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Achtes Kapitel

Wie der einäugige Spielmann seine Absicht bei einem leidenschaftlichen Juristen erreicht.

Am folgenden Morgen zwischen zehn und elf Uhr hielt ungefähr eine halbe Stunde vom Oberhofe ein kleiner leichter Wagen vor einem einzeln stehenden Hause, den Schlag des Wagens öffnete der alte Jochem, welcher auch das Pferd – denn der Wagen war ein Einspänner – gelenkt hatte, und half dem darin sitzenden Manne heraus. Dieser Mann in graubraunem Mackintosh war der Oberamtmann Ernst. Der Mentor des Jägers hatte sich seinem Briefe gemäß aufgemacht, um den umherschweifenden Schützling wieder nach Schwaben zurückzuführen. Am Rhein war er der Kousine Oswalds, bei Baronesse Elesia, begegnet, welche mit ihrem Gemahl, dem Kavalier aus den österreichischen Erblanden, auf der Hochzeitsreise begriffen, sich rasch entschloß, nach Westfalen zu fahren, um ihren Vetter zu sehen. Das junge Paar hatte sich nach dem, dem Oberhofe zunächst gelegenen Städtchen des Diakonus begeben, während der Oberamtmann den Weg nach dem Oberhofe selbst einschlug, auf dem er Jochem begegnete.

Ihr bleibt nun hier, Jochem, sagte der Oberamtmann, ich aber will das Geschäft in der Bauerkathe, in dem sogenannten Oberhofe besorgen.

Warum fahren Sie nicht vor. Herr Oberamtmann, fragte der alte Jochem.

Weil ich alles Aufsehen vermeiden will, versetzte der Geschäftsmann. Wie Ihr mir Euren Herrn beschreibt, Jochem, ist er in einer etwas erhöhten Stimmung. Unterhandlungen aber mit Leuten in solcher Stimmung wollen ganz besonders vorsichtig angefaßt sein, sonst mißlingen sie leicht. Ich würde mit dem Wagen die Leute im Hofe aufmerksam machen, der Graf könnte durch die Anwesenheit von Zeugen gereizt werden, und was dergleichen mehr sein dürfte. Deshalb ziehe ich es vor, allein, gleichsam schleichend, nach der Kathe zu gehen, ihn so zu überraschen und sacht mit fortzunehmen. – Eine Liebschaft. Jochem, sagt Ihr?

So sagt' ich, Herr Oberamtmann, versetzte der alte Jochem. Aber er wollt' nichts mehr damit zu thun haben und weinte dabei erbärmlich.

Kenne das, Jochem, sagte der Oberamtmann. Rixae amantium u. s. w. – Er schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, daß der Mackintosh wie das Segel eines Hamburger Evers flog und rauschte und rief: Großer Gott, so behielte ja der Merkur Recht mit der Reise nach dem aufgelesenen Schätzchen!

Herr Oberamtmann, sagte der alte Jochem, wenn ich Ihnen raten soll, so schicken Sie mich nach dem Hofe, denn ich weiß doch allein meinen Herrn zu behandeln. – Der Oberamtmann maß den Alten mit einem geringschätzigen Blicke und schüttelte das Haupt. Der Alte, den dieser Blick etwas verdroß und der die Eigenheit hatte, daß er zuweilen laut dachte, murmelte, daß jeder es verstehen konnte: Wenn der ihn mit seiner Unterhandlung aus dem Oberhofe fortbringt, so will ich nicht Jochem heißen.

Nicht weit von dem Platze, auf welchem dieses Gespräch vorfiel, torkelte unter den Tannen ein Mensch umher, dessen Gebärden einen Betrunkenen verrieten. Was diesen Betrunkenen vor anderen seines Zustandes auszeichnete, war, daß er nicht fiel, obgleich ein Leierkasten, den er auf dem Rücken trug, hin und her rutschend das Gewicht auf der Seite vermehrte, auf welche er sich gerade neigte. So aber mit dem bald links, bald rechts fliegenden Leierkasten gewährte der Patriotenkaspar – denn dieser war der Betrunkene – ein Schauspiel eines auf hohen Wellen treibenden Schiffes, welches gleichwohl nicht untergeht. Er hatte sich von dem Erlöse des Silberringes, den er an einen Hausierer verkauft, auf das Rachegefühl der Nacht in dem kalten Morgennebel gütlich gethan, und war so in diese Verfassung geraten, welche ihn jedoch nicht hinderte, zwar heftige, aber doch völlig zusammenhängende Reden zu führen, die er unaufhörlich hervorsprudelte.

Der Weg nach dem Oberhofe lief durch die Tannen. – Das Pferd bleibt wohl ruhig hier stehen, sagte der Oberamtmann. Geht doch etwas voran, Jochem, und haltet mir den Menschen da seitab; Ihr wißt, daß ich mit Betrunkenen nicht gern zu schaffen habe.

Jochem ging voran und der Oberamtmann folgte in gemessener Entfernung. Er sah, daß der Alte mit dem Betrunkenen sich in ein Gespräch gab, und rief, was da vor sei? Jochem kam zurück und meinte, das sei der kurioseste Unselige, der ihm jemals vorgekommen. Bloß die Beine sind benebelt, sagte er; im übrigen ist der wüste Kerl vernünftig und spricht verständig wie ein nüchterner Mensch von Protokoll und Mord und Totschlag.

Als der Oberamtmann diese Worte hörte, horchte er hoch auf. Der Oberamtmann war ein begeisterter Jurist, der sich insbesondere mit der Hoffnung trug, auf dieser Reise durch Länder rheinischen Rechts das Schwurgericht kennen zu lernen. Was giebt es denn damit? fragte er sehr gespannt. Sein Widerwille gegen den Betrunkenen war viel kleiner als seine Neugier nach dem Protokolle und nach dem Mord und Totschlag. Er ging daher zu dem Patriotenkaspar, der wirklich einen eigenen Rausch hatte, von dem so zu sagen nur die Extremitäten angegangen waren, das Gehirn aber unversehrt geblieben war. Ein nicht seltener Fall bei erschöpften Körpern. Der betrunkene Spielmann rief dem Oberamtmann gleich entgegen: Könnt Ihr mir ein Protokoll machen, he?

Mein Freund, das könnte ich allerdings wohl, versetzte der Oberamtmann mit einem juristischen Lächeln.

Nun denn, so kommt Ihr mir ja wie ein wahrer Retter in der Not entgegen, rief der Spielmann und wollte den Oberamtmann umarmen. Dieser wich zurück, darüber verlor Kaspar das Gleichgewicht und fiel mit der Nase auf die Erde. Er raffte sich aber gleich wieder empor, ließ den Fall sich nicht anfechten und fuhr fort: Macht mir ein Protokoll, und ich will Euch zeitlebens dankbar sein.

Aber was soll denn in dem Protokolle stehen? fragte der Oberamtmann. – Herr, sagte der alte Jochem, wollen Sie nicht weiter nach dem Oberhofe? – Ich bitte Euch, Jochem, laßt mich doch; man muß jeden Menschen anhören, versetzte ungeduldig der Oberamtmann, dessen Teilnahme an diesem nach einem Protokolle durstigen Trunkenen sichtlich wuchs.

Mord und Totschlag soll darin stehen! rief der Patriotenkaspar. – Ich habe einen Menschen totgeschlagen und keiner will mir ein Protokoll darüber machen, auf daß ich mein Recht und meine Strafe empfange, wie sich gebührt.

Die Gestalt des Oberamtmanns verwandelte sich bei dieser unerwarteten Nachricht zu der hölzernen Säule, an welcher er seine Inkulpaten züchtigen ließ. Ein solcher Fall war ihm nie vorgekommen. Auch der alte Diener zeigte sich erstaunt und rief: Ich sag's ja immer, wenn man aus Schwabenland heraus ist unter die Franken und Sachsen und die Polacken gekommen, hört Recht und Gerechtigkeit auf. 's ist a wüst Volk haußen.

Ihr habt einen totgeschlagen und sie wollen kein Protokoll darüber aufnehmen? fragte der Oberamtmann einigermaßen entsetzt.

Richtig. Einen totgeschlagen und keine Möglichkeit, mein Protokoll darüber gemacht zu kriegen! erwiderte der Spielmann.

Der Oberamtmann bedachte sich, senkte das Haupt, spannte in dieser denkenden Stellung den Mackintosh wie einen Wandschirm aus, und sagte dann: Dieser Mensch ist entweder verrückt, denn der Trunk hat ihn, wie augenscheinlich, nicht um seinen Verstand gebracht, oder es herrscht eine Nachlässigkeit der Behörden hier, die ohne Beispiel sein dürfte. – Er hielt dem Patriotenkaspar die fünf Finger seiner rechten Hand vor die Augen und fragte: Was seht Ihr da?

Fünf Finger, versetzte der Spielmann.

Guckt einmal da oben hinauf. Was seht Ihr über Euch?

Den Himmel. Es ist aber noch Haarrauch, deshalb sieht man nicht viel vom Himmel.

Sagt mir die Wochentage her. – Der Spielmann nannte alle Tage vom Sonntag bis zum Samstag in ihrer gehörigen Reihenfolge.

Welches sind die zehn Gebote? – Der Spielmann hob von dem »nicht andere Götter haben neben mir« an und ließ keins aus.

Nach dieser Geisteserforschung sprach der Oberamtmann: Dieser Mensch ist so wenig irr, als ich oder Ihr, Jochem, folglich ein geständiger Totschläger, der von Reue und Gewissensbissen zerfleischt, sich angiebt, dennoch nicht eingezogen, ja nicht einmal zur Anzeige gelassen wird. Schöne Wirtschaft! Was für ein Staat! – Kommt mit hinein in jenes Haus, sagte er zum Patriotenkaspar, es wird ja wohl ein Bogen Papier nebst Feder und Tinte darin zu haben sein. Ich will etwas kurzes Schriftliches von Euch aufnehmen und mir während dessen überlegen, was weiter in der Sache zu thun ist.

Aber, Herr Oberamtmann, der Oberhof – sagte der alte Jochem.

Der Oberhof läuft uns ja nicht fort, versetzte der Jurist, und Euren Herrn werde ich eine Stunde später auch noch finden. Diese Sache geht vor, man soll von mir nicht sagen, daß ich von einem Kapitalverbrechen gehört habe und meiner Wege dabei vorübergegangen sei. Bleibt Ihr bei dem Pferde, Jochem, und Ihr, Mensch, folgt mir.

Man sieht, daß der Oberamtmann kurz vor der Fahrt im würtembergischen Landrechte gelesen hatte. Er ging voran in das einsam liegende Haus, der Patriotenkaspar torkelte nach, sehr vergnügt, ein Protokoll gemacht zu bekommen, und der alte Jochem blieb kopfschüttelnd bei dem Pferde stehen, welches eine Art von Krippenbeißer war, denn es stieß beständig mit dem Kopfe nach vorn hinunter.


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