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Zweites Kapitel.
Das Altertum

Die ältesten überlebenden Zeugnisse des Denkens über wirtschaftliche Dinge sind uns von den orientalischen Theokratien überliefert worden. Der Gesamtcharakter der entsprechenden Form des gesellschaftlichen Lebens zeigte sich darin, dass die Nachahmung als hauptsächliches Prinzip der Erziehung galt, und dass man die werdende Zivilisation durch die Vererblichkeit der verschiedenen Tätigkeiten und Berufe, oder sogar durch ein Kastensystem befestigte, in welchem sich die einzelnen Kasten, je nach der Natur ihrer Obliegenheiten, auf bestimmten Stufen einer vielgliederigen Rangordnung befanden, deren höchste von der herrschenden Priesterkaste eingenommen wurde. Diese letztere bewahrte die überlieferten Vorstellungen und befasste sich mit deren Betätigung im Interesse geregelter Zustände. Sie suchte eine vollständige Ordnung des menschlichen Lebens in allen seinen Gebieten auf der Grundlage dieser überkommenen Summe von praktischen Gedanken herzustellen. Diese Gesellschaftsverfassung betrachtet die Bewahrung des Hergebrachten als ihre Hauptaufgabe; ihr charakteristisches Merkmal ist die Beständigkeit, welche die Neigung zeigt, in Versumpfung auszuarten. Ohne Zweifel jedoch entwickelten sich die nützlichen Künste, wenn auch langsam, so doch stetig, unter dieser Ordnung der Dinge, von welcher sie auf die späteren Zivilisationen übergingen, und dies ist nur jenem Klassen- oder Kastensystem zu verdanken, welches den in jenen frühen Zeiten erreichten Grad der Arbeitsteilung aufrecht erhielt. Die leitenden Glieder der Körperschaften, welche den Theokratien vorstanden, verursachten jedenfalls durch manchen fruchtbaren Gedanken ein Heben der wirtschaftlichen Tätigkeit, welche nicht wie der Krieg ihre politisch hervorragende Stellung durch die Entwickelung einer Klasse von Nebenbuhlern zu gefährden vermochte. Allein da sie das Leben als ein Ganzes und dessen Regelung als ihre Hauptaufgabe betrachteten, so richteten sie naturgemäss ihr Hauptaugenmerk auf die gesellschaftlichen Rückwirkungen, welche die wirtschaftliche Tätigkeit hervorzurufen geeignet ist. Sie haben gewöhnlich nur die moralische Seite der Wirtschaft oder (was nicht dasselbe ist) die wirtschaftliche Seite der Moral im Auge. Sie überfliessen von jenen Warnungen vor dem Geiz und der Sucht, reich zu werden, welche Religion und Philosophie aller Zeiten für notwendig erachtet haben. Sie dringen auf Ehrlichkeit in Handel und Wandel, auf richtiges Mass und Gewicht, auf treue Beobachtung eingegangener Verbindlichkeiten. Sie warnen vor Stolz und Ueberhebung, wie sie durch Reichtum oft erzeugt werden, vor ungebührlicher Verschwendung und Selbstsucht, und zwingen zur Erfüllung der Pflichten der Gerechtigkeit und Wohltätigkeit gegen Dienende und Niedrigerstehende. Während in Uebereinstimmung mit der theologischen Idee gelehrt wird, dass der persönliche Erwerb von Reichtum durch den göttlichen Willen bestimmt sei, wird mit besonderem Nachdruck auf dessen Abhängigkeit von individuellem Fleiss und Sparsinn hingewiesen. Ueberhaupt besteht in den völlig entwickelten theokratischen Systemen die Neigung, die hier wenig vom Befehl sich unterscheidende Vorschrift zu einem ausserordentlichen Grad von Genauigkeit auszubilden: ausführlich werden Zeit, Art der Ausführung und begleitende Einzelheiten fast jeder Handlung eines jeden Mitgliedes der Gemeinschaft bestimmt. Im Zusammenhang mit diesem System übertriebener Beaufsichtigung steht die Vereinigung oder besser Verschmelzung der geistlichen und weltlichen Gewalt, was zur Folge hat, dass viele Teile der Gesellschaftsverfassung durch direkten Befehl oder Zwang geleitet werden, die auf einer späteren Stufe allgemeinen geistigen und sittlichen Einflüssen überlassen sind.

Die praktischen wirtschaftlichen Unternehmungen des griechischen und römischen Altertums würden, auch abgesehen von besonderen ungünstigen Umständen, weder hinsichtlich der Vielseitigkeit noch hinsichtlich der Mannigfaltigkeit der Hilfsquellen mit denen der neueren Zeiten sich messen können. Der unentwickelte Zustand der Naturwissenschaft verbot eine erhebliche Verwendung der weniger offen zu Tage liegenden Naturkräfte zu Produktionszwecken oder die ausgedehnte Benützung von Maschinen, welche als einer der Faktoren der neuzeitlichen Industrie zu so gewaltiger Entwickelung gelangt ist. Das unvollkommene geographische Wissen, sowie die mangelhaften Verkehrs- und Beförderungsmittel standen dem Wachstum des auswärtigen Handels im Wege. Diese Hindernisse erwuchsen notwendig aus der völligen Unreife des wirtschaftlichen Lebens in den fraglichen Zeitabschnitten. Tiefer wurzelnde Schwierigkeiten stellten sich indessen einem kraftvollen und ausgedehnten praktischen System der Volkswirtschaft in den charakteristischen Grundsätzen der Zivilisation des Altertums entgegen. Einige Schriftsteller haben versucht, den Unterschied zwischen den Welten des Altertums und der Neuzeit als einen imaginären und bedeutungslosen zu beseitigen und – während sie die weite Verschiedenheit zwischen uns und den theokratischen Völkern des Ostens einräumen – die Griechen und Römer als mit den abendländischen Völkerschaften unserer Zeit auf einem im wesentlichen gleichen Boden des Denkens, Fühlens und Handelns sich befindlich hinzustellen. Dies ist jedoch ein grosser Irrtum, welcher seinen Grund hat in derselben allzu ausschliesslichen Beschäftigung mit den gebildeten Klassen und mit der rein spekulativen Geistestätigkeit, welche oft zu einer ungehörigen Verunglimpfung des Mittelalters geführt hat. Der Hauptunterschied in Geist und Leben der Gemeinschaften des Altertums und der Neuzeit besteht darin, dass erstere für den Krieg organisiert waren, indessen diese während ihrer ganzen Geschichte in immer zunehmendem Masse das Bestreben gezeigt haben, sich in ihren Einrichtungen den Anforderungen der wirtschaftlichen Tätigkeit als ihrem praktischen Endzweck und Ziele anzupassen. Der gewichtige Einfluss dieser verschiedenartigen Verhältnisse auf jede Form menschlicher Tätigkeit darf nie übersehen oder ausser acht gelassen werden. Mit der kriegerischen Verfassung der Gemeinschaften des Altertums war die Institution der Sklaverei als ihr wesentlicher Bestandteil verknüpft. Weit davon entfernt, einen Auswuchs des zeitgenössischen Lebenssystems darzustellen, wie es in dem modernen Westindien oder den Vereinigten Staaten von Amerika der Fall war, befand sie sich mit jenem Leben dermassen im Einklang, dass die hervorragendsten Denker sie ebenso unumgänglich notwendig als unvermeidlich betrachteten. Die Sklaverei scheint in der Tat eine zeitweilige Notwendigkeit und mit Rücksicht auf das, was allenfalls an ihre Stelle hätte treten können, eine verhältnismässig gut geartete gewesen zu sein. Jedoch hatte sie viele Uebel im Gefolge. Sie war die Veranlassung, dass in der Klasse der freien Bürger eine Verachtung der gewerblichen Beschäftigungen vorherrschen konnte. Jede Form produktiven Schaffens, mit teilweiser Ausnahme der Landwirtschaft, war als des freien Mannes unwürdig gebrandmarkt. Als die einzigen würdigen Formen der Tätigkeit betrachtete man jene, welche mit dem öffentlichen Leben, sowohl dem kriegerischen als dem administrativen, verbunden waren. Die Arbeit wurde ihrer Würde beraubt durch die Ueberweisung fast ihrer sämtlichen Gebiete an die Sklavenklasse, welche die freien Handwerker in der allgemeinen Achtung nur wenig überragten. Waren aus diesem Grunde die Produzenten grösstenteils aller geistigen Bildung bar und von aller Teilnahme an staatlichen Ideen, Interessen oder Diensten ausgeschlossen, so ermangelten sie sowohl infolge ihres Charakters als durch ihre Stellung der Gewohnheiten kluger Voraussicht und kraftvoller Initiative, welche der wirtschaftliche Fortschritt erheischt. Hierzu kommt, dass die in den kriegerischen Gepflogenheiten begründete verhältnismässige Unsicherheit von Leben und Eigentum, sowie die Gefahren, welche infolgedessen die Ansammlung von Reichtum begleiteten, als gewaltige Hindernisse der Bildung grosser Kapitalien und der Einrichtung eines wirksamen Kreditsystems entgegenstanden. Diese Ursachen, in Verbindung mit dem unentwickelten Zustand des Wissens und der gesellschaftlichen Verhältnisse, verliehen dem wirtschaftlichen Leben des Altertums die Eintönigkeit und Beschränktheit, welche in so schroffer Weise den unerschöpflichen Hilfsmitteln, der unaufhörlichen Ausdehnung und den tausendfältigen Verschiedenheiten des nämlichen Wirkungskreises in der neuen Welt gegenüberstehen. Selbstverständlich ist es ungereimt, in irgend einem sozialen System Eigenschaften vorauszusetzen, welche sich nicht vereinigen lassen; jedes System ist nach der Aufgabe zu würdigen, die es zu erfüllen hat. Der geschichtliche Beruf der alten Zivilisation bestand darin, nicht durch die wirtschaftliche Tätigkeit, sondern durch den Krieg eine Lage der Dinge zu schaffen, welche die Ausscheidung dieser Zivilisation selbst und die Gründung einer auf friedlichem Wirken ruhenden gesellschaftlichen Ordnung ermöglichte.


Die Griechen.

Die Lösung dieser Aufgabe blieb indessen Rom vorbehalten, als das schliessliche Ergebnis seines Eroberungssystems. Die kriegerische Wirksamkeit Griechenlands war, obgleich andauernd, so doch ohne Zusammenhang und unfruchtbar, mit Ausnahme der Verteidigung gegen Persien; auch endigte sie nicht wie jene Roms mit der Erfüllung einer gesellschaftlichen Mission. Ohne Zweifel konnte das kriegerische Leben unter diesen Umständen die Fähigkeiten des Griechenvolkes nicht voll beschäftigen; es wurde das Können seiner hervorragendsten Glieder in die Bahn der geistigen Tätigkeit gelenkt und hierdurch eine ausserordentlich schnelle Entfaltung der von den theokratischen Gemeinschaften hinterlassenen ästhetischen, philosophischen und wissenschaftlichen Keime hervorgerufen.

In den »Werken und Tagen« des Hesiod begegnen wir einer Denkweise auf wirtschaftlichem Gebiet, welche jener der Theokratien sehr ähnlich ist. Mit der Anerkennung der göttlichen Allmacht und den überlieferten Regeln priesterlichen Ursprungs ist praktischer Scharfsinn in Gestalt von Vorschriften oder sprichwörtlichen Aeusserungen verbunden. Die Entwickelung des abstrakten Denkens jedoch, welche mit Thales beginnt, verleiht bald der griechischen Kultur ihre eigentümliche Form und bezeichnet eine neue Epoche in der Geistesgeschichte der Menschheit.

Die Bewegung, welche die ganze Zukunft der Menschheit bestimmen sollte, hatte ihren Anfang genommen, und indem sie allmählich den ererbten Bau theologischer Ueberzeugungen untergrub, zeigte sie das Bestreben, diese auf jedem Gebiet des Denkens durch vernunftgemässe Lehren zu ersetzen. Während die hervorragenden griechischen Denker ihr vollstes Interesse dem Emporstreben positiven Wissens zuwendeten und die meisten von ihnen die Geometrie studierten – die einzige Wissenschaft, welche damals ihren endgültigen Charakter annahm –, wurden sie durch die sozialen Anforderungen, welche grosse Geister stets mächtig berühren, veranlasst, mit besonderer Sorgfalt die Natur des Menschen und die Bedingungen seines Daseins in der Gesellschaft zu erforschen. Dieses Streben war allerdings im wesentlichen verfrüht; eine langdauernde Entwickelung der Wissenschaften der unbelebten und belebten Natur musste vorausgehen, ehe die Gesellschaftslehre ihre normale Verfassung erlangen konnte. Indessen wurde durch die Pflege dieser Forschungen unter den Griechen eine edle geistige Tätigkeit genährt, und viele jener teilweisen Einsichten, die das Menschengeschlecht nicht entbehren kann, waren die Früchte dieses Mühens. Die wirtschaftlichen im Verein mit anderen Forschungen führten zu vernunftgemässen Anschauungen: Plutus wurde entthront, und irdische Kräfte ersetzten die himmlischen. Zu erheblichen Ergebnissen gelangten diese Untersuchungen mangels einer genügend breiten Grundlage praktischen Lebens natürlich nicht. Die kriegerische Gesellschaftsverfassung sowie das mit ihr verknüpfte Bestehen der Sklaverei, die, wie erwähnt, zu einer niedrigen Schätzung produktiver Tätigkeit führte, lenkten die Aufmerksamkeit der Denker von diesem Gebiete ab. Andrerseits traten, veranlasst durch das gänzliche Aufgehen der Bürger im Staatsleben und durch ihr Befangensein in Parteikämpfen, Fragen in den Vordergrund, welche sich mehr auf die eigentliche Politik bezogen. Die Hauptschriftsteller über gesellschaftliche Dinge beschäftigen sich daher fast ausschliesslich mit der Prüfung und Vergleichung staatlicher Verfassungen und mit dem Suchen nach derjenigen Erziehungsform, welche sich zur Ausbildung der Bürger für staatliche Funktionen am besten eignet. Dementsprechend begegnen wir auch bei ihnen keiner systematischen oder irgendwie zulänglichen Behandlung wirtschaftlicher Fragen, nur einigen glücklichen Gedanken und überraschenden teilweisen Vorwegnahmen von Ergebnissen späterer Forschung. In ihren Ansichten über diese Fragen wie auf dem Gesamtgebiete der Gesellschaftslehre treten folgende Grundzüge hervor:

1) Der Einzelne wird als dem Staate untergeordnet gedacht, durch welchen allein seine Natur entwickelt und vervollkommnet werden kann, und auf dessen Erhaltung und Förderung sein ganzes Streben gerichtet sein muss. Das Hauptziel allen politischen Denkens ist die Heranbildung guter Bürger; jede gesellschaftliche Frage wird vor allem vom Standpunkt der Ethik und der Erziehung aus geprüft. Der Bürger wird nicht als Produzent, sondern nur als Besitzer materiellen Reichtums betrachtet, und dieser Reichtum wird nicht geschätzt um seiner selbst willen oder wegen der durch ihn möglichen Genüsse, sondern wegen der höheren sittlichen und öffentlichen Zwecke, denen er dienstbar gemacht werden kann.

2) Der Staat beansprucht daher eine beaufsichtigende und anordnende Autorität in allen Kreisen des gesellschaftlichen Lebens, mit Einschluss des wirtschaftlichen Gebietes, und übt sie zu dem Zwecke aus, die Tätigkeit des Einzelnen mit dem Wohle des Ganzen in Einklang zu bringen.

3) Mit diesen Grundsätzen verbunden ist die Neigung, den staatlichen Einrichtungen und der Gesetzgebung eine unbeschränkte Wirksamkeit zu verleihen. Es wird somit der Gesellschaft alle Fähigkeit zu selbständigen Regungen abgesprochen und angenommen, sie gehorche irgend welchem äusseren Eindrucke, wenn sich derselbe nur mit genügender Kraft und Stetigkeit geltend mache.

Jeder hervorragende Denker, welcher sich mit sozialen Dingen beschäftigte, schuf sich einen idealen Staat, der sich dem vorhandenen oder möglichen näherte oder von ihm abwich, je nachdem den Urheber Sinn für die Wirklichkeit und positive Denkgewohnheit mehr oder weniger auszeichneten.

Das berühmteste dieser idealen Systeme ist dasjenige Plato's. Der Gedanke der Unterordnung des Einzelnen unter den Staat erscheint hier in seiner ausgebildetsten Form. Unter derjenigen Klasse der Bürger seines Staatswesens, welche die höchste Lebensform darstellen, besteht Gemeinschaft des Eigentums und der Weiber, als das nachhaltigste Mittel, den Sinn für das Privat-Interesse zu unterdrücken und den Einzelnen ganz dem öffentlichen Dienst zu weihen. Die Verwirklichung dieses Plans innerhalb einer für diesen Zweck günstig gelegenen Gemeinschaft des Altertums kann wohl nicht mit vollkommener Sicherheit geläugnet werden. Jedoch würde sie unter dem Einfluss der Kräfte, die eine industrielle Gesellschaft erzeugen muss, bald zu Grunde gegangen sein. Indessen haben die frische und glänzende Darstellung Platos, sowie sein unvergleichlich anmutiger Stil auf Gemüter, in welchen der schöngeistige Trieb stärker ist als das wissenschaftliche Urteil, besondere Anziehungskraft ausgeübt, und der platonische Idealstaat wurde hierdurch zum fruchtbaren Erzeuger moderner Utopien. Untermischt mit dem, was wir als die phantastischen Gedanken in seinem Werke bezeichnen möchten, finden sich manche überraschenden und erhabenen sittlichen Auffassungen und ferner, was unsere Zwecke näher angeht, einige zutreffende wirtschaftliche Analysen. Insbesondere gibt Plato eine richtige Darstellung von der Teilung und dem Zusammenwirken der Beschäftigungen, wie sich beide auf natürliche Weise in der Gesellschaft entwickeln. Vielleicht führt er die Entstehung der gesellschaftlichen Organisation zu ausschliesslich auf wirtschaftliche Ursachen zurück, indem er den uneigennützigen sozialen Trieben der Menschen, welche bestrebt sind, diese zu vereinigen und zu verbinden, nicht gehörige Beachtung schenkt. Aber er erläutert anschaulich, wie die verschiedenen Fähigkeiten und Bedürfnisse der einzelnen gegenseitige Leistungen erfordern und hervorrufen, und wie durch die Beschränkung eines jeden auf die Beschäftigungsart, für welche er seiner Stellung, seinen Fähigkeiten und seiner Erziehung nach am besten geeignet ist, alles für die Gesamtheit Notwendige leichter und besser geschaffen oder bewirkt wird. Im Sinne aller antiker Gesetzgeber wünscht er einen sich selbst genügenden Staat, der vor unnötigen Berührungen mit fremden Völkern bewahrt ist, da er von diesem Kontakt sowohl Schädigung der inneren Verfassung als Verschlechterung des Nationalcharakters befürchtet. Aus diesem Grunde verwirft er den auswärtigen Handel und verlegt daher seine ideale Stadt in eine von der See etwas entfernte Gegend. Die Grenzen des Staatsgebiets sind äusserst genau bestimmt, und die Bevölkerung wird beschränkt durch das Verbot frühen Heiratens, durch die Aussetzung der Kinder und schliesslich durch die Erhaltung einer bestimmten Zahl von einzelnen Bodenanteilen in den Händen der ackerbautreibenden Bürger. Diese Vorsichtsmassregeln sind mehr durch politische und sittliche Beweggründe eingegeben als durch die Malthus'sche Furcht vor dem Mangel an Unterhaltsmitteln. Plato ist bestrebt, unter den Familien der Gemeinschaft, welche unmittelbar wirtschaftlich tätig sind, die grösstmögliche Gleichheit des Eigentums herzustellen. Dieser letzteren Klasse, als von der herrschenden und der kriegerischen unterschieden, schenkt er, dem Geiste seiner Zeit folgend, nur geringe Achtung. In ihren gewöhnlichen Beschäftigungen erblickt er eine Ursache der Erniedrigung des Geistes und der Entkräftung des Körpers und hält sie für ein Hindernis der Erfüllung höherer menschlicher und bürgerlicher Pflichten. Er überlässt die niedrigsten Arbeiten den Fremden und Sklaven. Ferner wünscht er (Gesetze V. 12), ebenfalls im Geiste der Lehren des Altertums, den möglichst beschränkten Gebrauch der edlen Metalle im inneren Verkehr und untersagt das Leihen des Geldes gegen Zins; er überlässt sogar die Rückzahlung des geliehenen Kapitals dem freien Ermessen des Schuldners. Aller wirtschaftliche Verkehr unterliegt der wirksamen Beaufsichtigung von seiten des Staates nicht nur, um Gewalttätigkeiten und Betrug zu verhindern, sondern auch, um dem Anwachsen üppiger Gewohnheiten zu steuern und der Bevölkerung des Staats eine gehörige Befriedigung von Bedürfnissen und Annehmlichkeiten des Lebens zu sichern.

Im Gegensatz zu dem übertriebenen Idealismus Plato's steht das etwas beschränkte, doch ausserordentlich praktische Genie eines Xenophon. Bei ihm kommt zuerst der Mann der Tat, doch auch er besitzt die spekulative Neigung und Anlage der Griechen in hohem Masse. Seine Abhandlung »Oeconomicus« ist sehr lesenswert wegen des anziehenden und lebendigen Gemäldes einiger Seiten des damaligen Lebens, und mit Recht lobt sie Sismondi des Geistes liebreicher Menschenfreundlichkeit und zarter Frömmigkeit halber, der sie durchweht. Allein sie überschreitet kaum die Grenzen der Hauswirtschaft. Zwar entwickelt der Verfasser innerhalb dieses Bereiches viel gesunden Verstand und Scharfsinn, doch können wir hier weder auf seine Vorschriften für die umsichtige Verwaltung des Privateigentums, noch auf seine weisen Andeutungen hinsichtlich der Leitung der Familie und ihres Zubehörs eingehen. Indessen gerade innerhalb dieses engeren Kreises und überhaupt auf dem konkreten Gebiet liegen seine Hauptvorzüge; zur Wirtschaftslehre im weiteren Sinne trägt er wenig bei. Gleich seinen zeitgenössischen Landsleuten gibt er der Landwirtschaft den Vorzug vor andern Beschäftigungsarten. Er spendet ihr begeistertes Lob, da sie das patriotische und religiöse Gefühl sowie die Achtung vor dem Eigentum entwickele, da sie ferner die beste Vorbereitung für das kriegerische Leben abgäbe und zur Entfaltung einer erheblichen geistigen und öffentlichen Wirksamkeit ein hinlängliches Mass von Zeit und Nachdenken übrig lasse. Mehr jedoch als die meisten anderen griechischen Schriftsteller legt er, durch seinen praktischen Sinn gelenkt, Gewicht auf die gewerblichen Beschäftigungen und in noch höherem Grade auf den Handel. Derselbe praktische Sinn veranlasst ihn, näher auf die Vorbedingungen und die Entwickelung dieser beiden Erwerbsarten einzugehen und den Staat zu ihrer Förderung und ihrem Schutze aufzufordern. Obgleich seine Ansichten über die Natur des Geldes unklar und in mancher Hinsicht irrtümlich sind, findet er doch, dass die Ausfuhr desselben zu Zwecken des Tausches der staatlichen Gemeinschaft keinen Schaden bringe. Auch hält er, im Hinblick auf einen blühenden Verkehr mit andern Ländern, die Bewahrung des Friedens, eine zuvorkommende und achtungsvolle Behandlung der fremden Händler und eine schnelle und billige Entscheidung über ihre rechtmässigen Ansprüche für unumgänglich notwendig. Die Sklaverei erkennt er natürlich an und missbilligt sie nicht; er empfiehlt sogar, zur Stärkung der attischen Finanzen, staatlicherseits für die Arbeit in den Bergwerken Sklaven zu vermieten, die, um ihre Entweichung zu verhüten, gebrandmarkt werden sollen, und deren Zahl aus dem Gewinn, welchen dieses Unternehmen abwerfe, durch neue Ankäufe beständig zu erhöhen sei. (Von den Abgaben 3, 4.)

Eine Darstellung fast des gesamten Systems griechischer Ideen bis zur Zeit des Aristoteles findet sich in dessen enzyklopädischem Lehrgebäude. Zwar haben die Wissenschaften der Mathematik und Astronomie sich auf einer späteren Stufe noch bedeutend entwickelt, allein auf dem Gebiet des gesellschaftlichen Forschens erreichten die Griechen keinen höheren Standpunkt, als er in den Schriften dieses grossen Denkers vertreten ist. Sowohl Begabung als gesellschaftliche Stellung begünstigten ihn ungemein in der Behandlung der fraglichen Gegenstände. In ihm vereinigte sich in seltenem Masse die Gabe scharfer Beobachtung mit der Fähigkeit der Verallgemeinerung, die Nüchternheit des Urteils mit dem Eifer für das allgemeine Wohl. Alles Ursprüngliche und Bedeutende des hellenischen öffentlichen Lebens hatte sich vor seiner Zeit oder unter seinen Augen abgespielt, und es war somit eine breite Grundlage vielseitiger Erfahrung vorhanden, auf welche er seine Folgerungen stützen konnte. Ausserhalb der treibenden Bewegung des öffentlichen Lebens stehend, konnte er die Rolle des denkenden Zuschauers und unparteiischen Richters übernehmen. Allerdings war es ihm aus bereits angegebenen Gründen ebensowenig wie andern griechischen Denkern möglich, bei diesen Untersuchungen eine völlig normale Stellung zu gewinnen. Auch konnte er nicht den Rahmen desjenigen überschreiten, was wir jetzt als statische Gesellschaftslehre bezeichnen. Schwerlich hat er den Gedanken einer Gesetzmässigkeit in der geschichtlichen Entwickelung gesellschaftlicher Erscheinungen erfasst, ausgenommen etwa in bezug auf die Aufeinanderfolge staatlicher Formen, und auch hier wohl nur in geringem Grade. Indessen begegnen wir in seinen Schriften einer erheblichen Zahl von gesunden und wertvollen Ansichten über Verfassung und Leben des gesellschaftlichen Organismus. Die besonderen Mitteilungen über wirtschaftliche Dinge sind weder so zahlreich noch so ausführlich, wie wir es allenfalls wünschten. Gleich allen griechischen Denkern erkennt er nur eine Lehre vom Staate an. In dieser nehmen die Ethik, die eigentliche Politik und die Wirtschaftslehre ihren Platz als Unterabteilungen ein, welche unter einander in sehr engen Beziehungen stehen, und deren gegenseitige Abgrenzung in nicht besonders deutlicher Weise durchgeführt ist. So wird der Reichtum nicht als Selbstzweck behandelt, sondern nur im Hinblick auf die höheren Bestandteile und letzten Ziele des Gemeinlebens.

Den Ursprung der Gesellschaft sucht Aristoteles nicht in wirtschaftlichen Notwendigkeiten, sondern in den natürlichen gesellschaftlichen Trieben des Menschen. Da hiernach die Natur der gesellschaftlichen Vereinigung bestimmt wird durch das teils von selbst erfolgende, teils systematische Zusammenwirken verschiedener Tätigkeiten, so achtet unser Autor die Unabhängigkeit der letzteren, während er ihre gegenseitige Annäherung zu fördern sucht. Er widersetzt sich aus diesem Grunde der Unterdrückung der persönlichen Freiheit und Initiative sowie der übertriebenen Unterordnung des einzelnen unter den Staat. Gleichzeitig verwirft er die Gemeinschaft der Weiber und des Eigentums, welche Plato für seine herrschende Klasse vorschlägt. Das Privateigentum ist nach ihm tief in der menschlichen Natur begründet, und die Uebel, welche der entsprechenden gesellschaftlichen Ordnung zugeschrieben werden, bezeichnet er als Wirkungen entweder der Unvollkommenheit unserer Natur oder der Mängel anderer öffentlicher Einrichtungen. Das gemeinschaftliche Eigentum muss seiner Ansicht nach zur Vernachlässigung der Gesamtinteressen und zur Störung der gesellschaftlichen Eintracht führen.

Von den verschiedenen, die mannigfaltigen Bedürfnisse der Gesellschaft befriedigenden Klassen werden jene von irgend welcher Teilnahme an der Leitung des Staates ausgeschlossen, welche unmittelbar damit beschäftigt sind, ihren materiellen Anforderungen Genüge zu leisten, – die Ackerbautreibenden, Handwerker und Künstler. Als Grund ihrer Ausschliessung wird angeführt, dass sie der notwendigen Musse und Bildung entbehrten und durch die Natur ihrer Beschäftigung leicht erniedrigt würden. An einer berühmten Stelle entwickelt er eine Theorie der Sklaverei, in welcher diese gegründet wird auf die überall herrschenden Beziehungen von Befehlen und Gehorchen und ferner auf die natürliche Sonderung, durch welche der unterworfenen Rasse die Fähigkeit zum Herrschen aberkannt werde. Er gestattet dem Sklaven keinen selbständigen Willen, sondern betrachtet ihn nur als ein »lebendiges Werkzeug« in der Hand seines Herrn. In der Unterwerfung des Sklaven unter die Gewalt des letzteren, von welchem nur einsichtiges Verhalten gefordert wird, sieht Aristoteles das eigentliche Wohlbefinden sowohl des Untergeordneten als des Gebietenden begründet. Diese Ansicht, welche unser modernes Empfinden so stark verletzt, ist selbstverständlich nicht seine eigene; sie ist vielmehr nur das theoretische Spiegelbild der Tatsachen des griechischen Lebens, in welchem sich das Dasein einer Anzahl von Bürgern, die sich den Aufgaben der Regierung und des Kriegs widmeten und die höhere Bildung pflegten, auf die systematische Erniedrigung einer schimpflich behandelten und verachteten Klasse stützte, welche, von allen höheren Verrichtungen menschlicher Wesen ausgeschlossen, der Erhaltung einer besonderen Gesellschaftsform geopfert wurde.

Aristoteles unterscheidet zwei Arten wirtschaftlichen Erwerbs. Die eine bezweckt die Aneignung der natürlichen Erzeugnisse und deren Verwendung zu haushälterischen Zwecken; in diese Abteilung gehören Jagd, Fischerei, Viehzucht und Landbau. In einem gewissen Gegensatz zu dieser ursprünglichen und »natürlichen« Art steht die zweite, welche Aristoteles als »chrematistische« bezeichnet. Bei dieser geht der Produkten-Austausch von statten und tritt das Geld vermittelnd und regelnd in Wirksamkeit. Ein gewisses Mass dieser »nicht natürlichen« Art, wie sie im Gegensatz zu der vorhergehenden und einfacheren Form des Erwerbslebens genannt werden kann, lässt Aristoteles als eine notwendige, aus dem regeren Verkehr erwachsende und tatsächliche Bedürfnisse befriedigende Erweiterung der letzteren zu. Ihre Ausbildung in grösserem Umfange verdammt er als unwürdig und verderblich, da sie sich nur auf die Lust an Vergnügungen und die grenzenlose Sucht nach Gewinn gründe. Obgleich seine Ansichten in dieser Beziehung hauptsächlich auf sittlichen Gründen zu ruhen scheinen, sind doch andrerseits einige Momente für die Annahme vorhanden, als habe er dieselbe irrige Meinung gehegt, welche die Physiokraten des achtzehnten Jahrhunderts verfochten, jene nämlich, dass die Landwirtschaft (nebst den oben aufgeführten, mit ihr verwandten Beschäftigungsarten) allein wahrhaft produktiv sei, während die übrigen Arten der wirtschaftlichen Tätigkeit, welche die natürlichen Produkte entweder verändern oder im Wege des Tausches verteilen, – mögen sie auch noch so angenehm und nützlich sein, – dem Reichtum der Gemeinschaft nichts hinzufügten.

Mit Recht betrachtet er das Geld als gänzlich verschieden vom Reichtum und erläutert diesen Unterschied durch die Midassage. Anscheinend hat er auch die Einsicht gewonnen, dass dasselbe, obgleich auf Grund einer gesellschaftlichen Uebereinkunft im Gebrauch, aus einem Stoffe bestehen müsse, der einen unabhängigen, inneren Wert besitze. Dass seine Ansichten über das Kapital unklar waren, erhellt aus seiner bekannten Ausführung gegen den Darlehens-Zins, welche sich auf den Gedanken stützt, dass das Geld unfruchtbar sei und nicht seinesgleichen erzeugen könne.

Wie die übrigen Sozialphilosophen Griechenlands empfiehlt auch Aristoteles den Regierungen, für die Aufrechterhaltung eines richtigen Verhältnisses zwischen der Ausdehnung des Staatsgebietes und seiner Bevölkerung besorgt zu sein. Er erachtet geschlechtliche Enthaltsamkeit vor der Ehe, spätes Heiraten und die Verhinderung oder Vernichtung der Geburten als geeignete Mittel zur gehörigen Beschränkung der Bürgerzahl, deren Unzulänglichkeit die Selbständigkeit, und deren Uebermass die Ruhe und gute Ordnung des Staates gefährde.


Die Römer.

Ungeachtet des hervorragend praktischen, realistischen und utilitarischen Charakters der Römer gelangten sie nicht dazu, ihre Fähigkeiten auf wirtschaftlichem Gebiet nachhaltig zu betätigen. Sie entwickelten kein umfangreiches und vielseitiges Produktions- und Tausch-System. Ihr geschichtlicher Beruf war ein militärischer und politischer, und die Volkskräfte waren hauptsächlich dem öffentlichen Dienst daheim und auf dem Schlachtfeld gewidmet. Allerdings schenkte man der Landwirtschaft von der frühesten Zeit an viele Aufmerksamkeit, und auf sie gründete sich das Dasein der kühnen Bevölkerung, welche die ersten Schritte auf dem Wege zur Weltherrschaft tat. Allein im Verlaufe ihrer Geschichte wich die Bewirtschaftung des Bodens durch eingeborene Freie der Einführung von zahlreichen Sklavenarbeitern – die Beute auswärtiger Eroberungen –, und die kleinen Besitztümer der früheren Zeit wurden durch grosse Landgüter – die Latifundien – ersetzt, in welchen Plinius das Verderben Italiens erblickte »Eine Unzahl Freier lebte in jenen Gegenden, welche jetzt, wo man dort kaum eine kleine Militärkolonie unterhält, nur die römischen Sklaven vor gänzlicher Verödung bewahren«. – Livius VI. 12. – »Der unermessliche Umfang der Landgüter«. – Tacitus, Ann. III. 53.. Die gewerblichen Künste und den Handel (den letzteren wenigstens, sofern er nicht in grossem Umfange betrieben wurde) betrachteten die Römer als unedle Berufe, nicht würdig des freien Bürgers. Dieses Gefühl der Verachtung war nicht bloss etwa ein Vorurteil beschränkter oder unwissender Köpfe, sondern wurde auch von Cicero und von anderen der freiesten Geister des Volkes geteilt »Alle Handwerker befassen sich mit einer verächtlichen Kunst, denn etwas Edles wird keine Werkstätte brauchen«. – Cicero, von den Pflichten I, 42. – »Ist der Handel unbedeutend, so muss er als etwas Verächtliches angesehen werden; ist er indessen erheblich und von beträchtlichem Umfange, schafft er mancherlei aus allen Gegenden herbei und macht er mit vielem wahrhaft Nützlichen bekannt, so kann man wohl nichts an ihm aussetzen«. – Ebendas. – »Jedes Gewerbe ist unsern Vorfahren unwürdig erschienen«. – Livius XXI, 63. –.

Wie bei dem Mangel an spekulativer Ursprünglichkeit bei den Römern nicht anders zu erwarten, sind wenig Anzeichen ernstlichen theoretischen Forschens auf wirtschaftlichem Gebiete vorhanden. Ihre Ansichten über wirtschaftliche wie über andere gesellschaftliche Fragen waren grösstenteils den griechischen Denkern entlehnt. Derartige Spuren des wirtschaftlichen Gedankens sind hie und da zu finden bei den Philosophen, bei den die Landwirtschaft behandelnden Schriftstellern und bei den Rechtsgelehrten. Es muss indessen bemerkt werden, dass viele der in den Werken dieser Schriftsteller vorkommenden Stellen, welche die Verfechter der Ansprüche Roms auf einen hervorragenderen Platz in der Geschichte der Wissenschaften anführen, oft nichts enthalten als offenkundige Wahrheiten oder unbestimmte Allgemeinheiten.

Bei den Philosophen, welche Cicero, Seneca und der ältere Plinius hinlänglich vertreten (der letztere ist allerdings mehr ein gelehrter Enzyklopädist oder Vielwisser als ein Philosoph), begegnen wir allgemein dem Bewusstsein von dem Verfall der wirtschaftlichen Tätigkeit, von der Sittenverderbnis und von der wachsenden Selbstsucht unter ihren Zeitgenossen, die sie als von den eingeführten Lastern der eroberten Völker angesteckt bezeichnen. Sowohl bei diesen Schriftstellern als in der Dichtkunst und der übrigen Literatur ihrer Zeit sind derartige Aeusserungen begleitet von einer halb gekünstelten Begeisterung für die Landwirtschaft sowie von einer übertriebenen Hochschätzung des Landlebens und der früheren Gewohnheiten der Römer. Ohne Zweifel ist alles dies hauptsächlich als eine Form der Verwahrung gegen bestehende Missbräuche anzusehen und erinnert uns, von diesem Gesichtspunkt aus, an die Rousseauschen Deklamationen in einem nicht unähnlichen Zeitalter. Von tiefergehenden oder treffenden Gedanken über die vorherrschenden wirtschaftlichen Missstände und die geeigneten Mittel zu ihrer Abhilfe ist jedoch wenig zu finden. Plinius ist, ebenfalls im Geiste Rousseaus, der Meinung, dass die Einführung des Goldes als Tauschmittel zu beklagen und das Zeitalter des unvermittelten Austausches jenem des Geldes vorzuziehen sei. Er äussert Ansichten über die Notwendigkeit einer Verhinderung des Geldabflusses, welche denen der neuzeitlichen Merkantilistenschule ähnlich sind, und die anscheinend auch Cicero, obgleich weniger deutlich, gehegt hat. Cato, Varro und Columella befassen sich mehr mit den technischen Vorschriften für den Feldbau als mit den allgemeinen Bedingungen des wirtschaftlichen Erfolges und des gesellschaftlichen Wohlstandes. Indessen besitzen die beiden letztgenannten das grosse Verdienst, den höheren Wert der freien, im Gegensatz zur Sklaven-Arbeit erkannt und verkündet zu haben, und Columella ist überzeugt, dass die Anwendung der letzteren den Verfall der Landwirtschaft der Römer grösstenteils verschuldet habe. Die drei letztgenannten Schriftsteller sind einig in dem Glauben, dass es hauptsächlich das Wiederaufleben und die Neugestaltung des Ackerbaus sei, wodurch die drohenden Verheerungen der Sittenverderbnis aufgehalten, die alten römischen Tugenden befestigt und die Grundlagen des Gemeinwesens gekräftigt werden könnten. Ihre Haltung gleicht somit derjenigen der französischen Physiokraten, welche ebenfalls, den materiellen Uebelständen und der gesellschaftlichen Entartung ihrer Zeit gegenüber, nach der Vervollkommnung und eifrigen Förderung der Landwirtschaft verlangen. Die Frage nach den verhältnismässigen Vorzügen des landwirtschaftlichen Gross- und Kleinbetriebs scheint ebensosehr in der alten römischen als in der modernen europäischen Welt erörtert worden zu sein: Columella ist ein entschiedener Verteidiger des Kleinbetriebs. Die Juristen wurden durch das hie und da eintretende Zusammenfallen ihres Gesichtspunktes mit jenem der Wirtschaftswissenschaft veranlasst, gewisse Klassifikationen und mehr oder weniger künstliche Unterschiede aufzustellen, welche die neueren Nationalökonomen entweder von ihnen übernommen oder selbständig benutzt haben Vgl. hierzu P. Oertmann, Die Volkswirtschaftslehre des Corpus juris civilis. Berlin 1891.. Auch scheinen sie insofern richtige Vorstellungen von der Natur des Geldes gehabt zu haben, als sie diesem einen selbständigen Wert beimassen, der durch wirtschaftliche Verhältnisse bestimmt sei, und der ihm nicht durch Uebereinkunft aufgeprägt oder willkürlich durch die öffentliche Gewalt verändert werden könne. (Es ist dies allerdings bestritten worden, und zwar haben Neri und Carli einen bejahenden Standpunkt gegenüber den verneinenden Pagninis eingenommen). Im allgemeinen finden wir jedoch bei diesen Schriftstellern, wie es vielleicht nicht anders zu erwarten, weniger die Ergebnisse selbständigen Denkens als Belege zur Erläuterung der Tatsachen des Wirtschaftslebens der Römer und der geschichtlichen Politik dieses Volkes in bezug auf wirtschaftliche Dinge. Von letzterem Gesichtspunkt aus sind sie von vielem Interesse und gewähren uns durch die von ihnen gelieferte Aufklärung über den Gang der Gesetzgebung, welche das Eigentum im allgemeinen, die Beaufsichtigung des Aufwandes, die Verschwendern auferlegten Beschränkungen, die Sklaverei, die Hebung der Bevölkerung und dergleichen betrifft, eine weit klarere Einsicht, als dies sonst möglich wäre, in Einflüsse, welche in der Geschichte Roms und der gesamten abendländischen Welt lange mächtig waren. Da wir uns jedoch hier nur mit dem beschränkteren Gebiet des planmässigen Denkens über die Volkswirtschaft zu befassen haben, so können wir nicht auf diese Dinge eingehen. Ein Gegenstand indessen dürfte sich unserer besonderen Aufmerksamkeit empfehlen, da er nicht nur wiederholt gesetzgeberischen Massnahmen unterzogen wurde, sondern eine mehr oder minder eingehende Behandlung durch alle hervorragenderen römischen Schriftsteller erfuhr: es ist der Zins von Gelddarlehen. Der Zinsfuss wurde durch das Zwölftafelgesetz bestimmt; indessen wurde das Leihen gegen Zins später (341 v. Chr.) durch das Genucische Gesetz gänzlich verboten. In der Justinianischen Gesetzgebung waren Zinsen von vier bis acht vom Hundert je nach den Verhältnissen gestattet, wobei der letztere Satz als der im Handelsverkehr zulässige galt, während Zinseszinsen untersagt waren. Die römischen Theoretiker missbilligen fast ohne Ausnahme das Leihen gegen Zins überhaupt. Wie uns Cicero mitteilt, stellte es Cato dem Mord gleich (»Was hältst du vom Wucher? – Was hältst du vom Mord?« – Von den Pflichten II, 25), und sowohl Cicero als Seneca, Plinius, Columella, alle verdammen es. Wie in einem unentwickelten gesellschaftlichen Zustande das Gewerbe des Geldwuchers, und nicht ohne Grund, zum Gegenstande des Volkshasses wird, ist unschwer einzusehen. Dass aber diese Schriftsteller zu einer Zeit, als die Handelsunternehmung bereits erhebliche Fortschritte gemacht hatte, noch immer auf dem bezeichneten Standpunkt verharrten, lässt auf sehr unvollkommene und unklare Begriffe von Wesen und Aufgaben des Kapitals schliessen. Vermutlich hat sich das praktische Leben weder um diese Ansichten noch um die bezügliche Gesetzgebung gekümmert, welch' letztere übrigens erfahrungsgemäss stets mit Leichtigkeit umgangen werden kann. Augenscheinlich hat der Geldhandel die ganze Geschichte Roms begleitet und der Zinsfuss sich nach der jeweiligen Lage des Marktes gerichtet.

Ueberblicken wir die Geschichte wirtschaftlicher Forschung im Altertum, so zeigt sich, wie übrigens von vornherein zu erwarten war, dass die auf diesem Gebiete von den griechischen und römischen Schriftstellern gewonnenen Ergebnisse nur spärliche sind. Wie Dühring richtig bemerkt, wurden die Fragen, mit welchen sich die Wissenschaft zu befassen hat, von den Denkern des Altertums mehr nach ihrer politischen als nach ihrer eigentlich wirtschaftlichen Seite hin gewürdigt. Wir haben dies bei Gelegenheit ihrer Behandlung des Bevölkerungsthemas hervorgehoben, und das gleiche ist auch bei der Lehre von der Arbeitsteilung wahrzunehmen, mit welcher sich Plato und Aristoteles in einem gewissen Grade beschäftigen. Entweder betrachten sie dieses Prinzip als die Grundlage der gesellschaftlichen Einteilung nach Klassen, oder sie wollen damit beweisen, dass die Gesellschaft sich auf ein von selbst entstandenes Zusammenwirken verschiedener Tätigkeiten stützt. Vom rein wirtschaftlichen Standpunkt aus können in bezug auf die Teilung der Arbeit die folgenden drei Haupt-Sätze aufgestellt werden: erstens verbilligt ihre Ausdehnung innerhalb eines Produktionszweiges die Erzeugnisse, zweitens ist sie durch den Umfang des Marktes beschränkt, und drittens ist sie in den gewerblichen Beschäftigungen einer höheren Ausbildung fähig als in der Landwirtschaft. Nach diesen Sätzen werden wir bei den alten Schriftstellern vergeblich suchen; höchstens der erste könnte aus ihren Erörterungen über diesen Gegenstand gefolgert werden.

Es hat sich besonders bei den deutschen Gelehrten die Neigung gezeigt, Umfang und Wert der Beiträge des Altertums zum volkswirtschaftlichen Wissen in ungehöriger Weise zu vergrössern. Selbstverständlich können die griechischen und römischen Schriftsteller in einer Berichterstattung über die Entwickelung dieses Forschungszweiges nicht übergangen werden. Doch dürfen wir nicht ausser acht lassen, dass sie uns nur die ersten Anfänge volkswirtschaftlicher Wahrheiten oder Hinweise auf solche bieten, und dass unsere Wissenschaft im wesentlichen der Neuzeit angehört. Uebrigens werden wir aus dem Nachstehenden ersehen, dass letztere ihre endgültige Verfassung vor unserer Zeit nicht erreichen konnte Ueber die Wirtschaftslehren der Alten siehe Roschers Abhandlung »Ueber das Verhältnis der Nationalökonomie zum klassischen Altertum« in seinen »Ansichten der Volkswirtschaft«. (3. Ausg. 1878)..


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