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Mir träumte, Karl der Große halte mich für seinen Sohn, Ludwig den Frommen, und klage so: »Wie seid ihr Deutschen eingeschrumpft, von dir an bis zu den Sachsen und andern Deutschen, die ich besiegte! Wie wenige haben meine Natur! Sonst maß (nach Conring) der Deutsche 7 Fuß rheinländisch, wie ich selber; wenigstens war er 6 Fuß 3½ Zoll nach ZimmermannDessen geograph. Geschichte etc. lang. Wo aber seh' ich dergleichen Potsdamer noch? Dich Betbruder daher wird man bald samt deinen Zwergen geschlagen haben. Himmel, welche Leibes-Stärke mögen unsere Vorfahren besessen haben, da schon Adelung in der zweiten Auflage seiner deutschen Orthographie aus ihrer Stärke die Menge ihrer Mitlauter ableitet, z. B. die sonstigen Chinothzsson statt unserer Genossen! – Wo gibt es denn noch Cäsars Römer um uns herde bell. gall. I. 39. Man lese das ganze Kapitel, das wahre Belobungsschreiben des altdeutschen Kriegs-Gehalts, das, so wie von des Römers Aufrichtigkeit, so noch mehr von der Deutschen Übergewicht sogar unter eines Cäsars Legionen eine ergreifende Ansicht gibt., welche bloß auf Aussagen einiger Franzosen von der hohen Gestalt und Seele der Deutschen und von deren Augenblitze (acies oculorum) alle von den 939 Kriegstribunen an bis zu den Gemeinen dermaßen in Furcht geraten, daß sie in Tränen ausbrechen (neque lacrymas tenere possunt), daß einige um Abschied bitten, andere sich in Zelten ausjammern und daß das ganze Lager testiert? Wo sind noch ähnliche Römer, Ludwig? Reichlich überall (dürfte man hoffen), wären nur erst ähnliche Deutsche da. – Wo ist noch ein Kaligula zu finden, welcher Deutsche nicht besiegen konnte und welcher daher seine Leute zu Deutschen umkleiden ließ und dann über die Vexier-Deutschen oder Masken-Deutschen öffentlich triumphierte?Noch im 17. Jahrhundert hieß eine bloße querelle d'allemand ein Blutbad, nach Meierotto. Auch dieser Kaligula wäre noch zu haben, aber nur zugleich mit Echt-Deutschen. Allein eben nur damals galt Wiardas so treffende Vermutung – in seinem Buche über deutsche Vornamen, bei Fr. Nicolai p. 45 –, daß Germann durch das Affixum Ger, Gar, Ker, d. h. sehr oder ganz, wohl nichts anders bedeute, als was man auf der Insel Rügen einen Sehr-Mann, nämlich einen Vortrefflichsten nenne. Du hingegen eignest dich so wie deine Deutschen mehr zu einem Wenig-Mann und zu meines Reichs Weniger, statt Mehrer.«
Man lasse hier den Traum und den Adoptiv-Ludwig fallen und wache auf. Aber werden denn nicht in unserem Wachen dieselben Klagen über deutsche Ausartung erhoben? Werden nicht Deutsche verschiedener Jahrhunderte, sogar Jahrtausende verglichen und aneinander gemessen? Ohne zu bedenken, daß neben uns auf dem ganzen europäischen Boden auch die andern Völker sich einkleinern, wollen wir stets das Älteste und doch zugleich das Neueste mit und verknüpfen die Klagen, daß wir nicht weit genug hinter uns und nicht weit vor uns leben und stehen. Aber es ist der ewige Fehler der Völker, daß sie das Älteste – was sie sonst nicht eben so außerordentlich achten – begehren und rufen, wenn eben das Neue verblüht und das Neueste aufblüht.
Riesen sind gewöhnlich so schwachköpfig als Zwerge; die Patagonen sind keine Fakultisten; die klein gekörperten Römer und Griechen sahen über die groß aufgebaueten Barbaren hinweg. Wir dürfen nicht den Verlust altdeutscher Vorzüge so hart 940 bejammern, indes wir den Gewinn neudeutscher gleichwohl zu Markte tragen; der Spiritus der geistigen, aus Jahrhunderten zusammengedrängten Kultur wird nicht auf Riesen-Fässer abgezogen, sondern umgekehrt diese auf Flaschen.
Was in Deutschland die alte deutsche Zeit nachspiegelt und nachtut, ist bloß das Volk; das aber dafür wie Polyphem ein Auge weniger hat als die französischen Ulyssen. Auffallend schlägt die französische Bildung – wie denn schon nach Cäsar Gallien sich über Germanien hinaus gebildet hatte – über unsere aus, wenn man bloß den französischen Gemeinen und den deutschen Offizier gegeneinander wägt; zumal da man die Verwilderung der französischen Kriegs-Landfahrer kleiner findet als die Wildheit vieler deutschen Garnisons-Insassen.
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Gallizismen
Der französische Gott ist der Gott des Augenblicks, Augenscheins und des Teilchens. Alles ist schnell wie ihre Angriffe und Siege; alles einzeln und coupiert wie ihre Perioden. Daher ihre Liebe für Einfälle mehr als für Werke. Vielleicht gibt dieser Sinn für den Augenschein ihnen die bessern Wundärzte, so wie die schlechtern Ärzte. Sie ergreifen das Einzelne der Kunst, weniger das Ganze; »daher ihr Durst nach Einzelnheiten des Witzes, der heroischen Antithesen, der kompendiösen Bibliothek von Lebenszusammenfassungen; – daher ihre Untauglichkeit zur Musik, die nur durch Vergangenheit und Zukunft begriffen wird, nicht durch den Schlag der Gegenwart, welchen sie durch ihre Vorliebe für Fortissimo und Pianissimo (nach Reichard) begehren. Ihnen ist deshalb ein Musiksaal ein Sprachzimmer, sie müßten sich denn durch Singen vom Reden abhalten; denn es wird ihnen viel zu lange, so lange nichts zu tun, d. h. nichts zu sprechen, bis der einschlagende Donner des Fortissimo oder das leise Regnen des Pianissimo ihr Ohr wieder ablenkt vom nächsten Ohre. Der Genuß-Freund des Augenblicks liebt stets die Rede; an ihr labt sich entweder Ohr oder Mund. Vielleicht fodern einquartierte Franzosen deshalb oft viel, um viel darüber zu reden oder zu hören und dann hungrig 941 zu Bette zu gehen. – Sie sind daher mehr für die Schnelle des Handelns als die Länge des Dichtens gemacht und haben, wie (nach Voß) die homerischen Götter, hephästische Sohlen, welche die Stelle der Flügel vertreten. Daher wollen sie bei ihren politischen Geburten es wie die Muhammedaner im HimmelFlügges Geschichte des Glaubens an Unsterblichkeit. B. I. haben, wo diese, wenn sie ein Kind begehren, dasselbe in einer Stunde empfangen, geboren und erwachsen erhalten. Aber die deutsche Wärme dauert länger als die französische Flamme.
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Germanismen
Wenn Mendelssohn den Schmerz als die Trennung des Stetigen definiert: so hat er wenigstens den deutschen Schmerz richtig beschrieben. Wir wollen ungern aus einer alten Lage heraus, und ich wette, die Deutschen wenden sich in ihren Betten seltner um als die Franzosen. Wenn nach den Sinesen das Holz das Element aller Elemente ist – wie ihrer Regierungsverfassung ebenfalls –, so dürfen wir uns, scheint es, mit einem Vorrat von diesem Urelemente schmeicheln und uns fast für hölzern ausgeben; Verholzung aber ist wenigstens ein Weg, jene Vollkommenheit zu erlangen, womit die Indier ihr höchstes Wesen bezeichnen, die des Unbeweglichen.
Auf dieses Vermögen zur Unbeweglichkeit möcht' ich den Vorzug gründen, welchen Johannes von Müller den Deutschen zuspricht, daß sie immer große Neuerungen eingeführt nur von fremden Völkern, wie Baukunst, alte Literatur u. s. w., aber solche darauf zu verklärter Gestalt erhoben haben. So daß wir den Römern ähnlichen, welche bloß dadurch siegten, daß sie von allen feindlichen Völkern ihre Kriegskünste annahmen. Sogar auch diese entlehnen wir jetzt; nur wird man leicht erschlagen, wenn man erst mitten im Gewitter oder Kriege die Gewitterableiter aufrichtet. Daher der Rat jenes Bürgermeisters viel zweckmäßiger war, wenigstens ein paar Tage vor der Feuersbrunst die Spritzen zu prüfen und herzustellen, damit man nachher auf nichts zu passen brauche als aufs Feuer. –
942 Niemand verkennt weniger als ich in diesen Verspätungen das, was uns dabei zur Ehre gereicht; alles Starke und Nördliche wird später gereift, von Köpfen bis zu Bäumen; nach Tozen war ein Kurfürst erst im 18. Jahr mündig, ein Schwedenkönig erst im 21., hingegen ein französischer, spanischer, portugiesischer Kronprinz schon im 14ten. Wenn denn die Deutschen alle Gnadenmittel des Kriegs später empfangen, so kann wenig Unterschied zwischen ihnen und den vorigen Dauphins sein, welche die zweite Taufe fast mannbar bekamen – oder zwischen ihnen und dem Vater Abraham, der erst in einem Jahre, wo der Mensch schon abgeschnitten ist von Welt und Leben, beschnitten wurde, im 99ten – oder den ersten Jüngern Christi, oder ihm selber, welche die beiden Sakramente um mehrere Jahrzehende später erhielten – als unsere kleinsten Kinder.
Die deutsche politische Langsamkeit gründet indes im Frieden tief und läßt Fruchtbarkeit nach; so wie die Seine erst nach 15 Meilen in St. Germain, das nur eine halbe von Paris abliegt, ankommt, dafür aber desto mehr unter dem längern Wege befruchtet und hilft. Damit aber verknüpft sich Böses zu Gutem; der Krieg will Schnelle, wie der Friede Langsamkeit; der Krieg – wenn er gut ist – ackert und säet; der Friede pflegt, gießt, behütet und will Zeit, wie der Krieg die Ewigkeit; in diese schickt er.
Das sinesische Ur-Element des Holzes zeigt sich an uns in manchen Erscheinungen. Eine ist, daß wir die Wache für den Staat gern, wie die Städte die der Tore, von abgelebten Alten tun lassen; und der alte General behütet den Thron, wie der alte Spießbürger das Tor.
Eine bessere Erscheinung ist, daß wir, wie die Sparter nach Xenophon, langsam zum Kriege sind – langsam im Kriege ist freilich eine schlimmere –; nach TacitusVelocitas juxta formidinem, cunctatio propior constantiae est. aber bezeugt Schnelligkeit Furcht, Zauderung Steh-Mut und Halt.
Insofern möchten wir wagen, das Wappen zu führen, welches das alte DazienUniversallexikon B. 7. S. 20. auf seinen Münzen gehabt, nämlich einen 943 Wurfspieß, an welchem zum Zeichen der Tapferkeit der Kopf jenes Tiers steckte, worauf Christus einritt, ehe er zu Kreuz, Grab und Himmel kam; aber dies nur deshalb, weil die Alten das bezeichnete Tier das unüberwindliche nannten.
Wieder eine böse Erscheinung! Wir Deutschen sagen alles lang und lange und langweilig. Wir hatten in Regensburg oft hohe Aktenstöße nötig, um damit bloß zwei Selbstlauter auszusprechen – Ja. Die Franzosen, welche drei Selbstlauter gebrauchten, oui, waren bald fertig. Wir haben, wie die Eskimos (nach Monboddo über die Sprache), für viel das kurze Wort: wonnaweuktukluit und für wenig das noch kürzere: mikkeuawkrook. Indes hindert diese vielwörtliche Wäßrigkeit uns so wenig am Geist als eine ähnliche die Weiber am ihrigen, so wie nach Doktor Gall ein ganzer Kopf voll mit vier Pfund Wasser gleichwohl große Seelenkräfte beherbergt. Freilich wenn die französische Sprache dem Wörterbuch ihrer Oper gleicht, das nur 500 Wörter hat: so gleicht dafür unsere einer wahren Polyglotta von Sprachen.Nirgends ist das vortrefflicher ausgeführt als im Buche: Über den Wortreichtum der deutschen und französischen Sprache. Leipzig bei Reklam 1806. Ein schöner, erleuchteter Siegesbogen deutschen Wertes, der über Deutschland steht.
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Gallizismen
Man könnte, wenn gefragt würde, welche drei Dinge im Kriege die besten wären, dreimal antworten: Geschwindigkeit, als eine Menschen-Mechanik, ist darin das Maß der Schnelle, das Maß der Kraft. Auch beweiset dieses der Franzose, der – die Ehe ausgenommen – alles früh und schnell anfängt. Der Krieg ist ein Turnier; aber alle Europäer bekamen die Turniere erst von den FranzosenNach Dufrêne in Pistorius amoen. histor. jurid. diss. VI., so wie das Kriegs-Wörterbuch. – Die Gallier hielten den Pluto für ihren StammvaterCaes. VI. 18.; insofern nun der Krieg der größte Mehrer seines Reichs von Schatten ist, so bedenken sie ihren Ahnherrn, wie Kindern gebühret. Es wäre mehr Scherz, 944 wenn man, da dem Pluto nur schwarze Tiere geopfert wurden, sich Ähnlichkeiten dazu ersinnen wollte, von den schwarzen Hof- und Mode-Farben an bis zu geistigen. – Vielleicht wurden ihre häufigern Schlachtfelder die Pflanzstätten ihrer guten Wundärzte.
Zur französischen Kriegskraft gehört ihre geistige Jugend und ihre Wahl der körperlichen; beides führt wieder zur sieghaften Schnelle. Wenn bei den Deutschen ein Mann nicht eher einige Tausend Regimenter befehligen und stellen durfte, als bis er selber kaum mehr stehen konnte – kurz wenn man, den Fürsten ausgenommen, nicht früher ein Heer weise anführen konnte, als bis man mehrere Millionen Mal rasiert geworden; so ahmen die Franzosen mehr den Griechen nach, welche (nach Winckelmann) den Mars ganz jung und ohne Bart darstellten. – Vielleicht suchen daher manche deutsche Kriegs-Jünglinge das Avancements-Alter, so gut sie können, in Lusthäusern und Luststuben aller Art durch Glatzen und Schwächen so sehr zu antizipieren und zurückzudatieren, daß sie wirklich als Greise anzustellen wären. Vielleicht kommt es daher auch, daß manche halbbärtige Kriegs-Jünglinge die Backen- oder Wangenbärte gleichsam als Maske ihrer Jugend und ihres Kinns nähren und vorweisen; und so deckt – wie an Cäsar der Lorbeer – ein Backenbart die Glatze ganz gut.
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Germanismen
Es gibt eine Menschenklasse – schwer ihr selber zu beschreiben und also schwer den Deutschen, da sie bei ihnen die Mehrzahl bildet –, welche bloß überall auf unserer so eckigen Erdenkugel zu existieren brauchte, um das ganze Leben und alle Tabors und Tempes in eine kahle platte Heide von Lüneburg zu verkehren und einzuplätschen. Nämlich es gibt Leute, welche nicht sowohl das Alte fortwollen – wie etwan die großen Freistaaten –, sondern das Alltägliche, was für einen Freistaat öfters eine große Neuerung wäre.
Spräche diesen geistigen Bettelorden der Seelen ein anderer 945 scharf aus, so müßte er sagen: »Er wünscht vom Leben nichts, als es zu führen und dann mit hergebrachten Zeremonien zu verlassen, damit es ein anderer wieder anfange – Dabei verlangt er das nötige Fabrik- und Regierungswesen – samt so viel Philosophie und Poesie und Uneigennützigkeit und Eigennutz, als er selber hat, und in der Jugend Jugendfehler, und dann den gesetzten Mann.« – Die Herzkammern dieser Leute scheinen Amethyste zu sein, welche jedes Berauschen abhalten; ja der Begeisterte selber wird vor ihnen vernichtet und entfalbt sich mager, so wie sich im Froste die fettesten Gesichter zu hagern einziehen. Das Gähnfieber, das im siebenten Jahrhunderte in Italien tötete, brächten jene Unbegeisterten uns geistig wieder, wenn sie könnten.
Nach ihnen bleibt die Menschen-Welt ewig, wie sie ist; und es tut mir leid, daß Brandes diesen erfrierenden Abgebrannten des Geistes in seinem Zeitgeiste das Wort durch die Behauptung redet, daß kantischer und fichtescher (eigentlich Herderscher) Glaube an ein Fortrücken der Menschheit eben Deutschland so weit rückwärts geschoben. Auf diese Weise das Weltgebäude – denn ich wüßte nicht, warum unser Mittelplanet gerade der schlechteste und stetigste sein sollte – zu einer maison des incurables zu machen, ist nur ein so trostloser Unglaube als der an die Unsterblichkeit. Freien Geistern – im Gegensatze knechtischer Körper – ist eine fortrückende Verschlimmerung, ja Verbesserung leichter möglich als der stehende Sumpf der Unveränderlichkeit. Da man doch einigen Völkern Fortgang zugestehen muß: warum sollte nicht eine zufällige Mehrzahl ähnlicher – wenn ich so blasphemisch-zweifelnd reden darf – ein Übergewicht fortwuchernder Veredlung über Stehen und Sinken erringen und festsetzen? –
Gewiß ists übrigens, daß alles Große, was noch auf der Kleinigkeits-Erde getan worden, nur aus dem begeisternden Glauben an eine Erhebung desselben entstanden ist. Gibts eine Weltgeschichte nur der Danaiden; gilt die häßliche Meinung Robinets, daß immer alles, Gutes und Böses, Wahrheit und Irrtum, Glück und Unglück, in zwei gleichen Teilen waagrecht über die Erde hänge: so sind alle Aufopferungen gelähmt – alle Helden 946 kletternde Nachtwandler ohne Ziel – die Zeiten nur ein wechselndes Auswechseln der Gefangenen – die Erde eine sine cura-Stelle – und das Leben eine Drehkrankheit toller Schafe.
Inzwischen kann doch die Sache anders sein und ein Gott wirklich existieren statt eines bloßen Teufels.
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Gallizismen
Die Franzosen, längst als Götter- und Götzen-Diener der Frauen berühmt, haben uns Deutsche bisher so höflich wie jene behandelt, denen sie unter allen Nationen am meisten huldigen. Sie haben uns wie den Frauen das Angenehmste sowohl gesagt als genommen, sie haben Politesse und Befehle, Selbstsucht und Artigkeit vereinigt, kurz viele glichen nicht dem Polnischen, das (nach Schulze) hart und schreiend wegen seiner Mitlauter vor die Augen tritt, aber im Leben lieblich-mild ausfällt, sondern sie waren vielmehr von beiden das Umgekehrte.
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Germanismen
Folgendes ist ordentlich ein Sinnbild deutscher Mittelmäßigkeit in Nachteilen und Vorteilen. Fast alle Länder mußten ihren Namen – den Boden ohnehin – einer Krankheit verleihen, man kennt eine englische, polnische, ungarische, und dann eine (gleichsam vier Länder-Gevattern stellende): die französische, amerikanische, spanischeDie Lustseuche heißt bei den alten Deutschen hispanische Blattern. und neapolitanische; aber keine deutsche. Allein dafür gibts auch kein Neu-Deutschland, obwohl ein Neu-Frankreich, Neu-England, Neu-Spanien u. s. w. –
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Gallizismen und Germanismen zugleich
In den französischen Urteilen über deutsche Literatur erscheint eine anmaßungsvolle Ärgernis, daß wir uns auf dem Felde der 947 Wissenschaften nicht für ebenso geschlagen achten wollen als auf den Schlachtfeldern. Wiederum in den deutschen Urteilen über französische Literatur offenbaret sich die Ärgernis über politische Niederlagen durch die kühnsten Erleuchtungs-Feste deutscher Literatur-Siege. »Wenigstens« – schreiben sie – »kann kein Potentat uns bei Wasser und Brot befehlen, daß uns die Schriften seiner Untertanen stark charmieren und kontentieren; sondern wir ziehen in Büchern keck vom Leder und zeigen, wo uns das Herz sitzt, ferner der Geschmack.« Auch Verf. dieses erklärt dem Kaiser ins Angesicht – falls das Buch vor seines kommt –, daß er manche deutsche Werke (seine eignen nicht ausgenommen) höher placiert und schätzt als viele gallische, besonders die elenden darunter; er sieht aber allen Folgen seiner Kühnheit unbeschreiblich ruhig entgegen.
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Germanismen und Gallizismen und Katholizismen
Ein Preßzwang der Zeitungen liegt dem Protestantismus nicht nahe. Bloß Friedrich Wilhelm nahm der Nachwelt alle Berliner Zeitungen von den Jahren 1713 bis 1714Siehe Gundlings Leben.; aber das spätere Preußen ließ mitten im Kriege sich von seinen Schreibern ebensogut als von seinen Feinden anfallen; und vertrauete auf die Leser. Um so mehr mag es befremden, daß die Franzosen – als ob auswärtiger Krieg der einheimischen Revolution ähnlich wäre, und als ob sie durch die größte Zensur-Freiheit etwas anderes erlaubten, als ihre Siege zu Papier zu bringen vom Schlachtfelde – mitten im Überflusse angenehmer Wahrheiten so hypochondrisch jede unangenehme aus den Zeitungen verbannen und ihre Schreiber dazu. Da sie nichts von uns zu fürchten haben – außer am Ende Unglauben an die wahrhaftesten Berichte ihrer SiegeDurch Verbergen kleiner Unglücksfälle säeten die französischen Zeitungen einen Unglauben an die Glücksfälle aus, welchen erst das Ende und der Friedensschluß bekehrte. Die Bulletins bewiesen bisher, daß die Franzosen die Wahrheit sagten, wenn sie sich lobten, und daß sie keine sagten, wenn sie nichts sagten. Überhaupt teilen die gewöhnlichen Kriegsberichte zweier feindlichen Mächte, insofern sie die Gräber wieder vergraben, oder den eignen Triumphator, wie die Römer den ihrigen, noch schminken auf seinem Wagen, und den feindlichen wenigstens schwärzen daselbst, unter beide Leser-Parteien gleichviel ungerechten Un- und Leichtglauben aus. Sagt alles, so glaubt man euch alles; und sogar dem Selbst-Vergöttern könnt ihr Gläubige verschaffen durch Selbst-Verleumdung. –, 948 und da man doch nicht annehmen kann, daß sie in einem fort, 365 Tage lang, und durch die ganze Geographie ihrer Schlachtfelder hindurch wollen gepriesen sein, indes sogar ein Cäsar und Friedrich II. eigne Niederlagen selber verbreiten und verewigen: so ist bei diesem liberum veto und Zeitungs-Zwange wohl keine andere Absicht zu denken als die, uns Deutsche zu verfeinern, nämlich Schreiber und Leser abzurichten, wie Franzosen im Schauspielhause schon beim halben oder Achtels-Worte den ganzen Gedanken anzufassen und aus der Höhle hervorzuziehen. In der Tat spinnen die Zeitungsschreiber sich zusehends feiner und dünner aus; nur aber werden leider die Feinen von den Feinern mehr bestraft als ermuntert, was mich halb verdrießt.
Auf der andern Seite laufen wieder zum Verwundern – da doch überall der Franzose wie ein Vogel mitten im Essen und Trinken klug und scheu umblickt – die Cours-Zettel der Kaufleute frei umher, diese Wund-, Beicht- und Komödienzettel der Staaten, da jede Handlungszeitung von Natur zu einer politischen artet. Kaufleute sind die unwillkürlichen Zeitungsschreiber, so wie die Zeitungsschreiber noch stärkere Kaufleute.
Wenn die Handlungen der Fürsten so wenig gesehen werden sollen: macht man dann nicht das Land zu einem KoreaDe la Portes Reisen. 6. B., wo man Fenster und Türen zusperren muß, sooft der König durch die Gasse geht? Gerade aufmachen müßte man sie deshalb.
Neulich las ich in der National-Zeitung der Deutschen – ein fast pleonastischer Titel! –, daß ein Fürst seinem Ländchen alle politischen Gespräche verboten habe. Wenn, nach dem bekannten Ausspruche, gehaltene Gesetze besser sind als die besten nicht-gehaltenen, so ist jenes ein gutes, da es schwerlich ungestraft in einem Lande zu brechen ist, das ein Ländchen ist so breit wie St. Marino. Indes in einem großen Staate, im alten Rom, in 949 England, in Frankreich, wäre Zungensperre bei politischen Gegenständen, d. h. bei nahen und fernen Beziehungen auf das Vaterland, nichts weiter als ein Interdikt des politischen Gottesdienstes, oder als ein Verbot für die Börse, von Warenverboten, oder für das Konsistorium, von verbotenen Graden zu sprechen. Sollte man denn nicht das anteilnehmende Sprechen über das teuerste Wohl, nämlich das ausgedehnteste, statt zu rügen, lieber lohnen? Will denn ein Fürst seine Bürger durch Strafen angewöhnen, kaltstumm gegen das regierte Land und folglich gegen ihn selber zu sein? Fürsten, schauet in die Geschichte zurück: niemand wurde mehr von Bürgern geliebt als die Fürsten, welche jeden Tadel erlaubten; denkt an die preußischen Könige.
Eigentlich ist das ganze Verbot nichts anders als eine Verwechslung politischer Gespräche mit politischen Eigenmachts-Handlungen, für welche letztere sich Verbot und Strafe von selber versteht, eine Verwechslung, die aber bloß in Revolutions-Zeiten keine ist.
Übrigens wenn der Moniteur seinen Käufern nicht (ohne Verletzung über die Hälfte) seinen eignen Anfang und Heidenvorhof verbieten kann; und wenn gleichwohl seine alten Frechheitspredigten jetzt ohne Schädlichkeit gelesen werden: so möcht' ich wissen, ob denn bloß dadurch eine hineinkomme, daß er daraufsetzt, wie auf alte Volksbücher: gedruckt in diesem Jahre.
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Letzter Gallizismus und Germanismus
Unter die Vorzüge, welche vielleicht uns Quartier- und Lastträgern die Franzosen ablernen, wird unsre Flucht und Leichtigkeit und oft veränderlicher Sinn gehören. Bisher waren diese zu fest, wenn auch nicht steif, die einzigen neuern Katos in vielen Punkten. Wie lange hielten sie nicht sonst die kartesische Philosophie und noch jetzt die voltairesche fest! Wie geben ihnen ihre heiligen drei Könige der Tragödie, Corneille, Racine und Voltaire, lauter unbewegliche Feste und die ganze Mode einer hundertjährigen Literatur! Sie, diese Erfinder so vieles Stehenden, 950 von den stehenden Armeen an bis zu den Stereotypen, arbeiten, wie im Trauerspiel, auf Einheit des Interesses (ihrer alten Lustbarkeiten) hin; und gar nicht das wichtigste Neueste wirkt auf sie, sondern das wichtigste Älteste, ihr Name, so wie den Nachtwandler ein Pistolenschuß nicht weckt, aber sein Name.
Dagegen halte man nun uns deutsche Luft- und Äther-Springer, uns flüchtige Salze Europens und Seelenwanderer von Reichskörper zu Reichskörper. Selber unsere Urteile über die zu fixen und feuer-beständigen Franzosen wechseln wir in einem Jahrhundert fünfmal, wenn man unseres unter Louis XIV., dann das umgekehrte unter Louis XV., dann das wieder umgekehrte unter der Nationalversammlung, dann unter dem Gemeinderat, dann das zuletzt umgekehrte unter Napoleon vergleicht, indes ein sechzehnjähriger Franzose nicht viel anders als ein neunzigjähriger jetzt von uns spricht, von welchem ich mir freilich mehrerer Lobreden und weniger Schmeicheleien versähe. Bald glichen wir dem Germanikus und dem (englischen Wappen-) Löwen, welche zwei oder drei kein Krähen des Hahns (Gallus) vertragen; bald wieder unter der Revolution wurde der umgewirbelte Wetterhahn unser Kompaß oder, wie bei Petrus, ein Bußprediger, aber nur darüber, daß wir unsern Herrn – nicht verleugnet.
So gingen wir überall leicht mit der Zeit, die uns denn auch immer mitnahm. Denkt zuerst an die Literatur! Noch kein Volk machte mit solcher schönen Leichtigkeit in so wenigen Ostermessen, gleichsam auf zwei Springstäben, den Weg durch drei philosophische Systeme, ordentlich die drei Instanzen oder die drei operationes mentis, hindurch, Kants, Fichtens, Schellings. Wie schnell ging man vom moralischen Rigorismus Kants und Fichtens zum ästhetischen und politischen Libertinismus der Neuesten über! Wie gewandt springen wir nicht zwischen unsern Lieblings-Dichtern hin und her und kommen leicht (wenn ich mir nicht zu viel schmeichle) von den neuesten auf die ältesten zurück, mit Hinwegsetzen über die Mittelalten! Der Franzose aber macht uns dieses Springen zwischen Neuesten und Ältesten schlecht oder wenig nach, sondern strandet in der Mitte und ankert z. B. bei Voltaire. Ähnliches Übergewicht dürften wir 951 lebhaften runden Schusser Europens vielleicht auch über Italiener und Briten behaupten.
Allerdings tat bisher unsere vereinzelte zwiespältige Reichsverfassung, die uns auf keine Kaiser-Stadt und Residenz-Meinung beschränkte, uns die Freiheit auf, jedes Volk zu werden, sogar ein deutsches. So wurden wir denn allseitig und kosmopolitisch genug und Allerwelts-Nation. Daher nennt uns jedes Land anders: Germans, Allemands, Tedeschi. Wären wir noch vollends in uns selber verliebt, so gäb' es keine Völker-Schönheit im ganzen geographischen Adreß-Kalender, die wir mehr anerkenneten.
Wer indes jede Schönheit lieb hat, bleibt schwer zu Hause, wo zuweilen nicht mehr als eine zu finden ist, wenn er sich selber mitzählt. Freilich ahmen wir alles nach, aber auch uns selber mit, folglich sind wir früher Urbildner als Nachbildner, früher Originale als Kopien, wie denn auch die größten Genies niemand etwas nachmachen als sich. – Übersetzen unserer in andere Völker, Übersetzen dieser in unseres reicht uns das alte Fährgeld Charons, der gleichgültig Verdammte und Selige überführt. Kurz wir, als die echten Mimiker und Ripienisten Europens, wollen alles zu uns hereinheben. Unsere Altäre, worauf wir opfern und räuchern, sind Tragaltäre, mit welchen wir in allen Ländern hausieren, um sie vor beliebige Götter hinzusetzen. Ist es denn etwas anders als dasselbe flüchtige deutsche Blut, welches uns weniger zu Holland- als Weltgängern und Weltfahrern macht und zum Treibeise aller Küsten? Landesverweisung (uns ein lustiger sächsischer Länderer) ist uns nicht wie den Alten, welche durch sie ihre Götter verloren, eine Strafe, sondern schöne Belohnung, ein Geschenk von Wanderjahren zur Meisterschaft. Aber man erkenne, daß uns eben nichts mehr instand setzt, unserer flüchtigen Komplexion Genüge zu leisten, als der Wechsel mit Ländern und Menschen, der uns wieder mit dem nötigsten Wechsel von Moden und Sitten versorgt, bis sogar auf die Tänze, von denen wir ein so reiches Sortiment auswärtiger nachspringen, daß uns darunter sogar unsere deutsche Allemande unter dem Namen einer fremden erscheinen kann unter den Anglaisen, Ecossaisen, 952 Polonaisen, Quadrillen u. s. w. In der Tat, unserer Ehre würde es mehr zuschlagen, schätzte man bloß von dieser Seite unser Streben, die Nebensonne sogar jeder ausländischen Nebensonne zu sein. Das Lächerliche fällt weg, wenn unsere Gesellschafts-Säle Abguß-Säle ausländischer Schönheiten und Sitten sind, da wir mit unserer Allseitigkeit ja bloß den Menschen ähnlich sind, welche – im Gegensatz der Tiere – alle Speisen und alle Klimate vertragen. Obwohl auswärts Nachtreter auswärtiger Moden, sind wir doch zu Hause Gegenfüßler einheimischer – nämlich um nur eine Veränderung mehr zu erzwingen; denn wer nicht ist wie andere Leute, macht eben dadurch andere Leute, und eine neue Mode nicht mitmachen, heißt ja eine neueste mitbringen.
Uns übrigens deshalb Affen Europens zu nennen, anstatt dessen edlere ernste trübe Urangutangs, würde wohl kein Zoolog für recht sprechen.
Da der Holländer der feste enge Maskopeibruder des Deutschen ist: so möchte man vielleicht fragen, warum gleichwohl die sieben Provinzen den zehn Kreisen die Sprünge so wenig und schlecht nachtun und ungern einen andern Wechsel honorieren als den a uso, und warum alle etwanigen politischen tours de force der Holländer – oder gar die literarischen – kaum wie Schritte aussehen gegen unsere. Aber wie, wenn eben Holland der Bajazzo Deutschlands wäre, und letzteres erst der echte Springkünstler? Macht denn der Bajazzo nicht alle Luft-Künste des Springers absichtlich recht ungelenk und langsam vor, damit der nachkommende Künstler nachher durch den Abstich desto herrlicher glänze?
Vielleicht darf man sich jetzt mehr als je vom Kriege schmeicheln, daß zwei Völker gegen einander noch etwas Freieres und Eigneres als ihre Gefangenen auswechseln, so daß französisches Phlegma oder Bodensatz sich mit deutschen flüchtigen Geistern auf eine Weise versetze, welche in beiden Nationen den nationellen Überschlag in das Gleichgewicht der Humanität zurückstellt; gleichsam eine Vereinigung zwischen dem starren Mars und der leichtfertigen Venus. Nur macht der volatilische Deutsche die Sache dem festern Franzosen etwas sauer; denn wie es 953 einen gedruckten »geschwinden Lateiner« gibt, so will er der geschwinde Deutsche sein und schlägt bei jedem Blatte der Sphären-Partitur der jetzigen Weltgeschichte mit der Entschuldigung um: volti subito. Den Franzosen ungleich, welche, wie gedacht, im Leben wie auf der Bühne Einheit des Orts und des Interesse behaupten, nehmen wir bloß die dritte Einheit, die der Zeit, für uns an und weg und drängen alle unsere komischen und tragischen Veränderungen in die kürzeste Zeit. Unsere Trauerspiele mit ihren Schlachten werden oft auf der Bühne und im Leben gleich schnell abgespielt.
Noch ein Beweis der deutschen Schnellsegler sei der letzte.
Wenn ein Leser eines Klopstocks, Kants, Fichtens, Herders, Jakobis, Schillers und aller edlen Deutschen – der Platons, Rousseaus, Montesquieus etc. gar nicht zu gedenken – auf einmal aus ihren himmelsfreien Eden-Gärten auf den Sklavenmarktplatz neuerer Schreiber eintritt, und wenn er von dort her Ohr und Herz noch voll mitbringt von Lehren, welche nur den Menschen, nicht sein Tier beseelen, welche vom freien Menschen-Geiste, von Genuß-Aufopferung und von allem reden, was alle höhern Seelen bisher gehabt und ausgeteilt, was im Glück aufrichtet über die Weide und im Unglück über die Wüste, und was allein die Menschen einander und das Leben achten lehrt – und wenn dieser plötzlich auf dem Sklavenmarkte nun nichts ausrufen hört als Geld und Handel und politisches Maschinen-Wesen und heiße Ideen-Moloche mit Völkern in Armen: dann empfindet ein solcher, aber an zu weiten Wunden seiner Brust, wie sich die Deutschen und die Zeit so schnell umstürzen; ein Brahmine, der Reis-Mißernte wegen plötzlich ausgeworfen aus seinen milden Gefilden in grönländische Jurten voll Tran und Seehundsfelle und Aussichten aufs Eis, dieser könnte nur das körperliche Gleichnis zu jener Empfindung hergeben.
So schnell beten die Deutschen das philosophische Vaterunser, wie Hexen das evangelische, rückwärts, um damit Zauberei zu treiben.
Was den gedachten Handel angeht, so sind wir hierin wie echte Juden, nicht etwan, weil wir ihn so sehr wie sie treiben und 954 begehren, sondern weil der Gesetzgeber Moses eben den Juden den Handel verboten, den sie jetzt nicht fahren lassen wollen. Die Alten achteten nie am Handel den Handel selber; in Griechenland das so günstig ihm die Küsten darbot, betrieb ihn der Sklave; und im Handels-Karthago hielt sich der verachtete Kaufmann nicht unter Bürgern, sondern in gesonderten Bezirken auf.Agrippa de nobilit. foem. sex. Die großen Alten und die alten Großen konnten sogar edler Fruchtlosigkeit den Vorzug vor gemeiner Nützlichkeit zusprechen, so wie in ihren heiligen HainenPotters Archäologie. (englische Gärten auch in diesem Sinne) nur fruchtlose Bäume standen. Insofern bloß Übergewicht des geistigen Gehaltes und der höhern opfernden Kraft berechnet wird, so käme dasselbe mehr dem Kriege als dem Handel zu, und in dieser Rücksicht streicht mit Recht, sogar äußerlich, das Kauffahrteischiff vor dem Kriegsschiffe die Segel; es ist leichter, Gewinn als Ehre zu suchen, leichter, zu berechnen als zu bekämpfen; und an sich fodert der kleinste Krieg, das Duell, mehr sittliches Opfer als der Großhandel. Der Handel (sagt Montesquieu) knüpft Völker, und zertrennt Einzelwesen – so wie der Krieg, setz' ich dazu, es umkehrt –; und eben jene Zertrennung zeigt sich in den europäischen Kolonien so um desto grausamer, je kaufmännischer die Nation ist, daß z. B. der Holländer und Brite weit härter als der Däne und Franzose bisher seine Kolonisten behandelte. Klein ist die Selbstsucht des Kriegers gegen die des Kaufmannes, schon weil jener – länger Opfertier als Opferpriester – mit notwendigem hohen Selbst-Hingeben sich seine kurzen Genüsse einkauft. Der Handelsstand gedachte mehrmals zeither durch seine gedruckten Handelsberichte und Klagen, wie wenig diese und jene Ware eben anzöge und stiege, und wie viel er uns Kunden damit weit weniger abgewänne, als er in so spekulations-günstigen Zeiten zu erraffen gehofft; durch dieses Jammern über das Glück der vielen tausend Kunden glaubte er letztern eine und die andere Träne ins Auge zu treiben; – freilich geht sie hinein, wenn man lacht; aber Verfasser dieses erhielt sich dabei mehr trocken und ungerührt. Um aber eben jener Menschen-Trennung zu wehren, so muß 955 ein Handelsstaat zugleich ein Freistaat sein; dann bringt das Interesse am Staate das kaufmännische ins Gleichgewicht mit jedem Einzelwesen.
Handelsfreiheit ist ohne Handelns-Freiheit nichts oder Gift; denkt an das freie England, Holland, an den Hanse-Bund und dessen nordischen Nach- und Herbstflor. Politische und kaufmännische Freiheit fodern, heilen und ergänzen sich gegenseitig. In der Türkei sind Fugger unmöglich, sie durften von 1534 an Gold- und Silbermünzen prägen, wie in England Bolton Kupfermünzen; aber dort in der Despotie wären nur statt der Köpfe Rümpfe einzuprägen. So war es z. B. ein Zufall der Geographie und Zeit, daß die Römer mit keinen andern Waren handelten als mit Sklaven und Königen; wiewohl freilich auch jeder Handel da wegfällt, wo die Tapferkeit alles umsonst bekommt und weggibt.
Über die Zwang- und Notwesten der Knechtschaft, in welche jetzt einige Schriftsteller uns wie Wahnsinnige stecken, laßt uns schweigen aus Schmerz oder Verachtung! Lieber bin ich Linguet in der Bastille als vorher ein Linguet als ihr Lobredner; denn alle Sklaverei besteht bloß in der Liebe derselben; und ein Sokrates thront im Kerker. Mit der Menge ists freilich anders, eben ihres Namens wegen, sie vergiftet sich in der schwarzen Höhle des Despotismus gegenseitig. Daher bisher die größten Staaten Despotien waren oder wie Rom wurden; nur der neueste nimmt sich durch seltene Verhältnisse davon aus. Mit dem Bambusrohr, womit der oberste Chinese oder Mandarin Bücher und Dekrete ausfertigt, schlägt der chinesische Kaiser ihn zum traurigen Ritter und mehr als hundert Millionen Menschen zu einer Schafherde herunter.
Bei den Persern durfte man, wenn man opferte, von den Göttern nichts für sich allein, sondern es zugleich für alle und den König erbitten.Herodot. I. 132. Diese Sitte ist die schönste Definition der Freiheit. Nichts ist gefährlicher für Menschen-Wohl, als dasselbe der Idee eines Einzigen unterzuordnen und unterzubauen; es müßte denn die Idee gerade das höchste und weiteste Wohl bezielen, 956 nämlich eben den unauslöschlichen Charakter der Humanität, für welche Freiheit Folge und Bedingung ist.
Einheit, Gleichheit, gerade machen kann man freilich so leicht wie der allmächtige entgeisternde Tod. Ein Alter beschrieb die krumme Linie als eine, worin kein Teil die übrigen Teile beschattet; die gerade beschattet sich überall. Die Freiheitslinie ist wie die Schönheitslinie, ebenso gebogen; die ankettende Linie ist wie jedes anziehende haltende Band, stramm gerade; und an einer Idee eines Einzigen sterben die Ideen von Tausenden.
Noch haben wir wenig zu befürchten als uns selber; und die Zukunft wird von der Gegenwart mehr versprochen als gedroht, wenigstens falls wir mehr die – Franzosen nachahmen.
Dies ist weder Scherz noch Wagsatz; denn ich spreche von Vaterlandsliebe. Der Franzose liebt seine Volksbrüder feurig, wo er sie finde, und noch dabei – vielleicht eben darum – seinen Beherrscher; er verficht heldenmütig seinen Waffenbruder und seinen Fürsten. – In Deutschland aber läuft der Efeu der Vaterlandsliebe mehr am Throne empor als auf dem Boden umher; nämlich wir haben immer einen großen Fürsten – groß entweder geographisch, oder heroisch, oder sittlich – vonnöten, um erst an ihm das Vaterland zu lieben.
Noch hat uns – den gedachten Einfluß der Fürsten abgerechnet – das Unglück nicht so viel Vaterlandsliebe gegeben, als das Glück den Franzosen davon gelassen, ja zugelegt. Oder soll unser geschriebenes und gemurmeltes Geklage über Mangel an Geld, an Handel, an Kriegsglück, an Kriegsverstand, an Patriotismus ein Zeuge des Patriotismus sein, indes er – wenigstens in kleinen Ländern und in den fernen Länder-Außenwerken der größern – sich nicht mit seinen beseelenden Flammen, nämlich mit einer selbstvergessenen Aufopferung für Gesamtheiten, Bürgerschaften u. s. w. tätig erweist? Anstatt z. B. unter die Kriegslast der Menge die eigne Schulter zum Tragen unterzustellen, zieht sie jeder hinweg und beklagt bloß das allgemeine Beladen unbeladen.
Aber euch, ihr deutschen Fürsten, ruft die Kraft eures patriotischen Einflusses auf, euren Zepter zum schöpferischen Zauberstab der deutschen Völker zu machen, bloß dadurch, daß ihr euch 957 recht – lieben lasset; damit aus dem Sterben und Leben für den Landesvater eines für das Vaterland werde. Wie ein Vater Liebe seinen Kindern nur abverlangt als Bürgin und Quelle ihrer künftigen für ihre Kinder: so schenket doch, ihr Fürsten, dem Deutschland liebende Deutsche zurück. Eure Thronen waren oft bisher die Cestius-Pyramiden der Deutschen; werden sie künftig die Wetterscheiden finstern Gewölks! –