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Wie der Nebel, der die Straßen durchwallte, sich verdichtete und auseinanderbrach, daß ein verirrter Sonnenstrahl auf die Dächer herabfiel, so wechselten Angst und Hoffnung im Herzen Lea's und ihrer Tochter, auf dem sonderbar fröhlichen und schmerzlichen Antlitz Isaschar's, des Sohnes Samai.
»Laßt uns reden, als wären sie gegangen auf einen Handelsweg in die Stadt,« sagte Lea, und sie sprachen, sich selbst mit dem Klang ihrer Worte betäubend, von der Vergangenheit. Aber oft redeten sie umsonst und verstanden sich nicht, denn ihr sorgenvolles Herz dachte des Kommenden und hörte nicht und wußte nicht, was die Zunge sprach. Der Nebel ward dicker und die Sonne kam nicht mehr. Sie glaubten, daß sie sich Alles gesagt, und es trieb sie von einander, hierhin und dorthin, und wieder zusammen, um ein flüchtiges Wort zu tauschen, das Keinen tröstete, und sich mit einem Lächeln zu betrügen, das Keiner glaubte.
»Wenn Thubal bei uns wäre,« sagte die schöne Tharah, »er kennt den hohen Rath und würde uns erzählen, was für Gesinnung er hegt –«
»Es sind Christen, Kind,« murmelte Lea, »sie werden haben wollen Gewinn bei der Sache. Sie werden uns nehmen unser Vermögen als Loskauf, – werden sie nicht, Isaschar?«
Es klang eine ängstliche Hoffnung durch die Frage, daß er sie mit »ja!« beantworten sollte, allein der Greis blieb stumm und wandte den Kopf. Doch Tharah sah den bangen, erwartenden Ausdruck in dem Antlitz der Mutter, sie wußte, daß sie sich selbst betrog, aber sie versetzte:
»Es sind nicht alle Christen, wie Du fürchtest, Mutter. Denke an die Tochter des Wächters vom Frankfurter Thor, die sich unserer erbarmte und zu uns kam aus Menschlichkeit.«
Isaschar fuhr aus seinem Brüten auf. »Was ist's mit dem Mädchen?« fragte er, »macht sie eine Ausnahme ihres Glaubens und ihres Geschlechtes, daß sie muthig ist und mitleidig? Es hat warm von ihr gesprochen der kluge Thubal und gesagt, sie sei ein Freund in der Noth.«
»Wo ist Thubal? Wär' er hier mit seinem Rath! Was kann uns helfen ein schwaches Mädchen in unserer Noth?« klagte Lea.
Allein Tharah entgegnete schnell: »Hat sie doch Hellem, meinen Bruder, gerettet, der ins Verderben gefallen wäre, ohne sie. Was hat Thubal von ihr gesagt, Isaschar? er ist fortgegangen mit Sybille aus unserem Hause.«
Der Greis berichtete die letzten Worte des Arztes; Tharah hörte aufmerksam zu. Sie stand und sann, als er ausgesprochen.
»Es ist Mittag vorüber,« erwiederte sie langsam und nachdenklich, »aber es ist dunkel, fast wie am Abend.«
»Mittag vorüber,« wimmerte die Mutter, »und ich bin hülflos in meiner Schwäche. Sie werden Glauben schenken der Anklage und Du wirst eine Waise sein, Tharah, wenn die Nacht kommt.«
»Sie werden zurückkommen, Mutter, daß wir fliehen von hier, wenn die Nacht kommt,« antwortete das Mädchen mit pochendem Herzen, doch die Alte brach in Thränen aus.
»Der Herr hat mich geschlagen mit seiner Hand, weil mein Herz sich auflehnte wider ihn,« schluchzte sie, »wohin soll ich gehen? Mein Fuß ist ohnmächtig.«
Sie wollte sich aufrichten, aber sie fiel kraftlos in den Sessel zurück. Immer unruhvoller wogte der Busen der schönen Tharah, sie fühlte, daß vor dem jammervollen Anblick die Stärke und die Hoffnung in ihr wie Wachs zerschmolz und sie flüsterte hastig:
»Bleib bei ihr, Isaschar, und tröste sie; ich will gehen und die Befehle meines Vaters ausführen, denn ich bin nur ein Weib und muß die Gedanken verjagen aus meinem Kopf, daß die Verzweiflung nicht über mich kommt.«
Sie verließ das Gemach und stieg in das zweite Stockwerk zu ihrer nach hinten gelegenen Schlafkammer hinauf. Ein heimlicher Duft durchwogte den stillen Raum, dessen Ausstattung an Kostbarkeit fast noch die der unteren Zimmer übertraf. Mit Sammetvorhängen umzogen, stand das jungfräuliche Bett in der Mitte; die seidenen Kissen lagen unberührt von der letzten Nacht, eine Purpurdecke überfloß, bis an den Boden niederfallend, wie ein königlicher Mantel das Lager. Tharah eilte daran vorbei, sie wußte nicht, was sie wollte; mit gedankenloser Hand häufte sie Perlenschnüre und Juwelen auf und warf sie wieder hin. Fürstliche Schätze waren es, die sie gleichgültig hervorzog und fallen ließ, mechanisch banden ihre Finger sie endlich in ein seidenes Tuch zusammen, ihre Augen schweiften umher und blieben auf dem Lager ruhen. Sie wußte nicht, was mit ihr geschah, sie fühlte nur, daß ihr Herz heftiger zu klopfen begann und daß ihr das Blut in die Schläfen stieg. Als kämen sie zum Ersatz des Schreckens und der Angst der letzten Tage, tauchte es in seltsamen Gaukelbildern auf und zog süß betäubend an ihr vorbei. Ungerufen erschienen sie, und sie wollte dieselben verscheuchen mit der Hand, die sie über die Stirn bewegte, mit der langen, dunklen Wimper, welche sie hastig auf die erzürnten Augen herabschloß. Immer wieder kamen die verhaßten, wonnevollen Bilder – es war die hohe Jünglingsgestalt dessen, den sie Bruder nannte, der ihr Geliebter geworden, für den Lea, ihre Mutter, sie geboren, und er kam in weißem, festlichem Gewande mit einem Lächeln auf der Stirn, und mit trunkenen Blicken suchte er umher und faßte den Sammetvorhang des geschmückten Bettes. Aus der Ferne tönte ein verhallender, feierlicher Gesang, dazwischen klang helles Saitenspiel, wie die Harfen, die an den Ufern des Jordan das Hochzeitslager der Könige von Jerusalem umtönten – die schöne Tharah schrie in entzückter Verwirrung auf, sie hatte irgend einem Gedanken nachhängend ihre Kleider gelöst – es war ihr, als ob Hellem, ihr Bruder, ihr Geliebter, wirklich durch die Thür gekommen und mit ausgebreiteten Armen auf sie zuschreite, und sie bog sich schamerglühend neben dem Lager zusammen und barg ihre blendende, fessellose Brust mit dem dunklen Sammet des Vorhangs, der wie Nacht über schneebedeckte Bergeskuppen auf den weißen Busen und Nacken herabfiel.
Doch es war nicht Schnee und nicht Eis, das unter dem schwarzen Sammet ängstlich-wonnevoll zitterte, ein schönes, glühendes, bebendes Weib war es, über dessen Seele und Leib plötzlich die geheimnißvollste Sehnsucht des Lebens hereingebrochen, und ein Schauer rann durch ihre Glieder, aus denen zärtliche Träume aufblühten wie duftende Kelche aus den fließenden Wassern des Morgenlandes und sich mit verlangenden Armen verschlangen. Umstrickt war sie von dem eigenen Zauber ihrer Gestalt, den der hohe Metallspiegel vor ihr in üppiger Schönheit zurückwarf, es lag wie Rausch um ihre Sinne und entrückte sie der unheilvollen Gegenwart. Ihre rothen Lippen öffneten sich, und wie Kreide aus hellfarbigen Korallen lachten ihre schimmernden Zähne hervor; sie spielte wie ein Kind mit dem schwarzen Haar und zog es blinzelnd über die funkelnden Augen, die von mattem Glanz überflossen, und ihre feuchten Lippen hauchten sehnsüchtig zu den fernen Klängen hinüberhorchend:
»Da ist die Stimme meines Freundes, der anklopft: Thue mir auf, meine Schwester, meine Taube, denn mein Haupt ist voll Thaues und Nachttropfen perlen in meinem Haar –«
Hätte das Thorwärtertöchterlein sie jetzt gesehen, sie hätte die goldene Frucht erkannt, mit der die Töchter Israels die Christenknaben an sich lockten, daß sie folgen mußten, wohin die verzehrenden Augen sie fortzogen; die das träge Blut des Nordens in ihnen entzündeten und mit ihrer Gluth tödteten, wenn sie wollten, wie der Tiger mit brennendem Athem die rohe Kraft seines stärkeren Feindes lähmt. Schöner war die verachtete Tochter des Ostens im königlichen Hermelin der Schöpfung, als alle Fürstinnen Europas im Kronenschmuck des Purpurgewandes und des blitzenden Diadems, denn sie war wie die Göttin der Liebe, von der das Volk der Schönheit an den Ufern des Ganges sang, daß Mahadöh geweint, als er sie erblickt, und seine Thränen zu unendlichen Sternenwelten geworden durch die Zauberkraft ihrer Augen.
Plötzlich fuhr das bis zur geistigen Ermattung, zur Sinnesbetäubung gehetzte Mädchen aus dem Gaukelspiel seiner Sehnsucht auf. Lauschend wie ein Reh neigte sie die Stirn vor, und die süßen Träume des Glücks fielen wie Schleier von ihrem Ohr und ihrem Auge. Entsetzt, von Erinnerung aufgescheucht, fuhr sie empor; über die Dächer wimmerte es verhallend heran, dann klang das Geläute stärker von allen Seiten, und alle Glocken der hilligen Stadt Cölln begannen wie im Sturm zu heulen. Sie warf einen Blick durch das Fenster, neben dem sie stand, das auf einsame Dächer hinausging. Tiefer Frieden lag darüber, nur der Nebel strich im Zugwind wie an Bergeshängen daran entlang; er wurde dünner nach oben, daß die Helle des Tages durchzuschimmern anfing, doch nach unten verdichtete er sich immer mehr. Tharah starrte darauf hin, sie wußte nicht was sie dachte. Sie sah eine Katze, die über den Dachrand vor ihr schlich, wie sie behutsam die Füße setzte und sorgfältig herabsteigend am Hinterrande des Nachbarhauses verschwand. Sonderbare Vorstellungen mischten sich mit der Aufmerksamkeit, mit der Tharah das kriechende Thier betrachtete. Sie beneidete die Geschicklichkeit desselben und empfand zugleich einen heftigen Drang, der Katze nachzuahmen. Der Gedanke, der sie veranlaßt hatte, sich zu entkleiden, kam ihr zurück und mit ihm das verworrene Gedächtniß, daß sie hinausgewollt hatte in der letzten Zeit und das Ghettothor verschlossen gefunden. Dann rief eine Stimme in ihr, daß Thubal gesagt, ihre Christenfreundin sei ein Freund in der Noth, und man werde sie nicht aus dem Hause, aus der Judengasse fortlassen. Sie fühlte, sie mußte hinaus, – die Glocken tobten immer drohender, es war etwas Ungeheures, das sie ankündigten, sogar der Gesang in der Synagoge brach ab und erstarb. Mit fiebernden Händen faßte sie die kostbaren Gewänder, die vor ihr hingen, und riß sie zu Boden; sie suchte immer hastiger, bis sie ein seltsamgeformtes, dunkles Kleidungsstück, das unter jenen verborgen hing, gefunden. Werthlos erschien es gegen den Reichthum der übrigen, doch sie stieß einen leisen Freudenruf aus und schlüpfte hinein. Es war kein weibliches Gewand, wenigstens keins, das die Frauen im Abendlande trugen. Weite bis auf den Fuß herabfallende Beinkleider, an die sich oben eine bauschende Jacke schloß, war es das Kostüm der Bewohnerinnen des Orients, das die Gesetze den Jüdinnen nicht öffentlich anzulegen und nur heimlich hie und da in ihren Häusern zu tragen verstatteten. Es waren wenige Secunden, dann war das schlanke Mädchen, ihr langes Haar unter einer enganschließenden Kappe verbergend, in einen jungen Bürger, dem die Tracht sie im Halblicht ähnlich machte, verwandelt. Sie erschien kleiner als zuvor und ihre Handlungen, wie von der männlichen Kleidung beeinflußt, sicherer, entschlossener. Rasch trat sie an das Bett, über das ihre Träume hingegaukelt. Nebel hatten diese umhüllt wie draußen die Dächer; die bittere, starre, unerbittliche Wirklichkeit hatte die Bilder des Verlangens mit eisiger Hand zerdrückt und die Harfenlieder mit ihrem Athem erstickt, und sie riß die seidenen Tücher herab und zerriß sie in Stücke wie die bräutlichen Hoffnungen, die sie daran geknüpft. Und sie knüpfte die Stücke zusammen, wie die unbewußten, ahnungsvollen Hoffnungen, die sie mit ihnen verwob; mit den Zähnen, die vorhin so geheimnißvoll hervorglänzten, prüfte sie sorgsam die Stärke der seidenen Knoten, an denen ihre Zukunft hing, und befestigte das Tuch sorgsam am Rande des Fensters. Es reichte bis auf das platte Dach des niedrigen Hauses, an das die Katze sich niedergeschwungen, hinunter, – noch ein Augenblick unwillkürlichen Zauderns und das Schlafgemach der schönen Tharah war leer. Das unter ihrem Gewicht zusammengeschnürte Tuch schnitt ihr in die Finger, doch es hielt, und ihr Fuß berührte das Dach und bewegte sich schnell und behend wie sein Vorbild darüber hin. Der Nebel wogte heran und umwallte sie mit seinem weißen Mantel, daß sie zurückblickend kaum mehr das flatternde Tuch hinter sich aus dem Dunstgewebe hervorschimmern sah. Sie verfolgte den Weg, den die Katze genommen. Plötzlich wich der Boden vor ihren Füßen und sie sah in die graue Leere hinab, doch eine vorspringende Zacke führte nach unten, der sie sich besinnungslos vertraute, dann fand ihr suchender Fuß absteigend eine zweite und wieder eine, – sie glitt weiter und stieß, ehe sie es erwartete, auf festen Grund und stand aufblickend in einer engen, ihr unbekannten öden Gasse. Eilig prägte sie sich die Stelle mit Merkmalen ein, an der sie die Erde erreicht, und lief in gerader Richtung durch den Nebel, der kaum auf fünf Schritt etwas erkennen ließ, fort.
Es war eine seltsam unheimliche Sprache, welche die Glocken von den Thürmen verkündeten. Es klang, als redeten sie gegeneinander und schleuderten sich tönende Geschosse entgegen; sie begannen ernst und feierlich, wie Hülferuf, doch allmälig wurden sie von anderen übertäubt, deren Geläut sich schneller und wirbelnder, wie Rachegeheul über sie warf, so dröhnten sie über die hillige Stadt, in alle Häuser, an jedes Ohr, und wen sie gefaßt, den rissen sie dämonisch aus seiner Arbeit oder seiner Ruhe, daß er bestürzt auf die Gasse hinauseilte und fragte, was sei? Wenige wußten im Beginn eine Antwort; der Nebel vermehrte die Verwirrung und die Rathlosigkeit, doch ein dumpfes, dunkles Bewußtsein, daß der Aufruhr durch eine neue, himmelschreiende Unthat der verhaßten Ghettobewohner veranlaßt sein müsse, lenkte die Schritte der Müssigen, der Neugierigen, der Fanatischen in die Richtung auf die Judengasse zu. Die widersprechendsten Anschuldigungen durchkreuzten die Straßen; alle jemals gegen die Juden erhobenen Anklagen tauchten vereinigt auf. Um das Rathsgebäude und in den umliegenden Gassen war der wüthendste Haufen versammelt. Es war der Auswurf der niedrigsten Bevölkerung, widerwärtige keifende Weiber und frech-schöne Gesichter aus den Frauenhäusern führten das Wort.
»Hört ihn, hört, was der schöne, junge Mann sagt,« kreischten sie; »Gott segne Euer fürstliche Gnaden, er sagt, die Judendirnen rühmten sich, daß sie schöner und reicher seien, als wir.«
»Reicher sind sie,« fiel eine giftige Stimme ein, »reißt ihnen die Seide und den Putz vom Leibe, daß der Bocksfuß und die Hörner herauskommen.«
»Sie haben sündhaften Umgang mit dem Teufel und müssen ihm Blut vorsetzen, damit er sie umarmt – darum schlachten sie Christenkinder, – hier ist eine Mutter, der sie ihren Knaben gestohlen, hier sind angesehene Bürger, deren Brunnen sie vergiftet haben – stürmt das Ghetto – schlagt alle Juden todt,« heulte der Pöbel wild durcheinander.
Die Stimmen klangen gespenstisch aus dem Nebel, man sah die Lippen nicht, von denen sie kamen, die drängende Masse erstickte sich durch ihre eigene Zahl und wälzte sich nur langsam gegen ihr Ziel vor. Auf einer Mauerbrüstung stand derjenige, der dem Tumult die Hauptanregung gegeben. Der Schaum sprudelte ihm von den Lippen, so eifrig sprach er, den langen Raufdegen in der Hand schwingend.
»Die Juden sind durch die Hinterthür entwischt,« schrie er, »lauft, daß Ihr ihnen zuvorkommt, eh' sie ihren Schlupfwinkel erreichen. Zieht die Feuerglocken, ruft die freien Bürger zusammen, der Rath versammelt die Patrizier, um die Juden zu schützen!«
Die Menge stieß sich durch die engen Gassen, Gekreisch und Jammergeschrei gequetschter und unter die Füße getretener Weiber vergrößerten den Lärm. Sonore, männliche Stimmen erschollen dazwischen und Waffen durchblitzten den Nebel. Der Schultheiß stürzte baarhaupt durch das Gedränge.
»Haltet ihn, nehmt den Aufruhrstifter fest, ich befehle es,« rief er laut, »er ist der Thäter und des Todes schuldig.«
»Seht Ihr, sie kommen,« kreischte Graf Honfried; »die Patrizier machen Gemeinschaft mit den Juden, die Euch aussaugen, die Eure Kinder tödten, die Euch vergiften. Sie wollen Euch zusammen unterjochen, rächt Euch an Euren Bedrückern, die Zeit ist da! Stürmt das Rathhaus, stürmt das Ghetto, macht Euch zu freien Bürgern!«
Er sprang unter die aufbrüllende Masse hinab, die mit einer Woge die schwache Wächterschaar des Rathmeisters, welche dieser in der Eile um sich gesammelt hatte, durchbrach.
»Da hast Du meine Rache, alter Schwachkopf!« schrie der Edelmann, und traf mit der langen Klinge den grauen, entblößten Schädel des Alten, daß der Schultheiß stöhnend und ohnmächtig zu Boden fiel. Ueber ihn weg gingen die Füße der Rasenden und zerfetzten sein Gewand und zertraten mit ihm das Ansehen des Rechtes und der Gesetze der hilligen Stadt Cölln, und die brutale Gewalt begann ihre entzügelte Herrschaft. Niemand wagte Widerstand zu leisten, der Fall des ehrwürdigen Oberhauptes betäubte die schwache Zahl der Patrizier. Sie fühlten ihre Macht gebrochen, sich selbst mit dem Schlimmsten bedroht und entflohen in ihre festen, grabenumzogenen Wohnungen, oder suchten widerwillig in dem erzbischöflichen Palast Schutz und Gehör, während die Menge sich unaufhaltsam gegen das Judenquartier fortwälzte.
»Wir haben sie, – wir haben den Vergifter, – reißt ihn in Stücke, hängt ihn an seinem grauen Schurkenhaar auf!« heulte es aus einer entlegenen Gasse herüber. Ein Stoß riß die Hellebardiere auseinander, der schwächliche Amtsdiener stellte sich muthbeseelt vor seine Schützlinge und suchte die Angreifer mit stoischer Ruhe abzuhalten, aber plötzlich sprang ein riesenhafter Greis durch den Nebel auf ihn zu und warf ihn zur Seite. Er packte den alten Caleb, der, ihn wie eine Erscheinung anstarrend, einen irren Schrei ausstieß, und entwand ihm das Scheitelkäppchen und die gelbe Binde.
»Laß mich, laß mich den Fluch lösen von meinem Leben, Du wirst Dich retten für Lea und für Deine Kinder und für meinen Sohn,« stöhnte er, den willenlosen Caleb von sich schleudernd, der unter dem Getümmel zu Boden fiel und sich betäubt aufraffte und fortschwankte. Dann blickte Isaschar hastig um sich, er sah, daß der Jüngling das Durcheinander der kämpfenden Wächter benutzt und ohne ihn zu bemerken, dem verschwindenden Oheim gefolgt, – er richtete sich mit der Kappe auf dem greisen Haar und dem gelben Ring am Arm hoch empor und rief, den Hellebardieren Einhalt gebietend:
»Steckt ein Eure Waffen, – wenn sie den Sohn Samai's suchen, er ist hier! Was hat er gethan, daß Ihr schreiet nach ihm und hebet Eure Fäuste auf gegen ihn?«
Die Menge stutzte einen Augenblick vor der greisen, unbewehrten Gestalt, die ihr aus dem Gewühl mit furchtlos erhobener Hand entgegentrat, doch dann brach sie in verdoppeltes Tosen und Verwünschungen aus und zehn Arme streckten sich zugleich nach dem schutzlosen Gegenstand ihres Hasses. »Zerreißt ihn – werft ihn in den Brunnen, den er vergiftete – ersäuft alle Juden,« brüllte der Chor. Allein plötzlich sprangen einige Männer in dunklen, langen Gewändern mit Kapuzen, die ihnen von den bleichen, fanatischen Gesichtern herabgeglitten waren auf dem Nacken, hervor und riefen: »Halt!«
»Halt!« echoete die Menge, »hört, die ehrwürdigen Brüder von der Geißel wollen reden, hört sie!« Einer der Genannten faßte die Schulter des überwältigten Isaschar und machte ihn von seinen Bedrängern los. »Ihr seid im Irrthum,« rief er, »dieser ist kein Jude, er ist ein Christ, der Anführer unserer gottgeweihten Schaar, der Bruder Dominicus –«
Einen Moment ward es wieder stille, dann brach die Masse, aus ihrem Wuthgeheul ins Gegentheil umschlagend, in ein betäubendes Jubelgeschrei aus.
»Nehmt ihn auf Eure Schultern, er soll uns führen, das Ghetto zu stürmen, er kann Todte lebendig machen und Riegel mit seinen Lippen aufsprengen –«
Eine Secunde zuckte das gramdurchfurchte Antlitz des Büßers in wilder, leidenschaftlicher Aufregung. Sein verlorenes Leben flog an ihm vorbei, alle Qual, alle Angst zwanzig langer Jahre, für die ihm kein Ersatz geworden, als heute, wo sich die Zukunft vor ihm aufgethan und ihn angelächelt mit den Zügen derer, die ihn von sich gestoßen – – – Unsagbar namenlos kämpfte die Lockung, die Lust des neuen Lebens, das der Gott, von dem er sich gewandt, ihm zurückgegeben in seiner Seele – die Versuchung flüsterte ihm mit schmeichlerischer Stimme, daß er die Horde lenken, vielleicht das Verderben abwenden könne von seinem Volk, und das Bild seines Sohnes und der schönen Tharah stieg vor ihm auf, in deren Armen er aus blühendem Glück, von lockigen Enkeln umringt, er, der Verfluchte, gesegnet hinüberschlummerte –
»Gott, Gott Jehova,« stöhnte er, »du machst schwerer mir das Opfer, als du es Abraham, deinem Knechte, gethan –«
Doch, wie er es sprach, flammte sein Angesicht begeistert auf, das Zaudern verschwand darauf und ein Freudenstrahl blitzte in seinen Augen und er fuhr, die Hände auf die Brust herabziehend, fort:
»Ich höre, was du, Abraham, deinem Knechte, verheißen, da er sich nicht von dir wandte und deinem Gebot – daß du seinen Samen segnen und mehren wolltest wie die Sterne am Himmel, wie den Sand am Ufer des Meeres, und daß er besitzen soll die Thore seiner Feinde, und ich sage dir, wie er, hier bin ich« –
Seine Stimme schwoll enthusiastisch an, wie er mit sicherem Tone gegen die Menge gewendet, hinzusetzte:
»Gott Jehova, du weißt es, daß sie sagen falsches Zeugniß von mir. Ich bin kein Christ, ich bin ein Jude, der Sohn Samai's des Gerechten, und will halten an dem Glauben meiner Väter –«
Die verwirrten Geißler vermochten dem Andrang der ergrimmten Rotte, die sich auf ihr Opfer zurückwarf, nicht zu wehren.
»Halten an dem Glauben meiner Väter,« wiederholte der Greis mit erstickender Kehle unter den Fingern, die seinen Hals zusammenschnürten und ihn erwürgten, während blutgierige Weiberhände sich nach seinem weißen Bart und Haar ausstreckten und es zerrauften und das blauunterlaufende Gesicht mit den Nägeln zerfleischten.
»In den Brunnen,« schrie der rachgierige Pöbel, und sie schleiften den leblosen Körper heran und stürzten ihn über den Steinrand, daß er plätschernd in der Tiefe aufschlug, und die Horde wälzte sich weiter gegen das Ghetto.
»Es ist der Erste, – viertausend Juden sind in der Stadt, – laßt sie folgen, – Einer ist entwischt, es waren Zwei,« tobten die Stimmführer, »fort zum Judenthor, – laßt die Stadtthore schließen, daß Keiner entrinnt, bewacht den Rhein, die Schiffe, hurtig.«
Aus einer anderen Gasse wogte jetzt ein gleicher, zahlloser Schwarm, von Graf Honfried geführt, hervor und ergoß sich mit dem ersten in die breitere Straße, die auf das Ghetto zu leitete. Bewohner des letzteren, die sich hervorgewagt, um Erkundigungen einzuziehen und sie ihrem durch das allgemeine Getöse alarmirten und hinter dem Thor gedrängt harrenden Volk zu überbringen, flohen scheu in ihren langen Röcken vorauf. Unter ihnen war Caleb, den Hellem fast wie ein Kind mit sich fortzog; sie hatten den nächsten Weg eingeschlagen, Niemand gab auf sie Acht, sobald sie dem Gemenge entronnen, und der Nebel verbarg ihre verrätherische Kleidung. Nun ertönten die Verwünschungen des ungehemmt vorwärts eilenden Haufens wieder dichter in ihrem Rücken und sie begannen zu laufen. Steinwürfe folgten ihnen nach, sie waren fast erschöpft, die Brust des Alten keuchte.
»Vorwärts, Stotterhans,« schrie Graf Honfried, den Junker, den das Gedränge plötzlich durch Zufall an seine Seite gebracht, an der Schulter packend, »hast Du Deinen Rausch noch nicht ausgeschlafen, Kerl? Die Canaillen schlagen uns das Thor zu und es wird Nacht, ehe wir zu ihren Weibern und ihrem Gold kommen!«
Hans Stockhard stieß einen Fluch aus und verdoppelte seine Anstrengung. »Wär' Ku – Kunz Eppstein noch da, der ko – konnte laufen,« stotterte er. »Wart', alter Wu – Wucherer, ich faß' Dich am Zi – Zipfel,« ächzte er athemlos, die Hand nach dem flatternden Rockschoß Caleb's, den er fast erreicht hatte, ausstreckend.
»Soll ich Dir helfen, Junker?« rief Honfried, der hart hinter ihm lief; »da hast Du ihn!« Er gab ihm einen Stoß mit der geballten Faust in den Rücken, daß der Getroffene vorwärts schoß und das Gewand des Juden, der gerade am Thor angelangt war, packte; doch im selben Augenblick schrie Hellem den dahinter Versammelten ein paar Worte in ebräischer Sprache zu, das Gitter kreischte und schlug dem nachstürzenden Edelmann entgegen, der sich kraftvoll dawider stemmte, allein die Eisenstangen fielen ins Schloß, die Riegel klirrten von Innen vor und Hans Stockhard, der nicht mehr inne zu halten vermochte, war mit den für eine Weile gesicherten Juden im Ghetto gefangen.
Der Troß des Pöbels, der hinter dem Grafen eintraf, heulte auf, als er das Hinderniß seines Rachdurstes gewahrte.
»Sie haben den bravsten Kerl drinnen, den einzigen Patrizier, der mit Euch gemeinschaftliche Sache gemacht hat,« schrie Honfried, »rettet ihn, brecht das Thor auf, werft die Pfeiler um, sie ermorden ihn!«
Doch die massiven Steinpfeiler waren fest und wichen nicht; hinter ihnen zu Hunderten stand die männliche Bevölkerung des Ghettos, zum großen Theil unbewaffnet, aber mit kühnen, entschlossenen Gesichtern, ihr Asyl zu vertheidigen und ihr Leben theuer zu verkaufen –
»Brecht von der Seite ein in die Häuser,« befahl der Edelmann, und die Eifrigsten stürzten in die benachbarten Gebäude und zerhieben ihre ins Judenanartier hinüberblickende Seitenwand; doch auch hier begegneten sie kampfbereiten Armen seiner Bewohner, die ihnen Steine und Geräthe entgegen schleuderten, und ein augenblicklicher Stillstand trat während der Berathschlagung der erfolglosen Angreifer ein. –
Je aufgeregter die Bevölkerung Cöllns sich hier zusammendrängte, desto leerer und fast einsam war es in den Gassen, durch die der zierliche, verwandelte Judenknabe seinen Weg verfolgte. Tharah wußte nicht, was sie wollte, was sie hoffte; mechanisch lief sie immer schneller vorwärts, bis sie die Frankfurter Thorstraße erreichte. Allmälig mit dem Lärm, der hinter ihr erstarb, ward ihr Herz ruhiger; ihr war, als ob sie aus einem fürchterlichen Angsttraum zu erwachen im Begriff stehe, und ihre Vernunft begann wieder ihr Recht zu behaupten. Die Besorgniß Sybillens, als sie von dem Vater derselben geredet, kam ihr ins Gedächtniß, und sie suchte vorsichtig nach den Rosen und Myrthen, von denen Thubal und Isaschar gesprochen. Der Nebel überzog Alles mit grauem Gewebe; ängstlich entdeckt zu werden, schritt Tharah an dem Thorwärterhause vorüber, und die grauen, festen Steinpfeiler tauchten vor ihr auf. Da wehte ihr aus dem Winkel ein süßer Duft entgegen, sie blickte hastig auf und über ihrem Kopf nickten helle Moosrosen aus einem halb geöffneten Fenster herab. Sie erhob sich auf den Zehen und flüsterte: »Thubal!« doch es kam keine Antwort; und wieder rief sie, aber Alles blieb stumm, nur im Innern des Hauses knarrte eine Thür. Dann nach einer Weile, die der Lauscherin wie eine Stunde erschien, ertönte die helle Stimme Sybillens, welche fragte:
»Was bedeuten doch die Glocken, Vater? Es muß ein großes Feuer in der Stadt sein, sie läuten von allen Seiten.«
Und wieder eine Pause wie eine Ewigkeit, bis die grämliche Stimme des Alten erwiederte:
»Ich denke, sie heizen den Juden einmal ein, Kind, ich habe munkeln gehört, – Du weißt, daß sie die Pest über uns gebracht; ich wollt', ich wäre dabei, wenn sie es ihnen heimzahlen, dem reichen Gesindel. Aber ich kann das Thor nicht verlassen, ich bin ein geplagter Mann, Kind, während sie sich auf ihren Goldsäcken wälzen in der Judengasse. Wirst schon anders denken, wenn der Hochwürdige öfters zu uns kommt, wie er mirs gestern versprochen, und Dir den Teufel des Mitleids austreibt, der in Dich gefahren,« fügte er mürrisch hinzu, während Sybille aufseufzend die Thür ihrer Kammer hinter sich schloß und ans Fenster trat. Sie blickte nachdenklich mit den klugen Augen zwischen den Rosenstöcken durch in den grauen Vorhang des Himmels hinaus.
»Thubal!« flüsterte es halblaut dicht unter ihr, und sie fuhr auf und bückte sich hinunter.
»Wer bist Du? Was bringst Du mir von ihm?« fragte sie hastig den Knaben.
»Sybille, wir sind in Gefahr,« antwortete Tharah leise, die Mütze von ihrer Stirn etwas zurückschiebend und in die treuherzigen Augen des Mädchens emporschauend, das einen unterdrückten Schrei ausstieß und die Finger auf die Lippen legte.
»Warte, Tharah, meine schöne Schwester,« murmelte sie, »ich komme. Es muß eine große Gefahr sein, daß Du selbst, daß Du so zu mir kommst.«
Sie hatte blitzgeschwind die Rosen und Myrthen sorgsam zur Seite geschoben und stand, sich lautlos herabschwingend, neben Tharah auf der Straße. Liebevoll faßte sie den Arm der Jüdin und zog sie in weitem Bogen an dem Fenster ihres Vaters vorüber. »Sprich,« sagte sie, mit ihr die Gasse hinabschreitend, »was ist geschehen, wie kann ich Dir helfen?«,
Athemlos erzählte Tharah; das Thorwärtertöchterlein ward immer nachdenklicher und ging immer schneller. Endlich hatte Tharah Alles berichtet, sie waren wieder in die Mitte der Stadt gelangt, die von eilig drängenden Menschen wimmelte. Geschrei ertönte um sie her: »Sie erstürmen das Ghetto, sie verbrennen die Juden; der Rath hat die Juden freigesprochen, nieder mit den Patriziern, mit den Wucherern!«
»Wir sind verloren,« stöhnte Tharah, »sie werden meine hülflose Mutter tödten, sie haben meinen Vater, meinen Bruder, und morden ihn –«
»Komm,« erwiederte Sybille ruhig, »sei ein Mann, wie Deine Kleidung, und führe mich, damit sie Dich nicht verräth. Dein Vater und Dein Geliebter müssen gerettet sein, Du hörst es.«
Sie verstummte wieder und zog die schwankende Tharah am Arm mit sich fort. Sie sprach leise, erwägend mit sich selbst. »Nichts ist verloren, so lange man lebt,« murmelte sie, »ich bin stark, Du hast auf mich gebaut, ich danke Dir –«
Plötzlich jubelte sie auf. »Nur er kann retten,« fuhr sie mit leuchtenden Augen fort, »er hat mir sein Wort gegeben, wie ich Dir, und er ist ein Mann, – komm,« und in dem klugen Köpfchen des Thorwärtertöchterleins baute sich ein hastiger Plan auf, dessen Glieder sie besonnen zusammenfügte wie ein Baumeister und sie lief immer schneller. Die Gassen wichen zurück, ein freier, breiter Raum dehnte sich vor ihnen aus, über den ein brausendes Geräusch aus dem Nebel kam.
»Könnt Ihr mir sagen, wo Franz Waldhofer, der Schiffszimmermeister, wohnt?« fragte Sybille gleichgültig einen Matrosen, der an einem Haufen übereinander gethürmter Balken am Rheinufer gelehnt stand.
»Drüben«, antwortete er, mit der Hand nachlässig auf ein Häuschen dicht neben ihnen hinwinkend; »wird wohl jetzt keine Zeit für Jungfern haben, die Judenschlacht geht los.«
Dem Mädchen fuhr ein Stich durchs Herz. »Glaubt Ihr, daß er dabei ist?« versetzte sie hastig.
»Weiß nicht,« lachte der Schiffer, »ist ein sonderbarer Kauz, glaube fast, daß er das Gold der armen Schelme liegen ließe, wenn er es nur aufzuheben brauchte. Seht zu, ob er da ist; ich muß Acht geben daß hier Keiner zu Boot entwischt.«
Er wandte sich ab, dem Fluß zu, von dem ein Geräusch herauferscholl, und Sybille ging mit ihrer Begleiterin rasch auf das bezeichnete Haus zu. Von dem Vorraum desselben tönte ihnen ein fröhlicher Gesang, mit gewichtigen Axthieben untermischt, entgegen. Das große Kind stand eifrig bei seiner Arbeit, und der Lärm, den seine Hände verursachten, übertäubte in der verhältnißmäßig friedlichen Gegend vor seinem Ohr allen Aufruhr, unter dem die hillige Stadt Cölln erbebte.
Sybille drückte ihrer Gefährtin die Hand; »warte,« sagte sie leise und trat auf den jungen Bürger zu. Er war eben im Begriff, einen mächtigen Streich zu führen, als er das Beil aus der Hand niederfallen ließ und das aus dem Nebel auftauchende Mädchen wie eine Erscheinung anstarrte. Dann zog er ein großbeblümtes Tuch aus der Tasche und fuhr damit eilig über seine schweißbedeckte Stirn.
»Jungfer Sybille Reinbacher,« stammelte er, »Ihr seid es, Jungfer?« und er legte zögernd seine staubbedeckte Rechte in die dargebotene Hand des Mädchens.
»Meister,« sagte sie freundlich, »habt Ihr ein Schiff, daß Ihr mich auf dem Rhein fahren könnt?«
Er sah sie verlegen an. »Euch?« fragte er verwundert.
»Auch wenn es gefährlich wäre, – auch wenn es Euer Leben kosten könnte?« setzte sie lächelnd hinzu. »Ich möchte nach Rotterdam.«
Er machte einen Sprung. »Nach Rotterdam, mit mir?« stieß er ungläubig aus.
»Und weiter, wohin Ihr mich bringt, wenn Ihr mich weiter mitnehmen wollt,« fiel sie ihm ins Wort; »aber ich kann mit nichts bezahlen, als mit mir selbst, Waldhofer –«
Seine ehrlichen Augen glänzten freudig und staunend in ihr Gesicht. Er verstand und verstand doch nicht, wagte nicht zu begreifen. Aber er fühlte, daß das Mädchen dem Zug seiner Hände, die ihre beiden gefaßt hatten, nachgab und sich zu ihm bewegte. Sein kräftiger Arm erhob sich zitternd und wollte sich um den Nacken Sybillens legen, doch bevor er es vermochte, hatte sie die kleine Hand um seinen Hals geschlungen und sagte:
»Franz, guter, treuer, redlicher Franz,« und sie hob sich an sein Ohr und flüsterte beredt, athemlos, immer geschwinder, – aus dem Köpfchen des Thorwärtertöchterleins baute der kluge Plan sich eilig hinüber in das fast verwirrte, verständige Gehirn des großen Kindes, das stumm mit weit aufgerissenen Augen zuhörte, bis es sich niederbeugte und als Schlußstein einen kräftigen Kuß auf die rothen, beredten Lippen drückte. Dann warf der Zimmermeister sein Schurzfell von sich und ging, ohne ein Wort zu entgegnen, mit seiner Gefährtin, die vor dem Hause Tharah schweigsam am Arm faßte und sagte:
»Jetzt mußt Du uns führen, schöne Schwester,« und eilig schritten die Drei wieder vom Rhein ab in die Stadt hinein, dem verworrenen Getöse zu. Oft hinderte die strömende Menschenschaar ihren Fuß, aber der muskulöse Begleiter brach seinen Gefährtinnen Bahn. Eine andere, wolkige Masse von tieferer Färbung vermischte sich jetzt mit dem Nebel, ein brandiger Geruch erfüllte die Luft. Wie sie um eine Ecke bogen, schlug durch den Qualm ein röthlicher Flammenschein über den Dächern auf.
Tharah blieb jammernd stehen. »Feuer, sie werfen Feuer in das Ghetto, – wehe, – wehe,« schrie sie entsetzt, wie von Schreck gelähmt, doch Sybille riß sie fort.
»Vorwärts, den Weg, zeige uns den Weg,« rief sie entschlossen, und sie kreuzten die Straße, welche auf das Judenthor, das in ein Flammenmeer gehüllt schien, zuführte, und wandten sich links mit jener parallel, bis sie die enge, menschenverlassene Gasse erreichten, durch welche Tharah in ihrer Aufregung, der Katze nachahmend, entflohen war.
Das Ghettothor leistete noch immer Widerstand, obwohl es von beiden Seiten von hochzüngelnden Flammen umleckt war. Niemand wußte, wer den Brand in die benachbarten Häuser geworfen; sie loderten fast zugleich auf, und die rasende Masse stieß ein jauchzendes Gebrüll aus. Das Judenquartier besaß nur den einzigen Zugang; es bildete eine lange Sackgasse mit Erweiterungen, die ringsum von der Christenstadt durch steilwandige Hintergebäude ohne Thüren und Fenster im ersten Stockwerk abgeschieden war, so daß ein Entrinnen der Bewohner, mindestens in größerer Anzahl, unmöglich schien. Allein eben so schwierig war es für die stürmende Rotte, von anderer Seite sich eine Bresche zu öffnen, und deshalb versammelten sich Alle, die Haß, Fanatismus und Habgier antrieb, sich an dem Vernichtungswerk zu betheiligen, vor dem Thor und suchten den Zugang durch dasselbe zu erzwingen.
Von Innen kämpften die Bedrohten mit der Anstrengung der Verzweiflung. Sie sahen ihren Untergang vor Augen, wenn das Gitter nachgab, und strebten von Minute zu Minute, es zu halten. Sie schleuderten einen Steinregen gegen die Köpfe der Angreifer, unter deren Axthieben die Eisenstangen sich bogen und krachten; die Weiber schleppten Geschirr und werthvolle, schwere Gegenstände durcheinander aus den Häusern herbei, um sie als Wurfgeschosse zu vertheilen; verrostete Waffen, die als unbrauchbar in den Handel gerathen waren, da es den Juden untersagt war, neue zu führen, wurden aus den Kammern gezogen und die Männer mit ihnen bewehrt, die sie ungeschickt, aber muthig handhabten. Denn die zähe Hoffnung, die sie in dem Elend des täglichen Daseins aufrecht hielt, erlosch auch jetzt nicht in den Herzen der Unglücklichen, – sie hofften auf Jehova, der ihren Vätern gelobt, sie zu schirmen in der Noth, sie hofften auf den Rath, der ihnen Schutz versprochen, auf den Erzbischof, der den Friedensstab des Himmels führte, und sie harrten eines Wunders, das kommen sollte.
Sie thaten es vertrauensvoll in dem Augenblicke, wo der Stellvertreter Christi sich aus dem Brokatsessel an der erzbischöflichen Tafel erhob und den Rathsmitgliedern entgegentrat, die um seinen Beistand flehend in den Saal stürzten. Weinlaunig schwankte der Kirchenfürst im nachschleppenden Purpur ans Fenster, stieß es auf und blinzelte in die rothe Gluth hinüber, die, den Nebel durchbrechend, sich wie eine flammende Säule über den Dächern erhob:
»Es sind nur Juden, die doch in die Hölle kommen, ob früher oder später,« stammelte er lachend, »es ist ein gutes Werk, ein heiliges Werk, meine Gläubigen, denn sie haben unseren Erlöser gekreuzigt. Gebt Wein her, trinkt mit uns, Ihr Herren –«
Und er ergriff, sich an den Sessel stützend, einen gefüllten Humpen und leerte ihn bis zum Grund.
»Auf das Wohl aller guten Christen, die unserer heiligen Kirche den Zehnten von dem Wuchergold entrichten, das sie aus den Kellern der Ungläubigen hervorscharren,« lachte er taumelnd unter dem Beifall seiner geistlichen Tischgäste und warf den Pokal dröhnend auf die Tafel.
Und dröhnend in dem Augenblick stürzte der letzte Schutz der Bedrängten, das Ghettothor, zusammen.
Der alte Caleb hatte, mechanisch den gewohnten Weg verfolgend, sein Haus erreicht, das stumm und verödet dalag. Die Mägde waren auf die Straße geflohen, nichts regte sich in dem weiten Gebäude, nur Lea saß auf ihrem Stuhl in der Mitte des großen Gemaches und murmelte mit den Lippen. Sie richtete den Kopf kaum empor, als Caleb eintrat, und fragte nicht; ihr Auge war irrsinnig, nur ein kindisches Lachen spielte um ihren Mund, wie sie ihn gewahrte. Auch der Greis redete nicht; dumpfbrütend setzte er sich neben die Gefährtin seines langen, bedrückten Lebens und legte die Hände über die hohe Stirn. Er haderte nicht mit seinem Geschick, wie er es am Morgen gethan, er ergab sich in den Willen Jehova's und bereitete sich auf das Letzte. Nur zuweilen glitt sein Blick auf das furchtbare Bild neben dem Kamin und sein Gesicht nahm den schreckensvollen Ausdruck des greisen Mannes an, der erstickend im Todeskampf aus den zusammenstürzenden Trümmern aufrang.
»Thubal,« murmelte er mit abwesendem Geiste, »Thubal,« und dann horchte er auf das Getöse, das von unten näher heraufdrang. Er unterschied die Stimme seines Sohnes, welche begeistert die Uebrigen anfeuerte. Das Waffengeklirr wurde lauter.
»In Eure Häuser, in die Synagoge,« tönten Rufe, denen andere erwiederten: »Zündet weiter an, – vorwärts, – ins Feuer mit den Juden!«
Hellem kämpfte wie ein Wahnsinniger an der Spitze seines Volkes. Die Uebermacht der Angreifer drängte ihn zurück, aber er wich Schritt für Schritt, denn auch sie wurden durch Gegenstände aller Art, die aus den Fenstern herabgeschleudert wurden, aufgehalten, und Mancher fiel. Andere drangen raubgierig in die bereits eroberten Häuser und wildes Jammergeschrei ertönte überall. Fliehende Mädchengestalten tauchten aus dem Rauch und verschwanden in den rasend um sich greifenden Flammen, oder stürzten sich von oben verzweifelnd auf die Köpfe der Stürmenden, um ihren nächsten Feinden durch freiwilligen Tod zu entgehen. Drunten packten die entmenschten Weiber sie, die mit dem Pöbel ins Ghetto eingedrungen, und ließen ihre bestialische Wuth an den Wehrlosen aus. Sie spien den Schönsten von den Unglücklichen ins Gesicht und rissen ihnen die Kleider vom Leibe, dann zerfleischten sie mit höhnischer Grausamkeit die verborgenen Reize ihrer Körper und zertraten mit den Füßen die jungfräulichen Brüste der wimmernden Opfer. Die Straße war mit Blutlachen und Leichen bedeckt; die Muthigsten der Stand haltenden Juden begannen zu erlahmen und flüchteten, alle Hoffnung aufgebend, zurück oder warfen sich in die aus massiven Steinen erbaute Synagoge. Hellem sah sich plötzlich fast allein dem Grafen Honfried, der kühn unter den Vordersten anstürmte, gegenüber. Er war bis an das Haus Caleb's zurückgedrängt, auf dessen geöffnete Thür der Edelmann, von ihm ablassend, zueilte, aber mit einem mächtigen Sprung schwang Hellem sich, einen Hieb über das Baret desselben führend, daß Honfried einen Moment betäubt inne hielt, auf die Treppe, warf die Thür ins Schloß, schob einen Riegel von Innen vor und eilte ins obere Zimmer hinauf.
»Wo ist Tharah? Ich tödte sie, ehe ich sie in die Hände der Christen fallen lasse!« rief er wahnsinnig.
Der alte Caleb trat ihm ruhig mit glänzenden Augen entgegen. »Ja, wo ist Tharah, meine Tochter?« sagte er feierlich, »nimm Deine Mutter mit der Kraft Deiner Jugend, wir wollen in die Synagoge gehen und sterben.«
Unten donnerten die Hiebe Honfried's gegen die Thür. »Beile her,« schrie er, »hier wohnt der reiche Caleb, Euch sein Gold, mir seine Tochter!«
Das todesmuthige Gesicht des Jünglings erblaßte bei den Worten. »Zu spät, Vater,« sagte er dumpf, »wo ist Tharah? Der Riegel hält so lange, daß wir hier zusammen sterben.«
Ein leiser Tritt schlich die Treppe hinunter und über den Flur auf die Thür zu. Es war der Fuß Hans Stockhard's, der bei seinem unbeabsichtigten Eindringen in das Ghetto von der Menge entwaffnet worden und von ihr unbeachtet in dem Getümmel dem alten Caleb gefolgt war, wo er sich, Entdeckung fürchtend, eh' seine Genossen herbeigekommen, in dem Dunkel des Flurs verbarg. Jetzt schlich er vorsichtig an die Thür, sein Schritt wurde übertönt von einem Krachen, das aus dem oberen Stockwerk herabkam.
»Bist Du es, Tharah?« rief Hellem aufhorchend.
»Sterben wir hier,« wiederholte der Greis ruhig die Worte des Jünglings, »tödte Deine Mutter und mich, mein Sohn, daß wir nicht fallen von Christengrausamkeit und geschändet werden –«
Aber eine kräftige Stimme hinter ihm unterbrach ihn. »Sterben kommt immer früh genug,« sagte sie bedächtig; »wo ist die Alte? Ihr müßt Euch selbst helfen.«
Und die herkulischen Arme Franz Waldhofer's faßten die alte Lea um den Leib und hoben sie wie eine Feder auf. Sie stieß einen Schrei aus und rang mit ihrer schwachen Hand; Hellem streckte wie betäubt vor der plötzlichen Erscheinung den Arm aus; eine dunkle Erinnerung blitzte in ihm auf, daß er das Gesicht schon einmal, er wußte nicht wann, und nicht, an welchem Ort, gesehen. »Wer bist Du? was willst Du?« keuchte er.
»Sybillen's Schatz,« antwortete der Zimmermeister stolz, sich mit seiner Bürde auf die Thür zu bewegend, »und ich muß die da retten, sonst giebt's keine Hochzeit, weil die Kleine es durchaus so will. Macht schnell, sie kommen schon.«
»Wo ist Tharah? Ich verlasse das Haus nicht ohne Tharah!« rief Hellem.
»Wenn's Eure Schwester ist, die Ihr meint, so ist sie drunten und wartet auf Euch,« versetzte der Retter in der Noth, die zweite Treppe hinaufsteigend, »sie muß klettern wie eine Katze in ihren Hosen. Eilt Euch, sie sind uns auf dem Hals. – Ihr sollt die Diamanten nicht vergessen, oben in der Kammer in einem Bündel –«
Er sprang trotz seiner Last die letzten Stufen hinauf; bei dem Wort »Diamanten« fuhr der alte Caleb, der ihm besinnungslos gefolgt war, auf und eilte schneller hinterdrein.
»Es ist eine kluge Tochter Israels, meine Tochter,« murmelte er, »sie hat nicht vergessen in der Gefahr ihre Mitgift; – wo sind die Juwelen meiner Tochter? was will er machen mit uns, der Mann –«
Unten auf dem dunklen Flur hatte Hans Stockhard den Riegel zurückgeschoben, die Thür gab nach und sein weißes Gesicht schimmerte hervor. Doch nur einen Augenblick, denn in der nächsten Secunde stürzte es von einem Schwerthiebe des hereinstürzenden Edelmannes getroffen mit Blut bedeckt zu Boden. »Ich ste – sterbe, Ihr habt mich getö – tödtet,« schrie er im Fallen.
Honfried stutzte einen Moment bei der Stimme. »Verdammt, Stotterhans, war es Euer Schädel, der unter meiner Klinge brach?« stieß er erstaunt hervor, »tröstet Euch, Junker, Ihr seid von einer adligen Hand gefallen, mehr könnt Ihr als Patrizier nicht verlangen – was wolltet Ihr mir auch bei der schönen Tharah zuvorkommen?«
Doch Hans Stockhard war es gleichgültig, von welcher Hand er gefallen, die Hand des Schicksals hatte ihn benutzt, diejenigen, die er verderben wollte, zu retten, ihre Verfolger um eine Spanne Zeit aufzuhalten, und sie warf ihn verächtlich von sich, daß er die Augen verdrehte, und mit den klaffenden Kopfknochen todt auf den steinernen Flur aufschlagend, Kunz Eppstein nachging.
»Schnell, Vater, sie kommen,« rief Hellem dem Alten zu, der in der Schlafkammer seiner Tochter nach ihrem Geschmeide umhertastete, während der Zimmermeister mit der hülflosen Lea auf dem Rücken, leise vor sich hin jodelnd, an den seidenen Tüchern sich auf das platte Dach niederließ, über welches Tharah zuvor entkommen. Polternde Schritte kamen die Treppe herauf und durchdröhnten die unteren Zimmer; der alte Caleb hatte das Bündel gefunden und sich durch Befühlen mit den Fingern von seinem Inhalt überzeugt. Er schnürte es ängstlich zwischen dem Gurt, der seinen Rock hielt, fest und ergriff mit zitternden Händen das hinabführende Tuch.
»Sie sind droben,« schrie Honfried, mit gewaltigen Sätzen die zweite Treppe hinanspringend. Hellem trat mit gezogenem Schwert, den Vater verdeckend, vor das Fenster. Der Edelmann war den Uebrigen voraus und stürzte allein in die Kammer.
»Hier ist das Schlafgemach der schönen Judendirne,« kreischte er wild frohlockend. »Halloh!«
Der Jüngling hatte den Kopf gewendet, er sah, wie der Alte, sich mühsam anklammernd, die Plattform des schützenden Daches erreichte und schwang sich rittlings auf die Fensterbank. Doch er zögerte, ein wahnsinniger Grimm gegen den frechen Mund, der das Haus mit dem Geschrei nach seiner Geliebten erfüllte, kochte in seiner Brust und er sah harrend die Klinge des Grafen auf sich zufunkeln, –
»Sie entrinnen, sie retten sich,« brüllte Honfried, »herauf, Ihr verdammten Plünderschurken!«
Von unten gellte Antwort, die Augen Tharah's stiegen vor den aufgeregten Sinnen Hellem's empor und blickten ihn flehend an, sich zu retten, der Rache zu entsagen. Er nahm sein Schwert in beide Hände und schleuderte es dem Edelmann entgegen, daß es, sich in in der Luft drehend, mit dem schweren Messingknauf auf die Stirn desselben traf, dann hing er über der Tiefe und ließ sich hurtig hinab.
Allein im selben Augenblick erschien der Kopf des Verwundeten, auf dessen Stirn eine faustgroße Beule emporschwoll, geiferschnaubend in der Fensterhöhlung. Sein Schwert konnte den Fliehenden nicht mehr erreichen und er hob es, um das seidene Tau zu durchhauen, – drunten auf dem Dach wendete sich der alte Caleb und stieß einen erschütternden Schrei aus, – die Klinge durchschnitt die Luft, aber sie fiel flach und kraftlos auf das kaum unter ihrer Wucht schwankende Tuch und Hellem sprang unverletzt auf den Boden nieder.
Honfried starrte ihm einen Moment bewegungslos nach; es zog ein plötzlicher Schleier über seine Augen und verdickte den Nebel, der die flüchtenden Gestalten umgab.
»Der Bube hat mich betäubt,« murmelte er, mit der Hand über die Stirn fahrend; er wandte sich heftig um: »Die Thore sind geschlossen, sie können nicht fliehen,« schrie er auf, »ihnen nach, durch die Straßen!«
Er machte den die Treppe Hinaufeilenden einen Schritt entgegen, tiefer von unten kam ein verworrenes Getöse und Stimmen riefen: »Flieht, rettet Euch!«
Es wurde eine Secunde still, nur ein knisterndes Geräusch unterbrach die lautlose Ruhe, dann stürzten die Schritte zurück und dröhnten eilig in das Erdgeschoß über den Flur.
»Feuer!« heulte die Menge auf der Straße, »das Haus des reichen Caleb brennt, – verbrennt das ganze Ghetto!«
Honfried stieß ein irres, satanisches Gelächter aus und taumelte an die Thür. Aber seine Knie brachen, seine Sinne wirrten phantastische Erscheinungen vor ihm auf. Er stierte auf die Purpurdecke, die das Lager Tharah's überzog, und ihm war, als ob ein bleiches Gesicht mit schwarzem Haar furchtsam unter ihr hervorlauschte. Er raffte seine letzte Kraft zusammen und warf sich gierig darüber. »Hab' ich dich, hast dich vor mir ins Bett geflüchtet, Taube – der Habicht kommt,« lachte er, mit krampfhaften Händen die Kissen zerwühlend. Er sah das Gesicht immer noch vor sich, nur veränderte es sich immer mehr und mehr. Tausend Runzeln zogen über die weiße Stirn, das Haar ergraute, Pusteln kamen aus der Luft und legten sich darauf. Dann starrten die Augen welk und gebrochen aus den Höhlen, – kalter Schweiß brach von seiner Stirn, die eisige Leichenkälte durchschauerte ihn, die aus dem Körper des alten Weibes in den seinen geströmt, als er die schöne Tharah auf der nächtlichen Gasse zu umarmen geglaubt, und eine höhnische Stimme rief hinter ihm:
»Habt Euch ein schönes Liebchen angeschafft, Graf Honfried, – bringt Euch wohl die Pest als Mitgift –?«
Er brüllte in teuflischer Wuth auf und wollte emporspringen, aber Blei lag auf allen seinen Gliedern und das schaudervolle Bild der Matrone wich nicht vor seinen Augen, ob er sie schloß, ob er die Hände darüber preßte, – nur etwas fehlte noch, er sah es dunkler, farbloser, als damals, wo der rothglimmende Schein der Fackeln es erhellte. Da erhob sich die Leiche vor seinem Blick und streckte die Hand nach der Thür aus – und er öffnete die Augen, und eine feurige Lohe wie zehntausend Fackeln schoß durch das qualmende Getäfel herein und überloderte das blutige Todtengesicht. – –
Drunten in der engen Gasse hielt Hellem Tharah ans Herz gepreßt, doch Sybille, die mit dem Zimmermeister hastige, flüsternde Worte ausgetauscht hatte, riß sie von einander.
»Fort – fort, ohne Aufenthalt,« befahl sie; »Ihr mit mir, wir können die Mutter nicht tragen, das kann nur Franz,« setzte sie stolz hinzu, »auf Wiedersehen stromauf, Franz, – kommt!«
Sie zog ihre willenlosen Begleiter mit sich die Gasse hinunter, während das große Kind mit seiner Bürde auf dem Rücken, die er nicht von sich gelassen, rasch die entgegengesetzte Richtung einschlug. Er war nicht im mindesten von der rastlosen Anstrengung erschöpft, und lachte und summte abwechselnd unaufhörlich im Laufen vor sich hin.
Es war Abend, der Nebel fing an zu zerrinnen und hie und da schimmerte ein Stern hervor. Doch der Flammenschein fiel über die ganze Stadt und erhellte selbst die engsten und entferntesten Gassen. Durch das Getöse der Schreienden, durch den Jammer, durch das Krachen des Gebälks, das Brausen der Flammen und das Wimmern der Glocken klang vernehmlich ein vielstimmiger Gesang aus dem Innern des Ghetto –
Waldhofer eilte unausgesetzt vorwärts, bis er an den Rhein hinabkam. Hastig stieg er in ein breites, fast schiffartiges Boot, das am Ufer befestigt lag, und löste, seine Bürde auf eine Bank niederlassend, die um einen Pflock geschlungenen Taue. Er war beinahe fertig, als eilige Schritte auf ihn zukamen und Leute mit Laternen rufend an ihn herantraten.
»Wer da? Wohin bei Nacht?« fragte eine derbe Stimme. »Seid Ihr's, Zimmermeister? Was habt Ihr?«
»Muß noch hinüber,« antwortete Waldhofer lakonisch, ohne sich in seiner Beschäftigung zu unterbrechen. »Was macht Ihr hier noch um diese Zeit?«
»Wir passen auf, daß Keiner von dem verfluchten Judengesindel mit seinem Gold entwischt,« murrte der Gefragte; »wäre auch lieber dabei, wo's Hiebe giebt. Wen habt Ihr da? Könnt Ihr nicht antworten da im Boot?«
»Eine kranke Frau, die vor Schreck über den Spektakel die Sprache verloren hat,« versetzte Franz, das Ende des abgewickelten Taues ins Boot werfend; »sie soll hinüber zu ihren Kindern, die auf sie warten.«
Der Mann mit der Laterne leuchtete mißtrauisch aufs Wasser hinaus. »Eure alte Mutter hat eine verdammte Habichtsnase über Nacht bekommen,« brummte er, näher tretend.
Aber das kräftige Kind warf ihn mit einem derben Stoß vor die Brust zurück. »Wer hat Euch gesagt, daß es meine Mutter ist, alte Wasserratte,« lachte er den Zurücktaumelnden lustig an, indem er einen riesigen Klüwerstock ergriff und das Boot mit einem Abstoß um zehn Fuß vom Ufer entfernte. »Gut Nacht, legt Euch auf Euer Ohr und schlaft und kümmert Euch nicht um die armen Juden.«
Der Laternenträger raffte sich wüthend auf und sprang in einen daneben befindlichen Kahn.
»Macht das Tau los, es ist eine Jüdin, die er wegbringt,« schrie er, »sie hat eine Kiste mit Gold an Bord; ich schlage ihn todt.«
Doch seine Gefährten lachten. »Willst Du mit dem Bären in die Wette fahren? Der Franz giebt Dir Vorsprung bis an die Düssel, und wenn Du herankommst, drückt er Dich mit dem kleinen Finger entzwei. Kannst's morgen mit ihm ausmachen, komm, sonst entwischen sie uns anderswo. Sieh, wie es brennt; die ganze Judengasse steht im Feuer.«
Sie zogen den Schimpfenden wider seinen Willen mit sich fort. Waldhofer war längst aus ihrem Gesicht verschwunden, er lenkte, etwa hundert Schritte vom Wasser getrieben, in den Fluß hinaus, dann arbeitete er rüstig, das Boot mit dem langen Stock kraftvoll vorwärts schiebend, gegen den Strom auf.
Die Anderen hatten unter Sybillens Leitung ihren Weg fortgesetzt. Das umsichtige Mädchen führte sie behutsam in gerader Linie vom Ghetto an den Rand der Stadt und schlug an der hohen, unübersteiglichen Ringmauer entlang die Richtung zum Frankfurter Thor ein. Sie hatte mit ungestümer Zärtlichkeit Tharah's Arm gefaßt, den sie ab und zu heftig, wie den eines Geliebten, an sich drückte. »Der brave, treue Franz, der muthige Franz,« murmelte sie manchmal mit glücklichen Lippen halblaut für sich. Sonst fiel kein Wort unter den eilig Wandernden, jeder war mit seinen eigenen wirren Gedanken beschäftigt. Der alte Caleb stützte sich auf Hellem; hin und wieder wandten sie sich fast zugleich um und warfen einen Blick auf das Feuermeer zurück, das hinter ihnen immer gewaltsamer aufloderte, doch Sybille mahnte und sie schritten weiter. Wenige Menschen begegneten ihnen im Anfang; die Flüchtenden hielten sich im Schatten der Häuser und der nicht völlig zerronnene Nebel begünstigte sie noch. Dann wurden die Straßen fast verödet und ihre Schritte hallten allein durch die lautlose Stille. Sybille ging wieder nachdenklich; »es ist spät,« murmelte sie, »wenn das Thor schon geschlossen wäre –«
Aus dem Fenster ihres Vaters fiel ein zitterndes Licht ins Dunkel hinaus; man gewahrte drinnen einen grauen Kopf über den Tisch herabgebeugt. Das Fenster war geöffnet, zuweilen hob er die Stirn und lauschte auf die Glocken und das verhallende Getöse, das aus dem Innern der Stadt herüberscholl. Dann machte er eine verdrießliche Bewegung und bückte sich wieder auf das Schriftwerk, das vor ihm lag, hinab.
Sybille hatte ihre Begleiter in den Schatten der gegenüber befindlichen Mauer gedrückt und schlich an das Thor. Sie faßte mit den kleinen Fingern das Schloß desselben und zog, aber es blieb unbeweglich. Auf den Zehen ging sie zu den Harrenden zurück. »Wartet,« flüsterte sie, »macht kein Geräusch.«
Damit schritt sie entschlossen auf das Haus ihres Vaters zu und öffnete die Thür. »Guten Abend, Vater,« sagte sie unbefangen.
Der Alte sah mit griesgrämlichem Ausdruck auf. »Wo hast Du gesteckt, kannst Du hexen, Kind?« fragte er, sie verwundert und mürrisch anblickend, »ich habe Dich in Deiner Kammer gesucht; wie bist Du fortgekommen, wo bist Du gewesen?«
»Ich habe mir angesehen, wie sie die Juden verbrennen und wie das geschmolzene Gold aus ihren Häusern läuft,« antwortete sie nachlässig; »dankt dem guten Herrn Pater, wenn Ihr ihn seht, daß er mich die Kunst gelehrt.«
Der Alte horchte gierig auf. »Welche Kunst, welche Kunst, Kind?« versetzte er hastig.
»Nun, Künste, wie die heiligen Väter sie verstehen und die den rechten Glauben haben,« erwiederte das Mädchen mit einem Ton, dessen Gleichgültigkeit den Thorwächter noch mehr reizte. »Ich bin an Euch vorbei durchs Zimmer gegangen, aber Ihr saht mich nicht, weil ich die Vorschrift des frommen Paters befolgt hatte und unsichtbar war.«
Der Alte sprang heftig auf. »Unsichtbar? Was? Dummes Zeug!« rief er.
Doch Sybille entgegnete mit unerschütterlicher Festigkeit: »Wißt Ihr nicht, daß man, wenn man die Augen schließt und ein Dutzend Paternoster am Rosenkranz betet, an deren Ende man den Namen eines der wunderthätigsten Heiligen fügt, durch die Gunst derselben sich auf eine Zeitlang unsichtbar machen kann? Ihr wißt, daß der fromme Pater, auf den Ihr so große Stücke haltet, nicht lügt, und ich selbst habe es erfahren, denn niemand hat mich gesehen. Freilich muß man den rechten Glauben an die Heiligen besitzen und genau ihre Vorschrift befolgen; wenn man nur mit den Augen blinzelt, ehe die Gebete zu Ende sind, ist ihre Wirkung verloren.«
Sie wendete sich ab, gleichgültigen Haushaltsbeschäftigungen zu, denn das Blut stieg ihr bei der beabsichtigten Täuschung des Vaters, dessen Habgier und abergläubischen Sinn sie kannte, in die Schläfe und ihr Herz pochte erwartungsvoll. Er starrte sie einen Moment nachsinnend an. »Wird auch das unsichtbar, was man bei sich hat, Kind?« fragte er, sich ungestüm mit der Hand durch das graue Haar fahrend.
»Alles, was man mit den Händen trägt und anfaßt,« versetzte Sybille trocken.
»Es ist ein Befehl, heut Nacht das Thor streng zu bewachen und jeden, der hinaus will, genau zu untersuchen,« brummte der Alte, »wenn ich einen Stellvertreter fände, – alle Nachbarn sind fort, alle ins Ghetto und holen sich Gold.«
Er ballte grimmig die Faust; das Mädchen öffnete den Mund, doch sie konnte das, was sie sagen wollte, nicht hervorbringen und schluckte die angefangenen Worte wieder hinab.
Allein ihr Blick fiel durch's Fenster und ihr scharfes Auge unterschied die Gestalten an der Mauer, die in Todesangst harren mußten, denen jede Secunde Entdeckung drohen konnte, und sie sagte, die Scham ob der Lüge mit einem Seufzer unterdrückend:
»Sollen wir allein in unserer Armuth bleiben, Vater? Es wäre eine gute Gelegenheit, Niemand sieht Euch, und ich könnte das Thor in Eurer Abwesenheit bewachen.«
Sie brach ab, ihr Gewissen schlug und beängstigte sie, daß sie zu weit gegangen sei, aber das grämliche Gesicht des Vaters verklärte sich immer mehr bei ihren Worten. Er ergriff hastig seinen Rock und einen daneben hängenden Rosenkranz.
»Du bist ein kluges, ein verständiges Mädchen,« murmelte er vergnügt; »siehst Du, welchen Segen die frommen Väter ins Haus bringen. Die Gelegenheit kommt nie wieder, es hat Eile, es werden genug Hände da sein, die zugreifen. Ich will die Paternoster im Gehen auf der Straße beten.« Er drückte die Augen zu und begann eifrig das erste derselben, an dessen Schluß er mit einem ungeheuren Stoßseufzer: »Hilf, heiliger Dominicus,« ausrief. »Siehst Du mich noch, Tochter?« fragte er abbrechend.
»Nur bis an die Schläfe,« antwortete das Töchterlein, das seine ganze Besonnenheit wieder erlangt, sich mit den schelmischen Lippen das Lachen verbeißend; »Euer linkes Ohr ist schon fort, aber Ihr dürft nicht dazwischen reden, Vater, sonst geht die Wirkung verloren.«
Der Alte seufzte nochmals. »Dann will ich eins hinzufügen, damit es sicher genug sind;« erwiederte er abergläubisch. »Führe mich auf den Weg, Kind, ich will die Augen nicht wieder aufthun. Laß Alles, was kommt, herein ins Thor, aber Niemanden hinaus, hörst Du.«
Sybille faßte ihn am Arm und führte ihn auf die Straße. Ihre Hand zitterte vor Aufregung, er drehte den Kopf zu ihr, doch er befand sich schon in der Mitte eines neuen Paternosters und wagte keinen Laut von sich zu geben.
»Ich muß zurück, Vater, das Haus ist offen,« sagte seine Führerin; »lebt wohl.« Sie schlang den Arm zärtlich um seinen Hals und küßte ihm den grauen Schnurrbart. »Ich mache mich vielleicht auch unsichtbar während Eurer Abwesenheit, Vater,« stotterte sie; »sorgt nicht um mich, ich komme wieder.«
»Heiliger Märtyrer Polycarpus, hilf mir!« antwortete der Thorwärter laut, und Sybille schlich, seinen Arm loslassend, hurtig zurück, während jener weiter die Straße hinuntertappte.
»Verzeih' mir, heiliger Gott, der du nicht das Verderben der Unschuldigen willst,« sprach das Mädchen in unwillkürlicher Bewegung, die Hände über der Brust zusammenkreuzend. Dann wurde ihr Gesicht heiter und die fröhliche Sorglosigkeit der Jugend und eines lieblichen Bewußtseins flog darüber hin. Sie hüpfte ins Zimmer zurück und nahm den gewaltigen Thorschlüssel vom Nagel.
»Lebt wohl, meine Myrthen und Rosen, ihr kommt mir wohl nach,« lachte sie, auf die Straße hinausspringend. – »Kommt!« rief sie den ängstlich Harrenden zu, »da ist unser Geleitsbrief.« Gewandt öffnete sie das schwere Thor und schloß es wieder hinter den schnell hindurch Schlüpfenden. »Die Nacht ist warm, wer noch kommt, kann warten,« setzte sie, den Schlüssel in den Stadtgraben hinunterwerfend, muthwillig hinzu; »bleib stehen, hillige Stadt Cölln, oder geh' unter, mir ist nichts daran gelegen.«
Das Wesen des jungen Mädchens war, seitdem ihr letztes Vorhaben geglückt, sonderbar verändert. So schweigsam und nachdenklich sie zuvor gewesen, so gesprächig wurde sie jetzt. Die Frohnatur ihres Herzens, die lang zurückgedrängt worden, brach ausgelassen hervor und vergaß das düstere Geschick, das ihre stummen Gefährten betroffen. Fröhlich schwatzte sie in die dunkle Nacht hinein; sie war vor dem Thor nach links abgebogen und führte ihre Begleiter über das weglose Feld, an dem man in der Finsterniß kein Merkzeichen gewahrte. Doch sie plauderte lustig fort. »Ich kenne jeden Stein und jeden Baum im Dunkel,« lachte sie; »hier habe ich Schmetterlinge gehascht als Kind und im Sonnenschein geschlafen, und droben war es, wo Ihr mich aus dem Wasser rettetet, Hellem, wißt Ihr noch?«
Der Jüngling fuhr aus seinem Nachsinnen auf. »Ihr habt's mir doppelt, habt's uns hundertfach vergolten, Jungfrau,« erwiederte er freundlich.
»Nun, wartet Franz dort auf uns,« schwatzte sie weiter, »und er nimmt mich mit; – wohin fahren wir?«
Ihre Klugheit, ihr Muth, ihre Entschlossenheit hatte Alle gerettet, aber es war jetzt, als ob ein Kind aus ihr geworden, das unfähig, für sich selbst zu handeln, sich bei Anderen Rath erholte. Der alte Caleb hatte ihre Frage vernommen und antwortete:
»Wir wollen fahren nach Rotterdam zu unserem Volk, das angesehen ist im Niederland –«
Sybille klaschte in die Hände. »Wie prächtig,« jubelte sie; »ich habe so viel von den Städten in Holland gehört, und da würde ich das Meer sehen –« Sie brach plötzlich in ihrer Freude ab. »Ach nein,« setzte sie in verändertem, traurigem Ton hinzu, »das Alles wird nicht sein, ich habe ja kein Geld, das man nothwendig braucht.«
»Hast Du kein Geld, Mädchen?« flüsterte der Alte, neben dem sie ging; »bist geworden die Schwester von der schönen Tharah, meiner Tochter, und solltest haben kein Geld? Ich habe auch keins, aber wenn wir werden gekommen sein nach Rotterdam, werde ich gehen zu einem Juwelier und werde ihm geben den kleinsten Stein aus dem Tuch, und er wird in die Tasche greifen und mir auszahlen ein ungeheures Geld, daß wir können leben wie die Fürsten im Reich.« Er strich mit den Fingern über den Beutel an seinem Gurt, daß der Inhalt klirrte.
»O, wie schön ist's, daß Ihr reich seid,« rief Sybille unbefangen.
»Es ist eine schöne Sache um den Reichthum, denn er kann ersetzen dem Alter die Jugend, und die Jugend kann er machen vergessen, daß sie ist ausgestoßen von den Menschen,« antwortete Caleb ernst. »Und er kann heilen Wunden, die so tief geschlagen sind, wie heut, und er kann vergelten die Wohlthaten der Guten. Er ist ein Balsam für den Schmerz, er kann machen Gesundheit, und ist wie frische Luft für die Liebe; es ist eine schöne Sache um den Reichthum.«
»Hört, da ist er, da ist Franz,« rief das Mädchen aufhorchend. »Eins kann der Reichthum doch nicht, er kann die Liebe nicht schaffen, Vater Caleb, und nicht glücklich machen, ohne sie,« jauchzte Sybille, und sie tanzte an den Rhein hinab, der jetzt dicht vor ihren Füßen rauschte, und rief: »Franz! Franz!«
»Hier!« entgegnete die Stimme des Zimmermeisters aus dem Dunkel. »Alles in Richtigkeit?«
Doch Sybille flog ihm als Antwort um den Hals und küßte ihn. Das große Kind zitterte vom Kopf bis zu den Füßen, wie er die leichte, anmuthige Gestalt fest an seine Brust drückte. Dann ließ er sie los und sagte: »Nun herein zur Alten an Bord, sonst kommen sie uns noch auf die Hacken.«
Sie folgten der Aufforderung, Hellem half Tharah und dem Oheim in das geräumige Schiff. Er war stumm von der Aufregung der letzten Stunde dahergegangen, jetzt fuhr er plötzlich wie aus langer Betäubung empor und fragte um sich blickend: »Wo ist Isaschar, mein Vater? Ich sehe ihn nicht im Boote bei Lea –«
Der alte Caleb faßte den verwirrt Zaudernden am Arm und zog ihn herüber. »Komm, Hellem, mein Sohn,« sagte er feierlich, »laß uns ziehen nach Kanaan, in das Land am Meere, es ist Dein Vater Isaschar voraufgegangen, und Du wirst ihn finden, wenn Du festhältst am Glauben Deiner Väter.«
Von der brennenden Stadt fiel das Flammenlicht herüber in das geheimnißvoll nickende Gesicht des Alten; der Jüngling starrte einen Augenblick angstvoll in die ernsten Züge des Oheims, dann fiel er mit einem dumpfen Schrei besinnungslos vor ihm auf den Boden des Schiffes, das, von der Hand Waldhofer's abgestoßen, rasch in die Mitte des Flusses hinausglitt.
Der Alte blieb aufrecht stehen und sah auf die hillige Stadt Cölln. Seine Wimper zuckte nicht; näher kamen sie dem wogenden Feuermeer, das der Wahnsinn in die eigene Heimath geschleudert. Die Flammen leckten nach allen Seiten von dem lodernden Ghetto in die Christenstadt hinüber, aber die verblendete Masse tobte Feuer und Tod brüllend fort. Und vor dem Auge des Greises stieg aus der lodernden Gluth das friedliche Haus, in dem er geboren und gelebt und wechselnde Tage gesehen. Er sah die Flammen die reichen Gemächer durchirren, sie faßten das Bild seiner Tochter, der schönen Tharah, und stürzten es in Qualm und Rauch, und er seufzte, und ein Schauer durchlief seinen Leib. Dann sah er sie emporzüngeln am Kamin, wie sie das andere Bild packten, deutlich gewahrte er die Gesichter vor sich, die sich auf der brennenden Leinwand zusammenkrümmten, und ein zitterndes Gefühl des Dankes übermannte ihn, als seine Blicke sich abwandten und unter sich die blutigbestrahlten, aber lebenden Züge der Seinen überirrten. Und er streckte feierlich die Hände nach oben, seine Lippe schwieg, aber sein Auge dankte.
Anderes, Furchtbareres konnte sein Geist nicht sehen. Nicht die Rache, mit der die Hand der Vergeltung den Anstifter des Jammers gefaßt und ihn auf das Ziel seiner Begierde, auf die Purpurdecke des jungfräulichen Lagers hingestreckt, wo er die machtlosen, mit Pestbeulen bedeckten Glieder im Todeskampf krümmte und um Hülfe ächzend mit irrsinnigen Blicken die Flammen maß, die auf ihn zustürzten und mit leckender Hast die Haut seines erstarrenden Körpers versengten, bis der Rauch seine verröchelnde Kehle erstickte und die rothe Decke als verkohltes Leichentuch über dem Scheiterhaufen des Lebendigen in Asche fiel. – –
Das lauschende Ohr des Alten spannte sich fieberhaft. Er sah nicht mehr, er hörte nur. – Tageshelle lag über dem Wasserspiegel, den das Schiff, weit ans andere Ufer hinübergelenkt, durchschnitt, doch ein tausendstimmiger monotoner Klang drang über das Brausen des fortschießenden Stromes. Er kam aus einem hohen Gebäude, das, rings von Flammen umleckt, noch dunkel im wogenden Feuermeer stand, und die schöne Tharah fuhr von der Seite des bewußtlos am Boden ruhenden Geliebten empor und rief hinüberstarrend: »Ich wußte es, ich habe sie singen gehört im Tempel, wie die Männer aus dem Stamm Manasse vor dem Könige Nebucadnezar – horch –«
Und tausendfach anschwellend wie Orgelchor hallte es todesjauchzend durch die Nacht aus den Flammen: »Gelobet seist du, Herr, Gott unserer Väter. Gelobet seist du in deinem heiligen Tempel. Gelobet seist du in der Veste des Himmels. Ihr Priester des Herrn, lobet den Herrn! Ihr Geister und Seelen der Gerechten, preiset und rühmet ihn ewiglich –«
Und wie sie standen und lauschten, da neigte sich die hohe Kuppel mehr und mehr. Der Gesang verstummte, mit wehklagendem Schrei zugleich schlug eine Feuersäule in das funkelnde Sterngewölbe auf, und todt mit Tausenden seines Volkes lag Thubal ben Abia unter den Trümmern der Synagoge, wie ein Vierteljahrhundert zuvor sein Weib und seine blühenden Kinder, da er allein heimgekommen von Mainz – –
Ein fanatisches Jubelgebrüll der Christenmasse folgte dem Einsturz des Tempels. Die Juden der hilligen Stadt Cölln waren nicht mehr; sie waren getödtet und verbrannt bis auf den Letzten; » gote zcu lobe und zcu ern under der krystenheit zcu selikeyt – –«
Die greise Lea lachte kindisch, in das sprühende Gluthmeer hineinblickend, während Tharah sich schaudernd und weinend mit abgewandtem Gesicht neben Hellem zurückkauerte. Sybille saß neben dem Leiter des Fahrzeugs, das hastig stromab schoß: traurig und hoffnungsvoll zugleich lehnte sie die Wangen an seine starken Knie.
Nur der alte Caleb stand noch immer aufrecht, unbeweglich, mit festen Augen, bis der Gesang verstummte und der Tempel krachend zusammenbrach. Da legte er die Hände über die Brust und sagte lauthin über das Wasser: »Amen.« Sein graues Haupt fiel ihm herab und er setzte sich müde auf den Grund des Schiffes und entschlief.
Und mälig verschwand das glühende Meer in der Ferne, nur ein rother Schein folgte dem Boote nach und spielte in der Furche des Wassers, die es hinter sich ließ. Ruhig und hoch leuchteten die Sterne über dem Aufruhr der Erde, die dunklen Ufer rollten sich auf und flogen vorbei; nächtliche Stille lag auf der weiten Flur, wie der Frieden, den der Schlaf mit sanfter Hand über die Herzen der Vertriebenen ausgoß. Unter ihnen murmelten die Wellen uralte Mären der Vorzeit; in ihren Träumen versank Jeruscholaym, die heilige Stadt, aber Engel des Himmels breiteten ihre Schwingen und trugen sie auf wiegendem Fittig dahin. Geheimnißvolle Kunde vorauftragend, strich der Nachtwind über die breite Wasserbahn, und in den Wipfeln an ihrem Gestade rauschte es wundersam, wie durch die Cedern des Herrn.
Nacheinander kamen sie Alle mit den Gesichtern des Lebens und traten vor die Schlummernden hin. Sie standen am Ufer und winkten mit der Hand, wie das Schiff vorüberflog. Freude lag auf ihrem Antlitz, mit dem sie die Einzigen begrüßten, die dem Verderben ihres Volks entronnen. Isaschar kam und hob segnend über den wiedergefundenen Sohn die Rechte; freundliche, liebevolle Gestalten, Juden und Christen, wechselten durcheinander. Auch der junge Arzt mit der klaffenden Wunde auf der Stirn war unter ihnen und blickte Tharah lächelnd an, – wo sich andere, häßliche Gebilde vordrängen wollten, schlossen jene einen Kreis um sie und trieben sie zurück. Dann umhüllte ein Nebel Alles und allmälig zerfloß er, und ein hoher, ernster Mann in silberglänzendem Gewande trat hervor mit einem Palmenzweige in der Hand. Göttliche Ruhe thronte auf seiner leuchtenden Stirn, und er sprach, den grünen Zweig über den Erdball ausstreckend, göttliche Worte, denn er sagte: »Eitel ist das Leben und seine Wahrheit ist das Erbarmen.«
»Thubal ben Abia,« rief der Greis, aus dem Traum in die Höhe fahrend. Fast Tageslicht war es wieder um ihn geworden, aber keine Brandfackel verbreitete die Helle, es war der Vollmond, der hoch im Zenith über ihren Häuptern stand und an silbernem Bande den Kahn durch die murmelnden Wasser zog. Hoch stand er im dunklen Firmament, unerschütterlich, milde und friedensvoll, wie das Antlitz Thubal's ben Abia.
Am Steuer saß der Lenker des Schiffes, neben ihm noch immer hockte sein klugäugiges Liebchen, nur war es höher heraufgekrochen und hatte die braunen Zöpfe an seine Brust gelegt. Sie plauderten in flüsterndem Ton, er deutete ihr die Gegend, die schweigsamen Ortschaften, an denen sie vorbeiglitten, und nannte sie mit Namen. Dann sagte sie halb furchtsam: »Wie weit, wie weit ist's bis Rotterdam, daß ich an meinen Vater schreiben kann, wohin ich gerathen, – er wird mich verstoßen für meinen Betrug, und daß ich mich heimlich aufgemacht, – wird er nicht, Franz?«
Sie zog ängstlich den Kopf von seiner Brust und blickte ihm fragend in das redliche, mondbestrahlte Gesicht. »Du hast ein Werk Gottes gethan;« antwortete er leise, sie mit dem starken Arm an sich zurückziehend, »und brauchst Keinen zu fürchten, denn ich schütze Dich. Und der Alte hat mir gesagt, er wolle Dir eine Mitgift geben, wie einer Fürstin, daß wir am selben Tage Hochzeit halten mit seiner Tochter und dem Jüngling, der uns zusammengeführt. Das wird Deinen Vater besänftigen, und thut es das nicht, so bist Du doch mein Weib und bleibst bei mir und gehst mit mir –«
»Bis an's Ende der Welt,« lachte Sybille, ihre Sorgen vergessend, und küßte, den Schluß des Satzes erstickend, hurtig die tröstenden Lippen.
Auch die Anderen erwachten allmälig, nur die greise Mutter schlummerte weiter; doch ihre Züge nahmen im Schlaf einen friedlicheren Ausdruck an und die unheimliche Verzerrung schwand langsam wie ein Schatten aus ihnen fort. Tharah kniete neben Hellem und küßte ihn mit heißen Lippen, bis er die Augen aufschlug, und er lächelte sie an und sog mit voller Brust die laue, köstliche Nachtluft ein, und lehnte, ohne zu sprechen, die bleiche Stirn wider den wogenden Busen der Geliebten. Ein frischer Wind verkündete den Morgen und begann kraftvoll das Segel zu spannen, das der Steuermann aufgezogen. Schneller ging die Fahrt, der Mond verblaßte, im Morgenlicht stiegen die Ufer des erweiterten Stromes auf. Fremdartig waren sie verändert, wie die Landschaft umher. Mit grüner Weide bedeckt, zogen sie bis an den Rand des Flusses, aus dem großgehörnte Rinder, im stilleren Wasser wiederspiegelnd, tranken. Flach bis ins Unendliche dehnten sich die Felder in üppiger Kornesfülle, Strohdächer ragten aus ihnen zwischen Erlen und Pappeln hervor, deren weiße Blätter zitternd im Frühlicht glänzten. Aus den Hütten wirbelte bläulicher Rauch, der friedlich vom Heerde aufstieg und Leben ankündigte; aber Alles war noch lautlos, feierlich still, nur in den breiten, ruhigen Kanälen, die rechts und links von dem Strom ins Land einbogen, regte sich hin und wieder ein schwerfälliges Fahrzeug und bewegte sich in einförmigem Takte des Ruders über das Wasser.
Immer tiefer färbte sich der Dunstkreis am Horizont im Osten, bis er fast den grellen Ton des Feuermeers, das Menschenhand erzeugt hatte, angenommen, dann brach die himmlische Flamme siegreich herauf. Aber sie verwüstete, verbrannte nicht; erquickliche Wärme strömte sie in die von der kühleren Morgenluft fröstelnden Glieder. Alle erhoben sich und blickten ihr stumm und freudig entgegen; der Schmerz hatte ausgetobt und die Schönheit des Lebens richtete zauberisch das bedrückte Herz empor. Der alte Caleb entblößte sein greises Haupt und streckte die Hand der aufgehenden Sonne entgegen.
»Siehe, das Auge Gottes ruhet auf uns,« sagte er laut, »du hast geleuchtet unserem Volk, als es auszog aus dem Lande der Aegypter, du hast Jeruscholaym gesehen in seinem Glanz und es haben zu dir geflehet die Töchter Israels an den Wassern zu Babylon. Du gehest auf über Gerechte und Ungerechte, denn du bist ewig, gütig und unwandelbar, wie der Rathschluß Jehova's, bis daß da kommt das Gericht.«
Er wandte heiter den Kopf zu den Seinen und fuhr bedeutungsvoll fort: »Wir wollen entgegengehen der Sonne gen Osten; es ist mir gekommen über Nacht wie eine Botschaft das Gedächtniß an den König Artaxerxes von Persien, der, verblendet von dem bösen Rathschlag Haman's, unser Volk treffen wollte mit seiner Macht, als Esther, die schöne, zu ihm trat mit ihrem Liebreiz und sein Herz besänftigte, daß er abließ von seinem Willen und auf ihre Bitten hörte, und das Volk Gottes emporhob vor allen andern. Wir werden nicht Ruhe haben im Niederland, noch sonst irgendwo, denn die Pest wird uns folgen und sich ausbreiten über die Erde und die Gemüther der Christen erregen. Darum wollen wir gen Osten ziehen in das Land, das heißet Litthauen, in welchem herrscht der große Casimir, ein weiser und gerechter König, an dessen Brust liegt eine Tochter aus unserem Stamm, die schöne Esther, und hält sein Herz in Sanftmuth mit dem Liebreiz, den der Herr ihr verliehen, daß unser Volk dort zahlreich ist und groß und geachtet um ihretwillen vor den andern.«
Stumm nickten Tharah und Hellem zu dem Beschluß ihres Vaters und umschlangen sich mit den Armen. Mit glänzenden Augen blickten sie über die breite Wasserbahn vorwärts in die Zukunft, die sich wie jene vor ihnen aufthat, in das Meer hinausmündend, – in das weite unendliche Meer der Liebe und des Glückes.
Und goldig von der Sonne bestrahlt mit seinen Thürmen, seinen rothen Dächern, seinen farbig bewimpelten Masten, stieg Rotterdam zu ihrer Rechten auf.
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