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Gleichzeitig mit List und seinem Freunde Baader hatte der verdiente Großindustrielle Fritz Harkort – schon von 1825 ab – die Eisenbahnen in Zeitschriften und Denkschriften empfohlen und in Westfalen Bahnunternehmungen zu gründen gesucht, aber nichts zustande gebracht als eine Pferdebahn von Steele nach Vohwinkel, die 1830 vollendet wurde. Erst dem stürmischen Eifer und den überzeugenden Beweisführungen Lists gelang es, die lächerlichen Vorurteile, die philisterhafte Trägheit und Ängstlichkeit seiner Landsleute zu überwinden und dem Verkehrsmittel der modernen Zeit Eingang zu verschaffen. Von Paris war List nach Karlsruhe gereist, um eine Bahn von Mannheim nach Basel vorzuschlagen, aber selbst seine besten Freunde erklärten, sie hätten wahrhaftig Wichtigeres zu thun, als sich mit unsinnigen Projekten zu befassen. Man hätte denken sollen, diese entmutigenden Erfahrungen und die Engherzigkeit der Hamburger, die sich dazu hergaben der württembergischen Bureaukratie Henkerdienste zu leisten, hätten List von seiner Vaterlandsliebe heilen müssen, besonders da sich ihm in Amerika glänzende Aussichten eröffneten. Als er 1832 seine Familie dort abholte, fand er seine Bahn und die Ausbeutung der Kohlenminen im besten Gange. Er bezog ein bedeutendes festes Gehalt und Dividende, und zudem bot ihm die Regierung die Stellung in Brüssel an. Aber die Liebe zur Heimat, mehr vielleicht noch das Gefühl seiner providentiellen Bestimmung und der Drang, sie zu erfüllen, überwand allen Ärger und alle Besorgnisse: er brachte seine Familie herüber. Die Hamburger Kapitalisten, die er für eine Bahn nach Lübeck und eine nach Berlin zu gewinnen suchte, lachten ihm ins Gesicht. Die Sache kam ihnen so komisch vor »wie eine Jagd auf Chimären«. Auch machten sich englische Einflüsse geltend. Engländer erklärten, höchstens eine Bahn von Hamburg nach Hannover würde Aussicht auf Rentabilität haben, vorausgesetzt, daß sie von Engländern gebaut werde, und die Hamburger zweifelten nicht an der überlegenen Weisheit ihrer Berater. Auch nach Dänemark wandte sich List vergebens, nur in Lübeck fand er einiges Verständnis. Eine Einladung seiner französischen Freunde, nach Paris zu kommen und sich an die Spitze der von ihm angeregten Unternehmungen zu stellen, lehnte er ab. Im Frühjahr 1833, nachdem sonderbarer Weise sein Titel eines Konsuls für Leipzig mit dem des Konsuls für Baden vertauscht worden war, siedelte er nach Leipzig über, da ihm diese Stadt als bedeutendster Meßplatz und ihrer centralen Lage wegen der natürliche Ausgangspunkt für die Anlage eines Eisenbahnnetzes zu sein schien. Als Grund der Übersiedelung gab er die Ausbildung seiner Kinder an und sondierte zunächst vorsichtig die Stimmung, die er so ungünstig wie anderwärts fand. Weder die Stadträte noch die Großhändler, mit denen er verkehrte, vermochte er zu überzeugen, daß auch nur die kleinste Strecke Eisenbahn rentieren könne. Nachdem er einmal als Agitator für Eisenbahnen bekannt geworden war, gestand er offen, daß diese Agitation der einzige Zweck seines Kommens gewesen sei, und erklärte, er werde 4 bis 6 Jahre lang die öffentliche Meinung Deutschlands bearbeiten, die Sache möge Erfolg haben oder nicht. Daß bei Anlage eines deutschen Netzes mit der Strecke Leipzig–Dresden der Anfang gemacht werden müsse, war ihm bald klar geworden; er untersuchte demnach das Terrain, zog Erkundigungen ein über Verkehr, Materialienkosten, Arbeitslöhne und gab die Schrift heraus: » Über ein sächsisches Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems und insbesondere über die Anlegung einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden.« Die Schrift widerlegt alle Einwürfe und Bedenken und enthält eine genaue Kosten- und Rentabilitätsberechnung, die Grundzüge der Verfassung der Aktiengesellschaft, die den Bau unternehmen soll, den »Entwurf eines Gesetzes zum Zweck der Bildung von Aktiengesellschaften zur Erbauung einer Eisenbahn zwischen Leipzig und Dresden und zur Anlage von Eisenbahnen im Königreich Sachsen überhaupt«. Beigegeben ist eine Karte, die das zunächst auszuführende Netz darstellt; es verbindet: Prag mit Dresden und Leipzig, dieses dann einerseits mit Wittenberg, Berlin, anderseits mit Halle und Magdeburg, in dritter Richtung mit den thüringischen Städten und Hersfeld; Berlin ferner mit Breslau, Thorn, Danzig, Stettin, Hamburg, dieses mit Lübeck und Bremen, Bremen mit Hannover, Hannover mit Braunschweig und Magdeburg sowie mit Minden und Kassel, Minden mit Köln, Kassel mit Hersfeld, Hersfeld mit Frankfurt, Darmstadt, Mannheim, Karlsruhe, Basel, Karlsruhe mit Stuttgart, Augsburg und München, Augsburg mit Lindau, die thüringer Bahn mit Bamberg, Nürnberg und München, die Leipzig-Dresdener Bahn mit Chemnitz und Zwickau. Das sind die Hauptlinien des Netzes, wie wir es heute haben.
Er berichtet in der Schrift über die Erfahrungen, die er beim Bau seiner amerikanischen Bahn gemacht hat, und verwendet sie für die Kosten- und Rentabilitätsberechnung. Er zitiert seine in der Augsburger Allgemeinen Zeitung 1827 abgedruckte und in den »Mitteilungen aus Amerika« weiter ausgeführte Korrespondenz mit Baader. Darin wird u. a. dargelegt, daß mit Hilfe von Eisenbahnen Getreide aus dem Ries und aus dem Innern von Bayern (besonders wenn es nach amerikanischer Weise in Form von Mehl verschickt würde), in der Schweiz, in den Main-, Rhein- und Elbgegenden regelmäßig Absatz finden und in Teuerungszeiten bis nach England gehen würde. Wolle, Klee, Lein, Raps, Handelspflanzen, getrocknetes Obst, Main- und Tauberwein, Bier würden ihren Markt aufs Doppelte und Dreifache erweitern; Salz, Gips, Eisen, Steinkohle, Holz, Torf würden dort, wo es daran fehlt, wohlfeiler werden; die Fabriken könnten ihre Rohstoffe billiger beziehen. Der Speditionshandel und die Ausfuhr der Nürnberger Waren würden sich heben, kleine Bahnen, z. B. von München zu den Salzwerken, würden folgen; die Waldgegenden und die Weingegenden würden ihre Erzeugnisse austauschen. List empfiehlt zunächst wohlfeile Anlage: mit Eisen beschlagenes Holz statt Eisenschienen; eine solche Bahn werde nicht mehr, als 50 000 Thaler die Meile kosten und gute Dividenden bringen; habe sich dann später der Verkehr schon gehoben, so könne man die solidesten Bauten wagen. Leipzig passierten im Jahre 100 000 Fremde; die Bahn werde den Verkehr auf 200 000 erhöhen. Wie weit ist doch List mit seinem bescheidenen Anschlage hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben! Aber schon die jetzigen 100 000 würden, wenn man auf jeden 5 Thaler rechne, 500 000 Thaler bringen, daher die vier Millionen Anlagekapital reichlich verzinsen. (Der Rechenfehler, der darin steckt, daß bei weitem nicht alle Fremden von Dresden herkommen, wird durch die zu erwartende Steigerung des Verkehrs ausgeglichen.) Dazu komme aber noch der Güterverkehr und die Steigerung des Konsums am Platz. Jetzt sei Holz in Leipzig um 100 Prozent teurer als an dem drei Meilen entfernten Orte, wo es gefällt werde; ebenso stehe es um die Kohle; das Brot werde sogar noch durch den Umstand verteuert, daß das Wasser der Stadt zum Mehlmahlen nicht ausreiche. Die Veränderung, die der erleichterte und verbilligte Transport von Menschen und Waren hervorbringen müsse, führt er durch alle Verzweigungen des wirtschaftlichen Lebens durch und schließt: »Mit einem Wort, Bevölkerung, Gebäudezahl, Gewerbe, Handel, Grundstückwert würden sich in kurzer Zeit verdoppeln und bald würde die Anlage von Eisenbahnen ein Hauptgeschäft Leipziger Bankiers und Kapitalisten werden.«
List verteilte die Schrift in 500 Exemplaren an die Mitglieder der königlichen und der städtischen Behörden, sowie an bedeutende Vertreter des Handels und Gewerbes und überzeugte damit einzelne hervorragende Männer. Aufsehen erregte sie genug, aber das große Publikum verhielt sich ablehnend; in den »Eingesandt« der Tagesblätter wurde List lächerlich gemacht. Die Leipziger Zeitung meinte, es würde höchst unklug sein, ein solches Riesenunternehmen zu wagen. Ein Leipziger Bankhaus befragte seine englischen Geschäftsfreunde und erhielt die Antwort: das ganze Eisenbahnwesen sei Schwindel; kein vorsichtiger Mann wage Kapital daran. Das Gutachten eines damals berühmten Professors der Nationalökonomie – der Name wird nicht genannt – fiel ungünstig aus. Schließlich fanden sich doch einige jüngere Vertreter des Handels zusammen, die das Unternehmen zu wagen beschlossen; die ersten waren Wilhelm Seyfferth und Dufour-Féronce, ihnen gesellte sich ein Beamter, der Hofrat von Langenn, zu. Daraufhin entschloß sich List, sich in Leipzig dauernd niederzulassen, und machte damit, da er eben den großen Vermögensverlust erlitten hatte, auch seine materielle Existenz von dem Unternehmen abhängig. Einen Kontrakt zu fordern wagte er nicht, weil sonst das erst noch zu gewinnende Publikum leicht glauben konnte, es handle sich nur um eine Privatspekulation zu Lists Vorteil; er überließ sein Schicksal vertrauensvoll der Ehrenhaftigkeit der Leipziger und äußerte nur im Gespräch mit Seyfferth und Dufour, er erwarte Ersatz seines Aufwandes bis zur Konstituierung der Aktiengesellschaft, und mache sich aus, daß er nach Vollendung der Bahn zwei Prozent der Aktien zum Parikurse zeichnen dürfe und im Direktorium mit angemessenem Gehalt angestellt werde. Das Risiko für den Fall, daß aus der Sache nichts werde, müsse er tragen; darüber öffentlich zu sprechen, verböten die Umstände. Die beiden Herren erkannten die Billigkeit seiner Forderung an und verbürgten sich dafür; namentlich fanden sie es selbstverständlich, daß List in die Direktion eintreten müsse; seine Sachkenntnis und Erfahrung seien ja nicht zu entbehren, und die übrigen Direktionsmitglieder würden Geschäftsleute sein, die unmöglich dem Unternehmen ihre ganze Zeit und Kraft widmen könnten. Seyfferth und Dufour entwarfen nun eine Eingabe an die Regierung, die aber über den engsten Kreis der Freunde Lists hinaus keine Billigung fand, weil sie sich auf die Autorität dieses Mannes berief, der nun einmal als ein politisch anrüchiger Herumtreiber galt. Ein Advokat Wiesand, der von der Sache nichts verstand, wurde mit Anfertigung einer neuen Eingabe beauftragt. Daß man sich darin seine Ausführungen aneignete, ohne ihn zu nennen, ließ sich List ebenso gefallen, wie daß man ihn der Regierung als einen Phantasten und Projektenmacher schilderte. Die Eingabe wurde von 316 angesehenen Bürgern Leipzigs unterzeichnet und ging am 20. November 1833 nach Dresden ab. Außerdem wurde eine aus Seyfferth, Dufour, Gustav Harkort (Friedrichs Bruder, der in Leipzig mit seinem Bruder Karl ein Exportgeschäft leitete) und Langenn bestehende Deputation nach Dresden geschickt. Harkort und Langenn waren bis dahin mit List noch nicht zusammengekommen; diesen zur Teilnahme einzuladen, fiel den Herren nicht ein. Während die Leipziger List zum Schwindler machen wollten, gerieten sie bei den Dresdenern in denselben Ruf: auf dem Wege zu den Ministern wurden ihre Abgesandten vom Pöbel mit Hohngeschrei begleitet. Robert Blum, damals Theatersekretär in Leipzig, nannte die projektierte Bahn eine Promenadenbahn, die nach klaren Berechnungen das Anlagekapital nicht verzinsen könne. Welche Verspottung, welche Verhöhnung, schreibt Laube im Nekrolog, »hat List damals erlitten! Jetzt will sich niemand mehr daran erinnern, aber ich weiß es noch wie heute, daß er nur ein kleines Häuflein junger Brut, zu der ich selbst gehörte, um sich vereinigen konnte, die seinen Belehrungen offenes Ohr und offenen Geist entgegenbrachte, und die es unter die Leute hinaustrug, die solche »Märchen« mit ungläubigem Lächeln anhörten. An der großen Wirtstafel des Hôtel de Bavière, die jetzt durch Eisenbahnreisende verfünffacht ist an Umfang, war damals niemand, der uns geglaubt hätte, wenn wir Lists Plan empfahlen. »Projekte! Projektenmacher!« hieß es, so oft die Rede darauf kam. Wenigstens drei Jahre waren erforderlich, Lists Vorschlägen Verständnis und Kredit zu verschaffen, und ganz wie es Kolumbus erging, kamen hinterher die ausbeutenden Vespuccis, die dem eigentlichen Entdecker allenfalls ein wenig Ruhm, eine kleine Entschädigung gönnten. Und freilich war er auch nicht ohne die Unarten des Genies, das, nach Großem trachtend, im Kleinen verletzen mag. Aber was er damals in Leipzig mit unsäglicher Anstrengung, mit Aufbietung all seiner Überzeugungskraft zustande gebracht hat, es ist nichts mehr und nichts weniger als die Gründung der deutschen Eisenbahnen.«
List wollte die große Sache durch die Ungeschicklichkeit von Unkundigen nicht gefährden lassen, reiste daher selbst nach Dresden und bewies durch die Aufnahme, die er bei den Ministern, beim Könige und beim Prinzen Johann fand, wie unbegründet die Angst der Leipziger Spießbürger gewesen war, sie möchten bei Hofe anstoßen, wenn sie den Vaterlandslosen schickten. List gewann die Minister für die drei Hauptforderungen seines Vorschlags: die Konzession einer Aktiengesellschaft, das dieser zu gewährende Privilegium der Papiergeld-Ausgabe und die vierprozentige Zinsgarantie. Im Namen der Deputation, welche die Regierung aufklären sollte, richtete einmal Harkort an einen der Minister die Bitte, ihnen doch mit Rat beistehen zu wollen, da es in Leipzig niemand gebe, der von Eisenbahnen etwas verstehe; der Minister aber empfahl ihnen den zufällig ebenfalls bei ihm anwesenden List als Berater. All der tausend Vexationen, mit denen man ihn peinigte, später gedenkend, erklärte der hochherzige Mann: »Ich beklage mich nicht und bin weit entfernt von dem Verdachte, es habe mich jemand absichtlich zurücksetzen wollen; ich hege vielmehr die feste Überzeugung, daß alle diese Dinge ihre guten und durchaus ehrenwerten Gründe haben.«
Für die nächsten Monate nahm der Anschluß Sachsens an den Zollverein die Aufmerksamkeit und Arbeitskraft der Regierungsbeamten und der Kaufleute in Anspruch. Um dann die halb eingeschlafene Eisenbahnsache aufs neue zu beleben, bat das aus den oben genannten Deputierten bestehende Komitee List, etwas zu schreiben. Er verfaßte einen »Aufruf an unsre Mitbürger«, der so packend ausfiel, daß die Herren, von der Vorlesung entzückt, dem Autor einen silbernen Pokal mit goldener Verzierung widmeten. Der Aufruf wurde auf Kosten der Regierung in tausend Exemplaren verteilt. Auf den 17. März ward eine Versammlung einberufen. Der Börsensaal war gedrängt voll und die Begeisterung so groß, daß man das Aktienkapital sofort gezeichnet haben würde, wenn man, wie einige verlangten, zur Subskription geschritten wäre. Man wählte aber vorläufig nur ein Komitee von zwölf Mitgliedern, darunter die Deputierten und List. Nach der Wahl erklärte der Leiter der Versammlung, Stadtrat Müller, List könne in das Komitee nicht eintreten, denn der Rat der Stadt habe angeordnet, daß nur sächsische Staatsbürger Mitglieder sein dürften; als Sachverständiger jedoch dürfe List zu den Komiteesitzungen zugezogen werden. (Zum Ehrenmitglied wurde auch Friedrich Harkort gewählt, der ebenfalls als Sachverständiger Dienst leisten sollte.) Der Hofrat Langenn, bei dem sich List beschwerte, mißbilligte mit sehr entschiedenen Worten diesen Ratsbeschluß; später mußte List die Entdeckung machen, daß gerade Langenn, im Eisenbahnwesen sein eifrigster Schüler, im geheimen gegen ihn Ränke spann. Das Komitee konstituierte sich ohne List. Anderen Tags jedoch erschienen Dufour und Langenn bei ihm und baten ihn, die auf ihn gefallene Wahl zum außerordentlichen Mitgliede anzunehmen. Da List Bedenken äußerte, beeilte sich Dufour, an einen amerikanischen Förderer der Eisenbahnen, der soeben mit Undank gelohnt worden war, erinnernd zu beteuern: die Leipziger würden nicht wie Yankees, sondern wie Ehrenmänner an ihm handeln. List nahm an, zum Glück für das Komitee, das gar nicht wußte, was es eigentlich zu thun habe. List gab ihm ein Programm und das Material für seine Thätigkeit. Zugleich arbeitete er die Berichte aus, in denen das Komitee von seiner Thätigkeit dem Publikum fortlaufend Rechenschaft ablegte. Diese Leistungen lohnte man ihm damit, daß man ihn mit demonstrativer Ungezogenheit behandelte, während seiner Vorträge lachte und sich laut unterhielt und daß ihn Harkort einmal mit den Worten unterbrach: »ich glaube nicht, daß Sie das verstehen.« Zu der Sitzung, in der über die Trassierung der Bahn beraten werden sollte, lud man ihn gar nicht ein, aber der zugezogene Ingenieur brachte ihn mit, denn gerade bei diesem Gegenstande war seine Mitwirkung von Wichtigkeit, weil er im Gegensatz zum Komitee die richtige Ansicht vertrat, daß Kurven ungefährlich und der auf hügeligem Terrain nur durch kostspielige Viadukte zu ermöglichenden geradlinigen Richtung vorzuziehen seien. Überhaupt hatte er die Ingenieure gewöhnlich für sich, und diese überlegene Sachkenntnis Lists, die sich auch auf das Technische erstreckte, war es eben, was die Herren ärgerte; darauf, diese Überlegenheit des Mannes dem Publikum zu verhüllen, waren alle ihre Maßregeln berechnet. Die Herren klagten laut und bitter darüber, »daß ein Schwabe, der ungerufen ins Land gekommen sei und der offenbar nur eine oberflächliche Sachkenntnis besitze, sich mehr zutraue als den Koryphäen des Leipziger Handelsstandes.« Mit seinem Trassierungsvorschlage drang List nicht durch; das Komitee wählte eine andere Linie; ein Fehler, schreibt Niedermüller, den der Eigensinn des Komitees verschuldete und den die Aktionäre mit 17 500 Mark für das Gutachten eines englischen Ingenieurs und mit einer dauernden Kürzung der Rente zu bezahlen hatten. List machte seinem Unwillen einmal in einer Philippika Luft, die das Komitee stillschweigend zu den Akten legte und worin er u. a. sagte, in solchen Fragen reiche das Ingenieurwissen nicht aus, da kommerzielle, industrielle und Finanzfragen hinein spielten; doch habe er sich auch das erforderliche technische Wissen erworben. Als es sich dann um die Statuten der Aktiengesellschaft, um das Expropriationsgesetz und die Abgrenzung der Rechte und Pflichten der Gesellschaft der Regierung gegenüber handelte, erwies sich List wieder als der einzige Sachverständige; Langenn vereinbarte den Entwurf in einer Reihe von Konferenzen mit ihm allein. Im September 1834 kam die Sache vor den Landtag. Zu den Verhandlungen mit den Abgeordneten wurde List wieder nicht gewählt, trotzdem er ausdrücklich darum gebeten hatte. Da die Leute, die man nach Dresden schickte, von der Sache nichts verstanden, verzögerte sich die Erledigung um ein ganzes Jahr.
Endlich kommt es zur Wahl des Direktoriums, und List – wird auch hier übergangen; die Herren Dufour und Seyfferth erinnern sich nicht mehr an das, was sie versprochen haben. Und doch verdankte das Komitee die Unterstützung, die es mehr und mehr beim Publikum fand, ganz allein List, der durch die oben erwähnten Berichte das Unternehmen populär machte. Er selbst sagt später darüber: »Wie kurz und gedrängt diese Arbeiten jetzt erscheinen, so kann ich doch versichern, daß manche Spalte die Früchte wochenlanger Reflexionen in sich schließt, und daß eben die Kürze und Gemeinfasslichkeit der Darstellung mir die größte Mühe verursachte.«
Mit dieser örtlichen Thätigkeit begnügte sich List nicht; er wirkte für Eisenbahnbauten durch eifrige Korrespondenz mit allen größeren Städten Deutschlands und durch sein »Nationalmagazin«.
Am 14. Mai 1835 ward die Aktienzeichnung eröffnet und gleich am ersten Tage die geforderte Summe unter stürmischem Andrang überzeichnet. Mit Mühe hatte es List durchgesetzt, daß vorderhand nur anderthalb Millionen Thaler gefordert wurden; erst nach Eröffnung einer Teilstrecke, die sofort Rente abwerfen werde, konnte seiner Ansicht nach ohne Gefahr entweder das Aktienkapital vergrößert oder eine Anleihe aufgenommen werden, da erst dann die Reellität des Unternehmens aller Welt sichtbar sein werde. Unmittelbar darauf eilte List nach Berlin, um die Wirkung seiner Schrift: »Über die Vorteile eines preußischen Eisenbahnsystems und insbesondere einer Eisenbahn zwischen Hamburg, Berlin, Magdeburg und Leipzig« durch das lebendige Wort zu unterstützen. Er wurde freundlich aufgenommen, richtete aber nichts aus, weil die maßgebenden Kreise dem Unternehmen aus politischen Gründen abgeneigt waren. Die Leipziger bewiesen ihm unterdessen aufs neue ihre Dankbarkeit dadurch, daß sie ihn durch ein hinterlistiges Spiel um den ihm zustehenden Aktienanteil betrogen, und durch einen offenen Skandal in der ersten Generalversammlung der Aktionäre am 5. Juni. Gustav Harkort erstattete einen Bericht über das bisher Geschehene, worin das Verdienst aller Mitwirkenden gebührend herausgestrichen, nur der eine List mit keiner Silbe erwähnt wurde. Dieser, eben aus Berlin zurückgekehrt, kam unerwartet in die Versammlung, bat, nichts ahnend, ums Wort und begann ganz unbefangen: »Nach zehnjährigem Streben, ein deutsches Eisenbahnsystem zu begründen, oder wenigstens durch ein großes Beispiel die Begründung anzuregen, sehe ich mich – Dank sei den erleuchteten Gesinnungen und dem Patriotismus der erhabenen Fürsten und hohen Staatsbeamten dieses Landes und dem regen Sinn des sächsischen Publikums für alles Bessere – mit einem Male an das Ziel meiner Wünsche versetzt.« Dann entwickelte er die Aussichten, die ihm durch Privatunterhandlungen auf die Ausführung seines großen Planes eröffnet worden seien. Als er einmal stockte – war er doch ganz unvorbereitet vom Reisewagen in die Versammlung geeilt – unterbrach ihn Harkort als Vorsitzender mit der Aufforderung, sich kurz zu fassen; ein Herr Olearius aber rief laut: »Einen solchen Erguß kann jede Berliner Waschfrau loslassen!« Und ein Herr Dr. Crusius sagte: »Sie haben sich in Berlin für einen Abgesandten des hiesigen Komitees ausgegeben, aber Sie sollen uns kennen lernen!« List stellte das in Abrede und protestierte gegen den Vorwurf, er habe das Komitee kompromittiert. »Nun«, sagte Crusius hochmütig, »wenn Sie um Verzeihung bitten, so ist's ja gut!« Lists Verhandlungen mit den drei Herren führten zu keinem Ergebnis, und er legte die Korrespondenz darüber dem Regierungskommissar von Falckenstein vor. Da dieser sich nicht mehr damit befassen mochte – anfänglich hatte er seine Vermittelung angeboten –, so veröffentlichte List seine Rede. Die Antwort darauf war ein verleumderischer Artikel im Frankfurter Journal, der in anderen Blättern abgedruckt wurde und worin es hieß, die ganze Stadt habe das Auftreten des »bekannten Herrn List« verurteilt; nur dem Komitee sei der Fortgang des vaterländischen Unternehmens zu danken. Die Verbindung mit dem übrigen Deutschland würden die Direktoren schon im Auge behalten, aber ein Einzelner dürfe sich nicht herausnehmen, auf bloße Privataufforderungen hin andere Unternehmungen einzuleiten, die dem begonnenen schwächend in den Weg treten könnten. In einer Erwiderung ging List von der Annahme aus, daß die Komiteemitglieder diesem Artikel fern stünden, und behandelte sie mit zarter Hochachtung. Niedermüller meint, diese Großmut, die er in der Angelegenheit von Anfang bis zu Ende geübt habe, und diese überzarte Scheu vor Angriffen auf Personen seien ihm verhängnisvoll geworden. Denn weil er sich alles gefallen ließ, habe man rücksichtslos auf ihn losgehauen und ihn zuletzt sogar dreisterweise beschuldigt, zu seinem eigenen Nutzen die Börsenjobberei entfesselt zu haben, während alle seine Ratschläge, die man leider nur unvollkommen befolgte, darauf berechnet waren, diesem Übel vorzubeugen. Daß List nicht ins Direktorium gewählt wurde, während sämtliche Komiteemitglieder hineinkamen, ist bereits erwähnt worden. Damit war wieder einmal eine Aussicht auf gesicherte Existenz gescheitert. Wie schön hatte er es sich gedacht, als besoldeter Direktor in Ruhe für seinen großen Plan, das deutsche Eisenbahnnetz, wirken zu können! Welche Autorität schon würde ihm die Leitung der ersten deutschen Eisenbahn – die am 7. Dezember 1835 eröffnete kleine Bahn zwischen Nürnberg und Fürth war kaum zu rechnen – verliehen haben!
Wie peinlich es unter diesen Umständen für ihn sein mußte, die Entschädigungsfrage anzuregen, fühlt jeder, aber sie ließ sich nicht länger verschieben, denn auch ein List kann nicht von der Luft leben. List war aus Amerika herübergekommen, um sein Vaterland mit dem Verkehrsmittel der Zukunft zu beschenken, hatte fünf Jahre lang, davon zwei in Leipzig, von seinem zusammenschmelzenden Vermögen gelebt, hatte außer den durch seine Abwesenheit verursachten Vermögensverlusten eine Unmasse von Geld verloren auf Reisen, auf Korrespondenzen, auf Beschaffung englischer und amerikanischer Litteratur, hatte sich für seinen Zweck ein Konsulamt geben lassen, das ihm Repräsentationspflichten auflegte, aber nichts brachte, und hatte sich so, mit Niedermüller zu reden, das Glück, für die Leipzig-Dresdener Bahn wirken zu dürfen, ziemlich teuer erkauft. Die Herren vom Komitee hatten ihm, außer Erstattung der Kosten, eine Belohnung in Aussicht gestellt. Die Direktoren baten nun nicht etwa List um die Rechnung, sondern vergaßen einfach den Posten »Auslagen« und schlugen eine »Belohnung« von 1500 Thalern vor. In dem Bericht an den Ausschuß schreiben sie:
»Es muß uns angelegen sein, daß eine Unternehmung, die in unserem Vaterlande ein schönes Beispiel gegeben hat, nicht den Vorwurf auf sich lade, dem Manne, von dem die erste Anregung dazu ausging, der sich fast zwei Jahre hindurch mit Thätigkeit und Eifer ihrer Beförderung widmete und ihr wesentliche Dienste geleistet hat, gegründete Veranlassung gegeben zu haben, sich über erfahrenen Undank zu beklagen, und wir haben es daher für angemessen erachtet, Herrn Konsul List ein Ehrengeschenk von 1500 Thalern zu bestimmen. Wir haben es um so eher thun zu dürfen geglaubt, als der Kasse der Kompagnie durch den öffentlichen Verkauf der disponibel gebliebenen 788 Stück Aktien ein unerwarteter beträchtlicher Gewinn zugeflossen ist, auf dessen Erlangung die Berichte, deren Ausarbeitung Herrn List hauptsächlich zuzurechnen ist, nicht unerheblich eingewirkt haben dürften.«
Der Ausschuß machte sich nobel und erhöhte das Ehrengeschenk auf 2000 Thaler. Harkort, der sich durch die Direktionspflichten in der Leitung seiner eigenen Unternehmungen nicht stören zu lassen brauchte, erhielt 1500 Thaler jährlichen Gehalt zugesichert; der geschäftführende Direktor aber, der sich allerdings verpflichten mußte, sein Leipziger Geschäft aufzugeben, 2500 Thaler und Reiseentschädigung. List wies das Ehrengeschenk zurück, trotzdem das Begleitschreiben der Direktoren von Anerkennung überfloß. In der Begründung der Ablehnung hob er hervor, daß er, wenn er nur seinen persönlichen Vorteil im Auge gehabt hätte, den gewöhnlichen Weg beschritten und für seine Person bei der Regierung und dem Landtage die Konzession zur Gründung einer Aktiengesellschaft nachgesucht haben würde; diese würde ihm schwerlich verweigert worden sein, und er hätte dann das ganze Unternehmen in seine Hand bekommen. Wir verfolgen die unerfreuliche Angelegenheit nicht im einzelnen, sondern erwähnen nur die jesuitische Ausrede der Direktoren, eine Kostenrechnung könne ihnen List nicht machen, weil ja das meiste von dem, was er anführe, vor der Konstituierung der Aktiengesellschaft ausgegeben worden sei. List ließ sich vorläufig mit einem Tantiemenanteil: einem Prozent des Reinertrags auf acht Jahre, abspeisen; diesen Anteil verkaufte er um 2000 Thaler, und die Gesellschaft kaufte ihn sofort zurück.
Mittlerweile hatte er noch einen anderen Kelch austrinken müssen. Er war das zweite Mal als Konsul der Vereinigten Staaten für Baden nach Deutschland gekommen, hatte aber, nachdem er sich dauernd in Leipzig niedergelassen, das badische Konsulat mit dem sächsischen vertauscht, und die sächsische Regierung – erwies der württembergischen denselben Gefallen wie die hamburgische. Vergebens schrieb er an einen sächsischen Minister: »Politik und Staatsklugheit können nicht gebieten, daß ein Mann, der seit 15 Jahren allem politischen Treiben fremd, durch seine häuslichen, ökonomischen und bürgerlichen Verhältnisse darauf angewiesen, der Politik für immer fern zu bleiben, nun noch in seinem 45. Jahre in Verfolgung seines Lebensplanes gestört, daß er mit Gewalt zur Opposition getrieben werde, weil er in seinem 30. Jahre als Deputierter eines anderen Landes eine politische Meinung ausgesprochen hat, die von seiner damaligen Regierung mißbilligt wurde.« So war also das ihm von der bösartigen württembergischen Schreibergesellschaft aufgedrückte Brandmal des heimatlosen, anrüchigen Menschen unauslöschlich! Gegen sein Lebensende hat er aufgezeichnet: »Ich kann beweisen, daß man die Namen der preußischen und der österreichischen Regierung mißbraucht hat, um mich zu vermögen, mein Leipziger Konsulat scheinbar freiwillig aufzugeben und Leipzig und Deutschland zu verlassen, und daß man später in Berlin und Thüringen, als ich auf dem Punkte stand, dort großartige Unternehmungen ins Leben zu rufen, meine Bestrebungen auf ähnliche Weise vereitelt hat. Die psychologische Erklärung dieser beispiellosen Verfolgung liegt auf der Hand. Je mehr man sich bewußt war, mich ohne jeden politischen, rechtlichen und moralischen Grund fünfzehn Jahre lang verfolgt zu haben, desto mehr fürchtete man, daß ich, durch meine Anstrengungen emporgetragen, die Angelegenheit noch einmal zur Sprache bringen würde, ungeachtet ich meinen Verfolgern wiederholt heilig und teuer versichert hatte, daß ich diese früheren Vorkommnisse ungefähr in demselben Lichte sähe, wie der reife Mann die Zänkereien seiner Knabenzeit, und daß ich nur darauf bedacht sei, meine Familie für die während der langen Verfolgung erduldeten Leiden und Verluste zu entschädigen.«
Das Interesse für Eisenbahnen war nun in ganz Deutschland erwacht, List aber ließ nicht nach, das Feuer zu schüren und bei jedem einzelnen Unternehmen treibend, ratend, helfend einzugreifen. In Berlin stellte er, ohne beim Minister von Rochow und seinen Kollegen Glauben zu finden, die strategische Wichtigkeit der Bahnen in den Vordergrund. Vergebens sagte er diesen Herren, es werde nicht ewig Frieden bleiben; eine Eisenbahn durch das Herz von Deutschland nach Köln und der Anschluß an das belgische Netz werde in einem Kriege mehr wert sein, als eine siegreiche Schlacht; die Franzosen würden zu unserem Glück vorläufig durch innere Wirren an auswärtigen Unternehmungen gehindert; wie schade, wenn wir diese Zeit nicht ausnützten; und wie würde es das Selbstbewußtsein der deutschen Nation stärken, wenn sie den Franzosen einmal voranginge anstatt ihnen, wie gewöhnlich, nachzutreten; besonders im Fall eines russisch-französischen Bündnisses würde der Nutzen deutscher Eisenbahnen unberechenbar sein. Nur wenige verstanden ihn, namentlich der General Rühle und Humboldt, der ihm den Rat gab, sich beim Kronprinzen durch dessen Adjutanten, den ebenfalls für die Sache gewonnenen von Willisen einführen zu lassen. Aus der schon verabredeten Audienz wurde jedoch nichts, weil der Kronprinz plötzlich verreisen mußte.
Ende 1835 gründete List das »Eisenbahnjournal« oder »Nationalmagazin für Erfindungen, Entdeckungen und Fortschritte in Handel und Gewerbe, in öffentlichen Unternehmungen und Anstalten, sowie für Statistik, Nationalökonomie und Finanzwesen«. Die meisten und besten Beiträge lieferte er selbst. Die Angelegenheiten des Zollvereins kamen in seinem Organe nicht zu kurz, aber den besten Teil seiner Kraft widmete er natürlich den Bahnangelegenheiten. So z. B. tritt er der von englischen Ingenieuren im englischen Interesse verbreiteten Meinung entgegen, der Handel von Hamburg trage nur eine Linie, die nach Hannover, und eine von Preußen am rechten Elbufer gebaute Bahn würde die Rentabilität, jener ersten Linie beeinträchtigen. Er beweist, daß Hamburgs Handel zwei Bahnen vollauf beschäftigen werde, daß Preußen unbedingt Berlin mit Hamburg verbinden müsse, daß aber nicht diese Verbindung die Bahn Hamburg-Hannover beeinträchtigen würde, sondern der Umstand, daß der englische Plan Bremen nicht einbeziehe; die hannöversche Linie könne nämlich von dem ihr zufallenden Teile des Hamburger Handels allein nicht bestehen, sondern müsse den Weserhandel dazu haben. Und als einer der Engländer, Elliot, den Plan eines deutschen Eisenbahnnetzes für unausführbar erklärte, da antwortete ihm List: »Herr Elliot hat einen unglücklichen Zeitpunkt gewählt, dem deutschen Eisenbahnsystem das Todesurteil zu sprechen; kaum ist es gedruckt, so erhebt sich ganz Süddeutschland, um Hand ans Werk zu legen. An der Spitze der Bewegung stehen München, Augsburg, Nürnberg, Stuttgart, Basel und vor allem Frankfurt, das kapitalmächtige, das für sich allein imstande ist, die Hauptstränge zu unternehmen.« Elliot dürfe Deutschland nicht nach Hamburg beurteilen; von den drei Seestädten habe er ganz richtig gesagt, daß sie die letzten seien, für das Land, von dem ihr Handel abhänge, für ihr Vaterland Interesse zu fühlen. Gerade ein Engländer aber werde sich kaum denken können, daß London, Liverpool und Bristol einmal mehr mit dem Ausland als mit England sympathisieren sollten, und auch in Deutschland werde diese Unnatur, er hoffe es zu einer barmherzigen Vorsehung, ihre Endschaft erreichen. »Wir ehren und achten die Engländer; sie sind uns das Ideal einer Nation, besonders in volkswirtschaftlichen Dingen, und wir haben unseren Landsleuten immer gepredigt, sie sollten in die Fußtapfen der Engländer treten. Mit Dank und Anerkennung sprechen wir von jeder ihrer neuen Maschinen, von jeder ihrer öffentlichen Verbesserungen. Bringen sie uns aber Geschenke ins Haus, sei es in Geld oder in guten Ratschlägen, so fürchten wir diese Danaer.«
Wenn beim jüngsten Gericht jedermann wegen jedes unnützen Worts zur Rede gestellt werden wird, so wird die Rechenschaft lang werden; aber nicht viel kürzer dürfte die Rechenschaft ausfallen über die guten Worte, die ungesprochen bleiben mußten oder nur heimlich gesprochen werden konnten, weil Unverstand und böser Wille der Herrschenden sie nicht laut werden ließen; wer vermöchte nur allein die Geistesfunken zu zählen, welche die österreichische Polizei schon erstickt hat! Kaum hatte das Eisenbahnjournal seinen zweiten Jahrgang begonnen, da wurde es in Österreich – kein Mensch hat jemals erfahren, warum? – verboten, und da es einen bedeutenden Teil seiner Abonnenten in Österreich hatte, mußte es List eingehen lassen. Der Schlag war um so härter, da List in seiner oben beschriebenen Lage daran gedacht hatte, auf das Blatt seine Existenz zu gründen. Um jene Zeit, am 24. April 1837, ward die erste Strecke der Leipzig-Dresdener Bahn, deren Bau durch die Nichtbeachtung der Ratschläge Lists sehr verteuert und verzögert worden war, dem Verkehr übergeben, und der schon erwachte Unmut des Publikums schlug in neue Begeisterung um.
Diese Stimmung benutzte List, seine Entschädigungsansprüche noch einmal zur Sprache zu bringen. Auch diesmal verliefen die Verhandlungen sehr unerquicklich. Die Aktionäre bewilligten ihm zuletzt die geforderten 2000 Thaler mit 256 gegen 70 Stimmen; auch sprach die Versammlung den Wunsch aus, es möge »ihr dankendes Anerkenntnis der schätzbaren Bemühungen des Herrn Konsul List für das Unternehmen besonders im Protokoll bemerkt werden«. So hatte List als Belohnung für seine zweijährigen angestrengten Arbeiten und als Ersatz für die Opferung seines Vermögensrestes 4000 Thaler und einen ehrenden Vermerk im Protokoll, während ein einziges irreführendes Ingenieurgutachten über einen einzelnen Punkt 5000 Thaler gekostet hatte. Nun versuchte er noch einmal, eine Stelle im Direktorium zu erlangen; eine solche war gerade auf fünf Jahre zu besetzen; List bewarb sich um sie und hoffte, sie schon darum zu erlangen, weil der geschäftsführende Direktor kein Englisch verstand, daher die Fortschritte des englischen und amerikanischen Eisenbahnwesens nicht verfolgen konnte, die übrigen Direktoren aber durch ihre Privatgeschäfte in Anspruch genommen waren und sich nicht viel um die Bahn kümmern konnten. Er schrieb in seiner Eingabe, er glaube imstande zu sein, den Direktorialgehalt durch seine Dienste hundertfältig zu ersetzen. Indes die Leipziger Nichtyankees blieben sich treu; List erhielt nicht eine einzige Stimme, die vakante Stelle bekam sein Freund Dufour, derselbe, der vor drei Jahren beteuert hatte: Wir sind keine Yankees! Es betrübt uns, in diese Angelegenheit auch Fritz Harkort einigermaßen verflochten zu finden; wenigstens deutet nichts an, daß er als Ehrenmitglied des Komitees und Sachverständiger die Handlungsweise seines Bruders gemißbilligt hätte. Und in dem Umstande, daß Fritz Harkorts Biograph Berger, der sonst so ausführlich ist, die Leipziger Bahnangelegenheit auf zwei Seiten abmacht und die zehn Jahre vor seinem Buche gelegentlich der Errichtung des Leipziger Denkmals für Gustav Harkort geschriebene Broschüre Niedermüllers nicht erwähnt, darf man wohl das Zugeständnis sehen, daß sich an Häussers und Niedermüllers Darstellung der Sache nichts aussetzen läßt. »Der alte Harkort« war ein Mann von edelster Gesinnung und wunderbarer Uneigennützigkeit, der sich zeitlebens fürs Gemeinwohl aufgeopfert hat. Aber trotzdem blieb er doch eben ein Mensch, und es kann ihn nicht angenehm berührt haben, sehen zu müssen, daß es List, der von Haus aus nur ein Schreiber war, vergönnt sein sollte zu erreichen, was er, der gelernte Techniker, der um die deutsche Dampfschiffahrt hochverdiente Mann, vergebens erstrebt hatte. Harkort hatte sogar die dem Handel und Gewerbe bevorstehende Umwälzung durch die Eisenbahn in seinem Organ »Hermann« schon am 30. März 1825 vorausgesagt, freilich aber zu der großartigen, alle Verhältnisse umspannenden Auffassung und alles durchdringenden Klarheit Lists sich nicht emporgearbeitet. Gustav Harkort wird die sehr natürliche Abneigung seines Bruders gegen List geteilt haben und das mag schuld gewesen sein, daß sich seine schon aus der Spekulation auf die Stelle des leitenden Direktors erklärliche Abneigung gegen List gelegentlich in verletzender Weise äußerte.
List hat seine Ansichten über das Eisenbahnwesen in unzähligen Zeitungs- und Zeitschrift-Aufsätzen, im Zusammenhange aber in der Revue Encyclopédique, in seiner Leipziger Denkschrift und am vollständigsten im Staatslexikon dargelegt. Wir versuchen, seinen Gedankenbau im Umriß nachzuzeichnen. »Der wohlfeile, schnelle, sichere und regelmäßige Transport von Personen und Gütern ist einer der mächtigsten Hebel des Nationalwohlstands und der Zivilisation nach allen ihren Verzweigungen. Bei Einführung der deutschen Handelsunion stellte die politische und merkantilische Zerrissenheit des deutschen Vaterlands der Ausbildung des neuen mächtigen Transportmittels, der Dampfschiffahrt, und der Verbesserung der Flußschiffahrt durch Rektifikation der Ströme noch weit größere und unübersteiglichere Hindernisse in den Weg, als die Natur. Die Nachwelt wird es kaum glauben, daß man nach Abwerfung des fremden Jochs beinahe ein Vierteljahrhundert damit zubrachte, über die Aufhebung der Stapelrechte auf dem Rhein, dem besten Flusse Deutschlands, und die freie Ausfuhr aus demselben nach dem Meere zu verhandeln. Daher kommt es denn auch, daß man jetzt erst anfängt, an die Errichtung einer Dampfschiffahrt auf der Elbe und der Donau zu denken, während die Nordamerikaner die unbedeutendsten Flüsse befahren. Ohne die Dampfschiffahrt hätte Frankreich nie an die Gründung einer Kolonie in Algier denken können, und welches auch das Schicksal dieses Unternehmens sein mag, so viel ist gewiß, daß durch die Dampfschiffahrt alle Uferländer jener Meere Riesenschritte in der Zivilisation machen.« In Nordamerika wimmelten alle Binnenseen und Ströme von Dampfern. Eine Hauptursache dieses außerordentlichen Reiseverkehrs sei die freie Konkurrenz, die den Fahrpreis bis auf drei Groschen für die Meile einschließlich der Kost verbilligt habe. (Eine Meile Postfahrt kostete damals in Preußen vier Groschen oder fünf Silbergroschen.) Und doch befinde sich die Dampfschiffahrt noch im Zustande der Kindheit. »Noch viel glänzender stellen sich die Aussichten für die Vervollkommnung der Schiffahrt und jeder andern Art von Transportmitteln, wenn wir bedenken, daß die Natur bewegende Kräfte in ihrem Schoße birgt, die ungleich wohlfeilere und wirksamere Dienste versprechen, als der Wasserdampf, daß die Wissenschaft diesen Kräften bereits auf der Spur ist, daß die Technik in allen Ländern schon thätig ist, um ihre Anwendung ausfindig zu machen, und daß Männer wie Babbage sich nicht scheuen, die Überzeugung auszusprechen, der menschliche Erfindungsgeist werde nicht säumen, sich diese Kräfte dienstbar zu machen, mit denen in Beziehung auf Wohlfeilheit, Ausdehnung, Sicherheit und vielfache Anwendbarkeit die Dampfkraft nicht werde in Vergleich kommen können, und die Zeit sei nicht ferne, wo die letztere nur noch ein geschichtliches Interesse haben werde. Auch auf diesem Wege scheinen die Amerikaner Bahn brechen zu wollen, wenn anders die neuesten Nachrichten von einer die Anwendung der elektromagnetischen Kraft betreffenden Erfindung eines dortigen Mechanikus sich bestätigt. Es wird versichert, jene Kraft sei der größten Ausdehnung wie der größten Reduktion fähig, völlig in der Gewalt des Mechanikers, also gefahrlos, überall, besonders auf die Schiffahrt, anwendbar, und ohne Vergleichung wohlfeiler als die Dampfkraft.«
»Was die Dampfschiffahrt für den See- und Flußverkehr, ist die Eisenbahn-Dampfwagenfahrt für den Landverkehr, ein Herkules in der Wiege, der die Völker erlösen wird von den Plagen des Krieges, der Teuerung und Hungersnot, des Nationalhasses und der Arbeitlosigkeit, der Unwissenheit und des Schlendrians, der ihre Felder befruchten, ihre Werkstätten und Schachte beleben und auch den niedrigsten ihrer Angehörigen Kraft verleihen wird, sich durch den Besuch ferner Länder zu bilden, in entfernten Gegenden Arbeit und an fernen Heilquellen und Seegestaden Wiederherstellung ihrer Gesundheit zu suchen. Es ist eine beschränkte Ansicht, wenn man bloß den Umstand ins Auge faßt, daß der Eisenbahntransport die Produktionskosten und die Warenpreise vermindert und folglich dem Konsumenten wie dem Produzenten materiellen Vorteil bringt. Schon die geringe Erfahrung, die man während der kurzen Zeit ihres Bestehens gemacht hat, beweist: 1. Daß sie hauptsächlich zu schleuniger, wohlfeiler und bequemer Fortschaffung der Menschen Dienste leisten, und hauptsächlich wegen dieses Vorzugs sich die Gunst aller Klassen erworben haben. 2. Daß sie in dieser Beziehung den mittleren und unteren Klassen zehn- bis zwanzigmal mehr Dienste leisten, als den höheren Klassen. 3. Daß sie durch schleunige Beförderung von Briefen, Journalen und Büchern wohlthätiger auf die Gesellschaft wirken, als durch jeden andern Warentransport. Hieraus geht hervor, daß der Eisenbahntransport mehr geistig als materiell, mehr durch die Menschen, als durch die Sachen, mehr auf die produktiven Kräfte, als auf die Verbreitung der Produkte, endlich quantitativ mehr auf die Bildung, das Wohlsein und die Genüsse der produzierenden Klassen als der (bloß) konsumierenden zu wirken bestimmt ist. Um diese Wirkung in ihrem ganzen Umfange antizipieren zu können, stelle man sich vor, alle Länder und alle ansehnlichen Städte Europas seien durch Bahnen verbunden, und die Fahrtaxe sei ein Groschen per deutsche Meile für den niedrigsten Platz. Welche Umwälzung würde das hervorbringen! Der Arzt, der Advokat, der Gelehrte, der Künstler wird seinen Wirkungskreis auf weit entfernte Städte und Länder ausdehnen können; ein großer Schauspieler wird heute in Berlin, morgen in Hamburg, übermorgen in Hannover auftreten. Ein Fabrikant, der erfährt, daß in London oder Paris eine Erfindung gemacht worden, wird gleich dahin eilen können. Leichter als heute wird es sein, seine Kundschaft und seine Kenntnisse zu erweitern, sich mit entfernt wohnenden Menschen zu gemeinsamen Unternehmungen zu vereinigen. Der Associationsgeist, der in der neuesten Zeit bei uns so kräftig ins Leben getreten ist, wird, nachdem den Kapitalisten und Geschäftsmännern der von einander entferntesten Städte Versammlungen so sehr erleichtert sein werden, einen Aufschwung nehmen, von dem man jetzt keine Vorstellung hat.
Ohne Vergleichung wichtiger als in diesen Fällen erscheint aber der Eisenbahntransport, wenn man seine Wirkungen auf die Bildung in Betracht zieht. Studenten, Handlungsdiener, Techniker können alle Orte aufsuchen, wo etwas zu lernen ist. Die Techniker und Landwirte Deutschlands werden, wie jetzt schon die Naturforscher, jährliche Versammlungen halten, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich Nationalvereine und Versammlungen für spezielle Zwecke der Litteratur, der Künste und der Industrie bilden, z. B. Versammlungen der deutschen Rechtsgelehrten, der Historiker, Nationalökonomen und Staatsgelehrten, der Theologen, Sprachforscher und Erzieher, der Ästhetiker und Schauspieler, der bildenden Künstler, der Tonkünstler, der Mechaniker, der Chemiker, der Bergleute und Eisenwerkbesitzer, der gelehrten und der praktischen Ökonomen, der Forstmänner, der Schafzüchter u. a. Einer gemeinsamen Hauptstadt ermangelnd, worin alle eminenten Talente und Intelligenzen der Nation einen gemeinschaftlichen Vereinigungspunkt finden könnten, fühlt keine Nation das Bedürfnis derartiger Versammlungen und Vereine so sehr, wie die deutsche. Solche werden sich daher auch hier viel großartiger ausbilden, als in England und Frankreich, und sowohl aus diesem Grunde, als wegen der geographischen Lage Deutschlands, nach und nach europäische Wichtigkeit erlangen. Eine neue Erfindung ist um so wichtiger und segensreicher, je mehr sie auf das Wohlsein und die Bildung der arbeitenden Klassen, also der Mehrzahl wirkt. Nach diesem Maßstabe betrachtet, sind die Eisenbahnen die größte Erfindung der alten und neuen Zeit; sie sind Volkswohlfahrt- und Bildungsmaschinen. Nichts ist den Fortschritten der Menschheit minder günstig, als ein pflanzenmäßiges Kleben an der Scholle. Jahrhunderte und Jahrtausende lang, wie man an den afrikanischen und asiatischen Völkern wahrnehmen kann, beharrt der Schollenkleber bei denselben Handgriffen, Verfahrungsweisen und Werkzeugen, bei denselben Vorurteilen und beschränkten Ansichten. Die Produktion bleibt gering; dem Arbeiter fallen also nur schmale Bissen zu, und diese kümmerliche Nahrung wirkt nachteilig auf seine Arbeitsfähigkeit.
Was die Verpflanzung der Arbeiter besonders in der Jugend wirkt, ist schon von jenen erkannt worden, die den Handwerksgesellen das Wandern zur Pflicht machten. In der Landwirtschaft wirkt die Ortsveränderung so kräftig, daß ein junger Feldarbeiter, der aus Deutschland in die nordamerikanischen Freistaaten einwandert, nach Verlauf einiger Zeit noch einmal so viel zustande bringt, als früher in seiner Heimat. Durch den Eisenbahntransport kommt rasche Bewegung und neues Leben in die stillstehende, träge Masse. Auch der Arme kann reisen, sieht Neues und lernt. Erscheinungen wie das Hollandgehen in Westfalen, das Erntelaufen der Weingärtner am Fuße der Schwäbischen Alb nach der Donau werden nun allgemein. Seit man auf dem Dampfboote für einen Schilling von Irland nach England fährt, kommen die Irländer zu hunderttausenden nach diesem Lande, um zur Heu- und Erntezeit oder in den Gruben und Fabriken oder beim Bauen Handlangerdienste zu verrichten. Der Tagelöhner, der kleine Bauer, der Handwerker in den Dörfern und Landstädtchen, dem es oft wochenlang an Arbeit fehlt, wird seine Zeit nicht mehr in Müßiggang verbringen, sondern sich nach entfernten Orten begeben, wo gerade Arbeiter gesucht werden; und die Lage vieler Arbeiter und Handwerker wird dadurch bedeutend verbessert werden, daß sie sich mit ihren Familien auf dem Lande ansiedeln und entweder daselbst für die Stadt arbeiten, oder die Woche über in die Stadt auf Arbeit gehen und den Sonntag im Kreise ihrer Familien zubringen. Ein momentaner Stillstand einzelner Fabriken oder ganzer Fabrikationszweige oder eine Reduktion der Zahl ihrer Arbeiter wird bei weitem nicht so verderblich wirken, wie bisher, da der Arbeitlose nun viel leichter in entfernten Gegenden einen neuen Brotherrn aufsuchen kann.
Wäre die Nationalökonomie, die uns lehrt, wie die Reichtümer erworben, verteilt und konsumiert werden, eine Wissenschaft, die uns auch darüber unterrichtete, wie die produktiven Kräfte erzeugt, aus dem Todesschlafe erweckt und großgezogen werden, so würde sie uns schon längst den Wert einer mit dem Ackerbau und den Bedürfnissen einer großen Nation im richtigen Verhältnis stehenden Fabrikationskraft für den allgemeinen Wohlstand des Volkes kennen gelehrt haben. Alsdann würden wir auch längst schon von den Systembauern der Ökonomie über die Mittel, eine kräftige und gesunde Fabrikindustrie emporzubringen, und daß die Aufziehung eines tüchtigen Standes von Arbeitern eines der kräftigsten dieser Mittel sei, belehrt worden sein. Polytechnische Schulen, Preise, Vergünstigungen und Auszeichnungen wirken nur auf den Fabrikunternehmer und den Werkführer. Nirgends und nie wird aber ein Fabrikzweig zur Blüte gelangen, wo diese beiden eines geschickten, einsichtsvollen, fleißigen und durch und durch eingeübten Standes von Arbeitern ermangeln. Weise Regierungen und einsichtsvolle Fabrikanten werden also vor allem trachten, die Klasse der Arbeiter zu veredeln, wie der Gärtner die Bäume veredelt. Sie werden einheimische Arbeiter nach fremden Ländern schicken, wo die verschiedenen Fabrikzweige im höchsten Flore stehen, oder fremde Arbeiter in ihre Dienste ziehen. Diese Maßregel, durch welche die Nordamerikaner, denen freilich die geschicktesten Arbeiter von selbst zuströmen, im Laufe der verflossenen 15 Jahre eine unermeßliche Fabrikindustrie großgezogen haben, wird mit Hilfe der Eisenbahnen und Dampfboote nach einem großen Maßstabe ausgeführt werden können.«
Nach Erläuterung der Wirkungen einer schnellen Brief- und Zeitschriftenbeförderung faßt er das Gesagte in den Sätzen zusammen: »Durch die neuen Transportmittel wird der Mensch ein unendlich glücklicheres, vermögenderes, vollkommneres Wesen. Man verliert sich ins Unendliche, wenn man über die Wirkungen und Wohlthaten dieser Göttergeschenke nachdenkt; sie erstrecken sich auf alle menschlichen Zustände von den tausend kleinen der Individuen und Familien bis auf die großartigen ganzer Völker und Länder, bis auf die Interessen der gesamten Menschheit. Wieviel Kummer wird nicht erspart, wieviel an Freuden nicht gewonnen, wenn Verwandte und Freunde, die entfernt von einander wohnen, sich mit Blitzesschnelle Nachricht geben können! Wieviel Schmerzen werden gestillt werden durch Luftveränderung, wieviel Elternsorgen beseitigt durch leichtere Unterbringung der Kinder! Wie muß die Kultur gewinnen, wenn die Völker ihre Gedanken austauschen, wenn dadurch Nationalvorurteile, Nationalhaß, Nationalselbstsucht überwunden werden! Wie wird es noch möglich sein, daß die kultivierten Nationen einander mit Krieg überziehen, wenn die große Mehrzahl der Gebildeten miteinander befreundet sind, und wenn es klar am Tage liegt, daß im glücklichen Falle der Krieg den Individuen der siegenden Nation hundertmal mehr Schaden als Nutzen verursacht!«
So lange aber noch Kriege geführt werden, seien die Eisenbahnen ein Verteidigungsmittel von der höchsten Bedeutung. So weit die Staaten, sagt List voraus, die Bahnen nicht auf eigene Rechnung gebaut haben, werden sie im Kriegsfalle die Privatbahnen in ihren Dienst nehmen, den sie sich durch Verträge mit den Eisenbahngesellschaften sichern werden; auch werden sie für den Kriegsfall einen in Wagen und Lokomotiven bestehenden Ergänzungsapparat bereit halten. Die Militärtransporte werden schon darum sehr wohlfeil zu stehen kommen, weil man für jeden Zug volle Ladung hat. »Weise Regierungen werden sich schon bei Anlage der Eisenbahnnetze vorteilhafte Bedingungen ausmachen. Ein Armeekorps von 100 000 Mann wird ohne grobes Geschütz um den Preis von 200 000 Thalern 100 Meilen weit befördert werden können. Durch die Bedürfnisse des Personenverkehrs und der Industrie werden sich die Eisenbahnsysteme aller großen Kontinentalnationen netzartig gestalten, so daß sie von den Hauptstädten nach den Hauptgrenzpunkten ausstrahlen. Die Regierung wird also in der kürzesten Frist aus den entferntesten Gegenden des Reiches Streitkräfte in der Hauptstadt sammeln und von da nach den bedrohten Punkten werfen können. Ebenso leicht wird es sein, Artillerie, Munition und Proviant zu konzentrieren und den verschiedenen Armeekorps nachzusenden. Die Heerzüge werden weder das Innere des Landes durch Einquartierung und Vorspann erschöpfen noch die Straßen ruinieren, bevor sie an die Grenze gelangen. Die Truppen selbst werden nicht durch lange Märsche erschöpft ins Treffen gehen. Verwundete und Kranke schafft man nun mit der größten Schnelligkeit und Schonung in die Lazarete im Innern. Es wird leicht sein, die größten Armeen am bedrohten Punkte zusammenzubringen, ebenso leicht aber auch, sie wieder aufzulösen.
Im schönsten Lichte stellen sich jedoch diese Wirkungen erst dar, wenn wir bedenken, daß die angeführten Vorteile fast ausschließlich der Verteidigung zustatten kommen, indem es ohne Vergleich leichter sein wird, defensiv, und ohne Vergleich schwerer als bisher, offensiv zu operieren. Die netzartig konzentrische Form des Eisenbahnsystems mit all ihren Vorteilen für die Herbeischaffung und Sammlung von Streitkräften kommt nur der angegriffenen Nation zu statten, der Feind dagegen kann nur auf einer oder auf wenigen Linien vorrücken. Je weiter er sich aber vorwärts bewegt, desto gefährlicher wird seine Stellung, indem jeder Schritt, um den er dem Zentrum näher rückt, die Gefahr vermehrt, von den auf den übrigen Linien herbeiströmenden Streitkräften eingeschlossen zu werden. Um alles mit einem Worte zu sagen: ein vollständiges Eisenbahnsystem wird das ganze Territorium einer Nation in eine große Festung verwandeln, die von der ganzen streitbaren Mannschaft der angegriffenen Nation mit der größten Leichtigkeit, mit dem geringsten Kostenaufwand und dem geringsten Nachteil fürs Land verteidigt werden kann. Die erste und größte Wirkung der Eisenbahnsysteme in dieser Beziehung ist demnach die, daß die Invasionskriege aufhören; es kann nur noch von Grenzkriegen die Rede sein. Da aber die Erfahrung bald lehren wird, daß Grenzkriege, deren Siege nicht bis ins Innere verfolgt werden können, sich als zweck- und erfolglose Raufereien im Großen darstellen, so dürften die europäischen Kontinentalnationen sofort zu der Überzeugung gelangen, wie es für alle am klügsten wäre, wenn sie in Frieden und Freundschaft nebeneinander wohnten und bei entstehenden Differenzen nur den Forderungen des Rechts und der Vernunft Gehör gäben.
So wird das Eisenbahnsystem aus einer Kriegs- Milderungs-, Abkürzungs- und Verminderungsmaschine am Ende gar zu einer Maschine, die den Krieg beseitigt und alsdann der Industrie der Kontinentalnationen dieselben Vorteile gewährt, die England seit vielen Jahrhunderten aus seiner insularen Lage erwachsen sind, und denen es zum großen Teil den jetzigen hohen Stand seiner Industrie verdankt: der zweiten Generation würde nicht wieder zerstört, was von der ersten gebaut worden ist, so daß die dritte wieder von vorn anzufangen hätte; jede würde das Werk der Zivilisation da fortsetzen, wo die vorige aufgehört hat, und es der folgenden zur Weiterbildung überliefern. Anders freilich würden sich die Verhältnisse stellen, wenn sich nur eine einzige Nation auf dem europäischen Kontinent dieser mächtigen Verteidigungsmaschine versicherte. Zehnmal stärker als zuvor in der Verteidigung, wäre sie zehnmal furchtbarer im Angriff. Aus diesem Grunde liegt es ebenso wenig in unserer Wahl, ob wir uns dieses vom Fortschritt dargebotenen neuen Verteidigungsmittels bedienen wollen oder nicht, als es in der freien Wahl unserer Vorväter lag, ob sie Pfeil und Bogen mit dem Feuergewehr vertauschen wollten oder nicht. So also will es das Schicksal der stehenden Heere: sie sollen erst wetteifern mit einander im Bau der Maschine, durch die sie allesamt dermaleinst den Todesstoß empfangen, sollen mit dem Handel, dem Ackerbau, den Gewerben gemeinschaftlich Hand ans Werk legen, um die Berge abzutragen und die Thäler auszufüllen, die die Völker trennen, sollen mit Hilfe dieser großen Schöpfung zum höchsten Grad ihrer Ausbildung kommen, dann aber mitten in ihrer schönsten Glorie das Haupt senken und sich zu ihren Vorgängern, den gepanzerten Ritterscharen, ins Grab legen. Beerbt sollen sie werden von dem Bürger-Militär. Ihm sollen sie ihre wissenschaftlich gebildeten Offiziere hinterlassen, die aber alsdann den Charakter des Bürgers mit dem des Militärs vereinigen werden. Den Seidenwürmern und den Spinn- und Webmaschinen sollen ihre Kasernen als Legate anheimfallen. Bis aber dieses Schicksal in Erfüllung geht, mögen wohl Jahrhunderte verfließen. Es ist zu verwundern, wie wenig das Eisenbahnwesen bis jetzt die Aufmerksamkeit und das Nachdenken der gebildeten Militärs in Anspruch genommen hat.«
Weiter entwickelt er dann die Wichtigkeit des Ausgleichs der Produkte, der bei der bisherigen Mangelhaftigkeit der Transportmittel unmöglich gewesen war. Das Holz der Gebirge verfaulte ungenutzt, die Bewohner der Ebene aber waren genötigt, Holz auf Getreideland zu pflanzen. Auch die Ausbeutung der Kohlenlager werde nur durch die Eisenbahn möglich; solange der Transport in die Ferne zu kostspielig sei, blieben diese und andere unterirdischen Bodenschätze ungehoben. Von Kalkdüngung, heißt es weiter, ist auf Äckern, die kein Kalklager in der Nähe haben, ohne Kanäle und Eisenbahnen keine Rede. So ermöglicht der erleichterte Transport die provinzielle und die internationale Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung und erweitert den Markt. In welchem Grade die Dampfschiffahrt die Industrie Nordamerikas entwickelt und gesteigert habe, wird statistisch nachgewiesen. »In Nordamerika können wir beobachten, wie nicht nur verschiedene Provinzen, sondern 26 verschiedene Staaten die Teilung der Arbeit, die Kombination der produktiven Kräfte und die Herstellung des Gleichgewichts zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Produktion und Bevölkerung vermittelst eines vollkommenen Transportsystems im Großen bewerkstelligen, und wie unermeßlich die Produktion und Konsumtion dadurch gefördert wird.« Er berechnet die Verkehrssteigerung der Zukunft und findet, daß im Jahre 1900 der Gütertransport im Innern der Vereinigten Staaten den Wert von 8400 Millionen Dollars erreichen werde, wobei natürlich der Verbrauch eigener Naturerzeugnisse durch die Landwirte und eigener Gewerbeerzeugnisse durch die Städte außer Ansatz bleibe. Gesetzt nun, das amerikanische Kanal- und Eisenbahnsystem der Zukunft messe zwanzigmal so viel Meilen als das jetzige englische, so würde es 3000 Millionen Dollars kosten, also wenig mehr als ein Drittel des Wertes der jährlich beförderten Güter. Nur die Verkehrsmittel machen jene Teilung der Arbeit und jene Vereinigung der produktiven Kräfte möglich, worauf die höchste Kultur und der Reichtum beruhen. Der Eisenbahn fällt die Beförderung der Güter zu 1. bei denen es auf Schnelligkeit und Regelmäßigkeit des Transports ankommt, z. B. der Milch und frischen Butter für die großen Städte, und für die eine augenblickliche Konjunktur auszunutzen ist; 2. aller Güter von hohem Wert und geringem Volumen; 3. der gesamte Güterverkehr zwischen Orten, die nicht durch ein wohlfeileres Transportmittel verbunden sind; 4. der ganze Winterverkehr. Kanäle schließen Parallelbahnen nicht aus, beider Funktionen ergänzen einander. Durch die Beförderung des inneren Güteraustausches, der Produktion und Konsum entsprechend verstärkt, wird die Eisenbahn den Völkern zehnmal größere Dienste leisten, als es die Steigerung der Produktion durch den Auslandshandel vermöchte.
Dem Staate nützt die Eisenbahn nicht bloß durch die oben dargelegte Erleichterung des Verteidigungskrieges, sondern schon im Frieden, indem sie die Versetzung der Beamten und Garnisonen, sowie alle Transporte, Sendungen, Dienstreisen und damit die ganze Verwaltung verbilligt, die Visitationen, Revuen, gemeinsamen Beratungen hoher Beamter, die Sitzungen der gesetzgebenden Körper erleichtert, häufiger und dadurch wirksamer macht. Überhaupt aber gewinnt durch den regeren Verkehr der ganze Staatsorganismus an geistiger und materieller Kraft; der Abstand zwischen einem hochzivilisierten Europäer und einem Wilden kann kaum größer sein, als der zwischen einer Staatsregierung, der ein sehr ausgebildetes Transportsystem zu Gebote steht, und einer anderen, die auf einen kümmerlichen Chaussee- oder Flußschiffahrtstransport beschränkt ist. Die Holzpreise werden steigen und die Forstwirtschaft heben. Der Post nimmt die Eisenbahn die Brief- und Paketbeförderung ab. Endlich ist nach List der Bahnbau das beste Mittel, die Staatsschulden zu tilgen, indem er die Nationen bereichert. Eine Nation, die ihre Produktion von 1000 auf 2000 Millionen steigert, reduziert dadurch ihre Staatsschuld auf die Hälfte, ja auf den vierten Teil, da die Steigerung des Reichtums den Zinsfuß von 5 und 6 auf 3 und 4 Prozent herabdrückt. Zum Bau von Eisenbahnen Anleihen aufzunehmen, dürfen die Staatsmänner, deren Mehrzahl jede Art von Staatsschuld für das größte Übel hält, kein Bedenken tragen. In Europa habe schon Belgien ein großartiges Beispiel gegeben, »dessen König, ein deutscher Fürst, das erste National-Eisenbahnsystem auf Staatsrechnung beschlossen und mit glorreichem Erfolg durchgeführt hat. Die Staatstheoretiker werden alsdann in ihren Büchern und die Praktiker in ihren Budgets die Kriegsschuld von der produktiven Schuld getrennt aufführen; je mehr sich die Kriegsschuld vermindern, die produktive Schuld zunehmen wird, desto mehr wird der Staatskredit steigen.« In Deutschland sei diese Änderung der Anschauung der Staatsmänner um so nötiger, da es, von der Natur mit Seeküsten und schiffbaren Flüssen stiefmütterlich bedacht, mehr als andere Länder der künstlichen Verkehrsstraßen bedürfe; aber zugleich werde gerade bei ihm die Herstellung solcher die glänzendsten Erfolge erzielen, da es durch seine Lage berufen sei, im europäischen Festlandsverkehr das Zentrum zu bilden. Die deutschen Bahnen, weissagt List, werden den Weltverkehr an sich ziehen; die Zahl der Fremden, die Deutschlands Messen, Schulen, Kunstsammlungen, Bäder besuchen, wird gewaltig steigen, Deutschland wird sich nicht bloß in Handel und Industrie, sondern auch in Wissenschaft und Kunst zur Vormacht Europas erheben.
»Daß ein solches Transportsystem in Deutschland hergestellt werden müsse, darüber ist die öffentliche Meinung, wie uns bedünkt, nicht mehr in Zweifel. Die deutsche Nation hat die Früchte der deutschen Handelsunion gekostet und sie süß, kräftigend nährend gefunden. Sie hat in ihren polytechnischen Schulen neue Bäume gepflanzt, und die herrliche Blüte verspricht ihr reichen Ertrag. Man sehe nur, wie sich die deutsche Jugend überall in die Gewerbeschulen und in die Fabriken drängt, wie sie nach fremden Ländern strömt, um sich zu unterrichten.« Es frage sich nun, auf welchem Wege man am besten zum Ziele komme. An der Geschichte der englischen und amerikanischen Kanal- und Bahnbauten zeigt List, daß grundsätzlich der Staat berufen sei, den Bau zu übernehmen, schon aus dem Grunde, weil nur dadurch schwindelhaften Aktienspekulationen vorgebeugt werden könne. Den Aktionären liege nicht die Bahn, sondern die Dividende und der Gewinn aus Kursschwankungen am Herzen. Von der Fähigkeit der Aktionäre, die zweckmäßigsten Trakte aufzusuchen, lieferten neuere Eisenbahnprojekte nicht eben günstige Beweise, was List in einer ausführlichen Kritik dieser Projekte begründet. Nicht besser als um die Anlage stehe es um den Betrieb, da die Gesellschaften unfähige Menschen zu Direktoren machten. Regierungen würden sich, ihrer Verantwortung dem Publikum und den Ständen gegenüber bewußt, besser vorsehen. In Amerika und England würden die Gesellschaften vom Publikum beaufsichtigt, in Deutschland aber sei die öffentliche Meinung noch so wenig gekräftigt und organisiert, daß das Publikum den Gesellschaften nur so weit Vertrauen schenken könne, als für ihr Gebühren die Staatsaufsicht bürge.
Allen Übelständen, meint List, wird am gründlichsten vorgebeugt, wenn der Staat selbst baut. »Das Volk kommt aufs schnellste in den vollen Besitz aller Wohlthaten des neuen Transportmittels; der Staat gewinnt alle Vorteile der einträglichen Linien und kann sie, wenn sie zum vollen Ertrage gelangt sind, entweder 1. zur Herabsetzung der Fahr- und Transportpreise benutzen, oder 2. das Eisenbahnnetz weiter ausbauen und Linien herstellen, die an sich keine Reineinnahme versprechen, die aber den Wohlstand der Umgegend fördern, oder 3. die Überschüsse als Finanzeinkommen verwenden. Dieses wäre jedoch die am wenigsten weise Verwendungsart. Transportanstalten des Staates, welchen Namen sie haben mögen, sollen nie als Finanzquellen benutzt werden, da die wohlfeile Beförderung der Personen, Briefschaften und Güter durch die Hebung von Produktion und Konsum seine Einkünfte auf direkte Weise viel bedeutender erhöht, als es geschehen kann, wenn die Transportanstalten als Finanzquelle benutzt werden. Daher ist es auch nicht zu billigen, wenn die Staaten den Eisenbahngesellschaften die Verpflichtung auferlegen, an die Post Entschädigungssummen zu zahlen, oder unentgeltliche Dienste zu verrichten. Am allerwenigsten aber läßt es sich rechtfertigen, wenn ein Monopolist, wie der Fürst von Thurn und Taxis, dergleichen Entschädigungssummen als sein Recht anspricht.« Indes sei nicht zu leugnen, daß kleine und mittelgroße Staaten besser geeignet seien, den Bahnbau selbst zu übernehmen, als große Reiche. Die Aufmerksamkeit kleinstaatlicher Regierungen werde weniger durch die hohe Politik in Anspruch genommen, ihre obersten Beamten kennten die Örtlichkeiten, Personen und Verhältnisse des Ländchens besser, und Mißgriffen könne leichter gesteuert werden, »besonders wo Publizität das Volk zum Kontrolleur macht«. In größeren Staaten empfehle sich eine Kombination beider Systeme, in der Weise, daß der Staat 1. ein Zinsminimum garantiert, 2. einen Anteil an dem das Minimum überschreitenden Reinertrag erhält, 3. zur Reduktion der Transportpreise verpflichtet, sobald der Reinertrag 10 Prozent überschreitet, 4. durch Gesetze vorschreibt, daß die Subskription öffentlich sei und daß 5. wenigstens ein Fünftel des Nominalbetrags der Aktien sofort eingezahlt werde, 6. auf Saumseligkeit, Verschleuderung, Ungesetzlichkeiten, Betrug der Angestellten hohe Geldstrafen setzt, 7. im Kriege die Verwaltung aller Eisenbahnen selbst in die Hand nimmt, 8. das Recht hat, nach dreißig Jahren die Aktien in fünf- bis zehnjährigen Raten durch Verlosung einzuziehen. Bei solchem Vorgehen würden der Industrie die nötigen Kapitalien nicht entzogen und der Spekulation wären Grenzen gesetzt. Die Verwaltung, heißt es weiter, muß möglichst öffentlich geführt werden. Die Gesellschaften müssen hohe Löhne zahlen, dafür aber mehr Arbeit fordern, als gewöhnlich in Deutschland geleistet wird, den Branntweingenuß und das Tabakrauchen bei der Arbeit verbieten, aber für gesunde Schlafstätten in Baracken und für gute, nahrhafte Kost sorgen. Die Lieferungen und Arbeiten sollen lieber an solide und tüchtige kleine Unternehmer vergeben werden, als daß man große Unternehmer bereichert.
Wie die zum Bahnbau erforderlichen, ungeheuer scheinenden Geldsummen aufgebracht werden sollen, davon, sagt List, haben zur Zeit in Deutschland die wenigsten eine Vorstellung; daher ist es begreiflich, daß den Leuten die Finanzoperationen, die ihnen vorgeschlagen werden, wie Lawscher Schwindel vorkommen. Man wird mich vielleicht fragen, hatte er schon in dem Briefwechsel mit Baader geschrieben, woher Bayern das Geld nehmen solle für solche Riesenzwecke? »Ich antworte, daß ich noch an keinem der Kanäle und Schienenwege, die ich bis jetzt gesehen habe, Silber oder Gold wahrgenommen habe. Man konsumiert dabei nur Lebensmittel, Eisen, Steine, Holz, Kräfte der Menschen und Tiere. Hat aber Bayern dies nicht alles im Überfluß? Indem man diesen Überfluß in Kanäle und Eisenbahnen verwandelt, die man noch nicht besitzt, schafft man bleibende und dauernde Werte, erschafft man Instrumente, die alle produktiven Kräfte der Nation verdoppeln. Das Geld aber geht nicht fort, es gleicht nur die Werte aus. Seine vorigen Besitzer erhalten Aktien, für die sie zu jeder Zeit eine größere Summe Geld erhalten können, als sie dafür gegeben haben.« Die Masse der Bevölkerung wird durch die allgemeine Reichtumssteigerung in den Stand gesetzt, sich an dem Unternehmen zu beteiligen; der Handwerker, der Landmann und der Arbeiter können Aktien kaufen von dem Mehrverdienst, den ihnen der Bau von Kanälen und Eisenbahnen verschafft. Wie Notenbanken die Operation vermitteln, wird ausführlich gezeigt. »Hier hat der Bankkredit das Wunder gewirkt, Holz, Steine und Eisen zu einer produktiven Maschine zusammenzufügen, und das Getreide der Bauern in eine Dividende bringende Aktie zu verwandeln.« Das Papier wird überhaupt alle Finanzgeschäfte erleichtern. »Uns sollte Wunder nehmen, wenn die Finanzleute im Süden nicht längst schon auf den Gedanken gekommen wären, es sei leichter, Seidenpapier auf dem Postwagen hin und her zu fahren, als Metall.« Zugleich mit den Transportmitteln werden die Zirkulationsmittel ihren Wirkungsbereich erweitern, und wären die Eisenbahnen so weit vorgerückt, daß sie die deutschen Staaten unter einander verbänden, so würde die Idee einer Reichsbank für die Ausführung reif sein, »wodurch erst Schwungkraft und Gleichförmigkeit der Bewegung in den deutschen Binnenverkehr käme«.
Es giebt wenig Stellen von solcher Wichtigkeit in Lists Schriften als diese paar schlichten Sätze. Wir haben hier einen Grundgedanken der Volkswirtslehre, den später Rodbertus weiter ausgebaut hat: daß das Kapital nicht aus Geld, sondern aus Sachgütern besteht, daß es nicht durch Sparen, sondern durch Arbeit erzeugt und vermehrt wird, daß sich die Funktion des Kapitalisten darauf beschränkt, die vorhandenen Sachgüter und die Arbeiter zur Erzeugung neuer Sachgüter zu vereinigen, daß er auch hierzu nicht des Geldes, sondern der Organisation des Kredits bedarf, und daß eine Reichsbank das Zentrum der Kreditorganisation, das Herz des wirtschaftlichen Blutumlaufs sein soll, Wahrheiten, die bis auf den heutigen Tag noch nicht einmal von allen Maßgebenden, geschweige denn vom ganzen Publikum begriffen werden.
In Beförderung der inneren Kommunikation, meint List, könne der Staat nie zu viel thun. »Ein Land ohne Kommunikation ist ein Haus ohne Treppen, ohne Thüren und Gänge.« Ein andermal antwortete er auf die Frage: woher das Geld nehmen?: »Aus dem Ertrage der deutschen Ernten.« Die Forderung, die er erhebe, daß jährlich 20 Millionen Thaler auf Bahnbauten verwendet würden, laufe darauf hinaus, daß in Deutschland für 20 Millionen Nahrungsmittel mehr als bisher verzehrt würden; es sei ohne Zweifel eine nützlichere Verwendung des Überschusses an landwirtschaftlichen Produkten, wenn damit ein den Nationalwohlstand dauernd erhöhendes Instrument fabriziert werde, als wenn man sie ins Ausland verkaufe. Und die von den Bahnen zu erwartende Steigerung der Industrie werde der Landwirtschaft zum größten Segen gereichen. »Wenn 200 000 landwirtschaftliche Arbeiter in die Industrie übergingen, also aus Getreidebauern Getreidekäufer würden, so stiege der Getreidepreis. Nichts schadet der Landwirtschaft mehr als starke Preisschwankungen, die aber unvermeidlich sind, wenn man auf Absatz nach dem Ausland angewiesen ist, weil die fremden Nationen nur periodisch, nach Mißernten, der Getreideeinfuhr bedürfen. (England erzeugte damals in guten Jahren sein Brotkorn noch selbst.) Durch den Abzug jener landwirtschaftlichen Arbeiter würde die Getreideproduktion nicht vermindert, sondern vermehrt, denn der Arbeiterabfluß und der steigende Gewinn treiben zur Verbesserung des Anbaues und wecken schlummernde Kräfte.« So gewinnen die Länder am meisten durch Eisenbahnen, die Überfluß an landwirtschaftlichen und Forstprodukten haben. Doch darf der Bau nicht überstürzt werden, damit nicht dem Gewerbe und der Landwirtschaft plötzlich eine übergroße Menge von Arbeit und Kapital entzogen wird; die Transportmittel und die Produktivkräfte müssen einander wechselseitig fördern, und ihre Vermehrung muß Zug um Zug von statten gehen.
Über den Entwicklungsgang des deutschen Bahnwesens urteilt er: »Die Bahn von Budweis nach Linz hätte nur dann einen Sinn gehabt, wenn man sie einerseits nach Niederösterreich, andererseits nach Sachsen fortgeführt hätte. Das Leipziger Unternehmen hatte die beabsichtigte Wirkung, nämlich daß in dem vom Verfasser 1833 veröffentlichten Entwurf eines deutschen Eisenbahnsystems keine einzige Linie zu finden ist, für deren Ausführung nicht schon spätestens 1836 ein Komitee zusammengetreten wäre. Mittlerweile war am 7. Dezember 1835 die Bahn von Nürnberg nach Fürth eröffnet worden. Das unerwartet glückliche Gelingen dieses Unternehmens und das Steigen seiner Aktien um 300 bis 400 Prozent hatte eine sehr gute, aber auch eine sehr schlimme Folge. Eine gute, sofern dadurch der Kredit dieser Art Unternehmungen bei den deutschen Kapitalisten plötzlich gehoben und die Aufmerksamkeit der Regierungen darauf gelenkt wurde, eine schlimme insofern, als man zu wenig berücksichtigte, daß die glänzenden Ergebnisse der sehr kleinen Nürnberg-Fürther Bahn einem Zusammentreffen, das sich an keinem zweiten Orte Deutschlands ereignen kann, zu danken seien, und als man sich daher allzu sanguinischen Hoffnungen hingab, die von pfiffigen Spekulanten zum Nachteil der Ununterrichteten ausgebeutet wurden. Die vom Staat der Leipzig-Dresdener Eisenbahn-Gesellschaft bewilligten Privilegien sind der Art, daß sie dem Staate in Zukunft im höchsten Grade nachteilig und beschwerlich werden müssen: wir meinen das Recht der Kompagnie, die Fahrpreise bis auf die Höhe der Chausseefrachten zu treiben, und das ausschließliche und immerwährende Privilegium einer direkten Eisenbahnverbindung zwischen Leipzig und Dresden.«
Insbesondere dringt er darauf, daß die preußische und die bayerische Regierung gemeinsam die Herstellung eines systematisch anzulegenden Netzes in die Hand nehmen; kein Staat könne dadurch soviel gewinnen wie Preußen. Durch ein von der Hauptstadt ausstrahlendes Eisenbahnsystem werde Berlin das Zentrum des größten Teils von Deutschland werden und Paris den Rang streitig machen. Der Berliner Handelsstand wisse das auch und sei schon im Frühjahr 1835 mit ihm in Verbindung getreten, um die Regierung zu veranlassen, Berlin mit Hamburg, Magdeburg, Leipzig und Dresden zu verbinden. List billigt die »allgemeinen Bestimmungen für die Erteilung von Konzessionen«, die die preußische Regierung im Jahre 1836 erlassen hatte. Er geht die einzelnen deutschen Staaten durch, untersucht, was eine jede beim Bahnbau zu berücksichtigen habe, und sagt u. a., die Sonderinteressen von Holstein und Mecklenburg müßten dem allgemeinen Interesse weichen. Berlin dürfe nicht um ihretwillen auf die Verbindung mit den Seestädten verzichten. Aufgabe Österreichs sei es, durch Bahnbauten die Balkanhalbinsel und die Türkei der Kultur zu erschließen. Die mittlere Generation werde es hoffentlich noch erleben, daß man mit dem Dampfwagen nicht allein bis Konstantinopel, sondern bis an die Grenzen von Abessynien gelange. Er schließt: »Wird man im Großherzogtum Baden statt: Zeit gewonnen, alles gewonnen, nicht ausrufen: Zeit verloren, alles verloren? Wird man in den Hansestädten und in Hannover nicht einsehen, daß bei längerer Verzögerung aller Zwischenhandel mit dem westlichen und südlichen Deutschland sich nach den französischen und belgischen Seehäfen ziehen muß? Wird man die Zeit ruhig abwarten, bis aller Handel und aller Reiseverkehr zwischen dem Mittelmeer und dem Norden seinen Weg über Frankreich und Belgien nimmt? Wird man die deutsche Steinkohle an der Saar nach Frankreich gehen lassen, während das südliche Deutschland an Kohlen Mangel leidet? Wird man ruhig zusehen, wie Frankreich seine Verteidigungskräfte und, was noch mehr bedeutet, seine Angriffskräfte durch drei verschiedene Routen verdoppelt und verdreifacht? Nein, man wird Frankreich nachahmen! Ja, Verfasser hofft noch zu erleben, daß der hohe Bundestag eine Spezialkommission ernennen und ihr die Aufgabe stellen wird, den Bau eines deutschen Eisenbahnsystems mit allen dem Bunde zu Gebote stehenden Mitteln zu betreiben.«
Man bedenke, daß das alles in einer Zeit geschrieben ist, wo das Publikum noch eine kindische Furcht hatte vor dem Besteigen eines Bahnwagens, wo alle soliden Leute die Bahnunternehmungen für einen gefährlichen und verderblichen Schwindel hielten und der preußische Generalpostmeister Nagler eben erst erklärt hatte, in Preußen dürften keine Eisenbahnen gebaut werden. Was es heißt, durch die Eisenbahn ein Land, eine Gegend erschließen, das weiß heute jeder für eine Kleinbahn agitierende Rübenbauer; aber daß es heute jeder Bauer weiß, das ist eben Lists Verdienst; damals hatten selbst die Staatsmänner keinen Begriff davon.