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Marktszene aus »Mogens«

Diese Szene ließ J.P. Jacobsen im letzten Augenblick, ehe die Erzählung gedruckt werden sollte, aus und ersetzte sie durch ein Referat.

Jütland. Es war das Jahr darauf im Septembermonat auf dem Kanstruper Markt, im Quatember. Mitternacht war vorüber. Es sollte am nächsten Tag abermals Markt sein, deswegen standen die Zelte noch. Drinnen in Rasmus Kryles Zelt waren noch Leute wach. Licht schimmerte durch das Segeltuch, und Schatten bewegten sich darüber hin. Über lange, leere Borte und Bänke von ungemaltem Fährenholz trieb der Qualm von Tabak, Bier und feuchtem Beiderwand. An dem einen Ende waren braune Jahrmarktkisten, leere Anker, vornüberhängende Tonnen und fettiges Steingut aufgestellt. Dahinter lagen Kryles Frau und Mägde und schliefen in einem Durcheinander von Federbetten und Stroh. Eine Stallaterne warf ihr flackerndes Licht auf ihre müden Gesichter. An einem Tisch am andern Ende saßen Mogens und ein brünettes Frauenzimmer in verschossenem Rot und verschlissenem Sammet. Mogens war bleich und mager, es war etwas Hartes in die Art und Weise gekommen, mit der er seinen Kopf bewegte, und es lag gleichsam etwas Grausames um seinen Mund. Ihm gerade gegenüber saß ein kleiner, rundlicher, kurzhalsiger Bauer mit einem rotbraunen, bartlosen Gesicht; er hatte seine Mütze verloren und ein großes, blaukariertes Taschentuch über den Kopf gebunden. Es war Jens Svingbjerg; Peter Steuerlos saß neben ihm in blauer Seemannsjacke und blanker Mütze, er hatte einen langen, bloßen Hals, einen großen, lippenlosen Mund, zu lange Nase und kleine Augen ohne Brauen. In den Ohren trug er große, glänzende, goldene Ringe. Am Ausgang des Zeltes saß ein zerlumpter Bursche auf einem Bierfaß und schlief, das war der Mann des Frauenzimmers. Kryle ging hin und her in großen Binsenschuhen, verschwand in der Finsternis, um nach einem Kessel zu sehen, der sang und brodelte, und tauchte auf, um die Lichter zu putzen und an einem Glas zu nippen, das am Ende des Tisches stand. Niemand sagte etwas, es war ganz still. In weiter Ferne krähte ein Hahn. Jens fing plötzlich an, mit gellender Stimme zu singen:

»Wenn einst kommt der Tag,
Daß ich dem König soll dienen
Und tragen die Flinte so schwer,
Dann will ich ...«

»Halts Maul, Jens, und sieh nach, ob angespannt ist!«

Als Mogens das gesagt hatte, ergriff er ein Glas und warf den Inhalt über den Mann auf dem Bierfaß:

»Wach auf, Bajads!« rief er, »und nimm Martha mit!«

Der Mann fuhr in die Höhe, sah sich verstört um, sank wieder auf seinen Platz nieder und schlief weiter.

»Wirf ihm das Glas an den Brummschädel, dann wird er schon aufwachen«, schlug Peter Steuerlos vor.

Mogens schüttelte unwillig den Kopf.

»So ein Kerl!« wandte Peter ein, »er kann so viel vertragen wie sieben Satans und drei Roßkämme.«

Martha hatte dagesessen und Mogens forschend angesehen, sie legte ihre braune Hand auf seinen Nacken, bog ihr Gesicht unter das seine und sagte mit ausländischem Akzent, kreischend und zornig: »Ich gehe nicht mit Naudin, nein, nein, nein!«

»Rühr mich nicht an, Weib!« schrie Mogens und schleuderte ihren Arm von sich, so daß die Hand auf den Tisch niederschlug.

Martha wurde leichenblaß, und ihre großen, schwarzen Augen funkelten, ihre Züge wurden gleichsam geschärft, und die Unterlippe sank bei den Mundwinkeln herab; mit einem gellenden Krampfgelächter ließ sie sich unter den Tisch sinken und blieb schluchzend zu Mogens' Füßen liegen.

Man hörte Jens draußen singen: »Einen Abend ging ich meinen gewöhnlichen Gang, Da hört ich, wie ein Mädchen so trau-au-rig sang ...«

Er kam singend herein, als er aber sah, was hier vor sich ging, schwieg er plötzlich und schlich still an seinen Platz. Mogens sah fragend zu ihm hinüber. Er nickte.

»Rasmus, mehr Punsch!« rief Mogens, nahm eine Flasche und strich damit ganz ruhig Stück für Stück von dem, was auf dem Tische stand, an die Erde: »Und du, Martha, setz du dich hin und sei vernünftig!«

Es wurden große Gläser mit dampfendem Punsch hingestellt. Peter beugte sich unter den Tisch hinab und flüsterte:

»Komm nur her und trink einen Schluck, du kannst ja doch sehen, daß ihm über Nacht der Kopf nicht steht, du pflegst doch sonst alert und verständig zu sein.«

Martha tauchte auf und setzte sich. Mogens klopfte sie auf den Rücken, und Jens trommelte vor Lustigkeit auf den Tisch.

»Na, Jens!« rief Peter, »erzähl uns mal von den Skrämer Musikanten und den Kanstruper Ebern!«

»Nein!« sagte Jens, »Rasmus soll von dem Probenreiter erzählen, der ihm die Branntweinkonzession verkaufte.«

»Könnte Peter nicht lieber von damals erzählen, als er im Dunkeln freite und bei Licht getraut wurde?« fragte Rasmus vorsichtig.

»Nein!« rief Peter, »zum Teufel mit allen Frauenzimmern, und Gott lasse sie nicht länger leben, als Staat mit ihnen zu machen ist! Prost, Jens! Sing uns was vor! Hast du Klemme Nöffes Walzer vergessen? Sof, nöf, nöf.«

Aber Jens war schon zu weit mit dem Punsch gediehen und befand sich in betrüblicher Laune; mit meckernder Stimme begann er zu singen, während ihm die Tränen an den Wangen herabliefen:

»Ach Welt du! ach Welt du!
Dein Unglück ist groß,
Dein Trauerflor einen jeden verdroß.
Ich liebte einst ein Mädchen
in der Rendsburgerstadt,
Da war ich so froh,
da war ich Soldat.«

Peter schüttelte ihn, um ihn zu ermuntern. Das half. Jens geriet ganz aus dem Häuschen und fing an, ihnen Menuett vorzutanzen, mit plötzlichen Unterbrechungen von Hamburger-Schottisch. Peter juchzte einen Singsang dazu, Martha stieg auf die Bank und jodelte, und Rasmus klingelte vorsichtig mit einem Teelöffel gegen sein Glas.

Endlich wurden sie müde und bestiegen den Wagen. Mogens und Martha auf dem Vordersitz, Jens und Peter hinten drin. Rasmus stand da und dankte und wünschte ihnen glückliche Heimfahrt. Jens stand im Wagen auf und sang:

»Nun beklag ich alle,
Der Mormone uns bringt zu Falle,
Will uns aus dem Land vertreiben.«

Und dann fuhren sie. Auf einmal bog der Wagen in einen Seitenweg ein. Peter sagte, das sei verkehrt, Mogens sagte, für dies Mal müsse es richtig sein. Sie kamen auf einen alten Heideweg, ein Roß auf dem Anger, eins in der Wagenspur, beide auf dem Anger, beide in der Spur, Ruck folgte auf Stoß und Stoß auf Ruck, dahin sauste der Wagen.

»Ich will runter!« rief Jens, »das ist ein wilder Weg, und ein toller Mann führt.«

Mogens hielt, und Jens sprang ab.

»Adieu, Jens Svingbjerg!«

Der Weg wurde nicht besser, und Mogens peitschte aus Leibeskräften auf die Pferde los. Bald neigte sich die eine Seite des Wagenkorbes nach dem Wegesrande hinab, bald die andere, die Pferde oben, der Wagen in einem Loch, die Pferde unten, der Wagen oben; gerade vor ihnen lag der große Heidehügel, darauf ging es los. »Halt!« kreischte Martha. Dann kam sie herunter. Mogens fuhr den Hügel hinan, er stand aufrecht und schrie und hielt zurück, die Stränge waren so stramm, als sollten sie zerspringen, die Deichsel war kurz davor, aus den Kuppeln zu gehen; den Hügel hinab, – die Pferde zogen jedes nach seiner Seite und stürzten vorwärts, jeden Augenblick war der Wagen kurz davor, ihnen auf die Beine zu fallen. Als sie unten angelangt waren, wandte sich Mogens nach Peter um. Er war nicht mehr da. Im selben Augenblick sauste etwas Schweres an Mogens vorbei. Es war Peters großes Taschenmesser.

»Das sieht dir ähnlich, Peter Steuerlos!«

Mogens fuhr langsam weiter, um einen Weg zu finden. Im Osten dämmerte es, die Lerchen sangen, und der Tau blitzte auf dem Heidekraut.

April 1872.


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