Jean Paul
Dämmerungen für Deutschland
Jean Paul

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9.
Schlußpolymeter

Zuweilen wurde mitten am Tage der Morgen- und Abendstern im Himmel gesehen, neben der Sonne, wenn – diese verfinstert war. Schönes Sinnbild! Wenn sich uns das Leben verfinstert durch zu große Schmerzen, so erscheint uns recht deutlich Jugend und Sterben; Morgenstern und Abendstern.

*

Tyrann, ins Tränen- und Blutmeer siehst du die Sonne einsinken, welche über die Erde herleuchtete! Aber du hoffst irrig. Auch die 1034 andere Sonne geht unter in Abendrot und Ozean; aber sie kommt am Morgen unerloschen wieder und bringt neuen Tag.

*

Ist das vaterländische Feuer verloschen, und haben die Vestalen nicht genug gewacht: so holet es, wie der Römer seines, von der Sonne wieder, vom himmlischen Musengott.

*

Wirst du, künftiges Deutschland, das jetzige, welches dich zeugt, so verkennen in seiner lichtlosen Gestalt wie Telemach seinen ärmlich gekleideten Vater Odysseus? – Pallas wird es wiederum verhüten, die Göttin nicht nur des Kriegs, auch der Wissenschaft. Sie zeigte ja einst mit dem berührenden Goldstabe dem Telemach den Odysseus; da erglänzten dessen Kleider, und der Sohn erkannte den Vater.

*

Deutschland war lange ein Wald; aber nach Wäldern ziehen sich Gewitter und Regen.

*

Glaubst du, es gebe keinen kleineren Frei-Felsen und Freistaat als St. Marino in Welschland? – Es gibt einen Freistaat, der in einer Brust Raum hat – oder hast du kein Herz?

*

Anfangs fällt die Gestalt im Grabe ein, dann schleift sich sogar ihr Bildnis auf dem Grabsteine hinweg; – was bleibt? Was beide erschuf, die Seele!

*

Freiheit, wo sprichst du deine göttlichen Worte am lautesten? Nicht im Wohlleben und Spätalter der Staaten, nur in ihrer noch kahlen Mai-Jugend. So singt der Vogel seine schönsten Lieder auf den unbelaubten und belaubten Ästen des Frühlings; aber 1035 unter den Früchten des Herbstes sitzt er stumm und trübe auf den Zweigen und schmachtet nach dem Frühling.

*

Gutes Deutschland, oft haben dich die Sittenlehrer und Länderkundigen das Herz Europens genannt! Du bist es auch; unermüdlicher schlagend als deine Hand, bewegst du dich wärmend fort, sogar im Schlafe und im Siechtum.

*

Der Donner zerreißt die deutsche Eiche; aber nicht ihren Samenstaub; und die dodonäische sprach entwurzelt noch als Mastbaum der Argo fort.

*

Tithon liebte die Dämmerung, aber morgenrote; sie, Aurora, erbat ihm Unsterblichkeit, und er behielt die seiner – Stimme.

*

Aurora, du Rosengöttin der Dämmerung, mögest du diesem Buche beides aus deinen Händen herleihen, was die alten Maler in sie gaben, die Rose in die rechte, die Fackel in die linke; – nur lasse jene nicht stechen, diese nicht sengen; milder Duft und mildes Licht sind genug.

 


 


 << zurück