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Bist du wohl schon, Lisbeth, an einem klaren Sonnenmorgen durch einen schönen Wald gegangen, zu dem der blaue Himmel durch die grünen Kronen einblickte, wo dich der Odem der Bäume wie ein Hauch Gottes anwehte und dein Fuß von den Spitzen der Gräser tausend blitzende Perlen streifte!?
Wohl bin ich das, Oswald, erst noch neulich, als ich durch das Gebirg nach den Zinsen und Gülten ging. Es ist gar herrlich, im grünen, frischen Wald: ich könnte Tage lang hindurchwandern, ohne einem Menschen zu begegnen, und fürchtete mich nicht. Der Rasen ist der Mantel Gottes, man ist von tausend Englein beschirmt, man stehe oder sitze darauf. Jetzt ein Hügel und dann eine Ecke; ich lief und lief, weil ich immer dachte, dahinter schwebe der Wundervogel mit blauen und roten Schwingen und dem Goldkörnchen auf dem Haupte. Ich lief mich heiß und rot, und nicht müd'; man wird nicht müde im Walde!
Und sahst du hinter Hügel und Hecke den Wundervogel nicht schweben, so standest du atmend still und hörtest weit, weit aus dem Eichenthal herauf den Schall der Axt, die Uhr des Forstes, die da ansagt, daß auch in solcher lieben Einöde dem Menschen seine Stunde rinne.
Oder weiterhin, Oswald, die freie Sicht den Hang hinauf zwischen dunkeln, runden Buchen und oben doch wieder der Kamm der Halde von hohen Stämmen beschlossen! Da weideten rote Kühe und schwangen die Glöcklein, der Thau im Grase gab der Senkung im Sonnenlicht einen silbergrauen Schein, und die Schatten der Kühe und der Bäume spielten darauf Versteckens mit einander.
An einem solchen sonnenklaren Morgen begegneten vor vielen hundert Jahren zwei Jünglinge einander im Walde Es war in dem großen Waldgebirge, der Spessart genannt, welches die Markscheide zwischen den lustigen rheinischen Gauen und dem gesegneten Frankenlande macht. Das ist dir ein Wald, liebe Lisbeth, der zehn Stunden in der Breite und zwanzig in der Länge, Ebenen und Berge, Thäler und Klüfte bedeckt.
Auf der großen Heerstraße, die quer durch vom Rheinlande nach Würzburg und Bamberg läuft, begegneten einander die Jünglinge. Der eine kam von Abend, der andere von Morgen. Ihre Tiere waren so verschieden als ihre Wege. Der vom Morgen saß auf einem gelben, fröhlich tanzenden Rößlein und stolzierte gar stattlich im bunten Wappenrock unter rotem Sammetbarett, von welchem die Reiherfedern herabwallten; der vom Abend trug eine schwarze Kappe ohne Abzeichen, einen langen Schülermantel gleicher Farbe, und ritt auf einem bescheidenen Maultiere.
Als der junge Ritter dem fahrenden Schüler sich auf Rosseslänge genähert hatte, hielt er seinen Gelben an, bot dem Andern freundlich die Zeit und sagte: Guter Gesell, ich wollte soeben absteigen und meinen Morgen-Imbiß halten. Da nun aber zur Minne, zum Spiele und zum Mahl zwei gehören, wenn diese drei lustigen Dinge gehörig von statten gehen sollen, so wollte ich Euch fragen, ob Ihr nicht auch absteigen und mein Partner sein wollt? Eurem Grauen würde ein Maul voll Gras nicht minder schmecken als meinem Gelben. Der Tag wird heiß werden, und den Tieren ist einige Rast vonnöten.
Der fahrende Schüler war mit dem Vorschlage zufrieden. Beide stiegen ab und setzten sich an der Straße auf dem wilden Thymian und Lavendel nieder, von welchem, wie sie sich setzten, eine ganze Wolke Wohlgeruchs emporstieg, und hundert Bienchen, die in ihrer Arbeit gestört wurden, sich summend erhoben. Ein Knapp, der mit einem schwerbeladenen Gaule dem jungen Ritter gefolgt war, nahm die beiden Tiere in Empfang, reichte seinem Herrn aus dem Schnappsack Flasche und Becher nebst Brot und Fleisch, kandarte die Tiere ab und ließ sie seitwärts vom Heerwege grasen.
Der fahrende Schüler faßte in die Seitentasche des Mantels, zog die Hand verdrießlich zurück und rief: O über meine ewige Zerstreuung! Hatte ich mir doch heute morgen in der Herberge das Frühstück so sauber zurecht gelegt und eingewickelt, da muß mir etwas anderes eingefallen sein, und über diesen Gedanken habe ich meine Kost vergessen.
Wenn es weiter nichts ist, rief der junge Ritter, hier ist genug für Euch und mich! Er teilte Brot und Fleisch, schenkte den Becher voll und reichte Festes und Flüssiges dem andern hin. Hierbei faßte er ihn schärfer ins Auge, und so that der andere auch, und da entfuhr ihnen beiden ein Ausruf des Erstaunens. Seid Ihr nicht ... Bist du nicht ... riefen sie. Freilich bin ich der Konrad von Aufseß! rief der junge Ritter. Und ich Petrus von Stetten! der Andere. Sie umarmten einander und konnten sich vor Freude über dieses unvermutete Wiedersehen kaum fassen.
Es waren Spielkameraden, die sich zufällig im grünen Spessart trafen. Die Väter hatten auch Freundschaft mit einander gehabt, die Söhne hatten zusammen Ball geschlagen, sich hundertmal des Tages gezankt und eben so oft versöhnt. Der junge Petrus war aber von jeher stiller und nachdenklicher gewesen als sein Gefährte, dem nichts im Kopfe sitzen blieb als die Namen der Waffenstücke und des Reitzeuges. Endlich hatte Petrus dem Vater erklärt, er wolle gelahrt werden, und war gen Köln gezogen, zu den Füßen des berühmten Albertus Magnus zu sitzen, der aller bekannten Wissenschaften Meister war, und von dem das Gerücht sagte, er sei auch in geheime Künste tief eingeweiht.
Eine geraume Zeit verfloß seitdem, in welcher keiner etwas von dem andern hörte. Nachdem der erste Sturm der Freude sich jetzt gelegt hatte, und das Frühstück beseitigt worden war, fragte der Ritter den Schüler, wie es ihm denn gegangen sei?
Darauf, mein Freund, kann ich dir eine sehr kurze und müßte ich dir eine sehr lange Antwort geben, versetzte der Schüler. Eine kurze, wenn ich dir bloß die äußere Figur und Schale meines zeitherigen Lebens vorzeichnen soll, eine lange. o eine unendlich lange, begehrst du, den innern Kern aus dieser Schale zu kosten!
Ei, Närrchen, rief der Ritter, was für schwere Reden führst du da! Gieb mir die Schale und ein Stückchen vom Kern, wenn die ganze Nuß zu groß für eine Mahlzeit ist.
So wisse, erwiderte der andere, daß mein sichtbares Leben zwischen engen Ufern rann. Ich wohnte in einem kleinen düstern Gäßchen bei stillen Leuten im Hinterhause. Mein Fenster ging auf den Garten hinaus, dessen Bäume und Stauden ihren ernsten Hintergrund von den Mauern des Tempelhauses erhielten. Ich hielt mich sehr einsam und für mich, knüpfte weder mit den Bürgern noch mit den Schülern Umgang an. So ist es gekommen, daß ich von der großen Stadt nichts kennen gelernt habe als die Straße von meinem Häuschen nach den Dominikanern, wo mein großer Meister lehrte.
Wenn ich nun in meine Klause zurückgekehrt war und die Mitternacht bei der Studierlampe herangewacht hatte, so blickte ich wohl aus dem Fenster, um die erhitzten Augen an dem dunkeln Sternenhimmel abzukühlen. Dann sah ich nicht selten in dem gegenüberliegenden Tempelhause Licht; bei dem Scheine roter Fackeln zogen die Ritter in ihren weißen Ordensmänteln wie Geister durch die Galerien, verschwanden hinter den Pfeilern und kamen dann wieder zum Vorschein; im äußersten Eck des Flügels wurden vor den Fenstern Vorhänge niedergelassen, durch deren dünne Stellen aber ein wundersamer Schein drang, und hinter welchen sich Weisen vernehmen ließen, welche süß und schaurig wie verbotenes Gelüste durch die Nacht drangen.
So gingen meine Tage hin, unscheinbar von außen, innen aber ein glänzendes Fest aller Wunder. Albertus zeichnete mich bald vor den übrigen Schülern aus; nicht lange, so merkte ich, daß er gewisse Worte, die den andern unbeachtet vorüberschlüpften, gegen mich mit einer besonderen Betonung zu wiederholen pflegte; Worte, die auf den geheimnisvollen Zusammenhang alles menschlichen Wissens und auf eine tief unten in dunkler Verschwiegenheit treibende gemeinsame Wurzel des großen Baumes hinwiesen, welcher da droben am Lichte seine gewaltigen Zweige als Grammatik, Dialektik, Redekunst, Zahlenlehre, Geometrie, Astronomie und Musik auseinander legte. – Sein Auge ruhte bei solchen Worten durchdringend auf mir, und meine Blicke ließen ihn erkennen, daß er eine tiefe Sehnsucht nach den letzten und größten Schätzen seines Geistes in mir entzündet hatte.
So kam es denn allgemach, daß ich der Vertraute seiner heimlichen Werkstatt und der Lehrling wurde, auf den er einen Teil seines Pfundes als kostbares Vermächtnis vererben wollte. – Es giebt nur ein Mark der Dinge, welches hier im Metall lastet und wieget, dort in der schwankenden Pflanze, im leichtsinnigen Vogel vom Urkern sich abzulösen ringt. Alles wandelt und verwandelt sich; Gott wirkt zwar in der Natur, aber die Natur wirkt auch für sich, und wer der rechten Kräfte Meister ist, der kann ihr eigenes und selbständiges Leben hervorrufen, daß ihre sonst in Gott gebundenen Glieder sich zu ganz neuen Regungen entfalten. – Mein hoher Meister führte mich an sicherer Hand dem Brunnen zu, wo jenes Mark der Dinge quillt. Ich tauchte meinen Finger hinein, da wurden alle meine Sinne voll übermenschlichen Schauens. In der rußigen Schmelzküche saßen wir seitdem oft zusammen und schauten in die Gluten des Ofens; er vorn auf niedrigem Schemel, ich hinter ihm kauernd, mich fest an ihn drückend und ihm die Kohlen oder die Erze darreichend, die er mit der Linken in den Tiegel warf, denn mit der Rechten hielt er mich liebreich gefaßt. Da wehrten sich die Metalle, die Salze und die Säuren prasselten, wie in einer festen Burg wollte sich der hohe König, der alle Welt regiert, inmitten scharfwinklichter Krystalle verteidigen, zornig entbrannten die roten, blauen und grünen Vasallen und streckten uns die glühenden Speere abwehrend entgegen, aber wir brachen die Werke und kämpften die Mannen danieder, und über Schlackentrümmer hinüber lieferte sich uns demütig der glänzende Fürst aus. Das Gold an sich ist nichts für den, der sein Herz nicht an Irdisches hängt, aber diese teuerste und köstlichste Gabe der Natur in allem und jedem, auch in dem geringfügigsten und unscheinbarsten zu erkennen, das gilt dem Weisen viel. Zu andern Stunden wiesen uns die Sterne ihre Kreise, die als Geschichte sich ablösten und zur Erde sanken, oder die innigen Verwandtschaften der Töne und der Zahlen wurden wach, und zeigten uns die Bündnisse, welche zu schildern kein Wort genügt, die sich vielmehr nur wieder in Zahl und Ton offenbaren. In allem diesem geheimen Wesen und Weben aber schwebte, daß es nicht wieder zu kalter, klebriger Gestaltung zerrinne, ewig verbindend und ewig lösend, sich in dem Hader nie verwelkender Jugendkraft in sich und an den Dingen entzweiend, das große, unergründliche: der dialektische Gedanke.
O selige, genügliche Zeit des erschlossenen Verstehens. des Wandelns durch die innern Säle des Palastes, an dessen metallener Pforte die andern vergeblich anklopfen! Endlich – –
Der fahrende Schüler, dessen Lippen bei der Erzählung sich in einem dunklen Rote immer glühender gefärbt hatten, und dessen Augen von einem seltsamen Feuer blitzten, hielt hier, wie aus seiner Begeisterung plötzlich ernüchtert, inne. Der Ritter wartete vergeblich auf die Vollendung der Rede, dann sagte er zu seinem Freunde: Nun? Endlich –
Endlich versetzte der Schüler mit einem gezwungen-gleichgiltigen Tone, mußten wir uns doch trennen, wenn auch nur auf kurze Zeit. Mein hoher Meister schickt mich jetzt nach Regensburg, aus der Sakristei des Domes gewisse Schriften zu erbitten, die er als Bischof dort zurückgelassen hat. Ich bringe sie ihm und werde dann freilich meine Tage, wenn es angeht, bei ihm verleben.
Der junge Ritter tröpfelte den Rest des Weines in den Becher, sah hinein und trank den Wein bedächtiger als er früher gethan hatte. Du hast mir da wunderbare Sachen vertraut, hob er nach einigem Schweigen an, Sachen, in die ich mich wohl zu finden weiß. Gottes Welt scheint mir so schön geputzt zu sein, daß es mir kein Vergnügen machen würde, diese lieblichen Schleier abzustreifen, und, wie du sagst in das Innere der Kreatur zu schauen. Der Himmel blaut, die Sterne leuchten, der Wald rauscht, die Kräutlein duften, und ist dieses Blauen, Leuchten, Rauschen und Duften nicht das allerschönste, hinter welchem es kein schöneres mehr giebt? Verzeihe mir; aber ich bin nicht neidisch auf deine geheime Wissenschaft. Du Armer! Rot macht sie nicht, diese Wissenschaft. Deine Wangen sind ganz bleich und eingefallen.
Einem jeden werden seine Pfade gewiesen, dem einen dieser, dem andern jener, versetzte der Schüler. Nicht der Sprung des Blutes macht das Leben aus; weiß ist der Marmor, und Marmorwände pflegen die Räume einzuschließen, in welchen Götterbilder aufgerichtet stehen. – Doch genug davon, und nun zu dir. Was hast du denn getrieben, seit wir uns nicht sahen?
Ach, davon, rief der junge Ritter Konrad mit seiner ganzen Lustigkeit, ist wenig zu vermelden! Ich stieg zu Roß und stieg wieder herunter, fuhr an manchen guten Fürstenhöfen umher, verstach manchen Speer, gewann manchen Dank, mißte manchen Dank, schaute in manches minniglichen Weibes Auge. Meinen Namen kann ich schreiben, meinen Degenknopf drücke ich daneben in Wachs ab, ein Lied kann ich reimen, wenn auch nicht so gut, wie Meister Gottfried von Straßburg. Schwertluite und Waffenwacht brachte ich hinter mich und empfing den Ritterschlag zu Forchheim, jetzt reite ich gen Mainz, wo der Kaiser das Tournier halten will, mich baß zu tummeln und des Lebens zu freuen.
Der Schüler sah nach dem Stande der Sonne und sagte: Es ist traurig, daß wir nach diesem herzlichen Treffen uns sobald wieder trennen sollen. Aber doch wird es, wenn wir unser Ziel heute zu erreichen wünschen, notwendig sein.
Komm mit gen Mainz! rief der andere, indem er aufsprang und den Schüler in einer sonderbar gerührten Stimmung, die gleichwohl ein Lachen zuließ, ansah. Laß das finstere Regensburg und den Dom und die Sakristei; erheitere dein Antlitz unter fröhlichen Gesellen am runden Tisch in der Weinlaube und vor den Blumenfenstern lieblicher Mädchen, laß deine Ohren durch Flöten- und Schalmeienklang rein baden von den schauerlichen Vigilien der Tempelherren, die ja in der ganzen Christenheit für arge Ketzer und Baffometuspriester gelten. Komm mit gen Mainz, mein Petrus!
Die letzten Worte sprach er schon im Sattel. Er streckte dabei, wie flehend, seine Hand nach dem Freunde aus. Dieser wandte sich seitwärts ab und zog seinen Arm verweigernd zurück. Was fällt dir ein! rief er unwillig lächelnd. Ach, mein Konrad, hätte ich nicht vorher gesagt, daß jedem seine Straße gewiesen sei, so würde ich dir zurufen: Kehre du um, du Leichtsinn, du Fahrlässiger! Die Jugend vergeht, der Scherz verklingt, das Lachen will eines Tages plötzlich nicht mehr gelingen, weil das Antlitz zu starr geworden ist, oder grinset widerwärtig aus welken Runzeln! Wehe dem, wessen Scheuern dann nicht voll, wessen Kammern nicht gerüstet sind! Ach! es muß etwas Trübes um so ein kahles, verarmtes Alter sein, und das Sprichwort hat wohl recht, welches sagt: Zu lustig am Morgen, schafft abends Kummer und Sorgen. Wenn ich dich so ansehe, mein Jugendbruder, kann mir recht bange um dich werden, o wer weiß, wie verwandelt ich dich wieder treffe!
Der Ritter schüttelte dem ernsten Schüler herzlich die Hand und rief: Vielleicht bist du verwandelt, stoßen wir wieder auf einander, prunkst in Sammet und Seide, und thust's uns allen zuvor! – Er sprengte davon, und aus der Ferne hörte der Schüler ihn noch ein Lied singen, welches damals von Mund zu Mund ging und ungefähr so lautete:
Die schönste Rose, die da blüht,
Das ist der rosenfarb'ne Mund
Von wonniglichen Weiben;
Sie thut sich erst als Knospe kund,
In sich geschlossen, und bemüht,
So recht für sich zu bleiben!
Der Mai küßt alle Rosen wach,
Auf rosenfarb'nen Mund der Kuß:
Die Lippe kommt zum Blühen;
Drum keine Lippe ohne Kuß,
Und jedem Kuß an seinem Tag
Der schönsten Lippen Glühen!
Ein Schmetterling flog vor dem Schüler auf. Ist das Leben der meisten Menschen nicht dem Flattern dieses Falters zu vergleichen? sagte er. Bunt und leicht prunkt er dahin und doch sind seine Freuden so kurz und öde. Mit gewaltigen, großen Augen blickt er umher, aber die matten Spiegel empfinden nur eine leere Abwechselung von Licht und Schatten, nicht die volle Gestalt, die feste Farbe. – Der Wald sah ihn aus seinen grünen Tiefen mit unwiderstehlichem Blick an. Was thut's, rief er, wenn mein geduldig Tier auf diesem Rasen eine Weile allein zurückbleibt! Es läuft mir nicht davon, ich spüre so eine innige Sehnsucht, ein Stündchen da hinein zu wandern, wie labend muß es da tief drinnen sein.
Er schritt seitab von der Landstraße auf einem engen Pfade, der sich nach kurzem Gehen zwischen den hohen Stämmen zu Thale senkte, in den Wald, und war bald in einer völligen Einsamkeit, in der es um ihn her rauschte, flüsterte, schwirrte, und nur einzelne Sonnenlichter, grünlich gebrochen, wie Irrlichter ihn umspielten. Zuweilen war es ihm, als ob sein Name hinter ihm aus der Ferne gerufen werde, er wußte selbst nicht, der Ruf kam ihm widerwärtig und hassenswürdig vor, dann hielt er den Ton auch wohl wieder für eine Täuschung, aber er mochte dies oder das denken, fürbaß schritt er nur immer tiefer in den dunklen Forst. Große knorrige Baumwurzeln lagen wie Schlangen quer über den Weg hingespannt, daß der Schüler beinahe über sie gestolpert wäre. Hirschkäfer standen wie Edelwild im Mose. Aus kleinen Felsgrotten leuchtete der Psittigglanz des Goldmooses. Der Schweiß stand ihm vor der Stirne, wie er so immer hastiger sich in das Dickicht hineinarbeitete und vor der lichten Sonnenwelt da draußen floh. Aber es war nicht bloß der Gang, der ihn heiß machte, auch sein Gemüt arbeitete unter der Last schwerer Erinnerungen. – Endlich kam er, nachdem ihm der Pfad längst unter den Füßen geschwunden war, auf einen schönen, glatten, dunklen Platz unter mächtigen Eichen. Noch immer hörte er aus der Ferne seinen Namen rufen. Hier wird mich der rohe Laut von da draußen nicht mehr erreichen, sagte er, hier werde ich still geborgen sein. Er sank an einem großen, moosbedeckten Steine nieder, seine Brust wogte, er kämpfte mit einem gewaltigen Gelüste. Vergieb mir, hoher Meister, meinen Fürwitz, rief er; aber es giebt ein Wissen, dem die That folgen muß, sonst erdrückt es den Sterblichen! Hier, näher dem Herzen der großen Mutter, wo unter dem Sprießen und Wachsen schon vernehmlicher ihre Pulse klopfen, hier muß ich es aussprechen, das Zauberwort, welches ich von deinen schlafenden Lippen ablauschte, als du es im Traume sprachest; das Wort, auf dessen Ertönen die Kreatur den Schleier hinwegwirft, die Kräfte sichtbar werden, die unter Rinde und Haut und im Kerne des Felsens arbeiten, und die Sprache des Vogels dem Ohre verständlich klingt.
Seine Lippen zuckten, das Wort zu sprechen, aber noch hielt er inne, denn vor sein Auge trat der kummervolle Blick, mit dem ihn sein großer Meister Albertus gebeten hatte, nach seinem Beispiele von der zufällig erlangten Kunde keinen Gebrauch zu machen, da schwere Dinge dem Menschen bevorständen, der mit Absicht das Zauberwort spräche.
Plötzlich jedoch rief er es, wie von dem Verbote und von der Furcht nur um so gewaltiger vorwärts gestoßen, laut in den Wald, indem er seine Rechte ausstreckte.
Alsobald that es in ihm einen Schlag und einen Ruck, daß er meinte, der Blitzstrahl habe ihn getroffen. Seine Augen erblindeten, und es war ihm, als ob ihn ein reißender Wirbelwind im Kreise durch den unermeßlichen Raum schleudere. Als er entsetzt und schwindlig mit den Händen umhergriff, fühlte er zwar den moosigen Stein, an dem er gestanden, und kam dadurch in seinem Innern wieder zur Erde zurück, aber nun geschah an ihm ein neues unheimliches Zeichen. Denn wie er vorher gleich einem Sandkorn durch das All geschleudert worden war, so kam es ihm nun vor, als ob sich sein Leib in das Unendliche ausdehne. Unter furchtbaren Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte Kraft seine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er meinte, er müsse an den Himmel rühren. Die Wände seines Hauptes und seiner Brust wurden tempelweit, in sein Ohr fielen Töne, fremd, zerreißend, himmlisch, und er sagte zu sich: das ist der Gesang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. Endlich machten die Schmerzen einer prickelnden Wollust Raum, in welcher er seinen Körper wieder zu gewöhnlichem Maße zusammenschrumpfen fühlte, während die Riesengestalt wie eine äußere Schale, oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umrissen um ihn stehen blieb. Die Finsternisse wichen von seinen Augen, indem sich große, gelbglänzende Lichtflächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von den Äpfeln ablösten und in die Augenwinkel zogen, wo sie allmählich verschwanden.
Während er so wieder sehend wurde, sang ein feiner, süßstimmiger Chor um ihn her – er wußte nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch Zweige, Stauden und Gräser ihren Beitrag? – ganz vernehmlich:
Wir dürfen's ihm sagen,
Er muß es ertragen:
Gehört uns nun eigen,
Wird balde
Im Walde
Erkalten und schweigen.
In dem moosigen Felsblock murrte es leise aber hörbar, es war, als ob der Stein sich regen wollte und konnte es nicht, wie ein Scheintoter. Der Schüler blickte auf die Fläche des Steins, ach! da liefen die grünen und roten Adern zu einem uralten Antlitz zusammen, welches ihn aus müden Augen so wehmütig und hilfestehend anschaute, daß er sich erschüttert anwandte und bei den Bäumen, Pflanzen und Vögeln Trost suchte.
Unter denen war auch alles verwandelt. Wenn er auf das kleine braune Moos trat, so ächzte es und schrie über den unsanften Druck, und er sah, wie es die behaarten Händchen rang und die gelben oder grünen Häuptlein schüttelte. Die Stengel der Pflanzen und die Stämme der Baume befanden sich in einer immerwährenden schraubenförmigen Bewegung, und zugleich ließ ihn die Rinde oder die äußere Haut in das Innere blicken, worin seine Geisterlein zartglänzende Tröpfchen in die Röhren schütteten. Dann stieg das klare Naß von Röhre zu Rühre, indem sich unaufhörlich Klappen öffneten und zuschlossen, bis es oben in den Haarröhrchen der Blätter zu einem grünen Dufte wurde. Leichte Verpuffungen und Feuer entzündeten sich nun in dem Geäder der Blätter; ein Ätherisches, Flammendes spieen unaufhörlich ihre feingeschnittenen Lippen aus, während ebenso unaufhörlich der schwerere Teil jener feurigen Erscheinungen in weichen Dampfwellen durch die Blätter hin und her schlich. In den blauen Glockenblumen, die auf dem feuchten Waldgrunde standen, war ein Klingen und Singen; sie trösteten mit einem schönen Liede das arme alte Antlitz im Stein und sagten, wenn sie nur vom Boden los könnten, so würden sie ihm herzlich gern die Erlösung bringen. Aus den Lüften blickten den Schüler sonderbare grüne, gelbe und rote Zeichen an, die immer sich zum Bilde fügen wollten, und dann wieder auseinanderbrachen, von allen Seiten kroch und schritt das Gewürm und Gekäfer an ihn heran und trug ihm verworrene Anliegen vor; der eine wollte dies sein, der ander das, der eine begehrte eine neue Flügeldecke, der andere hatte sich den Rüssel abgebrochen; was in den Lüften zu schweben pflegte, bettelte um Sonnenschein, das Kriechende dagegen um die Feuchtigkeit. Dieses ganze Gesindel nannte ihn ein Herrgott, so daß ihm fast wieder die Sinne zu schwanken begannen.
Auch bei den Vögeln war des Zwitscherns, Plapperns und Erzählens kein Ende. Ein Buntspecht kletterte an der Borke einer großen Eiche auf und nieder, hackte und pickte nach den Würmern und ward nicht müd' zu schreien: Ich bin der Förster: ich muß für den Wald sorgen! – Der Zaunkönig sagte zum Finken: Es ist gar keine Freundschaft mehr unter uns; der Pfau will nicht leiden, daß auch ich ein Rad schlage, er meint, er habe allein das Recht dazu, und hat mich verklagt beim höchsten Gericht, und ich kann doch ein so schönes Rädlein schlagen mit meinem braunen Schwänzlein. – Der Fink versetzte: Laß mich zufrieden. Ich fress' mein Korn und kümmere mich sonst um nichts; ich hab' ganz andere Sorgen, zu meinem Waldschlag lern' ich die eigentlichen kunstmäßigen Weisen nur hinzu, wenn sie mich blenden; es ist aber schrecklich, daß aus einem erst was Rechtes wird, wenn man so hart verstümmelt worden ist. – Von Diebstählen plaudern die andern und von Mordthaten, die niemand gesehen, als die Vögel:
Sie fliegen wohl über den Kreuzweg hin,
Schaut keiner nach ihnen hin!
Dann setzten sie sich auf den Zweigen straff zurecht, guckten den Schüler spöttisch an und zwei freche Kohlmeisen riefen: Da steht der Zauberer und hört uns zu und weiß nicht, was mit ihm geschieht; nun der wird Augen machen! schrie der ganze Haufen und flog mit einem Gezwitscher davon, welches wie ein halbes Lachen klang.
Indem bekam der Schüler einen Wurf ins Gesicht, er blickte empor, da sah er ein ungeschliffenes Eichhorn, das hatte ihm die hohle Nuß auf die Stirn geworfen, lag platt auf seinem Aste auf dem Bauche, stierte ihm ins Gesicht und rief: Die hohle für dich, die volle für mich! – Ihr ungezogenes Gesindel, laßt den fremden Herrn doch zufrieden! rief eine schwarz und weiße Elster, die wackelnd durch das Gras herzugeschritten kam. Sie setzte sich dem Schüler auf die Schulter und sagte ihm ins Ohr: Ihr müßt nicht uns alle nach jenen unhöflichen Bestien beurteilen, gelahrter Herr, es giebt auch unter uns wohlgezogene Leute, da seht einmal durch die Öffnung hindurch jenen weisen Mann, das Wildschwein, wie es ruhig steht und seine Eicheln verzehrt, und dabei im stillen seine Gedanken hat. Herzlich gern will ich Euch Gesellschaft leisten und Euch erzählen, was ich nur weiß, das Reden ist mein Vergnügen, besonders mit alten Leuten.
Wenn das ist, so wirst du bei mir deine Rechnung nicht finden, ich bin noch jung, versetzte der Schüler.
Ach Himmel, wie sich die Menschen täuschen können! rief die Elster und sah gedankenvoll vor sich hin.
Indem war es dem Schuler, als höre er aus noch größerer Tiefe des Waldes ein Seufzen, dessen Ton ihm durch das Herz drang. Er fragte seine schwarz und weiß gesprenkelte Gesellschafterin nach der Ursache, die sagte ihm aber, sie wolle zwei Eidechsen darum ausforschen, die ihr Morgenbrot äßen. Er ging nun mit der Elster auf der Schulter nach dem Orte, wo diese Tierchen sich befinden sollten. Da hatte er eine wunderhübsche Schau. Die beiden Eidechschen waren gewiß vornehme Fräulein, denn sie saßen unter einem großen Pilze, der wie ein prachtvolles Schirmzelt sein goldgelbes Dach über ihnen ausspannte. Dort saßen sie und schlürften mit den braunen Züngelchen den Tau vom Grase, dann wischten sie sich die Mäulchen an einem Hälmlein ab und gingen mit einander im anstoßenden Lusthain von Farrenkräutern spazieren, welcher vermutlich der einen zugehörte, die ihre Freundin bei sich zum Besuch hatte. Schack! Schack! rief die Elster; der Herr möchte gern wissen, wer geseufzt hat? Die Eidechschen hoben die Köpfchen empor, wedelten mit den Schwänzchen und riefen:
Prinzessin in der Laub am Bronnen,
Der Kanker hat sie eingesponnen.
Hm! Hm! sagte die Elster und wackelte mit dem Kopfe, daß man so vergeßlich sein kann! Ja freilich, in der nahen Hainbuchenlaube schläft die schöne Prinzessin Doralice, die der böse König Kanker eingesponnen hat. O möchtet Ihr sie erretten, gelahrter Herr! – Den Schüler trieb das Herz, er fragte die Elster, wo die Laube sei? Der Vogel flog voran von Zweig zu Zweig, den Weg zu zeigen; so kamen sie an eine stille Wiese, rings eingeschlossen, durch welche ein Bächlein, aus einer Felsenspalte springend, floß, wo gar artige Läublein von Hainbuchen standen. Die Bäumchen hatten ihre Zweige zur Erde geschlagen, so daß sie den Boden wie ein Dach überwölbten, durch diese Dächer aber stachen die Fächerblätter des Farrenkrauts und schufen den Laubhäuslein die Luken und Giebel. Die Elster sprang auf eins der Laubhäuslein, schaute durch eine Luke und flüsterte geheimnisvoll: Hier schläft die Prinzessin. Mit klopfendem Herzen trat der Schüler hinzu, kniete vor der Öffnung der Laube nieder und blickte hinein – ach, da wurde ihm ein Anblick, der ihm Sinne und Seele in noch gewaltigeren Aufruhr jagte, als da er das Zauberwort aussprach. Auf dem Moose, welches wie ein Pfühl die schöne Last umquoll, ruhte die reizendste Jungfrau und schlummerte. Ihr Haupt lag etwas erhöht, den einen Arm hatte sie unter den Nacken geschoben, die weißen Finger leuchteten aus dem Goldbraun der Locken, welche in langen weichen Fluten sich zärtlich um Hals und Busen schmiegten. Mit unsäglicher Wonne und Wehmut schaute der Schüler in das herrliche Antlitz, auf den Purpur der Lippen, auf die Blüte der Glieder, von denen ein verklärender Widerschein auf das dunkle Mooslager fiel. Daß die Schläferin, wie von einem geheimen Druck belastet, in süßer Angst zu atmen schien, machte sie in seinen Augen nur noch verlockender, er fühlte, daß sein Herz auf immerdar gefangen genommen sei, und nur an diesem Munde sein Lechzen stillen könne. Ist es nicht schade, sagte die Elster, die durch die Luke in die Laube gehupft war, und sich der Schläferin auf den Arm setzte, daß eine so schöne Prinzessin sich hat müssen einspinnen lassen? – Wie? Einspinnen? fragte der Schüler: sie ruht ja, in ihren weißen Schleier gehüllt. – O Thorheit! rief die Elster, ich sage, es sind Spinnweben, und der König Kanter hat sie eingesponnen. – Wer ist der König Kanter?
Im menschlichen Zustande war er ein reicher Garnspinnerherr, versetzte die Elster, indem sie wohlgefällig mit dem Schwanze wippte. Er hatte seine Garnspinnerei nicht weit von hier, außer dem Walde, am Flüßchen, und an die hundert Arbeiter spannen unter ihm. Das Garn wuschen sie im Flüßchen. Darin wohnt aber der Nix, und der war ihnen schon lange bitterböse, weil sie mit der ekelhaften Wäsche seine klaren Fluten trübten, und weil alle seine Kinder, die Schmerlen und Forellen, von der Beize abstanden. Er wirrte das Garn unter einander, die Wellen mußten es über den Rand des Ufers schleudern, er trieb es abwärts in die Strudel, um den Spinnerherrn zu warnen, aber alles war vergeblich. Endlich, am Johannistage, an welchem die Flußgeister Macht haben, zu schrecken und zu schaden, spritzte er der ganzen Garnwäscherzunft und ihrem Haupte, da sie eben wieder ihre Wäscherei recht frech und gewissenlos trieben, Feienwasser in das Antlitz, und, wie wilde und blutdürstige Menschen Währwölfe und Währkater werden können, so sind die Garner und ihr Haupt Währ-Kanter geworden. Sie liefen alle vom Flüßchen zum Walde und hangen mit ihren Geweben überall an Bäumen und Sträuchern umher. Die Spinner sind gewöhnliche kleine Kanter geworden, fangen Fliegen und Mücken; ihr Herr aber hat fast seine frühere Größe behalten und heißt der Kanterkönig. Er stellt den schönen Mädchen nach, umspinnt sie, betäubt sie mit seinem giftigen Dunste und saugt ihnen dann das Blut vom Herzen. Zuletzt hat er diese Prinzessin überwältigt, welche von ihrem Gefolge im Walde abgekommen war. Sieh dort – dort – dort regt er sich zwischen den Büschen. Wirklich war es dem Schüler, als sehe er durch die Zweige gegenüber einen riesigen Spinnenleib schimmern, zwei haarige Füße, dick wie Menschenarme, arbeiteten sich durch das Laub: eine entsetzliche Angst um die schöne Schläferin ergriff ihn, er wollte dem Ungeheuer entgegenstürzen. Umsonst! rief die Elster und schlug mit den Flügeln: alle verzauberten Menschen haben furchtbare Kräfte, das Ungetüm würde dich in der Umknotung ersticken, aber streue deiner Schönen Farrensamen auf die Brust, der macht sie unsichtbar vor dem Kanker-König, und so lange nur ein Stäubchen davon liegt, dauert der Segen aus. Eiligst streifte der Schüler den braunen Staub von der unteren Fläche eines Farrenblattes ab und that, wie ihm der Vogel gesagt hatte. Indem er sich hierbei über die Schläferin beugte, rührte ihr Odem seine Wange. Verzückt rief er: giebt es kein Mittel, dieses geliebte Bild zu befreien? Oh! schrie der Vogel, und schoß wie toll in Zickzackflügen um den Schüler, wenn Ihr mich um so ein Mittel befragt, das giebt es wohl. Unser weiser Alter in der Kluft hat den Eibenbaum in Verwahr, wenn Ihr davon einen Zweig bekommt und mit demselben die Stirne der Schönen dreimal berührt, so weicht alle Fesselung, von ihr,
Denn vor den Eiben
Die Zauber nicht bleiben,
sie wird in Eure Arme sinken und Euch, als ihrem Retter, angehören. In diesem Augenblicke war es, als ob die Schlafende die Rede des Vogels vernähme. Ihr schönes Gesicht wurde von einer zarten Röte überzogen, ihre Züge nahmen den Ausdruck einer unendlichen Sehnsucht an. Führe mich zum weisen Alten! rief der Schüler halb von Sinnen.
Der Vogel sprang in die Büsche, der Schüler eilte ihm nach. Die Elster flatterte einen engen Felsenweg empor, der bald nur noch über Morast und wild umhergeworfene Steinblöcke gefährlich hinanleitete. Von Block zu Block mußte der Schüler klimmen, wollte er nicht im Sumpfe versinken. Seine Knie zitterten, seine Brust keuchte, seine Schläfe bedeckte kalter Schweiß. Er rupfte in der Eile Blumen und Blätter ab und streute sie auf die Steine, damit er den Weg wieder finden möchte. Endlich stand er auf bedeutender Höhe vor einem geräumigen Felsenportal, aus dessen dunklem Schlunde ihm eine Eisluft entgegenstrich. Die Natur schien hier noch in der uralten Gährung zu sein, so fürchterlich und zerrissen starrte das Gestein über, neben, vor der Höhle.
Hier wohnt unser Weiser! rief die Elster, indem sich ihre Federn vom Kopf bis zum Schweife sträubten und krausten, so daß sie ein unheimliches und widerwärtiges Ansehen bekam. Ich will dich bei ihm anmelden und fragen, wie er über deinen Wunsch gesonnen ist; mit diesen Worten schlüpfte sie in die Kluft. Sie kam aber gleich wieder herausgesprungen und rief: Der Alte ist mürrisch und eigensinnig, er will nicht anders dir den Eibenzweig geben, als wenn du ihm alle Ritzen der Höhle verstopfest, denn er sagt, die Zugluft sei ihm empfindlich. Aber ehe du damit fertig wirst, kann manches Jahr vergehen. – Der Schüler raffte des Mooses und Krautes zusammen, so viel er fassen konnte, und ging nicht ohne Schauder in die Höhle. Drinnen sahen ihn von den Wänden Tropfsteinfratzen an, er wußte nicht, wohin er sein Auge vor den abscheulichen Gestalten retten sollte. Er wollte tiefer in den Felsgang dringen, da schnarchte es ihm aus der hintersten Ecke entgegen: Zurück! Störe mich nicht in meinen Forschungen, treibe da vorne dein Wesen! Er wollte entdecken, wer da spreche, sah aber nichts als ein paar glührote Augen, die aus dem Dunkel leuchteten. Nun gab er sich an seine Arbeit, stopfte überall Moos und Kraut ein, wo er eine Spalte sah, durch welche ein Schimmer des Tageslichtes drang, aber das war ein schwieriges und wie es schien, unendliches Werk. Denn, glaubte er mit einer Spalte fertig zu sein und sich zu einer anderen wenden zu können, so fiel das Eingestopfte wieder heraus, und er mußte von vorn beginnen. Dazu schnarrte das Schnarchende im Hintergrunde der Höhle Töne und Laute ohne Sinn ab und ließ nur bisweilen verständliche Worte ausgehen, die so klangen, als ob es sich seiner tiefen Forschungen berühme.
Die Zeit schien dem Schüler in reißendem Fluge unter seiner verzweiflungsvollen Arbeit vorüber zu eilen. Tage, Wochen, Monate, Jahre kamen, so dünkte ihm, und schwanden, und dennoch spürte er weder Hunger noch Durst. Er glaubte sich dem Wahnwitze nahe und wiederholte sich still, mit einer Art von rasender Leidenschaft, die Jahreszahl und daß er am Tage Peter und Paul zum Walde gegangen sei, um nicht gar aus aller Zeit zu treten. Wie aus weiter Ferne sah ihn das Bild seiner geliebten Schlummernden an, er weinte vor Sehnsucht und Trauer und doch fühlte er keine Thräne über die Wangen rinnen. Auf einmal war es ihm, als sehe er eine bekannte Gestalt sich der Schläferin nähern, entzückt sie betrachten und sich dann wie zum Kusse über sie beugen. In diesem Augenblicke übermannten ihn Schmerz und Eifersucht. Alles um sich her vergessend, stürzte er gegen den dunkeln Hintergrund der Höhle. Den Eibenzweig! rief er heftig. Da wächst er! antwortete das Glühende, Schnarchende, und zugleich fühlte er die Zweige eines Baumes in der Hand, der aus einer finstern Spalte der Grotte emporstand. Er brach an einem Zweige, da that es ein Winseln um ihn her, das Glühende schnarchte stärker als jemals, die Höhle schwankte, schütterte, stürzte zusammen, Nacht wurde es vor den Augen des Schülers, und unwillkürlich rief es aus ihm hervor:
Vor den Eiben
Kein Zauber thut bleiben.
Als seine Augen wieder hell wurden, sah er sich um. Ein dürrer, sonderbar mißfarbiger Stecken lag in seiner Hand. Er stand zwischen Gestein, welches sich zu einer Kluft wölbte, die aber nicht eben mächtig war. In der Tiefe klangen schrillende, pfeifende Töne, wie sie die großen Eulen von sich zu geben pflegen. Die Gegend umher war wie verwandelt. Es war eine mäßige Anhöhe, kahl und ärmlich, mit unbedeutenden Steinen übersäet, zwischen denen auf der einen Seite nach der Tiefe zu durch feuchtes Erdreich der Weg hinableitete, den er heraufgekommen war. Von den großen Felsblöcken war keiner mehr zu erschauen. Ihn fror, obgleich die Sonne hoch am Himmel schien. Es bedünkte ihn, als habe sie denselben Stand, wie damals, als er ausgegangen war, den Zweig zu holen, der nun zum dürren Stecken in seiner Hand geworden war. Er ging den Pfad über die Steine hinab, das Wandern fiel ihm beschwerlich, er mußte sich auf den Stecken stützen, das Haupt hing auf die Brust hinab, er hörte seinen Odem, der mühsam aus ihr hervordrang. An einer schlüpfrigen Stelle des Pfades glitt er aus und mußte sich am Gebüsch halten. Dabei kam ihm seine Hand dicht vor das Auge, die sah grau und runzelig aus. Herr Gott! rief er von einem Schauder gepackt, bin ich denn so lange – –? Er wagte seinen eigenen Gedanken nicht auszusprechen. Nein, sagte er, sich gewaltsam beruhigend, es thut die kühle Waldluft, daß mich so friert, matt bin ich von der Anstrengung geworden, und das gebrochene fahlgrüne Licht, welches durch die Büsche fällt, giebt den Händen die seltsame Farbe. Er schritt weiter und sah auf den Steinen die wilden Blumen und Blätter liegen, welche er bei dem Hinaufklimmen dahin gestreut hatte, den Weg zu merken. Sie waren frisch, als seien sie eben hingelegt worden. Damit war ihm ein neues Rätsel gesetzt. Ein Köhler hockte seitwärts vom Wege im Gehölz und schnitt Aste ab, den fragte er nach dem Tage. Ei, Vater, versetzte der Köhler, seid Ihr ein so böser Christ, daß Ihr Aposteltag nicht kennt? Wir haben Peter und Paul, wo der Hirsch aus dem Walde ins Korn tritt. Ich will meinen Jungen da aus dem Maserast ein Spielwerk schneiden, sonst arbeit' ich nicht an dem Tage, aber das ist zur Luft und Ergötzlichkeit, und die ist erlaubt, sagt der Kaplan.
Ich bitte dich, Gesell, rief der Schüler, den das Grauen immer stärker durchrieselte, sag' mir an, welche Jahreszeit schreibt Ihr in der Christenheit? Der Köhler, von dem auch die Feiertagswäsche den Ruß nicht hatte bringen mögen, hob sich mit seinen mächtigen Gliedern schwarz zwischen den grünen Büschen empor und sprach nach einigem Besinnen die Jahreszahl aus. – O, du mein Heiland! schrie der Schüler und stürzte, von seinem Stecken nicht gehalten, auf den Steinen zusammen. Dann schleuderte er den Stecken hinweg und kroch zitternd den Steinpfad hinab.
Verwundert trat der schwarze Köhler, den Maserast in der Hand, aus den Sträuchen auf die Steine, sah den Stecken liegen, bekreuzte sich und sprach, der ist von der Eibe, die da droben wächst im Eulenstein, wo der Schuhu horstet. Sie sagen, sie schaffe den Zauber, und löse geschaffene Zauber Gott behüte uns! der Alte hat böse Dinge auslaufen lassen. – Dann ging er in die Büsche zurück, seiner Hütte zu, um das Spielwerk für seinen Knaben zu schnitzen.
*
Unten auf der lustigen Waldwiese neben der Hainbuchenlaube, am klaren Wässerlein, welches dort seine Ränder zu einem breiten Becken auseinander gespült hatte, saßen der junge Ritter Konrad und die Schöne, welche er ohne magische Künste aus dem Schlummer geweckt hatte. Lieblich drängten sich rote, blaue und gelbe Kelche aus den Gräsern um sie her, und das Paar blühte in Jugend und Schönheit, der Ritter in seinem bunten Schmuck, die Jungfrau in ihren silberglänzenden Schleiern, als die herrlichste Blume aus diesem Schmelz empor. Er hatte seinen Arm sanft um ihren Leib gelegt, und sagte, ihr treu in das Auge sehend: Bei der Asche meiner lieben Mutter, und bei dem heiligen Zeichen auf dem Griffe dieses Schwertes, ich bin der ich mich dir genannt habe, Herr meiner Schlösser und meiner Tage, und beschwöre dich nun, du holdseliges Wunder dieses Forstes, daß deine Lippen das Wort sprechen, welches mich auf ewig dir in den Besitz geben wird, den der Priester vor dem Altar weihen und segnen soll. –
Was für ein Wort begehrst du noch? sagte die Schöne leise, indem sie züchtig die Wimpern senkte. Hat nicht mein Auge, meine Wange, mein klopfender Busen alles gesprochen? Minne ist eine gewaltige Königin; sie fährt daher unversehens und ergreift, den sie mag, ohne Widerstand zu dulden. Bringe mich, bevor der Tag sinkt, nach dem Kloster am Odenwald zur frommen Äbtissin, sie wird mich unter Schirm nehmen, dort will ich zwischen stillen Mauern harren, ob du kommen und mich heimführen willst. Sie wollte aufstehen, der junge Ritter hielt sie aber sanft zurück und sagte: Laß uns an diesem Platze, wo meine Seligkeit wie ein goldenes Märchen emporsproßte, noch einige Augenblicke verweilen. Fürchte ich doch noch immer, daß du mir, gleich einer reizenden Waldnymphe, verschwindest! Hilf mir, daß ich an dich glaube und an deine holde Sterblichkeit. Wie bist du hergekommen? Was war dir?
Ich war, versetzte die Schöne, heute Morgen zu Walde geflohen vor meinem Vormunde, dem Grafen Archimbald, dessen Absichten plötzlich, ich weiß nicht ob auf mich oder auf meine Güter, bös und erschreckend hervorgetreten waren. Was hilft der Jugend und dem Weibe reiches Erbe? Es ist immerdar schutzlos und verlassen. Ich wollte mich zur Äbtissin flüchten, ich wollte den Kaiser in Mainz antreten, kaum wußte ich selbst, was ich wollte. So kam ich in diese grünen Baumhallen. Mein Herz war nicht auf den Helfer gerichtet, meine Gedanken haderten mit dem Himmel.
Auf einmal, wie ich diese Wiese schon vor mir liegen sah, war mir, als würde da drüben in den Büschen etwas gesprochen, worauf ich mich und alles um mich her verwandelt fühlte. Ich kann dir das Wort oder den Laut nicht beschreiben, mein Geliebter! Der Gesang der Nachtigall klingt heiser gegen seine Süßigkeit und das Rollen des Donners ist, mit ihm verglichen, nur ein schwaches Flüstern. Es war gewiß das Geheimste und Zwingendste, was es zwischen Himmel und Erde geben kann. Auch auf mich übte es eine unwiderstehliche Gewalt, da es in meinen fassungslosen Geist, in das Getümmel meiner Sinne fiel und kein Gedanke des Heils ihm in mir entgegentrat. Meine Augen schlossen sich und doch sah ich den Weg vor meinen Füßen, den die Füße, wie von unsichtbaren weichen Händen gelenkt, wandeln mußten. Ich schlief und schlief doch nicht, es war ein unbeschreiblicher Zustand, in dem ich endlich unter jener Laube auf weichem Moose niedersank. Es sprach und sang alles um mich her, in mir fühlte ich den Wogenschlag der jubelndsten Wonne, jeder Tropfen Blutes leuchtete und tanzte durch die Adern, und doch saß mir im tiefsten Herzen das alleräußerste Grauen vor dieser Verfassung und die heißeste Bitte um Erweckung aus meinem Schlafe. Aber ich spürte, daß von dem Grauen nichts in mein Antlitz trat, wunderbarer Weise konnte ich mich selbst schauen und sah, daß meine Wangen von der Wonne lächelten, als würden mir himmlische Freudenlieder zugesungen. Immer weiter griff die Wonne in mein Herz, immer weiter drängte sie das Grauen zurück, eine furchtbare Angst befiel mich, daß dieses Pünktchen ganz aus mir getilgt und ich eitel Wonne werden würde.
In dieser Not, und dem Verschwinden alles Bewußtseins nahe, gelobte ich mich dem, der mich erwecken und befreien werde, zu eigen. Ich sah nun durch meine geschlossenen Augenlider eine dunkle Gestalt sich über mich beugen. Das Antlitz war edel und groß, und doch fühlte ich einen tiefen Widerwillen gegen diesen und es flog wie ein Schatten durch meine Empfindung, daß er es gewesen sein möchte, der das verdammliche Wort gesprochen habe. Aber immer rief ich stumm in mir und doch laut für mich: Wenn er dich weckt und befreit, so mußt du ihm für diese überschwengliche Wohlthat angehören, denn du hast es gelobt. – Er hat mich nicht geweckt!
Ich, ich habe dich geweckt, mein teures Lieb, und nicht mit Zauberspruch und Segen, nein, mit heißem Kuß, auf deine roten Lippen! rief der junge Ritter entzückt und hielt die schöne Emma fest umschlungen. – Das sind wohl rechte Wunder im Spessart gewesen, die uns zusammengeführt haben. Ich hatte mich draußen am Heerweg von meinem geliebten Freunde Petrus getrennt nach seltsamen verfänglichen Gesprächen. Als ich einige hundert Schritte geritten war, überfiel mich noch einmal eine große Sorge um ihn, ich saß ab und wollte wiederholt ihm ans Herz legen, seine dunklen Wege zu lassen und mit mir gen Mainz zu ziehen. Als ich mich wandte, sah ich ihn in den Wald schlüpfen. Ich rief seinen Namen, er aber hörte mich nicht. Die Sporen verhinderten mich am raschen Gehen; ich konnte ihn nur von Weitem folgen, doch ließ ich nicht ab, hinter ihm her zu rufen, was aber vergeblich blieb. Endlich verschwand mir sein schwarzer Mantel zwischen den Bäumen. Auch ich sah die schöne grüne Wiese schimmern und wollte mir den lichten Blumenschein besehen. So kam ich her, nachdem ich noch die Kreuz und Quer nach meinem Freunde gesucht hatte. Auch mich umgab es hier im Walde aus den Lüften wie ein Wühlen und Schwingen, das Gewürm war in einer Bewegung, die Vögel verführten ein so eigenes Flattern und Zirpen. Weil ich aber an die helle, gute Straße dachte, auf die ich den Petrus gern bringen wollte, so hat mir vermutlich das Wesen nichts anhaben können. Als ich dich schlummernd fand, drang mir mit der Gewalt der süßesten Liebe ein ungeheures Mitleid um dich in das Herz, ich frohlockte und weinte doch Thränen, die heißesten, die je aus meinen munteren Augen gekommen. Ich glaube, daß mir vergönnt war, in den Winkel zu schauen, wo dir das Grauen wohnte. Schluchzend und lachend rief ich:
Die schönste Rose, die da blüht,
Das ist der rosenfarbne Mund
Von wonniglichen Weiben;
Am Kuß des Mai'n die Ros' erglüht,
Es soll der schönste Rosenmund
Nicht ungeküsset bleiben!
und da boten meine Lippen in Gottes Namen den deinen ihren Gruß. ...
Und diese Fesseln fielen ab von mir, ich erwachte, und mein erster Blick traf in dein treues weinendes Auge, rief die schöne Emma. Ich dankte Gott, auf dessen Namen ich mich wieder besann, daß ich erlöset sei, und dann dankte ich ihm, daß du es gewesen, der mich befreit habe und nicht jener Dunkle.
Der junge Ritter war nachdenklich geworden. Ich fürchte, sagte er, alle diese geheimnisvollen Waldwunder stehen mit Petrus im Zusammenhang. Ich fürchte, daß ich an dem Tage, wo ich meine Liebe gewann, meinen Freund verloren habe. Wo mag er nur geblieben sein?
Das Paar fuhr erschreckt auseinander, denn sie sahen in dem Wasser zu ihren Füßen zwischen ihren blühenden Häuptern ein eisgraues, greises abgespiegelt. Hier ist er, sagte ein zitternder, gebeugter, schneeweißer Alter, der hinter ihnen stand. Er trug den neuen schwarzen Mantel des Schülers.
Ja, sagte der Alte mit schwacher, erloschener Stimme, ich bin dein Freund Petrus von Stetten. Ich stand schon lange hinter Euch und hörte Euch und Eure Reden und die Geschicke sind klar geworden. Es ist noch der Peter- und Paulstag, an dem wir uns trafen und trennten draußen auf dem Heerwege, der kaum tausend Schritte von hier läuft, und seit wir von einander gegangen sind, mag eine Stunde verstrichen sein, denn der Schatten, den der Strauch da auf den Rasen wirft, ist nur um ein geringes gewachsen. Wir waren vierundzwanzig Jahre alt vor dieser Stunde, du bist darin um sechzig Minuten, ich aber bin derweile um sechzig Jahre älter geworden. Ich habe vierundachtzig. – So sehen wir uns wieder: ich habe es freilich nicht gedacht.
Konrad und Emma waren aufgestanden. Sie schmiegte sich scheu an den Geliebten und sagte leise: Es ist ein armer Irrsinniger. – Nein, du schöne Emma, sagte der Alte, ich bin nicht irre. Dich habe ich geliebt, mein Zauber fiel auf dich, und ich hätte dich haben können, wäre es mir vergönnt gewesen, in Gottes Namen dir den roten Mund zu küssen, was der einzige Segen ist, womit schöne Minne erweckt wird. Statt dessen mußte ich nach dem Eibenzweige gehen und dem Schuhu seine Klause vor Wind und Wetter verwahren helfen. Nun, wie es gekommen ist, so mußte es kommen. Er hat die Braut und ich habe den Tod davon getragen.
Konrad hatte immerfort starr in das Gesicht des Alten gesehen, um durch die Runzeln und Falten hindurch ein früheres Lineament des Jugendfreundes zu entdecken. Endlich stammelte er: Ich beschwöre dich, Mensch, uns zu verkündigen, wie diese Verwandlung hat zugehen können, damit uns nicht ein Schwindel faßt und zu schrecklichen Dingen treibt!
Wer Gott versucht und die Natur, über den stürzen Gesichte, an denen er rasch verwittert, antwortete der Alte. Dabei bleibt der Mensch, wenn er auch die Pflanzen wachsen sieht und die Reden der Vögel verstehen lernt, so einfältig wie zuvor, läßt sich von einer albernen Elster Fabeln von der Prinzessin und vom Kanker-Könige aufbinden, und sieht Frauenschleier für Spinneweben an. Die Natur ist Hülle, kein Zauberwort streift sie von ihr ab, dich macht es nur zur grauen Fabel.
Er schlich langsam in die Waldgründe. Konrad wagte nicht, ihm zu folgen. Er leitete seine Emma aus dem Schatten der Bäume nach der breiteren Straße, wo das Licht in allen Farben um die Kronen der Stämme spielte.
Noch einige Zeit lang hörten die Wanderer im Spessart hinter Felsen und dichten Baumgruppen zuweilen mit einer hohlen und geisterhaften Stimme Reime sprechen, die dem einen wie Unsinn, dem andern wie tiefe Weisheit klangen. Gingen sie dem Schalle nach, so fanden sie den Alten, der noch so wenige Jahre zählte, wie er, erloschenen Auges, die Hände auf die Kniee gestützt, starr in die Welt blickte, und die Sprüche vor sich hinsagte, deren keiner aufbehalten geblieben ist. Nicht lange aber, so wurden sie nicht mehr gehört, und auch den Leichnam des Alten fand man nicht.
Konrad freite seine Emma, sie gebar ihm schöne Kinder und er lebte bis zu späten Jahren mit ihr in großer Freude und Lust.