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Die drei Wölas

Mit Gasts Geburt war ein Geheimnis verknüpft, das Gro ihm offenbarte, bevor er von dannen zog.

Als Gro nach der Niederkunft wieder zu sich gekommen war, wollte sie dem Knaben wahrsagen lassen und sandte nach den Nornen, auf daß sie ihn in Augenschein nehmen und sein Schicksal voraussagen könnten. Mehrere von Gros Männern mußten sich mit ihren Booten auf den Weg machen, denn die Wölas hielten sich zurzeit in Geschäften in einem anderen Stamm an der Küste auf. Sie waren an keinem bestimmten Ort zuhause, sondern zogen von Ort zu Ort mit ihrem bedeutungsvollen, häufig gefürchteten Geschäft.

Die alten Wölas kamen, auf ihren Stock gestützt, mit tropfenden Nasen; Bärte hatten sie, aber keinen Zahn mehr im Munde, und Pelze trugen sie, die sie seit zwanzig Jahren auf dem Leibe gehabt hatten; klug aber waren sie.

Gro empfing sie mit geziemender Ehrfurcht in der Erdhütte, bewirtete sie aufs beste und tat ihr möglichstes, um sie günstig zu stimmen. Die Mahlzeit bestand aus Austern und Muscheln, die aus der Schale genommen und in Töpfe gefüllt waren, damit man sie gleich schlürfen konnte, dazu rohe Fischrogen und Wildschweinsleber in Streifen geschnitten, damit sie nicht gekaut zu werden brauchten, und als Getränk gab es Quellwasser, lieblich mit Honig gesüßt. Die Alten waren zufrieden und ließen es sich schmecken, wurden gesprächig und erzählten allerlei gute Geschichten, die sich lange vor Gros Zeit ereignet hatten. Gasts Geburt rief Erinnerungen an eigene Wochenbettzeiten und Ehen in ihnen wach, an frohe Mißhandlungen durch lange dahingegangene Jäger; auch ihre Kinder waren tot, sie waren jetzt heimatlose Wölas, noch aber bewegten sie die zahnlosen Kiefer und wieherten leise vor Vergnügen beim Gedanken, daß auch sie einmal Menschen gewesen und daß ihnen alles das, was ein Mensch zu tragen vermag, zuteil geworden war. Prüfungen waren wahrlich nicht das schlimmste. Ach, jetzt rümpften sogar die Tiere die Nase über sie und ließen sie im Walde ungeschoren.

Als sie gesättigt waren und ihre Augen zu funkeln begannen – der Nornenwitz war in ihnen entzündet worden – entleerte Gro ihren Hüftensack auf der Erde und forderte sie auf, den Knaben in Augenschein zu nehmen.

Sie fanden ihn groß und wohlgenährt, öffneten sein Mäulchen und befühlten den Gaumen; schon scharf, bald würden die Zähnchen durchbrechen; sie fühlten alle drei, und bei den ersten zwei ging es gut; als aber die dritte ihren Finger hineinsteckte, biß der Knabe zu, und die Wöla mußte ihn mit einem Ruck herausziehen. Mutter Gro bedauerte es sehr und gab sich den Anschein, als strafe sie den Knaben dafür, im geheimen aber bewunderte sie die Tapferkeit des Kleinen. Darauf prüfte man die Glieder, stellte verschiedene Vergleiche an, sprach weise, nickte anerkennend, flüsterte miteinander, nickte, ja, dieser Mensch war gut geboren.

Jetzt aber erhob die eine Wöla sich in Ekstase, begann Beschwörungsformeln zu murmeln und zu singen, ein garstig unverständliches Lied, das die Höhle mit Grausen füllte, ein Zauberlied, das böse Mächte fernhalten sollte, und schließlich prophezeite sie, daß dem Knaben viel Glück zuteil werden und daß er mehr sehen sollte als andere Menschen. Die andere Wöla nickte eifrig, sie schloß sich ganz ihrer Vorrednerin an, und Gro lächelte vor Glück, faßte den Knaben bei der Ferse und steckte ihn wieder in den Sack.

Die dritte aber hatte sich noch nicht geäußert, und als Gro die Alte fragend ansah, bemerkte sie, daß sie die Lippen fest aufeinanderpreßte, so daß Kinn und Nasenspitze sich trafen, und in ihren Augen glomm etwas, das nichts Gutes, zu bedeuten schien. Sie war diejenige, die unglücklicherweise gebissen worden war.

Tatsächlich aber war sie schon von Anfang an verstimmt gewesen, obgleich sie es verborgen hatte. Das erste, was sie Gro übelnahm, war, daß sie ihnen nur flüssige Nahrung vorgesetzt hatte, um sie ihre Zahnlosigkeit so recht fühlen zu lassen. Außerdem hatte Gros Erscheinung für magere Personen etwas Anmaßendes und Kränkendes, war sie doch groß und fett wie ein Wal, mit unzüchtigen Gliedern; das entsprach wohl dem rohen Geschmack der Männerwelt, war sie doch heiß begehrt, wie es hieß. Ferner hatte sie sich zu Ehren des Tages frech angezogen; nur eine dünne Sommermatte mit offenen Maschen bedeckte sie, ein Meerschwein in einem Netz konnte nicht mehr bloßgestellt sein; die scharfen Kanten und die Magerkeit ihrer Gäste sollten dadurch natürlich betont werden. Um den Hals trug sie prahlend einen Schmuck zur Schau, der mehr Bärenzähne zeigte, als ein Mensch zählen konnte, wahrscheinlich einen von jedem ihrer Männer, und sie machte auch keinen Hehl daraus; denn als sie den Knaben in Augenschein nahmen und die beiden anderen der Meinung waren, daß er Glück bei den Frauen haben würde, da hatte Gro gelacht und gesagt, sie wünschte ihm ebensoviel Glück, wie sie selbst gehabt habe, ein Übermut, der einen einsamen Menschen verstimmen konnte! Außerdem war Gro stolz, was einem auffallen mußte, kaum daß man die Höhle betrat, denn diese war rein gefegt, ein Schlag ins Gesicht für einen Menschen, der im eigenen Hause meterhohen Schmutz liegen hatte, mit Aas und Kinderleichen auf dem Grunde!

Das empörendste aber war, daß Gro Licht angezündet hatte! Kein Feuer auf der Erde, wie andere einfache Leute, oder einen Trog mit Fett und eine Handvoll Moos, sondern hoffärtig und prachtlüstern, eine große Doppelkerze, die aus Talg mit einem Docht aus Schilf gemacht zu sein schien, eine neue törichte Erfindung, von der man gehört hatte, eine Geringschätzung der Bräuche alter einfacher Leute, garnicht davon zu reden, daß die fast taghelle Beleuchtung nicht gerade vorteilhaft für das Aussehen der Wöla war, und daß Rauch und Dunkelheit besser für sie geeignet waren, wenn sie zaubern und wahrsagen sollten.

Dies alles ärgerte die dritte Wöla, und als Gro sie nun freimütig fragte, was sie dem Knaben prophezeie, erhob die Alte sich und schickte sich zum Gehen an, stieß mit dem Stock auf die Erde und wackelte so heftig mit dem Kopf, daß ihre Nase tropfte, wieherte, um ihre Stimme zu klären, und schließlich quakte sie, indem sie dem Licht einen häßlichen Vogelblick zuwarf, daß sie dem Knaben kein längeres Leben versprechen könne, als bis das Licht, das seine Mutter für ihn entzündet habe, herabgebrannt sei.

Gro streckte den Arm aus, um dem Unglücksvogel über den Mund zu fahren, aber es war zu spät, die Prophezeiung war schon heraus; die Alte schrie auf und suchte den Hausgang. Bevor sie ihn aber erreicht hatte, beugte sie sich vornüber und gab all das gute Festessen wieder von sich, fiel auf die Nase und kroch auf allen Vieren wie eine Kröte aus der Höhle heraus. Gro griff nach der Kruke mit dem Rest der Speisen und goß ihr den Brei über den Rücken; wenn das Ungeheuer die Bestechung nicht im Magen bewahren wollte, sollte sie die Merkmale davon wenigstens auf dem Rücken behalten!

Darauf wandte Gro sich wie eine wütende Bärin dem Licht zu und blies es aus!

So endete die Kindtaufe in pechschwarzer Finsternis. Gasts Leben aber war gerettet.

Und als er von dannen zog, gab Gro ihm den Lichtstummel mit, sorglich in eine Blasenhaut eingenäht und mit einem Sehnenstrang versehen, damit er ihn um den Hals tragen konnte; sie beschwor ihn, die Kerze wohl zu verwahren und sich ihrer Bedeutung immer bewußt zu sein. Gast dankte seiner Mutter herzlich für die Gabe. Und darauf schieden sie.


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