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Die Ahnen des Menschen sind in den Bäumen zu suchen; von einem kletternden Insektenfresser, der nach Früchten in die Höhe ging und dessen Füße zu Händen umgebildet wurden, stammen sowohl Affe wie Mensch ab. »Das Kletterleben in den Bäumen muß wohl mehr Gelegenheit geben, den Verstand zu gebrauchen und das Hirn für das erdgebundene Leben zu üben; jedenfalls pflegen alle kletternden Tiere ein größeres Gehirn zu haben als ihre nächsten, nicht kletternden Verwandten«, sagt Winge.
Ja, jeder, der auf einen Baum geklettert ist, weiß, daß es eine Dimension mehr, eine andere Orientierung im Raum ist; man muß nachdenken, der Weg in einen Baum hinauf bietet immer neue Aufgaben, und die Bäume sind nie gleich.
Auch die Vögel haben den Raum für ihre Bewegung auf und abwärts gelegt, aber das Fliegen erfordert offenbar keine größeren Geistesgaben, die Luft ist ein einförmiges Element, der Vogel hat sich sozusagen über die Schwierigkeiten auf Erden, die die Begabung anderer Tiere schärfen, erhoben. Wie das Element, so die Fähigkeiten. Im Wasser sich zu bewegen und zu jagen, schenkt eine eigene haarscharfe Steuerfähigkeit, bekannt vom Seelöwen, und bei ihm fast mit Intelligenz zu verwechseln. Bekanntlich kann man ihn dazu bringen, Teller auf der Nase zu balancieren, Bälle aufzufangen, und mit einem spitzen Gegenstand im Maule eine von weitem zugeworfene Apfelsine aufzuspießen, wie er auch Fische, mit denen er gefüttert wird, in der Luft ergreift; natürlich ist es gerade die Verfolgung von Fischen im Wasser und die Übung in blitzschnellen Wendungen, die dem Seelöwen diese besonderen Nerven, eine Zielsicherheit mit dem ganzen Körper, verleiht.
Das Klettern auf den Bäumen erfordert jedoch nicht Virtuosität allein, sondern stets ernstes Nachdenken, Wachsamkeit und Urteil; einer äußeren Verzweigung entspricht eine Verzweigung im Denken, die Schwierigkeiten ergeben geschärfte Sinne, empfindsamere Glieder, das Turnen fördert.
Die Wirkung des Baums auf den Organismus ist so entscheidend, daß sie dessen innere Geschichte prägt; es liegt auf der Hand, daß der Mensch noch als Kulturwesen eine Geschlechtserinnerung an kletternde Vorfahren hat, namentlich in der Kindheit, in einer gewissen Wachstumsperiode, die, wie man sich denken muß, der Entwicklungsstufe entspricht, als unsere ältesten Ahnen auf Bäumen lebten. Hier ist natürlich nur die Rede von Erinnerungen im Körper, Eingebungen, aber sie können nicht trügen.
Gelegenheit, Affen und Halbaffen zu beobachten, hat man nur in den Tropenwäldern, aber einen Baumbewohner wie das Eichhörnchen kennen alle Menschen, das lebt gerade als Kletterkünstler auf einer Stufe, die die ersten Halbaffen durchgemacht haben. Das Eichhörnchen einzubeziehen in die Linie, durch die die Abstammungsgeschichte des Menschen führt, ist so unzoologisch, daß der bloße Gedanke etwas Erschütterndes hat, da es ein Nager ist, es geschieht denn auch nur mit der Autorität Winges. Wie er nämlich sagt, haben alle kletternden Tiere mehr Gehirn als ihre nächsten, nicht kletternden Verwandten. Hier ist es die Geschicklichkeit, die Stufe, die in Betracht kommt, nicht die Klasse des Tieres. Und die Geschicklichkeit allein spiegelt beim Eichhörnchen viel beginnendes Lemurenhaftes und Menschliches.
Das Eichhörnchen hat einige von den Zügen der Ratte, deren Kopf und Zähne, jedoch mit einer Zugabe von Seele, im übrigen ist es stark davon umgeprägt worden, daß es stets in Bäumen lebte; durch Zeit und Fleiß und die Gunst des Waldes ist es eben zum Eichhörnchen geworden, keineswegs mehr mit schuppigem Schwanz, wie die reptilfeuchte Ratte, sondern mit dem schönsten Schwebeschwanz ausgestattet, geputzt und gescheitelt von oberst bis unterst; wie ein gefiederter Pfeil steuert das Eichhörnchen mit dem Schwanz von Baum zu Baum, und mit dem Schwanz drückt es sich aus, macht seinem Wesen Luft, es ist der lebendigste, ausdrucksvollste Schwanz, den es gibt, die Fahne der guten Laune im Walde.
Ursprünglich war es ein Erdgänger wie andere Nager, Verwandte auf dem Wege zum Eichhörnchen gibt es, wie den »Präriehund«; schon auf dieser Stufe hatte das Eichhörnchen gelernt, aufrecht, auf dem Hinterteil, mit freien Vorderpfoten zu sitzen, wie alle Mäuse gern möchten, und das Futter mit den Vorderpfoten zu fassen, eine sehr bedeutungsvolle Gewohnheit. Andere Tiere sitzen auch aufrecht, Kängeruh, Hund, viele Nager, aber das Eichhörnchen gebraucht die Hände so klug, es ist, als läge der Mensch jetzt in der Luft; und ohne Anwendung von aus dem menschlichen Vorstellungskreis geholten Ausdrücken – was mit Humor aufzufassen gebeten wird – ist es fast unmöglich, das Eichhörnchen zu schildern. Es ist ja ein »Männchen«, wenn es aufrecht dasitzt, eine frohe, schmucke Person; von einem Kobold, einem Elf oder Troll würde man in früheren Zeiten gesprochen haben, und einige der Züge dieser freien Phantasiegestalten sind denn auch sicher einem Wesen wie dem Eichhörnchen entliehen. Die Morphologie der übernatürlichen Geschöpfe wird ja eben durch ein Vermischen menschlicher und tierischer Züge charakterisiert, wozu die Unmöglichkeit kommt, daß zum Beispiel der Drache, der, was eigentlich recht denkbar, vom Krokodil abgeleitet ist, Feuer speiht, denn das kann er nicht. Ratatosk nannten die Alten das Eichhörnchen, Nagezahn, und seine Aufgabe in den nordischen Mythen war, als lebendiger Runenstab an der Esche Ygdrasil, dem Symbol des Waldes und alles Lebenden, auf und nieder zu fahren.
Auf den Bäumen lernte das Eichhörnchen Beweglichkeit, dort erhielt es freie Glieder und wurde, wie der es wird, der eine Fähigkeit zur Entfaltung bringt, es ist der feurigste aller Nager, ein Künstler. Über sein Dasein hat es sich selbst zum Meister gemacht, es hat sein Schicksal gefunden und beruht mitten darin. Es kann, was es braucht, von der Kunst der Vögel, auf der Erde ist es auch nicht hilflos; es ist klug, versteht, sich Vorräte anzulegen wie der Hamster, was jedoch kaum Überlegung genannt werden soll, man ist ein Verwahrer, steckt überall Futter beiseite, in Spalten und Löchern, und zuweilen findet man es wieder, zuweilen nicht; das Ergebnis ist indessen, daß man für die Jahreszeiten vorsorgt, auch, wenn nichts im Walde zu haben ist. Verschwiegen werden soll nicht, daß das Eichhörnchen weder Vogeljunge noch Eier verschont; ganz ist die Spitzmaus in ihm noch nicht tot. Aber soweit es es gebracht hat, ist es ein glücklicher Mann und will mit den Bäumen im Walde leben und sterben.
Bei allen Anläufen und menschlichen Anfängergebärden ist und bleibt das Eichhörnchen aber doch ein Nager, das den Schwerpunkt der Entwicklung unwiderruflich abseits gelegt hat. Es benutzt die Vorderpfoten wie Hände, aber es sind noch keine Hände, die Funktion des Daumens, die von so entscheidender Wichtigkeit ist, fehlt. Aber als Kletterer ist es auf dem richtigen Wege. In körperlicher Gewandtheit und Befreitheit teilt es die Gestalt, fast zum Verwechseln – abgesehen von den Zähnen und der damit erfolgenden Umbildung des Kopfes – mit zwei andern, untereinander sehr verschiedenen Formen, bei denen der Name als Verbindung erscheint, der Eichhornspitzmaus und dem Eichhornaffen. Auf mehreren Wegen ist also diese Stufe erreicht, die sich dazu eignete, weiter zum Menschen zu führen. Entscheidend ist, daß diese Entwicklung an die Bäume geknüpft war.
Aber die Geschicklichkeit des Eichhörnchens in den Bäumen führt, wenn sie weitergetrieben wird, zum Flughörnchen. Die langen, schwebenden Sprünge entwickeln schließlich eine Flug- oder Flatterhaut, einen Anfang in einer ähnlichen Richtung wie die, welche zu der hochentwickelten Flugfähigkeit bei Fledermäusen geführt hat. Ein Beuteltier, das Beuteleichhörnchen, sowie eine früher erwähnte Flugspitzmaus, Galeopithecus, die zu den Halbaffen gerechnet worden ist, stehen auf derselben Stufe wie das Flughörnchen; Formen und Stufen stoßen an der Wurzel dicht aneinander. Aber die Stufe stempelt sie alle als Sonderlinge außerhalb der aufsteigenden Linie und dient dazu, die reiche Mannigfaltigkeit und die Hilfsquelle, aber auch die Abwege innerhalb des Niveaus des Säugetiergeschlechts zu beleuchten, wo die Stammform des Menschen sich zu zeigen beginnt.
Nicht Springen und Fliegen in den Bäumen, sondern Klettern in entwickeltem Sinne, intimer Gebrauch der Glieder, die Verfeinerung der Greifhand, das sind hier Ursachen zur Beförderung. Die Zwischenformen auf dieser Stufe sind ausgestorben und nicht alle gefunden. Keines der eichhörnchenartigen Tiere ist, in anatomischer Beziehung, direkter Stammvater des Menschen, nicht einmal der Eichhornaffe, obwohl sie in gemeinsamen Urformen ein Stück auf dem Wege mitgegangen sind. Die heute lebenden Eichhornaffen stellen sich abseits, bilden eine Seitenlinie mit einer eigenen, speziellen Verwandlung. Die Eichhornspitzmaus, ein Tier, das im Tropenwalde lebt und wie das Eichhörnchen, auch mit einem federbuschigen Schwanz, in den Bäumen springt, placiert sich näher am Stamme, bei den ursprünglichen gemeinsamen Insektenfresservätern, aber weiter abwärts, in der Stammform, die die Eichhornspitzmaus mit dem früheren Eichhornaffen gemein hat, vielleicht sogar noch tiefer unten. Die Stammform selbst, von der der Mensch ausgegangen ist, hat jedoch existiert, wenn sie sich auch nur mit Wahrscheinlichkeit, auf gedachtem, wenn man will, dichterischem Wege bestimmen läßt. Es gibt naheliegende Formen genug, um Folgerungen zu ziehen.
Nach dem Eichhörnchen als bekanntem Tier macht man sich eine Vorstellung von Größe, Aussehen und Fertigkeiten, dem strotzenden Leben, der Akrobatik in den Bäumen, von ihm schließt man auf den frühen eichhornartigen Halbaffen, noch mit einem Insektenfressergesicht, aber mit Greifgliedern und zu Nägeln umgebildeten Klauen. Die nächste Stufe ist affenartiger und etwas größer, Katzengröße oder so, behält aber die Lebhaftigkeit des Eichhorns bei, wozu neue bedeutungsvolle Züge, vorwärtsgerichtete Augen und ein wachsendes Hirn, Zeichen seelischen Fortschritts, kommen; aus dieser Form entstehen sowohl Affe wie Mensch. Aber der Affe beginnt schon an den Händen zu entarten, der werdende Mensch hingegen an den Füßen; der Affe verschwindet hiermit von der Bildfläche.
Vom Uraffen führen unbekannte Formen zu einer Stammform empor, die sich einerseits in den Gibbons, Hylobates, mit den allzusehr verlängerten Armen, und dann in einer harmonischeren Form mit guterhaltenen Händen äußert, von der der frühe Mensch abstammt. In der Phantasie steht dieser Vetter des Gibbons wie ein Geist im Walde da, der glücklichste Geist im Walde, Luftgeist und Liebling der Schöpfung, wie Ratatosk, aber mit einer viel wichtigeren, in die Zukunft weisenden Mission: der Geist der Entwicklung: Ariel!
In der Phantasie eines Dichters haben diese Gestalt und ihr Gegensatz, Kaliban, sich lange, ehe es etwas gab, das Entwicklungslehre hieß, gebildet, in Shakespeares Genie; man kann sich keine glücklichere Personifizierung einerseits des hellen Naturwesens, in dem der Wuchs des Lebens sich äußert, anderseits der Rückfallsform, der verfluchten Natur, des Hassers denken, dessen Instinkte sich wie ein Sturz äußern; Abel und Kain hießen die zwei Charaktere in biblischer Gestaltung. Der Gegensatz Abel-Kain ist rein mythisch und moralisch, Ariel und Kaliban enthalten bereits eine moderne, naturhistorische Sonderung, weshalb die Gestalten von Shakespeares Hand sich auch unvergänglich gehalten haben und uns heute noch beschäftigen.
The Tempest, Shakespeares letztes Stück, ist eine Robinsonade, ehe der Robinson Crusoe geschrieben war, ein Sehnsuchtsmotiv, der Natur und dem Vonvornbeginnen zugekehrt: »die öde Insel«; das Stück gehört zu der Erweiterung innerhalb der Literatur, die die großen Entdeckungsreisen, das Kolumbusabenteuer, mit sich brachten, es klärt sich darin auf wie nach einem Unwetter, und die Welt liegt wieder neu da. Die Kirchenwölbung des Mittelalters ist gesprengt, und der große Gang in die Natur hinaus hat begonnen, der mit seiner Erforschung und Eroberung der Erde unsere Zeit vorbereitet. Mit einem schöneren Traum als dem in The Tempest niedergelegten hätte Shakespeare sein Lebenswerk nicht abschließen können; der in seinem Theater enthaltene Gefängnishof des Mittelalters ist hier verlassen, und er ist an Bord eines Schiffes gegangen; ein Traum in die weite Welt und in die Zukunft hinaus ist das letzte Wort des lebensklugen Dichters.
Man könnte kein besseres Mittel als den Gegensatz zwischen Ariel und Kaliban finden, um die Lichtseiten der menschlichen Natur, alles, was sie von aufsteigenden, fruchtbaren Ahnen hat, und andrerseits die finsteren Instinkte festzuhalten, die sie noch in sich trägt, die aber in einer zurückgebliebenen, leicht zu erkennenden und leicht zu verlassenden Art eine Seitenart bilden: die Nachtseite wird durch den Affen verkörpert. Was nur wie eine glückliche Ahnung in Shakespeares Dichtung liegt, läßt sich zur vollen Beleuchtung der Naturelemente anwenden, die von gleichem Ursprung sind, sich aber in zwei Richtungen gespalten haben: der Affe nach der einen Seite, der Mensch nach der andern.
Ariel ist von Shakespeare aus der Antike übernommen und enthält die Vorstellung eines freundlichen, heiteren und allmächtigen Lichtgeistes, des guten Helfers des Menschen, wie er von Shakespeare geschildert ist: Kaliban hingegen stammt aus Shakespeares eigener, gewöhnlicher, sorgloser, aus dem Nichts aufgestapelter Fabrik, ist etwas, das er gehört hat und das falsch ist. Kaliban soll Kannibale, Menschenfresser sein, was auch falsch ist, eine irrige Auffassung von den Karaiben, dem Namen der wilden Stämme in Westindien, auf die Kolumbus und seine Nachfolger stießen. Aus diesem luftigen Nichts schuf Shakespeare seinen Kaliban, die ungefähre Vorstellung jener Zeit von menschenfressenden Wilden. Aber der Charakter ist ganz und richtig, Kaliban ist wirklich das »Muster« der niedrigeren menschlichen Natur. Und er ist mehr, oder wenn man will, weniger als die menschliche Natur, er vertieft sich im Tiere, ist die mißglückte Natur, wenn auch noch mit menschlichen Zügen, er ist der Affe, der Pavian!
Ehe jedoch die zwei Gestalten benutzt werden, um zu trennen, was vorwärts und was rückwärts in den Stadien der Entwicklung zeigte, ist es notwendig, in Kürze den Stammbaum des Menschen darzulegen, wie er nach anatomischen Kennzeichen von Winge aufgestellt ist.
Von einer ausgestorbenen, fossilen Insektenfresserart mit Beuteltiercharakter und Resten noch vom Reptil, auch mit Zügen, die in der Anlage zu nagerartigen und huftierartigen Tieren führen, mit Pflanzenfresserneigung, also von einer sehr weiten, umfassenden Urform zweigt sich eine baumkletternde, eichhornartige Form ab, die zu den heute lebenden Koboldmakis und den übrigen Halbaffen, Lemuren und Loris hinaufführt. Nimmt man die aufsteigende Mittellinie, die zum Menschen führt, als Thema, so verschwinden die Halbaffen früh daraus. Eigentlich haben sie nur die Greifglieder mit den Affen gemein, aber in einer ursprünglicheren Form, die ganz bis auf gewisse Beuteltiere zurückgeht, welche schon mit dem den anderen Fingern gegenübergestellten Daumen greifen; in bezug auf die Hand, ihren entscheidenden Gebrauch, steht der Mensch also den Halbaffen näher als den Affen, die alle einen rückentwickelten Daumen besitzen und in einem wichtigen Punkte die Spur verloren haben; der Stammbaum des Menschen geht insofern weiter zurück als der der Affen.
Aber trotz ihren ursprünglichen Greifgliedern blieben die Halbaffen in einem frühen Entwicklungsstadium, zu unterst auf der Säugetierleiter. Die meisten von ihnen sind Nachttiere mit einem unheimlichen Ruf, Lemuren bedeuten die Seelen der Toten, ein Aberglaube, der sich wegen ihres nächtlichen Geheuls und ihres unsichtbaren Umherschweifens an sie geknüpft hat. Sie gehören alle den Tropen, im wesentlichen Madagaskar an und sind gespensterhafte Tiere, wie schon die Namen besagen, mit aus den niederen Tierformen gemischten Zügen. Doppelnamen zeugen auch hier von der Verlegenheit der Beobachter in bezug auf das, was man vor sich hat; da ist ein Katzenmaki, mit einem Gesicht wie ein Waschbär, im übrigen aber zibetkatzenartig, ein Mäusemaki, ein Wieselmaki, ein Bärenmaki. Das Fingertier Ai-Ai, hat nagerartige Zähne, der Koboldmaki läßt an einen Frosch denken, aber eine Amphibie ist er nicht; hingegen kommt er wohl den Kobolden nah, wenn man dem Namen trauen soll. Die Loris oder Faulaffen führen in manchen Zügen zu den Faultieren hinüber – derselbe Ausdruck einer verwandten Lebensweise. Alles schwankt also, wenn man sich bei den Halbaffen befindet, man ist im Versuchswalde, und es ist dunkel und voll von Gespenstern. Aber von dem Urhalbaffen, der die Halbaffen abgesetzt hat, von der fossilen Form, Adapis (von Cuvier zu frühen Schweinen gerechnet), geht ein Zweig empor zu den frühesten amerikanischen Affenformen, primitiven Brüllaffen, die sich wiederum in vier Richtungen spalten, eine zu den jetzt lebenden Brüllaffen, eine zu den Eichhornaffen und eine zu den Kapuzineraffen, alle drei außerhalb der Mittellinie; die vierte führt zu einer ausgestorbenen, höheren Affenform empor, die von den primitiven Formen, welche man nur aus Amerika kennt, zu dem allgemeinen, auch über die alte Welt verbreiteten Affenniveau führt; von hier gehen zwei Geschlechtsschößlinge aus, einer zu Meerkatzen und Pavianen, die nichts mehr mit der Sache zu tun haben, und einer zu einer Sammelform, den menschenähnlichen Affen, die wiederum drei Schößlinge aussenden; hier ist der Schwanz, der allen Vorhergehenden gemeinsam war, endgültig verschwunden. Die drei Zweige gehen durch gibbonartige Formen nach der einen Seite zu den echten Gibbons, nach der anderen zu den Menschenaffen, Gorilla, Schimpansen und Orang-Utan, die alle nichts mehr mit der Sache zu tun haben, endlich in der Mitte aufsteigend zum Menschen.
Mit den hochstehenden Affen ist die Verwandtschaft also in gewisser Weise ferner als mit den frühen, primitiven, der Mensch stammt nicht von den Affen ab, sondern hat in weiter Ferne gemeinsame Stammväter mit ihnen. Hierauf ist oft genug hingewiesen worden, ohne daß man jedoch die Angst sensibler Wesen, daß sie vom Affen abstammen sollten, hätte beschwichtigen können. Noch einmal: Sie sollen sich trösten, sie stammen nicht vom Tollhaus im Zoologischen Garten ab. Im folgenden soll die Kluft, die den Menschen vom Affen trennt, noch mehr vertieft werden, aber vermieden kann auch nicht werden, daß der Ursprung des Menschen am Affen vorbei noch weiter hinabführt, zu Formen, die dem Tier noch näherstehen. Die echte Hand geht ganz bis auf die Beuteltiere zurück, voll ausgebildete fünf Finger haben wir von den Kriechtieren. Ja, die Greifhand ist schon in der Welt der Echsen bekannt, beim Chamäleon zum Beispiel; das hat allerdings zwei Daumen, aber greifen und klettern kann es. Ganz lassen sich dem Menschen nicht Instinkte aberkennen, die man auch vom Affen kennt, da Erbeigenschaften von einem gemeinsamen Ursprung in beiden Teilen aufgegangen sind. Aber der Mensch ist ursprünglicher als der Affe, jünger, mit einer tieferen Wurzel in der Natur, freut man sich nun?
Aus der Abstammungsgeschichte der Säugetiere läßt sich eine allgemeine Moral ziehen, die nämlich, daß die höchsten entwicklungskräftigen Formen in gerade aufsteigender Verbindung mit den allerursprünglichsten, aber nur in indirekter mit den spezialisierten Seitenlinien stehen; eigentlich ist das die einzige wirksame Moral, die es gibt. Es ist die Nemesis selbst. Nur die Formen, die sich in der Wurzel offen halten, mit der Basis nach der Mitte zu, die Stammlinie gerade abwärts und gerade aufwärts, nur sie bewahren sich die Fähigkeit der Entwicklung. Zu hohe Spezialisierung hingegen führt zu Monstrositäten, Absonderlichkeiten, Verfeinerungen vielleicht, aber damit endet die Art. Artisten hat die Natur genug, sie sind es nicht, die das Leben tragen, das tun die einfachen Formen. Wenn man daher von hohen Formen spricht, womit das Resultat der Entwicklung, die wertvoll sein soll, gemeint ist, so verdienen nur die Formen den Namen, die sich bei aller Verwandlung und allem Fortschritt auch alle ursprünglichen Möglichkeiten bewahren. Welche Strafe zog sich doch das Pferd in evolutionärer Beziehung zu, als es seine Hand zu einem Huf umformte! Ein tiefsinniger Zug daher, den Bösen mit einem Pferdefuß auszustatten, er trägt das Stigma des Verwachsenseins. Die Unerbittlichkeit der Natur äußert sich in diesem Gesetz, die Natur entwickelt, irrt sie sich aber, so bleibt der Versuch stehen, und ein neuer Anlauf wird in einer anderen, jüngeren Linie genommen. Was den Affen betrifft, so ging der Daumen durch Nichtgebrauch zurück, er wird ihn nie wiederbekommen. Es gibt auch keine andere Sünde als die, die Entwicklungsmöglichkeit zu verlieren. Offenheit in der Wurzel, ein unangetastetes Erbe, die Allschöpfung noch in der Seele – das ist das einzige, was man besitzen kann. Mit Künstlichkeiten und Putz kommt der Mensch auf den Hund.
Was ist schließlich die Erklärung der Poesie, der Inspiration anderes, als sich eine panische Unschuld, Einfachheit, die Fähigkeit bewahrt zu haben, tief, in tiefe Schichten hinabzugreifen, aus dem Brunnen der Schöpfung zu schöpfen!
Stets wieder kommt der Beginn,
doch immer unendlich größer,
verkündet Björnson in seinem großen Gedankenwerk
»Das Licht«.
Will man sich nun den Aufstieg dieses frühen Waldwesens, Ariels, zum Menschen klarmachen, so muß man zweierlei in Betracht ziehen: das Milieu, in dem die Entwicklung vorgegangen ist, und die Zeit, die sie gedauert hat. Den fossilen Rest findet man in irgendeiner Kiesgrube oder einem Steinbruch, der nicht viele Winke über den Urwald gibt, der in äozäner oder miozäner Zeit hier gestanden haben mag. Hat man Knochen von Halbaffen im Erdgeschoß und von Affen im ersten Stock eines Museums, dann stolpert man ja darüber, so nahe liegt es, daß Entwicklung heißt, eine Treppe hinaufzugehen.
Unendlich war der Urwald, und Millionen von Jahren, unübersehbare Zeit brauchte man, um sich in ihm zu verwandeln. Der Wald war die erste Bedingung, der Tertiärwald, der einst den größten Teil des Erdballs, Europa, Asien, Afrika und Amerika bis nach Grönland hinauf, bedeckt hat; Festländer und Meere waren damals anders verteilt, ein einziger, ungeheurer, zusammenhängender Wald bedeckte die ganze Welt, ein Wald, in dem kein Axthieb geklungen hatte, denn der Mensch war noch nicht gekommen – aber er sollte kommen. Ungeheure Zeiträume hindurch boten diese Wälder auf einem nördlichen Breitengrad dieselben Wachstumsmöglichkeiten wie jetzt die Tropen. Aber Veränderungen im Klima, die Jahreszeiten, begannen sich fühlbar zu machen, schon in der Miozänzeit gab es Frost; günstige Lebensbedingungen waren ein erster Faktor, der auf die Schöpfung wirkte, eine langsame Verschlechterung der zweite. Die Tertiärzeit verebbte in die Eiszeit. Ariel verdankt dem Walde seine Überlegenheit als weit vorgeschrittenes Tier, die Vertreibung daraus schenkt ihm seine Initiative als Mensch; anfangs klettert er, zuletzt aber geht er.
Prospero schwingt den Zauberstab, er gleicht einem kleinen Knochen, der Zauberstab, und das ist er auch, der Kinnbacken eines fossilen Affen, Hokuspokus, jetzt sind wir im Tertiärwald! Noch ein kleiner Schwung mit dem Zauberstab – bumms, da ist Ariel! Ist er nicht größer! Ist das alles! Ja, das Menscheneichhorn ist nur ein kleines Männchen, aber man sollte doch staunen, nicht enttäuscht sein, daß ein so kleines Leben so viele Schicksale enthält! Ariel zeigt sich in einem Sprung in einem Baumwipfel, und fort ist er wieder, springend wie der Blitz, in einem anderen.
Nur wer die kleinen Affenarten in den Bäumen, wo sie zu Hause sind, gesehen und bemerkt hat, was sie können, wie sie imstande sind, sich gleichsam selbst in großen Bogen durch die Luft abzuschießen, wie sie, mit dem Schwanz als Steuer und alle vier Gliedmaßen weit ausgebreitet, lossegeln, stets unfehlbar irgendeinen luftigen Zweig in einem anderen Baumwipfel treffen, augenblicklich mit allen Vieren verankert sind, sich fast im selben Nu, mit einem anderen Baum als Ziel, wieder loslassen und in einer halben Minute im Walde verschwunden sind: ein Fluggalopp über die Baumwipfel hin, – nur der kann sich eine Vorstellung von der Geschicklichkeit des Eichhornmännchens machen. Denn das Eichhörnchen ist zwar tüchtig, hat ja aber nur Klauen, mit denen es sich festhakt. Der Affe aber schlägt die Finger um den Zweig, welch ein Unterschied! Der Baum reicht dem Geschöpf einen Zweig, es gibt die Klaue – und erhält sie als Hand zurück!
Anzusehen ist Ariel wie ein Eichhörnchen gewesen, aber er war kein Eichhörnchen, sondern ein zottiges, geschwindes Männchen, mit einem anderen Kieferbau schon beim Halbaffen: nicht die langen Insektenfresserkiefer mehr, sondern eine abgerundete Schnauze, in der Grimasse und Humor sprießen; es ist voller im Kopf, der sich zu wölben beginnt von all dem Leben, das im Männchen steckt.
Winge zeigte mir einmal den Schädel einer der kleinen frühen Affenformen und machte mich auf das große Volumen der Hirnschale aufmerksam. Relativ, meinte er, stünde man hier einer höheren sensorischen Begabung als später der des Menschen gegenüber; eine so hohe funktionelle Begabung erfordert und verleiht also das Leben in den Bäumen; später, auf dem Boden, wird das Dasein wieder einfacher.
Dem gewölbten Kopf entsprechen vorwärtsgerichtete Augen. Der Blick, beide Augen auf einen Punkt gerichtet, sagt sofort, daß eine größere Aktivität dahinterliegt. Die großen Raubtiere, die Katzen, die vorwärtsgerichtete Augen haben, sind die Verfolger, die Huftiere mit ihren seitwärts gerichteten Augen die Verfolgten; ja, der Hase hat sogar fast rückwärtsgerichtete Augen! Erst mit den vorwärtsgerichteten, eng beieinanderstehenden Augen entsteht die Perspektive, die stereoskopische Fähigkeit. Katzen sehen, darin kann man sich nicht irren, der Hund hingegen wittert, er steht im Rapport zu den Dingen durch die Nase und hat nicht diesen bewußten, eingestellten, fast magnetischen Blick, den man von der Katze kennt. Bei den Affen ist der Blick intensiver, funkelnder, die enggestellten Augen sind unruhig, alles sehend, gejagt und jagend zugleich; aufmerksamere und zerstreutere Tiere als die Affen gibt es nicht!
Die sehenden Tiere sind zweifellos eine Stufe fortgeschrittener als die, welche sich durch den Geruch orientieren; die angerochene Erfahrung versenkt sich im Instinkt, einem Fond von unbewußter Erinnerung: der Gesichtsausdruck schlägt sich als Bild zu Bild, als Summe vom Aussehen der Dinge, Welt des Raums, nieder. Ein Duft ist eine Qualität der Dinge; der Gesichtseindruck ist das Ding selbst, Form, Farbe und Entfernung. Man kennt ja den Unterschied zwischen der Art der Erinnerung, die man durch die Nase hat, und der, die auf dem Anblick beruht; die Abwesenheit von Geruch, z. B. wenn man Schnupfen hat, isoliert, man ist nicht der alte, eine der Brücken zum Dasein ist abgebrochen, man ist unproduktiv, kann nicht assoziieren, denn die Assoziationsfähigkeit beruht in vielem auf einer olfaktorischen Funktion; man fragt, man lebt, fühlt, erlebt neu durch die Nase. Ein harter, meditativer Gedankenprozeß hingegen ist eine innere Revue von Gesichtseindrücken, man sieht, man kombiniert hinter den Brauen, man formt. Ohne Augen, im Dunkeln, ist man dem Abgrund übergeben. Sehend hat der Mensch die Welt erobert. Erfahrung häuft man auf durch das Auge; die Süße des Daseins, ihren Stoff bewahrt man in einem Duft, in der Erinnerung an einen Duft. Gesicht und Geruch zusammen, das ist Form und Stoff auf einmal, das sind die Dinge und ihre innerste Seele, Angesicht zu Angesicht, wie wenn man eine Rose zum Munde führt: die schöne, rote, junge Blume und der herrliche Lebensduft, der ihr entströmt!
Von Vorfahren mit guten Augen stammt der Mensch ab. Der Nase fehlt auch nichts, und das Gehör ist fein, wie es im Walde wird, allerhand Früchte bilden den Geschmack aus, und fühlen tut man mit Nerven in den Fingerspitzen wie kein anderes Geschöpf. Am wichtigsten ist indessen das Zusammenspiel, die Harmonie, nicht das Extrem eines der Sinne, wie beim Hund, der lauter Nase, oder wie bei der Fledermaus, die Telephonohren und ein Mikrometer für jeden Hauch in der Flügelhaut geworden ist, aber nichts sieht; unsere Vorfahren im Walde bildeten sich gleichmäßig aus, sie waren nicht Experten auf einem Gebiet, sondern harmonisch durch alle fünf Sinne ans Dasein geknüpft. Der Wald bildet sie alle aus.
Früh auf und klaräugig war das junge Menscheneichhorn, das der Mensch unter seinen Ahnen hat; in den Wäldern der Tertiärzeit taucht sein Kopf mit Sonnenaufgang auf, in einem Baumwipfel eine Frucht in der Hand, durchbricht er das Laub und schüttelt sich vor dem Tage in einem Taubad, sein Blick funkelt und wendet sich gegen die funkelnde, neugeborene Sonne, er niest, faßt im Nu die neugeborene Welt, Wälder, Wälder, soweit das Auge reicht, eine grüne Matte über die Erde gebreitet, hinab in Flußtäler und Schluchten, und hinauf über Höhen, wie ein Atemholen der Erde. In der Luft über seinem Kopfe ein Kreischen und die Geburt der Farbe: der Pfau, der den Tag beginnt und seinen Regenbogenschwanz im Fluge zur Sonne über die Baumwipfel schleppt! Mit vielem schnellen Augenzwinkern reinigt er sich die Augen und folgt dem Fluge des Pfaus, der Vogelschrei fällt im Ton, so schnell fliegt er, und der Raum zwischen zwei waldbedeckten Höhen entsteht, während der Widerhall hin- und zurückfedert. Von Tal und Fluß steigt ein mächtiger Wassergeruch auf und mischt sich mit dem Morgendunst, der in den harzschwangeren Bäumen hängt. Die Sonne funkelt über der Welt. Und mit einem funkelnden, schöpferischen Blick umfaßt der neugeborene Waldgeist die ganze Welt, er sieht andere Dinge und mehr Dinge als alle anderen Tiere, denn er ist bewegt, lebendig und klar wie ein Tropfen, die klare Welt des Tages spiegelt sich in ihm, und er schimmert eine verdichtete Tagesseele ihr zurück. Er ist das Licht, das Seele geworden! Unter ihm ist die Unterwelt, die Tiefe und Dunkelheit zwischen den Bäumen, dort unten geht das Gewürm, gehen die Raubtiere, er sieht Katzenaugen wie zwei Phosphorlichter drunten, in einer Baumgabel tief unten liegt die Schlange zusammengeringelt; selbst am Tage ist das die Unterwelt. Nachts aber ist es die Nacht, die entsetzliche. Mit der Abstammung des Menschen muß es so zusammenhängen, daß seine Vorfahren Tagtiere gewesen sind. Das Eichhörnchen ist ein Tagtier, und der Uraffe muß ein Tagtier gewesen sein. Auf einer frühen Stufe haben die Vorfahren ihr Bewußtsein durch Aufnahme von Eindrücken des Tages gebildet, von den Dingen, wie man sie sieht und wie sie sind. Wie Nachttiere sehen, weiß man nicht, aber das weiß man, daß es eine andere Welt ist, die Welt der Nacht, sie stecken noch darin und werden nie weiter kommen. Die kreischenden Lemuren sind, wie die Eule, das Dunkel selbst, der Schrecken im Walde. Die Schlange wird nachts lebendig. Von Waldtieren, die im Dunkeln von Feinden bedroht wurden, welche sie nicht sehen konnten, hat der Mensch seine Angst vor der Dunkelheit geerbt, schon bei ihnen bildete das Dunkel in der Seele den Bodensatz, als ein Abgrund im Dasein, als Feind ihres Wesens selbst. Angst vor der Dunkelheit, das ist das Grauen der Vorzeit, das sich in der Seele öffnet, das Lebensgefühl des Urtiers, das wiederkommt und der Schrecken selbst ist.
Indem sie sich von der Nacht entfernten, bewegten sich die frühesten Stammväter des Menschen aus der Unterwelt mit ihren dunklen Wegen in das Sonnenklare hinein. Hier ist die Scheide, die das Geschöpf nach zwei Seiten, der Welt des Dunkels und des Lichts, teilt – Begriffe, die in die Sprache aufgenommen und mit dem Wachsen der Vorstellung erweitert sind. Man meint damit etwas Umfassendes, vage Übernatürliches, Moralisches oder Mystisches, außerhalb der Wirklichkeit, wenn man denn überhaupt etwas anderes damit meint, als eben einen Sprachgebrauch; was man aber auch damit meinen mag, so kann es nichts anderes sein als ein entscheidender Unterschied in der Instinktwelt, und der Unterschied kann keinen anderen Ursprung haben als eine ererbte Richtung in der Seele, dadurch bestimmt, daß einige Geschöpfe ihre Nerven als Nachttiere, andere als Tagtiere ausgebildet haben. Der Mensch hat ein Erbe von beiden Seiten in sich; am stärksten macht sich jedoch das Gepräge geltend, das mit dem Tage zusammengehört.
Den Uraffen kennt man nicht, alle frühen Stammformen des Menschen sind ja ausgestorben, und Verwandte, die in den jetzt lebenden Affenformen bewahrt sind, haben jeder für sich seither eine Sonderentwicklung durchgemacht, sie haben mehr von der Nacht in ihrem Wesen mitgebracht, lassen an den Gegensatz Ariels, an den finstern, neidischen Kaliban denken. Ist der Uraffe auch verlorengegangen, indem er sein Wesen im Menschen fortsetzte, wie das Kind, das im Erwachsenen aufgeht, so existiert doch Kaliban noch leibhaftig.
Im Zoologischen Garten in Kairo, der, wie man sich denken kann, reich an besonderen afrikanischen Formen ist, befindet sich ein großer Käfig mit einer Herde Mantelpaviane, unter so freilebenden Verhältnissen, wie die Gefangenschaft es überhaupt zuläßt. Es ist der alte, vornehme Hamadryas, bekannt aus dem Altertum Ägyptens, wichtig in Kunst und mythologischen Vorstellungen, ein Gott, Thot; als Affe noch völlig der gleiche, der er immer gewesen. In Ägypten selbst soll er nicht gelebt haben, obgleich er die alten Ägypter so stark beschäftigte – aber wer kann das jetzt mit Bestimmtheit sagen? In unserer Zeit muß man ihn jedenfalls weiter südlich, in Abessinien und Arabien, suchen, er ist ein Bergtier; ihn daheim, in den wilden Gegenden, wo er hingehört, zu sehen, ist einer der Wünsche, die man die ganzen Jahre mit sich herumtrug, ohne daß er je erfüllt wurde – aber da ist ja nun der Zoologische Garten in Kairo. Mit Zoologischen Gärten beschäftigt man sich so viel und liebevoll. Die armen, leidenden Gefangenen! Ja, ohne Einsperrung würden die Tiere den stöhnenden Tierfreund ein wenig zerreißen; es ist die Form, in der man die Tiere zu sehen bekommt, ein Richtweg zur Natur, sonst würde man sie nicht zu sehen bekommen; schließlich muß man auch von den Tieren sagen, daß sie die Gefangenschaft als einen Schutz empfinden, in der Natur haben sie ein viel härteres und grausameres Dasein. Eine andere Aufgabe, als sich zu ernähren, haben sie ja doch nicht. In den Käfigen haben sie auch keine Gelegenheit, sich zu zerreißen, gnädige Frau! Übrigens die Reiherfedern auf Ihrem Hut wo haben sie die her? Die haben einer Mitschwester das Leben gekostet, meine Gnädige!
Den Mantelpavianen in Kairo geht es ausgezeichnet. Sie sind versorgt, in einer guten, festen Stellung; hinter ihren Stangen leben sie ungestört und bei bester Gesundheit ihr gewohntes Leben – und welches Leben! My tables! möchte ich jeden Augenblick mit Hamlet ausrufen, nein, jetzt muß ich notieren! Aber es bedarf gar keiner Notizen, es ist unvergeßlich, was man im Affenkäfig sieht, die Eindrücke senken sich in ein Element, in dem man wurzelt, man erinnert sich in doppeltem Sinne. Denn sind die Affen auch eine Seitenlinie, so haben sie doch von einem Ausgangspunkt geerbt, den wir mit ihnen gemein haben – mit Ausnahme natürlich der wählerischen Menschen, denen das nicht gefällt, die stammen von einer Bügelfalte ab. Man könnte Stunden bei den Pavianen in dem schönen ägyptischen Sonnenschein verbringen, Monate, und sich damit trösten, daß man in der Gefangenschaft mehr von ihnen sah, als man je hoffen konnte, in den unzugänglichen Bergen, wo sie zu Hause sind, zu sehen. Die milde Luft war jedenfalls ihre eigene. Sie waren nicht krank und schwermütig wie in zoologischen Gärten unter nördlichen Breitengraden, sie konnten strotzen und ganz sie selber sein, wenn sie auch Gefangene waren. Und sind die Menschen nicht auch froh in ihren Käfigen, ihren Theatern und Restaurants, Häusern und Großstädten? Es ist lange her, daß sie freie Jäger waren. Gesellschaft, viele zusammen zu sein und bei wohlverwahrten Fenstern einer des anderen Parfüm zu genießen, das ist doch das Leben; wenn nur die Herde beisammen ist, so sind die Paviane auch zufrieden. Daß der Käfig durch die Stangen einen vollen Einblick in ihr kleines Privatleben eröffnet, ist ihnen kein Hindernis, Scham kennen sie nicht. So konnte man sich denn vor dem Pavianenkäfig ein einigermaßen vollständiges Bild von der Seele Kalibans machen.
Der ganze Bau und Wuchs der Paviane sagt so deutlich, daß sie eine Form in Rückentwicklung, wieder zum Typ des vierfüßigen Säugetiers sind, zum Unterschied von den menschenähnlichen Affen, die sich dem aufrechten Gang und damit dem Menschen nähern. Der Pavian hat aufgehört, in Bäumen zu leben, und hat das Gepräge, das dieses Leben verleiht, verloren. Er klettert auf Felsen, hat alle Viere wieder regelrecht auf die Erde gepflanzt, um da zu bleiben. Die Hände an allen vier Gliedmaßen bewahrt er noch, aber der Daumen beginnt zu schwinden, wirklich halten kann er nichts mehr. In der Vierfüßigkeit und der langen Raubtierschnauze erinnert der Pavian an den Hund, was auch in seinem Namen, Cynocephalus, zum Ausdruck kommt, er ist eine gesunkene Seele; aber die vorwärtsgerichteten, unheimlich bewußten Augen reden davon, daß die Bestie ursprünglich edlerer Herkunft war.
Einen früheren Typ sieht man denn auch in dem Weibchen, das von weit geringerer Größe und weniger extrem geformt ist als das Männchen; auch hier ist es, als hätte das Männchen einen Vorsprung im Artengepräge vor dem Weibchen, was in diesem Falle, trotz der virilen Pracht und größeren Masse, heißt, daß es tiefer gesunken ist. Das Weibchen hat gar keinen »Mantel«, keine grimmigen Verknöcherungen im Gesicht, es erinnert in seiner ganzen Form mehr an meerkatzenartige oder makakartige Verwandte, mit denen der Mantelpavian wahrscheinlich die Abstammung gemein hat. Aber das Junge ist noch merkwürdiger.
Wie bei vielen Affen macht es den Eindruck, von einem jüngeren Typ zu sein, gleichzeitig aber auf einer bedeutend höheren Entwicklungsstufe zu stehen als die Eltern, Zeichen, daß das Geschlecht sich vereinfacht hat. Das Junge spiegelt frühere Glieder, die alle auf einer relativ höheren Stufe gestanden haben, von der die Art später herabgesunken ist. Dasselbe kennt man von den drei großen Menschenaffenarten; das Junge, sowohl beim Schimpansen wie beim Gorilla und Orang-Utan, hat eine bedeutend entwickeltere Kopfform als die erwachsenen Eltern, auch hier ein Zeichen retrograder Entwicklung innerhalb der Art.
Es waren Junge jeden Alters im Käfig der Mantelpaviane, auch ein Neugeborenes oder nur wenige Tage altes, ein höchst seltsam anzuschauendes Geschöpf, mit einer rundgewölbten Hirnschale, ganz wie bei neugeborenen Kindern, und einer noch kurzen Schnauzenpartie; es war nicht viel größer als eine Ratte, mit spinnenartigen, eingeschrumpften Gliedern, runzlig und witzig im Gesicht wie ein uralter Mann, der bei seinen achtzig Jahren auf dem Buckel noch ein Narr ist; der Gegensatz zwischen diesem erfahrenen Clownausdruck und der geringen Größe hatte etwas Ungewöhnliches, Übernatürliches – man stand dem Gespenst von man wußte nicht was gegenüber! Temperament äußerte das Junge früh, und das ein teuflisches. Es kreischte wie eine Dampfpfeife und tyrannisierte die Mutter ununterbrochen, wollte entweder getragen werden, d. h. daß es sich, alle vier kleinen Hände fest in den Pelz gekniffen, unter dem Bauche der Mutter anhängte – einen Egel hatte die Mutter, der nicht abzuschütteln war – oder es begehrte im Gegenteil, ein wenig im Käfig auszuschwärmen und auf eigene Faust Kletterkünste zu üben; der merkwürdig altkluge kleine Gnom, der kaum trocken nach der Geburt war, kletterte unsicher an den Stangen des Käfigs empor, eigensinnig und witzig, wollte sich offenbar gleich Bahn brechen, sich zeigen als der große Kletterer, ein noch nie gesehenes Streben nach den Zinnen! Die Mutter, die nicht einen einzigen Augenblick das Junge aus den Augen gelassen hatte – sie hatte Mutteraugen, einen stillen, leuchtenden, gezüchtigten Blick – die Mutter holte das Junge herunter, trotzdem es durchdringend kreischte, wie eine Lokomotivführerpfeife, zum Ohrzerreißen; wenn der Wechselbalg nicht selbst sein Leben schont, müssen sich ja andere seiner annehmen! Die Mutter war übrigens nicht die einzige, die für das Junge sorgte, das wirklich, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Enfant terrible war. Selbst die jungen, noch schlanken Männchen, die sich geräuschlos wie Schatten in den entlegenen Winkeln des Käfigs umherschlichen, terrorisiert von den alten, ausgewachsenen, vollmähnigen und entsetzlichen Tyrannen, von denen drei oder vier im Käfig waren, selbst die jungen, losen Bengel liebten es, sich das Junge ein bißchen zu stehlen, wenn die Mutter es nicht verhinderte, dann dazusitzen und es zu beschnüffeln. Sie legten Humor an den Tag, etwas, das Ergebenheit glich, wenn das Ungetüm kratzte und unlenkbar war: Das Junge war offenbar sehr beliebt und wurde von allen verdorben. Ja, sogar wenn es sich auf den Schwanz Jahves, des ältesten und dicksten der Männchen, auf seinen Schwanz stürzte, Spaß damit treiben wollte, die Hand darauf legte, spielte und frech war – ein Todesverbrechen, der Tod für jedes andere Individuum, das es gewagt hätte – selbst dann bewahrte es sich seine Gunst, Jahve erlaubte es, da es dieses Junge war.
Unbezahlbar war dann das Mienenspiel des Alten, er senkte gleichsam nur die trägen Augenlider noch ein wenig mehr übers Auge, eine königliche Müdigkeit, ein fast unmerkbares Kräuseln der Nasenspitze: Ludwig der Vierzehnte, der ja nicht viele Lebenszeichen geben konnte anläßlich eines so lieben Majestätsverbrechens!
Bei anderen Gelegenheiten konnte er es: Wenn es aus irgendeinem Grunde Lärm gab, was hin und wieder im Affenkäfig geschieht, und das gewöhnliche vertrauliche und kluge Grunzen plötzlich zu einem Tollhausspektakel anstieg, dann kam er herab von seinem Jahvesitz auf einem Pfahl ganz oben im Käfig, wie ein Donnerkeil, mit seinem ganzen Gewicht springend, sich von den Wänden abstoßend, daß der ganze Käfig federte, wie ein Donner an dem Kletterbaum rüttelnd, mit gesträubter Mähne, blitzschnellen Bewegungen und schwer im Körper wie Granit, Gebrüll, Schüsse zum Halse heraus, wie ein Löwe, all die entsetzlichen Zähne entblößt und mit Augen wie ein Satan. Er springt auf den Boden, mitten zwischen das uneinige Volk, bleibt stehen, macht sich groß, blitzt mit der Stirnhaut auf und nieder, springt wieder, brüllt, droht – und im Nu hat der Aufruhr sich gelegt. Alle fahren, scheißbange, feige und flehentlich um Gnade bettelnd, auseinander, sie machen eine Menge saugender oder küssender Bewegungen mit den Lippen, schmeicheln sich so sehr ein, liegen auf dem Rücken und verrenken sich vor Unterwürfigkeit fast die Eingeweide. Jahve soll auch ja die Unterwerfung verstehen – und er versteht, fegt mit dem Maul herum und genießt das Gemetzel, jagt die jungen Männchen in die Ecken, die bloßen Wände hinauf, von wo sie wie Steine wieder herabstürzen, grunzt wie ein kleiner Nachdonner, und das Unwetter treibt vorüber, ebenso schnell, wie es aufkam.
Aber plötzlich ist einer da, der nicht weicht, das zweitgrößte von den alten schweren Mähnenmännchen. Das stößt mit allen Vieren auf den Fußboden, daß es donnert, und macht Front gegen den Alten, seine Mähne sträubt sich, und er sperrt die langen, entsetzlichen Zahnreihen auf, brüllt – mit einem Gebrüll pflanzt sich der Alte ihm gegenüber auf. Und jetzt beginnt ein Duell. Es dauert nur wenige Augenblicke. Der Alte hat von Anfang an den Vorsprung an Gewicht, Energie; beide Gegner ducken sich, machen sich groß voreinander, lassen die Mähne sich nach allen Seiten sträuben, blitzen mit der Stirnhaut. Aber der Alte ist überlegen an Stimmitteln, es klingt wie die reinen Kanonenschläge, wenn er brüllt, und er legt einen Schrecken ohnegleichen in seinen Angriff, flitzt auf und nieder, tanzt um sich selbst auf dem Boden, macht aus sich ein von einem Kranz von Zähnen besetztes Rad, zieht sich fast die Gesichtshaut ab, ist bald unsichtbar und bald doppelt sichtbar und immer fürchterlich – und dieser bloßen Machtentfaltung gegenüber erklärt der Gegner sich für besiegt, legt die Mähne nieder und entfernt sich mit einer hinreißenden Geistesgegenwart: das Duell ist entschieden! Es floß kein Blut während des ganzen Auftritts, trotz Weltgerichtsgetöse und Leidenschaft bis zum Äußersten; es war eine Zurschaustellung, eine Kunstleistung Jahves.
Und nachdem er den Käfig kujoniert hatte, kletterte Jahve, mit wenigen, abgemessenen Sprüngen, ruhig, nicht atemlos, wieder in den Himmel hinauf, setzte sich und legte seine Glieder zusammen, blinzelte ein letztes Mal und war dann wieder die Alleinmajestät mit trägen, unverschämten Augenlidern, allein in der Höhe, von einer unbeschreiblichen Wichtigkeit, steif vor Selbstsucht, jedes Haar an ihm Mann, Gott und Fürst! Sein Mund regt sich leise, erstickt ein Gähnen, er mag noch nicht einmal zeigen, wie die Welt ihn langweilt, die Nasenspitze bewegt sich, unmerklich, ein Kräuseln seiner Allmacht, er läßt einen Blick auf seine Untertanen tief unter ihm fallen – alles ruhig im Käfig, schmeckt noch einmal sich selber und gähnt mit rundem Munde, das Gähnen eines Königs. Dann schlummert Jahve.
Aber auf den Augenlidern hat er einen bläulichen fahlen Fleck, selbst mit geschlossenen Augen sieht er, und es ist ein unheimlicher Blick, geeignet, Jahve auch zu isolieren, wenn er schläft.
Versuch' indessen, eine Frucht, ein Brötchen oder sonst etwas Gutes in den Käfig zu werfen, augenblicklich federt Jahve vom Hochsitz herab, springt gegen die Wand, rikochetiert auf den Boden herunter, geübt, schnell, und ist über dem Futter her, ehe ein anderer es erreicht hat – sie machen auch gar nicht den Versuch, sie kennen ihn. Dann zerpflückt er gierig die Nahrung, grunzt und frißt, daß es ihm zu den Mundwinkeln heraustrieft, verschlingt große Stücke und verstreut den Rest um sich her auf dem Boden, warnt mit rohem Grunzen, wenn sich jemand nähert; und die Familie hat ja ein Interesse daran, sie schwänzelt seitwärts heran und bewegt mummelnd die Lippen, sieht ihm teilnehmend auf die Hände und verfolgt den Bissen, wenn er ins Maul geht, ohne Glück, die Mahlzeit ist für ihn allein. Seine Ernährung fördert es, wenn die anderen nichts erhalten. Käme es auf den Familienvater an, so würde der ganze Käfig Hungers sterben! Glücklicherweise aber ist er vergeßlich und kann ja auch nicht die ganze Welt fressen; er läßt das Essen liegen, zerstreut sich mit einem zarten Überfall auf eines der Weibchen, und die Reste fallen dem Rest zu, der Käfig lebt.
Sehr eigentümlich ist die Haltung des alten Affenmännchens gegenüber dem Menschen, dem Zuschauer vor dem Käfig; er kann ihn nicht leiden, fährt gegen die Stangen und blitzt mit den Brauen, gähnt und macht Maske; und wenn man ihn neckt, schlägt er mit der flachen Hand auf den Boden – eine nicht unbekannte Geste, auch wir schlagen auf den Tisch, wenn wir auch meistens die Hand schließen, um sie härter zu machen: ein Trumpf, Entladung von Macht und Zorn. Schon einschüchtern kann der Pavian entsetzlich; und noch schlimmer müßte es sein, wenn er wirklich auf einen losginge, mit allen vier Greifgliedern und dem gedrungenen Körper – alles Muskeln –, mit dem furchtbaren Gebiß wie dem des Krokodils und mit einer Ausrüstung wie der der Raubtiere. Glücklicherweise sind die Stangen dazwischen! Gut, daß mehr zwischen dem Pavian und dem Menschen ist als die Stangen eines Käfigs. Aber der Abstand – laßt uns ihn im folgenden ein wenig messen! Pavian und Mann vertragen sich schlecht, der Alte zieht sich auf seinen Ausguck auf dem Baum hoch oben im Käfig zurück, wenn man sich mit ihm hat einlassen wollen, er sucht den Feind zu ignorieren, da er ihn nicht vom Käfig entfernen kann. Es ist ganz offenbar, daß er die Taktik verfolgt, in sich selbst zu annihilieren, was er draußen nicht aus dem Wege räumen kann. Er schraubt den Hals, tut geistesabwesend, dreht die Zunge im Maul und steckt eine Miene auf, als dächte er an ganz andere Dinge, ist aber in Wirklichkeit geniert; und fixiert man ihn weiter, so schüttelt er den Kopf, als hätte er Spinnweben ins Gesicht bekommen, blitzt mit den Brauen und hebt zitternd die Lippen von den Zähnen; er kann den Blick nicht ertragen und kann ihn nicht überwinden. Dann gähnt er, ein neuer Versuch, der Unannehmlichkeit zu Leibe zu gehen; ein gewolltes Gähnen: der Mensch soll sehen, daß es langweilig ist; Jahve ist im Begriff, darüber einzuschlafen! Hilft auch das nichts, so schüttelt er sich, fegt mit der Schnauze, wie um eine Vorstellung zu vertreiben, der Mensch dort ist ja die bloße Einbildung! Und jetzt scheint es ihm zu glücken, er fällt zur Ruhe, sitzt wie eine Bildsäule da, mit abwärtsgerichteten trägen Augen, scheinbar ohne zu sehen, ohne ein Lebenszeichen, er hat wirklich den Menschen in sich vernichtet!
Ein Buch im Buche könnte über den Mantelpavian allein, könnte über das geschrieben werden, was man in der Gefangenschaft von ihm sieht, ein zweites langes Kapitel ist seine merkwürdige vorgeschobene Stellung in der Mythologie, in den religiösen Vorstellungen der alten Ägypter; der Mantelpavian und die Kunst, das ist ein großes Thema für sich, wenige Tiere sind so häufig abgebildet und so glücklich getroffen wie er in der altägyptischen Kunst; aber hierauf werden wir zurückkommen.
Was noch wie ein Streifen durch die menschliche Natur, ganz aus der Tiefe, geht, ist auch beim Pavian zur Stelle, aber in bitterer Verzerrung. Die Affen haben den Menschen früh beschäftigt, schon primitive Völker nahmen Stellung zu ihnen, als Ausnahmen, weihten ihnen einen Kult, als erkannten sie sich selbst in gewisser, unklarer Weise in ihnen wieder. Die Ägypter hielten also Thot heilig; die Hindus räumen noch heute einer Affenart, dem Hanuman, einen Platz in ihrer Gottesverehrung ein, bei ihnen gehen die abergläubischen Vorstellungen etwa in der Richtung der Seelenwanderung.
Im Europa des Mittelalters kann man den Affen spüren. Dunkle, zu Boden gesunkene Eingebungen beim barbarischen Menschen haben Phantasieformen abgesetzt, welche Züge von den Tieren entleihen; die bildliche Ausstattung des Teufels, Satans, hat vielleicht auf den Kenntnissen gefußt, die man vom Affen hatte. Und wirklich, stellt man sich Angesicht zu Angesicht vor den Mandrill, so ist Satan nicht fern! Die Mythe vom »gefallenen Engel« hat einen psychologischen Halt in der Naturgeschichte, Satan ist Gott abgefallen, so wahr der Pavian vom Menschen abgefallen ist.
Für die allgemeine volkstümliche Auffassung ist der Affe ein Nachahmer, daher die in der Sprache eingebürgerte Redensart »nachäffen«; in Wirklichkeit hat man nie gesehen, daß Affen den Versuch machten, jemand oder etwas nachzuahmen. Sie sind selbst schlechte Nachahmungen des Menschen in unseren Augen, hiervon kommt vermutlich die ganze Oberflächlichkeit und falsche Vorstellung davon, daß sie alles nachäffen sollen. Die Affen sind nicht einmal Karikaturen des Menschen, sondern ferner, gemeinsamer Stammväter, die auch zum Menschen führten.
Den Inbegriff der Instinkte des Affen hat Shakespeare künstlerisch in Kaliban geschaffen. In einem unheimlichen Spiegelbild gibt Kaliban die verderbte Natur wieder, wie man sie vom rückschreitenden Menschen kennt: der verkehrte, der dämonische Mensch, Verbrecher, Sadisten, Epileptiker oder entartete Kinder. Angekleidete, dressierte Affen gleichen ebenso vielen Asylisten.
Als Affen, auf ihrem Platz in der Natur, sind die Paviane prachtvoll, wie sie sind, ein Ausbruch von Plastik in der Natur, die wohl fehlt, aber nie pfuscht; stellt man sie in das Verhältnis zur Mittellinie, auf welcher der Aufstieg des Menschen stattgefunden hat, so kann man nicht anders sagen, als daß sie abgefallen sind, ohne Wachstum oder Schicksal in glücklichem Sinne mehr. Das gilt von allen Arten, vergleichsweise, im Verhältnis zum Menschen und zu dem Fortschritt, den er auf Erden gehabt hat, zur Überlegenheit an Macht und Verbreitung, oder wie man sonst die Entwicklung abschätzen will. Im Verhältnis hierzu sind die Affen mißglückt, wurzellos, Ruinen einer Absicht in der Natur, und sie tragen das Gepräge davon, sind ruhelos, streitsüchtig, haben ihre Aufgabe vergessen, für immer, sind alles in allem ein verzerrtes Spiegelbild einer Seite der menschlichen Natur, etwas in. tiefstem Sinne Unartiges, von dem der Mensch nicht gern etwas wissen will und auch nichts wissen sollte. Die Erbeigenschaften, die wir mit frühen Affen gemein haben, gehen zurück auf eine aufsteigende Art von einer ganz anderen Natur als die Affen, die wir kennen: auf den Luft- und Lichtgeist Ariel.
Er ist wirklich aus Luft und Licht gebildet, denn er kann nur in der Phantasie erfaßt werden. Im Gegensatz zu den Affen, die stillstanden und mehr oder weniger die gleichen blieben oder sich zurückentwickelten, befand sich der Uraffe, dessen Linie ja bis zum Menschen geht, in starker Entwicklung, und man kann ihm deshalb nicht in den einzelnen Gliedern, die in neuen Formen aufgegangen sind, folgen.
Hat man aber im Pavian eine existierende zurückgebliebene Stufe, die mit den niederen und abnormen Instinkten des Menschen verwandt ist, so gibt es ein Wesen, das die glückliche Anfängerstufe des Menschen spiegelt, nicht den falschen, sondern den positiven, fruchtbaren Typ, den Typ im Wachstum, ein Wesen gleich zur Hand, nämlich das Kind.
Hier hat man ja den Menschen, der noch nicht Mensch ist, den Menschen in der Knospe. Die kleine keimende Seele, wie man sie vom vier- oder fünfjährigen Kinde kennt, ist ein lebendes Überbleibsel von einer zurückgelegten Stufe im Geschlecht, eine im Wachstum begriffene, fortschreitende Stufe, aber eine neue, nicht die Welt Kalibans, von der man sich entfernt, sondern die Ariels, die lauter Zukunft ist.
Das Bezaubernde an der Seele des Kindes liegt darin, daß es ein Bewußtsein im Wachsen ist, einer ständigen Vermehrung des Gewebes, jungen Zellen entsprechend; die Welt und die Vorstellungen entstehen zugleich, schaffen einander, ganz wie es stattgefunden haben muß, als der Uraffe sich zum Menschen emporwuchs und sich in der Seele entwickelte. Für den Uraffen war, wie für das Kind, Wachstum, Fortschritt die Lebensform selbst.
Die niedrigststehenden Wilden, die wir auf Erden kennen, haben etwas vom Kinde, geben jedoch nicht dieselbe Vorstellung, daß sie glücklich, von der Natur gesegnet seien. Aber es sind ja auch nicht die jetzt lebenden primitiven Menschen, denen man die echte Stufe ablesen soll, lieber sollte man zur Antike gehen, nach Hellas, wenn man sich eine Station merken will, durch die die glückliche Menschennatur während ihrer Entwicklung gegangen ist. Der Urmensch war zweifellos ein helleres, glücklicheres Wesen als irgendeine jetzt bekannte wilde Menschenart, denn die »Wilden« sind ja auch zurückgebliebene Seitenlinien. Aus dem Melanesier auf den Salomoninseln wird nie ein Mensch auf dem Niveau des Europäers werden. Ein stärkeres humanes Licht geht z. B. von den Eskimos aus. Aber die evolutionäre Tradition, die die Führerschaft des Menschen festhält, sucht man in der Welt des weißen Mannes, sie ist der Inbegriff der Kultur, eine geistige Qualität, eine Idee, am stärksten ausgedrückt in Poesie und Kunst. Hierüber, über die humane Stufe und die Stadien innerhalb der Stufe wieder, Näheres später.
Vom Kinde läßt sich also auf den Uraffen schließen. Aber jetzt muß man wieder auf die Zwischenform hinweisen, wie sie existiert hat, eines der ausgestorbenen Glieder, entsprechend der nach seelischen Kennzeichen konstruierten Form; alle Glieder haben gelebt. Der zoologische Boden für die Vorstellung vom Uraffen ist die Stufe, die dem Gibbon vorausgeht, also die gemeinsame Form, die gleichzeitig einen Zweig zu den Urahnen des Menschen entsandt hat. Um auf ihre Form, ihre äußere Form und Art zu kommen, leiht man sich vorwärts mit Zügen, die von dem bekannten Gibbon geholt sind.
Von Gibbons, Hylobates, was Waldgänger bedeutet, gibt es mehrere Unterarten, der Unterschied ist jedoch nicht größer, als daß man vom Gibbon im allgemeinen reden kann. Er ist ziemlich klein, ungefähr wie ein fünfjähriges Kind, leicht genug, sich in den äußersten Verzweigungen der Bäume bewegen zu können: der Gibbon ist Luftgymnastiker, schwingt sich mit fabelhafter Gewandtheit in langen fliegenden Sprüngen von Baum zu Baum, indem er die Zweige federn und sich von ihnen wie ein Pfeil vom Bogenstrang abschießen läßt. Der Gibbon kann ordentlich auf den hinteren Gliedmaßen gehen, in der Beziehung nähern er und der Schimpanse sich von den menschenähnlichen Affen dem Menschen am meisten. Wenn er aber klettert, benutzt er einseitig die vorderen Gliedmaßen, die abnorm verlängert sind. Die Hände sind fast Haken, um sich an ihnen aufzuhängen, er ist Schwingkletterer geworden, wenn man den Begriff bilden könnte. Der Gibbon ist Artist.
Will man sich jetzt die gemeinsame Form vorstellen, aus der Menschenaffe und Mensch hervorgegangen sind, so müssen die langen Arme reduziert werden: der Uraffe hat Glieder von normaler Länge gehabt. Der Gibbon hat keinen Schwanz, der alte Familienanhang aus der Unterwelt des Wurmes, des Reptils und der Ratte ist endlich verschwunden. Warum? Ja, die technische Erklärung ist wohl, daß die Gewandtheit des Uraffen als Kletterer und Balancekünstler in den Bäumen so groß geworden ist, daß er den Schwanz nicht mehr als Steuerstange gebraucht hat, zum Unterschied von den Meerkatzen, an die er sonst in Größe und Schlankheit erinnert. Er kam auch nicht wie die Brüllaffen dazu, den Schwanz zu einem fünften Gliede, einem Ringel- und Fühlschwanz auszubilden, ein Fortschritt, wie man glauben sollte; aber die Vorfahren der Gibbons gingen nicht diesen Weg. Wichtiger war die Ausbildung der Hände. Hier verwaltete der Gibbon sein Erbe nicht gut; bei ihm ist die Entartung so weit gegangen, daß der Daumen nur als ein weit rückwärts placiertes Rudiment vorhanden ist. Die gemeinsame Form vor ihm hat ihre Hände in Ordnung gehabt. Der Uraffe hat sich durch Nichtgebrauch von dem Schwanz getrennt, er ertüchtigte sich ohne ihn.
Schwund arbeitet ebensosehr im Dienste der Entwicklung wie Wachstum. Es ist, als balancierte die Form zwischen einem Druck von innen und einer äußeren Beeinflussung; wenn der Anlaß zu einer Funktion aufhört, stellt der Organismus sein Wachstum auf den betreffenden Punkt ein und verwendet den Überschuß anderswo. Was der Uraffe am unteren Ende des Rückgrats einbüßte, legte er am oberen zu.
Zieht man also die anerworbenen Monstrositäten des Gibbons ab, so kann man sich das Waldmännlein vor ihm von einigermaßen derselben Größe, aber harmonisch gebaut vorstellen, ebenso aufgelegt, die Beine durch Bewegung in den Bäumen zu gebrauchen wie die Arme; er muß sich besonders darin geübt haben, auf Zweigen zu balancieren, wie andere Affen, aber immer in aufrechter Stellung, bereit, mit den Händen vorzugreifen, wie Kinder, wenn sie soeben gehen gelernt haben; sicher hat er auch früh begonnen, sich auf dem Erdboden zu bewegen. Man muß sich denken, daß er sich mehr im offenen Waldland ausgebildet hat als in den zusammenhängenden tropischen Urwäldern, in denen die Gibbons jetzt leben.
Herab von den Bäumen ist der Uraffe auch aus einem anderen Grunde gekommen als deshalb, weil der Abstand zwischen ihnen so weit wurde, aus einem Grunde, der bestimmend für seine Zukunft war: er wuchs, nahm an Größe zu und wurde zu schwer, als daß die obersten dünnen Zweige der Bäume ihn tragen konnten, er mußte zu den niederen, dickeren Zweigen herabsteigen, wie die großen anthropoiden Affen, Schimpanse und Orang, es mußten. Das Gorillamännchen kann nicht einmal das mehr; es ist schwer wie ein Ochse und muß auf dem Boden, am Fuße des Baumstamms bleiben, während das Weibchen und die Jungen nachts in eine Gabel zwischen den Ästen klettern. Auf diese Weise sind die großen Affen vom Wipfel der Bäume heruntergerückt, das ist ihr Weg wieder von den Bäumen herab, nachdem sie als rattengroße Geschöpfe hinaufgehuscht waren. Die Schule in den Bäumen ist vorbei. Man fällt ganz langsam mit dem Größer- und Schwererwerden im Laufe einer Erdperiode wieder auf die Erde, von der man gekommen ist.
Diese Verwandlung geht Hand in Hand damit, daß auch der Wald sich verwandelt, ja, in gewissem Sinne verschwindet er überhaupt – ein glückliches Zusammentreffen mit dem Umstand, daß man aus ihm herausgegangen ist. Er wird zur Steppe oder zur offenen Parklandschaft, wie man es noch vom afrikanischen »Veldt« kennt; die Verwandlung im Tierreiche hängt mit langsamen klimatischen Veränderungen zusammen, wie zum Beispiel die halbtropische Landschaft, die sich einmal in vergangener Zeit in Nordafrika und in Mittelasien befand, jetzt eine Wüste ist; daher das Kamel. Ein Wald mußte verschwinden, damit der Uraffe Mensch werden konnte.
Jahreszeiten und Trockenheit setzten ein, die wechselnden und periodizierenden Klimaveränderungen, die in einer Serie von Eiszeiten kulminierten. Der Uraffe durfte nicht in seinem Zelt zwischen Himmel und Erde bleiben. Was er aber an Kräften und universeller Fruchtbarkeit im Walde in sich angesammelt hatte, brach als neue Möglichkeiten, neue Verwandlungsfälligkeiten hervor, als die Naturverhältnisse ihn aufs Trockene setzten.
Die große Scheide sind der Anfang der Jahreszeiten (das Motiv in »Der Gletscher«) und die daraus erfolgenden Veränderungen gewesen, die die Aufenthaltsorte der Tiere auf der nördlichen Halbkugel durchmachten. Die eintretende kältere Zeit hat sich periodenweise fühlbar gemacht, schon mitten in der Tertiärzeit ist, wie oben erwähnt, Frost nachgewiesen. Die Kälte hat die Tiere zu Wanderungen veranlaßt, die entweder jährlich, hin- und herpulsierend, wiederholt wurden oder ganz und für immer aus der Zone hinausführten.
Die Zugvögel haben ihre jährlichen Wanderungen noch heutigentags, sie können sie aus keinem anderen Grunde bekommen haben, sie brüten noch oben im Norden, wo sie vor Jahrmillionen zu brüten gewohnt waren und wo der Sommer mit hoher Sonne vorübergehend verlorene warme Urzeiten wiedergibt; im Winter suchen sie dieselben Bedingungen auf, aber südwärts. Die heilige Erinnerung der Brutzeit treibt sie alljährlich zurück zu den nördlichen Breitengraden, wo ihre Vorfahren Vögel wurden. Das Wunder wiederholt sich jedes Frühjahr; ein Pakt mit der Sonne, so und so, ist ihnen ins Blut übergegangen. Erinnern sich die Bäume nicht auch, auf eine eigene blinde Art, daß sie ausschlagen sollen, wenn die Sonne ruft?
Was die Wanderungsinstinkte und die Orientierungsfähigkeiten der Vögel betrifft, so kommt man hier auf Sinnesqualitäten, die der Mensch verloren hat, wir können ihre Art nicht einmal ahnen: es ist nachgewiesen, daß der Aal sich nie in Europa fortpflanzt; wenn er reif dazu ist, wandert er aus, aus Binnenseen und Bächen, über Land, wenn nötig, zum Meere; und später, als Antwort auf diesen vollständig blinden und unbegreiflichen Marsch nach der See kommt die Brut zu Milliarden an die Küsten Europas, wieder aus dem Atlantischen Ozean, ganz drüben bei Amerika. Es geht die Sage von einem verschwundenen Festland gerade in dieser Gegend des Atlantischen Ozeans, Atlantis – ist es dort, wo der Aal herstammt, und sucht er noch die Küsten eines verschwundenen Landes, die bloße Lage, um seinen Rogen abzuwerfen, wo der Aal es stets getan hat und wo er herkam?
Der Storch reist im Winter nach dem äquatorialen Afrika, und so, wie er in den Sumpfwäldern am Fuße des Kilimandscharos lebt, wo das Flußpferd mit dem warmen Strom treibt und ein Unwetter von Vögeln auf die schlammigen Ufer herabbraust, einigermaßen so hat sich die Tertiärlandschaft in Europa ausgenommen, auch mit Flußpferden in den mächtigen Überschwemmungen, von einem jüngeren, schweineartigeren Typ vielleicht, mehr rosa, Urwaldelefanten donnerten im großen Walde, während die großen Raubtiere sich in der Dschungel an den Wasserstellen ergingen und die Steppe und die ausgedehnten Lichtungen von Grasfressern wimmelten. Der Affe mit Menschenblick war auch dort, ein Rütteln in den Baumwipfeln verrät ihn, ein Kopf, der über die Gräser hüpft, das ist er.
Noch zieht der Storch jedes Jahr tausend Meilen weit, um im wiederkehrenden Sommer des Nordens zu brüten, die Sonne muß gerade so stehen und ihr neues Feuer mit dem blauen Schimmer in kühlen Mooren verbinden, damit das Wunder in seinem Blute reifen kann. Etwas in der Sonnenhöhe selbst geht denn auch uns Menschen mystisch in die Seele, wir erkennen nicht allein die Jahreszeiten, sondern auch ein entschwundenes, vorhistorisches Dasein in ihnen wieder. Mit dem Storch haben wir früher schon zusammen gewohnt, er hat vielleicht in denselben Bäumen gebrütet, in denen der Urmensch seine Zweigwohnung hatte. Sie haben gleichzeitig Junge gehabt, haben ihre Augen früher schon aufeinander ruhen lassen, warum läßt sich der Storch sonst jetzt so vertraut auf unseren Dächern nieder?
Die Vögel können sich auf dem Luftwege ein Dasein bewahren, das zwischen mehreren Breitengraden schwingt. Einige Säugetiere versuchen dasselbe, über kurze Entfernungen, oder schlafen, wenn sie bleiben, den Winter über. Die Affen aber können nicht jedes Jahr in den Bäumen weit hin und her wandern, so beweglich sie auch sind. Jedenfalls: zu einem Zeitpunkt haben sie sich geteilt; von den Uraffen blieben einige, obwohl der Wald schwand, und gestalteten sich um, andere gingen für immer südwärts und blieben dieselben: die Scheide zwischen Mensch und Affe bis auf den heutigen Tag.
Alle Nachkommen des Uraffen nach der Affenseite, die jetzigen menschenähnlichen Affen wie alle Affen überhaupt, leben in den Tropenwäldern nahe dem Äquator und sind Waldtiere; der Mensch hat die ganze Erde besetzt.
Von den drei großen Affenarten, die man Waldmänner genannt hat, dem Gorilla und dem Schimpansen aus Afrika und dem asiatischen Orang-Utan – ein malaiisches Wort, das einfach Waldmensch bedeutet – hat man verhältnismäßig ausgedehnte Kenntnis, jedenfalls aus Bildern; verlockend wäre es, sich über jeden von ihnen in Einzelheiten zu ergehen, ihre persönlich erworbenen Eigenschaften sind im Grunde merkwürdiger als das nahe, abgedroschene Verhältnis, in dem sie zum Menschen oder vielmehr zur Urgeschichte des Menschen stehen; sie haben ihre eigene.
Daß sie überentwickelte, spezialisierte Formen einer früheren, relativ älteren, einfacheren Stufe sind, wie der Gibbon eine verzerrte Form des Uraffen ist, wird für gültig angesehen; das gilt namentlich von Orang und Gorilla, wo sich ein ausgesprochener Unterschied zwischen den Geschlechtern mit dem Alter geltend macht, weniger vom Schimpansen, hier gleichen Männchen und Weibchen einander mehr. Der Schimpanse scheint die jüngere Form von den dreien und die interessanteste im Verhältnis zum Stammbaum des Menschen; aber über die Menschenaffen später, anläßlich des Ursprungs des primitiven Menschen.
Seltsam zusammengesetzt, schmachtend und unkenntlich sind die Stimmungen, in die man bei näherer Betrachtung des wunderlichen Äußeren vom Wesen der Menschenaffen versetzt wird, insofern man wirklich etwas von ihnen weiß. Man weiß, daß sie in Temperament und geistiger Stufe, obwohl erwachsen, an den eigentümlichen Komplex von Gefühlen und unfertigem Bewußtsein erinnern, den wir von Kindern kennen. Man hat den geistigen Horizont des Schimpansen, der sicher der begabteste der Waldmänner ist, untersucht und gefunden, daß er weit tiefer liegt, als man von vornherein glauben sollte; in der Dressur ist er erstaunlich geschickt, aber das ist der Seelöwe auch; Nerv und natürliche Geschicklichkeit werden hier mit Intelligenz verwechselt. An Überlegung und freiem Bewußtsein gelangt er kaum weiter als ein zweijähriges Kind. Der Uraffe muß viel klüger gewesen sein. In einigen Anlagen weisen die Waldmänner über die Säugetiere hinaus und auf Ausdrucksformen hin, die sonst den Menschen charakterisieren. Sie sollen »die Farbe wechseln« können, sie »grinsen«, zeigen die Zähne, aber in Verbindung mit Humor – der Anfang des Lächelns, was man indessen auch vom Hunde kennt. Die Affen bauschen den Mund auf, machen gleichsam ein Rohr daraus, wenn sie zornig werden, das kennt man auch von Kindern und primitiven Menschen, was sie damit auch meinen mögen. Darwin steckte hier in wichtigen Untersuchungen in seinem Buche »The Expression of the Emotions in Man and Animals«, ein Studium, das soweit mir bekannt, später nicht fortgeführt worden ist.
Sind die Waldmänner also seelisch von sehr jungem Typ, so machen sie physiognomisch den Eindruck ungeheueren Alters. Es ist, als präge ihr Platz, weit zurück in der Zeit, als die Art jung war, sie inwendig mit Zügen, die in unserer Kindheit von einer entschwundenen Stufe wiederkehren, während ihr stillstehendes Schicksal und ihr ganzer, abgeschlossener Lebenslauf als Art den traurigen Verfall spiegeln, den wir von hochbetagten Menschen kennen, Beginn und Senilität in einem. Der ungeheuer lange Aufmarsch des Geschlechts hat sie gleichsam auf einer frühen Stufe müde und schwermütig, zur Einsamkeit geneigt und unfroh zur Veränderung gemacht, wie bei alten Leuten, die geborenen Greisen gleichen. Und so sitzen sie denn noch auf dem Altenteil in den Tropen, in den fernsten, verborgensten Winkeln des Waldes, nahe am Ofen wie die Alten.
Die Verwandlung des Affen ist den Weg des Affen geschritten. Die Affen als eine Beleidigung der Majestät des Menschen aufzufassen, wie es zumeist von Gewerbetreibenden und anderen Leuten mit ordinärer Bildung ausgesprochen wird, ist daher noch einmal verkehrt, und es ist gefühllos. Die Affen hassen kann man nicht, im Gegenteil, man muß doppelt soviel für sie übrig haben, als für schöne und sonderbare Launen der unerschöpflichen Natur, man muß mit Liebe und Schmerz mit ihnen fühlen wie mit Kameraden, die nicht mitkommen konnten und denen man nicht helfen kann. Weder die Waldmänner noch die Meerkatzen sind so brutal wie der Pavian, sie sind ungefährlich, zurückgezogen, Ferienkinder der Natur, auf die noch nicht Profession und Kleidung abgeladen sind; daß man sie in Gefangenschaft nicht zu ihrem Vorteil sieht, dafür sollte man sie nicht verurteilen. In Freiheit, an ihrem Platz in der Natur, besitzen sie mehr Unschuld und Adel als viele Menschen.
Um zum Gibbon zurückzukehren, aus dessen Habitus man einiges vom Uraffen lesen kann, so ist er ja ursprünglicher und in seelischem Sinne menschlicher als die großen, eigenartigen Waldmänner.
Das Extreme, Spinnenartige in der Form gehört dem Gibbon alleine an; von den Bäumen und seiner Funktion losgelöst, sieht er unmöglich aus, man muß sich ihn im Walde denken, er gleicht ja dem Schatten eines Baums! Aber das ist das Gepräge dessen, was Winge die Arbeit des Gibbons nennen würde. Studiert man seine Physiognomie näher, wenn auch nur durch die Scheiben seines Käfigs im Zoologischen Garten, so fühlt man sich einem Lebewesen von wunderlich bewegter Art gegenübergestellt, einem menschlichen Eindruck, aber mit etwas Fernerem als der grotesken, trollartigen Menschlichkeit zum Beispiel des Schimpansen; er ist tierischer, aber weniger verzerrt. Er hat dunkle Augen, mit dem Morgen der Zeiten, gleichsam etwas noch Ungeborenem darin: einen Paradiesesblick. Bewegungen und Lebenszeichen haben etwas Geisterhaftes, es kommt einem vor, als stände man einem übernatürlichen Wesen, einem Elf aus dem Walde gegenüber. Und das ist auch so, man befindet sich mit ihm in der Welt Ariels, in der des Kindes.
Aber man muß ihn gehört haben, wo er daheim ist, in den Urwäldern Hinterindiens, um zu wissen, was Elfen und Geister in der Natur sind. Der Gibbon im Käfig ist ebensowenig von ihrer Welt, wie eine Nachtigall in der Hand von den hellen Nächten.
Auf Malakka, in einem Tal zwischen bewaldeten Bergen am Oberlauf eines Nebenflusses des Tringganu und mitten in den unberührten rauchenden Tropenwäldern, kann man mit der Sonne durch einen gellenden Ruf erwachen, der gleichsam über den Waldwipfeln verklingt und in Blößen im Walde widerhallt, zwischen den widertönenden Höhen umherflackert: ein unermeßlich starkes gesangartiges Kreischen; viele im Chor, flötend, trällernd und rufend, wie Stöße in Orgelpfeifen, als ob der Sonnenaufgang Gesang gebäre und als ob Geister antworteten, dem Tag entgegen über die Waldwipfel fahrend, stürmend, ein wildes, musikalisches Kreischen im Chor und ein Echo, das das ganze Tal erfüllt und den Wald und die Berge federn läßt, schnell an Volumen zunehmend und sich wieder verflüchtigend, denn es kommt von Wesen, die auf der Flucht durch den Wald eilen – das ist die Gibbonherde, die oben im Walde auf den Bergen vorbeirast und den Sonnenaufgang mit einem durchdringenden Geisterchor begrüßt: Hulock oder Lar, ich weiß nicht, welche von den Arten, denn ich bekam sie nie zu sehen, sie leben hundert bis zweihundert Fuß hoch in der Luft, ganz oben in den zusammenhängenden Urwaldmatten; man kann Gelegenheit haben, sie zu hören, aber man sieht sie nie.
Den Malaien gerinnen die Mienen, und sie sehen gefaßt aus, wenn sie die wilde Jagd hören; sie wenden einander die Augen zu und äußern leise etwas, das man nicht versteht, etwas Ernstes, ein Gebet, sie haben Respekt, es ist eine Naturmacht, die zu ihren Häuptern dahingeht. Hat man dieses Urwaldkonzert gehört und hat man dann später seinen Urheber gesehen, den kleinen, zerzausten Langarm im Käfig, ja, dann ist man ja einer Musik in der Seele entkleidet und beraubt und sieht stattdessen ein kleines barockes Vieh.
Aber der Eindruck pflanzt sich fort, nach Jahren gibt es vom Geisterchor in den Wäldern auf Malakka einen Widerklang, der in den Zeiten niederschlägt: der Menschenwald, ein anderer Morgen der Zeiten; man hat doch Ariel gehört, eine musikalische Erinnerung bleibt zurück, daß man dort gewesen ist, wo das Geschlecht auf dem Berge der Schöpfung gegen die Sonne stürmte, Welten vor Jahrmillionen, die wir nicht gesehen haben, von denen wir aber eine unvergängliche Zeichnung zu innerst in der Seele besitzen.
Es waren wirkliche Welten, hier gerade unter uns, und Ariel, der Menschengeist, war ein wirkliches Wesen, das das Dasein jeden Morgen mit einem glücklichen Kreischen begrüßte – wie das Kind in seinem Bettchen, das mit der Sonne aufwacht und, ganz allein, zu schwatzen und zu singen beginnt, während noch das ganze Haus schläft, ein Morgensolo, die reine Lebenslust, die von selbst überströmt: es schlägt in die Kissen und macht, auf dem Rücken liegend, Flugversuche, Schnalzen mit der Zunge im Munde, Zwitschern und Glücksausbrüche, kleine Sprünge vor Begeisterung, noch ehe man reden kann: so beginnt der Tag. Und so ist Ariel im Walde erwacht, die Seligkeit ist auf ihn herniedergebrochen wie die Strahlen von der Sonne, das Licht, das Licht, die Klarheit, die Wärme! Endlich ist die entsetzliche Nacht vorbei!
Und wenn das Kind größer wird, der kleine Knabe auf dem Hügel, der Schmetterlinge und Blumen sieht und sich verliebt nähert, reizend lächelnd, eine kleine Sonne von Glück, die über das Wunder scheint und den ganzen Tag lang froh ist und alles liebt, was sie sieht, der Knabe, der alles versuchen muß und erfolgreich einen Nagel mitten in den Fußboden klopft und spielt, daß er alles ist, und der wirklich alles ist, dann ist es ja Ariel, ein Elf, ein Lichtgeist in der Welt, der Genius der Entwicklung. Wie das Kind ins Leben hineintritt, ihm mit seiner Frische, seiner stets von innen sprudelnden Freude begegnet, so hat der Menschengeist Glück in seinem Walde gehabt; aus Glück, vom richtigen Los getroffen zu sein, aus Fortschritt und Freude darüber, ist er geschaffen, und die Freude hat er dem Leben wiedergegeben. Das Kind ist in der Macht der Erwachsenen, stets beschützt, Ariel war Kind der Natur, wuchs aus ihr heraus und sammelte ihre Kräfte in sich. Daß er das tat, war sein Schutz, sein Glück; von der Nacht zum Tage!
Von Grauen zu Freude!
So viele Bücher sind über die Evolution, die Weltentwicklung, geschrieben, mit umfassenden Titeln, wie Posaunenstöße von einem Katheder: Vom Nebelfleck zu Metropolis! Von der Amöbe zum Menschen (dem Sodawasserfabrikanten, dem Schmierenschauspieler?). Aber es genügt nicht, Glied für Glied für die mechanische Entwicklung Rede zu stehen, mitten auf der Linie der Entwicklung dominieren die Seele und ihr Wachstum, in gewissem Sinne über die Sinnlichkeit erhoben, denn sie nur kann im Geiste erfaßt werden, sie ist ein Erbe von Bewußtsein, Freude, Überwindung der Nacht, von dem alten Grauen, das zurückgelassen ist.
Unser Stammvater im Walde hatte die Gabe des Geistes, Lebenslust, Klarheit, und wo dies Erbe gehoben ist, da schreitet der Mensch! Nicht soll man von Affen oder elenden, entgleisten Wilden auf die Begabung des Urmenschen schließen, die haben ja gerade das Erbe, den Urkeim in der Seele verloren und kratzen sich, wo sie einen Ausschlag haben. Lustig, selbstleuchtend vor Freude wie das Kind, das Dasein ein seelenvolles Spiel, so war der rechte Geist im Walde, von dem der Mensch gekommen ist. Die Tradition, die alte Wahrheit über ihn, muß in der Poesie, der Blüte der Lebensfreude, gesucht werden.
Wie das Kind seine Seele im Spiel entwickelt, so hat der Menschengeist gespielt und ist dadurch tüchtig geworden, denn was ist das Spiel anderes als Geschicklichkeit, Wachstum, das bewußt wird und sich als Freude fühlbar macht?
Es ist eine Trennungsscheide in der Natur, daß, wo die Tiere zu spielen beginnen, der erste Schritt getan ist, um sich in Augenblicken über den Daseinskampf zu erheben. Ist es nicht bezeichnend für die Stellung der niederen Tiere im Dasein, daß sie kein Spiel kennen? Die kaltblütigen Tiere spielen nicht, das Spiel ist eine Vorstellung, das sich nicht an das Krokodil, an den Hai, den Krebs oder den Polypen knüpfen läßt, alles Ernstgeschöpfe mit Arbeitszeit das ganze Leben hindurch, jedes Individuum für sich einsam, nur das harte Ich, allesfressend, immer bedürftig. Junge kennen sie nicht, die Brut geht ihnen von selbst ab in Form von Eiern. Gewisse abscheuliche Versammlungen, ein Umhergleiten in Gesellschaft, kennt man aus der Welt der Schlangen zur Paarungszeit, sonst aber kann man wohl sagen, daß kein Kriechtier das Spiel kennt. Spielt das Kücken? Unbekannt. Gerenn nach einem Korn das ganze Leben! Erst oben in der Säugetierwelt beginnt, was man mit Recht als Spiel charakterisieren kann, bei den Jungen, bis sie erwachsen sind und länger. Schon daß das Spiel mehrere voraussetzt, weist dahin, sich in anderen als sich selber wiederzuerkennen, es bricht die Einsamkeit der Tierseele. Im Spiel liegt der Keim zu neuen Daseinsformen, ein Überschuß an Kräften, die Entwicklung freier Fähigkeiten geht durchs Spiel. In bezug auf den Menschen könnte nachgewiesen werden, daß vieles, was ursprünglich als Spiel begonnen hat, später zu bleibender Kulturerwerbung geworden ist, unter sport versteht man im Englischen sowohl Spiel wie eine neue Varietät. Im Spiel machen die Kinder sich frei von Instinkten, die früheren Entwicklungsstufen angehören, und üben sich zu neuen empor; im Spiel liegt ein Versuch, die Entwicklung spielt sich vorwärts: auf deutsch Spielart!
Aber außer der glücklichen Anlage ist die Stammform es Menschen im Besitz von etwas Kräftigem, Daseinstüchtigem gewesen, das früh seinen Weg von dem der Affen schied.
Der jetzige Gibbon in den Tropenwäldern ist ja ein Nachkomme derer vom Geschlecht des Uraffen, die südwärts zogen; im Norden blieb ein anderer Zweig der Familie, der die Erde in Besitz nahm und Wälder in Verwandlung und beginnende Jahreszeiten auf sich wirken ließ. Er erlangte durch Übung eine Fähigkeit, die allen menschenähnlichen Affen völlig mangelt, die Fähigkeit, ein Klima zu überwinden, er härtete sich ab und wuchs dadurch.
Der Ausgangspunkt für einen neuen Anfang in der Natur muß, wie früher erwähnt, nicht in den Seitenlinien, den hochspezialisierten Formen, gesucht werden, sondern auf einfacheren Stufen, die weiter zurück, mehr der Mitte der Stammlinie zu liegen und ein Erbe von sehr frühen Stufen bewahrt haben. Die Gipfelart kann zu allen vorhergehenden Stufen kommen, aber keine der Seitenlinien kann zu ihr gelangen. Den beginnenden Menschen, der vom Uraffen ausging, muß man sich als ein Wesen denken, das im Begriff war, etwas für sich zu werden, aber Kräfte und Eigenschaften von ausnahmslos allen vorhergegangenen Stufen schon in sich gesammelt hatte. Es ist gesagt worden, daß der Mensch das älteste und das jüngste aller Geschöpfe sei; die Entwicklung ist hier am weitesten gegangen und bewahrt wie eine Pfahlwurzel die Verbindung mit dem mittelsten und dem tiefsten Ursprung des Lebens.
In gewisser vitaler Beziehung hat sich der Mensch noch heutigentags, wenn man auf die Entwicklung zurücksieht, etwas von der Ferozität des Insektenfressers bewahrt, in der Form von Widerstandskraft, Energie, der Fähigkeit, sich unter allen Verhältnissen daseinsgeeignet zu machen. Das muß sich schon bei dem zottigen Waldmann geäußert haben, von dem der Urmensch stammt, er war streitbar, abgehärtet, hat die ersten Winter nicht beachtet; und eine vereinzelte Parallele hat man hier in einem aus der japanischen Kunst bekannten Pavian, der im nördlichen Osten lebt, er übersteht harte Schneewinter, ein bärtiger, haariger, muskelfester und sehr determinierter Affe: von ihm läßt sich auf einen wichtigen Zug im Charakter des Vormenschen schließen. Die Kälte zieht immer noch die Grenze, sie ist ein Werkzeug der Auswahl, das Stufe für Stufe zwischen denen, die im Norden bleiben und sich entwickeln, und denen scheidet, die der Wärme zu weichen und stehenbleiben; auf der Fährte des Affen, auf der Flucht nach dem Süden, folgt der nackte Wilde. Dieser moralische sowohl wie evolutionstheoretische Gesichtspunkt ist an die ganze Schilderung in den komponierten Büchern über die Entwicklungsgeschichte des Menschen, die ich geschrieben habe, angelegt.
Als kategorische Grenze, wo der Vormensch aufhört und der Mensch, die Menschenstufe, beginnt, würde ich den Zeitpunkt setzen, da der Urmensch sich einem Element näherte und mit ihm in Verbindung trat, einem Element, dem kein anderes Tier sich zu nähern gewagt hat: dem Feuer. Hierüber zu lesen in »Das verlorene Land«, der Geschichte des jungen Fyr.
Mit der Aneignung des Feuers tritt die Entwicklung des Menschen in eine neue Phase, gleichsam in eine andere Physik, Kälte und Nacht sollen nicht mehr persönlich, sondern durch Kunst überwunden werden; und von jetzt an wächst die Kunst mehr als der Mensch. Die Kälte ist keine ernste Drohung mehr für den, der sich den Gebrauch des Feuers angeeignet hat; von jetzt an vertieft sich die Kluft zwischen Mensch und Tier.
Ehe der Mensch sich aber abschloß, hatte er Elemente, Instinkte und Fähigkeiten vom ganzen Tierreich in sich aufgenommen; was die Tiere verteilt besitzen, hat der Mensch gesammelt.
Der Mensch ist Allesfresser, findet Behagen an allem ohne Ausnahme, was alle anderen Tiere verzehren, Obst und Gemüse wie die Nager, Samen und Pflanzen wie die grasfressenden Tiere, Fleisch jeder Art wie die Raubtiere, die Raubtiere gern mit in hungrigen Augenblicken, auf irgendeiner Polarexpedition; betrachtet man die bekannte Geschichte des Menschen, so ist er ein Vernichter wie die Insektenfresser, streitbar und verschlagen wie die Ratte, nicht reinlicher, als sich aus guter Gesundheit und hin und wieder einem Hautwechsel ergibt, fruchtbar und imstande zu allem, was es sei, alles sehend und allgegenwärtig, selbstsüchtig, gewalttätig wie der Pavian, der Kaliban, und lüstern wie er. Aber er ist auch ein Kind noch in der Seele wie Ariel und hat etwas von der Grazie des Eichhörnchens, ja, selbst der Katze, namentlich das Weib; alle Tiere zeigen sich wie durch eine geheimnisvolle Seelenspiegelung in seiner Maske wieder. Er ist klug, traumschwer und tief von dem Abgrund, den er in seinem Wesen mitführt, der bodenlosen Summe von Erlebnissen des Geschlechts, wie die großen Menschenaffen, die gebeugt von Alter und doch noch mit dem Morgen der Zeiten in sich geboren werden: sie können nicht zu ihm gelangen, wohl aber er zu ihnen. Er ist geboren wie kein anderer mit Alter und Jugend im Verein, Absprung in der Urzeit und die Seele noch gespannt, neue Sprünge, neuer Wille, hinein in immer neue Lebensformen. Alles, was in ihm ist, will leben, will wiederleben; er stellt sich vor, alles zu sein und alles wieder zu sein, ist unersättlich neugierig, ein Seher und Schöpfer von Visionen, wenn es in ihm zaubert, er ist kunstfertig, begierig nach Fertigkeiten, imstande, auch zu ruhen und sich zu erinnern, aber gefährlich, wenn er aufsteht, um zu handeln. Für die Tiere war er furchtbar, solange er Jäger war, selbst für die, welche weit größer und stärker waren als er, er umspannte ihren Verstand, ohne daß sie den seinen umspannten. Sich selbst war er furchtbar und ist es noch, der Mensch ist des Menschen schlimmster Feind. Er hat sich zum Herrn nicht über ein einzelnes Element auf einmal gemacht wie die Tiere, sondern über sie alle, bewegt sich auf der Erde und im Wasser, in der Luft; die Naturkräfte hat er seinen Sinnen, der Reichweite seines Armes zugefügt, Klima, Hindernisse, halten ihn nicht, mit seinen Künsten hat er sich über alle Meere und Weltteile verbreitet.
Und ist er froh, geht es immer noch gut? Singt er noch des Morgens? Ja, das müssen wir fragen.
Nicht die blendenden Künste allein waren es, die den Menschen über das Tier erhoben, er war ursprünglich mit einer Fähigkeit ausgerüstet, die keine von allen andern Stufen im selben Maße entwickelt hatte: mit der Fähigkeit zur Güte.
Sie rührt her von den Müttern des Waldmanns und aller Tiere, vom Spielen der Jungen und vom Geschwistergefühl, vom Wohlbehagen im Beschützen, davon, sich im Fortschreiten zusammen zu fühlen und sich zusammen zu nähren und zu zweit zusammen zu sein, wenn die Nacht kommt und die Angst aus dem Dunkel emporsteigt und man allein ist: daher kommt die Güte.
Wie steht es mit der Quelle aller Güte? Der Mensch, der alle Eigenschaften entwickelte, hat wohl auch sie vertieft?
Schaut man aber zurück, so hat man Grund zu glauben, daß der Urmensch persönliche, ursprüngliche Eigenschaften gehabt hat, von denen das Menschengeschlecht später, nicht zu seinem Glück, abgefallen ist.
In einem zweiten Bande, »Stadien des Geistes«, soll versucht werden, die innere Entwicklungsgeschichte der Menschheit zu verfolgen.