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Einige Zeit später verspürte Albereta den Wunsch, Tyrells zu besuchen, um ihnen ein gutes Wort zu sagen.
Nach Glück hatte es in der letzten Zeit nicht bei Tyrells ausgesehen. Gautier kam aus seiner Mißstimmung nicht heraus und Adgife wußte nicht, was sie anfangen sollte. Konnte sie der Gräfin Troarn noch mehr Spielraum im Herzen ihres Mannes geben? Ihr noch mehr zeigen, 119 daß sie bescheiden ihr wich, um ihn glücklich zu wissen? Was sollte sie beginnen, um sein Gesicht wieder strahlen zu sehen? Denn so sehr ihn auch die Laune des Königs ärgerte, so kannte Adgife ihn doch zu gut, um nicht zu wissen, daß diese Laune allein ihm nicht nahe ging. Ein schwererer Kummer mußte auf ihm lasten.
Da ereignete sich Folgendes:
Gautier kam in bösester Stimmung aus einer Gesellschaft heim. Adgife bemühte sich vorsichtig, zu erfahren, was ihn so aufgebracht hätte. Er erzählte zwischen langen Schlucken aus seinem Becher und gewaltigem Würgen, denn er war wie ein Kind, und wenn ihn etwas ärgerte, so konnte er in Schluchzen ausbrechen – daß diese glatte Larve, der byzantinische Knabe, anwesend gewesen wäre, angeblich, um mit Prinz Henry zusammen zu kommen, der übrigens in London saß und Unsinn trieb und nicht daran gedacht hätte, bei Bellesme Klatsch über seinen Bruder anzuhören. Frau Adgife begriff nicht im geringsten, wie der kleine Titus ihren strahlenden Gautier in diese Mißstimmung versetzen konnte. Sie forschte weiter und erfuhr, daß Herr Titus heute nicht so schüchtern wie sonst gewesen war, er hätte sich sehr viel und sehr lang mit Frau von Bray unterhalten. Unüberlegt warf Adgife hin:
»Was kann dir daran liegen, ob diese beiden Katzen sich anmiauen oder nicht?«
Da stieß er den Becher brüsk auf den Tisch, erhob sich brauenrunzelnd und ging heftig hinaus.
120 Adgife legte die Hände an die Stirn. Nun helfe ihr einer, diesen Menschen verstehen lernen! Was hatte sie nun wieder verbrochen? Tränen drangen ihr in die Augen. Sie mochte tun und sprechen, was sie wollte, mit allem erregte sie Widerspruch, stieß sie an. In diesem Augenblick wurde Albereta gemeldet.
Tiefes Erstaunen bei Adgife, dann eilte sie ihr höflich entgegen.
Albereta wollte nicht in den Saal, sondern zu ihr in ihre lauschige Kemenate geführt werden. Dort setzte sie sich ihr gegenüber und bemerkte die frischen Tränenspuren an ihren Augen.
»Ich wünschte, der König wäre wieder zurück,« rief Adgife, »die Erwartung, was nun eigentlich wird, lastet schwer auf allen.«
»Bis auf Euch.« Albereta lächelte. »Ich glaube, Euch ist es höchst gleichgültig, ob Robert und Rufus einander die Schilde zerhauen.«
»Wenn mein – Gemahl mir Sorgen machte, dann trügt nur Ihr die Schuld daran.«
»Ich? Weshalb ich? Euer Gautier fragt nach mir ebenso wenig, wie ich nach ihm. Ihr seid das Gegenteil von dem, was man eine Menschenkennerin nennt.«
»Wie«? Adgife sprang auf und trat dicht vor Albereta hin. »Was sagt Ihr? Mein Gemahl wäre Euch gleichgültig? Weshalb wärt Ihr ihm dann so freundlich begegnet? Weshalb sucht er Euere Nähe auf?« . . .
»Das hat andere Gründe, Frau Adgife.«
121 Albereta richtete ihre Augen auf die feine Stickerei, an der die Schloßfrau vorher gearbeitet hatte. »Ihr werdet es wohl einmal erkennen. Übrigens, wo ist Euer Gemahl, ist er abwesend?«
»Er hat mich soeben in schlechter Laune verlassen.«
»In schlechter Laune, weshalb?«
»Ich weiß es nicht,« Adgife fühlte ihre Augen wieder naß werden, »er erzählte von Bellesme, bei dem er verschiedene Leute getroffen habe. Da warf ich ein paar Worte hin, die ihn empört hinausgehen machten.«
»Ist es unbescheiden zu fragen, wem diese Worte gegolten haben?« Die Gräfin Troarn blickte halb neugierig, halb mitleidig auf Adgife. Diese ließ sich wieder nieder und griff ärgerlich zu ihrer Handarbeit.
»Ach, diesem verwünschten Knaben aus Byzanz. Ich weiß wirklich nicht, weshalb der herkam, ich glaub, er war schon einmal Ursache eines Zwistes zwischen uns.«
»Des Jünglings wegen?« Albereta schüttelte ungläubig den Kopf.
»Auch von Giffiu von Bray war die Rede. Ich begreife nicht – weshalb lächelt Ihr so seltsam, Albereta?«
»Ach, Adgife, daß Ihr doch mehr begriffet, als Ihr begreift. Seid Ihr wirklich so kurzsichtig oder stellt Ihr Euch so, um besser beobachten zu können?«
Adgife warf ihre Arbeit weg und ergriff Alberetas Hände.
»Was bedeutet Euere Rede?« Ihre niedere Stirn 122 bedeckte sich mit Glut und die trüben Augen richteten sich flehend auf die Freundin.
Albereta sah eine milde Gestalt vor sich auftauchen und dachte, gleichsam sich rechtfertigend: Nicht weh tun will ich, ich will nur Aufklärung schaffen. »Merktet Ihr denn nicht längst, daß Euer Gautier Frau Giffiu nachseufzt? Sie hat's ihm angetan und er steht in ihrem Bann.«
»Giffiu?« Adgife schlug die Hände zusammen. »Die einzige von allen, die ich verabscheue, der ich allen Unsegen auf den Weg wünsche, die, gerade die! Allen bin ich gewichen, wenn er die Arme nach ihnen ausstreckte, an sie kam mir kein Gedanke. . . . Aber wie konnte er – sie im Herzen tragend, Euch mit seinem zärtlichsten Lächeln grüßen und locken, und wie konntet Ihr, ohne ihn zu lieben, auf dieses Lächeln antworten?« . . . . .
»Gute Adgife, wir haben Komödie miteinander gespielt, ich weiß nicht, ob er mich verstanden hat, ich habe ihn verstanden.«
»Nicht allein ich, alle haben geglaubt, daß er Euch nicht gleichgültig sei, daß Ihr ihn nur deshalb, weil der König ihn fallen ließ, von Euch weist.«
Albereta machte eine Bewegung des Unmuts. »Ihr seid blinder als der Maulwurf.«
»Ach, Albereta, auch Graf Troarn, Euer Gemahl, hat geglaubt, was ich glaubte.«
»Und Ihr gabt so bereitwillig hin, was Euch als das 123 Höchste und Beste gilt? Saht geduldig zu, wie wir uns zurückzogen, um allein miteinander zu sein? Pfui, über ein solches Sichselbstaufgeben.«
»Albereta,« Adgife richtete die Augen warm auf sie, »wißt Ihr, was Liebe ist? Die Liebe, Albereta? Dann müßt Ihr auch wissen, daß sie bereit ist, sich nicht einmal, sondern tausendmal für das Geliebte zu opfern. Ich weiß es, daß ich häßlich bin, ich weiß auch, daß mein Gemahl schön ist. Ich kann ohne ihn nicht leben, er kann es ohne mich. Widersetzte ich mich seinen Neigungen, so würde er mich aus seiner Nähe verbannen, vielleicht aus seinem Hause stoßen. So habe ich mir angewöhnt, mit ihm zu lieben, was er liebt, um ihn nicht zu verlieren. Ich kann seine hellen Augen, die das Schöne schön finden, nicht blind machen. Albereta, mehr als einmal stand ich schon, wenn wieder eine neue Neigung ihn ergriffen hatte, auf dem Söller und sah sehnsuchtsvoll in die Tiefe hinab. Aber dann fiel mir ein, daß der Tod ja Trennung sei, und ich kehrte, meine Tränen verbergend, zu ihm zurück und legte ergeben mein Schicksal in seine Hände. Albereta, ich habe sein Haus mit Schönheit angefüllt, man sagt mir, jede Magd von uns wäre wert, einen Edelmann zum Gatten zu bekommen, ich pflanze ihm Blumen in jedes Gemach, die ihn mit seinem Lieblingsduft grüßen, ich richte kleine Vöglein ab, seinen Namen auszusprechen, ich tu alles, um sein Lächeln, seine frohe Laune mir zu erhalten. Begreift Albereta, und verachtet nicht.«
124 Tränen traten in Alberetas Augen.
»Ich verstehe Euch, Adgife. Ihr habt recht, das ist die Liebe. Ich nehme den Argwohn gegen Euch zurück, der mich glauben ließ, daß Ihr Troarn mehr als freundschaftliche Neigung entgegenbrächtet.«
»Das habt Ihr geglaubt? Nun jetzt versteht Ihr, warum ich mich Troarn so enge anschloß. Ich zitterte vor ihm. Wenn seine Eifersucht erwachte, welche Gefahr für Gautier. Ich suchte durch alle möglichen Mittel ihn gut und friedlich zu stimmen . . . . .«
»Redet nicht mehr davon, ich versteh Euch, sprechen wir lieber von – Giffiu.«
»Ach!« Adgife stieß die Zähne zusammen. »Die, die! Ich habe ihn erzürnt, weil ich verächtlich über sie gesprochen habe. Wie mach' ich's wieder gut? Helft mir, gebt mir Rat!«
»Ich weiß Euch keinen.« Das schöne Gesicht Alberetas senkte sich sinnend, ein Zug der Härte trat darauf. »Wenn –« sie sprach jedes Wort langsam und zögernd aus – »Diebe meine Schatzkammer berauben, so ist es mir erlaubt, sie niederzustrecken. Ist mein Gatte weniger wert als der Inhalt meiner Schatztruhen? So würde ich denken und – danach handeln, wäre ich Adgife Tyrell.«
»Habt Ihr vergessen, daß ich ihn träfe, träfe ich den Dieb.«
»Ihr habt recht. Nein, Ihr dürft Euch nicht schützen, Arme.«
125 Albereta trat ans Fenster und sah nach dem wolkenbedeckten Horizont.
Adgife schritt eine Weile auf und nieder, ihr Gesicht war bleich geworden. Endlich näherte sie sich der Gräfin.
»Verzeiht mir, wenn ich Euch verlasse, Albereta, ich reite nach Bray. Ich will versuchen – ihre Freundin zu werden.«
Albereta sah sie unsicher an.
»Zu Giffiu wollt Ihr?« Dann umspannten ihre Hände mit stummem Druck die Adgifens und sie entfernte sich.
* * *
Giffiu saß in ihrem holzvertäfelten runden Erkergemach, ein Bein übers andere geschlagen, die Arme auf die Lehne ihres Sessels gestützt und sprach mit dem rosenroten Papagei, der auf ihrem Knie saß.
»Du bist ein dummer Junge, du wirst nie reden lernen. Du sollst nicht andere Vögel oder gar das Wiehern der Pferde nachäffen, sprechen sollst du. Sag: Giffiu!«
Da pochte es bescheiden an. Die Kammerfrau steckte den Kopf herein und meldete Frau von Tyrell.
Giffiu kniff die Augen zusammen.
»Frau von Tyrell?«
»Frau von Tyrell.«
»In den kleinen Saal.«
Giffiu sah ihren Vogel an. »Verstehst du's? Ich versteh's nicht.«
126 Sie warf eine ärmellose Tunika über ihr meerblaues Kleid, raffte die Schleppe auf und stieg ins untere Stockwerk, in dem die Empfangsräume lagen.
Wahrhaftig! Frau von Tyrell! Sie verneigten sich voreinander. Adgife bemühte sich, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu geben.
»Weshalb empfangt Ihr mich so förmlich hier im Saal? Habt Ihr oben Besuch?«
»Augenblicklich nicht« – Giffiu machte eine Handbewegung nach einem der Sessel hin, die feierlich die Breitseite der Wand einnahmen und ließ sich selbst nieder – »aber mein Papagei hat Sprechstunde, und ich weiß nicht, ob Ihr nach seinem Geschmack seid; wenn nicht, dann könnte er unartig gegen Euch werden.«
»Das wäre kein Unglück, ich erziehe selbst Vögel und kenne ihre Eigentümlichkeiten. Wie sieht er aus? Rotes und grünes Gefieder, nicht?«
»Nein, tiefblaues. Er ist groß wie eine Ente und seine gewöhnliche Redensart ist: Laß mich zufrieden.«
Adgife nickte mit leichtem Erbleichen.
»Ein kluges Wort von einem Vogel, wert, daß alle Menschen es beherzigten.«
»Ich kann nicht behaupten, daß ich je aufgehört hätte, dieses guten Rates eingedenk zu sein, aber ich habe Euch noch gar nicht gefragt, was mir die Ehre und das Vergnügen Eueres Besuches verschafft.«
»Laßt mich Euch zuerst Antwort geben auf Eure vorige Rede. Im Frieden lassen und im Frieden lassen, 127 ist zweierlei. Es gibt Leute, die mit lautem Gepränge auftreten, das unterste zu oberst kehren. Vor solchen kann man sich hüten und Anstalten gegen sie treffen, damit sie einen wirklich in Frieden lassen. Denn ihr Lärmen verrät sie. Dann aber gibt's andere, die kommen still zur Stube herein, setzen sich geräuschlos hin und lächeln nur. Was soll man mit diesen tun? Sie sagen ruhig: Was willst du, ich rühre mich ja nicht. Und doch wirken sie lauter als die Lärmenden.«
»Meint Ihr Euch selbst damit?«
»Mich? Nein.«
»Wen sonst?«
»Ach, Frau Giffiu, erspart Euch diesen eisigen Blick. Gebt Euch keine Mühe, ich stehe Euch nicht im geringsten im Weg. Im Gegenteil. Ich bin hierhergekommen, um Euch zu bitten, uns öfter als bisher zu besuchen.«
Giffiu ließ die rötlichen Wimpern leicht aufeinander spielen und lächelte wegwerfend.
»Seid Ihr – abgeschickt worden?«
»Abgeschickt? Von wem?«
»Nun, das weiß ich nicht. Ich wußte bisher nicht, daß Ihr so große Sehnsucht nach mir habt.«
»Ich habe Sehnsucht nach Frieden.«
»Haltet Ihr mich für eine Friedenbringerin? Das ist brav von Euch und zeugt von Euerm scharfen Geist.«
»Für den, der Euch liebt, seid Ihr gewiß friedenbringend.«
»Was geht's mich an, wer mich liebt.« Giffiu zog die 128 Schultern hoch. »Ich locke niemand, ebensowenig ich mich locken ließe.«
»Aber Ihr fühlt doch Mitleid mit einem Herzen, das Leidenschaft für Euch erfaßt hat.«
»Mitleid? Weshalb? Soll ich mich so gering schätzen, daß ich den bemitleide, der mich liebt?«
»So setzt Teilnahme an die Stelle des Wortes.«
»Brrr, welche Erbärmlichkeit traut Ihr mir zu. Verwechselt mich nicht mit Euch. Ihr würdet vielleicht den Mann zu bemitleiden haben, der Euch liebte. Aber selbst Ihr habt es nicht nötig, denn Ihr war't klug in Eurer Wahl, was ich – offen gestanden! Euch gar nicht zugetraut hätte.«
»Frau Gräfin –«
»Nun, was erregt Euch? Seid froh, daß Ihr keine mißliebige Ausnahme macht. Ich kann Euch sagen, nichts Dümmeres als ein Weib, das sich besser zu sein dünkt, als seine Schwestern sind. Der Unterschied zwischen der tugendhaften und der nicht tugendhaften Frau ist nur der: die eine ist begehrt worden, die andere blieb unbegehrt. Sela.«
»Ihr irrt Euch. Es gibt Frauen, hinter denen die Versuchung herläuft und die –«
»Meint Ihr Euch?«
»Nein, Frau Giffiu, hinter mir läuft keine Versuchung her.«
»Lügt doch nicht so, um Eurer selbst willen nicht, und 129 macht mir weis, daß Ihr die Erhörung Eurem Galan gar so leicht gemacht habt.«
»Gräfin Bray, ich schwöre Euch beim heiligen Kreuz, daß zwischen mir und Graf Troarn auch nicht der Hauch einer Vertraulichkeit herrscht. –«
Giffiu warf den Kopf in den Nacken und lachte laut auf.
»Von Euch kann man lernen. Bis zu einem falschen Schwur bringen's nicht alle.«
Adgife erhob sich. »Frau Giffiu, würdet Ihr das, was Ihr von mir glaubt, beschwören?«
»Ohne zu zögern, und zwar nicht wie Ihr mit dem Bewußtsein, einen Meineid zu tun.«
Adgife klammerte sich krampfhaft an den Stuhl, den sie verlassen hatte. Ich darf sie nicht schlagen, ihr nicht ins Gesicht speien, denn er liebt sie. Er, der mir alles in der Welt ist. »Weshalb,« sagte sie, sich zu einer Verzerrung des Gesichts zwingend, die ein Lächeln sein sollte, »streiten wir nur eigentlich? Ich bin gekommen zu bitten, wie ich es schon getan habe, daß Ihr unseren Herd nicht abseits liegen laßt, man wird dort sehr glücklich sein, Euch zu empfangen.«
»Man? Herr Gautier Tyrell?«
»Auch Frau Gautier Tyrell.«
»Ah!« Giffiu neigte ihr Gesicht dicht auf Adgife. »Kommt Ihr doch von ihm geschickt?«
»Nein, ich kam aus mir selbst.«
»So habt Ihr also allerlei Beobachtungen gemacht, und seid zu dem Ergebnis gekommen, mich zu bitten, 130 Eure Nebenbuhlerin zu sein. Wenn mir das aber – zu wenig wäre, Frau Tyrell?«
»Oh, ich klammere mich nicht an Worte, Frau Giffiu –« Adgifes Gesicht bedeckte sich mit Todesblässe, »macht, was Euch gefällig ist, kommt nur, kommt, man wird sich sehr freuen bei uns . . .«
Sie tastete mit umflorten Blicken nach der Tür und entfernte sich.
»Das war einzig!«
Giffiu stand einen Augenblick gedankenverloren, dann stieg sie zu ihrem Papagei hinauf, nahm ihn zwischen die harten Hände und lachte.
»Du bist viel klüger als die Menschen, mein Tiefblauer. Du willst nicht mehr sein, als du bist. Sela!«
* * *
Wochen um Wochen vergingen. Die Nachrichten aus der Normandie klangen verworren, in der letzten Zeit waren gar keine mehr eingetroffen.
Der August hatte die Hofgesellschaft zerstreut. Die einen hatten sich auf ihre Schlösser an der See begeben, die anderen kamen nicht aus ihren Parks heraus.
Winchester lag einsam da. Prinz Henry fischte mit Flambard in den Teichen von Heisa, Meulant war in London, Fitz Haimon saß verärgert auf Glanmorgan und schrieb zornige Briefe nach der Normandie, die er, bevor sie der Bote erhielt, wieder zerriß.
Albereta wurde von Tag zu Tag unruhiger.
131 Damals, als sie von Adgife heimgekehrt war, hatte sie sich ihrem Gemahl in die Arme geworfen und ihm lächelnd versichert, sie bedauere es nicht, ihm gefolgt zu sein.
Das war ein Festtag für ihn gewesen, dem aber wieder Werktage folgten.
Troarn war zu vornehm, um sie an ihre eigenen Worte zu mahnen, als die Erinnerung daran verblaßt war.
Wo steckten alle Bekannten? Wo Aquis? War er etwa dem König nach der Normandie gefolgt? »Er war ein vornehmer Gesellschafter, mir der angenehmste von allen. Gern möchte ich ihn wieder bei uns sehen, könnt Ihr ihn nicht einladen?« sagte sie zu ihrem Gemahl.
Troarn gestand, daß er nicht wisse, wo Aquis sich augenblicklich befinde.
Albereta wartete noch ein paar Tage, dann schrieb sie an Tyrell, ob er nichts von Aquis gehört hätte. Nachträglich fiel ihr ein, wie grausam das von ihr gewesen war.
Tyrell antwortete aufs höflichste, er wisse wirklich nicht das geringste über Aquis' Aufenthalt, doch schätze er, Aquis würde auf seiner Sommerbesitzung sein.
Albereta verzog unmutig die Brauen.
Bestimmtes wollte sie wissen, keine Vermutungen. Sie bat Troarn, sich doch bei einem seiner Freunde nach ihrem bleichen Wintergesellschafter zu erkundigen. Troarn willfuhr ihrem Wunsche und konnte bald Auskunft geben.
Aquis weilte mit einigen Freunden auf seinem Sommerschloß, das nahe dem Robert Mowbrays gelegen war. 132 Gleichzeitig kam von Aquis selbst, dessen Freund ihm die Teilnahme des Grafen und der Gräfin verraten hatte, eine höfliche Einladung, Troarn möchte doch mit seiner Gemahlin ihm die Ehre eines Besuchs auf seinem einsamen Landgut schenken.
Sie hätten's zwar ziemlich heiß drüben, doch die Nächte wären voll köstlicher Frische, und man könnte ja die Zeit umkehren, den Tag verschlafen und die Nachtzeit genießen. Troarn lachte, als er den Brief seiner Frau vorlas, ihr Gesicht indes begann sich freudig zu erhellen.
Aquis' Besitztum kennen zu lernen, wäre sie sehr begierig. Sollte er nicht die seltensten Blumen von England in seinen Gärten züchten, auf seinen Feldern Ernten von besonderer Ergiebigkeit erzielen? »Ja, Ilbert,« schmeichelte sie, »wir wollen seiner Bitte willfahren, die Reise ist nicht weit und wird durch hübsche Gegenden führen. Und ich bin überzeugt, bei Aquis treffen wir auserlesene Menschen, denn er macht nicht den Eindruck, als ob er gewöhnliche Gäste zu sich entböte.«
Troarn blieb eine Weile still, dann sagte er zögernd: »Ich nehme nicht gern Herrn Aquis Gastfreundschaft an, doch weil Ihr es wünscht, gebe ich nach. Was aber ihn selbst betrifft, so warne ich Euch. Seid vorsichtig gegen ihn, überlegt, bevor Ihr sprecht.«
Vorsichtig soll sie sein? Weshalb?
»Aus mancherlei Gründen. Ihr sprecht oft wie ein Kind und verratet ebenso das, was Ihr denkt, als das, 133 was andere Leute denken. Man kann nicht bestimmt wissen, wie der verschloss'ne Aquis solche Enthüllungen aufnimmt und benützt.«
Sie brauste auf.
»Wie, so niedrig schätzt Ihr den Freund des Königs?«
Über Troarns Gesicht ging ein Lächeln. »Das sind Dinge, über die man mit einer Dame nicht spricht. Vergebt! Ich habe Euch gewarnt, das Weitere ist Eure Sache.«
Sie versank in Gedanken und betrachtete heimlich das Antlitz ihres Mannes, in dem sie plötzlich allerlei ihr bis jetzt unbekannt gewesene Züge entdeckte. Es ist sehr einfach, schloß sie bei sich, er will mich verhindern, mit Aquis zusammen zu sein, ich begreife ihn. »Darf ich also Befehl zum Ausbruch geben oder nicht?« Leise Ungeduld durchklang ihre Stimme.
Er sagte höflich: »Tut ganz nach Euerm Belieben.«
Ein Bote ging ab, um ihre Ankunft zu melden. Die Vorbereitung zur Reise dauerte nicht lange, dann bestiegen sie die Pferde und zogen aus.
Man hatte viel Wald zu durchmessen, bevor man nach Aquis' Sommersitz kam.
Das Gut lag, von Gartenland umgeben, versteckt zwischen Eschen. Ein seltsam geformtes hohes Dach mit uralten Schnitzereien am Giebel krönte das Haus.
In der Halle, dem ersten Raum, den man betrat, befand sich ein mächtiger Herd mit eisernen Fackelringen umher. Wunderlich geformte Stühle von wuchtiger Größe 134 standen an den dunklen Wänden, die mit eigentümlichen Waffen und Geweihen geschmückt waren. In einer Ecke am Herd erhob sich ein stolzer Sitz, zu dem Stufen hinaufführten. Eine Harfe lehnte an ihm. Über der Eingangstür war ein grüner Buschen angebracht.
In diesem Raum, den die Dämmerung nie zu verlassen schien, wurde ein bleiches Antlitz sichtbar.
»Mein Haus freut sich, so lieben Gästen als Herberge zu dienen.«
Aquis streckte dem Grafen und seiner Gemahlin die Hände entgegen. Dann winkte er den Dienern, die hinaussprangen, um die Rosse und das Gefolge der Troarns in Empfang zu nehmen.
Aus den Schatten tauchten mehrere Gestalten auf, Edelleute, die Troarn zum Teil kannte. Die Fackeln wurden entzündet. In ihrem rötlichen Flackerlicht erblickte Albereta Robert Mowbray, der eben zu einer Tür, die aus dem Innern des Hauses führte, heraustrat. Er wechselte einige Worte mit Troarn und neigte das Haupt vor Albereta. Frauen geleiteten die Angekommenen über eine breite Treppe, deren Geländer wunderliche Schnitzereien schmückten, in die Gemächer hinauf, die für Troarn und seine Gemahlin bestimmt waren.
Die Fenster standen offen, und die hohen Eschen, die sich davor befanden, streckten ihre grünen Zweige herein.
Es flüsterte und raunte hier immer, als ob man mitten 135 im Wald sich befände, und dieselbe Dämmerung wie unten herrschte auch hier oben.
Albereta sah ganz kleinlaut von einem Gemach in das andere. Sie verstand das Raunen nicht, ebensowenig die Sprache dieser alten schwärzlichen Pfosten, die die getäfelte Decke stützten.
Einem ängstlichen Kinde gleich, schritt sie zu ihrem Manne hin, der sein Schwert abgürtete und an das Kopfende des Bettes lehnte, und legte die Hände auf seine Schultern.
»Wenn Aquis nicht des Königs Freund wäre, würde mir bange sein, so weiß ich, daß wir auf sicherem Boden stehen.«
»Ich denke, Ihr seid überall sicher, wo ich neben Euch bin, selbst bei Aquis,« sagte kühl der Graf.
Abends saß sie endlich da, wo sie so sehr gewünscht hatte zu sein: an Aquis' Seite. Robert Mowbray hatte sich Troarns bemächtigt und war bald in ein lebhaftes Gespräch mit ihm vertieft. Die anderen Herren waren nicht anwesend, sie sollten zu einer Jagd aufgebrochen sein.
Schweigsame Diener reichten den Abendimbiß herum. Als Aquis Albereta mit schäumenden Gerstensaft, den sie noch nicht kannte, den Becher gefüllt hatte, brachte sie es endlich über sich, zu sagen, wie verwundert sie sei, daß er hier weile, anstatt in der Normandie zu sein. Er zuckte die Schultern. Was sollte er dort? Es herrsche augenblicklich eine unerquickliche Lage da. Herzog Robert 136 spräche alle Tage anders, mache seinem königlichen Bruder die weitgehendsten Versprechungen, so daß es zu keiner fröhlichen Schlacht käme. Die kleinen Scharmützel zwischen den beiderseitigen Truppen könne man nicht ernst nehmen, wenngleich diese Reibereien Menschenleben und Zeit kosteten. »Wohl bald,« schloß Aquis, »werden wir nach diesem nicht ruhmreichen und gänzlich überflüssigen Kriegszug den König wieder in England begrüßen können.«
Albereta blickte in die Herdflamme, in die wohlriechende Kräuter gestreut worden waren. Und sie hatte ihn in Gefangenschaft und Todesgefahr vermutet! Ruhmlos zurück! Der Einzug würde seine Stimmung zu keiner guten machen . . . . . .
Aquis erzählte allerlei aus der Normandie, vom schönen und beim Volk beliebten Herzog Robert, der noch weniger Geld als sein Bruder besäße, bei seiner Leutseligkeit und gutmütigen Art aber Freunde im Volk habe, die ihm immer beisprängen, wenn es seiner Hofhaltung gar zu schlimm erginge. Albereta mußte mehrere Male auflachen bei Aquis Schilderung.
Diese Normannen waren drollige Leute, rannten in die Welt hinaus, wenn es sie gelüstete, mit irgend jemand anzubinden.
»Sie sind verwöhnt durch ihr Glück, ihre Siege. Sie sind noch jung als selbständiges Volk. Wartet ab! Haben sie erst die Faust eines Feindes auf ihrem Nacken gefühlt, so wird sich ihr Übermut legen. Ich glaube, die Zeit ist 137 nicht ferne. Eure Stirn furcht sich, Ihr seid eine Dame und habt Euch wohl nie gefragt, mit welchem Recht sich sechzigtausend Leute in einem fremden Land niederließen, ihm seine Sitten und Gesetze aufdrängten, seine Beamten an die Spitze der Regierung stellten, Menschen, die von der Behandlung des eingeborenen Volkes, von seiner Führung, seinen Nöten und Wünschen nicht das geringste verstanden.«
Die Gräfin machte ein verwundertes Gesicht.
Aquis fuhr fort: »Die von den Besiegten lernen mußten. Haben nicht alle Völker den Römern gegenüber das so gehalten? Die Normannen werden keine Ausnahme machen.«
Er hob den Becher an seinen Mund und nahm einen tiefen Schluck.
Albereta fühlte ihr Blut in den Adern jagen.
»Habe ich geträumt? Sprach das des Königs Tafelgenosse?«
Ein überlegenes Lächeln umspielte Aquis' Lippen, er mochte ahnen, was in ihr vorging.
»Glaubt Ihr, liebe Gräfin, daß Rufus nicht wüßte, wie ich über ihn denke? Ganz genau weiß er's.«
»Und bleibt Euch weiter geneigt?«
»Geneigt? Er wartet ab.«
»Was könnte er abwarten?«
»Daß die Partei der Einheimischen ihm höhere Summen anbietet als bisher.«
»Und wenn es der Fall wäre?«
138 »Dann würde vielleicht die eine oder die andere seiner Kreaturen, die das Land aussaugen, durch Eingesessene, also angelsächsische Beamte ersetzt.«
Diener füllten aus großen Kannen die Krüge.
Albereta fühlte ihren Kopf schwer werden, Nebel legten sich über die Augen.
Saß sie wirklich in dieser großen, fremdartigen Halle, in der ein rotes Feuer auf dem Herd loderte, vernahm sie wirklich das Rauschen der alten Bäume von draußen? Und waren die Worte wirklich gefallen, die sie vernommen hatte? Sie blickte Aquis an. Wie hart sein Kinn war, wie tief die Furche zwischen seinen Brauen, wie hager das Gesicht, wie geringschätzig der Zug um seinen Mund.
Jetzt fiel ihr ein, was Troarn ihr über Aquis gesagt hatte. Sie fing an, über anderes zu sprechen. Über Jagden und Sauhatz, über Kleidermoden und Hoffestlichkeiten. Sie fragte ihn, ob er Titus nicht kenne und wie schwer wohl dessen Gewicht sei, er sähe so leicht und zierlich aus wie ein Kind.
Schließlich erhob sie sich, um nach oben zu gehen. Die Herren wollten ihre Unterhaltung noch weiter führen. Albereta legte ihre Hand in Aquis Rechte und sah ihm dabei lang in die Augen. Die seinen sagten ihr: Ich versteh' dich, gib dir keine Mühe! Dann nickte sie ihrem Mann und Mowbray zu.
Frauen näherten sich, um sie hinauf zu geleiten. Sie wollte indes, bevor sie das Lager aufsuchte, ein wenig 139 an die Luft gehen, durchschritt die Halle und trat vors Haus.
Schwerer Dunst quoll ihr entgegen.
Sie fühlte, wie aus den Poren der Erde allerlei Leben hervordrang, wie der Maulwurf wühlte und der Regenwurm die schleimige Spur zog. Und die Dunkelheit war warm und dicht. Bäume und Sträucher schliefen in sie eingehüllt. Durch die Türspalte drang das rote Licht der Fackeln und des Herdfeuers geheimnisvoll in die Nacht hinaus.
Plötzlich schrak Albereta zusammen.
Unterm Geäst, dort wo der rötliche Schimmer hinleuchtete, schritt eine hohe Gestalt. Lange weiße Haarsträhnen fielen ihr über den Nacken herab. Sie verschwand in dem Schatten . . . . .
* * *
Am andern Tag führte Aquis seine Gästin nach den Obstanlagen und Blumengärten und bat, sie möge sich von allem das pflücken, was ihr am besten gefiele. Die schönsten Äpfel und die schönsten Rosen, gelbe Birnen, die nach Honig dufteten und Pflaumen, die wie von leichtem Mehlstaub überzogen waren und noch an den Ästen hingen. Er war sehr zuvorkommend und höflich zu ihr. Später erschien Mowbray, nahm Troarn vertraulich unterm Arm und entführte ihn nach rückwärts an den tiefgrünen See mit seinen Moosbänken am Ufer. Hier ließen sie sich nieder.
140 Albereta verblieb in Aquis Gesellschaft. Mehrere Male schien ihr, als sähe er aufmerksam nach Mowbray hinüber und höre zerstreut auf das, was sie sprach. Bis jetzt hatte sie getändelt, Blumen gerupft und lange Strohhalme zwischen die weißen Zähne gesteckt. Sie wollte nicht ernst mit ihm werden, denn Troarns Warnung war ihr wieder in den Sinn gekommen. Nach dem gestrigen Abend begriff sie die Warnung.
Als sie aber bemerkte, daß Aquis in seiner ruhigen, wenig galanten Art Miene machte, sich zurückzuziehen, da verschwand ihre Zurückhaltung. Ich gehöre ja doch zu dir, dachte sie bei sich, neben ihm hingehend. Wo du sein wirst, Bleicher, da wird unweit davon auch Albereta zu finden sein. Wer weiß, ob du nicht noch mein Schicksal wirst oder ich deins. Hinter deiner Stirn lauert allerlei Unheimliches wie in den Forsten von Winchester. Vielleicht kann ich auch da die Fahne des Friedens aufrichten, daß die dunklen Gewalten weichen.
»Herr von Aquis,« sie blieb stehen, »seid nicht auch Ihr Normanne?«
Er blickte sie verwundert über die Frage an.
»Nicht ganz, Gräfin. Meine Mutter war angelsächsischen Bluts. Sie nahm einen Normannen zum Gemahl, in der Hoffnung, ihrem Vaterland irgendwie nützen zu können.«
Also daher seine eigensinnige Stirn und all das, was hinter ihr braut, dachte Albereta.
»Und versteht Ihr Euch mit Herrn Robert Mowbray?«
141 »Er ist mein Freund, trotzdem auch er Mischblut in den Adern trägt.«
»Wollen wir die beiden am Ufer dort beschleichen und horchen, was sie sprechen?« scherzte sie.
»Von Obstbaumkultur vermutlich, oder von Blumenpflege, sicher von nichts anderm. Seid Ihr so wißbegierig, das zu erfahren?«
»An den Ufern dieses schattigen Wassers geht es um Wichtigeres her, als um Blumen oder Obst. Hört, Herr von Aquis, glaubt Ihr, daß die Angelsachsen den Normannen an Klugheit überlegen sind?«
»Fragt Ihr mich das im Ernst oder im Scherz?«
»Nun, Ihr braucht nicht gerade an Hasting zu denken, den plumpen Bären, der mit seinen Seeräubern aufgebrochen ist, um die Hauptstadt der Welt zu gewinnen und sie nicht fand, weil er – die falsche Richtung eingeschlagen hatte.«
»Ich sehe, Ihr seid eine gute Normannin geworden und werdet es bleiben, Ihr könnt ja auch nicht anders, aus mancherlei Gründen.« Er lächelte fein.
Ihr Gesicht bedeckte sich mit Glut. »Auch Anselmus, der neue Erzbischof von Canterbury ist Normanne, er, den ich so sehr verehre.«
»Ihr irrt, gnädige Frau, Bec zwar, das Kloster, aus dem er herkam, ist normannisch, er selbst jedoch stammt aus Piemont.«
»Kennt Ihr ihn persönlich?«
142 »Ich habe nur wenige Worte mit ihm gewechselt, als er zum letztenmal beim König war.«
»Der König ist ihm sehr gewogen, nicht?«
»Nicht mehr. Viele Ermahnungen und wenig Geld, was soll Rufus damit?«
»Ihr seid hart in Eurem Urteil.«
»Nur wahr, Gräfin.«
»Ich möchte nicht gehaßt von Euch werden.«
»Nie könnte ich eine Frau hassen, am wenigsten Euch.«
»Soll das eine Beleidigung oder eine Bevorzugung sein?«
»Keins von beiden.«
Sie sann ein Weilchen nach. »Auch ich bin Euch gut, besser wie den andern Herrn bei Hofe. Eure Verschlossenheit, Euer Stolz gefällt mir –«
»O bemüht Euch nicht, Frau von Troarn, ich kenne Euch.«
»Glaubt ihr?« sagte sie, ihn unsicher ansehend.
Er vermied es, ihrem Blick zu begegnen, um sie nicht zu beschämen. »Ich kenne Euch, und es wird mich schmerzen, wenn die Stunde kommt, da ich Euch Leid zufügen muß. Erinnert Euch dann dieser meiner Worte.«
Ein leichter Schauer ging über sie hin. »Ihr sprecht in Rätseln. Wollt Ihr nicht deutlicher werden?«
»Nein.«
Sie fühlte die Fittiche dunkler Verhängnisse über sich rauschen.
»Glaubt Ihr, daß die Herren noch am Wasser sind?«
143 »Möchtet Ihr hin?«
»Ich meinte nur,« sagte sie zögernd.
Sie waren nicht mehr dort, als er sie hinführte.
Wie schön war's hier! Ihre Augen tranken das grüne Zwielicht, das unter den hundertjährigen Eschen wob.
»Wie kommt es, daß hier alles anders anmutet als auf Troarn oder bei Tyrell. Tyrell. Was haltet Ihr von ihm?«
»Dasselbe was ich von einem Weib halte.«
»Wie? Eine sonderbare Rede. Doch wartet! Vielleicht habt Ihr nicht unrecht. Die Waffe, womit er seine Siege gewinnt, ist die Anmut. Er sucht bei der Frau Kraft, Rauheit, also das, was ihm mangelt.«
»Nicht immer,« warf Aquis ein, »zuweilen liebt er auch die, denen seine Männlichkeit Eindruck macht, also Schwächere als er selbst ist.«
»Sein Lächeln ist so gewinnend.«
»Die Damen behaupten es.«
»Hat nicht der König selbst ihn bevorzugt?«
»Gewiß tat er das. Er hat ihn auch verabschiedet, wie man Frauen verabschiedet, gleichgültig, ohne viel Aufhebens.«
»Eine kleine Eifersüchtelei soll der Grund davon sein.«
»Der Mann ist dem Mann entweder günstig gesinnt oder er haßt ihn.«
»Schroff, wie Ihr selbst seid, ist Euer Urteil. Doch 144 nicht unfehlbar, denn seht, ich weiß es, daß der König auch Amazonen zu Freundinnen hat.«
»Jawohl, gnädige Frau, Ihr sagt mir damit nichts Neues. Trotzdem, wirkliche Neigung flößt ihm nur das Zarte, Hilfsbedürftige ein, das echte, wirkliche Weib.«
* * *
Nach mancherlei Ausflügen in die Umgebung, angeregt verbrachten Abenden und köstlichen Streifereien im Park, wollte sich Troarn wieder zum Aufbruch rüsten.
Alberetas Gesicht verdüsterte sich.
»Habt Ihr Euch noch nicht genug mit Aquis ausgesprochen?« Noch nie hatte Troarns Stimme so kalt geklungen.
Es war klar. Ihr Benehmen mißfiel ihm.
Schon beim letzten Hoffeste hatte sie Aquis in etwas auffallender Weise ausgezeichnet; nun hingen ihre Augen unverwandt an ihm. Der neue Günstling schien auch bei ihr die Stelle des alten eingenommen zu haben. Troarn sagte sich: Sie ist ein Kind. Aber was ändert das an der Sache, wenn ein guter Name in den Schmutz gezerrt wird?
Einmal in diesen letzten Tagen bot Aquis der Gräfin den Arm und zeigte ihr verschiedene Kostbarkeiten seines Hauses. Wunderlich geschliffene Kristalle, in die Mosaik-Schmelz eingelegt war, uralte Bücher mit bunten Schriftzeichen bedeckt, mit gemalten Drachen- oder Menschenköpfen geziert, die den Anfangsbuchstaben der Kapitel 145 bildeten. Auch Schmuck und Kleinode zeigte er ihr, die aus Werkstätten alter ostgothischer Goldschmiede stammen sollten, ein Schreibrohr mit dem Beda, die Leuchte der angelsächsischen Klöster, seine Geschichte Englands geschrieben hatte.
Dann führte er sie hinab, hinters Haus, vor das verwitterte, mit Runen bedeckte Steinkreuz, das aus der Zeit stammen mochte, in der Columba, der Fürst und Krieger Christi, mit Penda, dem Todgefeiten, im Nebel von Jona unterhandelt hatte.
Albereta bemerkte, daß, indem er ihr all das zeigte und erklärte, sein Gesicht alle Härte verlor und ein Schimmer der Güte, ja der Freudigkeit darin erwachte. Schön erschien er ihr, und ihre glänzenden Augen auf ihn richtend, gestand sie ihm, daß sie nie in ihrem Leben so ehrwürdige Gegenstände gesehen oder auch nur von ihnen sprechen gehört hatte, denn die Normannen, welche Überreste aus ihrer Vergangenheit, welche Andenken an glorreiche Tage ihres Heimatlandes konnten sie aufweisen?
Waren die Burgen ihrer Ahnen in der Normandie unten nicht mit Raub aus anderen Ländern ausgestattet? Und sie bat ihn, ihr noch mehr zu erzählen aus der Zeit, da die Vorfahren ihres Gemahls und die seinen sich bekriegt hatten. Unter den dunklen Bäumen neben ihr herschreitend, ließ er die Veste Cynwith vor ihr aufstehen, in die sich, als die Wickinge gegen sie losfuhren, König Aelfrieds Getreue geflüchtet hatten. Mit ihren 146 langen Schwertern mähten diese die Eindringlinge nieder, so daß deren Leichen kleine Hügel um die Mauern von Cynwith bildeten. Auch die Schlachtenfahne der Wickinger erbeuteten Aelfrieds Helden. Sie hieß der »Rabe«. Die drei Töchter eines nordischen Königs hatten sie in einer Morgenstunde gewoben und ihren Brüdern geschenkt.
Wenn der heilige Vogel, der in der Mitte der Fahne eingewebt war, wie lebendig flatterte, stand Sieg bevor, blieb er aber regungslos, dann wußten die Helden, daß Walküren ihrer harrten.
Aus den Bäumen drang leises Wehen und strich flüsternd über die Wege hin.
Die Gräfin blieb vor einer Linde von überaus mächtigem Umfang stehen und legte die schwachen Arme um sie.
»Ihr seht aus wie ein Falter.«
Sie schmiegte das Gesicht gegen die Baumrinde.
»Sagt, Herr von Aquis, hat Euch der König hier schon besucht?«
»Auf diesem Boden empfang ich nur Freunde.«
»Wie Ihr haßt! Was wunder, wenn Haß Haß erweckt, da Treue vergeblich um Treue wirbt.«
»Treue um Treue!« Aquis lachte auf. »O Frau von Troarn, welch ahnungsloses Kind Ihr seid! Hört, ich will Eure unschuldigen Vorstellungen von der ›Treue‹ in etwas aufklären. Habt Ihr nie den Namen Earl Waltheof gehört?«
Sie schüttelte den Kopf.
147 »Er war der letzte große Streiter für unsere Freiheit und Rechte. Seine Reichtümer hat er für die heilige Sache des Vaterlandes geopfert, sich selbst Gefahren und dem Tod preisgegeben für sie. Als aber die edelsten Söhne des Reiches aus ihren Burgen verjagt wurden, damit das Abenteuergesindel aus der Normandie sie einnehme, da gab Waltheof seinen Kampf auf, denn er sagte sich: Gegen die Übermacht kämpfen ist Unsinn. Wilhelm, des gegenwärtigen Königs Vater, hatte mit Mord und Brand jeden der Großen bedroht, der ihm den Lehnseid verweigern würde. Da zog Waltheof seine stolzeste Rüstung an und ließ sich dem König melden. Er dachte bei sich: Gefällt mir der König, so will ich ihm Treue schwören und meinem Land zu nützen suchen, wie ich kann. Wenn nicht, so werf ich mein Leben weg. Und der König, dessen kühne Vergangenheit sich auch in seinem Äußern kundgab, tat's ihm an. Er gefiel ihm. Waltheof bot ihm die Rechte und sagte: »Ich will Euer Mann sein.« Und er hielt sein Wort und focht mit geistigen und anderen Waffen für seinen Herrn. Da gab der König ein Fest, an dem auch Waltheof teilnahm. Indes die Becher gefüllt wurden und Wilhelm ahnungslos im Kreis seiner Ritter saß, schlichen sich Personen heran, die eine Verschwörung ausersehen hatte, ihn zu töten. Ein ergebener Dienstmann verriet Waltheof den Plan. Der näherte sich dem König, nahm ihn beim Arm und führte ihn in ein entlegenes Gemach. Hier teilte er ihm alles mit, gab ihm Ratschläge und rettete so sein 148 Leben. Und der Dank dafür? Ein paar Tage darauf wurde Waltheof auf des Königs Befehl hingerichtet.«
»Hingerichtet? Ich verstehe nicht.«
»So erging es vielen. Indes das Verstehen kümmerte den König wenig. Ein niedriger Charakter erwartet auch nur Niedriges von andern. So verlor die Welt einen der lautersten Menschen, die in ihr gelebt haben, um der mißtrauischen Laune eines Tyrannen willen.« Aquis Stimme klang unsicher. »Kennt Ihr das Kloster Rumesei vor den Toren Winchesters? Daneben befand sich der Platz, auf dem sein Todesurteil vollzogen wurde. Sein Sohn stand nachher oft an des Vaters Grab und begoß es mit seinen Tränen. Dieses Sohnes Schwester war – meine Mutter. –«
»O Winchester! So viel Flüche und Verwünschungen, als gegen dich geschleudert werden, sind kaum gegen Sodom und Gomorrha erhoben worden. Nun begreif ich Euch,« sagte sie ergriffen, »Euer Herz muß von Rachegefühlen verzehrt werden.«
»Ihr irrt.« Aquis hatte wieder seine Gelassenheit gefunden. »Wir wollen uns nicht rächen. Wir wollen nur retten, was noch zu retten ist. Hört Rufus auf die Stimme derjenigen, die es wohl mit ihm meinen, und erfüllt er die gerechten Anforderungen seines Volkes, so kann noch alles gut werden.«
»Und – wenn nicht?« fragte sie mit gesenktem Haupt.
»Dann ist sein Los besiegelt.«
* * *