherz bin ich heute nicht aufgelegt.
Der Advokat setzte die Tortur mit der Kaltblütigkeit eines Caligula fort.
– Ich sprach in vollem Ernste; wir stehen heute da, wo wir vor dreizehn Jahren standen. Wir müssen von neuem anfangen.
– Ich fange nichts an, schrie Abellino ungeduldig, ich warte nicht länger, ich will ein Urteil sehen. Mag es für oder wider mich ausfallen, ich will endlich eine Entscheidung.
– Aber ich will nicht, pfiff Maßlaczky, den in Feuer geratenen Klienten überschreiend! der Prozeß ist ebensogut mein Interesse, wie das Ihrige. Wenn ich den Prozeß verliere, wie mache ich mich für meine Mühe, meine Unkosten bezahlt? Ihre Apanage reicht für Sie selbst nicht hin zum Leben; lassen darum mich Euer Gnaden meinen Weg gehen und mischen sich nicht in Dinge, die Sie nicht verstehen.
Abellino sah ein, daß er weder mit Grobheit noch mit Schreien diesen Mann überbieten könne und schlug daher einen sanfteren Accord an.
– Lieber Freund, Sie werden doch nichts dagegen haben, wenn ich mich über den Stand meiner eigenen Angelegenheit zu unterrichten wünsche.
Herr Maßlaczky sprang vom Stuhl auf und fing an im Zimmer auf und ab zu gehen, einzelne Sätze hervorstoßend: Sich unterrichten! ... Das ist keine Kinderei ... Das giebt dem geübtesten Advokaten zu schaffen. Lächerlich. Als ob die Sache dadurch besser würde, wenn ich sie Euer Gnaden auseinandersetze. Wenn ich keinen Rat zu geben weiß, so weiß es im ganzen Lande niemand. – Die ganze Idee ist von mir ausgegangen; Euer Gnaden wissen, so viele Advokaten Sie auch angegangen, keiner wollte sich damit befassen. Ich allein habe mich daran gewagt, und ich sollte mir noch von jemand Rat erteilen lassen?!
– Bitte, teurer Herr Fiskal, flehte Abellino demütig, ich wollte Sie nicht beleidigen; sehen Sie, ich bin so unruhig, ich möchte wissen, wie es mit meiner Sache steht.
– Gut, ich will es Ihnen sagen, erwiderte Maßlaczky, den die Sanftmut Abellinos beschwichtigt hatte. Aber reden Sie mir nicht dazwischen, gnädiger Herr, denn ich weiß, was ich spreche und verstehe mich aufs Informieren; rücken Sie also Ihren Stuhl näher zu mir.
Mit diesen Worten öffnete er den Sekretär und holte aus einer Schublade desselben ein Aktenbündel hervor, auf dessen Umschlag mit großen Buchstaben geschrieben stand: » Karpáthi contra Karpáthi.«
Das ist also der denkwürdige Prozeß! Abellino suchte es sich auf dem unbequemen Sitz bequem zu machen, hob den einen Arm in die Höhe, als wolle er sich den Kopf stützen, und hielt den Handteller heimlich ans Ohr, um kein Wort von dem zu verlieren, was Maßlaczky sprach.
– Bevor ich den Stand der Angelegenheit entwickele, wird es gut sein, Euer Gnaden das Substrat des Prozesses in Erinnerung zu bringen, vor allem anderen bitte ich um die Erlaubnis, mir eine Pfeife anzünden zu dürfen.
– Bitte, genieren Sie sich nicht.
Die Pfeife brannte, der Advokat begann die Exposition des Sachverhaltes, die in der That einem kleinen Romane glich.
– Sehen Sie, lieber Baron, in welchem strengen Verschluß ich diesen Prozeß halte; keinem menschlichen Auge ist es gestattet, einen Blick hinein zu werfen, mit Ausnahme der Richter und Anwälte der streitenden Parteien; selbst der Geklagte, Zoltán Karpáthi, weiß nichts davon, da sein Vormund statt seiner prozessiert. Die betreffenden Parteien schreiben alles eigenhändig in diesem Prozeß und so oft der Gerichtshof ihn in Verhandlung nimmt, werden selbst die Juraten aus dem Saal geschickt. Euer Gnaden können daraus sehen, welch ein wichtiger und außerordentlicher Prozeß das ist, dieser Karpáthi contra Karpáthy.
Abellino unterhielt sich während dieser langweiligen Einleitung damit, große Buchstaben auf den uns bekannten runden Tisch zu malen, wozu dieser vermöge seines Staubüberzuges sehr geeignet sich erwies.
Herr Maßlaczky machte einen kräftigen Zug aus der Pfeife und fuhr fort: Lieber Baron, die Sache ist die: der Herr Baron haben noch als junger Mensch beliebt, ihr väterliches Erbteil zu vergeuden.
– So fangen Sie doch nicht bei Adam und Eva an!
– Entschuldigen Sie, wertester Herr Baron, ich bin nicht Ihr Panegyriker, der nur solche Dinge aus Ihrem Leben zu erzählen hat, die Ihnen zur Ehre gereichen; ich schreibe auch keine Anekdotensammlung, die man getrost von hinten nach vorwärts lesen kann, sondern ich spreche hier als Rechtsanwalt, der alles im logischen Zusammenhange vorzubringen hat. Darum bitte ich, mich nicht zu unterbrechen mit einem: das weiß ich schon, das will ich nicht mehr hören! Also rekapitulieren wir.
Abellino war genötigt, aufzupassen, damit ihm nicht etwas entgehe, was er noch nicht wußte.
– Als Euer Gnaden Ihr eigenes Vermögen durchgebracht hatten, war nichts natürlicher, als daß Sie Ihre Hoffnungen auf Ihren Onkel, den gnädigen Herrn Johann Karpáthi, setzten, dessen Güter, die alljährlich eine halbe Million abwarfen, Ihnen gleichfalls zufallen sollten. Das wußten Sie schon als Kind, denn als Ihr Herr Vater starb, war Herr Johann schon über die Fünfzig, und bei der Lebensweise, die er führte, war nicht zu besorgen, daß er Familie zurücklassen werde. Indes verging Jahr auf Jahr und der reiche Onkel wollte nicht sterben, was in Ihrer Lage nahezu unerträglich zu werden anfing, und Euer Gnaden waren daher nicht träge und säumig in allem, was geeignet schien, den zögernden Tod zu beschleunigen.
Abellino wollte heftig dazwischen fahren.
– Unterbrechen Sie mich nicht, kreischte Maßlaczky, es ist so, wie ich sage und kann selbst vor dem Gerichtshofe nicht in Abrede gestellt werden; Sie schickten Ihrem Onkel zu seinem Namenstage einen Sarg, worüber er beinahe tödlich vom Schlage gerührt wurde. Nun ja, das war ein Scherz, sagen Euer Gnaden. Aber was daraus folgte, war schon kein Spaß mehr. Der alte Herr, aus Zorn darüber, verheiratete sich, und zwar mit einem Mädchen aus einer übelberüchtigten Familie. Nun merken Sie wohl, hier sitzt der Knoten der ganzen Geschichte, auf den wir immer wieder zurückkommen müssen. Aus welchem Grunde heiratete er dies Mädchen? Aus keinem andern, als um Ihnen zum Trotz einen leiblichen Erben zu hinterlassen. Das ist klar. Und eben deshalb nahm er ein Mädchen aus einer so zweideutigen Familie, damit diese Absicht um so sicherer erreicht werde. Er selbst war damals schon siebenzig Jahre alt. Und siehe, was zu befürchten stand, geschah zu Ihrem Unglück; die Frau wurde Mutter, und in dem Augenblicke, wo Sie, lieber Baron, das erledigte Besitztum von Karpátfalva hätten antreten sollen, wurde in der Schloßkapelle ein Knäblein, Zoltán Karpáthi, getauft, das mit dem ersten Schrei, mit dem es in die Welt trat, alle Ihre Glücksträume vernichtete.
– Weiter – stöhnte Abellino unruhig.
– Nur in der Ordnung geblieben: Euer Gnaden waren grausam betrogen; das dolus malum liegt auf der Hand; das ist mehr als Betrug, das ist stellionatus! Jemand auf so offenkundige Weise um sein gesetzliches Erbe zu bringen. Man hat wohl Beispiele in der Bibel und in Chroniken von Greisen, die noch in ihrem siebenzigsten Jahre Söhne erzeugt haben, allein die hatten alle kein so ausschweifendes Leben geführt, wie Ihr Herr Onkel. Ist das also nicht himmelschreiend?
– Schon gut, schon gut. Was nützt es, wenn ich damit einverstanden bin?
– Ich wünsche nur die Anerkennung meiner logischen Folgerichtigkeit. Der liebe gnädige Herr waren geprellt, zu Grunde gerichtet; Sie liefen zu Advokaten, zu Rechtsgelehrten. Niemand gab Ihnen Hoffnung. Aber glauben Sie mir, nicht deshalb, weil sie keine Hoffnung zu geben imstande waren, sondern weil sie es als ein sehr gewagtes Unternehmen betrachteten, einen Prozeß zu übernehmen, wo der geklagte Teil eine so einflußreiche und – ob mit Recht oder Unrecht, gehört auf ein anderes Blatt – eine so allgemein geachtete Persönlichkeit ist, wie der Vormund des jungen Karpáthi, Graf Szentirmay, dem noch außerdem unerschöpfliche Geldmittel zu Gebote stehen, während der Anwalt des Klägers – verzeihen Sie die Bemerkung, lieber Baron – sogar die Prozeßkosten bis zur Entscheidung des Rechtshandels selbst zu bestreiten genötigt ist, wie ich nun seit zwölf Jahren es thue.
Herr Maßlaczky hielt hier inne, als hätte er dem Baron Zeit lassen wollen, seinen Dank für diese Gefälligkeit anzubringen, was diesem aber gar nicht in den Sinn kam; und so fuhr er fort: Endlich führte Sie der Zufall zu mir und Sie fanden mich bereit, den Prozeß zu übernehmen. Ich gestehe, nicht sowohl die versprochene Remuneration, auf welche die Aussicht ohnehin eine so unsichere ist, bewog mich dazu, als vielmehr meine eigene Passion. Ein schöner Prozeß ist meine Leidenschaft. Und ein schöner Prozeß ist das und wird es auch bleiben, ein Prozeß, wie in hundert Jahren nur einer vorkommt. Mein Herr, ein geschickt angelegter und durchgeführter Rechtshandel ist mehr als die großartigste Schlacht. Hier eine kaltblütige Kombination, dort ein listiger Kniff, dann wieder ein entscheidendes Dokument, als Brennusschwert in die Wagschale geworfen, das psychologische Netz, in das man die Gegenpartei verstrickt, die Abziehung der Aufmerksamkeit des Gegners von den gefährlichen Stellen und dann ein heftiges Angreifen der ausspionierten schwachen Punkte; die überzeugende Aufdeckung des wahren Sachverhalts dort, wo man nicht eine einzige geschriebene Zeile hat, auf die man sich stützen könnte, – das sind die Genüsse des wahren Advokaten; wer sich darauf nicht versteht, wer nur weiß und sieht, was ihm vor der Nase liegt, wer sich nicht in den Prozeß hineinzuleben vermag und seine Patronen nur aus dem Tripartitum holt, der bleibe auf dem Dorf und werde Händeladvokat.
– Und doch verlieren auch Sie meinen Prozeß, sprach Abellino dazwischen, den das angeschürte Feuer der Selbstverherrlichung zu verdrießen anfing.
– Nur gemach, mein bester Herr Baron; ich habe noch nicht gesagt, daß wir den Prozeß verlieren. Man hat uns geschlagen, aber noch nicht kampfunfähig gemacht. Man hat uns zurückgeworfen, aber nicht verfolgt. Unser erster Angriffspunkt war schlecht gewählt, wir müssen uns einen anderen suchen. Unser erster Kriegsplan war: zu beweisen, daß Zoltán Karpáthi nicht der Sohn von Johann Karpáthi sein kann. Hier waren zwei Punkte zu erhärten, der erste betrifft den seligen Johann Karpáthi, der zweite seine verstorbene Frau. Für den ersten Punkt haben wir eine Unzahl Beweisstücke, welche befriedigend sind. Wir besitzen den Vorteil, daß die Hauptangeklagten nicht mehr am Leben sind und sich nicht verteidigen können. Wir haben die Ärzte des Johann Karpáthi, seine einstmaligen Zechbrüder, die Bauerndirnen, die er in seinem Hausstaat hielt, adjuriert. In dieser Beziehung haben wir mehr Beweise als nötig.
– Es ist wohl nicht zu fürchten, daß dieser Prozeß in Druck erscheinen wird, sagte Abellino lachend, auf den auch in diesem Augenblicke die Frivolität der skandalösen Partieen des Prozesses den meisten Eindruck machte.
– Nein, dazu würde er sich auch nicht eignen. Dergleichen Geheimnisse werden nur insofern gelüftet, als sie behilflich sind, den Beweis herzustellen; haben sie ihre Dienste gethan, werden sie wieder ewigem Stillschweigen überantwortet. Niemand erhält Einsicht in die Akten, als solche Personen, welche durch einen Eid gebunden sind, das Gehörte nicht weiterzusagen. Für das Publikum bleibt dies alles ein tiefes Geheimnis.
– Aber das Endergebnis kann doch nicht verschwiegen bleiben?
– Ja. Wenn Sie mich zu Ende hören wollen, bester Baron, so werden Sie einsehen, daß ich weiß, was ich thue. Außer dem weiland Johann Karpáthi betreffenden Punkte war noch ein anderer aufzuhellen, die vorausgesetzte Untreue seiner Gattin, geborene Fanny Mayer. Und das war der Hauptpunkt, die Achillesferse. Gegen diese Dame war niemand imstande, auch nur eine einzige, einen Verdacht begründende Thatsache vorzubringen. Vor den Augen der Welt hat sie einen unantastbaren Lebenswandel geführt. Wir suchten zwar in dem schlechten Ruf ihrer Familie Stützpunkte für unsere Verdächtigung zu finden; wir brachten himmelschreiende Dinge vor, welche im Mayerschen Hause vorgegangen, die Lebensweise ihrer älteren Schwestern, zum Stadtgespräch gewordene Skandale; allein die Gegenpartei schlug alles das mit der einfachen Thatsache nieder, daß Fanny Mayer von ihrer Kindheit an in einem fremden Hause, fern den verderbten Kreisen ihrer Verwandtschaft, in streng moralischer Umgebung aufgewachsen war. Nur ein Strohhalm blieb uns noch, an den wir uns anklammern konnten: jener Auftritt, der sich einst zwischen Euer Gnaden und Fanny Mayer zugetragen.
– Mein Herr! fuhr Abellino auf, wie von einer Tarantel gestochen.
– O, bitte nicht in Affekt zu geraten, mein lieber Baron. Ich weiß, daß Sie nicht gerne davon sprechen hören. Von einem Weibe zum Narren gehalten werden, das ist, ich gestehe es, ein empfindlicher Punkt, dessen Berührung sich niemand gern gefallen läßt. Aber für unsern Prozeß war das nötig. Hätten wir beweisen können, daß Fanny Mayer Ihr Anerbieten, das ihr freilich keine legale Stellung verschafft hätte, angenommen habe, dann würden wir ihren sittlichen Nimbus zerstört haben. Und die alte Mayer war auch schon bereit dazu, im Sinne der gepflogenen Verabredung zu zeugen. Sie scheinen erstaunt? O, diese Frau, die ihre eigene Tochter zu verkaufen imstande war, hätte auch ihren Enkel verkauft, zumal, nachdem er von ihr nichts wissen will. Für den bedungenen Lohn würde sie den Schwur abgelegt haben, dessen wir bedurften.
– Maßlaczky, Sie sind in der That ein Teufelskerl.
– Den Henker auch bin ich es, liebster Baron. Mein ganzer Kalkül stürzte zusammen wegen eines sehr einfachen Umstandes, die hochlöbliche königliche Tafel ließ die Mayer zum Schwur nicht zu: juramentum contra pudicitiam!
Abellino stieß einen tiefen Seufzer aus, in dem sich die Bitterkeit des Hasses und der Enttäuschung mengte.
– So ist's also aus mit unserm Prozeß?
– Nicht doch! schrie der Fiskal lebhaft, wie ein Holunderstehmännchen aufspringend. Wir sind erst jetzt auf der rechten Fährte. Seit zwölf Jahren habe ich in diesem Prozeß herumgespürt und herumgestöbert, bin tiefen Familiengeheimnissen auf den Grund gekommen, habe jedes Wort, das man fallen ließ, aufgefangen und mir daheim zusammengestellt und jetzt, wo unsere Gegner sich in dem Wahne wiegen, uns aufs Haupt geschlagen zu haben, gerade jetzt fassen wir sie mit einer Schwenkung in der Flanke, und während sie bemüht waren, zu unserer Widerlegung die Gattin Karpáthis mit einem romantischen Nimbus zu umgeben, haben sie gerade damit mir den Schlüssel in die Hände geliefert, mit dem ich das Schloß dieses Rätsels öffnen werde.
Auf dem strahlenden Gesichte des Advokaten war zu lesen, wie sehr er zufrieden war mit seiner Dialektik.
– Bis jetzt haben wir uns über sehr allgemeine Punkte herumgestritten und ich ließ meine Leute sich bei der Arbeit erhitzen. Jetzt kommt bald der spezifische Angriff; das Bisherige war nur Vorbereitung, Umzingelung; nun folgt das Brescheschießen, der Sturm.
– In der That, die Vorbereitungen haben lange gedauert, länger als der trojanische Krieg.
– Ruhig, lieber Baron. Ich brauchte diese zwölf Jahre, sie waren mir unumgänglich nötig. Bald werden Sie einsehen lernen, daß die Resultatlosigkeit der schon verflossenen und einiger noch zu verstreichenden Jahre für uns ein Resultat in sich birgt.
Der Rechtsanwalt lächelte mit innerer Genugthuung, während er sich mit dem Zeigefinger die Nasenspitze rot rieb.
Abellino hing mit ganzer Seele an seinen Lippen.
– Ich habe schon lange meinen Mann herausgefunden, gegen den ich unmittelbar meinen Angriff richten werde, fuhr der Sachwalter fort. Nicht der verstorbene Karpáthi, nicht dessen Weib, nicht der Sohn steht uns jetzt gegenüber, sondern ein ganz anderer, der sich selbst, ohne es zu merken, in meine Hand gegeben; seit Jahren habe ich ihn leise umgarnt und er ahnt nicht, daß ich aus jedem ihm entschlüpften Worte eine Schlinge geschürzt, in die er sich verfängt, wie die einfältige Wachtel.
– Wer denn?
Maßlaczky wollte ihm den Namen zuflüstern; er besann sich jedoch, daß Abellino ihn nicht verstehen werde; so öffnete er die Thüre zur Kanzlei und rief zu Bogozy hinaus: »He, Frater, scheu Sie doch, ob die Thüre des Vorzimmers verschlossen ist?« Während dieser hinausging, eilte er auf Abellino zu und schrie ihm, aus seinen Händen einen Trichter machend, ins Ohr: Graf Rudolph Szentirmay.
– Wirklich! rief Abellino mit freudigem Gesicht, das jedoch plötzlich wieder seinen starren Ausdruck annahm: – ich verstehe nicht.
– Gleich werde ich es Ihnen erklären, sagte Maßlaczky, sich auf seinen runden Stuhl niederlassend.
In diesem Augenblick wurde geläutet. Bogozy ging brummend die Thüre öffnen. Mittlerweile raffte Maßlaczky hastig das Aktenbündel zusammen, verschloß es in den Schrank und wartete, wer kommen werde.
Es war nur der alte Thomas. Er hatte vom Bäcker ein paar mürbe Kipfel geholt, die er hereinbrachte und auf den Tisch stellte.
Maßlaczky nahm die Kipfel vom Teller, ließ sie zwischen den Fingern krachen, brach eines entzwei und steckte ein Stück davon in den Mund.
– Herrliche Kipfel bäckt man hier in Pest. Kann ich aufwarten, lieber Baron? Ich esse jeden Morgen zwei, das ist mein Frühstück. Der Kaffee thut mir nicht gut. Aber die Kipfel wissen sie dagegen trefflich zu backen. Sie haben nur den einen Fehler, daß sie von Tag zu Tag kleiner werden. Zur Zeit, als ich Jurat war, waren sie noch einmal so groß. Wird nicht eines gefällig sein, lieber Baron?
Der wackere Mann hat ohne Zweifel eine beneidenswerte körperliche Konstitution. Seinen Appetit schien es nicht im geringsten zu benachteiligen, daß seine Gedanken in diesem Augenblicke sich damit beschäftigten, wie er die Existenz einer ganzen Familie vergiften könne – so wohlgemut läßt er die Kipfel zwischen seinen Fingern krachen; er giebt sich ganz dem sybaritischen Genuß hin. Abellino fing schon an zu bedauern, daß er das eine Kipfel nicht angenommen; wenigstens wären sie schneller aufgezehrt worden.
Endlich war auch der letzte Bissen zerkaut, Maßlaczky streute die Bröseln von sich und fuhr in seiner Auseinandersetzung fort: Ich werde den Grafen Szentirmay direkt auf Ehebruch anklagen.
Selbst Abellino schauerte bei diesen Worten zusammen.
– Das ist ein gewagtes Spiel.
– Kein Hazardspiel. Ich habe Beweise in den Händen; o, nicht umsonst habe ich mich seit Jahren zwischen diesen hoffärtigen großen Herren herumgetrieben – Pardon, Euer Gnaden gehören auch dazu – sie meinten, ich sei ihr Narr ... Ich habe Beweise in den Händen!
Und dies sagend, schlug er triumphierend mit seiner kurzen Hand auf die Schreiblade des verschlossenen Sekretärs.
– Jener Eifer, den der Graf in der Angelegenheit seines Mündels an den Tag legte, gab mir Veranlassung, Aber das zwischen ihm und den Eltern des Knaben bestandene Verhältnis nähere Erkundigungen einzuziehen. Diese Nachforschungen blieben nicht ohne Resultat, Es ist gewiß, daß Szentirmay eine ganze Woche in dem Madaraser Kastell der Karpáthis zubrachte, wo der alte Karpáthi, um seine Frau sich nicht kümmernd, sie ungestört beisammen ließ; ein damaliges Kammermädchen bezeugt, daß genau um jene Zeit ein heftiger Familienzwist zwischen dem Grafen und seiner Gemahlin ausgebrochen war, so daß die Gräfin mehrere Tage lang ihr Zimmer vor ihrem Manne verschloß. Das ist ein wichtiger Umstand. Bald darauf wurden in einer Männergesellschaft scherzhafte Anspielungen auf die Karpáthi gemacht, in dem Augenblicke, als der Graf eintrat und jedermann mit einer Herausforderung bedrohte, der es wagen würde, unehrerbietig über diese Frau zu sprechen; – die sterbende Karpáthi sprach auf ihrem Totenbette den Wunsch aus, daß ihrem Sohne Graf Szentirmay zum Vormunde gegeben werde, was ihr am Rande des Grabes stehender Gatte guthieß. Des Grafen bejahrte Anverwandte, Fräulein Marion, scherzte oft darüber, wie ähnlich der junge Zoltán Karpáthi dem Grafen Rudolph sehe; die zärtliche, wahrhaft väterliche Liebe, welche der Graf für sein Mündel an den Tag legt, ist ein weiterer ihn kompromittierender Umstand. Hat man ein Ding bei einem Zipfel, so hat man es bald ganz; ein Punkt, ein Datum zieht zehn andere nach sich. Der Graf hat Feinde, Parteigegner, fortgejagte Diener, gekränkte Beamte, diese alle werden sich beeilen, die einen aus Rache, die andern um ihres Vorteils willen, Daten gegen ihn zu liefern, kleine Vorfälle zu Thatsachen auszuspinnen, aus deren Kombination ich dann sonnenklar den Beweis für die Richtigkeit meiner schweren Anklage herstellen werde. Auf diese Art, mein Herr, hat man schon Mordthaten ans Tageslicht gezogen; haarsträubende Unthaten, deren Geheimnis tief in der Brust des Thäters begraben lag, wurden so durch philosophische und psychologische Induktion von den Rechtsgelehrten aufgedeckt, und hier handelt es sich um ein Verbrechen, das um nichts geringer, als irgend eines von denen, mit welchen Pitaval uns bekannt macht.
Abellino war ganz berauscht von dem Redefluß des Anwalts, Er stand auf, warf sich ihm um den Hals und umarmte ihn: Mein Herr, Sie sind ein großer Mann!
Dann setzte er sich wieder auf seinen Stuhl und wiederholte: Sie sind ein großer Mann!
Maßlaczky liebte es nicht, wenn man ihn lobte; er war ein größerer Aristokrat als diejenigen, welche selbst auf den Knöpfen ihrer Dienerschaft ihr Wappenschild anbringen; er war stolz auf seinen Verstand und es beleidigte ihn selbst das, wenn jemand ihm darüber Elogen machte; daß er ein gescheiter Mensch war, ist eine ausgemachte Sache, die sich ebenso von selbst zu verstehen hat, als daß man einen Grafen mit Hochgeboren tituliert.
Abellino war außer sich vor Freude.
– Ah, ich ersticke vor Wollust bei dem Gedanken, diesen Menschen, diesen mir tödlich verhaßten Menschen moralisch zu vernichten! Nicht die Aussicht auf den Besitz, auf den Reichtum elektrisiert mich, sondern der Gedanke, ihn erniedrigt, gedemütigt zu sehen, an den Pranger gestellt vor seinen einfältigen Bewunderern. Das freut, das thut wohl.
– Nun, dieser Genuß wird Ihnen schwerlich zu teil werden, sprach Maßlaczky trocken dazwischen.
– Was sagen Sie da wieder? fragte Abellino erstaunt. Halten Sie mich zum Narren oder bin ich ein Kind, daß Sie im Handumdrehen die Hoffnungen, die Sie in mir erregen, wieder niederschlagen?
– Ich habe nicht mehr versprochen, als ich halten werde. Ich versprach, die Karpáthischen Herrschaften ihrem jetzigen Besitzer zu entreißen. Was der liebe Baron mit so viel Freude erwarten, den Grafen Szentirmay an den Pranger gestellt zu sehen, brauche ich nicht im geringsten zur Erreichung meines Zweckes.
– Sie fürchten ihn!
– Ich fürchte ihn nicht. Ich fürchte niemand. Ich schlage mich nicht, das habe ich längst vor aller Welt erklärt, aber mit der Feder stehe ich jedem Gegner. Gegen den Grafen Szentirmay werde ich soweit gehen, als es mir in den Kram paßt, nicht weiter; mir ist es um das Substrat zu thun, nicht um den Skandal.
– Ich verstehe noch immer nicht, was Sie da reden.
– Das glaube ich, versetzte der Advokat mit stolzer Ruhe, Das ist auch nicht so leicht. Wenn Euer Gnaden vom Rechtsgange etwas verstünden und von der Kraft der Beweismittel, so würden Sie zu unterscheiden wissen, daß wir, nach dem Plane vorgehend, den ich eben entwickelt habe, zwar erreichen würden, daß, wenn der Prozeß in die Öffentlichkeit gelangt, was der Fall ist, wenn das Endurteil publiziert wird, mag nun dasselbe für oder gegen uns ausfallen, Graf Szentirmay vor den Augen der Welt gebrandmarkt, vor seiner Familie verdächtigt und zwischen ihm und dem jungen Karpáthi ein unheilbarer Bruch herbeigeführt würde.
– Das eben will ich erreichen.
– Das aber ist es gerade, was ich vermeiden will. Sie, lieber Baron, möchten zu Werke gehen, wie ein Romanschreiber, der die Personen, die ihm unlieb sind, der Reihe nach umbringt; ich aber handle als Philosoph und Fiskal, der seine Gegner leben läßt, aber ihre Schulden unerbittlich exequiert. Das junge Herrchen Zoltán mag jetzt dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein. Ich ließ ihn hübsch ruhig heranwachsen und beeilte mich nicht mit ihm, bis er so groß geworden. In der That, ein wackerer, schöner Junge. So entwickelt, wie andere kaum in ihrem sechzehnten Jahre; eine prächtige Gestalt, wie schön gewachsen, von einnehmender Gesichtsbildung. Und dabei welch edles Herz, welche Zartheit der Empfindung, welche Tiefe des Gefühls. Man sieht an ihm die Erziehung Szentirmays; an Leib und Seele gestählt gegen Stürme, ist er bereit zu Thaten und Kämpfen, bereit zu den größten Opfern für diejenigen, die er liebt, und er weiß aus ganzer Seele zu lieben. Seinen Vormund und dessen Frau betet er an, vergöttert er, und in der That, sie verdienen es auch ...
– Aber mein Herr, was wandelt Sie an? Wozu diese Lobeserhebungen? Wollen Sie mich auf die Probe stellen?
– Nur Geduld, Verehrtester! Das alles gehört zum Meritorischen der Sache. Auch das ist wahrscheinlich, daß der junge Karpáthi noch mit ganz anderen Faden an der Szentirmayschen Familie hängt. Neulich hatte ich Gelegenheit, zu bemerken, mit welcher eifersüchtigen Aufmerksamkeit er die Tochter des Grafen behandelt; solche jugendliche Verhältnisse pflegen feste Wurzeln zu schlagen.
– Sie denken doch nicht im Ernste daran?
– Ich fände es sogar sehr in der Ordnung, denn unter uns gesagt, ich glaube nicht im entferntesten daran, daß Graf Szentirmay zu Zoltáns Mutter in irgend einem verbotenen Verhältnis gestanden hat und finde daher nichts anstößiges in dem, was ich vorhin angedeutet. Das bleibt übrigens unter uns.
Abellino fühlte bei diesen Worten das Zimmer sich um seinen Kopf drehen.
– Ich halte den Grafen, fuhr Maßlaczky fort, für so unschuldig in diesem Punkte, wie mich selbst; doch das gehört nicht zur Sache. Zoltán Karpáthi hat gewiß schon in seiner kindlichen Phantasie für die schönen Augen der kleinen Kathinka geschwärmt und was dergleichen mehr. Nun, das brauche ich Ihnen nicht weiter zu erklären; wir alle sind jung gewesen.
Abellino stand auf und schob den Stuhl beiseite.
– Ergebenster Diener, mein Herr. Es scheint, Sie wollen sich mit mir unterhalten; – danke schön. Wenn ich einen Roman lesen will, gehe ich in die Leihbibliothek.
Maßlaczky ergriff die Hand des Barons und nötigte ihn, sich wieder zu setzen.
– Ich spreche ganz ernsthaft zur Sache und ich pflege nie unnützes Zeug zu schwätzen. Ich weiß wohl, mein lieber Baron, daß Sie an langes Aufmerken nicht gewöhnt sind; allein diesmal waren Sie eben begierig, etwas über Ihren Prozeß zu erfahren, haben Sie also die Güte, mich bis zu Ende anzuhören.
– Was haben aber diese Lobeserhebungen mit meiner Angelegenheit zu schaffen?
– Sehr viel. Es ist für uns ein sehr wichtiger und kapitaler Umstand, daß der junge Karpáthi einen hochherzigen, romantischen, feurigen und empfindsamen Charakter besitzt, und daß das hohe Ansehen, die weltliche Stellung, das Familienglück der Szentirmays ihm als ein unantastbares Heiligtum vorschwebt; auf diese Grundlage basiert sich unser Sieg. Der junge Mensch weiß bis jetzt noch nichts von dem ihn bedrohenden Prozesse. Natürlich. Es kommen darin so schlüpfrige Erörterungen und skandalöse Umstände vor, von denen ein jugendliches Herz nicht einmal eine Ahnung haben darf. Bis er nicht majorenn geworden, wäre es ein pädagogisches Verbrechen, ihn mit diesem Verbrechen bekannt zu machen.
– Also hoffen Sie, daß unser Prozeß sich solange hinauszieht?
– Zum Meritum der Frage antworte ich fürs erste mit »nein«; was aber die sarkastische Anspielung betrifft, bin ich so frei, zu bemerken, daß dieser Prozeß, mag er sich auch noch so sehr in die Länge ziehen, für mich dennoch keine » bona vacca« (keine gute Melkkuh) ist, da ich die Prozeßkosten aus meinem eigenen Beutel vorstrecke. Er wird sich aber nicht in die Länge ziehen. Ich bringe die neue Klage ein, durch welche der Prozeß aggraviert wird und suche diesen inzwischen so zu verwickeln, daß, wenn Graf Szentirmay sich auch das weiße Gewand der Engel umwerfen sollte, er aus dem ersten Kontakt gleich so gesprenkelt hervorgehen wird, wie ein Perlhuhn. (Der Herr Fiskal konnte nicht umhin, über diesen Einfall in ein lautes Gelächter auszubrechen.) Ich bedauere wirklich den edlen Grafen, es wird ihm viel Kränkung verursachen, aber ich tröste mich mit der Hoffnung, daß dies alles eine bessere Wendung nehmen und schließlich nicht zu seinem Schaden ausschlagen wird. Der junge Karpáthi kennt noch keinen Buchstaben von diesem Prozeß.
– Aber mon Dieu, das höre ich schon zum zwanzigstenmal.
– Jupiter tonans! Der liebe Baron sind ungeduldig. Warum sage ich es so oft? Quoniam in hoc signo vinces, weil wir in diesem Zeichen siegen werden. Wenn die Zeit gekommen, wo Zoltán in das Alter tritt, in dem die jugendlichen Gefühle in siedender Wallung sind, und das jugendliche Herz so bereit ist zu raschen, hitzigen Entschlüssen, dann wird es unsere Sorge sein, seine Neugierde nach dem Prozesse anzufachen und ihm Gelegenheit zu geben, denselben von Anfang bis zu Ende zu lesen ...
Hier schöpfte der Advokat tief Atem, als wollte er etwas Unsichtbares, das ihm schwer auf der Brust lag, herausstoßen.
– Nun, mein lieber Herr Baron, fangen Sie an, das übrige zu verstehen? Wenn dieser unverdorbene, edelgesinnte Jüngling jene haarsträubenden Dokumente durchliest, von denen ein einziges, vom Winde entführt, hinreichen würde, das Andenken seines Vaters, seiner Mutter zu besudeln, das Familienglück seines Vormundes zu zerstören und alle Bande zwischen ihm und Szentirmays Kindern gewaltsam zu zerreißen; was, glauben Sie wohl, wird dieser Jüngling dann thun? Wird er etwa zugeben, daß der Prozeß seinen Fortgang habe, daß man in den Kot ziehe den Namen des greisen Mannes, den er bisher nur aus Ehrfurcht erregenden Abbildungen als seinen Vater kennt, und die Unschuld jenes Weibes, dessen milde, mütterliche Züge aus dem über seinem Bette hängenden Bilde ihn jetzt noch anlächeln? Wird er zulassen, daß jener Mann, der an ihm Vaterstelle vertreten, vor seiner Familie, vor der Welt verdächtigt, gebrandmarkt dastehe, daß sich der Wurm setze in die Wurzeln eines Glückes, welches er solange mitgenossen, daß das Vorurteil der Welt ihn verbanne aus jenem Kreise, an den ihn statt der Träume seiner Kindheit sträfliche Bande einer verpönten, widernatürlichen Bruderliebe knüpfen würden? Wird er nicht lieber den ganzen Prozeß ins Feuer werfen, ohne das vernichtende Endurteil abzuwarten und lieber in alle Bedingungen eingehen, die wir ihm stellen werden, nur um den unbefleckten Ruf seiner Eltern, das Glück seines Vormundes und jenen Traum seiner Kindheit zu retten, der seiner Seele kostbarstes Kleinod? Wird er nicht lieber allem Reichtum entsagen, nur um sagen zu können: das alles ist nicht wahr gewesen; es ist vergessen, weggelöscht für immer! Niemand weiß, ob es da war oder nicht?
Abellino starrte, ohne Atem zu holen, dem Redner ins Gesicht. Alles, was er sprach, war so fürchterlich, daß selbst dies entartete Herz sich seiner erschütternden Wirkung nicht entziehen konnte.
Der Herr Advokat klopfte die Asche aus seinem Pfeifenkopf. Für ihn war das Vorgetragene nur eine dialektische Übung. Er war zufriedengestellt von der Wirkung, die sich in den Gesichtszügen seines Klienten abspiegelte.
Er zündete sich die Pfeife von neuem an und blies Rauchwolken um sich, als ob er einen Bienenschwarm ausräuchern sollte, dazwischen lobte er den Tabak und erzählte, von wem er ihn zum Geschenk erhalten und von wem er ihn habe schneiden lassen.
Abellino bedurfte einer Ruhepause, um seine Gedanken in Ordnung zu bringen. Er steckte seine Hände in die Taschen und ließ seine Blicke am Plafond herumirren, so daß es das Aussehen hatte, als sähe er sich in seiner Einbildung schon als Herr von Karpátfalva.
Mit einemmal rief er, die Hände auf die Kniee gestützt, ex abrupto aus: Und halten Sie es für wahrscheinlich?
Der Herr Fiskal klopfte vorerst ein paarmal auf den Pfeifenkopf und zog an seinem Tschibuk, daß es ihm beide Wangen auseinander trieb; erst dann fand er es genehm, zu antworten, sich den Mund mit der Bernsteinspitze verstopfend, so oft ein Wort mehr als nötig herauskommen wollte.
– Für unfehlbar. Die Philosophie trügt nie. Ein Advokat, der sich nicht auf Psychologie versteht, gehe Kukurutz häufeln. Aber das alles ist noch nicht genug.
Abellino stutzte von neuem: – noch nicht genug?
Die Pfeife fing an schlecht zu brennen; Herr Maßlaczky war genötigt, ein damals in Mode gekommenes künstliches Feuerzeug in Anwendung zu bringen, welches darin bestand, daß man mit kleinen roten Köpfen versehene Hölzchen in ein Fläschchen, in dem sich etwas Vitriolartiges befand, hineinstechen und sie schnell wieder herausziehen mußte. Jedes zehnte, zwanzigste brannte. Solange hatte Abellino Zeit, unruhig zu wiederholen: was ist nicht genug, wieso nicht genug?
Endlich brannte eines der Zündhölzchen. Die Pfeife rauchte wieder, aber aus dem Kopf mußte der narkotische Saft abgegossen werden: nur auf den Fußboden.
– Das ist das Hauptübel, mein bester Herr Baron, das bisher unser Vordringen hinderte, daß wir keinen mächtigen Protektor besitzen.
– Ich staune. Sie behaupteten doch, daß Sie mit allen Gliedern des Obergerichtes auf bestem Fuße ständen?
– Ganz richtig. Sie lieben und achten mich; das genügt aber nicht; wir würden jemand brauchen, der sich für uns exponiert; der den Prozeß betreibt, urgiert; der mit jedermann, der uns im Wege ist, anbindet, mit einem Worte: der unsere Angelegenheit ganz als die seinige betrachtet. Einen solchen Menschen brauchen wir.
– Also suchen Sie einen. Das ist Ihre Sache. Oder soll ich ihn suchen?
– Nicht nötig. Ich habe ihn schon gefunden. Es ist ein unermüdlicher Mann, der schon dadurch, daß er sich aus dem Nichts emporgearbeitet, jene Energie bewährt hat, die uns unumgänglich nötig ist: der Herr Rat Köcserepy, wenn Euer Gnaden ihn zu kennen belieben.
– Ich habe das Glück.
– Diesen müssen Euer Gnaden um jeden Preis für sich gewinnen. Aber ganz gewinnen, so daß er die Sache völlig zu der seinigen macht. Verstehen Euer Gnaden?
Abellino bemühte sich, den Gedanken des Anwalts zu folgen.
– Also wie soll ich ihn gewinnen? Reden Sie! Soll ich die Piquetpartien des gnädigen Herrn besuchen, oder der gnädigen Frau den Hof machen? Soll ich seine Tochter zur Frau nehmen? oder was?
Maßlaczky lachte laut.
– Nicht so, lieber Baron; warum nicht gar. Der Herr Rat spielt nie Karten; die gnädige Frau hat keinen Mangel an Anbetern und macht sich nicht viel aus ihnen. Was aber das die Tochter zur Frau nehmen betrifft, so dürften das Euer Gnaden selbst kaum für eine besonders verführerische Lockspeise halten.
Abellino sah um sich, als dächte er darüber nach, ob das nicht eine Grobheit sei, was Maßlaczky soeben gesagt. Es war sehr künstlich ausgedrückt; er verstand es nicht ganz.
Der Fiskal nahm jetzt ein völlig ernstes Gesicht an und sagte, indem er selbst die Pfeife wegstellte, mit einschmeichelnd sanfter Stimme: Nicht so, mein teurer Baron, nicht so. Ich Werde Ihnen sagen, wie.– Tragen Euer Gnaden dem Herrn Köcserepy eine » cessio« an.
Abellino blickte verwundert zu ihm auf: Qu'est ce que Diable que cela: eine » cessio«? Was ist das?
– Eine Cession, erklärte Maßlaczky dem Baron, ist ein gesetzlicher Akt, durch den man irgend ein Besitzrecht auf einen andern überträgt.
– Und warum soll ich das thun?
– Weil Sie dadurch den Erfolg des Prozesses untrüglich sicherstellen.
– Was nützt es mir aber, den Prozeß zu gewinnen, wenn ich mein Recht an einen andern abgetreten habe?
– Nun, das ist natürlich und brauche ich Euer Gnaden nicht erst zu sagen, daß im Falle eines günstigen Erfolges Köcserepy für eine bonificatio sorgen wird.
– Reden Sie nicht lateinisch mit mir! – Wofür, alle sieben Donnerwetter, wird er sorgen?
– Er wird Euer Gnaden eine fixe Jahresrevenue auswerfen und dero Schulden bezahlen.
– Aus meinen eigenen Besitzungen?! rief Abellino in hochmütigem Tone. Das fängt an unterhaltend zu werden. Das ist komisch, höchst komisch.
– Ich sehe nichts Komisches darin; fürs erste deshalb nicht, weil jene Güter noch nicht in Ihrem Besitze sind und weil es sehr zweifelhaft ist, ob Sie ohne jene Bedingung jemals in den Besitz derselben gelangen; zweitens wissen Euer Gnaden so gut, wie jeder andere, daß, um die Schulden, mit denen Euer Gnaden belastet sind, zu tilgen, die laufenden Erträgnisse der Karpáthischen Herrschaften nicht zum zehnten Teile ausreichen würden; zudem ist bei der bekannten Art, wie Euer Gnaden zu wirtschaften pflegen, kein Zweifel, daß in ein paar Jahren die ganze Karpáthische Erbschaft denselben Weg gehen würde, den Ihr väterliches Erbe gegangen, und vor dem Karpátfalver Kastelle ebenso die Trommel des Exekutors gerührt werden würde, wie einst vor dem Madaraser Kastell, dann aber wird kein guter, einfältiger Nabob mehr da sein, der es für die Familie ersteht, sondern die herrlichen avitischen Besitztümer werden zerstückelt werden und nie gehörte Namen werden sich daselbst installieren. Ich sehe daher keinen Grund zu sentimentalen Bedenklichkeiten für Euer Gnaden. Haben Sie doch seiner Zeit sich nicht bedacht, Ihre herrschaftlichen Güter und Rechte einem französischen Bankier, der früher Pastetenbäcker gewesen, zu verschreiben; wie sollten Sie nun vor dem Gedanken zurückschrecken, dieselben in die Hände eines honetten, angesehenen ungarischen Edelmannes gelangen zu sehen; in primis, da Euer Gnaden jetzt von dem Besitze um vieles weiter sind, als damals und auch keine Aussicht mehr dazu vorhanden ist, daß Sie eine Nachkommenschaft hinterlassen.
– Bitte!
– Ja doch – den Sohn, der dem alten Johann Karpáthi in seinem siebenzigsten Jahre geboren wurde.
Der Fiskal lachte herzlich über diesen Einfall, den Abellino minder gut fand.
Nach einigen Minuten verrauchte sein Zorn. Eine Ahnung fing an, in ihm aufzudämmern, daß der Advokat doch recht haben dürfte.
– Also, was denken Sie, welche Bedingungen dürfte Herr Köcserepy machen?
– Ich denke nichts. Äußern Sie sich, lieber Baron.
– Das werde ich nicht thun. Rücken Sie damit heraus, was Sie versprechen können.
Herr Maßlaczky zupfte ein paarmal an seinen Schultern und an seinen Augenbrauen, nahm einen Fuß in die Hand, blies, den Kopf zurückwerfend, eine lange Rauchkette bis an den Plafond und rückte endlich mit der Antwort heraus.
– Ich glaube, er wird Ihnen geben können jährlich ... jährlich ... (hier mußte er wieder mit dem kleinen Finger die Asche hinabdrücken) jährlich – zwanzigtausend Gulden.
– Mein Herr, Sie belieben zu scherzen, sagte Abellino gekränkt. Zwanzigtausend Gulden, wenn ich eine halbe Million Revenuen aus den Händen gebe. O, mein Herr, man treibt Spott mit mir. Wenn ich mich schon erniedrigen will, nun so gehe ich hin zu meinem Vetter, bitte ihn schön und er wird mir gutwillig ebensoviel auswerfen.
– Belieben Euer Gnaden zu bedenken, daß die Zahl Ihrer Schulden Legion ist; bis diese aber nicht getilgt sind, bleibt dero Gnaden nichts als das kleine Leibgedinge. Diese also müssen zuerst aus dem Gütererträgnisse getilgt werden. Und dann ist dies Erträgnis nur nominell eine halbe Million, denn die Einnahme ist wohl so groß, aber zwei Dritteile werden von den Ausgaben verschlungen. Mir liegt an dem Herrn Köcserepy nicht so viel, ich spreche nicht für ihn, Ihr Vorteil ist es, den ich im Auge habe.
– Nein, nein, ich kann mich mit dem Gedanken nicht aussöhnen, nicht vertraut machen, daß ich, wie Esau, für ein Linsengericht, für eine lumpige Abfindung mein ererbtes Besitztum verhandeln soll.
– Besitztum? Im Monde? Wo ist denn dero Gnaden Besitztum? keifte der kleine Mann, der sehr schnell in Feuer geriet und dann sackgrob wurde.
Abellino war sogleich eingeschüchtert, sobald jemand lauter sprach als er.
– Wenn aber die Summe, die man mir anbietet, so lächerlich klein ist im Verhältnis zu dem, was ich abtreten soll. Bedenken Sie selbst, mein Herr. (Dies sagte er in einem beinahe unterthänig flehendem Tone und vergaß seine Standeswürde soweit, daß er sich, ächzend, die schmerzenden, kontrakten Kniee rieb.)
– Lieber gnädiger Herr, noch eins will ich Ihnen sagen, aber haben Sie die Güte, mich anzuhören. Die Zeiten ändern sich und wir wissen nicht, was der morgende Tag bringen wird. Neue Ideen fangen an in den Köpfen der jüngeren Generation zu keimen, von denen wir noch keine Ahnung hatten, als wir lesen lernten. Haben Euer Gnaden je etwas von Reformern gehört?
– Was habe ich mit denen zu schaffen. Ich beschäftige mich schon seit Jahren nicht mehr mit der Politik; meinethalben mögen sie einander in die Haare fahren. Ich gehöre weder dahin, noch dorthin, ich bin indifferent. Mir sind sie alle gleich verhaßt; mir helfen die einen so wenig, wie die andern. Ich mische mich nicht in ihre Angelegenheiten.
– Aber sie mischen sich in dero Angelegenheiten. Diese Reformer fangen seit einiger Zeit an, zwei großartige Ideen im Munde zu führen, deren Benennungen bisher nicht im Umlauf gewesen sind: Die allgemeine Besteuerung und die Grundablösung.
– Was bedeuten diese Ausdrücke?
– Das bedeutet, es könne geschehen, daß an einem schönen Morgen der Besitzer der Karpáthischen Herrschaft mit der Nachricht überrascht wird, das Land habe die Hälfte seiner Einkünfte denjenigen überlassen, von denen er sie bisher einzutreiben pflegte, und auf die zweite Hälfte einen Teil jener Lasten geworfen, die bisher von anderen getragen wurden; daß die Freiherren Karpáthi nicht mehr weder Zehnten noch Rauchgeld erheben, ihre Felder nicht mehr durch Robot bestellen lassen, dafür aber mit dem Steuerzahlen sich bekannt machen; und da das größte Einkommen dieser Herrschaften in Urbarialleistungen besteht, so daß ein guter Teil derselben nur nominell Karpáthischer Grundbesitz ist, so frage ich, welche Aussichten hat dann wohl ein neuer Besitzer?
– Nur, daß alles, was Sie da sagen, eine Unmöglichkeit ist.
– Nichts ist unmöglich unter der Sonne.
– Ach, mein Herr, Sie glauben mich mit Märchen abzufüttern. Über das sind wir hinaus, rief Abellino dazwischen, sich auf den Klugen hinausspielend. Auch ich habe meine fünf Sinne.
Maßlaczky erhob sich mit verletztem Selbstgefühl von seinem Sitz; ohne ein Wort zu erwidern, band er die Akten schön zusammen, packte sie ein und wandte sich dann gegen Abellino.
– Lieber Herr Baron, wie mir scheint, bin ich nicht so glücklich, Ihr Vertrauen zu besitzen. Dafür kann man nicht, Belieben Euer Gnaden sich einen anderen Advokaten zu nehmen; ich will meine Hand nicht mehr in diesem Prozesse haben.
Hierauf schrie er ins andere Zimmer hinaus: Frater Bogozy, nehmen Sie dieses Paket und tragen Sie es zum Gerichtsarchivar. Euer Gnaden können die Akten dort herausbekommen. Tragen Sie Sorge für die Ernennung eines Advokaten.
Abellino stand wie verblüfft, nicht wissend, was er thun solle. Maßlaczky würdigte ihn keines Blickes mehr.
– Wer wartet draußen? frug er im Tone der Amtsbeflissenheit den Juraten.
– Zwei Bauern vom Lande, war die Antwort.
– Sollen herein kommen.
Als Abellino sah, daß Maßlaczky nicht im geringsten mehr die Absicht zeigte, sich mit ihm zu beschäftigen, sondern die beiden nach Speck duftenden Landleute zu sich hereinrief, stülpte er den Hut auf den Kopf und entfernte sich zornig, die Thür hinter sich zuschlagend, so daß er dem alten Thomas beinahe die Finger zerquetscht hätte.
Nachmittags war er dennoch neugierig zu erfahren, ob der Advokat wirklich seine Drohung ausgeführt habe und schlenderte zur Kurie hinauf. Auf seine Erkundigungen gab der Archivar die Auskunft, daß in der That Herr Maßlaczky die Prozeßakten: » Karpáthi contra Karpáthi« zurückgeschickt habe.