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Die Halle in Gunnars Haus. Es ist Tag.
Hjördis sitzt auf einer Bank, dem kleineren Hochsitze gegenüber, und flicht eine Bogensehne; auf dem Tische liegt ein Bogen mit mehreren Pfeilen.
Hjördis, indem sie die Sehne dehnt. Sie ist geschmeidig und stark, die Sehne – Mit einem Blick auf die Pfeile. Die Pfeile sind scharf und wuchtig – Läßt die Hände in den Schoß sinken. Doch wo findet sich die Hand, die – Heftig. Verhöhnt, verhöhnt von ihm – von Sigurd! Ihn muß ich mehr hassen als alle andern, das fühl' ich wohl. Aber nur wenig Tage noch, dann hab' ich – Grübelnd. Doch der Arm, der Arm, der die Tat vollbringt –? Gunnar kommt schweigsam und nachdenklich.
Hjördis nach kurzer Pause. Wie geht Dir's, mein Gemahl?
Gunnar. Schlecht, Hjördis! Was gestern geschah, will nicht weichen, – schwer lastet es mir auf dem Herzen.
Hjördis, Tu wie ich: mache Dir etwas zu schaffen!
Gunnar. Ich muß wohl. Pause. Gunnar macht einige Schritte, wird aufmerksam und nähert sich Hjördis.
Gunnar. Was machst Du da?
Hjördis ohne aufzublicken. Ich flechte eine Bogensehne, wie Du siehst.
Gunnar. Eine Bogensehne – aus Deinem eignen Haar!
Hjördis lächelnd. In jeder Stunde wird jetzt eine große Tat geboren! Du erschlugst meinen Pflegebruder – und ich flechte an diesem Strang seit Tagesgrauen.
Gunnar. Hjördis! Hjördis!
Hjördis blickt auf. Was soll ich?
Gunnar. Wo warst Du diese Nacht?
Hjördis. Diese Nacht?
Gunnar. Du warst nicht im Schlafgemach.
Gunnar. Ich konnte nicht schlafen. Unruhige Träume schuf mir das – was mit Thorolf geschehen; es war mir, als ob er erschiene – genug, ich wachte. Da ertönte ein wunderbar lieblicher Gesang durchs Haus; ich stand auf, schlich durch die Tür herein: Du saßest hier am Reisigfeuer – es brannte blau und rot – schäftetest Pfeile und sangst Zaubersprüche darüber.
Hjördis. Es war nötig. Denn hart ist die Brust, die heute getroffen werden soll.
Gunnar. Ich verstehe Dich – Du willst Sigurds Fall.
Hjördis. Hm, vielleicht!
Gunnar. Das soll Dir nie gelingen! Mit Sigurd halt' ich Frieden, so sehr Du mich auch aufreizest.
Hjördis lächelnd. Meinst Du?
Gunnar. Das steht fest bei mir.
Hjördis reicht ihm die Sehne. Sag', Gunnar, kannst Du diesen Knoten lösen?
Gunnar versucht es. Nein, er ist zu fest und zu künstlich geschlungen.
Hjördis erhebt sich. Der Norne Gespinst ist noch künstlicher geschlungen; das kannst Du noch weniger lösen.
Gunnar. Die Wege der Gewaltigen sind wirr – und unbekannt Dir wie mir.
Hjördis. Eins aber weiß ich bestimmt: uns beiden wird Sigurd noch ein unselig Los bereiten.
Pause. Gunnar steht in sich versunken.
Hjördis, die ihn im stillen beobachtet hat. Woran denkst Du?
Gunnar. An einen Traum, den ich jüngst hatte. Mir war's, als hätt' ich die Tat vollbracht, die Du begehrst: Sigurd lag erschlagen auf dem Felde – Du standest daneben totenbleich. Da sagte ich: »Freust Du Dich nun, daß Dein Wunsch erfüllt ist?« – Du aber lachtest und antwortetest: »Mehr noch würd' ich mich freuen, lägest Du, Gunnar, an Sigurds Stelle.«
Hjördis mit erzwungnem Lachen. Schlecht kennst Du mich, wenn ein so törichter Traum Dich zu beirren vermag.
Gunnar. Sag' an, Hjördis, wie gefällt Dir diese Halle?
Hjördis. Die Wahrheit, Gunnar: mitunter dünkt sie mich zu eng.
Gunnar. Ja, ja, ich dacht' es mir: wir sind um Einen zuviel.
Hjördis. Vielleicht auch um zwei.
Gunnar, der ihre Äußerung nicht gehört hat. Doch dem soll abgeholfen werden!
Hjördis sieht ihn fragend an. Abgeholfen werden? – So hast Du vor –?
Gunnar. Meine Schiffe zu rüsten und das Land zu verlassen. Ich will die Ehre zurückgewinnen, die ich verloren, weil ich Dich über alles liebte.
Hjördis gedankenvoll. Du willst das Land verlassen? – Ja, das wird wohl das Beste sein für uns beide.
Gunnar. Schon als wir von Island aufbrachen, sah ich voraus, daß es nicht gut mit uns enden würde. Dein Sinn ist stolz und stark; es gibt Zeiten, da ich fast Furcht vor Dir habe, doch – seltsam – gerade darum hab' ich Dich so lieb, ein zaubrisches Grauen umgibt Dich, – mir ist, als könntest Du mich zu Freveltaten verlocken, und für wohlgetan würd' ich halten, was immer Du begehrtest. Mit leisem Kopfschütteln. Unergründlich ist der Norne Walten. Sigurd hätte Dein Gatte werden sollen.
Hjördis schreit auf. Sigurd?
Gunnar. Ja, Sigurd. Haß und Rachsucht verblenden Dich, sonst würdest Du ihn höher schätzen. Wie Sigurd hätt' ich sein müssen: dann hätt' ich Dein Leben Dir fröhlich gestaltet.
Hjördis in starker, doch unterdrückter Erregung. Und das – das, meinst Du, hätte Sigurd gekonnt?
Gunnar. Er ist starkherzig und dabei stolz wie Du.
Hjördis heftig. Wenn dem so ist – Faßt sich. Gleichviel, gleichviel! Mit hervorbrechender Leidenschaft. Gunnar, gib Sigurd den Tod!
Gunnar. Nimmermehr!
Hjördis. Durch List und Lüge ward ich Dein Eheweib – es soll vergessen sein! Fünf freudlose Jahre hab' ich hier verbracht – das alles soll vergessen sein, von dem Tag an, da Sigurd nicht mehr lebt!
Gunnar. Von meiner Hand soll ihm kein Leid geschehen! Weicht unwillkürlich zurück. Hjördis, Hjördis! Versuche mich nicht.
Hjördis. So muß ich einen andern Rächer ausfindig machen. Nicht länger soll Sigurd Worte des Hohns sprechen über Dich und mich. Ballt die Hände in krampfhafter Erbitterung. Bei ihr, dem einfältigen Weibe – bei ihr sitzt er jetzt vielleicht, kosend, und lacht über uns; er spricht von all der Schmach, die ich erduldet, da er mich raubte an Deiner Statt, erzählt ihr, wie er listig lachte, als er in der dunklen Kammer stand und ich ihn nicht erkannte!
Gunnar. Das tut er nicht, – gewiß nicht!
Hjördis. Sigurd und Dagny müssen sterben! Ich kann nicht atmen, solang' die beiden nicht tot sind. Sie tritt mit funkelnden Augen dicht vor Gunnar hin und sagt leidenschaftlich, aber flüsternd:
Könntest Du mir dazu verhelfen, Gunnar – dann könnt' ich in Liebe mit Dir leben, dann könnt' ich Dich in meine Arme schließen so heiß und so heftig, wie Du nie es geträumt hast!
Gunnar schwankend. Hjördis, Du wolltest –
Hjördis. Ans Werk, Gunnar – dann sollen die schweren Tage vorbei sein! Nicht mehr werd' ich aus der Stube gehen, wenn Du kommst, nicht unfreundliche Reden mehr führen oder Dein Lächeln lähmen, wenn Du froh bist. Pelz und kostbare Seidenkleider will ich tragen; ziehst Du in den Krieg – ich folge Dir; reitest Du zu friedlichem Tun – ich reite Dir zur Seite! Beim Festgelag werd' ich neben Dir sitzen, Dein Horn füllen, Dir zutrinken und süße Weisen singen, die Dein Herz erfreuen.
Gunnar halb und halb überwunden. Ist es wahr? – Du wolltest –?
Hjördis. Mehr als das, zehnfach mehr! Glaube mir. Nur Rache! Rache an Sigurd und Dagny, und ich will – Hält inne, da die Tür sich öffnet. Dagny! Du hier?
Dagny aus dem Hintergrunde.
Dagny. Schnell, schnell, Gunnar – Deine Mannen sollen rüsten!
Gunnar. Rüsten? Gegen wen?
Dagny. Der Bauer Kåre zieht heran mit vielen Geächteten – Böses führt er im Schilde. Eben zwar tritt ihm Sigurd in den Weg – aber man kann nicht wissen –
Gunnar gerührt. Das hat Sigurd für mich getan!
Dagny. Sigurd ist Dir doch ein treuer Freund.
Gunnar. Und wir, Hjördis, wir dachten daran – – ja, es ist, wie ich sagte: ein Zauber liegt über allen Deinen Worten. Jedwede Tat dünkt mich recht, wenn Du sie heischest.
Dagny verwundert. Was meinst Du?
Gunnar. Nichts, nichts! Dank für die Botschaft, Dagny! – Nun geh' ich, – meine Mannen zu sammeln. Wendet sich zur Tür, hält aber inne und kommt wieder näher. Was macht Oernulf?
Dagny senkt das Haupt. Das frage nicht. Gestern trug er Thorolfs Leichnam auf das Schiff; nun wirft er ein Grab auf am Strande – darin sollen seine Söhne liegen.
Gunnar schweigt und geht ab durch die Mitte.
Dagny. Vor Abend ist keine Gefahr. Nähert sich. Hjördis! Noch ein Geschäft hab' ich hier auf dem Hofe. Zu Dir komm' ich.
Hjördis. Zu mir? Nach dem, was gestern geschehen?
Dagny. Eben deshalb. – – Hjördis! Pflegeschwester! Hege keinen Groll wider mich! Vergiß die Worte, die Kummer und böse Mächte mir in den Mund legten; vergib all den Schimpf, den ich Dir angetan; denn, glaube mir, ich bin zehnfach unglücklicher als Du!
Hjördis. Unglücklich – Du? Sigurds Gattin?
Dagny. Ist doch alles, was geschah, mein Werk: Daß sich Streit entspann, daß Thorolf fiel, daß jene Schmähreden über Dich und Gunnar ergingen. Weh' mir! So heiter war mein Los! – Doch von Stund' an werd' ich niemals wieder froh.
Hjördis wie von einer plötzlichen Eingebung ergriffen. Vorher aber, in den fünf langen Jahren – in all der Zeit war das Glück mit Dir?
Dagny. Kannst Du daran zweifeln?
Hjördis. Hm! Gestern hab' ich nicht daran gezweifelt, aber –
Dagny. Was meinst Du?
Hjördis. Ach, nichts Bedeutendes. Laß uns von andern Dingen reden!
Dagny. Nein, nein! Hjördis, sag' mir –
Hjördis. Es wird Dir kaum erfreulich sein. Doch weil Du es begehrst – Mit boshaftem Ausdruck. Entsinnst Du Dich noch – damals auf Island – wir waren auf dem Thing zusammen mit Oernulf, Deinem Vater, und saßen bei unsern Spielgenossinnen in der Thingstube, nach Frauensitte. Da traten zwei Fremdlinge in die Stube.
Dagny. Sigurd und Gunnar.
Hjördis. Sie grüßten uns nach Ritterart, setzten sich zu uns auf die Bank, und allerlei scherzhafte Reden führten wir mitsammen. Etliche verlangten zu wissen, warum die beiden Helden gelandet, – ob sie wohl Ehefrauen sich auf der Insel suchen wollten. Da sagte Sigurd: »Schwer wird es mir fallen, ein Weib so ganz nach meinem Sinne zu finden.« – Oernulf lachte und meinte, in Island sei kein Mangel an erlauchten Frauen. Doch Sigurd antwortete: »Hochgemute Hausfrau heischt der Held. Die will ich wählen, die in ein niederes Los sich nicht finden kann; keine Ehre darf ihr zu hoch hängen, daß sie nicht danach haschte; in den Kampf muß sie mir willig folgen; eine Rüstung muß sie tragen; zum Streit muß sie mich anfeuern, und nicht mit den Wimpern darf sie zucken, wenn die Schwerter blitzen; denn ist sie zaghaften Gemütes, so ernt' ich wenig Ehre.« Nicht wahr, so sprach Sigurd?
Dagny unsicher. Gewiß – aber –
Hjördis. Also dacht' er sich das Weib, das sein Leben ihm hold machen könnte, und – dann – mit verächtlichem Lächeln – dann wählt' er Dich.
Dagny in schmerzlicher Bestürzung. Du meinst –
Hjördis. Sieh, darum hast Du wohl Stolz und Edelsinn an den Tag gelegt, hast Ehre von allen beansprucht, auf daß Sigurd durch Dich geehrt würde – nicht wahr?
Dagny. Nein, Hjördis, doch –
Hjördis. Doch Du feuertest ihn an zu großen Taten, folgtest ihm in den Kampf und verlangtest dort zu sein, wo der Streit am heißesten entbrannte? Ist's nicht so?
Dagny tief bewegt. Nein, nein!
Hjördis. Du warst also zaghaft von Gemüte, so daß Sigurd Unehre davon erntete?
Dagny überwältigt. Hjördis, Hjördis!
Hjördis höhnisch lächelnd. Aber schön war Dein Los immerdar – Meinst Du, auch Sigurd kann das sagen?
Dagny. Halt ein! Weh' mir! Du lehrtest mich erst, mich selbst erkennen!
Hjördis. Ein scherzhaft Wort, und sogleich weinst Du! Denke nicht mehr daran! Sieh, was ich heut gemacht habe! Nimmt einige Pfeile vom Tische. Wie spitz und scharf! Nicht wahr, ich verstehe mich drauf, Pfeile zu schleifen?
Dagny. Und sie zu brauchen. Du triffst sicher. Über all das, was Du eben gesagt, habe ich bis heut nie nachgedacht. Heftiger. Aber daß Sigurd – daß ich ihm all die Zeit das Leben schwer und unrühmlich gemacht haben soll, – nein, nein, das kann nicht wahr sein!
Hjördis. Nun, nun – tröste Dich, Dagny! Es ist ja auch nicht wahr. Ja, hätte Sigurd noch den Ehrgeiz seiner früheren Tage! Da stand all sein Sinnen und Sehnen danach, der erste Mann im Land zu heißen – nun begnügt er sich mit einem geringeren Glücke.
Dagny. Nein, Hjördis! Sigurd ist von hoher Gesinnung nach wie vor. Ich fühl's, ich bin nicht das rechte Weib für ihn. Er hat es mir nicht eingestanden – aber so darf es nicht bleiben!
Hjördis, Was willst Du tun?
Dagny. Ich will nicht wie eine Last seine Schritte hemmen, nicht länger ihm hindernd im Wege sein!
Hjördis. So willst Du –
Dagny. Stille, es kommt wer!
Ein Knecht vom Hintergrund.
Der Knecht. Wiking Sigurd betritt den Hof.
Hjördis. Sigurd? So laß Gunnar rufen!
Der Knecht. Gunnar ist ausgeritten, um seine Nachbarn zu sammeln, denn Kåre will –
Hjördis. Gut, gut, – das weiß ich. Geh! Der Knecht geht; zu Dagny, die ebenfalls gehen will. Wo willst Du hin?
Dagny. Fort, um Sigurd nicht zu treffen. Wohl müssen wir uns trennen, das fühl' ich nur zu gut. Aber ihm jetzt begegnen – nein, nein, das kann ich nicht! Geht links ab.
Hjördis blickt ihr nach, eine Weile stumm. Und sie wollt' ich – Setzt den Gedanken fort, indem sie auf die Bogensehne schaut. Geringe Rache wäre das gewesen – der Hieb traf besser! Hm – es ist schwer, zu sterben; aber bisweilen ist es noch schwerer, zu leben.
Sigurd durch die Mitte.
Hjördis. Du suchst wohl Gunnar. Setz' Dich! Gleich wird er kommen.
Sigurd. Nein, bleib! Dich such' ich mehr als ihn.
Hjördis. Mich?
Sigurd. Und wohl mir, daß ich Dich allein treffe.
Hjördis. Kommst Du mich zu kränken, so verschlägt es Dir ja wenig, ob die Stube voll ist von Männern und Weibern.
Sigurd. Ach ja, ich weiß nur zu gut, wie Du über mich denkst.
Hjördis bitter. Tu' ich Dir vielleicht unrecht? Nein, nein! Vergiftet hast Du mir mein ganzes Leben! Vergiß nicht, daß Du es warst, der jene schändliche List brauchte – daß Du es warst, der bei mir in der Kammer saß, – der mir Liebe heuchelte, während Du im Innern listig dazu lachtest, mich wegschleudertest an Gunnar – denn für ihn war ich ja noch gut genug – und aus dem Lande gingst mit dem Weibe Deiner Wahl.
Sigurd. So manches Werk kann Menschenwille vollbringen, aber die großen Taten werden vom Schicksal gelenkt – und so ist es uns beiden ergangen.
Hjördis. Wohl wahr – böse Nornen walten über der Welt: doch gering ist ihre Macht, dafern sie keine Helfer finden in unsrer eignen Brust. Das Glück gehört dem, der stark genug ist, die Nornen zum Kampf herauszufordern – das will ich tun!
Sigurd. Du willst –?
Hjördis. Eine Kraftprobe wagen mit – mit denen, die über mir sind. – Doch nichts mehr davon! Ich hab' heute noch viel zu tun. Sie setzt sich an den Tisch.
Sigurd nach einer kleinen Pause. Du wirkst gute Waffen für Gunnar.
Hjördis mit leichtem Lächeln. Nicht für Gunnar, doch wider Dich!
Sigurd. Das kommt wohl auf eins heraus.
Hjördis. Mag sein; denn bin ich der Norne gewachsen, so sollst Du und Gunnar früher oder später – Hält inne, lehnt sich mit dem Rücken gegen den Tisch, sieht lächelnd Sigurd an und sagt mit verändertem Ton: Hm – weißt Du, wie mir zuweilen ist? – Oft macht es mir Freude, in meinen Gedanken mir lustige Bilder auszumalen. Dann sitz' ich da und schließe die Augen und denke: Nun kommt Sigurd der Starke ins Land! Mord und Brand will er üben – an mir und meinem Gatten. Alle Mannen Gunnars sind gefallen, nur er und ich sind übrig. Schon legen von draußen sie Feuer ans Dach – »Ein Bogenschuß«, ruft Gunnar, »ein einziger, kann uns erretten« – – da reißt der Strang. »Hjördis, schneide von Deinem Haar eine Flechte und mach' eine Bogensehne draus – es gilt das Leben!« Aber ich lache – »Laß brennen, laß brennen! Das Leben ist mir keine Handvoll Haare wert.«
Sigurd. Eine seltsame Macht liegt in Deiner Rede!
Hjördis sieht ihn kalt an. Du setzest Dich zu mir?
Sigurd. Du meinst, ich sei Dir im Herzen gram – Hjördis, wir sprechen uns zum letzten Mal! Ein Etwas nagt an mir wie eine Krankheit und läßt mich nicht von hinnen ziehen. Du mußt mich besser kennen lernen!
Hjördis. Was willst Du?
Sigurd. Dir eine Saga erzählen.
Hjördis. Ist sie traurig?
Sigurd. Traurig, wie das Leben selbst.
Hjördis bitter. Als ob Du wüßtest, daß das Leben traurig sein kann!
Sigurd. Urteile, wenn meine Saga zu Ende ist!
Hjördis. So erzähle; ich arbeite indessen. Er setzt sich auf ein Bänkchen zu ihrer rechten Seite.
Sigurd. Es waren einmal zwei junge Krieger, die von Norwegen zogen, um Schätze und Ruhm zu gewinnen; sie hatten einander Freundschaft geschworen und hielten ehrlich zusammen auf allen ihren weiten Fahrten.
Hjördis. Und die zwei jungen Krieger hießen Sigurd und Gunnar?
Sigurd. Ja, wir können sie so nennen. Zuguterletzt kamen sie nach Island: dort hauste ein alter Landsasse, der von Norwegen gefahren zu König Haralds Zeiten. Er hatte zwei holde Jungfrauen im Haus; die eine aber, seine Pflegetochter, die war doch die herrlichste; denn sie war klug und war stark von Gemüte, und die Krieger sprachen unter vier Augen von ihr, und keiner hatte je ein holderes Frauenbild gesehen – so schien es beiden.
Hjördis gespannt. Beide? – Willst Du meiner spotten?
Sigurd. Gunnar dachte an sie Tag und Nacht. Nicht anders Sigurd. Doch beide schwiegen; und sie ließ es nie erraten, ob ihr Gunnar gefiele; daß sie aber dem Sigurd nicht gut sei, das war leicht zu erkennen.
Hjördis atemlos. Weiter – ich bitte Dich!
Sigurd. Um so mehr mußte Sigurd an sie denken; doch keiner wußte darum. Da, eines Abends beim Trinkgelage geschah es, daß jene stolze Jungfrau schwur, nur der Mann sollte sie zu eigen haben, der die Heldentat vollbringe, die sie namhaft mache. Hoch schlug da Sigurd das Herz vor Wonne, denn er fühlte die Kraft in sich, die Tat zu vollbringen; doch Gunnar nahm ihn beiseite und gestand ihm seine Liebe – Sigurd verschwieg die seine, und so –
Hjördis aufschreiend. Sigurd, Sigurd! Faßt sich. Und die Saga – ist sie wahr?
Sigurd. Sie ist es. Einer von uns mußte ja weichen; Gunnar war mein Freund – ich konnte nicht anders handeln. So wardst Du Gunnars Gattin, und ich freite ein ander Weib.
Hjördis. Und gewannst sie lieb?
Sigurd. Ich lernte sie schätzen; aber es gibt nur ein Weib, das Sigurd geliebt hat, und das ist jenes Weib, das ihm gram war vom ersten Tag, da sie sich begegneten. Erhebt sich. Hier endet meine Saga. Leb' wohl, Gunnars Gattin, wir sehen uns niemals wieder!
Hjördis springt auf. Nein, bleib! Weh uns beiden! Sigurd, was hast Du getan!
Sigurd stutzt. Ich? – Was ist Dir?
Hjördis. Und all das sagst Du mir jetzt! Doch nein, – es kann nicht die Wahrheit sein!
Sigurd. Es ist das letzte Mal, daß wir uns sprechen. Jedes Wort ist Wahrheit! Du solltest lernen milder über mich zu urteilen – darum mußt' ich reden.
Hjördis faltet unwillkürlich die Hände und sieht in stiller Bestürzung zu ihm empor. Geliebt – ich geliebt – von Dir! Heftig, indem sie dicht an ihn herantritt. Ich glaub' Dir nicht! Blickt ihn starr an; ausbrechend in wildem Schmerz: Ja, es ist wahr und – verderblich für uns beide! Sie bedeckt das Gesicht mit den Händen und wendet sich ab.
Sigurd entsetzt. Hjördis!
Hjördis leise, zwischen Lachen und Weinen kämpfend. Kehr' Dich nicht dran – Ich meinte nur – Sie legt die Hand auf seinen Arm. Sigurd, Deine Saga ist noch nicht zu Ende. – Jenes stolze Weib, von dem Du sprachst – sie hat Dich wieder geliebt!
Sigurd fährt zurück. Du!
Hjördis mit Fassung. Ja, Sigurd, ich habe Dich geliebt, das erkenn' ich jetzt. Du sagst, ich war wortkarg und unmild gegen Dich – was soll ein Weib Bessres tun? – Hätt' ich meine Liebe zur Schau getragen, ich wäre Deiner unwert gewesen! Du warst mir stets der herrlichste unter allen Männern, und Dich als den Gatten einer andern zu wissen, das schuf mir jenes bittre Weh, das ich selbst nicht begriff.
Sigurd erschüttert. Ein unselig Gespinst hat die Norne um uns beide gesponnen.
Hjördis. Du selbst bist schuld daran; stark und kühn soll der Mann handeln. Als ich jene schwere Bedingung stellte dem, der mich erringen wollte, dacht' ich nur an Dich – und dennoch konntest Du –
Sigurd. Ich kannte Gunnars Seelenschmerz; ich allein konnt' ihn heilen; – welche Wahl blieb mir? Doch hätt' ich gewußt, was ich jetzt weiß – ich hätte nicht für mich einstehen können; denn eine gar gewaltige Macht ist die Liebe.
Hjördis rasch. Nun wohl, Sigurd, ein unselig Spiel hat uns lange Jahre getrennt; jetzt ist der Knoten gelöst. Die kommenden Zeiten sollen uns Ersatz geben!
Sigurd kopfschüttelnd. Unmöglich! Wir müssen uns wieder trennen.
Hjördis. Das müssen wir nicht. Ich liebe Dich! Jetzt darf ich's gestehen, ohne zu erröten; denn meine Liebe ist nicht buhlerisch wie die weichlicher Weiber. Wär' ich ein Mann – bei allen Mächten! ich könnte Dich just so lieben, wie ich es jetzt tue. Auf denn, Sigurd! Das Glück ist einer großen Tat wert. Wir beide sind frei, wofern wir es sein wollen, und dann ist das Spiel gewonnen!
Sigurd. Frei? Wie meinst Du das?
Hjördis. Was ist Dagny Dir? Was kann sie Dir sein? Nicht mehr, als Gunnar mir in meinen geheimen Gedanken. Was liegt daran, ob zwei elende Leben verspielt sind!
Sigurd. Hjördis, Hjördis!
Hjördis. Laß Gunnar hier bleiben, laß Dagny mit ihrem Vater nach Island ziehen – ich folge Dir in Stahl und Panzer auf allen Deinen Fahrten! Sigurd ist bewegt. Nicht als Deine Gattin will ich Dir folgen; denn ich hab' einem andern angehört, und das Weib lebt, das ehedem an Deiner Seite weilte. Nein, Sigurd, nicht als Gattin – wie eines jener starken Weiber, wie eine von Hildes Schwestern will ich Dir folgen, Dich zu Kampf und Mannestaten anfeuern, daß Dein Name weit über alle Lande klinge; im Schwerterspiel will ich nicht von Deiner Seite weichen, im Unwetter und auf der Wikingsfahrt will ich ausharren unter Deinen Mannen; und wenn Dir einst das Totenlied gesungen wird, dann soll es künden von Sigurd und von Hjördis.
Sigurd. Das war einst mein schönster Traum – jetzt ist es zu spät. Gunnar und Dagny stehen zwischen uns, und beide haben ein Recht auf diesen Platz. Um Gunnars willen gab ich meine junge Liebe hin – soll ich Seelenpein erdulden, so will ich wenigstens dies Opfer nicht umsonst gebracht haben. Und Dagny – treuherzig und vertrauensvoll, verließ sie Heimat und Sippe; nie darf sie ahnen, daß es Hjördis war, nach der ich mich sehnte in ihren Armen.
Hjördis. Und darum willst Du eine Last durchs Leben schleppen? Wozu wurden Dir Kraft und Mut, und alle die edlen Geistesgaben? Meinst Du, es sei fürder ein geziemend Los für mich, auf Gunnars Hof zu sitzen? Nein, Sigurd, glaube mir, es gibt noch viel zu tun für einen Mann wie Dich! Erik regiert Norwegens Reich – erhebe Dich wider ihn! Manch guter Kämpe wird in Deiner Gefolgschaft streiten; mit unüberwindlicher Macht wollen wir vordringen, streiten und wirken und nicht ruhen, bis Du auf Hårfagers Königsthron sitzest.
Sigurd. Hjördis, Hjördis! Das war der Traum meiner wilden Jugend. Er sei vergessen! Versuche mich nicht!
Hjördis mit Hoheit. Es ist der Norne Beschluß, daß wir beide zusammenhalten sollen. Er ist nicht umzustoßen. Klar seh' ich jetzt meinen Beruf im Leben: Dich berühmt zu machen über alle Lande! Du hast vor mir gestanden jeden Tag, jede Stunde, die ich hier gelebt. Ich wollte Dich aus meinem Herzen reißen, aber ich konnt' es nicht! Nun ist es nicht mehr nötig, denn nun weiß ich, daß Du mich liebst!
Sigurd mit erzwungener Kälte. Wohlan – so wisse: ich habe Dich geliebt. Es ist vorbei – vergessen sind jene Tage.
Hjördis. Du lügst, Sigurd! In meinem Wert steh' ich so hoch, daß Du es nie vergessen kannst, wenn Du mich einmal geliebt hast!
Sigurd heftig. Das muß ich und das will ich!
Hjördis. Sei's drum, aber Du kannst nicht. Hindern willst Du mich – es gelingt Dir nicht. Vor Abend noch sollen Gunnar und Dagny alles wissen!
Sigurd. Ha, das tust Du nicht!
Sigurd. Dann hab' ich Dich verkannt; für hochherzig hab' ich Dich stets gehalten.
Hjördis. Böse Tage zeugen böse Gedanken. Zu groß ist das Vertrauen, das Du in mich setztest. Ich will, ich muß Dir folgen – hinaus ins Leben, in den Kampf! Zu eng ist's mir in Gunnars Haus.
Sigurd mit Nachdruck. Aber den Wert der Mannesehre weißt Du doch zu schätzen?! Es ist triftiger Grund zum Kampf zwischen mir und Gunnar. Wenn Gunnar nun fiele von meiner Hand – würdest Du gleichwohl alles kund tun und mir folgen?
Hjördis stutzt. Warum fragst Du das?
Sigurd. Antworte mir zuvor! Was tätest Du, wenn ich der Mörder Deines Gatten würde?
Hjördis blickt ihn fest an. Dann müßt' ich schweigen und dürfte nicht ruhen, bis ich Dich in den Tod geschickt hätte.
Sigurd mit einem Lächeln. Gut, Hjördis – das wußt' ich wohl!
Hjördis unruhig. Aber das kann nicht geschehen!
Sigurd. Es muß geschehen. Du selbst hast nun die Würfel geworfen um Gunnars Leben und das meine.
Gunnar mit mehreren Knechten aus der Mitte.
Gunnar finster zu Hjördis. Nun keimt die Saat, die Du gesät!
Sigurd nähert sich. Was ist Dir widerfahren?
Gunnar. Sigurd, Du hier? – – – Was mir widerfahren ist? Nichts andres als ich wohl erwarten mußte. Sobald Dagny, Dein Weib, mir Kunde gebracht von Kåres Anschlag, stieg ich aufs Pferd, meine Nachbarn um Hilfe anzugehen wider ihn.
Hjördis gespannt. Nun?
Gunnar. Mürrisch lautete die Antwort, wo ich erschien. Mein Handel mit Kåre sei wenig rühmlich, sagten sie – hm, sie sagten noch andere Dinge, die ich nicht wiederholen mag. Bin ich doch ein beschimpfter Mann: sie sagen mir nach, ich hätte wie ein Bube gehandelt. Mit mir gemeinsame Sache zu machen, das gilt jetzt für Schande.
Sigurd. Nicht lange mehr wird es für Schande gelten; vor Abend noch sollst Du hinreichende Gefolgschaft haben wider Kåre.
Gunnar. Sigurd!
Hjördis leise, triumphierend. Ha, das wußt' ich wohl!
Sigurd mit erzwungenem Kraftgefühl. Aber hiemit, Gunnar, ist auch der Friede zwischen uns zu Ende! Du hast Thorolf, meines Weibes Bruder, erschlagen, und darum entbiete ich Dich zum Zweikampf auf morgen, wenn die Sonne aufgeht!
Hjördis geht in heftiger Gemütsbewegung einen Schritt auf Sigurd zu, faßt sich aber und bleibt während des Folgenden unbeweglich stehen.
Gunnar in höchster Überraschung. Zum Zweikampf – mich? Du scherzest, Sigurd!
Sigurd. Zum Zweikampf bist Du ehrlich entboten; es gibt ein Würfelspiel um Leben und Tod. Einer von uns muß fallen!
Gunnar bitter. Ha, ich verstehe! Du warst allein mit Hjördis, als ich kam – sie hat Dich aufs neue aufgestachelt.
Sigurd. Vielleicht. Halb zu Hjördis gewandt. Ein hochgesinntes Weib muß ja des Gatten Ehre wahren. Zu den Männern im Hintergrunde. Und Ihr, Leute, geht zu Gunnars Nachbarn und sagt ihnen, daß er morgen Schwerthiebe mit mir tauscht. Feig wird keiner den Mann nennen, der mit Sigurd dem Starken einen Waffengang wagt.
Die Knechte gehen ab durch die Mitte.
Gunnar geht rasch auf Sigurd zu und drückt ihm die Hand in heftiger Gemütsbewegung. Sigurd, mein edler Bruder, jetzt erst versteh' ich Dich! Wie Du einst für mein Glück Dein Leben wagtest, so wagst Du es nun für meine Ehre.
Sigurd. Dank' Deinem Weibe; sie hat den größten Teil an meinem Tun. – Morgen, wenn die Sonne heraufsteigt –
Gunnar. Treff ich Dich. Weich. Waffenbruder, willst Du ein gutes Schwert von mir haben? Es ist eine köstliche Gabe.
Sigurd, Dank, Gunnar! Doch laß es hängen – Wer weiß, ob ich es am nächsten Abend noch brauchen kann.
Gunnar schüttelt Sigurd die Hand. Leb' wohl, Sigurd!
Sigurd. Leb' wohl – und Glück zum Werke!
Sie scheiden. Gunnar geht links hinaus, Sigurd wirft einen Blick auf Hjördis und geht ab durch die Mitte.
Hjördis nach einer Pause, leis und gedankenvoll. Zum Zweikampf – morgen? Wer wird fallen? Schweigt eine Weile und ruft dann aus, wie von einem festen Entschluß gepackt: Wer auch falle – Sigurd und ich bleiben beisammen!