Maria Janitschek
Der rote Teufel
Maria Janitschek

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Nicht lange nach diesem Tag rüstete Rufus seine Truppen und zog unter St. Cuthberts Fahne über Cambrien zur Schlacht. Cambrien stand unter schottischer Oberhoheit, doch Rufus hatte sich darum nie gekümmert und seine Herrscherrechte hier geltend gemacht. Um dieses Landstrichs willen entbrannte der Kampf jetzt.

König Malcolm, stolz und kühn, ähnlich wie Rufus, brach mit seiner Armee nach Northumbrien auf. Hier stießen die feindlichen Heere aufeinander und ein heißes Schlagen begann. Es schien, als wären die Rollen vertauscht und Rufus Krieger kämen aus den wilden Gebirgen Schottlands, Nachkommen der Picten, die einst nackt gekämpft hatten, als einzig feienden Schutz die Runen auf ihren Leibern.

Malcolm wußte, daß daheim eine edle Frau liebend seiner gedachte, daß Mathilde, sein junges Kind, im Kloster zu Wilton die Hände betend für ihn faltete. Und überdies kämpfte an seiner Seite Edward, sein Sohn, ein heldisch Blut, wenn auch an Jahren noch jung. Aber Rufus stritt wie ein Wilder. Als es ihm zu heiß zu werden begann, riß er den Helm vom Kopf und schleuderte ihn weg, so daß sein Haupt den Schwertern und Geschossen der Feinde ausgesetzt war. Seine fliegenden Blicke 80 suchten unter dem Pfeilregen und dem Waffengetöse der Schotten einen: den König. So lechzt der junge Löwe nach seinesgleichen, um in mörderischem Kampf Kraft gegen Kraft zu messen. Und hat er den gefunden, den er sucht, so umarmen die machtvollen Pranken ihn und zermalmen ihn im Überschwang der Sieglust. Rufus Getreue wollten ihn zurückreißen, denn neben Malcolm kämpfte der Thronerbe; er aber, als hätte er die Kräfte aller Helden seines Stammes in sich, stieß alle fort und stürmte auf das Schlachtroß zu, das seinen königlichen Herrn trug.

Ein Schwertstreich, wuchtig, als gälte es eine alte Eiche zu fällen, zersplitterte dessen Helm und machte Schottland zur Waise. Da sausten Hiebe auf Rufus Schädel nieder, doch sie zerspalteten ihn nicht. Das Blut rann zwischen seinem Rothaar herab, er erhob den beschienten Arm und stieß Malcolms Erben zwischen den Eisenmaschen seines Panzers das Schwert ins junge Herz.

Vielleicht geschah das in dem Augenblick, als Albereta in der Schloßkapelle auf den Knien lag, unfähig zu beten, und mit kalter Seele das orate fratres et sorores des Priesters vernahm, der gerade das heilige Meßopfer feierte.

Das Gift des Mißtrauens hatte endlich Eingang in ihr Herz gefunden. Täglich erlebte sie es, daß kein Stand und Rang vor Niedrigkeit der Gesinnung bewahrte, daß kein Eid und Treuschwur ernst genommen wurde, daß in manchen Kreisen die Vorsicht die Verderbtheit der 81 Sitten wohl verbarg, desto tiefer indes diese Verderbtheit eingerissen war.

Bitterkeit gegen alle erfüllte Albereta. Auch ihren Gatten klagte sie an. Hinterging er sie nicht mit Adgife? Hinterging nicht auch Tyrell die Freundin durch Unaufrichtigkeit? Und Fräulein von Viant? Giffiu? O Seligkeit der Einfalt, die ihre Augen noch nicht zu gebrauchen versteht!

Albereta legte den Kopf in die Hände. Sie erschien sich unendlich verlassen.

Die Kerzen auf dem Altar waren längst ausgelöscht worden, als sie die Kapelle verließ. Hinter ihr schritten ihre Frauen und unterhielten sich über den trübseligen Zustand der Herrin, der sich von Tag zu Tag steigerte. Da, auf der Treppe, erhellte ein Einfall Alberetas schwermütiges Gesicht.

Beim Mittagessen sagte sie flüchtig zu ihrem Gemahl: »Ich möchte wohl den Erzbischof von Canterbury kennen lernen, wollt Ihr mich zu ihm begleiten? Er wird mich nicht abweisen, denn er soll gut und freundlich zu allen Leuten sein.«

Troarn sah sie verwundert an.

»Den Erzbischof wollt Ihr kennen lernen? Wißt Ihr, daß das gar nicht so leicht ist? In der Stadt trefft Ihr ihn nicht, da er in seiner Diözese herumreist, um die Klöster zu besuchen und in all den vernachlässigten Gemeinden Ordnung zu schaffen.«

82 Er gab ihr so viel zu bedenken, daß sie, durch seine Einwürfe ermüdet, ihren Plan wieder aufgab.

Einige Tage später erschien Adgife und warf sich jubelnd an Alberetas Brust.

»Wißt Ihr's schon? Der König hat gesiegt, er ist auf dem Heimweg. Gautiers Meldung kam heute morgen. Wenig Verluste hätte unser Heer zu beklagen. Nun ist der Sorge ein Ende gesetzt.«

Albereta trat stumm ans Fenster. Adgife begriff sie nicht. Ihr lachte das Herz vor Freude, daß ihr Liebstes in der Welt, ihr Gautier, heil und auf dem Rückweg sei. Indessen hörte man unten Fanfaren schmettern, Pferdehufe und lustige Stimmen wurden laut, einige Damen der Nachbarschaft, deren Männer mit in den Kampf gezogen waren, erschienen, um gleich Adgife den Troarns die Freudenbotschaft zu bringen. Der Graf von Bray, der schon anwesend war, nahm Anteil an der fröhlichen Mahlzeit, die man beging.

»Wir halten uns deshalb nicht weniger für Stützen unseres Herrn,« scherzte Troarn später, als die köstlichen Weine seines Kellers flossen, »weil wir nicht mit in den Krieg gezogen sind. Herrn von Brays Hände sind nicht ganz sicher und meine kurzsichtigen Augen erlauben es mir nicht, für den König zu kämpfen, aber unsere Herzen schlugen treu mit ihm in der Gefahr und freuen sich heute seines Sieges.«

Weshalb bin ich so schlecht, dachte Albereta, die an seiner Seite saß und lächeln sollte, indes ihr die Tränen 83 näher lagen. War es der rote Wein in den Bechern, der sie an gewisse blühende Wangen erinnerte?

Seit Orielde sich von Rufus übersehen sah, war sie aufs neue für ihn entbrannt. In Gefahr und Tod war sie ihm nachgefolgt. Jetzt teilte sie den Sieg mit ihm.

»Freut sie sich denn nicht?« flüsterte Adgife zu Troarn und deutete auf Albereta. »Fast traurig sitzt sie da.«

Wie sie einander anschauen! Albereta wandte sich verwirrt an ihre Nachbarin – es war die junge Frau von Sais – und begann ein gleichgültiges Gespräch. Sie hörte es kaum, als die Tafel aufgehoben wurde, und erschrak über Adgife, die zu ihr hintrat.

»Wenn ich Euch nur verstünde, Albereta, ich liebe Euch so, lehrt mich doch, Euch zu verstehen.« Gautiers Frau zog sie in eine Ecke des Saals. »Was denkt Ihr, Albereta?«

Frau von Troarn entgegnete eisig: »Daß alles Schmutz ist, was mich umgibt, das denke ich.«

»Schmutz?« Adgife Tyrell sah verständnislos vor sich. Sie blieb immer sanft, diese Frau, die es gar nicht anders kannte, als daß ihr Herz von jedermann mit Füßen getreten wurde. »Ich sehe nur Liebe um Euch, nichts anderes. Wir alle gäben freudig alles hin, um Euch froh zu wissen.«

Albereta runzelte die Stirn. »Sprecht nicht so. Wozu sollen wir Frauen voreinander Komödie aufführen? Ist es nicht genug, daß wir es vor unsern Männern tun?«

»Albereta, glaubt Ihr nicht, daß man zuweilen 84 Komödie aufführt, um einen – andern zur Nachsicht nicht gegen uns, sondern gegen sich selbst zu bestimmen?«

Alberetas Augen blitzten auf. Sie verstand.

»Wer bedarf der Nachsicht? Ich verzichte auf sie.« Als ob ich nicht sähe, dachte sie zürnend, wie sein Gesicht hinschmilzt in Liebe, sobald er dir gegenüber sitzt. O, könnte ich fort, die Luft hier erstickt mich . . . . .

»Was habt Ihr mit Adgife gemacht?« fragte Troarn vorm Schlafengehen Albereta. »Ich sah sie, früher als sie beabsichtigt hatte, sich zum Heimweg rüsten. Ihre Augen waren voll Tränen.«

»Sie ist nie hübscher, als wenn sie weint, und wollte einen guten Eindruck hinterlassen.«

»O, Albereta!« Troarn hatte mit Überraschung und Schrecken den eisigen Ton vernommen. »Wenn Ihr wüßtet, wie hoch diese Frau steht, knien würdet Ihr vor ihr.«

Albereta zuckte die Schultern.

»Das letztere ist Eure Sache, und ich denke, ich mache sie Euch nicht schwer.«

Es war doch Feuer, nicht Balsamöl, was er sich da nach Troarn geholt hatte . . . . . .

* * *

Zinken und Pauken schmetterten beim Einzug. Die Glocken läuteten und die Geistlichkeit in ihrem höchsten Prunk mit Gesängen und brennenden Lichtern zog ihm in Winchester entgegen.

Das Volk betrank sich auf des Königs Wohl, wenn 85 auch nur mit dünnem Bier und Honigwasser. Daß es ärmer als andere Untertanen war, daran trug er selbst die Schuld. Preßte er nicht jede Gegend seiner Marken solange, bis aller Wohlstand gewichen war? Die Großen und die Kleinen des Reiches mußten heran, der König brauchte Geld, Geld, Geld!

Sie alle hatten, was sie besaßen, hingegeben, damit er die Zurüstungen für den Krieg mit Schottland bestreiten konnte, für den Augenblick waren ihre Mittel erschöpft.

Er aber sah nichts weniger als zufrieden aus, wie er auf seinem kostbar geschirrten Hengst einzog. Der Gedanke, nun wieder still sitzen zu müssen, quälte ihn. Er schaute die ihm Zujubelnden an und dachte: Dummköpfe, haltet besser das Maul, damit ich höre, was aus euern Säckeln klingt. Und er blickte auf die lichtertragenden Mönche und verwunderte sich, daß es noch einige unter ihnen gab, die wohlgenährt aussahen. Es geht euch zu gut, man muß höhere Steuern auflegen. Erst die hinter seinem Schloß Winchester aufsteigende Waldlinie versöhnte ihn ein wenig mit der Rückkehr.

Er gab seinen Kriegern Geschenke, seinen Freunden hingegen Rätsel auf. Gautier war in Ungnade gefallen und an seine Stelle gerückt war – Aquis.

Daß eine Dame mit die Ursache von Tyrells Sturz war, das ahnte niemand, ebenso wenig den Grund von Aquis plötzlicher Begünstigung.

Aquis hatte nämlich – es standen Gesinnungsgenossen 86 hinter ihm – eine große Summe zusammengebracht, die er Rufus als Zeichen der Huldigung nach dem siegreichen Ausgang der Schlacht überreichte.

Rufus hatte mit Genugtuung das Geld angenommen. Er stand im Begriff, eine Verschwörung einzuleiten, die ziemlich kostspielig zu werden schien.

Es handelte sich um Duncan, Malcolms natürlichen Sohn, für den Rufus eine starke Zuneigung besaß und den er auf den schottischen Thron erheben wollte.

* * *

Es schien, als ob seit dem Tage, da er sich des Besten in sich geschämt hatte: seines Glaubens, alle Geister des Bösen hinter ihm her waren. Er wußte es selbst nicht, daß das, was ihn so flüchtig machte und umhertrieb, nur ein Sehnen nach dem Land seines verlorenen Friedens war. Heimweh!

Auf seiner Lieblingsburg in Winchester tauchte er alsobald in den dichten Wäldern unter, die sie umgaben.

Alle, die auf eine Unterredung mit ihm gewartet hatten, sahen sich in ihrer Hoffnung getäuscht. Gleichgültig gegen jedermann und gleichgültig gegen das riesige Arbeitsmaterial, das er mit seinen Ministern erledigen sollte, versteckte er sich vor allen Pflichten in das finstere Schweigen dieses Forstes, der ihn mit rätselhafter Gewalt anzog. Sechzig Kirchen und zahlreiche Dörfer waren verbrannt worden, um ihn zu erweitern. Die abgöttische Liebe und Verehrung der Urvordern, die in solchen Wäldern in mystischer Weise mit ihren Göttern verkehrt 87 hatten, war in Rufus unbewußt zurückgeblieben. Nicht nur in der Herbstzeit, wo er mit fanatischer Lust sich den Freuden der Jagd hingab, auch im Sommer war er, wenn es halbwegs die Umstände zuließen, in der schattigen Waldhalle und ergötzte sich am Anblick des umherstreifenden Wildes, das er mit zärtlichster Fürsorge pflegen ließ. Vater des Wildes, hatte das Volk scherzhaft seinen Vater genannt, mit dem er diese Leidenschaft teilte. Wenn er so allein mit seinem Roß auf dem elastischen Rasen dahinritt, keinen Zweiten in der Nähe, dann verschwand all das Anmaßende, zuweilen Rohe aus seinem Gesicht. Ein Zug unbewußter Erwartung, Scheu vor etwas Unsichtbarem und doch wieder heimliche Sehnsucht, ihm zu begegnen, erwachte in ihm. Dann pflegte er wohl das Roß zu verlassen, das zögernd und ängstlich wie ein großer Hund ihm folgte.

Mehreremale waren beide, Roß und Herr, hier schon erschrocken. Ein Beben war durch die Wipfel gefahren, jeder einzelne Baum schien eine Stimme bekommen zu haben und zu sprechen anzufangen. Sie klagten und zürnten, seufzten und knirschten, sie beteten und verwünschten und schlugen mit den Zweigen. Und dann zuckten Glutscheine auf hinter den Schwankenden und das Wild brach ängstlich hervor und suchte nach Auswegen.

Rufus schlang dann den Arm um sein schweratmendes Pferd, dessen Nüstern schnoben, und beruhigte es. Ihm selbst aber stockte der Atem. Er verstand, was diese Glutscheine, dieses Knirschen der tausend und tausend hohen 88 Gestalten bedeutete. – Manchmal indes, da kam es anders. Das war an Frühlingstagen, wenn alles nach Glück strebt. Da tönten mit einem male ferne, tiefe Glocken auf, sie läuteten langsam und feierlich und unter ihren Klängen schien sich der Boden zu öffnen, schienen unheimliche in Linnen gewickelte Gestalten hervor zu steigen und die Arme drohend gegen Rufus zu erheben. Weshalb hast du unsern Frieden gestört, die wir hier der Auferstehung entgegen schliefen? Deine Hunde haben unsere Knochen aus der Erde hervorgekratzt und spielen mit ihnen. Und weiter fragten die Glocken: Weshalb hast du die Türme verbrannt, in denen wir wohnten, dem Herrn der Sonne täglich zujubelnd? Armen waren wir Musik und verkündeten ihnen nach der Frohn und Last ihrer Arbeitstage einen ewigen Sonntag. Welchen Ersatz gabst du ihnen für unsere Botschaft? Rufus graute es und Entsetzen überrieselte ihn, doch er kam und kam immer wieder hierher. Aus dem gleichen, rätselhaften Grund schleicht sich der Mörder in die Nähe seines Opfers.

Auch heute lehnt er, die Brauen gefurcht, an einer hundertjährigen Buche und fühlt es zerren und zausen an sich. Die Bäume sind still, auch die Glocken schweigen. Aber die blutigen Scheine glimmen über den Boden hin. Ich bin der König, denkt er trotzig, ich kann brennen und sengen in meinem Reich, wie ich will. Mein Eigentum ist's. Und innerlich spinnt er den Gedanken weiter. Ich wollte, ich brauchte kein König zu sein. Dann trieb ich in meinem Schiff auf dem Meere hin. Was mir gefiel, 89 trüg ich in meinen Armen davon. Wo ich landen wollte, hielt ich. Wo ich jagen wollte, jagte ich. Wen ich haßte, erschlüg ich, wen ich liebte, erkür ich. Verwünscht! Und all das darf ich nicht. Muß einem Haufen Pöbel vorstehen, der mir gleichgültiger als das Wild meiner Wälder ist. Muß wichtig tun und Gesetze erlassen, die ich selbst verlache. Muß allerlei scheinen, das ich nicht bin, mich mit Dingen befassen, die mich langweilen, und der Sklave meiner Sklaven sein. Beim Funkeln der Hölle! Wer kann mir das zu tun befehlen? Weil mein Herr Vater ein König war, muß auch ich ein König sein? Gut, daß ich keinen Sprossen besitz! Im Meer ersäufen würd' ich ihn eher, als zu diesem undankbarsten aller Gewerbe erziehen. Fort aus diesen Fesseln. Wir wollen eine Schlacht schlagen, Luft muß ich haben . . . . Er ließ alle Herrscher und Fürsten, mit denen er anbinden konnte, an seinen Augen vorbeiziehen. Mit Philipp von Frankreich ist augenblicklich nichts anzufangen, er hat genug Beschäftigung. Ein feiner König! Die Frau eines andern hat's ihm angetan. Er taumelt wie ein Falter in dem Blumenbeet, das dem Grafen Fulko von Anjou gehört, und trinkt den Honig der schönsten Blüte. Aber was hat der – Papst damit zu tun? Der arme Alte im Lateran soll seinen Segen dazu geben. Hat die Welt solche Komik erlebt? Der wird wohl selbst bei sich gedacht haben: Größtes Kameel im Reiche Chlodwigs, ziehe doch mich nicht in deine Liebesaffären! Es gibt Schlösser mit starken Mauern bei Paris, Winternächte, die so finster 90 sind, daß man Ochsen aus des Nachbars Stall wegführen kann, ohne daß ers merkt. Nicht als ob ich zur Heimlichkeit riete, aber wenn einer schon ein Spitzbube ist, was braucht er's der Welt auf die Nase zu binden und Ärgernis zu geben? Oder glaubst du wahrhaftig, dein Wunsch, die bona anima, der Erzbischof von Rouen, möge durch einen seiner Suffragane Euch trauen, hübe die Sünde der unrechtmäßigen Verbindung auf. Rufus lächelte in Gedanken. Nein, Philippchen, seitdem du meinen Vater wegen seines Leibesumfanges schwanger genannt hast und er dir durch fünfundzwanzigtausend Krieger das Maul stopfen ließ, ist nichts mehr mit dir anzufangen. Die Rache in der Gestalt eines Weibes, das dir ununterbrochen zu schaffen gibt, hat dich ereilt. Er sann eine Weile nach, dann blitzten seine Augen auf. Robert von der Normandie, sein Bruder, zankt er sich nicht beständig mit ihm herum? Will er nicht alle Augenblicke das, was Rufus nicht will? So jüngst. Hat er sich da nicht wieder Rechte angemaßt, die ihm nicht gebühren? Neuer Lebensmut stieg auf in Rufus, die Glutscheine versanken in der Erde. Blendende Schlachtenbilder erhoben sich vor ihm. Er zog gern in die Normandie hinüber. Dort spukte der Geist Robert des Teufels noch in den Schädeln. Auf denn!!! Rufus sprang in den Sattel und jagte davon.

Als er ein Stück weit geritten war, blieb sein Roß schnaubend stehen. Ein Weib mit glimmenden Augen wie Raubtieraugen erhob sich hinter einer mächtigen Eiche 91 und starrte nach ihm. Er fühlte es wie Nordwind im Nacken. Verwünschte Hexe, was soll dein Anblick? Er gab dem Pferd die Sporen, aber er wußte, bei dieser Begegnung war der Hengst nicht weiter zu bringen. »Warte, Gespenst,« Rufus Lippen bebten leicht, »meine Hände erwürgen dich doch noch einmal.« Ein Kichern antwortete ihm. Die Erscheinung war verschwunden. Sie will mir Winchester verleiden, die Wehrwölfin! Er riß den Zügel an und raste aus dem Wald.

Einige Zeit später ließ sich Haimon bei ihm melden und machte ihm in seiner ergeben-freundschaftlichen Art Vorwürfe über sein gegenwärtiges Leben. Auch tadelte er sein Benehmen dem Volke gegenüber. (Haimon war der einzige, der sich solche Kühnheiten herausnehmen durfte.) Er bat ihn ferner, doch die Gerüchte zu entkräften, die über ihn herumgingen, daß er Schulden im Ausland mache und allerlei Abenteuerliches mehr.

»Glaubt Ihr, daß ich im Ausland Kredit fände?« fragte der Unverbesserliche, hoch aufhorchend, »Bei wem denn? Sitzen die Ritter etwa nicht selbst bis über die Ohren in Schulden?«

Haimon schlug ihm vor, ein Fest zu geben, auf dem er sich seinen Leuten wieder im königlichen Glanze zeigen würde.

Rufus wehrte sich anfangs, schließlich willigte er ein.

Sie schleppten das Kostbarste der Schatztruhen herbei, um öffentlich zu zeigen, wie glänzend bestellt es um den 92 Herrscher stünde. Alles, was zur vornehmen Hofgesellschaft zählte, wurde mit Einladungen bedacht.

Rufus selbst bestimmte die Plätze, die seine Gäste an der königlichen Tafel einnehmen sollten.

Seit seiner Erkrankung dazumal war seine innere Bosheit mehr und mehr gewachsen. Sie hatten ihm ein ruhiges Jenseits mißgönnt, er würde ihnen ein unruhiges Diesseits bereiten, soviel es in seinen Kräften stand.

Vor der Schloßtreppe in Winchester gings lebhaft her.

Reichgeschirrte Rosse, prunkvolle Sänften, Reisewagen standen bunt durcheinander. Eine Schar Hofbeamter, Lakaien und anderen Dienstvolkes erwartete die Ankommenden und führte sie in die verschiedenen Gemächer, in denen sie sich restaurieren sollten, ehe die Tafel anhob.

Albereta hatte anfangs geschwankt, ob sie ihren Gatten begleiten solle, schließlich hatte sie nachgegeben und war mit ihm gekommen. Sie trug ein langherabwallendes Kleid von roter Seide. Ein Streifen aus Türkisen schmückte den Saum und klirrte leise, wenn er den Boden berührte. Auf ihrem tiefschwarzen Haar lag Goldstaub. Sie wußte nicht, weshalb sich alle Blicke auf sie richteten, als sie am Arm ihres Gemahls in den großen Empfangssaal trat.

Noch nie war ihre eigenartige Rasseschönheit so hervorgetreten, wie heute.

Die Haut des Gesichts glich der Farbe angebräunten Elfenbeins. Um die großen, verschleierten Augen lags wie leise Müdigkeit. – Sie verneigte sich vor Rufus und dessen Bruder Henry, der erst jüngst von seinen 93 Abenteuern heimgekehrt war. Gautier Tyrell schwatzte in auffallender Vergnügtheit mit einigen Herren. Bei Alberetas Eintritt sandte er ihr einen Gruß hinüber, den sie indes nicht bemerkte. Adgife mußte die Belagerung des flachsblonden Allain von Clare aushalten, der nicht von ihr wich. Sie hätte sich lieber mit dem Grafen Northumberland unterhalten, der unweit von ihr stand. Sein hartes Gesicht schien noch härter als sonst zu sein.

Jetzt rauschte Orielde, von ihrem Vater geleitet, herein. Sie trug ein Gewand aus weißem Brocat mit Hermelin verbrämt, ihr goldenes Haar hatte sie wie eine Krone auf dem Haupt aufgetürmt. Sie glich einer Königin und wußte, daß für einen Augenblick alle verstummten und sie ansahen.

Es erschien mit Juwelen besät der bleiche Aquis, fast zu ernst für diese harmlose Gasterei, und wurde vom König vertraulich begrüßt und in ein Gespräch gezogen.

Aquis übersah seine Bekannten, nur der Graf von Northumberland, Robert Mowbray, erhielt einen Blick, den er zurückgab.

Als Adgife Albereta erspähte, ging sie zu ihr hin und wechselte ein paar Worte mit ihr, wobei Albereta zu bemerken glaubte, daß sie Troarns Blicke vermied.

Giffiu kam allein, ohne Gemahl – er steht ihr auch schlecht zu Gesicht, wie die Damen meinten, – sie lächelte den König überlegen an und schritt nachlässig ihre vier Ellen lange Schleppe hinter sich herziehend, auf den Bischof von Durham zu, dessen Gesicht sich unwillkürlich 94 tiefer färbte. Wilhelm von Warelwast, der Gesandte, mit dem er im Gespräch vertieft war, kam ihm zu Hilfe und schoß eine Ladung boshafter Bemerkungen auf Giffiu ab, die sie indes nicht aus der Fassung zu bringen schien. Im Gegenteil, je mehr man sie abfertigte, um so besser schien sie sich in der Gesellschaft der beiden Herren zu gefallen. – Es verging noch einige Zeit mit dem Ankommen verschiedener Gäste, zuletzt kam Haimon mit seiner Mutter, die, unnahbar und über die Maßen hochmütig, vom König zu Tisch geführt wurde. Man bemerkte, daß Rufus Tyrell wie Luft behandelte, daß Aquis fast nicht von seiner Seite kam, daß die Gräfin von Troarn das Beispiel ihres Herrn in höchst auffallender Weise nachahmte, Tyrell übersah und Aquis mit ihren Blicken verfolgte. Die Interessanteste von allen war doch sie, wenn Orielde auch schöner war.

Als man endlich an der Tafel Platz genommen hatte, richteten sich viele Augen lachend, viele mit heimlichem Vorwurf auf den Gastgeber, der höchst harmlos tat und sich von seiner Nachbarin das Alter ihres Stammbaumes schildern ließ, indes er seine Beobachtungen machte. Er hatte in einer Anwandlung von Liebenswürdigkeit alle, von denen er wußte, daß sie sich nicht ausstehen konnten, nebeneinander gesetzt. Da weniger Damen als Herren anwesend waren, so traf es sich, daß ab und zu zwei Ritter, die sich lieber mit Faustschlägen bedacht hätten, friedlich aus einer Schüssel essen mußten.

So sitzt Robert von Meulant, der kirchenfeindliche, 95 neben dem frommen Roger von Bienfaite. Meulant besaß früher die Grafschaft Brionne in der Normandie, zu der das Kloster Bec gehörte. Rufus Bruder, Herzog Robert, nahm Meulant die Grafschaft auf allerlei vorgebrachte Beschwerden der Mönche und vergab sie an Roger. Diese zwei Männer beobachtete mit Vergnügen der rote Teufel. Er freute sich über die stille Wut, mit der jeder von beiden dem andern Höflichkeitsdienste erwies.

Der strenge, ernste Haimon wird von Giffiu geplagt, und Bray – er ist später seiner Frau nachgekommen – sitzt neben Orielde, die ihm Herzlichkeiten sagt und bereits die dritte unauffällige Todesart vorgeschlagen hat, durch die er seinem Dasein ein Ende machen könnte. Tyrell sitzt neben seiner – Frau und Albereta neben Flambard. Troarn hat den bestechend schönen, verwöhnten Prinzen Titus neben sich, der ihm über sein Grinsen mit der Faust unter die Nase fahren möchte. Prinz Henry – er sah mehr einem Mädchen als einem Manne ähnlich – muß artig neben seinem Onkel Odo von Bayeux sitzen, der zu Besuch da ist, indeß ihm gegenüber Herrn von Sais naive Frau den Bischof von Losange erröten macht. Und noch viele schöne Damen und galante Ritter sitzen nicht dort, wo sie sitzen möchten, sondern da, wo sie ihre Sünden abbüßen können.

Als endlich ein lustiges Völklein Gaukler und Possenreißer hereintanzt und den Herrschaften im Gewande des Witzes unverschämte Grobheiten sagt, Narrheiten erzählt, Kunststücke aufführt, da erhebt sich Rufus. Mit 96 ihm zugleich viele andere. Man begibt sich in die Nebensäle, wo Musik gemacht, Wein herumgereicht wird. Fräulein von Viants Vater, der neben dem stolzen Walchelin von Winchester saß und fast keine Antwort von ihm erhielt, humpelt auf Flambard zu, der mit seiner Nachbarin noch in tiefem Gespräch ist, und stört ihn durch eine unnötige Frage. Er weiß nicht, daß er durch seine Bosheit jemand einen großen Gefallen getan hat – im Augenblick, als sich Flambard ihm zuwendet, steht Rufus hinter Albereta.

»Kein einziges Lächeln, und ich habe doch den Heitersten Euch als Nachbar gesellt. Was ist Euch, liebe Gräfin?«

Sie stottert eine Phrase und blickt auf die Rubinrosen auf seinen goldenen Schuhen.

»Darf ich Euch ein bißchen zur Musik führen? Nebenan singen italienische Knaben Lieder aus Eurer Heimat.«

Er geleitet sie gegen den Nebensaal, bleibt aber vor einem der kostbaren Wandteppiche stehen, so daß es scheint, als erkläre er ihr dessen merkwürdige Zeichnung.

»Es ist seltsam, Ihr entschwindet mir immer aus dem Gedächtnis, wenn ich Euch nicht sehe, und begegne ich Euch, dann weiß ich, daß Ihr eigentlich die ganze Zeit über mit mir wart.«

Heute hat sie kein gläsernes Becherlein in der Hand und muß geduldig anhören, was er ihr sagt. Seine Augen weiden sich an ihrer Verwirrung.

97 »Sagt mir nur – nicht einmal Flambard hat Euren Wangen Farbe geben können – was fehlt Euch?«

»Ich wüßte nichts, Sir.«

»Was habt Ihr erlebt.«

»Ich habe eine Schlacht geschlagen.«

»Ei, und bliebt Ihr Sieger.«

»Ich bleibe immer Sieger.«

»Ich danke Euch!« Sein Haupt neigt sich lächelnd vor ihr. »Und was gedenkt Ihr jetzt zu tun?«

Sie hebt die Augen voll schmerzlichen Vorwurfs zu ihm auf.

»Ists wahr, Sir, daß Ihr rüstet, um nach der Normandie zu gehen? Ein neuer Krieg, neue Strapazen?«

»Das letztere stimmt nicht, gnädige Frau; für mich ist es die größte Strapaze, still zu sitzen, die größte Erholung, meinen Schädel im Pfeilregen zu baden. Waffengetöse ist meine liebste Musik.«

»Ja, wenn eiserne Notwendigkeit vorliegt, begreif' ich's, das Leben für nichts zu achten, aber – mir kommt vor –«

»O, stockt nicht, redet frei, Euch nehme ich nichts übel.«

»Mir kommt vor, Sir, Euch treibt der Wunsch, durch Zerstreuung Betäubung zu finden, von Ort zu Ort. Ihr wollt etwas, eine Art Heimweh in Euch, dadurch zum Schweigen bringen.«

Verstand er sie?

Er lächelte überlegen.

»Heimweh! Weil ich nach der Normandie, der Wiege 98 meiner Ahnen, ziehe, glaubt Ihr, ich hätte Heimweh. Vielleicht hege ich wirklich dunkle Sehnsucht nach der meerumbrausten Küste, an der einst meine Vorfahren gelandet sind.«

»So meine ichs nicht.«

»Noch weiter zurück greift Ihr? Meint Ihr, nach jenen ernsten Schneetälern zögs mich, aus denen die Recken einst kamen, um die See zu ihrer Braut zu küren? Hätt ich nach diesen Schneetälern Heimweh? Aber wenn das Glück in ihnen gewohnt hat, weshalb, schöne Gräfin, kam Hastings mit seinen Scharen herüber, hungernd und frierend nach grünen Küsten und Sommerluft? Doch ich danke Euch für die paar kostbaren Minuten –« er zuckte leicht erschrocken zusammen. Ein Vogel, durch die Lichter angezogen, war zu einem der offenstehenden Fenster hereingeflogen, streifte mit seinen Flügeln die Decke und verschwand wieder in der Dämmerung draußen.

Albereta war ihm mit den Blicken gefolgt.

»Das erinnert mich an jenen Ealdorman, der sich einst mit König Edwin unterhielt. Das Menschenleben, o König, sagte er, gleicht dem Fluge eines Sperlings in die Halle, in der wir zur Winterzeit beim Essen am warmen Herdfeuer sitzen, während draußen eisiger Regensturm wütet. Der Sperling fliegt herein, verweilt einen Augenblick beim Licht und der Wärme des Herdfeuers, und verschwindet wieder in der winterlichen Dunkelheit, aus der er kam. So währt das Menschenleben eine Zeitspanne, 99 aber was vorher war und was nachher kommt, wissen wir nicht.«

Rufus geleitete Albereta zu Troarn und wollte nach dem Gemach, wo Haimon ihn zum Schachspiel erwartete. Als er einen der entfernteren Säle durchschritt, erhoben sich zwei Menschen aus einer Ecke, um ihn zu grüßen. Es waren Aquis und Robert Mowbray, der Graf von Northumberland. Die, dachte Rufus, und tat, als sähe er sie nicht. Was brauen sie?

Robert Mowbray lächelte kalt, als die prachtvolle Gestalt des Königs hinter dem Türvorhang verschwunden war.

»War das – Absicht?«

»Keine Rede davon. Er ist unberechnend in allem, was er tut.«

»Es ist kein Zweifel, Ihr habt ihm zu wenig Geld gegeben. Er fühlt sich nicht genötigt, das Dickicht seiner Kreaturen zu lichten, um anständige Männer zu Wort kommen zu lassen.«

»Geduld! Wir wollen keine Summe zu hoch finden, ihn uns zu kaufen. Hat ihn erst angelsächsisches Geld gelockt, so wird er sich an den Geschmack dieser Quelle gewöhnen, in ihr sollen die fremden Mietlinge ersäuft werden.«

* * *


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