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Wie Comte gezeigt hat, endigt das Mittelalter nicht mit dem fünfzehnten Jahrhundert, sondern bereits mit dem Schluss des dreizehnten. Die Neuzeit, welche dann begann, zeigt in ihrer Entwickelung drei aufeinanderfolgende Phasen und läuft in den unsere Gegenwart kennzeichnenden Zustand aus.
I. Während des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts brach das katholisch-feudale System infolge der gegenseitigen Bekämpfung seiner eigenen offiziellen Glieder zusammen, indessen die Bestandteile einer neuen Ordnung sich unter ihm heranbildeten. Auf praktischem Gebiete standen sich Krone und Feudalherren gegenüber. Diese aufeinander eifersüchtigen Mächte suchten ihre Stärkung in dem Abschliessen von Bündnissen mit den Städten und mit den in diesen vertretenen industriellen Kräften. Die Bewegungen dieses Abschnittes finden kaum ein Echo in irgend welcher zeitgenössischen wirtschaftlichen Literatur.
II. In der zweiten Phase der Neuzeit, welche mit dem sechzehnten Jahrhundert beginnt, unterliegt der in sich selbst zerfallende mittelalterliche Bau einer Reihe von planmässigen Angriffen, welche seine weitere Zersetzung beschleunigen. Die weltliche Zentralgewalt, welche inzwischen bedeutend an Festigkeit und Hilfsmitteln gewonnen hat, nimmt die aufstrebenden Elemente der Gewerbe und des Handels für sich in Beschlag, und während sie, dem Drange des Volkes nachgebend, sich die Förderung dieser Elemente angelegen sein lässt, sucht sie dieselben gleichzeitig für ihre politischen Zwecke auszunutzen und sie ihrer eigenen Macht und ihrem eigenen Glanze dadurch dienstbar zu machen, dass sie sich von ihnen den für militärische Erfolge erforderlichen Schatz beschaffen lässt. In enger Beziehung zu diesen Bestrebungen auf praktischem Gebiet und zu den ihnen als Grundlage dienenden gesellschaftlichen Strömungen steht die merkantilistische Richtung der Volkswirtschaftslehre, welche in jener Zeit einen übermächtigen Einfluss entwickelt. Die europäischen Regierungen erzielen zwar in der angedeuteten Politik teilweise Erfolge; im grossen ganzen jedoch misslingen notwendigerweise ihre bezüglichen Bestrebungen, da Ursprung und Wesen sie unfähig machen, die leitende Rolle in der wirtschaftlichen Bewegung zu übernehmen. Zudem schadet ihnen der üble Ruf der mit den meisten von ihnen verbündeten geistlichen Gewalt und untergräbt ihren Einfluss.
III. In der dritten Phase, welche ungefähr mit dem achtzehnten Jahrhundert zusammenfällt, macht sich in entschiedener Weise ein Streben nach einer vollkommen neuen, sowohl weltlichen als geistlichen Ordnung bemerklich, zuerst in der Philosophie und der allgemeinen Literatur des Zeitraums, und dann in der grossen französischen Revolution. Die allgemeine kritische Lehre, welche von dem Protestantismus des vorhergehenden Abschnitts verkündigt worden war und in England gegen Schluss dieses Abschnitts ihre systematische Bearbeitung gefunden hatte, wird besonders durch französische Schriftsteller verbreitet und im volkstümlichen Gewände dargestellt. Der dieser Lehre eigentümliche Geist des Individualismus entsprach ganz besonders den Bedürfnissen der Zeit, und die günstige Aufnahme, welcher die Dogmen des Gesellschaftsvertrags und des laisser faire begegneten, zeugten von einem richtigen Gefühl für die Erfordernisse der zeitgenössischen gesellschaftlichen Lage in Europa. Solange die Einführung eines neuen zusammenhängenden Gedankens- und Lebenssystems nicht möglich war, bestand das zu Erstrebende in einer umfassenden und wirksamen Entfaltung persönlicher Tatkraft, ohne weitere Beaufsichtigung durch die alten gesellschaftlichen Mächte, als hinreichen würde, Anarchie zu verhüten. Man stellte daher an die Regierungen das wohlbegründete Verlangen, sich aller unmittelbaren tätigen Leitung der gesellschaftlichen Bewegung zu enthalten und so viel als möglich ihre vermittelnde Wirksamkeit auf die Erhaltung der unentbehrlichen Ordnung zu beschränken. Diese Politik konnte ihrem Wesen zufolge nur vorübergehende Anwendung finden. Die verneinende Richtung jedoch erhob, ihrem Geiste getreu, eine bloss zeitweilige und eine Ausnahme bildende Notwendigkeit zu einem dauernd gültigen und normalen Gesetz. Die einmütige europäische, auf die Freiheit des Strebens gerichtete Bewegung, welche sich zuweilen zur öffentlichen Leidenschaft steigerte, bot, den verschiedenen Gesichtspunkten des Denkens und Lebens entsprechend, verschiedene Seiten dar. Die wirtschaftliche Seite war theoretisch im erheblichen Umfange zuerst durch die französischen Physiokraten vertreten, die von ihnen übernommene Aufgabe wurde indessen sowohl in destruktiver als organischer Hinsicht gründlicher und wirksamer durch Adam Smith gelöst, der ihr Werk gewissermassen fortsetzte und vollendete.
Es ist nicht zu leugnen, dass mit der ganzen neuzeitlichen Bewegung fast unvermeidlich schwere sittliche Uebel verknüpft waren. Die allgemeine Zucht und Ordnung, welche das Mittelalter – und teilweise mit Erfolg, obwohl auf unsicheren Grundlagen – herzustellen versucht hatte, war zusammengebrochen. Mit dem abnehmenden Pflichtgefühl wurde auch dessen natürlicher Begleiter, der Gemeinsinn, schwächer: der Individualismus in der Theorie ermutigte den Egoismus im Handeln. Besonders auf wirtschaftlichem Gebiet ist dieses Ergebnis sichtbar. Die Selbstsucht der Völker und die Begehrlichkeit der Einzelnen gewinnen mehr und mehr die Oberhand; die höheren und die niederen gewerbstätigen Klassen neigen zur Trennung und zu gegenseitiger Feindschaft. Die neuen Elemente – Wissenschaft und Industrie –, welche allmählich zu Einfluss gelangten, bargen wohl in sich eine endgültige Ordnung, wirksamer und beständiger, als es die aufgelöste war. Allein die schliessliche Synthese war noch viel zu entfernt und in ihrem Wesen zu unbestimmt, um aus dem zerstreuten und scheinbar unzusammenhängenden Wachstum jener Elemente erkannt zu werden. Gegenwärtig indessen ist diese Synthese erkennbar, und das Streben nach ihr sowie nach der auf ihrer Grundlage zu errichtenden praktischen Ordnung ist es, was der Zeit, in der wir leben, ihren eigentümlichen Charakter verleiht. Wie wir sehen werden, entspricht diesem, der Gesellschaft innewohnenden Trieb eine neue Gestalt der Wirtschaftslehre, in welcher die letztere die Neigung bekundet, in die allgemeine Gesellschaftslehre aufzugehen und sich der Sittenlehre unterzuordnen. Es wird die Aufgabe des Folgenden sein, das hier mit einigen Strichen angedeutete Bild im einzelnen auszuführen und zu verdeutlichen und zu zeigen, wie die jeweiligen Züge der verschiedenen aufeinanderfolgenden neuzeitlichen Phasen ihr Gegenstück und Spiegelbild finden in der geschichtlichen Entwickelung des Denkens über wirtschaftliche Dinge.
Die kennzeichnenden Merkmale der ersten Phase waren einerseits die von selbst erfolgende Zersetzung des mittelalterlichen Systems und andrerseits das Aufstreben verschiedener wichtiger Elemente der neuen Ordnung. Die geistliche Gewalt eignete sich immer weniger und wurde immer unfähiger zur Erfüllung ihrer sittlichen Aufgabe, die gesellschaftliche Bewegung blieb immer mehr den regellosen Antrieben individueller Tatkraft überlassen, die oft dem Ehrgeiz und der Begehrlichkeit Vorschub leisteten. Es bildeten sich starke Regierungen, welche dem Zwecke dienten, inmitten der zunehmenden geistigen und sittlichen Verwirrung die äussere Ordnung aufrecht zu erhalten. Die allgemeine Anerkennung der Gemeinden als eines Elementes in dem staatlichen System zeugte von der wachsenden Stärke der wirtschaftlichen Kräfte, wie dies auf andere Weise die Empörungen der arbeitenden Klassen taten. Ein Anzeichen des entschiedenen Vorherrschens friedlicher Tätigkeit war das Erstehen der – zuerst vorübergehenden, später dauernden – Einrichtung von Söldnerheeren, welche dadurch, dass sie eine bestimmte Minderheit der Bevölkerung kriegerischen Unternehmungen und kriegerischen Uebungen widmete, die Unterbrechung oder Störung der Arbeit verhinderte. Die Manufakturen gewannen immer mehr an Bedeutung, und in diesem Zweige der wirtschaftlichen Tätigkeit befestigte sich zuerst der Unterschied zwischen Unternehmer und Arbeitern, während geregelte Beziehungen unter diesen durch die Beschränkung militärischer Zucht und Dienstleistung auf einen besonderen Beruf möglich wurden. Die Schiffahrt erfuhr eine Erleichterung durch den Gebrauch des Kompasses. Die Buchdruckerkunst lieferte den Beweis, dass die geistige Bewegung und die wirtschaftliche Entwickelung dazu bestimmt seien, in gegenseitige Beziehungen zu treten und auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten. In Florenz, Venedig und Genua bestand der öffentliche Kredit schon lange, bevor Holland und England irgend welche bedeutendere finanzielle Wichtigkeit erlangten. Gerade zu Ende dieser Phase bereitete die Entdeckung Amerikas und des neuen Seewegs nach dem Osten, während sie den bisherigen Gang des Handels völlig veränderte, die Gründung von Kolonien vor, die kräftig zu dem wachsenden Uebergewicht des industriellen Lebens beitrugen und auf dessen schliessliche Allumfassendheit hinwiesen.
Ohne Zweifel liegt es an der zweideutigen Natur dieser zwischen der mittelalterlichen und völlig ausgeprägten neuzeitlichen Periode sich befindlichen Stufe, dass wir in theoretischer Hinsicht nichts vorfinden, was einem solchen erstaunlichen Gärungsstoff und einer solchen Ausdehnung auf praktischem Gebiet entspräche. Die Staatslehre des Thomas von Aquino wurde mit Einschränkungen nur untergeordneter Bedeutung beibehalten. Die einzige spezielle wirtschaftliche Frage, welcher anscheinend besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden, war jene nach dem Wesen und den Verrichtungen des Geldes, dessen Wichtigkeit mit dem Aufhören von Dienst- oder Naturalleistungen als Zahlungsmitteln und mit der allmählichen Einführung geregelter Besteuerungssysteme sich fühlbar zu machen begann.
Roscher Comptes rendues de l'Académie des Sciences morales et politiques, LXII. 435 ff. und nach ihm Wolowski haben die Aufmerksamkeit auf Nicole Oresme gelenkt, welcher Karl V., König von Frankreich, unterrichtete und als Bischof von Lisieux im Jahre 1382 starb. Roscher bezeichnet ihn als grossen Nationalökonomen Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland, S. 25. Sein »Tractatus de origine, natura, jure et mutationibus monetarum« (Abhandlung über Ursprung, Wesen, Recht und Veränderungen des Geldes) – 1864 von Wolowski herausgegeben – enthält eine Theorie des Geldes, welche den Ansichten des neunzehnten Jahrhunderts fast durchgehends entspricht und mit meisterhafter Kürze, Klarheit und Knappheit der Ausdrucksweise dargelegt wird.
Während der ganzen ersten neuzeitlichen Phase blieb die Entwickelung der neuen gesellschaftlichen Kräfte sich selbst überlassen. In der zweiten indessen wurden sie Gegenstand systematischer Förderung von seiten der Regierungen, welche bei der Unzulänglichkeit der mittelalterlichen Finanzmethoden ihre militärischen und staatlichen Zwecke nicht anders stützen konnten als durch vermehrte Besteuerung, die wiederum eine Zunahme des Reichtums der Gemeinschaft voraussetzte. Aus diesem Grunde widmeten die europäischen Regierungen der wirtschaftlichen Tätigkeit ihr dauerndes Interesse und verrieten sogar die Neigung, sie zum hauptsächlichen Gegenstand ihrer Politik zu machen. Mit diesen tatsächlichen Verhältnissen im natürlichen Einklang entstand das Merkantilsystem und machte sich mehr und mehr geltend, bis es um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts den höchsten Punkt seiner Entwickelung erreichte.
Die merkantilistische Lehre in ihrer ausgeprägtesten Gestalt sieht Geld und Reichtum als gleichbedeutend an und betrachtet es daher als wichtige Aufgabe einer Gemeinschaft, im Verkehr mit andern Völkern einen möglichst grossen Teil der edlen Metalle an sich zu ziehen. Jedes Land muss darnach streben, die eigenen gewerblichen Erzeugnisse in möglichst grosser Menge auszuführen und so wenig als möglich von denjenigen anderer Länder einzuführen, wobei es den Unterschied der beiden Werte in Gold und Silber empfängt. Dieser Unterschied wird die Handelsbilanz genannt. Sie ist eine günstige, wenn mehr Geld empfangen als ausgegeben wird. Zur Sicherung einer solchen Bilanz müssen die Regierungen alle ihnen zu Gebote stehenden Hilfsmittel anwenden – Einfuhrverbote und hohe Zölle für fremde Waren, Ausfuhrprämien für heimische Erzeugnisse, Beschränkungen der Ausfuhr von Edelmetallen.
Diese in allen Handbüchern gang und gäbe Darstellung der Lehre gibt jedoch die Ansichten aller derer, welche als Anhänger der merkantilistischen Richtung bezeichnet werden müssen, nicht korrekt wieder. Viele Mitglieder dieser Schule besassen einen zu hellen Verstand, um den Glauben nähren zu können, dass der Reichtum ausschliesslich in Gold und Silber bestehe. Es wird überhaupt dem modernen Forscher schwer, anzunehmen, dass irgend eine Klasse von Denkern sich je zu diesem Glauben bekannt haben könne. Wie Roscher Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland, S. 228 ff. bemerkt, werden die Merkantilisten am besten gekennzeichnet nicht durch einen von ihnen gemeinsam vertretenen volkswirtschaftlichen Lehrsatz, sondern durch eine Anzahl theoretischer Bestrebungen, die von ihnen gemeinsam in vereinigtem Wirken erfunden wurden, jedoch vereinzelt in verschiedenem Grade in verschiedenen Köpfen vorherrschten. Diese Bestrebungen können in folgender Reihe aufgezählt werden: Erstlich überschätzte man die Wichtigkeit eines grossen Besitzstandes von Edelmetallen. Zweitens bevorzugte man in ungehöriger Weise den auswärtigen Handel vor dem einheimischen und ebenso die wirtschaftliche Tätigkeit, welche die Rohstoffe bearbeitet, vor jener, welche diese liefert. Drittens legte man auf eine dichte Bevölkerung als ein Element der nationalen Stärke ein zu grosses Gewicht. Und viertens befürwortete man das Eingreifen des Staates zur künstlichen Förderung dieser verschiedenen als wünschenswert bezeichneten Endzwecke.
Betrachten wir die damaligen Zustände in Westeuropa, so werden wir unschwer begreifen, wie diese Bestrebungen notwendig entstehen mussten. Die Entdeckungen in der Neuen Welt hatten eine bedeutende Entwickelung der europäischen Umlaufsmittel herbeigeführt. Die alte, im wesentlichen auf dem Naturalverkehr begründete Feudalwirtschaft war der neuen »Geldwirtschaft« gewichen, und die letztere gewann mehr und mehr an Ausdehnung. Der Geldumlauf ging immer rascher von statten, es mehrten sich die Verbindungen mit fernen Ländern, städtisches Leben und bewegliches Eigentum erlangten eine stets wachsende Bedeutung. Die Merkantilisten standen unter dem Eindruck der Tatsache, dass das Geld einzigartiger Reichtum ist, dass zu jeder Zeit und überall ein Verlangen nach ihm besteht, und dass es seinem Besitzer die Macht verleiht, alle übrigen Waren an sich zu bringen. Ueberdies zeichnete sich die Periode aus durch die Bildung grosser Staaten mit machtvollen Regierungen an der Spitze. Diese Regierungen brauchten Menschen und Geld für stehende Heere, welche insbesondere für die Religions- und italienischen Kriege im grossen Umfange unterhalten wurden. Auch die Ausgaben des Hofes waren verschwenderischer als je zuvor, und die Zahl der Zivilbeamten wurde immer grösser. Allen diesen Anforderungen konnten die königlichen Domänen und Abgaben nicht genügen; es mehrten sich daher mit den Ansprüchen der Monarchien auch die Steuern. Die Staatsmänner erkannten, dass ihre eigenen politischen Ziele eine blühende wirtschaftliche Tätigkeit erforderten. Nun ermöglichen die gewerblichen Beschäftigungen eine dichtere Bevölkerung und einen höheren Gesamtwert der Ausfuhr als die Landwirtschaft; auch eröffnen sie dem Unternehmergeist ein weniger beschränktes und schnellerer Ausdehnung fähiges Gebiet. Daher wurde ihnen seitens der Regierungen grössere Gunst und vermehrter Schutz zu teil, während die Landwirtschaft verhältnismässig in den Hintergrund trat. Das Aufblühen der Gewerbe wirkte auf den Handel zurück, dem durch die Gründung von Kolonien ein neues und weites Feld eröffnet worden war. Die Kolonien betrachtete man einfach als Landgüter, deren Bewirtschaftung zum Vorteil des Mutterlandes zu erfolgen habe, und die Staatsmänner waren bestrebt, aus dem Kolonialhandel eine neue Quelle staatlicher Einkünfte zu machen. Da jede Nation als Ganzes ihre eigene Macht zu erhöhen suchte, und die grösseren nach der Oberhand trachteten, so entstand unter ihnen ein Wettkampf sowohl auf wirtschaftlichem als auf politischem Gebiet, und zwar erblickten die Staatslenker in einem Erfolge auf dem ersteren ein Mittel zur Erlangung des Vorrangs auf dem letzteren. Ein nationalwirtschaftliches Interesse trat ins Leben, dessen Haupt die Regierung darstellte. Der Staat wurde eine Art Treibhaus zur Heranzüchtung städtischer Industrien. Die Produktion wurde einer systematischen Regelung zu dem Zwecke unterworfen, die Güte und Billigkeit der Ausfuhrartikel zu sichern und so den Rang zu behaupten, welchen die Nation auf auswärtigen Märkten einnahm. Die Aufsicht über die gewerbliche Tätigkeit wurde teils unmittelbar durch den Staat, jedoch auch in umfassender Weise durch bevorrechtete Körperschaften und Handelsgesellschaften ausgeübt. Man nahm seine Zuflucht zu hohen Einfuhrzöllen, zuerst wohl hauptsächlich aus finanziellen Gründen, später jedoch zum Schutze der nationalen Produktion. Handelsverträge wurden zu einem Hauptgegenstand der Diplomatie; durch sie suchte man den Wettbewerb anderer Nationen auf auswärtigen Märkten auszuschliessen, während auf den heimischen Märkten die Einfuhr von anderem als von Rohstoffen aus dem Auslande auf das geringste Mass beschränkt wurde. Den Kolonien war der Handelsverkehr mit andern europäischen Nationen als dem Mutterlande verboten, welchem sie die mit heimischen Manufakturen gekauften Edelmetalle oder Rohstoffe lieferten. Offenbar war die sogenannte merkantilistische Lehre wesentlich nur das theoretische Gegenstück der zeitgenössischen praktischen Tätigkeit. Nicht irgend welche Form wissenschaftlichen Denkens veranlasste Nationen und Regierungen, sich ihr zuzuwenden, sondern die Macht äusserer Umstände und die Beobachtung offen zutage liegender Tatsachen.
Und doch, betrachten wir die Frage von dem höchsten Standpunkt der philosophischen Geschichtsforschung, so müssen wir sagen, dass der überall herrschende Enthusiasmus dieser zweiten Phase für Gewerbe und Handel im wesentlichen berechtigt war, da er die Nationen in die Hauptbahnen allgemeiner gesellschaftlicher Entwickelung lenkte. Hätte der Zeitgedanke, anstatt dem Zwange gleichzeitiger Umstände nachgebend, von gesellschaftswissenschaftlicher Voraussicht geleitet werden können, so würde er notwendig mit Eifer denselben Pfad betreten haben, welchen er sich auf Grundlage der Erfahrung wählte. Die Organisation der landwirtschaftlichen Tätigkeit konnte in jenem Zeitraum keine bemerkenswerten Fortschritte aufweisen, da sich die Leitung ihrer Verrichtungen noch immer in den Händen der feudalen Klasse befand, die es im allgemeinen weder verstand, sich die Gewohnheiten des Erwerbslebens gründlich anzueignen, noch sich auf guten Fuss mit den Arbeitern auf ihren Gütern einzurichten. Es musste notwendig die städtische Industrie der ländlichen vorausgehen und letztere hauptsächlich durch die mittelbare Einwirkung der ersteren sich entwickeln. Auch ist es klar, dass zuerst im Leben des gewerblichen Proletariats, dessen Arbeiten jedenfalls am meisten das Merkmal des Zusammenhängenden und Gesellschaftlichen tragen, in einem späteren Zeitraum eine systematische Disziplin Anwendung finden konnte, welche sich nachher auf die ländliche Bevölkerung ausdehnen sollte.
Dass die Bemühungen der Regierungen um die Förderung von Handel und Gewerbe wirklich erfolgreich waren, wird von Adam Smith zugegeben und kann vernünftigerweise auch nicht in Frage gestellt werden, obwohl freihändlerische Doktrinäre es oft geleugnet haben. Ihre Ermunterungen mussten notwendig eine erhöhte technische Geschicklichkeit zur Folge haben, während durch Heranziehung fremdländischer Arbeiter sowie durch Linderung des auf kämpfenden Industrien lastenden Steuerdrucks neue Formen der nationalen Produktion herangebildet wurden. Die Verbindungswege und Beförderungsmittel zu Lande und zu Wasser wurden im Hinblick auf einen erleichterten Handelsverkehr rascher vervollkommnet, und, gewiss nicht der mindest wichtige Erfolg, das gesellschaftliche Ansehen der industriellen Berufe hob sich im Verhältnis zu jener der vordem ausschliesslich herrschenden Klassen.
Es ist oft die Frage aufgeworfen worden, wem die Begründung des Merkantilsystems, sowohl in theoretischer als praktischer Hinsicht, zuzuschreiben sei. Jedoch kann hierauf keine bestimmte Antwort erteilt werden. Diese Art der Auffassung wirtschaftlicher Tatsachen entsteht von selbst in unwissenschaftlichen Köpfen, und man begegnet von ihr eingegebenen Ideen bei den römischen und griechischen Schriftstellern. Die von der Merkantiltheorie vorgezeichnete Politik war, wie bemerkt, veranlasst durch die Lage der europäischen Nationen im Beginn der neuzeitlichen Periode. Eine gleiche Politik hatte bereits in einem gewissen Grade während des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts praktische Anwendung gefunden und war somit einer förmlichen Darlegung oder Verteidigung ihrer gedanklichen Grundlage vorausgegangen. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts begann sie einen weit verbreiteten Einfluss auszuüben. Sie wurde von Karl V. aufgenommen, und dieses Beispiel trug viel zu ihrem Vorherrschen bei. Heinrich VIII. und Elisabeth richteten sich nach ihr in ihren Massnahmen. Ein allgemeiner Wettkampf entstand unter den führenden Staaten, in welchem jede Macht ihre sämtlichen politischen und finanziellen Hilfsmittel in Tätigkeit setzte, um sich in Handel und Gewerbe ein Uebergewicht zu sichern. Fast während des ganzen siebzehnten Jahrhunderts trug Holland, was den Handel anbelangt, den Preis davon. Italien hatte seine frühere Ueberlegenheit durch die Eröffnung der neuen Seewege und durch sein politisches Missgeschick eingebüsst. Spanien und Deutschland litten unter andauernden Kriegen und inneren Zwistigkeiten. Der bewundernde Neid, welchen englische Politiker und Nationalökonomen Holland gegenüber empfanden, erscheint zuerst bei Schriftstellern, wie Raleigh, Mun, Child und Temple Roscher, Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland S. 227., und wie mächtig dasselbe Schauspiel auf die französische Politik einwirkte, zeigt ein wohlbekannter Brief Colberts an M. de Pomponne Clément, histoire de la vie et de l'administration de Colbert (1846) p. 134., französischer Gesandter in den Niederlanden. Die Hauptvertreter des Merkantilsystems auf praktischem Gebiet waren Cromwell – durch seine Schiffahrtsakte, welche die holländische Rhederei vernichtete und Englands Seemacht begründete, – und Colbert – durch seine gesamte innere und äussere Wirtschaftspolitik. Nach letzterem grossen Staatsmann gab der italienische politische Schriftsteller Mengotti diesem System den Namen Colbertismus; es wäre indessen ein Irrtum, wollte man annehmen, dass sich der französische Minister die Dogmen desselben ohne weiteres angeeignet habe. Er betrachtete seine Massnahmen nur als vorübergehende und sprach von Schutzzöllen als von Krücken, mit deren Hilfe die Gewerbe gehen lernen und sie dann wegwerfen könnten. Die Politik der Ausschliessung war früher von Sully befolgt worden, teils zum Zwecke der Bildung eines königlichen Schatzes, aber hauptsächlich aus besonderem Enthusiasmus für die Landwirtschaft sowie aus Abneigung gegen die von ihm als dem Volkscharakter schädlich erachtete Einfuhr fremder Luxusgegenstände. Durch Colberts Tarif von 1664 wurden die bestehenden Zölle nicht nur vereinfacht, sondern auch erheblich vermindert. Allerdings vermehrte sie der Tarif von 1667, doch war dies in Wirklichkeit eine gegen die Holländer gerichtete politische Massregel. Sicherlich verdankt Frankreich dieser Politik in hohem Masse die ausgedehnte Entwickelung von Handel und Gewerbe, welche die Vorstellungen des zeitgenössischen Europa so mächtig beeinflusste, und von der uns englische Schriftsteller aus Pettys Zeit so viel berichten. Doch hatte diese Politik unleugbar auch ihre Schattenseite. Anstatt sich dem wechselnden Geschmack und den Anforderungen des Volks anpassen zu können, wurde die Industrie durch eine derartige systematische Regelung gezwungen, unabänderlichen Bahnen zu folgen. Auch entbehrte sie der Freiheit, den Produktionsprozess zu vereinfachen oder vermehrte Arbeitsteilung und verbesserte Verfahrensarten einzuführen. Selbständiges Handeln, tatkräftiges Beginnen und die Gabe des Erfindens wurden unterdrückt oder entmutigt und somit in hohem Masse ferner liegende Ergebnisse unmittelbaren geopfert. Die aufgeklärteren Staatsmänner und insbesondere Colbert waren zwar bemüht, diese Uebelstände zu verringern: Sie verschafften sich, oft mit grossen Kosten, Auskunft über vervollkommnete Produktionsmethoden, wie diese anderweit in den verschiedenen Handwerken Anwendung fanden, und teilten sie den Gewerben durch regierungsseitig ernannte Aufseher mit. Doch war dies, wenn auch in einem gewissen Grade ein wirklicher, so doch sicherlich im grossen ganzen und auf die Dauer ein ungenügender Ersatz.
Von den Schriftstellern dieser Stufe dürfen wir keine Darstellung der Volkswirtschaftslehre als eines Ganzen erwarten; die erschienenen Schriften waren grösstenteils durch besondere Erfordernisse veranlasst und bezogen sich auf spezielle Fragen in der Regel praktischer Natur, welche die hochgehenden Bewegungen dieser Zeit hervorriefen. Tatsächlich waren sie eine Art an die Staatsregierungen gerichteter Ratschläge, welche diese darauf aufmerksam machten, wie sie die ihnen zur Verfügung stehenden produktiven Kräfte entwickeln und die Hilfsmittel ihrer Länder vermehren könnten. Sie sind streng im Geiste der nationalen Wirtschaft abgefasst (was List ihnen als Verdienst anrechnet); ein Weltbürgertum ist ihnen entschieden fremd. Auf diese Einzelschriften hatte die Merkantillehre zuweilen wenig Einfluss, weil die erörterten Fragen ihre Sätze nicht berührten. In den meisten Fällen aber muss sie immerhin betrachtet werden als die Form grundlegender Theorie, (sofern sie überhaupt zu diesem Titel berechtigt ist), auf welche sich schliesslich die Folgerungen des Schriftstellers stützen.
Das Steigen der Preise, welches der Entdeckung der amerikanischen Minen folgte, war einer der Gegenstände, die zuerst die Aufmerksamkeit der Theoretiker auf sich zogen. Dieses Steigen brachte eine gewaltige und allmählich zunehmende Störung der bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse mit sich und erzeugte hierdurch viel Verwirrung und Besorgnis, welche sich um so fühlbarer machten, als man die Ursache der Veränderung nicht begreifen konnte. Hierzu kamen die Verluste und Unannehmlichkeiten, die ihren Grund hatten in der Verschlechterung der Umlaufsmittel, zu welcher sowohl Fürsten als republikanische Staaten oft Zuflucht nahmen. Am meisten litt Italien unter der letzteren üblen Gewohnheit, die noch vervielfältigt wurde durch dessen politische Einteilung. Dieses Uebel veranlasste das Werk des Grafen Gasparo Scaruffi über das Geld und über das richtige Verhältnis zwischen Gold und Silber (Discorso sopra le monete e della vera proporzione fra l'oro e l'argento, 1582). In demselben äusserte er den kühnen Gedanken eines überall an Grösse, Form, Zusammensetzung und Bezeichnung identischen Weltgeldes. Der Vorschlag war natürlich verfrüht und wurde nicht einmal von den italienischen Fürsten angenommen, an welche der Schriftsteller sich besonders gewandt hatte. Es ist dies indessen eine Verbesserung, welche die Zukunft ohne Zweifel verwirklicht sehen wird. Gian Donato Turbolo, Leiter der neapolitanischen Münze, eiferte in seinen Abhandlungen und Berichten (Discorsi e relazioni, 1629) gegen irgend welche heimlichen Kunstgriffe in bezug auf die Umlaufsmittel. Eine weitere Schrift über das Geldthema war jene des als geschickter Uebersetzer des Tacitus bekannten Florentiners Bernardo Davanzati »Vorlesungen über das Geld« (Lezioni delle monete, 1588). Sie ist ein unbedeutendes und etwas oberflächliches Produkt und zeichnet sich nur durch Gedrungenheit und Eleganz der Schreibweise aus Einen grösseren Wert hat das Werk Romeo Bocchi's (1611 verfasst und 1621 veröffentlicht) »Della giusta universale misura e suo typo; vol. I: Anima della moneta; vol. II: Corpo della moneta.« Ausführliche Mitteilungen über dasselbe sind enthalten in U. Gobbi's »Economia politica negli scrittori italiani del sec. XVI-XVII.« (1889)..
Ein französischer Schriftsteller, Jean Bodin, beschäftigte sich ebenfalls mit der Frage des Geldes, aber von einem verschiedenen Standpunkt aus. In seiner »Antwort auf die Paradoxe des Herrn Malestroit hinsichtlich der Verteuerung aller Dinge und des Geldes« (Réponce aux paradoxes de M. Malestroict touchant l'enchérissement de toutes les choses et des monnoyes, 1568), sowie in seiner »Abhandlung über das Steigen und Sinken im Werte des Geldes« (Discours sur le rehaussement et la diminution des monnoyes, 1578) bekundete er eine rationellere Auffassung von den Ursachen der Preisumwälzungen und von dem Verhältnis der Veränderungen im Geldwert zu den Marktpreisen der Waren im allgemeinen und zu den Arbeitslöhnen als viele seiner Zeitgenossen. Er erkannte, dass die Summe des im Umlauf sich befindlichen Geldes nicht den Reichtum der Gemeinschaft ausmache, und dass das Verbot der Ausfuhr edler Metalle nutzlos sei, da es durch die Bedürfnisse des Handels ausser Wirksamkeit gesetzt werde. In der Literaturgeschichte der Epoche spielt Bodin keine unbedeutende Rolle und beschränkte sich nicht auf volkswirtschaftliche Fragen. In seinen »Sechs Büchern vom Staate« (Six livres de la république, 1576) erforscht er die allgemeinen Bedingungen des Gedeihens und der Beständigkeit der Staaten. In Uebereinstimmung mit den Verhältnissen seines Zeitalters spricht er sich für unumschränkte Regierungen aus, da diese am meisten befähigt seien, die Sicherheit und den Wohlstand ihrer Untertanen zu wahren. In ausführlicher Weise nimmt er einem Plato und More gegenüber das Privateigentum in Schutz, und zwar wohl eher deshalb, weil der Plan seines Werkes die Behandlung dieses Themas erforderte, als wegen der praktischen Dringlichkeit desselben in seinen Tagen, in denen die Ausschreitungen der Wiedertäufer eine starke Abneigung gegen kommunistische Theorien wachgerufen hatten. Er befindet sich unter dem Einfluss der merkantilistischen Anschauungen. Tatkräftiges Eingreifen der Regierung in wirtschaftliche Angelegenheiten, hohe Steuern auf ausländische gewerbliche Erzeugnisse und niedrige Zölle auf Rohstoffe und Nahrungsmittel werden von ihm gebilligt. Auf eine dichte Bevölkerung legt er grossen Wert. Ein blinder Anhänger des Systems ist er jedoch keineswegs. Er verlangt in vielen Fällen unbeschränkte Handelsfreiheit und ist jedenfalls seinem bedeutenderen Zeitgenossen Montaigne »Kein Vorteil ohne den Nachteil eines andern«. (Il ne se faict aucun profit qu'au dommage d'autruy«. Essais, liv. I, ch. 21.) voraus, wenn er bemerkt, dass der Gewinn eines Volkes nicht unumgänglich den Verlust eines andern zur Folge haben müsse. Den öffentlichen Finanzen, welche er die Nerven des Staates nennt, widmet er viele Aufmerksamkeit und betont die Pflichten der Regierung in betreff einer gerechten Verteilung der Steuern. Ueberhaupt muss anerkennend hervorgehoben werden, dass er stets die höheren Ziele und Interessen der Gesellschaft im Zusammenhang mit der Regelung und Entwickelung ihres materiellen Lebens im Auge behält. Ein Schriftsteller, dessen litterarische Wirksamkeit einen ähnlichen Charakter trug, wie diejenige Bodin's, und welcher von diesem anscheinend stark beeinflusst worden ist, war der Italiener Giovanni Botero (1540-1617). Seine Abhandlung über die Ursachen der Grösse der Städte (Delle causa della grandezza delle città, 1588 – englische Uebersetzung von Robert Peterson, 1606) diente als Einleitung zu seinem Hauptwerk »Ueber den Staat« (Della ragion di Stato libri X, 1589), in welchem er die Grundsätze Machiavelli's bekämpfte.
Richtige Ansichten über die Ursache des allgemeinen Steigens der Preise werden auch von einem englischen Schriftsteller W. S. ( William Stafford) in seiner, 1581 erschienenen und der Königin Elisabeth zugeeigneten »Kurzen Vorstellung der englischen Politik« (Briefe conceipte of english policy) entwickelt. Die Schrift ist in Gesprächsform abgefasst und lebendig und geistvoll geschrieben In deutscher Uebersetzung von Hoops, als Heft 5 der von Brentano und Leser herausgegebenen Sammlung älterer und neuerer staatswissenschaftlicher Schriften des In- und Auslandes, 1895.. Der Verfasser scheint mit den Schriften Bodin's bekannt gewesen zu sein. Er hatte zutreffende Anschauungen über das Wesen des Geldes und ein volles Verständnis für die Uebelstände, welche aus einem verderbten Münzwesen herrühren. Ausführlich schildert er, wie die verschiedenen Interessen des Landes, durch eine derartige Verschlechterung unter früheren Regierungen sowie durch die Veränderungen in dem Wert der Edelmetalle berührt worden sind. Die Umwandlung urbaren Bodens in Weideland, die grosse Kümmernis des Volkes in seinen Tagen, schreibt er vor allem den Beschränkungen der Getreideausfuhr zu, die er abgeschafft zu sehen wünscht. In betreff der Gewerbe jedoch teilt er den Standpunkt der späteren Merkantilisten. Er beantragt den Ausschluss aller fremden Waren, welche ebensogut im Inlande hergestellt werden könnten, und das Verbot der Ausfuhr von Rohstoffen, die zur Verarbeitung im Inlande bestimmt seien.
Gleichfalls durch die Frage des Geldes veranlasst, entstand das erste bemerkenswerte deutsche Erzeugnis auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre, welches einen ursprünglichen nationalen Charakter trug und sich in heimischer Zunge an die Oeffentlichkeit wandte. Die Ernestinische Linie zeigte sich (1530) geneigt, eine Verschlechterung der Umlaufsmittel vorzunehmen. Dieser Absicht gegenüber erschien eine Flugschrift »Gemeine Stymmen von der Müntze« unter dem Schutze der Albertinischen Linie, welche im Bereiche der Volkswirtschaft eine gesundere Politik verfolgte als in jenem der kirchlichen Dinge. Hierauf folgte eine das Ernestinische Vorhaben rechtfertigende Entgegnung, die wiederum eine Antwort von Albertinischer Seite hervorrief. Die Ernestinische Flugschrift ist nach Roscher auffallend schlecht und unklar geschrieben, schwülstig und, wie nach den von ihr verfochtenen Aufstellungen nicht anders zu erwarten, voller Spitzfindigkeiten. Jedoch erregt sie unser Interesse dadurch, dass sie eine Darstellung der Hauptgrundsätze des Merkantilsystems enthält – mehr als hundert Jahre vor der Veröffentlichung von Mun's Buch und sechsundvierzig Jahre vor Bodin's sechs Büchern vom Staate. Die Albertinischen Abhandlungen entwickeln, wie Roscher bemerkt, so gesunde Ansichten über die Bedingungen und Anzeichen des Volksreichtums, über das Wesen des Geldes und des Handels und über die Rechte und Pflichten der Regierungen in volkswirtschaftlicher Beziehung, dass der genannte Schriftsteller den unbekannten Verfasser einem Raleigh und den übrigen englischen »Kolonialtheoretikern« zu Ende des sechzehnten und im Beginn des siebzehnten Jahrhunderts gleichstellt Die drei Schriften sind in der von Brentano und Leser veröffentlichten »Sammlung älterer und neuerer staatswissenschaftlicher Schriften« erschienen u. d. T.: Die drei Flugschriften über den Münzstreit der sächsischen Albertiner und Ernestiner um 1530. Unter Mitwirkung von K. F. Jötze im ursprünglichen Text und in Uebertragung herausgeg. v. W. Lotz, 1893..
In Verbindung mit demselben Thema vom Gelde begegnen wir dem grossen Namen des Copernicus. Seine Schrift »Ueber die Handhabung des Münzwesens« (De monetae cudendae ratione, 1526, im Jahre 1816 zum erstenmale gedruckt) verfasste er auf Befehl des Königs Sigismund I. Sie enthält eine Darlegung der Grundsätze, nach welchen die Umlaufsmittel in den preussischen Provinzen Polens einer Verbesserung unterzogen werden sollten. Sie befürwortet Einheit des Geldwesens im ganzen Staate, neben strenger Unverletzlichkeit der Münzqualität, sowie die Erhebung eines Schlagschatzes, der nur zur Deckung der Prägekosten ausreicht.
Antonio Serra wird von einigen als der Schöpfer der neueren Volkswirtschaftslehre angesehen. Er wurde geboren zu Cosenza in Calabrien. Seine »Kurze Abhandlung von den Ursachen, welche den Staaten, die keine Bergwerke besitzen, Ueberfluss an Gold und Silber verschaffen können« (Breve trattato delle cause che possono fare abbondare Ii regni d'oro e d'argento dove non sono miniere, 1613) wurde geschrieben im Laufe seiner Gefangenschaft, welche er der Teilnahme an der Campanella'schen Verschwörung zur Befreiung Neapels von dem spanischen Joche und zur Einsetzung einer republikanischen Regierung verdankt haben soll. Dieses lang unbeachtet gebliebene Werk brachten im darauffolgenden Jahrhundert Galiani und andere zur allgemeinen Kenntnis. Schon sein Titel lässt keinen Zweifel übrig, dass der Verfasser sich die Grundsätze des Merkantilsystems angeeignet hat. Und in der Tat werden in dieser Abhandlung die hauptsächlichen Lehren dieses Systems in leidlich geordneter und folgerichtiger Weise erörtert. Mit vielem Nachdruck vertritt er die Ansicht, dass den Gewerben als einer Quelle des Volksreichtums der Vorrang vor der Landwirtschaft gebühre. Hierbei führt er als Beispiel den Wohlstand von Genua, Florenz und Venedig an im Gegensatz zu der gedrückten Lage Neapels. Mit grösserer Einsicht, als dies bei vielen Merkantilisten der Fall, weist er darauf hin, dass für den Erwerb von Reichtum nicht nur günstige äussere Bedingungen von Wichtigkeit seien, sondern auch ein tatkräftiger, mit den Eigenschaften des Fleisses und der Betriebsamkeit vereinter Charakter der Bevölkerung sowie eine beständige Regierung und eine gute Handhabung der Gesetze.
Die erste systematische, von einem französischen Verfasser herrührende Darstellung unserer Wissenschaft war der von Montchrétien de Watteville (oder Vasteville) Montchrétien, welcher im Jahre 1621 die Empörung in der Normandie angezettelt hatte, wurde nebst einigen seiner Anhänger durch Claude Turgot, Herrn von Les Tourailles, getötet. Der letztere gehörte der älteren Linie dieses adeligen Hauses an, von welchem der berühmte Turgot abstammte. im J. 1615 über die politische Oekonomie veröffentlichte »Traité de l'économie politique«. Roscher sagt, dass die Anwendung dieses Titels, der hier zum erstenmale der Wissenschaft gegeben wurde, an sich als eine wichtige Leistung anzusehen sei, da sogar Bacon unter »Oekonomie« nur die Lehre von der Hauswirtschaft verstand. Die allgemeinen Strömungen und Ziele der Periode lassen sich aus der Tatsache erkennen, dass diese Abhandlung trotz ihres vielversprechenden Titels sich mit der Landwirtschaft überhaupt nicht, sondern nur mit dem Handwerk, der Schiffahrt, dem Handel und den öffentlichen Finanzen befasst. Montchrétien ist voll von der damals herrschenden Begeisterung für auswärtigen Handel und Kolonien. Er will die wirtschaftliche Tätigkeit der Untertanen durch ihre Fürsten beaufsichtigt wissen und tadelt das allzugrosse Mass von Freiheit, welches die Regierungen von Spanien, Portugal und Holland, seiner Meinung nach, zu ihrem eigenen Schaden dem Handel gelassen hätten. Sein Buch kann als eine förmliche Darstellung der merkantilistischen Grundsätze zum Gebrauche für Franzosen angesehen werden.
Etwas Aehnliches wurde in England von Thomas Mun geschaffen. In seinen beiden Werken »Ueber den Handel Englands mit Ostindien« (A discourse of trade from England unto the East Indies, 2nd ed., 1621) und besonders in »Englands Schatzkammer im auswärtigen Handel« (Englands treasure by foreign trade, 1664, hinterlassenes Werk) finden wir zum erstenmal eine klare und systematische Darlegung der Lehre von der Handelsbilanz sowie der Mittel, welche nach den Ansichten des Verfassers eine für England günstige Bilanz zu sichern vermöchten. Das Hauptziel der Wirtschaftspolitik eines Staates sollte nach ihm darin bestehen, seine Ausfuhr von gewerblichen Erzeugnissen, seinen Handel und seine Rhederei sowie seine Zölle derart zu handhaben, dass ihm von auswärts Geld zufliessen müsse. Andrerseits widersetzt er sich dem Verbot der Ausfuhr von Edelmetallen im Umtausch gegen ausländische Waren, begründet indessen, in voller Uebereinstimmung mit seinen allgemeinen Grundsätzen, seine Verurteilung dieses Verbots damit, dass diese Waren später wieder ausgeführt werden könnten und alsdann mehr an Geld einbrächten, als ursprünglich zu ihrem Ankauf verwendet worden sei. Die erste Geldausfuhr, sagte er, ist gewissermassen die Aussaat, das schliessliche Zurückempfangen eines höheren Betrages die Ernte Ueber Mun's Lehren siehe Smith, Volksreichtum, Buch 4, Kap. 1.. Auch erkannte er, dass ein Ueberfluss an umlaufendem Gelde innerhalb eines Landes nur schädlich wirke, da sich hierdurch die Preise der Waren erhöhten und diese dem Auslande gegenüber an Verkäuflichkeit einbüssten, doch äussert er sich zu gunsten der Bildung und Erhaltung eines Staatsschatzes Schriftsteller von minderer Bedeutung, welche derselben Richtung folgten, waren: Sir Thomas Culpeper – »Abhandlung gegen den hohen Zinsfuss« (A tract against the high rate of usury, 1623), und »Nützliche Bemerkungen über hohen Zins« (Useful remark on high interest, 1641); Sir Dudley Digges – »Verteidigung des Handels« (Defence of trade, 1615); G. Malynes – »Die Handelsgebräuche« (Consuetudo vel lex mercatoria, 1622); E. Misselden – »Der Kreislauf des Handels« (Circle of commerce, 1623); Samuel Fortrey – »Englands Wohlfahrt und Fortschritt« (Englands interest and improvement, 1663 und 1673); John Pollexfen – »Die Unvereinbarkeit der gewerblichen Tätigkeit Englands und Indiens« (England and India inconsistent in their manufactures, 1697)..
Aus der Reihe der gemässigten Merkantilisten ist als einer der hervorragendsten Sir Josiah Child anzuführen. Schriften desselben sind: Kurze Bemerkungen über den Handel und den Geldzins (Brief observations concerning trade and the interest of money, 1668) und Neue Abhandlung über den Handel (a new discourse of trade, 1668 und 1690). Gleich andern Schriftstellern wies er seine Landsleute auf Holland als nachahmungswertes Beispiel hin. Mit besonderem Nachdruck betont er die Wichtigkeit eines niedrigen Zinsfusses für den Reichtum und die Wohlfahrt des Volkes: er ist, wie er sagt, dasjenige für Handel und die Landwirtschaft, was die Seele für den Körper ist, und »die Grundursache (causa causans) aller anderen Ursachen der Reichtümer des holländischen Volkes«. Statt einen solchen niedrigen Zinsfuss als abhängig von bestimmten Bedingungen anzusehen, deren Entwickelung sich selbst überlassen bleiben sollte, erachtet er zu seiner Herstellung und Aufrechterhaltung das Eingreifen der öffentlichen Gewalt für nötig. Während Child ein Anhänger der Lehre von der Handelsbilanz ist, bemerkt er, dass ein Volk nicht immer an Ausländer verkaufen könne, ohne jemals von ihnen zu kaufen; auch leugnet er die unbedingte Schädlichkeit der Ausfuhr edler Metalle. Er teilt die gewöhnliche merkantilistische Voreingenommenheit für eine zahlreiche Bevölkerung. Dem Mutterlande will er das alleinige Recht des Handelsverkehrs mit seinen Kolonien gewahrt wissen und ist unter gewissen Einschränkungen für die Bildung bevorrechteter Handelsgesellschaften. Die Schiffahrtsakte betrachtet er mit viel günstigerem Auge vom politischen als vom wirtschaftlichen Standpunkte und steht den von Adam Smith über diese Massregel entwickelten Ansichten nicht allzufern. Es ergibt sich hieraus, dass er in seinen Meinungen einigermassen wählerisch war; trotzdem kann er wohl nicht als derjenige gelten, wozu ihn einige gestempelt haben, nämlich als ein Vorläufer der freihändlerischen Schule des achtzehnten Jahrhunderts.
Es mögen hier noch zwei andere Eklektiker Erwähnung finden, bei welchen sich richtige Ansichten mit merkantilistischen Vorurteilen mischen – Sir William Temple und Charles Davenant. Ersterer entwickelt in seinen »Betrachtungen über die Vereinigten Niederlande« (Observations upon the united provinces of the Netherlands, 1672) und in seinem »Versuch über den Handel Irlands« (Essay on the trade of Ireland, 1673) viele ausgezeichnete Gedanken über volkswirtschaftliche Grundsätze sowie über die Rolle der Arbeit und des Sparens bei der Erzeugung des Volksreichtums. Doch ist er von den Irrtümern der Handelsbilanz-Theorie angesteckt. Gleich Raleigh und Child dringt er in seine Landsleute, das Beispiel der holländischen Wirtschaftspolitik nachzuahmen, welcher Rat sich übrigens auf seine Beobachtungen stützte, die er während eines längeren Aufenthalts in Holland als Gesandter Englands bei den Generalstaaten zu machen Gelegenheit hatte. Davenant nimmt in seinen Schriften: »Versuch über den ostindischen Handel« (Essay on the East-India trade, 1696-1697), »Versuch über die wahrscheinlichen Arten, der Nation eine günstige Handelsbilanz zu verschaffen« Essay on the probable ways of making the people gainers in the balance of trade, 1699) u. s. w. ebenfalls einen eklektischen Standpunkt ein. Mit einigen richtigen Ansichten über Geld und Reichtum verbindet er merkantilistische Auffassungen vom Handel und empfiehlt der Regierung einerseits Beschränkungen des Verkehrs mit den Kolonien, während er anderseits ebenso nachdrücklich Freiheit des Austausches im Innern fordert.
Neben dem Merkantilsystem, welches im siebzehnten Jahrhundert das wirtschaftliche Denken vorwiegend vertrat und in den Regionen der praktischen Staatsleitung ausschliesslich herrschte, wuchs allmählich ein Gedankenkörper von anderem und jenem sogar feindseligen Charakter heran, der dasselbe schliesslich aus dem Felde schlagen sollte. Die neuen Ideen erhielten ihre erste Ausbildung in England, obwohl sie in Frankreich im Laufe des folgenden Jahrhunderts die öffentliche Meinung ergriffen und in der Politik sich geltend machten. Ihr erstmaliges Hervortreten in diesem Lande sowie ihre spätere Ausdehnung, Anwendung und Verbreitung über ganz Europa durch französische Schriftsteller ist jener Ordnung der Dinge zuzuschreiben, der zufolge die verneinende Lehre auf dem Gebiet der Moral und Politik überhaupt, unzweifelhaft englischen Ursprungs, hauptsächlich in Frankreich Aufnahme fand und von dort ihre Kreise über die ganze gebildete Welt zog. In England äusserte sich diese Bewegung des wirtschaftlichen Denkens in der Hauptsache in einer sich auf eine zutreffendere Zergliederung von Tatsachen und Vorstellungen stützenden individuellen Kritik der herrschenden Theorien. In Frankreich dagegen war sie durchdrungen von einem gewaltigen sozialen Gefühl, lieferte einer Partei ihr Glaubensbekenntnis und belebte mit ihrem Geiste den Protest gegen bestehende Einrichtungen und das dringende Verlangen nach tatsächlichen Reformen.
In theoretischer Hinsicht waren die kennzeichnenden Merkmale der neuen Richtung die folgenden: Die Ansicht der Merkantilisten – wenigstens der extremen –, dass der Volksreichtum abhängig sei von der Anhäufung der edlen Metalle, ist durch die Erfahrung als irrig befunden worden; die Gaben der Natur und die menschliche Arbeit erweisen sich als dessen wirkliche Quellen. Die Wichtigkeit, welche dem ausländischen Verkehr in übertriebener Weise beigelegt wurde, ist auf ihr richtiges Mass zurückzuführen und vermehrte Aufmerksamkeit der Landwirtschaft und den Bedingungen ihres erfolgreichen Betriebs zuzuwenden. Was die praktische Politik anbelangt, so wird behauptet, dass nicht eine sogenannte günstige Handelsbilanz das wahre Ziel der Bestrebungen einer Nation oder eines Staatsmanns sei; dasselbe müsse vielmehr darin bestehen, der gesamten Bevölkerung im vollsten Masse den Genuss der Erfordernisse und Annehmlichkeiten des Lebens zu verschaffen. Und – was mehr als sonst etwas das neue System vom alten abstechen lässt – der ganze Apparat von Verboten, Schutzzöllen, Ausfuhrprämien, Monopolen und bevorrechteten Körperschaften, welchen die europäischen Regierungen zum angeblichen Vorteil von Gewerbe und Handel geschaffen hatten, wird nicht als eine Förderung, sondern als ein Hindernis hingestellt oder verworfen, und man fordert, als das allein Notwendige, die Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit. Dieser Gedankenkreis kommt natürlich nur allmählich zum Vorschein und seine frühesten Vertreter in der wirtschaftlichen Literatur erfassen ihn im allgemeinen unvollkommen und verteidigen ihn nur mit Zurückhaltung. Indessen gewinnt er stetig an Ansehen, da ihn die grössten Geister immer mehr begünstigen, und die Zahl seiner Anhänger unter dem gebildeten Publikum fortgesetzt wächst.
Einige gelegentlich hingeworfene Umrisse zu einem mit diesen neuen Bestrebungen übereinstimmenden volkswirtschaftlichen System finden sich in Hobbes' Schriften »Ueber den Bürger« (De cive) und »Leviathan«. Die eigentliche Wirksamkeit dieses grossen Denkers lag jedoch auf dem allgemeinen philosophischen Felde. Indem er zum erstenmale die ganze verneinende Lehre in ein System brachte, gab er einen mächtigen Anstoss zur Vernichtung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung, der, wie wir sehen werden, gewaltige Folgen auf den Gebieten sowohl der wirtschaftlichen als der rein politischen Angelegenheiten nach sich ziehen sollte.
Ein Schriftsteller von weniger umfassender Bedeutung, aber von vielem Scharfsinn und hellem Verstand, war Sir William Petty, der Verfasser einer Anzahl von Abhandlungen, welche die Keime einer gesunden volkswirtschaftlichen Theorie enthalten. Ein leitender Gedanke in seinen Schriften ist der, dass »die Arbeit der Vater und das tätige Prinzip, der Boden dagegen die Mutter des Reichtums ist«. Er scheidet die Bevölkerung in zwei Klassen, die produktive und die unproduktive, je nachdem sie sich mit der Erzeugung nützlicher stofflicher Dinge beschäftigen oder nicht. Der Wert eines Gegenstandes hängt ab, wie er, Ricardo's Ausspruch vorwegnehmend, sagt, von dem zu seiner Erzeugung notwendigen Arbeitsaufwand. Er ist bestrebt, einen allgemein gültigen Wertmassstab zu finden und wählt als Einheit die durchschnittliche Nahrung billigster Art, welche zum täglichen Unterhalt eines Menschen notwendig ist. Das Wesen der Grundrente fasst er auf als den Ueberschuss im Preise des Bodenproduktes über dessen Produktionskosten. Er missbilligt jeden Versuch der Festsetzung eines höchsten Zinsfusses durch die öffentliche Gewalt und zeigt sich im allgemeinen jeder regierungsseitigen Einmischung in den Gang der wirtschaftlichen Tätigkeit abgeneigt. Er erkennt, dass ein Land zur Abwickelung seiner Tauschgeschäfte eine bestimmte Menge Geldes braucht und unter Umständen zu viel davon haben könne; auch verurteilt er das Verbot der Ausfuhr desselben. Er vertritt die Ansicht, dass nur eines der Edelmetalle die Grundlage der Umlaufsmittel bilden dürfe, während das andere als gewöhnlicher Warenartikel zirkulieren müsse. Petty's Name ist insbesondere mit dem Fortschritt der Statistik verknüpft, mit welcher er sich viel beschäftigte, und die er als politische Arithmetik bezeichnete. Auf die Ergebnisse einschlägiger Untersuchungen gestützt, bekämpfte er nachdrücklich die von dem Verfasser der »Erschlafften Britannia« (Britannia languens, 1680), Fortrey, Roger Coke und andern Schriftstellern vertretene Ansicht, dass es mit dem Wohlstande Englands abwärts gehe Die volkswirtschaftlichen Schriften Petty's erschienen neuerdings in zwei Bänden gesammelt u. d. T.: The economic writings of Sir William Petty, ed. by C. H. Hull, 2 vols. London 1899..
Am gründlichsten und nachhaltigsten verfocht Sir Dudley North in seiner Schrift über den Handel (Discourses upon trade, 1691) die freihändlerische Lehre gegenüber dem Verbotssystem, welches durch die englische Revolution neue Kraft gewonnen hatte. Er weist darauf hin, dass der Reichtum unabhängig von Gold und Silber bestehen könne, da seine Quelle die auf die Bewirtschaftung des Bodens oder auf die Gewerbe verwendete wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen sei. Die Edelmetalle sind nach ihm indessen ein Bestandteil des Volksreichtums und erfüllen hochwichtige Dienste. Ein Land kann Ueberfluss oder Mangel an Geld haben. Die Menge desselben, welche für die Zwecke des Handels notwendig ist, ändert sich mit den Verhältnissen; ihre Ebbe und Flut regelt sich von selbst. Es ist ein Irrtum, Handelsstockungen einem Geldmangel zuzuschreiben. Sie entstehen entweder aus einer Absatzstauung auf dem heimischen Markte oder aus einer Störung des auswärtigen Handels oder auch aus einer in Verarmung begründeten verminderten Konsumtionsfähigkeit. Die Geldausfuhr im Wege des Handelsverkehrs verringert nicht, sondern vermehrt den Nationalreichtum, da der Handel nichts ist als ein Austausch von Ueberschüssen. Nationen verhalten sich in wirtschaftlicher Beziehung zur Welt genau ebenso wie Städte zum Staat oder wie Familien zur Stadt. Mehr als seine Vorgänger legt North Gewicht auf den inneren Handel. In betreff des Kapitalzinses ist er der Ansicht, dass dieser ebenso wie der Preis jeder andern Ware von dem Verhältnis des Angebots zur Nachfrage abhängig sei, dass ein niedriger Zinsfuss seinen Grund in einer verhältnismässigen Zunahme des Kapitals habe und nicht durch willkürliche Anordnungen hergestellt werden könne, wie dies Child und andere behauptet hatten. Auf die Frage des freien Handels eingehend, macht er geltend, dass die Einzelnen oft ihren persönlichen Vorteil als Massstab für Gutes und Böses anwenden und wohl auch seinetwillen andere hindern in der Ausübung ihres gleichen Rechts, zu kaufen und zu verkaufen. Ein Vorzug aber, der einem Interesse oder einem Erwerbszweig vor dem andern erteilt würde, schade dem Ganzen. Keine Erwerbsart sei für die Gesamtheit ohne Nutzen; wäre dies der Fall, so würde man sie aufgeben. Blühten die Gewerbe, so blühe auch die Gesamtheit, von welcher sie einen Teil ausmachen. Die Preise müssten sich selbst bilden und könnten nicht durch das Gesetz bestimmt werden, und jedes gewaltsame Eingreifen in dieser Hinsicht bringe anstatt des beabsichtigten Nutzens nur Schaden. Nicht durch staatliche Regelung werde ein Volk reich, sondern allein durch Frieden, Fleiss, Freiheit und ungehinderte wirtschaftliche Tätigkeit. Es wird sich später zeigen, wie sehr North's Anschauungen sich jenen nähern, welche ungefähr achtzig Jahre später in dem grossen Werke Adam Smith's niedergelegt sind Eugen Daire behauptet indessen (Oeuvres de Turgot, I. 322), dass »Hume und Tucker die beiden ersten Schriftsteller sind, welche sich in England über die Lehren des Merkantilsystems hinweggesetzt haben«..
Nach Roscher bilden Locke im Verein mit Petty und North das »Triumvirat« hervorragender englischer Nationalökonomen dieser Periode, welche den Grund zu einer neuen und rationelleren Theorie legten, als es jene der Merkantilisten war. Dieser Ansicht über die Verdienste Locke's kann indessen wohl nur mit erheblichen Einschränkungen beigetreten werden. Seine Schriften über ausschliesslich volkswirtschaftliche Dinge sind die »Betrachtungen über den sinkenden Zinsfuss und über den steigenden Geldwert« (Considerations of the lowering of interest and raising the value of money, 1691) und »Fernere Betrachtungen« (further considerations, 1695). Obgleich Leibnitz mit Bezug auf diese Abhandlungen erklärte, dass über deren Gegenstand nichts Gediegeneres und Verständnisvolleres gesagt werden könne, wird es doch schwer, diesen Ausspruch so ohne weiteres hinzunehmen. Nüchternes Beobachtungsvermögen und geduldiges Analysieren führten Locke allerdings zu einigen richtigen Schlüssen; man muss anerkennen, dass er sich kräftigst der Verschlechterung der Umlaufsmittel widersetzte, die zu jener Zeit von einigen, für hervorragend praktisch gehaltenen einflussreichen Persönlichkeiten empfohlen wurde. Allein er verfällt in Irrtümer, welche beweisen, dass er sich durchaus nicht gänzlich von den Anschauungen des Merkantilsystems befreit hatte. Dem Gelde als solchem legt er viel zu grosse Wichtigkeit bei. Ausdrücklich sagt er, dass der Reichtum in einem Ueberfluss an Gold und Silber bestehe, das soll heissen, wie er erläuternd bemerkt, dass man über eine verhältnismässig grössere Menge von Edelmetallen verfüge als die übrige Welt oder unsere Nachbarn. »In einem Lande, welches nicht mit Bergwerken ausgestattet ist, kann man nur auf zwei Wegen reich werden, entweder durch Eroberung oder durch Handel«. Daher findet die Lehre von der Handelsbilanz seine Genehmigung. Er zeigt, dass der Zinsfuss ebensowenig durch Gesetz bestimmt werden könne als die Haus- oder Schiffsmieten, und tritt dem Child'schen Vorschlag einer bezüglichen gesetzgeberischen Einmischung entgegen. Doch bezog er irrtümlicher Weise das Fallen des Zinsfusses, welches sich allgemein in Europa bemerklich machte, auf die, durch die Entdeckung der amerikanischen Minen verursachte Zunahme der Gold- und Silbermenge. Einer zahlreichen Bevölkerung misst er einen allzu absoluten Wert bei und stimmt in diesem Punkte mit Petty überein. Der Lohnsatz muss nach ihm ein derartiger sein, dass er die unbedingt notwendigen Bedürfnisse des Arbeiters deckt. Steige der Preis der Lebensmittel, so müssten die Löhne in gleichem Verhältnisse steigen, oder die arbeitende Bevölkerung falle der Armenpflege anheim. Das Sinken der Grundrente betrachtet er als sicheres Zeichen des abnehmenden Volksreichtums. »Wie die Steuern auch veranlagt seien, oder von wem sie immer erhoben werden, – in einem Lande, in welchem der Grund und Boden die Haupteinnahmequelle bildet, lasten sie doch grösstenteils schliesslich auf diesem«. In letzterem Satze erblicken wir einen Vorläufer der »einzigen Steuer« der Physiokraten. Wie nun auch die Leistungen Locke's auf dem eigentlichen wirtschaftlichen Gebiet beschaffen sein mögen, – seine Hauptbedeutung liegt ähnlich derjenigen Hobbes' in seinen allgemeinen philosophischen und politischen Grundsätzen, welche insofern einen gewaltigen Einfluss auf das französische und, man kann sagen, europäische Denken übten, als sie einen Geist des Widerstandes gegen die willkürliche Gewalt rege machten und den Grund zu der im »Gesellschaftsvertrag« entwickelten Theorie legten Englische Schriftsteller minderen Ranges, welche der neuen wirtschaftlichen Richtung folgten, waren Lewis Roberts, »Schatzkammer des Handels« (Treasure of traffick, 1641); Rice Vaughan, Abhandlung über Münzen und Münzwesen« (Discourse of coin and coinage, 1675); Nicholas Barbon, »Abhandlung über die Ausgabe minderwertigen neuen Geldes« (Discourse concerning coining the new money lighter, 1696), in welcher auf einige Locke'sche Irrtümer hingewiesen wird; und der Verfasser eines anonym erschienenen Buches »Betrachtungen über den ostindischen Handel«, (Considerations on the East India trade, 1701). Von den um diese Zeit erörterten Dingen praktischer Natur veranlasste besonders die Bankfrage eine längere Reihe von Streitschriften; S. Lamb, W. Potter, F. Cradocke, M. Lewis, M. Godfrey, R. Murray, H. Chamberlen und W. Paterson, der Gründer der Bank von England (1694), sind als Verfasser von solchen bekannt. Auch die Armenpflege war Gegenstand literarischer Arbeiten Locke's, Sir Mathew Hale's, R. Haines', T. Firmin's und anderer..
In den Niederlanden machten sich um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts Strömungen bemerkbar, welche auf die neuen wirtschaftlichen Anschauungen hinzielten. Dirck Graswinkel (1600-1668) trat für Freiheit des Getreidehandels ein und widersetzte sich überhaupt allen gesetzlichen Beschränkungen der wirtschaftlichen Tätigkeit. Pieter de la Court (1618-1685) behandelte die meisten praktischen Fragen seines Vaterlandes und Zeitalters in ähnlichem Geiste. Er befürwortet völlige Freiheit der Bürger, sowohl zu kaufen und zu verkaufen, zu produzieren und zu konsumieren als auch zu lernen und zu lehren und verurteilt scharf das System der gewerblichen Körperschaften. Er war der literarische Bundesgenosse des Gross-Pensionärs Johan de Witt. Sein Hauptwerk »Aanwysing der heilsame politike Gronden en Maximen van de Republike van Holland en Westfriesland«, 1669 Eine frühere Schrift P. de la Court's, das »Interest van Holland ofte Gronden van Hollands Welvaren«, 1662, wurde im 17. Jahrhundert viel gelesen. Es gibt von diesem Buche eine englische und drei deutsche Uebersetzungen., wurde gewöhnlich diesem Staatsmann zugeschrieben, welcher jedoch nur Verfasser einiger Kapitel dieses Buches ist. Dasselbe ist mehr bekannt in der französischen Uebersetzung (1709), welche unter dem Titel »Memoires de Jean de Witt« erschien. Jan de la Court (1622 bis 1660), der Bruder Pieter's, folgte derselben Richtung. Die Werke des Salmasius (1639, 1640) waren in dem Streite, der sich um die Notwendigkeit und Berechtigung des Zinses aus Gelddarlehen drehte, von grosser Bedeutung.