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»Ruhig und ohne Flucht ließ sie sich gefangen nehmen. Als der Postmeister DrouetMoniteur in angeführter Stelle, Nro. 198. mit ihr zur Abtei fuhr, und er den Pöbel, der sie umbringen wollte, durch die Erinnerung an das Gesetz zum Gehorsam brachte, so fiel sie in Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, war sie in Verwunderung, daß der Pöbel sie noch leben lassen, und daß dieser, den sie für eine Zusammensetzung von Kannibalen gehalten, dem Gesetz gehorcht hatte. – Das Weinen der Weiber schmerzte ihre Seele, aber sie sagte: ›Wer sein Vaterland rettet, den kümmert es wenig, was es kostet.‹
Die Scheide des Dolchs, einiges Geld, ihr Taufschein und Paß, eine goldene Uhr und eine Adresse ans Volk wurden bei ihr gefunden. Bei dem Eintritt in die Abtei rannte ein Jüngling mit der Bitte herzu, ihm statt ihrer Gefängnis und Tod zu geben; er erhielt beides nur wie sie.Louvet am angeführten Orte. Wer auf den Toten eine Träne fallen läßt, stirbt ihm nach, sagt der Aberglaube; so tötet in der Despotie die Träne, welche auf das schuldlose Opfer rinnt. – Die ganze Nacht sprach das begeisterte Mädchen von den Rettmitteln der Republik: ›Ich habe das Meinige getan,‹ sagte es vergnügt (nach Drouets Bericht), ›die andern mögen das übrige tun.‹
Um diese Zeit hörte der edle Mainzer, Adam Lux, von ihr sprechen, wiewohl als von einer wahnsinnigen alten Betschwester und aristokratischen Schwärmerin; aber bald darauf schauete ein starkes Herz in ein zweites; er begegnete ihr auf ihrem Sieg- und Leichenwagen zur Guillotine und bestieg ihn bald darauf selber (am 10ten Oktober)Frankreich 1800, 9. St. S. 79 etc., weil er die Heldin und die Freiheit verteidigt hatte.« – – –
Hier nahm der Präsident, da das Gewitter nicht mehr seitwärts, sondern gerade über ihm spielte, Abschied von uns und entschuldigte sich.
»Nur eine Minute lang will ich«, begann der Graf, »unterbrechen, um mit Ihnen an das bedeckte verschattete Grabmahl dieses herrlichen Adam Lux, einer Römer-Seele, einer Hermanns-Eiche, zu treten, um daran ein altdeutsches Leben wieder zu lesen, wie es wenige führen. Lux, ein Landmann und glücklicher Vater, war als ein Mainzer Abgesandter nach Paris gegangen, um (friedlicher, als später geschehen) sein Vaterland an Frankreich anzureihen. Er hatte aber in seiner Katos-Brust mehr mitgebracht, als er finden konnte im damaligen Pariser Blut-Sumpf: eine ganze römische und griechische Vergangenheit und Rousseaus eingesognen Geist und die Hoffnung einer steigenden, siegenden Menschheit. Da er nun kam und sah, so gingen ihm die Freuden und Hoffnungen unter, und er behielt nichts als sich, sein deutsches Herz; nur die verjagten, an der Zeit reifenden Girondisten waren mit ihren Wunden Balsam für die seinige. Forster und andere Freunde hielten ihn mühsam ab, daß er sich nicht zum Beweise zugleich seiner Treue und Trostlosigkeit vor dem Konvente den Dolch in die hart ausgeplünderte Brust einstieß. Nun konnte er nichts weiter tun (ehe Corday den ihrigen ergriffen), als still und fest sein und mit der glühenden Brust auf den fressenden Wunden ruhen; ins Holz von Boulogne verbarg er sich und las Brutus' Briefe an Cicero; sein Angesicht blieb faltenlos, sogar heiter; denn die hohe Seele hoffet länger das Hohe als die niedere, und wenn am Hügel schon der Schatten liegt, so glühet der Berg noch lange der Sonne nach.
Da begegnete dieser feste, von der Zeit umhüllte Geist der geopferten wie opfernden Corday auf ihrer Treppe zur Gruft oder eigentlich bei ihrer Himmelleiter; er sah ihr stilles großes Untergehen und die Henkers-Entheiligung ihres Hauptes und den alles verdrehenden Wahnsinn. – Nun drückte ihn das Leben und die Zeit zu schwer; – die niedergebogne alte Flamme seiner Seele loderte aufwärts, er schrieb ein sehr gemäßigtes Blatt für Corday, ein zweites gegen den letzten oder 31ten Wonnemonat, gegen die Vertreiber der Republikaner.
Er wurde ins Gefängnis la Force geworfen; aber sein Geist und seine Zunge blieben frei. Er empfing darin keinen Schmerz als den von seinem wohlmeinenden Bekannten Wedekind, der ins Journal de la Montagne, um ihn zu retten, die Lüge einschickte, Lux habe nur aus wirklichem Wahnsinn der Liebe für Corday so geschrieben. Aber er foderte kräftig den Widerruf ab und wiederholte damit die deutsche Kaltblütigkeit, womit er in der früheren Schrift für Corday zugleich sie bewundert und getadelt hatte. Man bot ihm für Verstummen leibliche Freiheit an; er verwarf den ekeln Köder und sprach nicht nur fort, sondern drang durch Briefe bei den Wohlfahrt- und Sicherheit-Ausschüssen und bei dem Präsidenten und dem öffentlichen Ankläger des Revolution-TribunalesFrankreich l. c. immer wärmer darauf, daß man ihn vor Gericht bescheide. – – Endlich erfüllte man ihm am 10. Okt. morgens seine Foderung; abends um 4 Uhr war er da, wo er hingehörte, im Lande einer dauerhaften Freiheit bei dem Genius, der ihn mit diesem himmlischen Herzen heruntergeschickt.
Und kein Deutscher vergesse ihn! – Aber wie wird alles im Rauschen der fortziehenden Zeit übertäubt und vergessen! Welche hohe Gestalten stiegen nicht aus dem unreinen Strome und glänzten und sanken; wie Wasserpflanzen in die Höhe gehen, um zu blühen, und dann, mit Früchten beladen, untersinken.« – –
Ich fuhr fort: »Er starb rein und groß zugleich. Dies war schwer in einer Zeit wie die seinige – denn durch die gewaltsamen einmütigen Bewegungen eines Volks wird leicht das zarte moralische Urteil, wie durch ein Erdbeben die Magnetnadel, entkräftet und verrückt. Der Geist der Zeit, von welchem jeder durch seinen einzelnen sich rein zu halten glaubt, besteht ja aus nichts als vielen einzelnen Geistern; und jeder ist früher der Schüler als der Lehrer des Jahrhunderts, wie früher ein Sohn als ein Vater; nur aber daß, weil wir die Farbe des säkularischen Geistes bloß in großen Massen spüren, jene uns aus den einzelnen Wesen, woraus sie allein zusammenfließt, verschwindet; wie ein einziges, aus dem grauen Welt-Meer geschöpftes Glas Wasser rein und hell zu sein scheint. – Auch über den festen Mainzer, der ungleich dem Revolutionhaufen nicht nur Segel, sondern auch Anker hatte, regierte ein Geist der Zeit oder vielmehr ein Geist des Volks – er war ein Deutscher.«
»Ich sehne mich wieder«, sagte der Graf, »nach der großen Corday; ihr Bild vor mir tut mir so wohl wie der jetzige Donner über uns; es blickt ja so heiter-ruhig, als wär' es das Urbild, in die Blitze.«
»Den dritten Tag der Gefangenschaft – den Corday den zweiten nach ihrer tätigen Vorbereitung zur innern Ruhe nennt – schrieb sie die unvergeßlichen Briefe an Barbaroux und an ihren Vater. Ihr Urteil darin über den toten Marat hatte noch die alte feste Strenge, von keiner Weichherzigkeit für eine Leiche bestochen. Auf gleiche Weise gab sie dem Revolutiontribunal auf die Frage: wie sie Marat für ein Ungeheuer halten können, da er ihr, nach ihrer schriftlichen Klage über Verfolgung, den Zutritt gestattet, zur Antwort: ›was sei denn das, gegen sie menschenfreundlich und gegen alle Menschen ein Wütrich gewesen zu sein?‹ – Sie bat in ihrem zweiten Briefe ihren Vater um Verzeihung ihrer Aufopferung und sagte: ›Freuen Sie sich, daß Sie einer Tochter das Leben gaben, die zu sterben weiß. Mich beweine keiner meiner Freunde! Ihre Tränen würden mein Andenken beflecken, und ich sterbe glücklich.‹
Den Brief an Barbaroux endigte sie mit den Worten: ›Morgen um 5 Uhr fängt mein Prozeß an, und ich hoffe an demselben Tage in Elysium mit Brutus und einigen andern Alten zusammenzukommen; denn die Neuern reizen, da sie so schlecht sind, mich nicht.‹
Mittwochs den 17ten stand sie vor dem Revolutiontribunal. Was sie davor und überall bisher sagte, würde aus einem andern Munde wie erhabene Sprüche klingen aber wer im Großen einmal lebt, der zeigt unbewußt und unangestrengt nichts als seine Erhöhung, und er bewohnt bloß die Ebene auf einem Gebirge. Wenn indes die so sanfte Gestalt dem Albas-Blutrate so schneidend und strafend antwortete: so denke man daran, daß kein edler Mann weniger tun könnte, der nun die aufgeblasenen befleckten Richter so vieler unbefleckten Seelen auf einmal vor sich sähe; Leute, der Königschlange gleich, die sich mit ihren Ringen in Gestalt eines tränkenden Brunnens aufmauert, um die Tiere anzulocken und dann erquetschend zu umwickeln.
Cordays Leben hatte nur noch eine freie Minute, und in dieser gab sie auf lauter schlechte Fragen diese Antworten: ›Alle Rechtschaffene sind meine Mitschuldigen. – Die Franzosen haben nicht Kraft genug, um Republikaner zu sein.‹Moniteur l. c. – Und nach einer VerwechslungDenn Freitags vorher hatte eine Unbekannte diesen Volkmörder mit Heftigkeit zu sprechen gesucht. ihrer mit einer andern Frau, die den Fleischer Legendre sprechen wollen, versetzte sie: ›Ihr begreift doch, daß man nicht zwei solche Taten auf einmal verrichtet, und mit Marat mußte man beginnen.‹
Sie empfing ihr Todesurteil vom Richter so heiter, als sie es einen Monat früher über sich selber ausgesprochen hatte. Sie dankte ihrem Verteidiger, dem Bürger Chauveau, für seine mutige Verteidigung und sagte, sie könn' ihn nicht belohnen, bitt' ihn aber, als ein Zeichen ihrer Achtung den Auftrag anzunehmen, für sie eine kleine Schuld im Gefängnis zu bezahlen.
Abends bestieg sie ihren Leichenwagen, auf dem sie den schleichenden Weg zum Sterbebette zwei lange Stunden machte, angezischt und angeheult vom Volk, für das sie sterben wollte. Sie war bitter-allein, ohne irgendeinen Verwandten ihres Herzens oder ihres Schicksals. Bloß unwissend begegnete sie in der Straße St. Honoré dem, der das eine war und das andere wurde, dem Adam Lux aus Mainz. O warum mußte ihr Blick, der die anhöhnende Menge vergeblich nach einem gleichflammenden Herzen durchsuchte, diesen Bruder ihres Innern nicht finden und kennen, warum blieb ihr die letzte Entzückung der Erde verweigert, die Überzeugung oder der Anblick, daß der Glaubensgenosse und Verteidiger ihres Herzens und der künftige Märterer ihrer Tat sie jetzo begleite an ihr Grab, dann in dasselbe, und daß eine edle Seele der ihrigen nachweine und darauf nachziehe? – Und er war ihr so nahe und sah ihre letzte Minute! Aber er hatte das Glück verdient, sie sterben zu sehen. Die ganze Frühlingwelt in des Republikaners Herz blühte wieder auf, da er diese Ruhe der Verklärung auf der jugendlichen Gestalt im roten Sterbekleide, diese auf dem langen Todeswege unverrückte Unerschrockenheit in den stolzen und durchdringenden Augen, und wieder diese unter dem ewigen Verhöhnen zärtlichen, mitleidigen und feuchten Blicke sah, deren Engelhuld seinem so männlichen Herzen ebenso bitter war als süß. – Nein, wer ein solches Wesen leben und leiden sah, kann es nicht beweinen, nur nachahmen; das vom Wetterstrahle der Begeisterung getroffne Herz duldet nichts Irdisches mehr an sich; so wie bei den Alten die vom heiligen Blitze des Himmels getroffne Stelle nicht mehr betreten und überbaut werden konnte.« –
»Wär' es denn Sünde,« sagte der Graf, »wenn man nach gewissen Gedanken keine mehr denken wollte? Wenn ich jetzt herzlich wünschte, daß mir gegenüber dem Bilde dieser Uranide der große schöne Donner das kahle Leben auslöschte? Wär' dies Sünde? Ach warum muß der arme Erdensohn meistens in Wintern aller Art sterben, selten im Feuer und Frühling?«
»Freundlich und ruhig bestieg Charlotte Corday«, fuhr ich fort, »die Trauerbühne, wo sie diesen Erdennamen ablegte, und grüßte die wilden Tiere unter dem Gerüste so sanft, daß sogar diese zahm sich niederlegten. Lasset uns nicht lange auf dieser blutigen Stelle verweilen, wo so viele Seufzer und Schmerzen wohnen und nachtönen; und du selber, Charlotte, hast hier die letzten über dieses Schlachtfeld des würgenden Marats, über dieses Erbbegräbnis freier Herzen empfunden! – Ein Würger nahm ihr die jugendlichen Locken, enthüllte das jungfräuliche Herz, das noch einmal in der blassen Todesstunde das keusche Blut auf die verschämten Wangen trieb – und legte das blühende Leben unter die ausgespannte Parzenschere – und es entflog in die ewige Welt.... O nur nicht mehr als einen Augenblick habe der Erdenschmerz, der Erdentod den hohen Geist verfinstert, wie der Berggipfel die Sonne des längsten Sommertags nur eine Minute verdeckt, zwischen ihrem Unter- und Aufgang! – Du aber, edler Mainzer, gehe nun mit deiner entbrannten Seele heim und sage noch einmal die kühne Wahrheit und kehre dann auf dieses Sterbegerüste zurück! – Und niemand von uns weine über die Hohe, sondern er opfere wie sie, was Gott von ihm begehrt, es sei das Leben oder weniger!« –
Die Erzählung war geendigt. Ich faßte die Hand des Grafen, der weinend seinen Mund auf Cordays Bild gedrückt. Das Gewitter hing brausend auf uns herein und schien vom unaufhörlichen Blitze wie überschleiert oder verflüchtigt. Auf einmal trat im Westen unten an den Wetterwolken die stille Abendsonne heraus wie ein großes, aber wolkennasses Auge, und wir sahen die weinende niedergehen; und dachten schweigend länger über Helden und Heldinnen der Freiheit nach.