Jean Paul
Dämmerungen für Deutschland
Jean Paul

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VI.
Vorschlag eines neuen Gesandtschafts-Personale für Fürsten, das beinahe unentgeltlich schreibt

Wenn ein Finanzminister keinem Tiere so ähnlich ist als einem Menschen, weil dieser, nach Cicero, das einzige ist, das rechnen kann; wenn der rechte Financier mehr den Staat heraus- als hineinzurechnen hat: so dürfte der Verfasser dieses vielleicht als ein wackerer Finanzmann den Kammern sehr gefallen, da er hier den Fürsten ein neues Gesandten-Personale vorschlägt, das beinahe nichts kostet – an Diäten, Depeschen-Porto und silberne Tafelservice ist ohnehin nicht zu denken. Dieses Personale hält sich in ganz Europa gratis auf und versendet jährlich so bestimmte Depeschen aus allen Ländern, daß sie sogar ins einzelne der Geburts- und Sterbelisten, der Landes-Verfassung u. s. w. eingehen. Haben nicht diese wahren Kreisgesandten des Erdkreises in ihren unschätzbaren Depeschen Sachen gemeldet, wovon die gewöhnlichen Ambasciadores der Fürsten kein Wort gewußt? Haben sie nicht die französische Revolution vorausgesagt – ferner die Jammerfolgen deutscher Einmischung in diese – die Erhebung Frankreichs – die Napoleons u. s. w.? Doch ich halte mit dem Preisen ein, da ich selber – wiewohl nicht als Legationsrat – mich als unwürdiges Mitglied an diese ehrwürdige Ambassade reihe, welche aus achttausendsechshundertundzweiundsechzig Mann besteht, die sich – Schriftsteller nennen, so wie ihre Depeschen Werke.Nach Meusel im J. 1800. Was hätten die Fürsten nicht von diesen wahren Botschaftern und Nuntien (wie die päpstlichen Gesandten auch heißen) ohne alle Nuntiatur-Streitigkeiten von Glück und Unglück, Kraft und Krankheit eigner und fremder Staaten erfahren können, z. B. – um nicht der Gesandten vom ersten Range zu gedenken, eines Platons, Aristoteles – doch von Gesandten tieferen Ranges, wie Archenholz, Buchholz, Bülow etc.! Wenn andere Gesandten viel öfter Minier-Kompasse des Kriegs-Feuers sind, wenn die runden Fensterscheiben, womit sie Licht geben, so leicht Feuer geben: so sind wir Plenipotenziaren mehr wohltätige 993 Mistbeet-Fenster, welche die Stürme abwehren und das Wachsen antreiben. – Und was fehlt denn unserem so ehrwürdigen corps diplomatique, dem Friedrich der Einzige (leider war dieses Beiwort eine Prophezeiung) so gern Audienz gab? Nicht etwan eine Entzifferungskanzlei (diese trägt ein Fürst im Kopfe unter der Krone); – nicht Rekreditive (denn die Zeit erteilt sie); – nicht Kenntnisse (denn wir wissen alles, und die andern Gesandten entziffern und erangeln erst manches aus uns); – nicht Glanz und Würde (denn unter unserem Ambassaden-Personale sehen wir oft Regenten selber wie Friedrich II., Cäsar etc). – Aber wenn nicht diese Vorzüge, welche fehlen uns? Nur Introducteurs des Ambassadeurs. Ich meine damit nicht fürstliche Ober- und Unterbibliothekare; sie sind ja angestellt und zuweilen den ersten römischen Bibliothekaren gleich, welche gewöhnlich Sklaven waren; ferner sind die öffentlich-fürstlichen Bibliotheken samt den Handbibliotheken auch aufgestellt, die aber ihre Nachrichten häufig nur für den Buchbinder geben. Ebensowenig werden fürstliche Vorleser gemeint; hatten denn die Fürsten sie nicht unter dem noch höhern, aber richtigern Titel Lecteurs oder Lectores, d. h. Leser? es sei nun, daß diese ihr Amt allein zu Hause gewissenhaft schon ohne einen Ohrenzeugen verwalten, oder daß Fürsten ungern hörende Leser beim Vorlesen sind, weil sie es hier, wie alle höhere Personen, gleich den orientalischen Fürsten bei AudienzenNach Wallis. Siehe Bibliothek der Menschheit. I. S. 185., zum Anstand rechnen, nicht zu scheinen, als ob sie Achtung gäben. Außerdem ist ja der Vorleser nur der Vorschneider, nicht der Kredenzer.

Sondern Introducteurs des Ambassadeurs sind erst noch von Fürsten anzustellen und zu beeidigen, nämlich eine geheiligte Gesellschaft von Männern, welche mit grenzenloser Zensur-Freiheit dem Fürsten alle wichtige gedruckte Aufsätze in Betreff des eigenen Landes und der eingreifenden Nachbar-Länder gewissenhaft anzeichnen und vorlegen müßten – die für den zeitigen Fürsten oft so wichtigen Zeit-Schriften wahl- und teilweise – von Justiz-, Finanz- und Kriegs-Wesen, Statistik und Regierungsphilosophie sowohl die Meisterwerke als die zeitmäßigen Notizen. Gott, 994 welches Unheil wäre oft abzutreiben gewesen, hätte man manchen Fürsten einzelne Aufsätze von Archenholz – Büsch – Bülow – Moser – Möser – etc. vorwählen und vorlegen dürfen! – Die Rats-Wahl, d. h. die Wahl gedruckter Ratsherrn für Fürsten, bleibe fremden Vorschlägen auszusagen überlassen. Genug; denn kann ich auch nicht den Organisations-Plan eines solchen Kollegiums von geistigen Wahlherren samt deren Glieder-Zahl, Wissenschafts-Rangstufe und ihren Sitz- und Lauf-Tagen angeben: so kann ich doch die Notwendigkeit davon noch länger beweisen; was eben geschehen soll, weder ohne Ernst noch Scherz.

Schwerlich hat ein Mensch weniger Zeit zu lesen als ein Fürst, welcher kaum die kurze erübrigt zu schreiben, nämlich seine Namensunterschrift, welche zum Glück der Mangel des Geschlechtsnamens etwas verkürzt. Fürstinnen lesen mehr Gedrucktes als Fürsten, auch weil sie weniger zu schreiben haben – keine Namensunterschrift – bloß ihre Briefe an ungefährliche Bekanntschaften (liaisons). Will dennoch ein Fürst lesen, so weiß er alsdann nicht was, oder – falls man ihm es aus schlimmern Gründen als die seinigen empfohlen und zugebracht – so weiß er nicht warum. Dabei weiß er aus dem ungeheuern Sternhimmel der Wissenschaften – ohne Finder an Teleskopen und ohne Kometensucher – nicht, was er vor der Hand und am besten zu ersehen habe für sein Auge, zumal da er zwar alle, aber nicht alles beherrscht.

Laßt uns für kurze Augen nicht sowohl als für kurze Gedächtnisse hier in kurzen Sätzen reden.

Wenn viele Fürsten Kaufleute sind, welche forthandeln und fortspekulieren ohne allen gedruckten Wechselkurs, ohne Nachrichten von ein-, ausgelaufnen und gekaperten Schiffen und ohne Zeitungen von Krieg und Frieden: so gibts solche Kaufleute und Urbilder gar nicht, sondern bloß die Nachbilder, die Fürsten. Unerwartet berühren sich wieder die Extreme; die schwere Kunst zu regieren wird zur leichtesten gemacht. Jeder verwaltet früher sein Land, ehe ers verwalten läßt; aber auf dem Throne sitzt zuweilen der ungekrönte Reichsvikarius neben dem gekrönten Fürsten, der RepräsenTant neben dem RepräsentanDen.

995 Auf den Alpen sieht sich oft drei Wochen lang der Hirt nicht nach seiner Herde um; ist aber eine Alp ein Thron?

Gerade das eigne Land schickt dem Fürsten, wie China dem Europa, keine Gesandten, ausgenommen die wenigen aus ausländischen Pressen. Inländische berichten ihm dafür treu genug das Ausländische; und so sieht ein Fürst das fremde Land oft heller und richtiger als das, welchem er mit seinem Zepter wie mit einer Magnetnadel die rechte Himmelsgegend zeigen soll.

Wissen müßte eigentlich ein Fürst mehr vom ganzen Lande als sonst ein Mensch darin, weil die Thron-Höhe seinen Fall sowohl tiefer als zerschlagender für ihn und die Menge macht. »Bewahrt Feuer und Licht« gilt zwar für alle Hausbesitzer, aber am meisten für einen Pulvermüller. Ganze verblutete Zeiten und Völker stehen vor uns als Blutzeugen des Satzes, daß ein Fürst etwa eine Wahrheit, anderthalb Seiten stark, nicht gelesen hatte. Denn die Fürsten, wie wir alle, sündigten mehr, weil sie es gut, als weil sie es böse zu machen suchten.

Wer soll nun den Häuptern unter dem Thron-Himmel, der so viele Schatten und falsche Lichter wirft, wahre Beleuchtung geben? – Quält wenigstens den armen eingesperrten Hofmann nicht damit, der genug mit Selbst-Verhüllen zu tun hat und an Enthüllen gar nicht denken mag. Er dankt Gott, wenn der Hof eben eine gute Flötenschule ist, und wenn alle Ergrimmungen, Unsittlichkeiten und alle öffentlichen Übel den guten Charakter der Krätze und des Friesels annehmen, welche beide sich (nach Platners ars medendi) niemals im Gesichte zeigen. Ihm, dem schon das Gesicht nicht genug verstummen kann, wär's ja schrecklich, wollten vollends die Lippen sprechen. Er kennt den Herrn, hofft er, der ein noli me tangere, ein Berührmeinnicht ist, eine Sinn-Pflanze, welche durch starkes Berühren leicht eine Un-Sinnpflanze wird. »Wollte nur Gott,« sagt er, »man könnte dem Herrn noch weit mehrere Nasen drehen, damit er wenigere verteilte! Wie sollen Hoflustbarkeiten gedeihen oder nur auszuhalten sein, zumal solche, denen man schon von vormittags an beizuwohnen hat, wenn der Herr in der Fête wie ein stiller Sturm dasitzt, uns Tafelleuten gegenüber als ein gekrönter Medusenkopf, der uns 996 zuletzt allen die Zungen versteinert, wie der heilige Paulus auf Maka den Schlangen die ihrigen; und dies bloß, weil irgendeine ungebetene Schlange dem Herrn etwas Unangenehmes – es möge meinetwegen wahr dazu sein – hat weisgemacht! Daran denkt wohl kein solcher Unberufener, welches Bad durch seine Wahrheits-Verräterei er noch sämtlichen Supplikanten, Kabinettsarbeitern, ja allen Hofbedienten bis zur Garderobenjungfer herab bereitet, bloß indem er den Herrn versäuert. – Ein hübscher Genuß von den Nuditäten der Wahrheit! Ich bin wenigstens schönern begegnet!« Ein Hofmann wird sich stets gegen einen Hofprediger zu irdisch und gegen einen Hofnarren zu hoch schätzen, um, gleich beiden, alles zu sagen.

Wer aber sonst etwa? – Minister und Kabinettsräte haben genug an ihrem Berge von besondern Vorträgen und Wahrheiten bis hin an die Fürsten-Ohren und -Unterschreibfinger zu tragen und genug seine Hör-Gefälligkeit (officium recitationis)So hieß in Rom die höfliche Verbindlichkeit, zur Vorlesung eines Buchs zu kommen, dessen Verfasser unser Freund war. in Anspruch zu nehmen, als daß sie am feurigen Busch, der sie zu mosaischen Gesetzgebern macht, sich den Mund durch eine Annäherung verbrennen sollten, welche gewisse Wahrheiten fodern.

Die wenigen drei Menschen, welche dem Throne oft die härtesten sagen, sind nur 1) die an den Galgen, 2) die an den Pranger kommen, 3) die an beide gehören – nämlich Spione, Pasquillanten und Denunzianten.

Wer kann nun an die Krone noch anders die Berglampe befestigen zur Kenntnis von Gruben und Gold als wir? Wer kann den Fürsten die Wahrheit uneigennütziger und unparteiischer – denn wir reden ja zu allen, auch ungebornen – sagen als wir, oder feiner, durchsichtiger und reizender? Daher wir Gesandten wieder untereinander uns wechselseitig Gehör geben, bloß aus Vergnügen am Vortrag. Der Buchstabe wird nicht nur nicht rot, auch nicht bleich; das Buch sagt kühn allen alles. Den bittern Heiltropfen, den endlich mühsam und aus Rechtschaffenheit ein Hofmann für den Herrn auf einen so feinen hohen Zuckerhut eintröpfelt, daß am Ende wieder gegen den Hut etwas 997 Adstringierendes zu verschreiben ist, – diese Bitterkeit gibt kein Autor ein, sondern bloßes süßes Manna, welches etwas abführt.

Gesagt wird euch Fürsten doch einmal die Wahrheit, wenigstens von der Zeit gewiß; nur schonet diese wenig den Gaumen, sie verkleidet (umgekehrt gegen den Hofmann) das Süße ins Bittere; die Zeit läßt gern in Zeitlosenessig und Pest-Essig ihre Honigblase schwimmen. Ihre Kurmethode ist gewöhnlich eine Ekelkur.

Die Geschichte verordnet: entweder seht, oder weint! Diese Wahl zwischen offnen und nassen Augen habt ihr nicht mehr, wenn euch die maskierten Lust-Bälle des Hofwesens endlich an die maskierten Batterien haben tanzen lassen; weil ihr nicht bedachtet, daß alles Bedeckte, von bedeckten Wegen und Wagen an bis zu heimlichen Artikeln, dem Kriege zuführt oder angehört.

Montaigne bemerkte (II. 34), daß alle Helden-Fürsten stets einen besondern Schriftsteller liebgewannen, Alexander den Homer – Scipio Afrikanus den Xenophon – M. Brutus den Polyb – Karl V. den Philipp von Commines; – wozu noch in neuern Zeiten kommen mit Curtius Karl XII., mit Ossian (wenigstens sonst) Napoleon und mit Voltaire Friedrich II., der fast Sanssouci oder Berlin zur quai de Voltaire gemacht. Wenn nun der unruhige Helden-Fürst schreibenden Flügelmännern nachschaut und nachübt: so dürfte, scheint es, der ruhigere Fürst noch mehr Ursache und Zeit, ihnen zuzusehen, haben.

Wenn die Weltgeschichte der Steckbrief der Vergangenheit und die Sicherheitskarte der Zukunft ist und die Schriftstellerschaft das Observationscorps der Länder; wenn also jedes gute Buch ad usum Delphini und für eine Fürsten-Dauphine geschrieben ist: so, dächt' ich, läse man etwas.

Wenn nach Friedrich II. die Schriftsteller die Regenten des Publikums sind – folglich eines größern, als je ein Fürst eroberte und übermeisterte –, so halte sich doch ehrenhalber jeder regierende Fürst zu seinesgleichen und berate sich mit seiner Mitregentschaft über das Wohl gesamter Schrift- und Amts-Sassen. Die Mitregentschaft hat – durch die Zeit – die gesetzgebende Gewalt, die Regentschaft die vollziehende.

998 Unter die größten Schulden einer Krone würde allerdings gehören, wenn unter der letztern alles fehlte, was sie trüge. Aber dieses Defizit deckt der Tilgungsfond einer gelesenen Bibliothek erträglich. Man hat ein Prinzessin-Waschwasser; Druckerschwärze ist Prinzen-Waschwasser. Wenn die größten Köpfe und Genies sich nicht schämten zu schreiben, sogar wenn sie Kronen aufhatten wie Cäsar: so können bloß gekrönte Köpfe sich nicht bedenken zu lesen, zumal da man nach der allgemeinen Meinung leichter und abwechselnder lieset als schreibt.

Wachttürme wandte man oft zu Bibliotheken an; leichter werden euch diese zu jenen!

Wer euch umgibt, bestiehlt oft Bücher, um euch zu bestehlen; wie könnt ihr euch gegen Wissen anders waffnen als mit Wissen?

In Frankreich gelangte im 12. Säkulum niemand zu den höchsten Staats-Ämtern, als wer MagisterMencken de Charlat. erudit. ed. IV. war; zum allerhöchsten sind wenigstens einige Magisterkünste gut. Es ist gewagt, mehrere Millionen Leser zu befehligen, ohne selber einer zu sein; und was Millionen brauchen, bedarf auch einer; war der Preßbengel der Hebebaum von Völkern, so ist er auch das Schwungbrett eines Mannes. – Überhaupt nur einen kenn' ich, der nichts zu lesen braucht; und das ist der, der selber das größte Buch gemacht, das der Natur.

Es gibt Gesandte unter uns, denen ein Jahrtausend nach dem andern und Volk nach Volk Audienz erteilt; wolltet ihr euch von schlechtern vom dritten Range abspeisen und die Plenipotenziaren der Zeit gar nicht vorlassen? Denn schickt nicht Alexander seinen Botschafter Aristoteles an euch? Heinrich IV. seinen Sully, wie nach England? Christus seine Apostel? – Mich dünkt, Personen solchen Ranges wären zu hören und stimm- und tafel-fähig.

Aber, fragt man, wem sollen deine kurzen Sätze dienen? Einem lesenden Fürsten kämen sie zu spät; einem nicht-lesenden kommen sie gar nicht vor. Recht gut! Eben darum dring' ich auf Introducteurs des Ambassadeurs; so werd' ich eingeführt und der Aufsatz dazu. 999

 


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