Washington Irving
Erzählungen von der Eroberung Spaniens
Washington Irving

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Erzählung vom Grafen Julian und seiner Familie.

In den vorstehenden Erzählungen ist die wahre Geschichte des Unglücks von Spanien nach ihren düsteren Zügen dargestellt worden. Es ist dies eine Geschichte voll gesunder Moral; sie tadelt die Ungebühr des menschlichen Stolzes und die Eitelkeit des menschlichen Ehrgeizes und zeigt die Hinfälligkeit aller Größe, so fern diese nicht auf Tugend fest begründet ist. Wir haben gesehen, wie in einem sehr kurzen Zeitraume die meisten Helden dieses historischen Dramas, einer nach dem andern, von der Schaubühne verschwanden, und wie Besieger und Besiegte mit einander in das düstere, ruhmlose Grab hinabstiegen. Wir schließen nun diese begebnißreiche Geschichte damit, daß wir den Lesern, gleichsam als eine Warnungstafel, das Schicksal des Verräthers vorhalten, dessen schmachvolle Rache das Verderben über sein Vaterland gebracht hat.

Der Nachrichten von dem Schicksale des Grafen Julian und seiner Familie sind in den alten Chroniken viele und mannichfaltige zu finden, und zahlreich sind die Sagen, welche über diesen Gegenstand noch heut zu Tage unter dem spanischen Volke gäng und gebe sind und in jenen unzählbaren Romanzen fortleben, welche der Landmann und der Maulthiertreiber singt, und die einen so namenlosen Reiz über das Ganze dieses romantischen Landes verbreiten.

Wer Spanien in der echten Weise durchwandert hat, wie dieses Land durchwandert werden muß; – wer in seinen entlegenen Provinzen sich aufgehalten, die wilden Bergpässe und die stillen Gebirgsthälchen durchzogen und sich mit dem Volke in den von den Straßen entfernten Dörfern und selten besuchten Gegenden bekannt gemacht hat, wird sich mancher Gruppe von Reisenden und Maulthiertreibern erinnern, welche sich am Abend um die Thüre oder den geräumigen Kamin einer Bergventa versammelten, in ihre braunen Mäntel gehüllt und mit ernster, tiefer Stille der langen geschichtlichen Romanze irgend eines Bänkelsängers lauschend, welche er entweder mit wahrem ore rotundo und den harmonischen Cadenzen der spanischen Aussprache vortrug oder zu dem Klimpern der Guitarre sang. – Auf diese Weise wird er das klägliche Ende des Grafen Julian und seiner Familie in sagenhaften Reimen erzählen gehört haben, welche sich von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt haben. Die Einzelnheiten in Bezug auf folgende wundersame Erzählung jedoch sind aus den Schriften des Pseudo-Mauren Rasis genommen. Es ist unmöglich, nun als sicher herzustellen, ob sie wirklich als historische Thatsachen betrachtet werden können; wir müssen uns daher begnügen, wenn sie den Anforderungen poetischer Gerechtigkeit entsprechen.

Bis jetzt war für Grafen Julian noch Alles glücklich ausgefallen. Er hatte seine Rache befriedigt; er war in seinem Verrathe mit Erfolg gekrönt worden, und hatte zahllose Schätze aus dem Sturze seines Vaterlandes gezogen. Aber das äußere Glück bedingt das innere Wohlergehen nicht. Der Baum trägt oft Früchte und Laub, und doch fault und verwittert er in seinem innersten Mark.

Wohin Graf Julian kam, las er in jedem Auge Haß und Abscheu. Die Christen fluchten ihm als der Ursache aller ihrer Leiden, die Moslemen verachteten ihn und mißtrauten ihm als einem Verräther. Die Männer flüsterten mit einander, wenn er sich näherte, und dann wandten sie sich verächtlich weg; die Mütter entrissen ihm ihre Kinder mit Schauder, wenn er sie liebkosen wollte. Er brach zusammen unter dem Fluche seiner Mitmenschen und begann – das Letzte und das Schlimmste – sich selbst zu verabscheuen. Vergeblich versuchte er, sich zu überreden, er habe nur eine gerechte Rache geübt: er fühlte, daß keine persönliche Beleidigung das Verbrechen des Verraths an dem Vaterlande rechtfertigen kann.

Eine Zeitlang suchte er in üppigem Leben das Elend seiner Seele zu beschwichtigen oder zu vergessen. Er umgab sich mit jedem Genuß, mit jeder Freude, welche ein unerschöpflicher Reichthum sich verschaffen kann; allein Alles umsonst. Er hatte keinen Geschmack an den Leckerbissen seiner Tafel; in der Musik war kein Zauber, der seine Seele einlullen konnte, und die Gewissensbisse scheuchten den Schlaf von seinem Kissen. Er sandte nach Ceuta und ließ seine Gemahlin Frandina, seine Tochter Florinda und seinen jungen Sohn Alarbot holen; denn er hoffte, im Schoose seiner Familie würde er jene Sympathie, jene Freundlichkeit finden, welche er fortan in der Welt vergeblich suchte. Ihre Anwesenheit brachte ihm aber keine Linderung. Florinda, die Tochter seines Herzens, um derentwillen er diese schreckliche Rache geübt hatte, sank als ein Opfer der Wirkung eben dieser Rache. Wohin sie ging, hörte sie einen Beinamen der Schmach und des Vorwurfs. Die Kränkung, welche sie hatte dulden müssen, wurde ihr als Leichtsinn ausgelegt, und ihr Unglück wurde zu einem Verbrechen vergrößert. Die Christen gedachten ihres Namens nie ohne einen Fluch, und die Moslemen, welche durch ihr Ungemach gewonnen hatten, sprachen von ihr nur unter dem Namen Cava, dem niedrigsten Beinamen, den sie einem weiblichen Wesen beilegen konnten.

Aber die Schmähung der Welt war nichts gegen die Vorwürfe ihres eigenen Herzens. Sie klagte sich des ganzen Elends dieser unseligen Kriege, des Mordes so vieler tapfern Ritter, der Eroberung und des Untergangs ihres Vaterlandes an. Die Qualen ihres Geistes nagten an der Schönheit ihres Körpers. Ihr Auge, einst so sanft und zärtlich in seinem Ausdrucke, wurde wild und unstät; ihre Wangen verloren ihre Röthe und wurden blaß und hohl, und zuweilen war etwas Verzweifelndes in ihren Worten. Wenn ihr Vater sie umarmen wollte, entwand sie sich schaudernd seinen Armen; denn sie gedachte seines Verrathes und des Unglücks, das er über ihr Vaterland gebracht.

Nach ihrer Rückkehr in ihre Heimath wurde ihr Zustand stets trostloser, und eine Art Wahnsinn bemächtigte sich ihrer. Als sie eines Tages mit ihren Aeltern in dem Garten ihres Palastes lustwandelte, trat sie in einen Thurm und stieg, nachdem sie das Thor verriegelt, zu den Zinnen empor. Von hier rief sie ihnen in herzzerreißenden Tönen zu, in welchen sich ihre unerträgliche Qual und ihr verzweifelter Entschluß aussprach.

»Laßt diese Stadt,« rief sie, »von nun an Malacca heißen, zum Andenken des unglücklichsten weiblichen Wesens, das darinnen ihre Tage endigte.«

Bei diesen Worten stürzte sie sich häuptlings vom Thurme und wurde in Stücke zerschmettert. Die Stadt, fügt der Chronikenschreiber hinzu, nahm den ihr auf diese Weise gegebenen, obgleich durch die Aussprache in Malaga gemilderten Namen an, welchen sie, zum Andenken an das tragische Ende Florinda's, noch führt.

Die Gräfin Frandina verließ diesen Schauplatz des Schreckens und kehrte, von ihrem jungen Sohne begleitet, nach Ceuta zurück. Sie nahm die Ueberbleibsel ihrer unglücklichen Tochter mit sich und ließ sie in einem Mausoleum, das zur Kirche der Veste gehörte, ehrenvoll beisetzen. Graf Julian reiste nach Cartagena ab, wo er, in Schauder über dieses klägliche Ereigniß versunken, fortan lebte.

Um diese Zeit hatte der grausame Soliman, nachdem er die Familie Musa's vernichtet, einen arabischen Feldherrn, Alahor genannt, nach Spanien gesendet, um Abdalasis als Emir oder Statthalter des Landes zu ersetzen. Dieser neue Emir war von grausamem und argwöhnischem Charakter und trat sein Amt mit einer herben Strenge an, welche die [Menschen] unter seinem Befehle mit Leidwesen auf den leichten Scepter des Abdalasis zurückblicken ließ. Mit mißtrauischen Augen betrachtete er die abtrünnigen Christen, welche die Eroberung des Landes gefördert hatten und nun in dem Dienste der Moslemen die Waffen trugen; aber sein schwerster Verdacht fiel auf den Grafen Julian.

»Er war ein Verräther an seinem eigenen Vaterlande,« sagte er; »wie können wir gewiß sein, daß er sich nicht als Verräther an uns erweise?«

Ein plötzlicher Aufstand der Christen, welche sich in die asturischen Gebirge geflüchtet hatten, gab seinem Argwohn neue Nahrung und flößte ihm Furcht vor einer gefährlichen Verschwörung gegen seine Macht ein. Seine Besorgnisse hatten ihren Höhepunkt erreicht, als er sich eines arabischen Weisen, Namens Yuza, erinnerte, welcher mit ihm aus Afrika gekommen war. Dieser Sohn der Weisheit war von verwitterter Gestalt und sah aus, als hätte er die gewöhnlichen Gränzen des sterblichen Lebens längst überschritten. In dem Verlaufe seiner Studien und Reisen in dem Morgenlande hatte er die Kenntnisse und Erfahrungen von Jahrhunderten gesammelt, sich mit der Sternkunde und, wie man erzählt, auch mit der Zauberei bekannt gemacht und besaß die wunderbare Gabe der Wahrsagung.

An diesen Ausleger der Mysterien wandte sich Alahor, um zu erfahren, ob irgend ein geheimer Verrath seiner Sicherheit Gefahr drohe.

Der Sternkundige lauschte mit hoher Aufmerksamkeit und finstrer Stirne auf alle die Besorgnisse und Befürchtungen des Emirs; dann schloß er sich ein, um seine Bücher zu Rath zu ziehen und mit jenen übernatürlichen Mächten in Verkehr zu treten, welche seiner Weisheit dienstbar waren. Zu der bestimmten Stunde besuchte der Emir ihn in seiner Zelle. Sie war mit dem Dufte von Wohlgerüchen erfüllt; auf dem Boden waren Vierecke und Kreise und mannichfache Figuren gezeichnet, und der Sterndeuter war in eine Pergament-Rolle vertieft, welche mit kabbalistischen Zeichen bedeckt war. Er empfing Alahor mit einer düstern, finstern Miene, und deutete ihm an, er habe schreckliche Vorzeichen am Himmel entdeckt und seltsame Träume und geheimnißvolle Gesichte gehabt.

»O Emir.« sagte er, »sei auf deiner Hut! Der Verrath umgibt dich und lauscht auf deinen Wegen. Dein Leben ist in Gefahr. Hüte dich vor dem Grafen Julian und den Seinigen.«

»Genug!« sprach der Emir; »sie sollen alle sterben – Aeltern und Kinder – Alle sollen sterben!«

Er sandte sofort eine Aufforderung an den Grafen Julian, zu Cordova vor ihm zu erscheinen. Der Bote fand ihn in Gram über den neulichen Tod seiner Tochter versenkt. Der Graf entschuldigte sich, wegen des Unglücks, das ihn getroffen, nicht persönlich dem Befehle nachkommen zu können, schickte aber mehrere seiner Anhänger. Sein Zaudern und der Umstand, daß er seine Familie jenseits der Meerenge gesandt hatte, galten in dem argwöhnischen Gemüthe des Emirs für die vollsten Beweise der Schuld. Er zweifelte keinen Augenblick mehr, daß Graf Julian in die neuerlichen Aufstände verwickelt sei und daß er seine Familie vor einem Versuche, durch die Gewalt der Waffen die moslemitische Herrschaft zu stürzen, entfernt habe. In seiner Wuth ließ er Siseburt und Evan, die Neffen des Bischofs Oppas und des frühern Königs Witiza Söhne, ermorden, da er sie im Verdacht hatte, an dem Verrathe Theil zu haben. So büßten sie ihre Verrätherei an ihrem Vaterlande während der unglücklichen Schlacht von Guadalate.

Alahor eilte nun nach Cartagena, um sich des Grafen Julian zu bemächtigen. Seine Bewegungen waren so rasch, daß der Graf nur noch Zeit hatte, mit fünfzehn Rittern zu entkommen, mit welchen er in der starken Veste Marcuello, in den Gebirgen Aragoniens, Zuflucht suchte. Der Emir welcher wüthend war, daß ihm seine Beute entging, schiffte sich zu Cartagena ein und eilte über die Meerenge nach Ceuta, um die Gräfin Frandina und ihren Sohn zu seinen Gefangenen zu machen.

Die alte Chronik, aus welcher wir diesen Theil unserer Erzählung entlehnt haben, entwirft ein düsteres Gemälde von der Gräfin in der starken Veste, in welche sie sich geflüchtet hatte – ein Gemälde, das durch übernatürliche Schrecken noch erhöht wurde. Der verständige Leser mag nun die letztern, nach dem Maase seines Glaubens und Urtheils, zugestehen oder nicht, dessen dürfte er stets eingedenk sein, daß in düstern und begebnißreichen Zeiten, welche, wie die in Frage stehenden das Geschick von Nationen, den Sturz von Königreichen und die Verbrechen von Herrschern und Mächtigen in sich schließen, die Hand des Schicksals zuweilen oft auf eine wundersame Weise sichtbar wird und durch Winke und Zeichen, welche weit außer dem gewöhnlichen Verlaufe der Dinge sind, die Weisheit der weltlich Weisen zunichte macht. Nach dieser Andeutung nehmen wir keinen Anstand, dem ehrwürdigen Chronikenschreiber in seiner Erzählung zu folgen.

Es begab sich also, daß die Gräfin Frandina spät in der Nacht in ihrem Gemache in der Veste von Ceuta, die auf einem hohen, das Meer überschauenden Felsen liegt, in düsteres Nachdenken versenkt saß. Mit schmerzlicher Angst gedachte sie der neulichen Unfälle, die ihre Familie getroffen; da hörte sie klägliche Töne, als wenn der Seewind um die Mauern der Veste stöhnte. Sie schlug ihre Augen auf und sah ihren Bruder, den Bischof Oppas, an dem Eingange des Gemaches stehen. Sie beeilte sich, ihn zu umarmen, aber er hielt sie mit einer Bewegung seiner Hand zurück; und sie bemerkte, daß er todtenbleich war und daß seine Augen wie lodernde Flammen glänzten.

»Berühre mich nicht, Schwester,« sagte er mit trauriger Stimme, »auf daß du nicht von dem Feuer verzehrt wirst, das in mir wüthet. Wache über deinen Sohn mit Sorgfalt; denn Bluthunde sind ihm auf der Spur. Seine Unschuld hätte ihm vielleicht den Schutz des Himmels gesichert, aber unsere Verbrechen haben ihn mit in unser Verderben gezogen.« –

Er sprach nicht mehr und war nicht mehr zu sehen. Sein Kommen und sein Gehen waren zumal ohne Geräusch, und die Thüre des Gemaches war fest vermacht geblieben.

Am nächsten Morgen kam ein Bote mit der Nachricht, der Bischof Oppas sei von den empörten Christen der Asturien in dem Kampfe gefangen worden und habe gefesselt in einem Thurme auf dem Gebirge den Tod gefunden. Derselbe Bote brachte die Kunde, der Emir Alahor habe mehrere der Freunde ihres Gemahls tödten lassen und den Grafen Julian gezwungen, sich in ein Schloß in Aragonien zu flüchten, um sein Leben zu retten; der Emir selbst schicke sich an, mit einer beträchtlichen Schaar zu Ceuta zu landen.

Die Gräfin Frandina war, wie bereits bemerkt worden ist, ein Weib von muthigem Herzen, und die Gefahr gab ihr die Kraft der Verzweiflung. Unter der Besatzung befanden sich fünfzig maurische Krieger; sie fürchtete, diese mögten sich als Verräther erweisen und sich ihren Landsleuten zugesellen. Sie forderte daher die Anführer vor sich, unterrichtete sie von der drohenden Gefahr und befahl ihnen, diese Mauren zu tödten. Die Wachen beeilten sich, ihren Befehl zu vollziehen. Fünfunddreißig dieser Mauren waren, keine Gefahr ahnend, auf dem großen Platze, als ihre Henker sich an sie anschlossen und auf ein verabredetes Zeichen sie auf der Stelle niederhieben. Die übrigen fünfzehn flüchteten sich in einen Thurm. Sie wurden der Flotte des Emirs in der Entfernung ansichtig, und hofften im Stande zu sein, bis zu der Ankunft derselben auszuhalten. Auch die Krieger der Gräfin sahen die Schiffe und boten Alles auf, um sich dieser Feinde im Innern zu entledigen, bevor sie von Außen angegriffen würden. Sie machten wiederholte Versuche, den Thurm zu stürmen, wurden aber oft mit schwerem Verluste zurückgeschlagen. Sie untergruben ihn dann und stützten seine Fundamente mit hölzernen Gerüsten. An diese legten sie Feuer und entfernten sich eine Strecke, wobei sie einen fortwährenden Regen von Bolzen und Pfeilen unterhielten, um die Mauren zu hindern, herauszubrechen und die Flammen zu löschen. Das Gerüst war bald eine Beute der Flammen, und als es verzehrt war, stürzte der Thurm zusammen. Einige der Mauren wurden von den Trümmern zerquetscht; Andere wurden weit weggeschleudert und an den Felsen zerschmettert, und die Ueberlebenden machte man augenblicklich mit dem Schwerte nieder.

Zur Zeit der Vesperstunde kam die Flotte des Emirs zu Ceuta an. Er landete; fand aber, daß man ihm die Thore verschlossen hatte. Die Gräfin selbst redete ihn von einem Thurme herab an, und bot ihm Trotz. Der Emir belagerte die Stadt augenblicklich. Er fragte den Sternkundigen Yuza um Rath; dieser sagte ihm, sein Stern würde sieben Tage das Uebergewicht über den des jungen Alarhot's, des Grafen Julian Sohn, haben; nach dieser Zeit aber würde der Jüngling seiner Macht nicht mehr unterworfen werden können und den Emir verderben.

Alahor befahl sogleich, die Stadt von allen Seiten anzugreifen, und es gelang ihm endlich, sie durch Sturm zu nehmen. Die Gräfin flüchtete sich mit ihren Schaaren in die Veste und begann eine verzweifelte Vertheidigung; aber die Mauern wurden untergraben und hart bedrängt, und sie sah, daß bald jeder Widerstand vergeblich sein würde. Alle ihre Gedanken waren nun darauf gerichtet, ihr Kind zu verbergen.

»Gewiß,« sagte sie, »denken sie nicht daran, meinen Sohn unter den Todten zu suchen!«

Sie führte ihn daher in eine dunkle, schauerliche Kirche.

»Du fürchtest dich nicht, in dieser Dunkelheit allein zu bleiben, mein Kind?« sagte sie.

»Nein, Mutter,« versetzte der Knabe; »die Dunkelheit gewährt Stille und Schlaf.«

Sie führte ihn zu Florinda's Gruft.

»Fürchtest du die Todten nicht, mein Kind?«

»Nein, Mutter – die Todten können Niemand etwas zu Leid thun – und was sollte ich von meiner Schwester fürchten?«

Die Gräfin öffnete die Gruft.

»Höre, mein Sohn,« sagte sie. »wilde und grausame Leute sind hierher gekommen, um dich zu morden. Bleibe hier bei deiner Schwester und verhalte dich ruhig, wenn dein Leben dir lieb ist.«

Der Knabe, der muthigen Charakters war, that, wie ihm geheisen worden, und blieb den ganzen Tag und die ganze Nacht und den nächsten Tag bis zur dritten Stunde da.

Mittler Weile waren die Mauern der Veste untergraben, die Schaaren des Emirs strömten durch eine Bresche ein, und ein großer Theil der Besatzung mußte über die Klinge springen. Die Gräfin wurde gefangen und vor den Emir gebracht. Mit stolzem Benehmen, als wäre sie eine Königin, die sich von ihm huldigen ließe, erschien sie vor ihm; als er aber nach ihrem Sohne fragte, schwankte sie und wurde blaß und erwiederte:

»Mein Sohn ist bei den Todten!«

»Gräfin,« sagte der Emir, »man täuscht mich nicht. Sagt mir, wo Ihr den Knaben versteckt habt, oder die Folter wird Euch das Geheimniß entreißen.«

»Emir,« versetzte die Gräfin, »die größten Qualen mögen mein Loos sein, sowohl hienieden als nach dem Leben, wenn ich nicht die Wahrheit rede. Mein geliebtes Kind liegt bei den Todten begraben.«

Die Feierlichkeit ihrer Worte machten den Emir irre; aber der abgehagerte Sterndeuter, welcher an seiner Seite stand und die Gräfin unter seinen buschigen Augenbrauen hervor betrachtete, bemerkte Unruhe und Verwirrung auf ihrem Antlitz und Doppelsinn in ihren Reden.

»Ueberlaßt diesen Gegenstand mir,« flüsterte er Alahor zu, »ich werde das Kind zum Vorschein bringen.«

Er ließ durch die Krieger die strengste Nachsuchung halten, und die Gräfin mußte überall gegenwärtig sein.

Als sie in die Kirche kamen, erblaßte ihre Wange, und ihre Lippe zitterte.

»Hier ist der Knabe versteckt,« sagte der kluge Astrologe.

Das Durchsuchen der ganzen Kirche erwies sich jedoch gleich vergeblich, und die Krieger waren eben im Begriffe, sich zu entfernen, als Yuza in dem Auge der Gräfin einen schwachen Strahl der Freude entdeckte.

»Wir lassen unsere Beute hinter uns,« dachte er; »die Gräfin triumphirt in ihrem Herzen.«

Er rief sich jetzt die Worte ihrer Betheuerung, ihr Kind sei bei den Todten, in das Gedächtniß zurück. Rasch wendete er sich zu den Kriegern und befahl ihnen, die Grüfte zu durchsuchen.

»Wenn ihr den Knaben nicht findet,« sagte er, »so schleppt die Gebeine der leichtfertigen Cava heraus, damit man sie verbrenne und die Asche in den Wind zerstreue.«

Die Krieger durchsuchten die Gräber und fanden die Gruft der Florinda theilweise geöffnet. Drin lag der Knabe in dem gesunden Schlummer der Kindheit, und einer der Kriegsmänner nahm ihn sanft in seine Arme und trug ihn zu dem Emir.

Als die Gräfin sah, daß ihr Kind entdeckt war, stürzte sie Alahor entgegen und warf sich, ihres ganzen Stolzes vergessend, vor ihm auf die Kniee.

»Gnade! Gnade.« rief sie in herzzerreißenden Tönen; »Gnade für mein Kind – für meinen einzigen Sohn! O Emir! höre auf einer Mutter Bitten, und meine Lippen sollen deine Füße küssen! Wie du gnädig gegen ihn bist, so wird der höchste Vater Gnade gegen dich üben und Segen auf dein Haupt häufen.«

»Bringt das tolle Weib hinweg,« sagte der Emir, »aber bewacht sie sorgsam!«

Die Gräfin wurde von den Kriegsleuten, ohne Rücksicht auf ihr Widerstreben und ihr Geschrei, weggeführt und in einen Kerker der Veste gesperrt.

Das Kind wurde jetzt dem Emir gebracht. Es war durch den Lärm geweckt worden, schaute aber furchtlos auf die grimmigen Gesichter der Kriegsmänner. Wenn das Herz des Emirs für Mitleid empfänglich gewesen wäre, so würde es durch die zarte Jugend und unschuldige Schönheit des Knaben gerührt worden sein; sein Herz war aber wie der härteste Kiesel, und er war auf den Untergang der ganzen Familie des Grafen Julian erpicht.

Er ließ den Sternkundigen rufen und übergab ihm mit einem geheimen Befehl das Kind. Der abgemagerte Sohn der Wüste nahm den Knaben an der Hand und führte ihn die Wendeltreppe eines Thurmes hinauf. Als sie oben angekommen waren, stellte ihn Yuza auf die Zinnen.

»Halte dich nicht an mir, mein Kind,« sagte er; »es ist keine Gefahr hier.«

»Vater, ich fürchte mich nicht,« sagte der unerschrockene Knabe; »wir sind aber auf einer wundersamen Höhe.«

Das Kind blickte mit freudigen Augen rund umher. Der frische Wind blies ihm die lockigen Haare aus dem Gesicht, und seine Wange glühte bei der gränzenlosen Aussicht; denn der Thurm stand auf dem hohen Vorgebirg, auf welchem Herkules eine seiner Säulen aufgerichtet hatte. Tief unten hörte man die Wellen des Meeres an die Felsen schlagen, die Seemöve kreis'te schreiend um das Fundament des Thurmes, und die Segel mächtiger Lastschiffe zeigten sich blos wie Flecken auf dem Schoos des Meeres.

»Kennst du jenes Land drüben über dem blauen Wasser?« fragte Yuza.

»Es ist Spanien,« versetzte der Knabe; »es ist die Heimath meines Vaters und meiner Mutter.«

»Dann strecke deine Hände aus und segne es, mein Sohn!« sagte der Astrologe.

Der Knabe ließ den Stein, an welchem er sich gehalten, los, und wie er seine Hände ausstreckte, nahm der alte Sohn Ismaels alle Kräfte seiner erschlafften Glieder zusammen und stieß ihn plötzlich über die Zinnen hinab. Er stürzte häuptlings von der Höhe dieses ungeheuern Thurmes, und jedes Glied seines zarten Körpers wurde an den Felsen drunten zerschmettert.

Alahor kam an den Fuß der Wendeltreppe.

»Ist der Knabe geborgen?« rief er.

»Er ist geborgen!« versetzte Yuza; »komm und überzeuge dich mit deinen eigenen Augen.«

Der Emir stieg den Thurm hinauf und blickte über die Zinnen und sah die Leiche des Kindes, eine formlose Masse, tief unten auf den Felsen, und die Seemöven hatten sich darauf gesetzt; und er gab Befehl, die zerschellten Glieder in das Meer zu werfen, was geschah.

Am nächsten Morgen wurde die Gräfin aus ihrem Gefängniß auf den öffentlichen Platz geführt. Sie kannte den Tod ihres Kindes und wußte, daß auch ihre letzte Stunde zur Hand war; sie weinte aber nicht und flehte nicht. Ihr Haar war aufgelös't, und ihr Auge hohl vom Wachen, und ihre Wange war wie ein Leichenstein; dennoch sah man noch in ihrem Antlitz die Spuren gebieterischer Schönheit, und das Majestätische ihrer Erscheinung flös'te selbst dem großen Haufen Achtung ein.

Eine Menge christlicher Gefangenen wurden jetzt herbeigebracht, und Alahor rief:

»Schaut hier das Weib des Grafen Julian – schaut eine aus jener verrätherischen Familie, welche das Verderben über euch und euer Vaterland gebracht hat!«

Und er befahl, sie sollten sie steinigen. Aber die Christen wichen mit Schauer vor einer solchen That zurück und sagten:

»Gott ist die Rache, laßt ihr Blut nicht auf unsere Häupter kommen.«

Darauf schwor der Emir unter schauderhaften Flüchen, jeder der Gefangenen, der sich weigere, solle selbst gesteinigt werden. So wurde der grausame Befehl vollzogen, und die Gräfin Frandina starb von den Händen ihrer Landsleute.

Als der Emir dieses barbarische Geschäft abgethan, schiffte er sich wieder nach Spanien ein, ließ die Veste von Ceuta in Flammen stecken und segelte zur Nachtzeit bei dem Lichte der himmelan steigenden Flammen über die Meerenge.

Der Tod des Grafen Julian, welcher nicht lange nachher statt fand, schloß die tragische Geschichte seiner Familie. Wie er starb, bleibt in Zweifel gehüllt. Einige behaupten, der grausame Alahor habe ihn in seinem Zufluchtsort in den Gebirgen verfolgt und, nachdem er ihn gefangen genommen, enthaupten lassen; nach Andern hatten ihn die Mauren in einen Kerker geworfen und durch langsame Qualen seinem Leben ein Ende gemacht; während Andere wollen, der Thurm der Veste von Marcuello bei Huesca in Aragonien, wohin er sich geflüchtet, sei zusammengestürzt und habe ihn unter seinen Trümmern begraben. Alle stimmen darin überein, daß seine spätere Lebenszeit über die Maasen elend, und sein Tod gewaltsam gewesen. Der Fluch des Himmels, welcher ihn so bis zu seinem Grabe verfolgte, erstreckte sich selbst auf den Ort, welcher ihm ein Obdach geboten; denn man erzählt, die Veste werde nicht mehr bewohnt wegen des auffallenden und schrecklichen Getöses, das darin gehört werde, und man sehe über ihr häufig Schaaren Bewaffneter, welche für die ruhelosen Gespenster der abtrünnigen Christen gehalten werden, die mit dem Verräther gemeinschaftliche Sache gemacht hatten.

In spätern Zeiten hat man außen an der Kirche der Veste einen Grabstein als den des Grafen Julian gezeigt; aber der Reisende und der Wanderer mieden ihn oder gingen mit einer Verwünschung vorüber; und der Name Julian ist ein Schmach- und Schmähwort in dem Lande geblieben, als Warnung für alle Geschlechter. Dies sei stets das Loos dessen, der sein Vaterland verräth.

Hier endigen die Erzählungen von der Eroberung Spaniens.

Geschrieben in dem Alhambra, den 10. Juni 1829.


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