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Fünftes Kapitel

Die Störung. Was sich in einer Dorfkirche zutrug.

Endlich hatte der Jäger die Feder geschnitten. Er schob Lisbeth ein Blatt Papier hin und bat sie, zu versuchen, ob sie schreibe. Sie that es, konnte aber damit nicht zurecht kommen, sie habe Zähne, sagte sie. Er sah, was sie geschrieben, es war ihr eigener Name in den klarsten, ebensten Zügen. Die feinen Buchstaben entzückten ihn. Ich glaube, an der Feder liegt es nicht, stammelte er, ich wollte wohl, ohne sie zu kappen, ein ganzes Gedicht damit niederschreiben. – Thun Sie es, versetzte Lisbeth und schlug die Augen nieder, Sie sagten mir ja überdies, daß Sie mir das Tuch mit einem Scherze haben schenken wollen.

Oh – der Scherz wird wohl ausbleiben – rief der Jäger, nahm Feder und Papier, setzte zu dem Worte: Lisbeth das Wörtlein: »An« und schrieb einige Reimzeilen nieder.

Lacht nicht über sie! – Der Jäger konnte seinen guten, runden schwäbischen Vers machen, und hätte bessere zu stande gebracht, wäre er freieren Herzens gewesen.

Ich wollte Dir mit leichten Scherzen
Die arme kleine Gabe reichen;
Da trat mir ein Gefühl zum Herzen,
Das jene Scherze machte weichen.
Es war die fromme, sanfte Rührung,
Wenn man durch guter Genien Führung
Die lieblichste Natur erblüht
Und aus sich selbst entfaltet sieht.

In Deinem Ernst, in Deinem Lachen
Gehörst Du Dir nach holdem Rechte;
Was Deine frischen Lippen sprachen,
Es ist das Deine, drum das Echte.
Wo solche Zauber im Gemüte,
Folgt das Geschick, wie Frucht der Blüte,
So lebe, lebe immerzu
Dein Los, Dir eigen, hold wie Du!

Er hatte diese Verse mit fliegender Feder geschrieben, denn die Glocke läutete schon, und Lisbeth, die im Hochzeitszuge nicht fehlen durfte, schien unruhig zu werden. Jetzt reichte er das Blatt mit abgewandtem Gesichte ihr hin und trat von ihr hinweg an das andere Fenster. Nach einigen Sekunden hörte er hinter sich tief atmen und dann leise schluchzen. Rasch wandte er sich und hatte den rührendsten Anblick. Lisbeth stand, etwas gebeugt, als drücke sie die Verehrung, welche sie empfangen, und hielt das Blatt in der reizendsten Unbehülflichkeit mit beiden Händen vor sich hin, wie ein Kind, das die glänzende Weihnachtsbescherung sich noch gar nicht anzueignen wagt. Die hellen Thränen flossen ihr unter den Wimpern, dabei lächelte sie, und sah den Jäger mit dem gläubigsten Vertrauen an, als wollte sie sagen: Wenn du einen armen Findling so hübsch besingen kannst, so mußt du es wohl recht herzlich mit ihm meinen. – Endlich fand ihre Empfindung ein lautes Wort und sie lispelte: Sie machen zu viel aus mir, und ich werde noch ganz eitel durch Sie werden.

Er trat, fest seinen flammenden und doch so sanften Blick auf sie heftend, ihr entgegen und wollte ihre Hand küssen. Sie war küssenswert, diese Hand. Es ist, als ob manchem nichts schaden könne. Trotz aller Arbeit war die Hand weich und zart geblieben. Lisbeth entzog sich seinem Munde und bot ihm, die Augen schließend, die Lippen dar. Jauchzend wollte er mit den seinigen sie berühren, da öffnete sich die Thüre und die Brautjungfer trat mit dem Putze und ihrem Anliegen ein. Die Gestörten traten erschreckt auseinander, Lisbeth zu ihrem Tüchlein, der Jäger, ohne sie anzusehen, an das Fenster, von wo er dann mit niedergeschlagenem Blicke aus dem Zimmer schlich. Denn das Gefühl ist auch darin nur sich selbst gleich, daß es mit dem Bewußtsein der reinsten Tugend die Frucht des lichtscheusten Verbrechens paart. – Du denkst an das geliebte Mädchen zugleich mit deinen Gedanken an Gott, du sagst, wie der Jäger, in deinen einsamen Entzückungen: Könnte ich diese Liebe, wie meine beste That, von den Dächern rufen! und dann verleugnest du sie, wie Petrus den Herrn, der ersten Basenfrage, und rufst, ob man von dir glaube, daß du thöricht seist? –

Draußen war unter dem Glockengeläute die Musik immer näher gekommen, und jetzt wurde der Brautwagen, gezogen von zwei starken Pferden, am andern Ende des Weges, der durch den Eichenkamp leitete, sichtbar. Die erste Brautjungfer stand mit ihrem dicken, zum Teil übelriechenden Strauße ehrbar neben der Braut, die Knechte standen bei den Packen und Laden im Flur, zum letzten Anfassen bereit; der Hofschulze schaute unruhig nach der zweiten und nach der improvisierten dritten Brautjungfer sich um; denn wenn diese nicht vor der Erscheinung des Bräutigams den Platz, den ihnen der Tag anwies, nahmen, so war es nach seinem Gefühle um die ganze Feierlichkeit geschehen. Doch da kamen die beiden Erwarteten eben noch zur rechten Zeit die Treppe herunter und stellten sich zu der ersten, als der Wagen gerade auf den freien Platz vor dem Hause hinauslenkte.

Gleichmütig im Gesicht, wie alle Hauptpersonen dieses Festes, stieg der Bräutigam vom Wagen. Junge Leute, seine nächsten Freunde, folgten ihm bebändert und bestraußt. Er schritt langsam auf die Braut zu, die auch jetzt noch nicht emporsah, sondern immerfort nur spann und spann. Nun befestigte die erste Brautjungfer den großen Strauß, worin Sternblume und Salbei dufteten, vorn auf der Brust an dem hochzeitlichen Kleide. Der Bräutigam empfing diesen Schmuck ohne zu danken, denn der Dank gehörte nicht zum Herkommen. Er reichte seinem Schwiegervater stillschweigend die Hand, dann sie eben so stillschweigend der Braut, die sich darauf erhob und zu den Brautjungfern stellte, zwischen die erste und zweite und vor die dritte.

Während dessen hatten die Knechte die Ausstattung auf den Wagen geschafft. Die Scene bekam etwas wildes, denn indem die Menschen mit dem Gepäck zwischen den Kochfeuern hindurchliefen, wurde mancher brennende Klotz von seinem Orte hinweggestoßen, knisterte und sprühte in dem Wege, den das Brautpaar zu gehen hatte. Nach dem Linnen, dem Flachs, den Kleidungsstücken nahm die Braut mit ihren drei Jungfern und dem Spinnrade, welches sie selbst trug, auf dem Wagen Platz. Der Bräutigam setzte sich abgesondert von ihr in den hintersten Teil des Fahrzeuges, und die jungen Bursche mußten diesem zu Fuße folgen, da die Ausstattung zu viel Raum einnahm, um ihnen noch Sitze zu gestatten. Hierüber machte der eine hergebrachte Späße gegen den Hofschulzen, auf welche dieser schmunzelnd antwortete. Er ging hinter den jungen Burschen her, und zu ihm gesellte sich der Jäger. So gingen zwei zusammen, welche an diesem Tage die entgegengesetzten Empfindungen hegten. Denn der Hofschulze dachte an nichts als an die Hochzeit, und der Jäger an nichts weniger als an sie, obgleich seine Gedanken um den Brautwagen flogen.

Fahre dieser nun langsam nach dem Hofe des Bräutigams, wo schon die ganze Hochzeitsgesellschaft: Männer, Frauen, Mädchen, junge Bursche aus allen umliegenden Wehren, und überdies die Freunde aus der Stadt, der Hauptmann und der Sammler seiner warten. Dort wird abgeladen; wir gehen inzwischen voran zur Kirche, die in der Mitte der ganzen Bauerschaft auf einem grünen Hügel, beschattet von Wallnußbäumen und wilden Kastanien liegt. – In der Sakristei beschäftigte sich der Diakonus still mit seinem Texte. Er gehörte zu den glücklichen Geistlichen, deren innerste Glaubenskraft vom Zweifel, welchen die neuere Wissenschaft erst recht gründlich ausgeschaffen hat, nicht berührt wird. Die verflüchtigenden Vorstellungen, welche in das Christentum eingedrungen sind, waren ihm nicht fremd geblieben, und sein Geist mußte zu sich sagen, daß darin mehr Wahrheit sei, als in dem Buchstaben des Orthodoxen. Aber es ging ihm mit der heiligen Geschichte wie es uns mit unsern Eltern geht. Wir erkennen ihre Schwächen und sind doch, wo es auf etwas ankommt, immer ihre Kinder. Denn er wurde gleich ein anderer, wenn er das Heiligtum betrat; zwischen dessen Wänden verschwand ihm die Kälte, er empfand das Evangelium in allen seinen Ausstrahlungen, Wundern und Widersprüchen als eine ewige Thatsache, und als eine wirkliche, nicht als eine gemachte. So war er denn nie in der Kirche Lippengläubiger, sondern erbaut, um andere zu erbauen.

Auch heute war er in den Gegenstand seiner Predigt fromm vertieft. Indessen störte ihn einigermaßen der Küster, welcher, ohne noch dort ein Geschäft zu haben, auch in der Sakristei verweilte, seinen Oberen mit verlegenen Blicken anschaute und dazu unablässig seufzte. Der Diakonus sah sich endlich genötigt, ihn zu fragen, was dies zu bedeuten habe?

Beklemmung, Beängstigung, ein ungemeines Blutwallen und Zudringen der Säfte nach dem Kopfe hat es zu bedeuten, Herr Diakonus, versetzte der seufzende Küster.

Es ist nicht zu verwundern, daß Ihr beklommen seid, antwortete lächelnd der Diakonus. Dieses Kopfkissen, welches Ihr jahraus, jahrein, sobald wir die Stadt verlassen, eingeknöpft auf dem Unterleibe tragt, die Witterung mag so schön sein, wie sie will, muß Euch das Blut wallen machen und die Säfte zu Kopfe treiben.

Es ist nicht dieses, mein Herr Diakonus, erwiderte der Küster, indem er seinen ausgestopften Unterleib streichelte, welcher sich in sonderbaren Wellenlinien, Wülsten und Knoten darwies, weil der Inhaber die Federn des Kissens nicht ganz gleich verteilt und verstrichen hatte. Es ist nicht dieses. Besser bewahrt wie beklagt, ich weiß ja, was eine hartnäckige Verkältung auf sich hat. Das Kissen ist gleichsam ein Teil von mir geworden und ruht mir ohne die mindeste Beschwer auf dem Herzen. Aber weshalb ich beklommen bin, das ist die Furcht vor einer Herabsetzung meines Ansehens und vor einer Schändung sozusagen des ganzen Küsterstandes, welche mir auf dieser unglücklichen Hochzeit bevorsteht.

Wie denn so?

Der Herr Diakonus wissen, daß der Schulmeister loci vor nunmehr beinahe acht Tagen verstorben ist, und seine Stelle noch keine Besetzung gefunden hat. So fehlet also dieser Hochzeit der zweite observanzmäßige Aufwärter Bei den Hochzeitsmahlzeiten der Bauern in der dortigen Gegend warten der Bräutigam und der Schulmeister auf, sonst niemand. , und da hat nun der Hofschulze, dieser alte eigensinnige Mann, sich nicht entblödet, mir gestern an- und zumuten zu lassen, ich solle statt des fehlenden Schulmeisters aufwarten, weil Küster und Schulmeister mit einander die meiste Ähnlichkeit und Verwandtschaft hätten, worüber ich denn die ganze Nacht hindurch kein Auge zugethan habe. Annoch kann ich vor Herzklopfen mich nicht zufrieden geben.

Freilich würde bei der Aufwartung die eigene Leibesnahrung nicht so wohl gedeihen, sagte der Diakonus.

Dieses nebenbei, sprach der Küster sehr ernst. Nötigenfalls wird durch Bündelschnüren und Serviettenverpackung dafür gesorgt werden, daß Küsterei in ihren Gerechtsamen keinen Schaben erlitte. Aber daß die Würde eine Beeinträchtigung dulden müßte und die Freiheit der Stelle von allen und jeden Aufwartediensten eine Verletzung erführe, dieses ist die Hauptsache. Und ehe ich ein solches Präjudiz aufkommen lasse, wodurch mittelst fernerer Nachlässigkeit der Nachfolger in der Küsterei einer immerwährenden Last unterzogen werden könnte, sterbe ich lieber, obschon ich einsehe, daß meine Weigernis einen furchtbaren Lärmen hervorbringen kann, denn der Hofschulze ist in allem fest, was er sich vorsetzt. Daher entsprießet denn wohl nicht ohne Grund einiger Kummer.

Der Diakonus, der durch das Geschwätz des Küsters sich in seinen Gedanken unangenehm geirrt fühlte, beschwichtigte ihn mit der Versicherung, daß er seinen Einfluß verwenden werde, um den Hofschulzen von dem rechtswidrigen Verlangen abzubringen. Der Küster ging, etwas erleichtert, da es Zeit war, und die Menschen sich schon in der Kirche versammelt hatten, hinaus und begann auf der Orgel die hergebrachte Schlacht von Prag zu spielen. Er kannte nämlich nur ein Präludium, und dieses war jene verschollene Schlachtmusik, an welche sich vielleicht noch einige ältere Leute erinnern, wenn ich ihnen in das Gedächtnis zurückrufe, daß das Tongemälde mit dem Aufmarsche der Ziethen'schen Husaren anfängt. Von diesem Aufmarsche wußte der Küster dann immer mit freilich nicht selten kühnen Gängen sich in die gangbaren Kirchenmelodien hinüberzuschwingen.

Während des Liedes betrat der Diakonus die Kanzel, und als er die Augen zufällig auf die Versammlung warf, hatte er einen unerwarteten Anblick. – Ein vornehmer Herr vom Hofe stand nämlich mitten unter den Bauern, deren Aufmerksamkeit er zerstreute, weil sie von ihrem Gesangbuche immer empor und nach seinem Sterne schielten. Der vornehme Herr wollte mit irgend einem Bauer in das Gesangbuch sehen, um in das Lied einzustimmen, da aber jeder, sowie der Herr vom Hofe sich ihm näherte, ehrerbietig auswich, so gelangte er nicht zum Zwecke und erregte nur eine fast allgemeine Unruhe. Denn wenn er in eine Kirchenbank sich setzte, so rutschten auf der Stelle sämtliche darin seßhafte Bauern bis in die äußerste entgegengesetzte Ecke, und entflohen der Bank gänzlich, wenn der Vornehme ihnen nachrutschte. Dieses Rutschen und Entrutschen wiederholte sich in drei bis vier Bänken, so daß der Herr vom Hofe, der in der besten Absicht diesen Dorfgottesdienst besuchte, es endlich aufgeben mußte, zu einer thätigen Teilnahme an demselben zu gelangen. Er hatte Geschäfte in der Gegend und wollte die Gelegenheit nicht verabsäumen, durch Herablassung die Herzen dieser Landleute für den Thron zu gewinnen, dem er sich so nahe wußte. Deshalb war in ihm, sobald er von der Bauernhochzeit hörte, der Vorsatz entstanden, ihr leutselig von Anfang bis zu Ende beizuwohnen.

Den Diakonus berührte der Anblick des Vornehmen, den er aus den glänzenden Cirkeln der Hauptstadt kannte, nicht wohlthuend. Er wußte, welche sonderbare Sitte der Predigt folgen werde und fürchtete den Spott des Vornehmen. Seine Gedanken verloren daher von ihrer gewöhnlichen Klarheit, seine Gefühle waren etwas bedeckt und er kam, je weiter er redete, um desto weiter aus der Sache. Seine Zerstreuung wuchs, da er bemerkte, daß der Vornehme ihm verstehende Blicke zuwarf und bei einigen Stellen beifällig mit dem Haupte nickte; meistenteils da, wo der Redner mit sich am unzufriedensten gewesen war. Er beschnitt daher die einzelnen Teile der Traurede, und eilte sich, zur Ceremonie zu gelangen.

Das Brautpaar kniete nieder und die verhängnisvollen Fragen ergingen an dasselbe. Da trug sich etwas zu, was den vornehmen Fremden in den äußersten Schreck versetzte. Denn er sah links und rechts, vor sich und hinter sich, Männer und Frauen, Mädchen und junge Bursche dicke Knittel, aus Sacktüchern gewunden, hervorziehen. Alles war aufgestanden, zischelte unter einander und sah sich, wie es ihm vorkam, mit wilden und heimtückischen Blicken um. Da es ihm nun unmöglich war, den richtigen Sinn dieser Vorbereitungen zu erraten, so verließ ihn alle Fassung, und weil die Knittel doch unwidersprechlich auf jemand deuteten, der Schläge empfangen sollte, so kam ihm der Gedanke, daß er der Gegenstand einer allgemeinen Mißhandlung sein werde. Er erinnerte sich, wie scheu man ihm ausgewichen war, und er bedachte, wie roh der Charakter des Landvolkes ist, und wie die Bauern vielleicht, weil ihnen seine herablassende Gesinnung nicht bekannt sei, sich vorgenommen hätten, den ihnen unbequemen Eindringling zu entfernen. Alles dieses ging blitzschnell durch seine Seele und er wußte nicht, wie er Würde und Person vor dem entsetzlichen Angriffe wahren sollte.

Als er noch ratlos nach Entschlüssen rang, schloß der Diakonus die Feierlichkeit, und es entstand augenblicklich der wildeste Tumult. Sämtliche Knittelträger und Knittelträgerinnen stürzten schreiend und tobend und ihre Waffen schwingend nach vorwärts, der Herr vom Hofe aber war über mehrere Bänke mit drei Sätzen seitwärts nach der Kanzel zugesprungen, erstieg dieselbe im Nu und rief von diesem erhöhten Standpunkte mit lauter Stimme in die tobende Menge hinunter: Ich rate euch, mich nicht anzutasten! Ich hege die besten und herablassendsten Gesinnungen gegen euch, aber jede mir zugefügte Beleidigung wird der Monarch ahnden, wie eine ihm selbst widerfahrene.

Die Bauern aber hörten nach dieser Rede nicht hin, von ihrem Vorhaben begeistert. Sie rannten dem Altare zu, und unterwegs bekam schon dieser und jener unabsichtliche Prügel, bevor das eigentliche Ziel derselben erreicht war. Dieses war der Bräutigam. Die Hände über den Kopf schlagend, bahnte er sich mit aller Anstrengung eine Gasse durch die Menge, welche ihre Knittel auf seinem Rücken, seinen Schultern und überhaupt aller Orten, wo Platz war, tanzen ließ. Er lief, sich gewaltsam Raum schaffend, nach der Kirchthüre zu, hatte aber, bevor er dieselbe erreichte, gewiß über hundert Schläge empfangen, und kam so, wacker zerbläut an seinem Ehrentage, aus dem Heiligtume. Alles lief ihm nach; der Brautvater, die Braut folgte, der Küster schloß unmittelbar hinter dem letzten die Thüre ab und verfügte sich in die Sakristei, welche einen besonderen Ausgang in das Freie hatte. In wenigen Sekunden war die Kirche leer geworden.

Noch stand indessen der vornehme Herr auf der Kanzel. Der Diakonus aber stand vor dem Altare, sich gegen den Vornehmen mit freundlichem Lächeln verbeugend. Dieser hatte, als er auf seinem Felsen Ararat sah, daß die Prügel nicht ihm zugedacht waren, beruhigt die Arme sinken lassen, und fragte, als jetzt Stille eingetreten war, den Diakonus: Sagen Sie mir um des Himmels willen, Herr Prediger, was bedeutete dieser wütende Auftritt und was hatte der arme Mensch seinen Angreifern gethan?

Nichts, Ew. Excellenz, versetzte der Diakonus, der ungeachtet der Würde des Orts Mühe hatte, ein Lachen über den Höfling auf der Kanzel zu verbeißen. Dieses Abklopfen des Bräutigams nach der Trauung ist ein uralter Gebrauch, den sich die Leute nicht nehmen lassen. Sie sagen, er solle bedeuten, daß der Bräutigam fühle, wie weh Schläge thun, damit er sein künftiges hausherrliches Recht wider die Frau nicht mißbrauche.

Ja, das sind denn doch aber wunderbare Sitten ... murmelte die Excellenz und stieg von der Kanzel. Unten empfing sie der Diakonus sehr höflich und wurde von ihr mit drei Küssen auf der flachen Wange beehrt. Dann führte der Geistliche seinen vornehmen Bekannten in die Sakristei, um ihn von dort in das Freie zu entlassen. Der noch immer Erschrockene sagte, er müsse erst überlegen, ob er an dem ferneren Verlaufe der Festlichkeit teilnehmen könne. Der Geistliche bedauerte dagegen auf dem Wege nach der Sakristei unendlich, daß er nicht früher von dem Vorhaben Seiner Excellenz Kunde erhalten habe, weil er dann im Stande gewesen wäre, Nachricht von der Prügelsitte zu erteilen und so Furcht und Schreck abzuwenden.

Nachdem beide sich entfernt hatten, war Stille und Schweigen in der Kirche. Es war ein artiges Kirchlein, reinlich und nicht zu bunt; ein reicher Wohlthäter hatte manches dafür gethan. Die Decke war blau gemalt mit goldenen Sternen, an der Kanzel zeigte sich künstliches Schnitzwerk und unter den Leichentafeln der alten Pfarrer, welche den Fußboden bedeckten, befanden sich sogar zwei oder drei von Messing. Reinlich und sauber wurden die Bänke gehalten, auch darauf hatte der Hofschulze mit seinem großen Einflusse hingewirkt. Eine schöne Decke zierte den Altar, über dem sich ein geschlungenes marmoriert angestrichenes Säulenwerk erhob.

Hell fiel das Licht zu dem Kirchlein ein, die Bäume säuselten draußen und zuweilen bewegte ein gelindes Lüftchen, das durch eine zerbrochene Scheibe drang, die weiße Schärpe, womit der Engel über dem Taufbecken bekleidet war, oder die Flitter der Kronen, welche, von den Särgen der Jungfrauen genommen, die Pfeiler umher schmückten.

Braut und Bräutigam waren fort, der Brautzug war fort, und doch war es nicht ganz einsam in dem stillen Kirchlein. Zwei junge Leute waren darin zurückgeblieben und wußten nicht von einander, und das war so zugegangen. Der Jäger hatte sich, als die Hochzeitleute die Kirche betraten, von ihnen abgesondert und war still eine Treppe zu einer oberen Prieche hinaufgegangen. Dort setzte er sich auf einen Schemel, ungesehen von den andern, abgewendet von ihnen und von dem Altare, ganz für sich und allein. Er schlug sein Gesicht in seine Hand, aber das konnte er nicht lange ertragen, die Wange und Stirn glühten ihm zu stark. Das Kirchenlied drunten fiel mit seinen ernstgezogenen Tönen wie ein kühlender Tau in seine Glut, er dankte Gott, daß endlich, endlich ihm das größte Glück beschieden sei, und in die frommen Worte da unten sang er unaufhörlich seine weltlichen Verse hinein:

In deinem Ernst, in deinem Lachen
Gehörst du dir nach holdem Rechte! ...

Ein kleines Kind, welches sich neugierig heraufgeschlichen hatte, nahm er sanft bei der Hand und streichelte diese. Dann wollte er ihm Geld geben, aber er ließ es sein, drückte es an sich und küßte ihm die Stirn. Und als das Kind, ängstlich von den heißen Liebkosungen, die Treppe hinuntergehen wollte, führte er es sacht hinab, daß es nicht falle. Dann kehrte er zu seinem Sitz zurück und hörte nichts von der Rede und nichts von dem Lärmen, der ihr folgte, in tiefe, selige Träume versunken, die ihm seine schöne Mutter zeigten und sein weißes Schloß auf grünem Berge und ihn und noch jemand in dem Schlosse.

Lisbeth war in ihrem fremdartigen Anzuge verlegen und scheu hinter der Braut hergegangen. Ach, dachte sie, in dem Augenblicke, wo der gute Mensch von mir sagt, ich wäre immer natürlich, muß ich geborgte Kleider tragen. Sie sehnte sich in die ihrigen zurück. Die Bauern, die Leute aus der Stadt hörte sie hinter sich zischelnd ihren Namen nennen, der vornehme Herr, welcher vor der Kirche dem Zuge entgegentrat, besah sie lange prüfend durch seine Lorgnette. Das alles mußte sie erleiden, als sie eben so schön besungen worden war, als ihr Herz von Freude und Entzücken überflutete. Sie trat halbbetäubt in die Kirche ein und nahm sich vor, bei dem Rückwege von dem Zuge zu bleiben, damit sie auf keine Weise wieder der Gegenstand des Gesprächs, oder gar der Scherze werde, über welche sie sich seit einer Viertelstunde weit hinaus fühlte. Auch sie hörte von der Rede wenig, so sehr sie sich zwang, dem Vortrage ihres verehrten geistlichen Freundes zu folgen. Und als die Ringe gewechselt wurden, da erregten ihr die gleichgültigen Gesichter des Brautpaares eine sonderbare Empfindung, gemischt aus Wehmut. Neid und dem stillen Unwillen, daß ein so himmlischer Augenblick an stumpfen Seelen vorübergehe.

Nun entstand der Tumult und da entfloh sie unwillkürlich hinter den Altar. Als es wieder still geworden war, holte sie tief Atem, zupfte an ihrer Schürze, strich sich eine Locke, die ihr auf die Stirn gefallen war, sacht zurück und faßte sich ein Herz. Sie wollte sehen, wie sie unbemerkt auf Nebenwegen zum Oberhofe zurückgelangen und der leidigen Kleider quitt werden möchte. Mit kleinen Schritten und niedergeschlagenen Augen ging sie durch einen Seitengang nach der Thüre zu.

Aus seinen Träumen endlich erwacht, kam der Jäger die Treppe hinunter. Auch er wollte die Kirche verlassen, wußte aber freilich nicht, wohin dann? Sein Herz bebte, als er Lisbeth sah; sie schlug die Augen auf und blieb schüchtern und fromm stehen. Dann gingen sie, ohne einander anzuschauen, stumm der Thüre zu, auf deren Drücker er seine Hand legte, sie zu öffnen. Sie ist verschlossen! rief er mit einem Laut des Entzückens, als sei ihm das höchste Glück widerfahren. Wir sind in der Kirche eingeschlossen!

Eingeschlossen? fragte sie voll süßem Schreck. – Warum macht Sie das bestürzt? Wo kann man besser aufgehoben sein als in einer Kirche? sagte er seelenvoll. Er schlug sanft seine Arme um ihren Leib, mit der andern Hand faßte er ihre Hand, so führte er sie nach einer Bank, nötigte sie darauf nieder und setzte sich neben sie. Sie sah in ihren Schoß und ließ die Bänder an dem buntfarbigen Jäckchen, welches sie trug, durch die Finger gleiten. Er hatte seinen Kopf auf dem Betbrette aufgestützt, sah sie von der Seite an und berührte das Häubchen, welches sie trug, wie um den Stoff zu prüfen. Er hörte ihr Herz klopfen und sah ihren Hals gerötet. – Nicht wahr, es ist ein abscheulicher Anzug? fragte sie nach langem Schweigen kaum hörbar. – O! rief er und knöpfte seine Weste auf, ich sah nicht nach dem Anzuge! – Er faßte ihre beiden Hände, drückte sie stürmisch gegen seine Brust und zog sie dann von der Bank.

Ich ertrag's nicht so still zu sitzen! Lassen Sie uns die Kirche besehen! rief er. – Hier ist wohl nicht viel Sehenswürdiges, versetzte sie zitternd.

Er ging mit ihr zu dem Taufsteine, auf dessen Grunde noch etwas von dem heiligen Naß stand, denn es war vor der Hochzeit schon eine Taufe gewesen. Sie mußte mit ihm auf den Grund und in das Wasser hinabsehen. Dann tauchte er den Finger hinein und netzte erst ihre und dann seine Stirn.

Um Gotteswillen, was machen Sie? rief sie ängstlich und wischte rasch die ihr frevelhaft dünkende Befeuchtung ab. – Wiedertäuferei treibe ich, sagte er wunderbar lächelnd. – Dieses Wasser weiht die Geburt zum Leben, und dann geht das Leben so fort – lange, lange, heißt Leben und ist keins – und dann bricht das wahre Leben auf, und man sollte dann von neuem taufen. – Sie wurde ängstlich in seiner Nähe und stammelte: Kommen Sie, ein Ausgang wird durch die Sakristei zu finden sein. – Nein, rief er, erst die Totenkronen wollen wir besehen: zwischen Geburt und Grab erlebt unser Leben sein Leuchtendes, sein Schönes! – Er führte sie zu der stattlichsten Totenkrone am gegenüberstehenden Pfeiler und murmelte auf dem Wege mit trunken-irren Blicken die Stelle von Gray, welche mit seinen übrigen Gedanken nicht zusammenhing, und auf welche ihn nur der Ort bringen konnte: »Viel Tropfen reinsten Glanzes bergen des Meeres dunkele unermessene Tiefen, viel Blumen brachen auf, um ungesehen zu blühen, und ihre Süße an die öde Luft zu verschwenden!«

Dachte er an das Mädchen, von dessen Sarge die strahlende Totenkrone war? – Ich weiß es nicht. – Flittern und glänzende Ringe hingen an dünnem Zindel herunter. Er riß zwei Ringe ab und flüsterte: Ihr seid nur schlechte Reifen, aber zu köstlichem Golde will ich euch weihen und heiligen! – Er steckte, ehe die Lisbeth es verwehren konnte, ihr den einen und den andern darauf sich an. Dabei sah er zornig aus, seine Lippen schürzte ein erhabener Unmut, er legte seine geballte Faust dem Mädchen auf den Nacken, als wollte er sie züchtigen, daß sie seine Seele ihm entwendet habe. In diesem starken, jungen Gemüte riß die Liebe, wie ein Waldstrom im Gebirge, tiefe Schluchten und Spalten.

Oswald! rief sie und trat vor ihm zurück. Es war das erste Mal, daß sie seinen Vornamen nannte. – Wir können das eben so gut thun, wie die dummen Bauern, sagte er, und sind keine andern Ringe zur Hand, so nehmen wir sie vom Sargschmuck, denn das Leben ist stärker als der Tod. – Nun gehe ich, seufzte sie atmend und wankte. Ihr Busen flog, daß das Mieder wild bewegt wurde.

Aber schon hatten seine starken Arme sie umstrickt und aufgehoben und vor den Altar getragen. Dort ließ er sie nieder, die halbohnmächtig an seiner Brust lag und stammelte schluchzend vor Liebesweh und Liebeszorn: Lisbeth! Liebe! Einzige! Entsetzliche! Feindin! Räuberin! Vergieb mir! Willst Du mein Du sein? Mein ewiges, süßes Du?

Sie antwortete nicht. Ihr Herz schlug an seinem, sie schmiegte sich ihm an, als wollte sie mit ihm verwachsen. Ihre Thränen flossen auf seine Brust. Nun hob er ihr Haupt empor, und die Lippen fanden sich. In diesem Kusse standen sie lange, lange.

Dann zog er sie sanft neben sich auf die Kniee nieder, und beide erhoben vor dem Altare betend die Hände. Sie konnten aber nichts vorbringen als: Vater! lieber Vater im Himmel! Und das wurden sie nicht müde mit wonnezitternder Stimme zu rufen. Sie riefen es so zutraulich, als ob der Vater, den sie meinten, ihnen die Hand reiche.

Endlich verstummte dieses Rufen und sie legten das Gesicht schweigend an das Altartuch. Mit dem Arme aber umschlang eines des andern Nacken, die Wangen glühten, eine an der andern, und die Finger spielten sanft in den Locken. Es war keine Unruhe mehr in den Herzen; sie schlugen still und gleichmäßig.

So knieten die beiden eine Zeit lang vereinigt lautlos im Heiligtume. Plötzlich fühlten sie ihre Häupter leise angerührt und sahen empor. Der Diakonus stand zwischen ihnen mit leuchtendem Antlitz und hielt seine Hände segnend auf ihren Scheiteln. Er war zufällig aus der Sakristei noch einmal in die Kirche getreten und hatte mit gerührtem Erstaunen die Verlobung gesehen, die hier abseitig der Hochzeit und im Angesichte Gottes zustande gekommen war. Auch er redete nicht, aber seine Augen sprachen. Er zog den Jüngling und das Mädchen an seine Brust und drückte seine Lieblinge herzlich an sich.

Dann ging er mit dem Paare, es führend, in die Sakristei, um es dort zu entlassen. So gingen die drei aus der kleinen, stillen, hellen Dorfkirche.


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