Washington Irving
Erzählungen von der Eroberung Spaniens
Washington Irving

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Dreizehntes Kapitel.

Schrecken des Landes. – Roderich greift selbst zu den Waffen.

Die zerstreuten Flüchtlinge des christlichen Heeres erfüllten das ganze Land mit Schrecken. Die Bewohner der Städte und Dörfer sammelten sich um sie, wie sie an ihren Thüren um Nahrung baten oder an den öffentlichen Brunnen sich kraftlos und verwundet niederlegten. Als sie die Geschichte ihrer Niederlage erzählten, schüttelten die Greise ihre Häupter und seufzten, und die Frauen weinten laut und klagten. Ein so neues und unerwartetes Ungemach erfüllte sie mit Angst und Verzweiflung; denn seit langer Zeit hatte des Getümmel des Krieges nicht in ihrem Lande wiedergehallt, und dies war ein Krieg, welcher Ketten und Sklaverei und alle Arten von Schrecken in seinem Gefolge hatte.

Don Roderich saß mit Exilona, seiner schönen Gemahlin, in dem königlichen Palaste, welcher die felsige Höhe von Toledo krönt, als der Ueberbringer der Unglücksbotschaft über die Brücke des Tajo in die Stadt jagte.

»Welche Nachricht bringst du von dem Heere?« fragte der König, als der keichende Bote vor ihn geführt wurde.

»Nachrichten kläglichen Inhalts!« rief der Kriegsmann. »Der Prinz ist im Kampfe gefallen. Ich habe sein Haupt und seinen Waffenrock auf einer maurischen Lanze gesehen. Das Heer ist überwältigt und in die Flucht gejagt worden.«

Als Roderich diese Worte hörte, bedeckte er sein Antlitz mit seinen Händen und saß eine Zeitlang schweigend da; und alle seine Höflinge standen stumm und starr, und keiner wagte ein Wort zu reden.

In diesem furchtbaren Zwischenraume des Schweigens gingen an Roderich's Seele alle seine Fehler und alle seine Verbrechen und all das Unglück, das ihm in dem Zauberthurme geweissagt worden war, vorüber. Sein Geist war mit Schrecken und Besorgniß erfüllt; denn die Stunde seines Verderbens schien zur Hand zu sein. Aber sein starker und stolzer Sinn wußte dieser Erregung Herr zu werden, und als er sein Antlitz wieder enthüllte, war Niemand im Stande, die Unruhe und Verwirrung seines Herzens auf seinen Zügen zu lesen. Von nun an brachte jede Stunde neue Unglücksnachrichten. Boten auf Boten sprengten in die Stadt und erfüllten sie mit banger Besorgniß. Die Ungläubigen, sagten sie aus, befestigten sich in dem Lande; Truppensendungen kämen fast täglich aus Afrika herüber; die Seeküste von Andalusien erglänzte von Säbeln und Lanzen. Die Ebenen von Sidonien bis zu den Ufern der Guadiana heran wimmelten von Schaaren beturbanter Reiter. Die Gefilde würden verwüstet, Städte und Flecken geplündert, die Bewohner gefangen weggeführt, und das ganze Land läge in Rauch und Trümmern.

Roderich hörte alle diese Nachrichten mit unverzagtem Antlitz, niemals gab er ein Zeichen der Bestürzung; aber in seinen kriegerischen Zurüstungen zeigte sich die Besorgniß seiner Seele deutlich. Er erließ Befehle: jeder Edle und jeder Prälat des Königreichs sollte sich an die Spitze seiner Vasallen stellen und in das Feld ziehen; jeder waffenfähige Mann sollte zu seiner Fahne eilen und die Pferde, Maulthiere und Waffen mit sich bringen, die in seinem Besitze wären; die Ebene von Cordova wurde als der Platz bezeichnet, wo das Heer sich zu versammeln hatte. Der König warf sofort das ganze Gepränge seines erschlafften und üppigen Lebens von sich und rüstete sich zu kriegerischer Thätigkeit; an der Spitze seiner Wachen, welche aus der Blüthe des jungen Adels bestand, verließ er Toledo. Seine Gemahlin Exilona begleitete ihn; denn sie hatte um Erlaubniß gebeten, in einer andalusischen Stadt bleiben zu dürfen, um in der Zeit der Gefahr ihrem Gebieter nahe zu sein.

Einer der ersten, welche sich zeigten, um den König zu Cordova zu bewillkommen, war der Bischof Oppas, der geheime Verbündete des Grafen Julian. Er brachte seine zwei Neffen, Evan und Siseburt, die Söhne des vorigen Königs, Witiza's, und eine große Schaar von Vasallen und Dienstleuten mit sich, alle gut bewaffnet und ausgerüstet; denn sie waren von dem Grafen Julian mit einem Theile der Waffen versehen worden, welche der König nach Afrika gesendet hatte. Der Bischof war gleisnerischer Zunge und ein ausgelernter Heuchler. Er stellte sich eifrig und ergeben, und der Schauder, mit welchem er von der Verrätherei seines Verwandten sprach, täuschte den leichtgläubigen Geist des Königs, und er wurde sofort zu seinen geheimsten Berathungen zugezogen.

Die Nachricht von dem Einfalle der Ungläubigen hatte sich in dem ganzen Königreiche verbreitet und die gothische Tapferkeit seiner Bewohner belebt. Nach dem Empfange der Befehle Roderich's hatte jede Stadt und jedes Dorf, jeder Berg und jedes Thal seine wehrbaren Männer abgesendet, und das ganze Land war auf dem Wege nach Andalusien. Nach einer kurzen Frist sammelten sich auf der Ebene von Cordova beinahe fünfzig tausend Reiter und ein zahlloses Heer von Fußvolk. Die gothischen Edeln erschienen in polirten, schön gearbeiteten und verzierten Rüstungen, mit Ketten und anderm Schmuck von Gold und Edelsteinen, und seidenen Schärpen und Waffenröcken von Brocat oder reich gesticktem Sammt, den Luxus und den Prunk auf diese Weise verrathend, welchem sie, statt der eisernen Kraft ihrer kriegerischen Vorfahren, anheim gefallen waren. Das Volk angehend, so hatte dieses theilweise Lanzen, Schilder, Schwerter und Armbruste; die Mehrzahl jedoch war unbewaffnet oder blos mit Schleudern und Keulen, die mit Nägeln beschlagen waren, und dem Eisengeräthe des Ackerbaues versehen, und viele hatten sich aus den Thüren und Fensterläden ihrer Häuser rohe Schilder gefertigt. Sie bildeten ein ungeheures Heer und erschienen, nach dem Ausdrucke arabischer Chronikenschreiber, wie eine bewegte See; aber, obschon kühnen Geistes, hatten sie doch keine Kenntnisse von der Kriegskunst und waren, da es ihnen an Waffen und Kriegszucht fehlte, eine unwirksame Masse.

Viele der ältesten und erfahrensten Ritter, welche der Zustand des Heeres nicht entging, riethen Don Roderich, die Ankunft regelmäßigerer Truppen zu erwarten, welche in Iberien, Cantabrien und dem gothischen Gallien ihre Quartiere hatten; diesem Rath widersetzte sich auf das Eifrigste der Bischof Oppas, welcher den König drängte, sofort gegen die Ungläubigen zu ziehen.

»Bis jetzt,« sagte er, »ist die Zahl der Araber noch nicht sehr bedeutend; jeden Tag aber landen neue Schaaren, Heuschreckenschwärmen ähnlich, aus Afrika. Sie werden sich schneller vermehren, als wir; auch leben sie auf unsere Kosten, und, während wir zaudern, zehren die beiden Heere das Mark des Landes auf.«

König Roderich hörte auf den listigen Rath des Bischofs und beschloß, ohne Zögern vorzurücken. Er bestieg sein Streitroß Orelia und ritt unter seine auf der geräumigen Ebene versammelten Schaaren, und wo er sich zeigte, wurde er mit Jubel empfangen; denn nichts vermag den Muth des Kriegers mehr zu erheben, als wenn er seinen Beherrscher gewaffnet sieht. Er sprach in Worten zu ihnen, die geeignet waren, ihre Herzen zu rühren und ihren Muth zu beleben.

»Die Sarazenen,« sagte er, »verwüsten unser Vaterland, und ihre Absicht ist, es zu erobern. Gelingt es ihnen, so ist selbst euer Dasein als ein Volk zu Ende. Sie werden eure Altäre umstürzen und das h. Kreuz mit Füßen treten; sie werden eure Städte verwüsten, eure Frauen und Töchter wegführen und euch und eure Söhne zu harter und grausamer Sklaverei verdammen. Eure einzige Rettung liegt in der Kraft eurer Waffen. Mich angehend, so werde ich, der ich euer König bin, euer Führer und der Erste sein, der jeder Mühseligkeit und jeder Gefahr Trotz bietet.«

Die Krieger antworteten ihrem Monarchen mit lautem Zuruf und machten sich feierlich anheischig, bis zu ihrem letzten Athemzuge für die Vertheidigung ihrer Freiheit und ihres Glaubens zu kämpfen. Der König gab nun Befehle in Bezug auf die Anordnung des Marsches. Alle die, welche mit Panzern und Brustharnischen versehen waren, kamen in den Vortrap und in die Nachhut; das Centrum des Heeres bestand aus der bunten Masse derer, welche ohne Rüstungen und nur knapp mit Waffen versehen waren.

Als Alles zum Abmarsch gerüstet war, rief der König einen edlen Ritter, mit Namen Ramiro, vor sich, übergab ihm das königliche Banner und beauftragte ihn, es zur Ehre Spaniens zu schützen und zu schirmen. Der gute Ritter hatte jedoch seine Hand kaum an das Banner gelegt, so fiel er todt von seinem Rosse, und der Stab des Banners zerbrach in Stücke. Viele alte Höflinge, welche zugegen waren, betrachteten dies als ein böses Vorzeichen und riethen dem Könige, an diesem Tage den Marsch nicht zu beginnen; er aber achtete keines Vorzeichens und keiner Warnung, sondern befahl, das königliche Banner auf eine Lanze zu stecken, und übergab es dem Schutze eines andern Ritters; darauf ließ er die Trompeten schmettern und zog an der Spitze seines Heeres ab, um den Feind aufzusuchen.

Das Feld, auf welchem dieses große Heer zusammengekommen war, hieß nach dem feierlichen Schwur, welchen die Edlen und die Krieger hier abgelegt hatten, »El Campo de la Verdad« oder »das Feld der Wahrheit,« ein Name, welchen es, dem weisen Geschichtschreiber Abulcasim zufolge, noch bis auf den heutigen Tag trägt.La perdida de Espana. Cap, IX. – Bleda, Chronica, lib. III. cap, 8.Der Verf.


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