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Zweites Capitel.

Frisch und lachend wie das Frühroth, mit dem sie das Häuschen am Thor verlassen, wanderte Sybille durch die Straßen. Sie trug einen Korb am Arm und ging zwischen den Weibern umher, die mit der Sonne ihre Buden auf dem Markt bezogen und Lebensmittel feilboten. Verständig prüfte das Thorwärtertöchterlein die dargebotene Waare, sie feilschte und handelte nicht, ihre Art hatte etwas Entschlossenes, das man hinter dem zierlichen Köpfchen nicht suchte. Doch ihr Gesicht blieb immer fröhlich, auch wenn die nußbraunen Zöpfe sich im Morgenwind lösten und ihr um den Nacken flogen. Ruhig band sie die Widerspänstigen auf und blickte klug in den Tag hinein, und den Vorübergehenden unbekümmert gerade in die Augen.

Verwundert that sie es, denn es kam ihr vor, als gingen und bewegten die Leute sich heut anders als sonst. Sie schienen sich sorgfältiger auszuweichen, und wenn zwei, die sich begegneten, inne hielten und mit einander redeten, so standen sie sich entfernt gegenüber und sahen sich prüfend und zweifelnd ins Gesicht. Eine hastige Unruhe lag auf den Straßen, die dem Mädchen auffiel. Manchmal erhorchte sie ein Wort, das sie nicht verstand.

»Es ist gestern Einer gekommen,« sagte Jemand in ihrer Nähe, »und Alle, die er angesehen, sind hin und Keiner sieht heut die Sonne mehr.«

Sybille grübelte vergeblich über den Sinn der Worte und trat dichter an die Redenden.

»Ich selbst sah Einen umfallen auf der Straße,« versetzte ein Anderer, »der gesund und sorglos aussah wie ich –«

»Gebt Acht, die Juden stecken wieder dahinter,« zischelte eine Stimme zwischen sie hinein.

Es war ein junger Mensch mit frechem, anmaßendem Aeußeren, der aufgeputzt und junkerhaft hinzutrat. Er trug ein Baret, unter dem häßliches, fuchsrothes Haar hervorquoll, von seiner Schulter fiel ein vorn mit einer kunstvollen Agraffe zusammengehäkelter kurzer Mantel, den ein langer Raufdegen überragte, auf dessen Griff seine langfingerige, aus Spitzenfalten kriechende Hand herausfordernd lag. Die beiden ersten Sprecher machten ihm eine halb unterwürfige Verbeugung, als er näher kam. Ihr Benehmen und Wesen hatten Aehnlichkeit mit dem seinen, nur überbot er sie gleichmäßig mit der Eleganz seiner Kleidung und Unverschämtheit der Miene.

»Schon so früh fort von der schönen Gerlinde, Graf Honfried,« lachte der Erste von ihnen, »oder habt Ihr heut anderswo übernachtet? Man sagt, Ihr besitzt einen goldenen Hauptschlüssel für alle Riegel, selbst für die Klöster der frommen Schwestern, wenn es noth thut.«

Der Angeredete warf sich wohlgefällig in die Brust. »Es thut wohl oft noth,« versetzte er höhnisch, »und Ihr könntet ihn brauchen, Junker Eppstein, wenn Ihr einmal dazu kämt, andere Thüren aufzusuchen, als die in den Frauenhäusern, die sich von selbst aufthun.«

Er zog die dünne Oberlippe spöttisch in die Höh, daß eine häßliche Zahnreihe aus ihrem falben Blaßroth hervorsah, dann blickte er gleichgültig auf die gekrümmten Schnabelschuhe hinunter, deren Haken nach neuester Mode sich fast bis an die schmalen, in grelle Farben gekleideten Kniee aufbog. Die Zähne des verhöhnten Patriziersohnes knirschten leise, doch er verbiß dem vornehmen Gönner gegenüber seinen Aerger und fuhr schmeichelnd fort:

»Ich hörte gestern noch sagen, Gerlinde sei die schönste von allen Christenfrauen in der hilligen Stadt, und der sei zu beneiden, der –«

»Bleibt mir mit Eurem Geschwätz vom Leibe,« unterbrach Honfried ihn verdrießlich; »eine Schlange ist das dumme Weib, wie ihr Name besagt, und ich habe einen guten Strauß zur Nacht gehabt. Ob's ihr Mann war oder wer sonst, ich weiß es nicht, denn es war rabenfinster in der Kammer und ich weiß nur, daß ich meinen Degen – seht her –«

Er zog die lange Waffe aus der Scheide und bohrte sie kraftvoll in das Gebälk des Hauses, neben dem er stand, daß die Spitze um mehrere Zolllängen in das Holz eindrang – »ihm so ins Genick gestoßen habe, daß er röchelte und mich los ließ. Dann gab ich dem Weib einen Faustschlag ins Gesicht, daß sie aufs Bett fiel, und sprang durch's Fenster.«

Lachend hörten die Patriziersöhne die rohe, prahlerische Erzählung des Edelmannes. »Jedenfalls hat es Euch nicht sehr angestrengt,« lallte der Zweite, der bis jetzt nicht geredet, mit unbehülflich stammelnder Zunge; »wer wird nun an die Reihe kommen, oder will der Herr Graf eine Zeitlang die Abwechslung und sich mit unserer Trude oder Elle oder Matze begnügen?«

»Ich habe die Christenweiber satt für dies Jahr,« versetzte Honfried mit verächtlichem Achselzucken, »es wäre denn« – und er richtete die stechenden Augen boshaft auf den Sprecher – »ich nähme einmal Eure Schwester, Stotterhans, und heirathete sie, d. h. auf Probe, wenn der Handel sich lohnt und der reiche Papa Stockhard die Mitgift aus seinen Krallen herausliefert.«

Er lachte laut auf und Junker Eppstein that dasselbe, und Hans Stockhard, der Bruder des Mädchens, dessen Ehre der adlige Prahler angetastet hatte, lachte schamlos mit. Er wollte etwas erwiedern, doch er brachte stotternd nur den Anfang hervor und jener fiel ihm übellaunig ins Wort:

»Geht mir überhaupt mit Eurer hilligen Stadt, wie Ihr in Eurem Krämerdünkel das Nest getauft habt. Ich bin nicht von meiner Burg gekommen, um mich mit Euch zu langweilen und Glossen über die Weisheit und den Talar Eurer Rathsherren zu machen. Wenn das Geld mir ausgeht, will ich einmal ein paar von ihnen einfangen und ihnen auf dem Drachenfels Brechpulver eintrichtern, bis sie die Goldrollen von sich geben, mit denen sie ihren Wanst füttern. Bis dahin sind ihre sauertöpfischen Gesichter mir zum Ekel, und ich will lustig sein, und Euch, wie Eure Pfaffen, ins verhärtete Gemüth predigen und sagen: Das Einzige, was in Eurer Stadt heilig ist, nennt Ihr Verstockten unheilig und sperrt es in ein dunkles Loch hinein, daß Eure Augen es nicht sehen. Ich aber will es herausholen und Euch zeigen, damit Ihr Buße thut und die Christenweiber vor Neid zerbersten, und darum sagte ich Euch im Anfang, die Juden stecken wieder dahinter und es lebe die Pest, von der Ihr schwatztet, als ob sie Euch am Schopf hätte und der Teufel Eure Galgenseelen auf dem Bocksfuß kollerte.«

Junker Eppstein schmunzelte pfiffig. »Ihr macht Eure Rechnung ohne den Wirth, Graf,« erwiederte er, »und ohne das Thor, an welchem der alte Ismaeliter bei Nacht sitzt und keine Maus hineinläßt zu den Goldsäcken Israels und zu den Rabenlocken ihrer Töchter. Es hat's schon mancher versucht, aber ist nicht hineingekommen, und wenn's ihm geglückt, so war's nicht zu seinem Vortheil, denn keiner hat gesehen, daß er wieder herausgekommen.«

Honfried zuckte geringschätzig die Achsel und schlug klirrend an sein Schwert.

»Ich bin wohl aus andern Löchern geschlüpft, als aus den Winkeln im Ghetto,« sagte er, verächtlich auf seine beiden Genossen herunterblickend, »aber es lohnte sich nicht der Mühe, mit Euch Schwachmüthigen davon zu reden, wenn ich nicht einen Schlüssel für das Thor hätte, und ein Licht für Eure Furcht, das sicher ist. Wollt Ihr mit mir theilen, so ist's gut; wollt Ihr nicht, so gehe ich ohne Euch. Ihr seid Krämer und ich bin ein Ritter – wollt Ihr das Gold des alten Caleb, so nehme ich seine Tochter, die schöne Tharah, die ich neulich geseh'n, und ich schwöre Euch beim Schutzpatron meines Geschlechtes, Gerlinde ist eine Dohle gegen sie, und Eure Schwester, Stotterhans, eine Nachteule.«

Die beiden Junker horchten mit gierigen Blicken; die Schmähworte und Beschimpfungen, mit denen der hochmüthige Edelmann sie behandelte, glitten an ihrem Ohr vorbei und ihr Denken concentrirte sich um den geheimnißvollen Plan, den jener vor ihnen aufgerollt. Gewalt jeder Art war an der Tagesordnung, in Cölln, wie im ganzen deutschen Reich; der Mächtige besaß das Recht, wenn die List ihm nicht wehrte, oder der Stärkere kam und ihm die errungene Beute wieder entriß. Schutzlos war das Individuum überall, wo es nicht einem Stand, einer Innung, einem Geschlecht angehörte, die sich dem ihm zugefügten Unrecht als einer Befehdung der ganzen Corporation widersetzten, und Gewalt mit Gewalt vertrieben. Die Stadtmauern umschlossen eine Trutzgenossenschaft gegen die Raubburgen des Ritterthums, die jene umlagerten, doch innerhalb derselben kämpfte der Patrizier mit dem Gewerk, eine Zunft wider die andere, mit althergebracht feindseligem Hasse Geschlecht gegen Geschlecht. Vor Allem standen die Christen wider die Juden, die sie um der reichen Abgaben willen, welche sie dem Stadtsäckel eintrugen, in abgeschlossenem Bezirk unter sich duldeten; auf deren unausgesetzten Fleiß sie harrten, wie der Bienenzüchter auf den seiner Insecten, bis die Honigwaben gefüllt sind, um sich plötzlich ihrer zusammengeschaarten Habe zu bemächtigen; die jeder Beschuldigung gegenüber vor den Gerichten recht- und vertheidigungslos waren und von ihnen den Insulten und der Raubgier des zügellosen Pöbels preisgegeben wurden, in deren Nacken rastlos hetzend die Pfaffen saßen, von den höchsten Kirchenwürden bis zur untersten hinab, vor Begier nach dem Golde der Unglücklichen zitternd, das ihre Einkünfte bereicherte, wenn sie es mit Weihwasser besprengt hatten, um den Fluch, der von den Händen der Ungläubigen an ihm haftete, mit dem segnenden Sprengwedel des Himmels auszutreiben.

Die Unterhaltung der jungen Männer war zuletzt leiser geführt worden, Sybille, die im Anfang nur neugierig zugehört hatte, trat bei der Erwähnung des alten Caleb und seiner Tochter aufmerksam näher. Der Markt war mit Menschen belebt und sie fürchtete sich weder vor den frechen Gesichtern der Patriziersöhne, noch vor ihrem zuchtlosen Gespräch, an das die Frauen der Zeit in Gegenwart von Männern fast ausnahmslos gewöhnt waren. Sie verstand den Sinn der Reden kaum und wo sie ihn verstand, war nichts Auffälliges für sie darin. Roh waren die Sitten und Worte, wohin sie blicken mochte, und ein Mädchen hätte ohne Unterlaß erröthen und sich abwenden müssen, wenn sie das Zartgefühl ihres Geschlechtes in dem Maße verfeinerter Bildung späterer Jahrhunderte besessen. Doch sie empfand, daß aus dem Gespräch der Männer eine Gefahr für die Judengasse heraufzog, die zunächst das Haus des alten Caleb bedrohte, und das freundliche Knabengesicht stand vor ihr, das von allen muthlosen Zuschauern umher, allein kühn in den Rhein hinuntersprang, dessen reißender Strom sie hinuntertrug – das so hübsch lächelte, als er mit dem kleinen, zagenden Mädchen auf den Armen ans Ufer gerudert war und sie nach Haus führte und sich täglich nach dem Befinden der kleinen, von dem Schreck und der Erkältung schwer erkrankten Sybille erkundigte – und sie trat näher an die flüsternden Männer hinan und lauschte gespannt hinüber.

»Wißt Ihr nicht, wie unsre Altvordren es gemacht,« sagte Graf Honfried jetzt mit einer satanischen Lippenbewegung, »wenn sie dem Hamstervolk ihre aufgespeicherten Schätze aus dem Nest nehmen wollten? Da gingen sie hin und nahmen –«

Das Mädchen horchte ängstlich und athemlos. Die Worte wurden so leise gesprochen, daß sie nur einzelne Laute mehr vernahm. Sie hörte, wie der Sprecher »Brunnen« sagte, und sah, wie die andern mit zustimmendem Grinsen die Mundwinkel verzogen; von dem quälenden Gedanken erfüllt, mehr zu erfahren, trat sie achtlos immer dichter hinzu, ohne zu bemerken, daß ihr Arm fast die Schultern des jungen Edelmannes streifte. Die beiden Patrizier waren völlig in das Anhören des Plans, den dieser ihnen entwickelte, vertieft und gaben nicht auf die Horchende Acht, aber Honfried wendete sich plötzlich um und rief, die stechenden Augen scharf auf das Mädchen richtend:

»Was will die Dirne? Gehört sie Einem von Euch? Ihr habt besseren Geschmack als ich glaubte, komm, mein Schatz, ich will Dich einstweilen an mich nehmen, bis wir den Goldfink gehascht haben. Sei still, mein Täubchen, sonst beißt Dich der Habicht; Du mußt girren und Dein Schnäbelchen spitzen, daß er nicht zornig wird. Wirst's schon lernen; wie heißt Du?«

Er hatte vornehm nachlässig die Hand ausgestreckt und das sich heftig sträubende Mädchen unter dem Gelächter der Andern gewaltsam an sich gezogen.

»Laßt mich los, ich bin keine von Euren Dirnen, ich bin eine Bürgerstochter,« sagte Sybille erzürnt. »Laßt mich los,« wiederholte sie noch einmal, und ihre hübschen Augen funkelten voll Widerwillen in das anmaßliche Gesicht des Edelmannes, »oder nehmt Euch in Acht.«

Doch Honfried lachte und seine Finger schlossen sich fester um das schmale Handgelenk, an dem er sie gefaßt hielt. »O weh, Täubchen, Du machst so böse Augen, als wolltest du kratzen,« sagte er spöttisch, aber das letzte Wort kam nur halb mehr über seine Lippen, denn die freie Faust des Mädchen fuhr ihm entschlossen gerade ins Gesicht und traf ihn auf die Nase, daß er zurücktaumelte und einen Moment besinnungslos seine Hand nach den Augen bewegend, die ihre los ließ.

»Da habt Ihr's,« sagte Sybille ruhig, »laßt mich gehen.«

Die beiden Junker lachten wieder, wie sie vorhin zu den Worten des Grafen gelacht, doch mit unverkennbar befriedigterer Miene, und regten keine Hand, das muthige Thorwartstöchterlein zu bestrafen.

»Brav Mädchen,« stammelte Stotterhans, »verdammt brav. Ihr seht aus, wie ein Schwein, Graf Honfried.«

Das Blut lief dem Edelmann über die Mundwinkel und er sprudelte es schnaubend mit den Lippen von sich. Die kleine Faust Sybillens war von der Nase abgeglitten und hatte das rechte Auge getroffen, das mißfarbig und blutunterlaufen anschwoll, aber es irrte trotzdem in häßlicher Wuth umher und suchte. Dann fand es die Thäterin, die einige Schritte auf den Markt zu gemacht hatte, und Honfried schrie grimmig wie ein Thier auf, riß den Degen aus der Scheide und stürzte auf sie zu.

»Halt, halt, Graf Honfried, hütet Euch,« rief Kunz Eppstein hinter ihm, »wir sind zu schwach.« Doch die blinde Wuth des Verfolgers hörte nicht auf ihn.

»Elende Bürgerdirne, das bezahlst Du mit Deinem Leben,« keuchte er und schwang die Waffe drohend nach dem Kopf des Mädchens, das jetzt erschreckt auf die Leute zulief, die allmälig auf den Vorgang aufmerksam geworden und von mehreren Seiten dichter herzutraten. Es waren zum Theil ältere, mit ehrsamen, bedächtigen Bürgergesichtern, aber auch jüngere unter ihnen, die ebenfalls nach Sitte und Nothdurft der Zeit Waffen an der Seite trugen und mit kampflustigen Augen dem Schauplatz zueilten. Honfried hatte Sybille fast erreicht und sein Degen drohte eben den vollen Nacken des Mädchens, von dem in der Hast des Laufens das Schultertuch herabgefallen war, zu treffen, als ein anderer Stahl auf den seinen klirrte und ihm in unerwartetem Angriff die Waffe fast aus der Hand schlug.

»Elender, adliger Bube,« sagte der Vertheidiger, ein junger, stämmiger Mann mit gutmüthig-ernsten Zügen, »willst Du ein hülfloses Mädchen tödten?«

Der Edelmann starrte wuthschäumend in das ruhige Gesicht, das vor ihm auftauchte.

»Warte, Du gemeiner Lump, Du Hobelknecht,« schrie er, und eine Fluth von Schimpfwörtern ergoß sich zugleich mit dem fortströmenden Blut aus seinen Mundwinkeln. »Eppstein, Stotterhans, kommt heran, daß wir das freche Gesindel züchtigen – warte, ich will Dich peitschen.«

Die Patriziersöhne gehorchten zögernd der Aufforderung, sie kamen unschlüssig und langsam heran und entblößten ihre Klingen.

»Schämt Ihr Euch nicht um Eurer achtbaren Väter willen, daß Ihr gemeine Sache mit dem adligen Buben macht,« sagte ein alter Bürger, besonnen auf sie zutretend. »Steckt Eure Waffen ein, sonst ergeht's Euch übel, und packt den Friedensbrecher und werft ihn aus der Stadt auf sein Raubnest hinauf. Sein Oheim hat dem Rath vor Kurzem Urphede geschworen und ist ein Mann von Wort, sonst solltet Ihr den Gesellen ans Thor hängen, daß unsere Weiber und Töchter endlich einmal vor ihm sicher sind.«

Er sprach es gelassen, denn der junge Zimmermann hatte sich, ehe Honfried seinen Degen wieder zum Stoß gefaßt, auf ihn geworfen, die Waffe seiner Hand entrungen, daß die Gelenke des Grafen knackten, und ihn mit riesiger Kraft zusammengedrückt.

»So, Du bist unschädlich,« sagte er, ihm die Arme mit seinem Ledergürtel auf den Rücken zusammenschnürend; »nun fort mit Dir, und ich rathe Dir, laß Dich nicht wieder bei uns blicken.«

Honfried knirschte mit den blutigen Zähnen; »feigherzige Memmen, Wichte,« stieß er ächzend gegen die beiden Junker hervor, die blutroth und beschämt vor der Ueberzahl ihre Degen in die Scheide zurückgestoßen und dem Vorgang verlegen zusahen.

»Sie sind immer noch besser als die Bestie, die ein Mädchen tödten will,« sagte der Zimmermann erbittert und blickte freundlich auf Sybille, die neben ihm stand, ruhig ihre Kleider ordnete und sorgsam die gelösten Zöpfe wieder um die Stirn schlang.

»Warte, ich will Dir jetzt Beine machen,« fuhr er die Stimme des Grafen von vorher nachahmend, fort. »Marsch,« und er gab ihm einen Stoß mit der Faust in die Seite, daß der Getroffene ohnmächtig die gebundenen Hände zusammenkrallte und vorwärts ging, wohin sein Bändiger ihn lenkte.

Doch plötzlich hielt dieser ihn wieder mit straffem Ruck zurück. »Was giebt's da?« fragte er, verwundert den Kopf umdrehend, »haben die auch einen Mädchenräuber gefangen?«

Aus einer Gasse, die auf den Marktplatz ausmündete, kam wie ein Knäuel ein dichtgedrängter, vielköpfiger Menschenhaufen. Er wälzte sich mit verworrenem Geschrei heran, dann auf dem freien Raum löste sich der Knäuel und erweiterte sich, daß eine Holzbahre in seiner Mitte sichtbar wurde, die von zwei Männern getragen, sich auf den Erdboden niederließ. Ein regungsloser Körper lag darauf, dessen Gesicht gegen die Sonnenstrahlen mit einem Tuch verdeckt war. Alle blickten neugierig darauf hin und wichen doch furchtsam etwas von der Bahre zurück, so daß der Platz um sie frei blieb, auf dem sich zwei wunderliche Gestalten auf und ab bewegten.

Die Gruppe, welche vorher den Markt belebt, trat hinzu und drängte sich unter die andern. Auch der Zimmermeister, der den willenlosen Edelmann am Mantelkragen gefaßt hielt, zog ihn mit sich hinan.

»Wenn Du einen Versuch machst, mir zu entwischen,« sagte er vernehmlich mit derbem Ton, »schlage ich Dir die Knochen entzwei wie einem Hund.«

Sybille folgte ihm neugierig und blieb neben ihm unter der Menge stehn.

Die beiden Gestalten, die sich um die Bahre bewegten. waren sich höchst sonderbar entgegengesetzt. Die Eine war lang und dürr und hager; ihr ganzes Aussehen erinnerte fortwährend an einen Storch. Auch die Sprache kam wie eine Art Geklapper zwischen den dünnen und fleischlosen Lippen hervor. Er trug einen faltenlosen, seltsam beblümten Talar, der mit Kräutern und Blattsorten verschiedenster Gattung zum Theil beklebt, zum Theil bemalt war; seine Kopfbedeckung ahmte die mythologische Figur des Merkur nach, ein paar mit Drahtstäben gehaltene Tuchflügel spannten sich von ihr nach beiden Seiten aus und bewegten sich bei jedem Schritt, den er that. Dazu trug er einen mit einer aus Metall gebildeten Schlange umwundenen Rebstock in der Rechten, den er unausgesetzt auf- und abschwenkte, und in dem er eine besondere Kraft verborgen zu glauben schien. Er streckte ihn wie ein Scepter über die Menge und vertauschte mit gewichtvollem Ausdruck die Enden in der Hand; je eifriger er sprach, desto schneller fuhr die Schlange umher und desto lauter raschelten die dürren Kräuter des Talars aneinander.

Sein Widerspiel war kugelig dick, fast haltlos und beinahe erstickend in seinem Fett. Seine Stimme quäkte, schon wenn er bedächtig sprach, aber redete er heftiger, so kam sie unarticulirt heraus und schnappte über und sein Gesicht, aus dem die kleinen, engschlitzigen Augen nur mehr wie ein falber Strich hervorzwinkerten, unterlief dunkelblau vor Athemnoth. Seine Kleidung war der des Langen ähnlich. Statt der Pflanzen trug er indeß zumeist Reptilien mannichfaltigster Art darauf gemalt, Schlangen, die sich mit ausgereckten Zungen um seinen Leib ringelten, Würmer und Insecten, scheußliche, sangenbehaftete Unthiere, Eidechsen, die, wenn er die Glieder eifrig bewegte, aus seinen Aermeln zu kriechen schienen, Alles mit grellen Farben von dem weißlichen Untergrund abstechend. Seine Mütze hatte die Form einer Kröte, mit einem Topas in dem aufgereckten Schlund, und giftig funkelnden Augen; darunter stand auf einem verschossenen Band, das die Haare über der Stirn zusammenhielt: » Per vim animalem

Es sah komisch aus, wenn er die fetten, ungebührlich kurzen Arme und Beine in possierlichem Eifer durcheinander warf. Er trug kein Symbol in den runden, fleischigen Fingern, aber die Hände waren mit einer Salbe überzogen, daß sie glänzten, und er wischte mit einem gelben Tuch den Schweiß, der ihm reichlich vom Gesicht strömte, während seine Linke fortwährend ein faustgroßes Kampherstück an die Nase führte, dessen scharfen Geruch er mit bedeutungsvollem Nüsterschnauben einsog. –

» Domine collega, mirifice doctissime,« begann der Hagere in dem Augenblick, als Sybille an den freien Rand durchschlüpfte und die beiden Figuren mit halb scheuen, halb lachlustigen Augen maß – » Domine Salarius« wiederholte er, zu Häupten der verhüllten Bahre tretend, und die gewichtigen Blicke, Ruhe gebietend, über die Köpfe der Menge hinschleudernd – »ich habe Eurer Aufforderung Gehör gegeben und bin Euch auf den Markt gefolgt, damit ich Euch an vorliegendem Falle in disputatione coram publico beweise, wie sehr die salutaris vis herbarum der von so vielen noch gepriesenen und leider auch von Euch, domine sapientissime, als heilsam erachteten vis animalis, die gänzlich wirkungslos und widersinnig und mir sine praejudicio, collega honorate, völlig verachtbar erscheint, vorgeht. Aber sowohl um der Wahrung der professioni salutari zukommenden hohen Würde willen, als propter inscientiam profani vulgi in arte medendi, ersuche ich Euch, mit mir ab Aesculapi throno herabzusteigen ad indoctos und hanc disputationem in der vulgären Sprache zu führen, welche das Volk, das diese ehrbare Stadt bewohnt, zu reden pflegt.«

Die dicke Gestalt hatte die linke Hand in eine Tasche ihres Talars gezwängt, aus der sie dieselbe nur mühsam, und unter vielfachem Aechzen wieder befreite. Dann brachten die glänzenden Finger statt des Kamphers, den sie im Rock zurückgelassen, eine Handvoll Gewürznelken zum Vorschein. Der Dominus Salarius faßte sie zierlich zwischen Daumen und Zeigefinger und zerrieb sie unter der Nase, während er prustend erwiederte:

» Domine Atrostipes, ich stehe zu Eurem Befehl, collega illustrissime. Semper et nunquam non per vim animalem. Es ist meine Devise, Ihr kennt sie und wißt, welchen Erfolg sie in einer langen Praxis gehabt. Ihr wißt, wohin ich meine Patienten mit diesem Wahrspruch stets gebracht –«

»Auf den Kirchhof,« rief eine lustige Stimme aus der Menge, und ein schallendes Gelächter lief ringsumher. Der Heilkünstler der Thierkraft warf einen verächtlichen Blick in die Richtung, woher der Ruf gekommen, aber auch der Pflanzenverehrer schleuderte einen Zornesblick aus seinen buschigen Brauen über die unwissende Menge, die sich mit profanem Wort in die Dialektik der Auguren des Aeskulap einmischte, und es wurde wieder still, und der Letztere, Dominus Atrostipes oder Schwarzstock, wie sein christlich-germanischer, den Uneingeweihten gebräuchlicher Taufname lautete, nahm, sich räuspernd, das Wort:

» Domine Salarius,« sagte er würdevoll um sich blickend und den Schlangenstab gen Himmel bewegend, »wir haben hier einen Fall, von dem Niemand zu läugnen vermag, daß er durch die Conjunction der Planeten bedingt ist.«

»Ich läugne, Domine,« schrie der Kleine athemlos mit den kurzen Beinen strampelnd, » nego propositionem – ich halte an lunarischen Einflüssen fest – causa major vincit minorem – ist der Mond nicht größer als die Sterne?« fragte er sich zu den Umstehenden wendend, die unschlüssig mit dem Kopf zustimmten.

»Ihr seht's – alle Welt sieht's – die Kinder wissen es,« fügte er schnaubend hinzu, »da habt ihr den Beweis, was es mit der Pflanzenkraft auf sich hat – semper per vim animalem. Kommt zu mir und ich helfe Euch aus jeder Noth,« und er blickte dem langen Gegner triumphirend ins Gesicht.

»Wir haben hier einen Fall, von dem nur die crasseste Unwissenheit läugnen kann, daß er durch astralische Conjunction entstanden ist, collega dilectissime,« wiederholte dieser ruhig. »Wir sehn es in der Natur; fallen nicht Sterne vom Firmament und kommen nicht Seuchen und Mißwachs, welche die Kundigen vorausprophezeihen, wenn sie beobachten, daß ihrer viele herunterfallen?«

Er appellirte ebenfalls mit einer Wendung an die Zustimmung des Haufens, der sie umgab. Ein Gemurmel erhob sich unter demselben; »ja, ja – wir haben's oft gehört – wir haben's erfahren,« riefen Stimmen.

»Seht Ihr,« fuhr er mit gehobenem Ton fort, »Ihr habt's erfahren. Meine Kunst trügt nicht und wenn Ihr zu mir kommt, werdet Ihr erfahren, daß Ihr nicht betrogen seid. Aber es giebt Schwindler – ich meine Euch nicht, collega carissime,« setzte er den Dicken mit durchdringenden Augen fixirend hinzu, »die auf die Unerfahrenheit der Menge speculiren und die erhabene Achtung, welche die Heilkunst verdient, durch leere Blendnisse und Gaukelspiel in der Schätzung der Menge herabsetzen.«

»Hört nicht auf ihn, er lügt – domine eruditissime, Ihr seid selbst ein Schwind–« schrie Salarius mit dunkelblau strotzendem Gesicht, aber der scharfe Geruch der Nelken war ihm zu tief in die Nase gezogen und er schnappte mitten in dem letzten Wort ab, indem er sich plötzlich gegen das Licht herumdrehte und mit allen Muskeln seines Gesichts krampfhafte, zuckende Anstrengungen machte. Dann brach er in ein erschütterndes Niesen aus, daß die Thränen ihm über die Backen liefen und die Schlangen und Eidechsen auf seinem Talar sich durcheinanderringelten und wanden, als ob sie sich zu einem Vernichtungskampf anfallen wollten.

»Seht Ihr,« rief der Storchbeinige, ohne durch die versuchten Invectiven seines Collegen aus der Fassung gebracht zu sein, indem er den Schlangenstab über das Haupt der auf- und abhüpfenden Kröte ausstreckte, » vis omnia superans herbarum« – er roch an Gewürznelken – » caryophyllos olfactabat« – und die unüberwindliche Pflanzenkraft verstopfte seinen Mund, in dem die schnöden Worte gegen ihre Herrlichkeit sich bereiteten. »Es ist ein gutes Mittel, merkt's Euch, gegen den Einfluß eines Kometen, der im Sternbild der Jungfrau oder der Zwillinge mit gelblichtem Schweif erscheint; aber hütet Euch, es zu benutzen, wenn der Schwanz röthlich ist, oder wenn er im Zeichen des Wassermannes zum Vorschein kommt. Dann giebt's nur einen Theriak, der zu schützen stark genug ist, wer ihn haben will, kann ihn in meinem Hause holen. Er ist in Goldtiegeln um Mitternacht ex aqua mille florum gebraut und für den Einsichtigen sicherlich kein Preis für das unschätzbare Heilmittel zu hoch. Bene vertat, collega amatissime

Er begleitete mit dem letzten Wunsch einen neuen Nasenparoxysmus des keuchenden Fleischklumpens, der während seiner Rede vergeblich bald mit den Beinen, bald mit den Armen gesticulirt und demonstrirt hatte, immer aber, wenn er zu sprechen beginnen wollte, wieder von einem neuen Niese-Anfall unterbrochen, seinen Gegner mit kläglich verzweiflungsvoller Miene anstarrte. Er sah in den Gesichtern der Umstehenden, daß er durch die betrübende Einmischung seiner Nase und durch die dadurch ermöglichte Entfaltung der Reize des Theriaks, alles Terrain, das er früher gewonnen, mindestens für den Augenblick verloren und ergab sich harrend und auf eine Bresche in der Beredtsamkeit des mächtigen und begünstigten Gegners lauschend, in sein Schicksal.

Die Schlange beschrieb jetzt einen Halbkreis und schoß blitzend aus den oberen Regionen in die unteren herab. Sie wandte sich von der gedemüthigten Kröte und streckte sich über das Tuch, welches den noch immer regungslos auf der Bahre liegenden Körper verdeckte. »Wir werden jetzt,« sagte der glückliche Inhaber des gewaltigen Erzreptils, um das ihn die blinzelnden Augen des Verehrers der Thierkraft schon seit Beginn der Disputation gallsüchtig beneidet hatten, – »wir werden jetzt,« wiederholte er feierlich, da die Menge den Anfang dessen was werden sollte, noch durch ihr Gesumme übertönte, »dazu schreiten uns zu fragen, welche besondere Wirkung in dem vor uns befindlichen Falle conjunctio infernalis planetarum, Saturni, Martis et Jovis an dem Organismus eines dem genus humanum angehörigen Individuums« – er brach ab und sah erwartungsvoll umher – »oder ist Jemand, der ex corona publica mit Gründen medicinæ seu philosophiæ artis die Berechtigung, besagten corpus als den eines Menschen zu bezeichnen anzuzweifeln und hier öffentlich mit einer Gegenbehauptung vor mir aufzutreten gesonnen wäre?«

Niemand antwortete, auch die Kröte nicht, die einen besseren Moment erwartete, und der Redner blickte triumphirend über den neuen Erfolg auf die Muthlose herab.

»Also haben wir einen Menschen und zwar wie Bekleidung und Bartwuchs, sowie habitus civilis – wie schon bei voraufgegangener Untersuchung ergeben, generis masculini, den wir »Mann« benennen – juvenem würde die unvergleichliche Sprache der Wissenschaft, der wir uns mit Bezug auf die Unfähigkeit der an unserem Ausspruch hängenden Ohren enthalten, ihn mit schärferer Betonung der ihm zukommenden Altersbemessung bezeichnen – und dieser Jüngling ist, am heutigen Morgen von andern Angehörigen seiner Gattung auf die Steinplatten eines Brunnens hingestreckt gefunden, aus dem er muthmaßlich zu trinken beabsichtigte, wie aus der Trockenheit seiner Lippen zu entnehmen, von der wir Euch jetzt durch Eure eignen Augen einen schlagenden Beweis zu liefern gedenken.«

Die Schlange senkte sich, sie ringelte sich unter das Bahrtuch, dann erhob sie sich wieder, warf mit einer schnippenden Bewegung die Hülle zur Seite und das verhüllte Gesicht kam zum Vorschein. Es lag starr, wächsern und leblos; das schwarze Haar war verwühlt und mit Blut an die Schläfe geklebt, über Stirn und Wangen waren dunkelblaue Pusteln mit rothen Bläschen untermischt ausgesprengt. Die geschlossenen Lider regten sich nicht, nur wer zunächst stand, konnte wahrnehmen, daß die Brust sich noch leise, fast unmerklich hob und senkte.

Ein halb erstickter, schmerzlicher Schrei, dem ein tiefer Seufzer folgte, ertönte in dem Moment von dem Rand der Menge, als der Arzt den Zipfel des Tuches aufhob und es nachdenklich zwischen den Fingerspitzen balancirte. Der junge Zimmermann blickte verwundert auf das Mädchen an seiner Seite herunter, das mit zitterndem weitaufgerissenen Augen auf das plötzlich enthüllte Antlitz hinstarrte, während zwei helle Thränen über ihre frischen Wangen herunterliefen. Dann wischte sie die Tropfen mit der Handfläche fort und horchte mit gespannten Zügen, nur ab und zu noch leise schluchzend, auf die Worte des Heilkünstlers.

»Die Sonne steht im Zeichen des Löwen,« sagte dieser, den Finger an die Nase legend, »und vermag deshalb nicht, das Menschengeschlecht mit ihrer göttlichen Macht zu schützen. Deshalb kommen wir in die Gewalt der Qualitäten, deren vier sind, und es entspinnt sich ein Kampf zwischen der Wärme, welche die Kälte vertreiben will, und der Feuchtigkeit, die jener secundirt, um die Trockenheit zu bemeistern. Ihr seht, wie an diesem Individuum das Blut, welches warm und feucht zugleich ist, sich gegen die Ursache der Krankheit gewehrt hat und nach Außen gedrungen ist. Was sagt collega dilectissime, der große Chalinus de Vinario

Allein collega dilectissimus hörte nicht auf die Frage. Er hatte sich nach der endlichen Beruhigung seiner Nase ingrimmig abgewandt und stand, über das bleiche Gesicht Hellems gebeugt, das er mit den glänzenden Fingern sorgsam betastete. Dazu roch er eifrig an dem Kampher, den er wieder statt der unheilvollen Nelken aus dem Sack geholt, und entfernte ihn nicht um Zollweite von seinen Nüstern.

Der Schlangenbesitzer wartete einige Secunden auf Antwort. Er wiederholte noch einmal mit festem, penetrirendem Ton:

»Was sagt der weise Chalin, die gelehrtesten Academien und Alle, die zu unserer Zeit in der edlen Kunst der Hygieina bewandert und erprobt sind?«

Eine tiefe Stille erfolgte; alle Augen wandten sich auf die Kröte, die hartnäckig stumm blieb. Allmälig richtete der gemalte Mercur sich imposanter auf, seine Flügel klapperten und die Kräuter des Talars raschelten verheißungsvoll, in hastigem Zickzack fuhr die Schlange auf und ab, dann sprach die Stimme des hagern Stellvertreters des Aesculap auf Erden majestätisch:

» Curationem omnem respuit pestis confirmata, sagt der weise Chalin, domine Salarius, doctissime – das heißt in vulgärer Sprache: Geht nach Hause und schließt Eure Thüren, denn dieser Mann wird sterben, weil er die Pest hat, die unter Euch in Cölln ist und an der auch Ihr sterben werdet, wenn Ihr nicht bei Zeiten zu mir kommt, um den unfehlbaren Theriak zu holen, von dem ich Euch gesprochen.«

Ein dumpfes Geheul brach aus der Menge, das ein einzelner Schmerzensschrei überklang. Wieder drehte der Zimmermann den Kopf, doch eh' er sich über das vergewissert, was ihn interessirte, blitzte die Schlange, die sich umhergesticulirend hastig auf ihn zu bewegt, vor seinen Augen auf.

»Seht, ich sagte Euch, die Pest sei unter Euch,« rief triumphirend der gelehrte Diagnostiker, » primum pestileutiæ signum profluvium sanguinis e naribus – das untrügliche erste Kennzeichen der Pest ist das Blut, das aus der Nase fließt, und dieser Mann blutet aus der Nase,« setzte er, die Schlange über das Haupt Honfrieds ausstreckend hinzu; – »schafft ihn aus der Stadt, baut ein Pesthaus vor dem Thore, sonst geht Ihr Alle zu Grunde.«

Das Gebrüll des Haufens verstärkte sich; »fort – fort mit ihnen,« heulten die Zaghaftesten. Der Zimmermann lachte aus vollem Halse: »Das Blut von dem Burschen da hat eine sehr natürliche Ursache, gelehrter Herr, und ich will Euch gleich den kleinen, zierlichen Grund vor Augen führen –«

Er wendete sich eine Secunde ab und suchte mit den Blicken nach der Hand des Mädchens, das noch eben neben ihm gestanden, doch der kurze Zeitraum reichte hin, daß eine tobende Menschenmasse sich zwischen ihn und seine frühere Beute warf und den Edelmann mit dem Geschrei: »Fort aus der Stadt mit den Nasenblutern!« über den Markt davontrieb. Dem Grafen schien diese Wendung, die ihn aus der Haft seines musculösen Wächters befreite, nicht unwillkommen, und er lief, die Scheu seiner Verfolger, ihn zu berühren, benutzend, behend vor ihnen auf und verschwand in einer Nebengasse.

Der junge Zimmermann, den das furchtsame Gebrüll der Menge wenig beirrte, suchte aufmerksam nach seiner kleinen Schutzbefohlenen umher. Seine Augen schweiften über den leerer gewordenen Raum, plötzlich gewahrten sie Sybille, die unbekümmert an der Bahre, über das Gesicht des Pestbehafteten gebeugt, kniete, und ihm aus dem Arzneikasten eines der beiden Heilsjünger Essig mit einem Schwamm über die Stirn strich. Dann stieß sie einen Freudenruf aus, denn der Jüngling hob mühsam die Lider und blickte matt und verstört umher.

» Domine collega – illustrissime, amicissime,« schrie die Kröte, wie eine wirkliche vierbeinige Amphibie der Art, auf dein kurzen Untergestell hin und her hüpfend – »er lebt – ein Fall von febris pestilens, der zur Besinnung gelangt – qui obtinet mentis sanitatem – ich werde ihm einen armenischen Bolus einflößen, ein Poma, und ihn zur Ader lassen –«

Er sprang mit blaugeschwollenem Gesicht auf und kramte in seinem Kasten. »Kommt zu mir,« schrie er, obwohl seine Kehle ihn fast erstickte, »ich lasse Euch zur Ader, für ein Billiges, Alle zur Ader, es ist das einzige, unfehlbare remedium wider die Pestilenz,« und er schwang die Lancette, die er hervorgeholt hatte, über der blutlosen Schläfe des Jünglings –

»Seid Ihr toll,« rief das Mädchen ihm entschlossen in den Arm fallend, »Ihr seht, daß der Arme sich fast verblutet hat und noch ohnmächtig von dem Verlust ist –«

Aber die Menge überbrüllte sie. »Stecht sie todt, wenn sie sich Euch widersetzt – laßt ihn zur Ader – laßt ihr zur Ader – der Aderlaß ist das Heilmittel.«

» Domine collega, helft mir,« quäkte der Dicke dem Langen zu, der über die plötzliche Entwerthung seines Theriaks vor sich hin brütete, » dimidiam partem prædæ inter nos diviedere volumus,« und er bewegte das scharfe Messer drohend gegen das Gesicht des muthigen Mädchens, das einen Augenblick erschreckt vor der spitzen Schneide zurückwich und seinen Arm losließ.

Doch ein Stärkerer sollte sich in die Beute theilen, denn im Moment, wo er die Klinge an den Körper des Jünglings setzen wollte, fiel sie ihm aus der willenlosen Hand, seine Augen liefen wild umher, er schnappte noch einmal mit der Kehle, aus der ein schwarzer Blutstrom hervorbrach, nach Luft, und die Kröte schlug mit ihrem todten Besitzer dumpf krachend zu Boden.

In der hilligen Stadt Cölln war die Pest, die den Tod durch die Berührung, durch den Athem, durch die Augen bringt, die sie erblicken. – –

 

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