Henrik Ibsen
Die Helden auf Helgeland
Henrik Ibsen

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Zweiter Akt

Die Festhalle in Gunnars Hause. Die Eingangstür befindet sich im Hintergrunde, kleinere Türen an den Seitenwänden. Im Vordergrunde links der große Hochsitz, ihm gegenüber, rechts, der kleinere. Mitten in der Halle brennt ein Reisigfeuer auf einem gemauerten Herd. Im Hintergrunde zu beiden Seiten der Tür sind Erhöhungen für die Frauen des Hauses. An den Wänden entlang zwei mächtige Tische mit Bänken zu beiden Seiten; sie reichen von den zwei Hochsitzen bis zum Hintergrunde. Draußen ist es finster; das Feuer erhellt die Halle.

Dagny und Hjördis kommen von rechts herein.

Dagny. Ich verstehe Dich nicht, Hjördis. Du hast mich nun auf dem ganzen Hof herumgeführt. Ich wüßte nicht, was Dir fehlt – und was Du hast, ist schön und herrlich – wie kannst Du klagen?

Hjördis. Hm! Setz' einen Aar in den Käfig, und er wird in die Stäbe beißen, seien sie nun von Eisen oder von Gold.

Dagny. In einem bist Du doch reicher als ich; Du hast Egil, Deinen kleinen Sohn.

Hjördis. Besser keinen Sohn als einen, der unehrlich geboren ist!

Dagny. Unehrlich?

Hjördis. Hast Du die Worte Deines Vaters vergessen? – Egil ist ein Bankert, – so sagte er.

Dagny. Ein Wort im Zorn gesprochen – wie magst Du das Dir zu Herzen nehmen!

Hjördis. Ja, ja, Oernulf hatte recht; Egil ist schwächlich; man merkt ihm an, daß er unfrei geboren.

Dagny. Hjördis, wie kannst Du –

Hjördis, ohne auf sie zu hören. So saugt sich die Schande ins Blut, wie Gift vom Schlangenzahn. In freigebornen Heldensöhnen ist andres Mark. Ich hab' von einer Königin gehört, die ihrem Sohn das Wams fest ins Fleisch genäht, ohne daß er mit den Augen zuckte. Mit einem boshaften Gesichtsausdruck. Dagny, das will ich bei Egil versuchen!

Dagny empört. Hjördis! Hjördis!

Hjördis lacht. Haha! Du denkst, es sei mein Ernst? Mit verändertem Ton. Doch ob Du mir nun glaubst oder nicht – bisweilen kommt eine unwiderstehliche Lust über mich, dergleichen zu vollführen. Es muß wohl im Blute liegen; es heißt ja, ich stamme vom Geschlechte Jötuns. – Da, setz' Dich, Dagny! Weit herum bist Du gekommen in diesen fünf langen Jahren – sag', an Königshöfen warst Du wohl oft zu Gast?

Dagny. Gewiß! Zumal bei Aedhelstan in England.

Hjördis. Und warst überall hoch geehrt und saßest zu oberst an der Tafel?

Dagny. Das sollt' ich meinen. Als Sigurds Ehefrau –

Hjördis. Fürwahr, ein gepriesener Held ist Sigurd – steht auch Gunnar über ihm.

Dagny. Gunnar?

Hjördis. Eine Tat vollbrachte Gunnar, deren Sigurd sich nicht erkühnte – Doch genug! – Und nun sag' mir: wenn Sigurd auf Wikingsfahrten war und Du ihm folgtest; wenn Du die Schwerter sausen hörtest in wildem Spiel; wenn das rote Blut auf dem Schiffsdeck dampfte – überkam Dich da nicht eine unbändige Lust, unter den Männern zu streiten, das Kriegskleid anzulegen und zur Waffe zu greifen?

Dagny. Nie! Wo denkst Du hin? Ich – ein Weib!

Hjördis. Ein Weib, ein Weib! – Es gibt niemand, der weiß, was ein Weib vermag! – Nun, – eines wirst Du mir doch sagen können, Dagny; denn das mußt Du sicher wissen: wenn ein Mann das Weib umfängt, das er liebt – ist es wahr, daß alsdann ihr Blut brennt, daß ihre Brust pocht, daß ihr die Sinne vergehen vor seliger Lust?

Dagny errötend. Hjördis, wie kannst Du –

Hjördis. So sag' mir's–

Dagny. Das, denk' ich, hast Du wohl selbst erfahren.

Hjördis. Ja, ein Mal, nur ein einzig Mal! Es war in jener Nacht, da Gunnar bei mir saß in der Kammer. Er umfing mich so heftig, daß der Harnisch barst, und da, da –

Dagny erregt. Wie? Sigurd?

Hjördis. Sigurd? Wer spricht von Sigurd? Von Gunnar red' ich und von jener Nacht, da der Weiberraub –

Dagny faßt sich. Ja, ich erinnere mich, – ich weiß wohl –

Hjördis. Es war das erste und das einzige Mal in meinem Leben – Mir war, als hätt' ein Zauber mich gebannt. Denn daß Gunnar ein Weib so umfahen könne, das – Sie hält inne und blickt Dagny an. Bist Du krank? – Bald wirst Du bleich, bald rot –

Dagny. Ich? O nein!

Hjördis ohne Dagnys zu achten. Hinaus aufs Meer in den lustigen Kampf hätt' ich ziehen sollen! Das wäre besser gewesen, für mich und vielleicht auch – für uns alle! Das war' ein Leben gewesen, voll und reich! – Wunderst Du Dich nicht, Dagny, mich lebend hier zu finden? Wird Dir nicht bange, nun es finster worden, allein in einer Stube mit mir zu sein? Kommt Dir nicht der Gedanke, ich wär' all die Zeit über tot gewesen, und die hier vor Dir steht, sei nur ein Geist?

Dagny in unheimlicher Stimmung. Komm – laß uns gehen – zu den andern!

Hjördis faßt sie beim Arm. Nein, bleib! Begreifst Du, Dagny, wie ein Mensch, der fünf Nächte hier geweilt hat, noch leben kann?

Dagny. Fünf Nächte?

Hjördis. Hier im Norden ist jede Nacht einen Winter lang. – In schnellem Wechsel der Stimmung. Aber nein, – es ist auch schön hier! Du sollst hier sehen, was Du nie an Englands Königshof erschaut. Die Zeit, da Du bei mir bist, wollen wir miteinander wie Schwestern sein. Zum Meer hinunter wollen wir gehen, wenn das Unwetter tobt; Du sollst die Wogen sehen, wie sie ans Land fliegen gleich wilden weißmähnigen Rossen. Und weit draußen die Walfische! Sie gehen aufeinander los wie Kämpen in Panzer und Stahl! – Ha, welche Wonne, reitend auf des Walfischs Rücken als Unhold vor den Schiffen einherzuziehen, den Sturm zu wecken und durch süße Zauberweisen die Menschen in die Tiefe zu locken!

Dagny. Pfui, Hjördis, wie kannst Du nur so sprechen!

Hjördis faßt sie bei der Hand. Kannst Du Zauberlieder singen?

Dagny mit Abscheu. Ich?!

Hjördis. Ich glaubte es. Denn wodurch sonst hättest Du Sigurd an Dich gelockt?

Dagny. Schändlich ist Deine Rede. Ich gehe!

Hjördis hält sie zurück. Weil ich scherze? – Hör' nur weiter! Wie herrlich, Dagny, am Abend hier an der Luke zu sitzen, – zuzuhören dem Meergespenste, das im Bootshaus unten jammert – hier zu weilen und zu lauschen auf die Heimfahrt der Toten – denn hier oben im Norden müssen sie vorbei. Die Recken sind's, die im Streite gefallen, die gewaltigen Weiber, die ihr Leben nicht tatenlos verbracht, wie Du und ich. In Sturm und Ungewitter sausen sie durch die Lüfte – auf schwarzen Rossen und mit hellem Schellenklang! Schlingt ihre Arme um Dagny und drückt sie wild an ihre Brust. Ha! Stell' Dir vor, Dagny, die letzte Fahrt auf so herrlichem Renner zu tun!

Dagny, indem sie sich losreißt. Hjördis! Hjördis! Laß mich! Ich will nichts hören!

Hjördis lacht. Weich ist Dein Sinn und schreckhaft.

Gunnar kommt vom Hintergrunde her mit Sigurd und Thorolf.

Gunnar. Ja wahrhaftig, zu meinem Glücke fehlt mir nun nichts mehr. Dich, Sigurd, meinen tapfern Bruder, hab' ich wiedergefunden, ganz so treu wie in früheren Tagen; ich habe Oernulfs Sprossen unter meinem Dach, und er selbst, der Greis, wird später kommen – ist's nicht so?

Thorolf. Er versprach es.

Gunnar. Wäre nur auch klein Egil hier!

Thorolf. Den Knaben hast Du wohl sehr lieb, denn Du sprichst so oft von ihm?

Gunnar. Wie sollt' ich nicht! Er ist ja doch mein einziges Kind und verspricht hold und liebreich zu werden.

Hjördis. Aber kein Kämpe.

Gunnar. Je nun, das wird sich zeigen.

Sigurd. Daß Du ihn aber fortbrachtest –

Gunnar. Hätt' ich's nur nicht getan! Halblaut. Du weißt ja, Sigurd: hat einer etwas über alles in der Welt lieb, so handelt er zuweilen unmännlich. Laut. Nur wenig Leute hatt' ich auf dem Hof, und keiner von uns konnte des Lebens sicher sein, als es hieß, Oernulf sei mit einem Heerschiff gelandet.

Hjördis. Ich kenn' etwas, das noch höher steht als das Leben.

Thorolf. Und das wäre?

Hjördis. Unsere Ehre und unser Ruf vor der Welt.

Gunnar. Hjördis!

Sigurd. Nimmer soll es von Gunnar heißen, er habe durch solche Tat seine Ehre verwirkt.

Gunnar streng. Vergebliches Bemühn, mich wider Oernulfs Sippe aufzureizen!

Hjördis lächelnd. Hm, sag' mir, Sigurd, – kann Dein Schiff mit allen Winden segeln?

Sigurd. Ja, wenn es klug gesteuert wird.

Hjördis. Gut; auch ich will mein Schiff mit Klugheit steuern und hoffe, ans Ziel zu kommen.

Geht nach dem Hintergrund.

Dagny leise und unruhig. Sigurd, laß uns fort – noch heut abend!

Sigurd. Jetzt ist's zu spät; Du selbst hast –

Dagny. Da hatt' ich Hjördis noch lieb; aber jetzt – ich hab' Worte von ihr vernommen – daß mich schaudert, denk' ich daran.

Sigurds Mannen mit andern Gästen. Männer und Weiber, Knechte und Mägde im Hintergrund.

Gunnar nach einer kleinen Pause, die mit gegenseitigen Begrüßungen usw. ausgefüllt wird. Nun zu Tisch! Mein vornehmster Gast, Oernulf von den Fjorden, kommt später. Thorolf hat es mir zugesagt.

Hjördis zum Hausgesinde. Reicht Bier und Met herum! Dann löst sich die Zunge und der Sinn wird fröhlich.

Gunnar führt Sigurd zu dem Hochsitz rechts. Dagny setzt sich Sigurd zur Rechten, Hjördis sitzt ihm gerade gegenüber auf der andern Seite desselben Tisches. Thorolf erhält Platz am andern Tische und sitzt also Gunnar gegenüber, der sich auf dem hohen Hochsitze niederläßt. Die übrigen nehmen gegen den Hintergrund zu Platz.

Hjördis nach einer kurzen Pause, während der man einander zugetrunken und leise über den Tisch geplaudert hat. Selten findet man so viel kühne Männer beisammen, wie heut abend hier in der Halle. Schicklich also wär's, den alten Brauch zu üben, daß jeder seine Taten nenne! Dann können alle entscheiden, wer der kühnste ist.

Gunnar. Der Brauch ist gefährlich beim Trinkgelage. Unfrieden führt er zumeist herauf.

Hjördis. Ich dachte nicht, daß Gunnar furchtsam sei.

Sigurd. Das denkt gewiß niemand. Aber spät würden wir fertig, wollte jeder von uns seine Taten nennen; so zahlreich sind wir. Erzähl' uns lieber von Deiner Fahrt nach Bjarmeland, Gunnar! So weit nordwärts gefahren zu sein, das ist eine vollwertige Tat, und gern hören wir Dir zu.

Hjördis. Die Fahrt nach Bjarmeland ist Fährmannswerk und verdient nicht, vor Helden genannt zu werden. Nein, Sigurd – beginne Du! Wenn ich nicht glauben soll, daß Du meinen Eheherrn nur ungern preisen hörst, so beginne! Nenne von Deinen Taten die, so Du am höchsten schätzest!

Sigurd. Da Du mich zwingst, so sei es! Dies meine Tat: Als ich auf einer Wikingsfahrt unter Orknö lag, da kamen uns Feinde entgegen; wir aber enterten die Schiffe, und ich stritt allein gegen acht Mann.

Hjördis. Die Tat war gut. Aber warst Du in ganzer Rüstung?

Sigurd. In ganzer Rüstung – mit Axt, Speer und Schild.

Hjördis. Die Tat war gleichwohl gut. Und nun, mein Eheherr, künde Du die rühmlichste Deiner Taten!

Gunnar unwillig. Ich erschlug zwei Berserker, die ein Handelsschiff geraubt hatten, sandte die gefangnen Fährleute in ihre Heimat zurück und gab das Schiff frei ohne Lösegeld. Englands König nannte diese Tat wacker, sagte, ich hätte rühmlich gehandelt, und sandte mir Dank und gute Gaben.

Hjördis. Wahrlich, Gunnar, eine bessere Tat hättest Du namhaft machen können!

Gunnar heftig. Keiner andern weiß ich mich zu rühmen! Seit ich von Island fuhr, hab' ich in Frieden gelebt und mich an Seefahrten erfreut. – Nichts mehr davon!

Hjördis. Wenn Du selbst Deinen Ruhm verdunkelst, so muß Dein Eheweib sprechen.

Gunnar. Hjördis, schweig – ich befehl' es!

Hjördis fährt fort. Sigurd stritt gegen acht Mann und war in voller Rüstung. Gunnar ging bei finstrer Nacht in mein Gemach, erschlug den Bären, der die Stärke von zwanzig Männern hatte, und trug doch nur in der Hand ein kurzes Schwert!

Gunnar in heftiger Erregung. Weib, kein Wort mehr!

Dagny leise. Sigurd, wirst Du dulden –

Sigurd ebenso. Schweig!

Hjördis zu den übrigen. Und nun, Ihr wackeren Männer, wer ist der kühnere: Sigurd oder Gunnar?

Gunnar. Schweig!

Hjördis mit erhobener Stimme. Sagt an! Mit Fug heischt man es von Euch!

Ein alter Mann unter den Gästen. Soll die Wahrheit gesagt werden: Gunnars Tat ist herrlicher denn alles, was je ein Mann vollbracht hat. Gunnar ist der kühnste Held, und nächst ihm Sigurd!

Gunnar, indem er über den Tisch hinblickt. Sigurd, Sigurd! Wenn Du wüßtest –

Dagny leise. Das ist zu viel – selbst für einen Freund!

Sigurd ebenso. Schweig, Dagny! Laut zu den übrigen. Sicherlich ist Gunnar der edelste der Helden; und dafür würde ich ihn halten bis an meinen letzten Tag, auch wenn er jene Tat nicht vollführt hätte; denn ich achte sie minder hoch als Ihr.

Hjördis. Das sprichst der Neid aus Dir, Wiking Sigurd!

Sigurd lächelnd. Wie Du Dich irrest! Freundlich zu Gunnar, indem er ihm über den Tisch zutrinkt. Heil Dir, edler Gunnar! Fest soll unsere Freundschaft bestehen, versucht man gleich sie zu erschüttern.

Hjördis. Das versucht niemand, soviel ich weiß.

Sigurd. Sag' das nicht! Fast möcht' ich glauben, Du ludest uns zum Trinkgelage, um Unfrieden zu stiften.

Hjördis. Das gleicht Dir, Sigurd! Du bist böse, weil Du unter den Zechgenossen hier nicht als der Erste giltst.

Sigurd. Allzeit hab' ich Gunnar höher geschätzt als mich selbst.

Hjördis. Nun, – der Platz hinter Gunnar ist ja auch gut, und – mit einem Seitenblick auf Thorolf – wär' Oernulf hier, so wär' ihm die dritte Stelle geworden!

Thorolf. Dann hätte Jökul, Dein Vater, ganz unten an der Tafel sitzen müssen; denn er mußte Oernulf weichen.

Der folgende Wortwechsel wird von beiden Seiten mit wachsender, doch verhaltener Leidenschaftlichkeit geführt.

Hjördis. Das solltest Du nicht sagen. Oernulf ist ja Skalde; und es geht das Gerede, daß er sich größerer Taten gerühmt hat, als er vollbrachte.

Thorolf. Dann wehe dem, der dieses Gerede so laut wiederholt, daß es mir zu Ohren dringt.

Hjördis mit herausforderndem Lächeln. Wolltest Du es rächen?

Thorolf. Ja, und auf eine Art, daß es weithin ruchbar würde!

Hjördis. So will ich mein Horn darauf leeren, daß Dir zuvor ein Bart ums Kinn sprosse!

Thorolf. Selbst ein bartloser Gesell ist zu gut dazu, mit Weibern zu zanken.

Hjördis. Doch zu weichlich, um mit Männern zu kämpfen. Deshalb ließ Dein Vater Dich zu Haus auf Island so lang hinter dem Ofen, während Deine Brüder ins Feld zogen.

Thorolf. Schlimm war's, daß sein Auge nicht ebenso gut über Dich wachte; nie hättest Du dann als entführtes Weib Island verlassen können!

Sigurd und Gunnar. Thorolf!

Dagny zu gleicher Zeit. Bruder!

Hjördis leise und zitternd vor Aufregung. Ha, warte – warte Du!

Thorolf reicht Gunnar die Hand. Sei nicht böse, Gunnar! Schlimme Worte entfielen meinem Munde – aber Deine Ehefrau reizte mich.

Dagny leise und flehend. Schwester, wenn Du mich je liebtest, so wecke keinen Streit!

Hjördis lachend. Beim Trinkgelage muß man Spaß verstehen, wenn die Fröhlichkeit gedeihen soll.

Gunnar, der leise mit Thorolf gesprochen. Du bist ein braver Bursche! Reicht ihm ein Schwert, das am Hochsitze hängt. Da, Thorolf, da hast Du eine gute Gabe! Mach' guten Gebrauch davon und laß uns Freunde sein!

Hjördis. Du solltest Deine Waffen nicht verschenken, Gunnar. Die Leute könnten sonst sagen, Du trenntest Dich nur von Dingen, die Du selbst nicht zu brauchen weißt.

Thorolf, der inzwischen das Schwert geprüft. Dank für die Gabe, Gunnar! In unrühmlichem Handel soll dieses Schwert nie geschwungen werden!

Hjördis. Willst Du das Gelübde halten, so leihe das Schwert niemals Deinen Brüdern!

Gunnar. Hjördis!

Hjördis fährt fort. Hänge es auch nicht an Deines Vaters Wand, sonst hängt es bei den Waffen eines unwürdigen Mannes.

Thorolf. Wohl wahr, Hjördis – Deines Vaters Axt und Schild hängen dort seit manchen Jahren.

Hjördis bezwingt sich. Daß Oernulf meinen Vater erschlug, – diese Tat führst Du beständig im Munde; aber spricht das Gerücht wahr, so ist die Tat weniger ehrenvoll, als Du denkst.

Thorolf. Und was sagt das Gerücht?

Hjördis lächelnd. Ich darf es nicht künden; Du würdest aufbegehren.

Thorolf. So schweig – das seh' ich lieber! Kehrt ihr den Rücken.

Hjördis. Nun, ich kann es ja auch sagen. Ist es wahr, Thorolf, daß Dein Vater in Weiberkleidung drei Nächte bei der Hexe in Smalserhorn saß und Zaubertränke kochte, bevor er wagte, zum Zweikampf mit Jökul auszuziehen? Alle erheben sich, große Bewegung unter den Gästen.

Gunnar, Sigurd und Dagny. Hjördis!

Thorolf in der höchsten Erbitterung. Solch eine schändliche Lüge über Oernulf von den Fjorden hast Du nicht gehört, Du hast sie selbst erdichtet, und wer auf so etwas verfällt, muß giftig sein wie Du! Die schimpflichste Tat, die ein Mann begehen kann, hast Du meinem Vater nachgesagt. Wirft das Schwert weg. Da, Gunnar, da hast Du sie wieder, Deine Gabe! Aus dem Hause, wo mein Vater verhöhnt wurde, nehm' ich kein Geschenk mit!

Gunnar. Thorolf, so hör' doch!

Thorolf. Laß mich fort! Doch hütet Euch Ihr beiden. Du wie Hjördis! Denn in diesem Augenblicke hat mein Vater den in seiner Gewalt, der Euch das Teuerste ist auf Erden.

Hjördis stutzt. Dein Vater hat –

Gunnar fährt auf. Was sagst Du?

Sigurd heftig. Wo ist Oernulf?

Thorolf mit Hohnlachen. Südwärts – mit meinen Brüdern!

Gunnar. Südwärts!

Hjördis in heftiger Leidenschaft. Gunnar! Oernulf hat unseren Sohn ermordet!

Gunnar. Ermordet! Egil ermordet! Dann wehe Oernulf und seinem ganzen Hause! Thorolf – ist es wahr?

Sigurd. Gunnar, Gunnar – hör' mich an!

Gunnar. Antworte, wenn Dir Dein Leben lieb ist!

Thorolf. Du schreckst mich nicht! Wart' nur, bis mein Vater kommt. Rache dräuend dringt er in Gunnars Hof! Und Du, Hjördis, freue Dich der Worte, die ich heut vernahm: »Noch eh' es dunkelt, werden Gunnar und sein Weib sich keines Sprossen mehr zu rühmen haben!«

Ab durch die Mitte.

Gunnar im tiefsten Schmerz. Ermordet – ermordet! Mein Egil ermordet!

Hjördis wild. Und Du läßt Thorolf ziehen! Läßt Egil, Deinen Sohn, ungerächt? Ein Schurke sollst Du sein vor jedermann, wofern –

Gunnar ganz außer sich. Ein Schwert, – eine Axt! – Das war seine letzte Botschaft! Entreißt einem der Umstehenden die Axt und eilt hinaus.

Sigurd will ihm folgen. Gunnar, zügle Dich!

Hjördis hält Sigurd zurück. Bleib, bleib! Die Männer werden sie trennen – ich kenne Gunnar. Man hört einen Schreckensruf aus der Menge, die am Ausgang sich schart.

Sigurd und Dagny. Was war das?

Eine Stimme aus der Menge. Thorolf fiel!

Sigurd. Thorolf! Ha, laßt mich!

Dagny. Mein Bruder! O mein Bruder!

Sigurd will hinaus, im selben Augenblick aber teilt sich die Menge, Gunnar tritt ein und wirft an der Tür die Axt zu Boden.

Gunnar. Es ist geschehen! Egil ist gerächt!

Sigurd. Wohl Dir, wenn Du nicht zu rasch gewesen mit der Tat!

Gunnar, Kann sein, kann sein! Doch Egil – Egil, mein holder Junge!

Hjördis. Wappnen müssen wir uns jetzt und Hilfe bei unsern Freunden suchen; denn Thorolf hat viele Rächer.

Gunnar finster. Er selbst wird sein schrecklichster Rächer sein; Tag und Nacht wird er mir vor Augen stehen.

Hjördis. Thorolf bekam seinen Lohn. Für der Sippe Tat muß die Sippe büßen.

Gunnar. Wohl wahr. Aber das weiß ich: vor dem Mord war mir froher zu Mut.

Hjördis. Die Blutnacht ist stets die ärgste – ist sie vorüber, dann wird es besser. Mit schändlicher List hat Oernulf der Rache gefröhnt. In offnem Kampf wollte er sich uns nicht stellen; er tat, als sei er versöhnlich gestimmt, und fiel so über unser wehrloses Kind her! Ha, ich sah schärfer als Ihr. Mir ahnte, daß Oernulf schlimm und arglistig sei! Wohl hatt' ich Grund, Dich aufzustacheln gegen ihn und sein ganzes falsches Geschlecht!

Gunnar erregt. Du hattest recht. Gering ist meine Rache im Vergleich zu Oernulfs Missetat. Er verlor Thorolf, aber er hat doch sechs Söhne noch. Ich hingegen habe keinen – keinen mehr!

Ein Knecht kommt eilig aus dem Hintergrunde her. Oernulf von den Fjorden naht!

Gunnar. Oernulf!

Hjördis und einige Männer. Zu den Waffen! Zu den Waffen!

Dagny zu gleicher Zeit. Mein Vater!

Sigurd wie von einer Ahnung erfaßt. Oernulf? – Ha, Gunnar, Gunnar!

Gunnar zieht das Schwert. Auf, Ihr Mannen! Rache über Egils Mörder!

Oernulf tritt ein, mit Egil auf dem Arm.

Gunnar aufschreiend. Egil!

Oernulf. Da habt Ihr klein Egil wieder.

Alle durcheinander. Egil – Egil lebt!

Gunnar läßt das Schwert sinken. Weh' mir! Was hab' ich getan!

Dagny. O Thorolf, mein Bruder!

Sigurd. Ich dacht' es wohl!

Oernulf setzt Egil nieder. Da, Gunnar, hast Du Deinen wackern Jungen!

Egil. Vater! Der alte Oernulf wollte mir ja nichts zu Leide tun, wie Du mir sagtest, als ich fortkam.

Oernulf zu Hjördis. Buße hab' ich gezahlt für Deines Vaters Tod! Jetzt können wir uns wohl versöhnen.

Hjördis mit unterdrückter Bewegung. Vielleicht!

Gunnar wie aus dem Schlaf erwachend. Hat mich ein häßlicher Traum verwirrt? Du – Du bringst Egil!

Oernulf. Wie Du siehst. Doch wisse, er war dem Tode nahe.

Gunnar. Ich weiß es.

Oernulf. Und Du freust Dich nicht mehr über seine Wiederkehr?

Gunnar. Wär' er früher gekommen, ich würde mich mehr gefreut haben. – Doch sag' mir alles, was geschehen!

Oernulf. Das ist bald gesagt. Kåre spann Ränke wider Euch. Mit andern Bösewichtern fuhr er gen Süden, Egil zu fahnden.

Gunnar. Kåre! Leise. Ha, nun versteh' ich Thorolfs Worte!

Oernulf zu Gunnar. Sein Anschlag kam mir zu Ohren. Die Untat durfte nicht geschehen. Ich wollte nicht Genugtuung geben für Jökul und hätte Dich selbst im Zweikampf getötet, wenn es hätte sein müssen – aber Dein Geschlecht wollt' ich schirmen. So zog ich mit meinen Söhnen Kåre nach.

Sigurd leise. Eine unselige Tat ward hier begangen!

Oernulf. Wie ich zur Stelle kam, lagen Egils Begleiter gebunden, Dein Sohn war schon in der Feinde Gewalt, und nicht lange mehr würden sie ihn geschont haben. Da gab es einen heißen Kampf! Nicht oft hab' ich schärfere Schwerthiebe getauscht. Kåre und zwei Männer flohen landeinwärts. Die andern schlafen fest, – schwer werden sie zu wecken sein.

Gunnar in großer Spannung. Doch Du – Du, Oernulf?

Oernulf finster. Sechs Söhne folgten mir in den Kampf –

Gunnar atemlos. Und heimwärts?

Oernulf. Keiner.

Gunnar entsetzt. Keiner! Leise. Und Thorolf, Thorolf!

Tiefe Bewegung in der Menge. Hjördis scheint einen schweren innern Kampf zu kämpfen. Dagny weint leise auf dem Hochsitz zur rechten. Sigurd steht schmerzlich bewegt hinter ihr.

Oernulf nach einer kleinen Pause. Gleich einer üppigen Tanne dazustehen und durch ein einziges Unwetter dann aller Zweige beraubt zu werden – das ist hart. Doch neue Menschen kommen wieder – reicht mir ein Horn – ich will meiner Söhne Gedächtnis trinken! Einer von Sigurds Leuten bringt ein Horn. Heil Euch, die Ihr nun einreitet in Walhall, meine tapfern Söhne! Die ehernen Tore werden nicht hinter Euren Fersen zuschlagen, denn Ihr kommt mit großem Gefolge! – Trinkt und gibt das Horn weiter. Und nun heimwärts nach Island! Oernulfs Heerfahrt ist zu Ende! Der alte Baum hat nur noch einen grünen Zweig, und der muß behütet werden. Wo ist Thorolf?

Egil zu seinem Vater. Ja, bring mich zu Thorolf! Oernulf sagte, Thorolf wird mir ein Schiff schnitzen mit vielen, vielen Helden an Bord.

Oernulf. Preisen muß ich alle guten Mächte, daß Thorolf nicht mitgezogen in den Kampf. Wär' auch er – so stark ich bin, das hätt' ich nicht überstanden! Doch wo bleibt er? Immer war er der erste, seinen Vater zu begrüßen! Glaubten wir beide doch keinen Tag ohne einander leben zu können.

Gunnar. Oernulf, Oernulf!

Oernulf mit steigender Unruhe. So stumm steht Ihr alle da! Erst jetzt seh' ich es. Was ist geschehen? Wo ist Thorolf?

Dagny. Sigurd, Sigurd – das übersteht er nicht!

Gunnar mit sich kämpfend. Greis! – Nein! – Und doch, es läßt sich nicht verheimlichen –!

Oernulf heftig. Mein Sohn! Wo ist er?

Gunnar. Thorolf ist erschlagen.

Oernulf. Erschlagen! Thorolf? Thorolf? – Das lügst Du!

Gunnar. Mein Herzblut gäb' ich hin, wüßt' ich ihn am Leben!

Hjördis. Thorolf selbst ist Schuld an dem, was geschah. In dunkler Rede gab er zu verstehen, daß Du Egil überfallen und getötet habest. Halb im Unfrieden sind wir geschieden. Du hast schon einmal Männer meines Stammes erschlagen – und außerdem – ein frechmäuliger Bursch, saß Thorolf am Tisch, und er stieß viel böse Worte aus. Da erst kam über Gunnar der Zorn; da erst erhob er die Waffe gegen Deinen Sohn. Er hatte triftigen Grund zur Tat, sollt' ich meinen.

Oernulf ruhig. Man merkt, daß Du ein Weib: denn Du brauchst viel Worte. Wozu das? – Ist Thorolf tot, so ist sein Lied zu Ende.

Egil. Wenn Thorolf tot ist, so bekomm' ich keine Helden.

Oernulf. Ja, Egil, wir beide haben unsere Helden verloren. Zu Hjördis. Dein Vater sang:

    »Jökuls Sproß wird Jökuls Mörder
    Weh bereiten allerwegen.« –

Gut hast Du dafür gesorgt, daß sein Wort Wahrheit werde. Er schweigt einen Augenblick und wendet sich dann zu einem der Männer. Wo empfing er den Todesstreich?

Der Mann. Quer über der Stirn.

Oernulf befriedigt. Hm, eine rühmliche Stelle! So hat er nicht den Rücken gewandt. Doch – fiel er seitwärts nieder oder vor Gunnars Füße?

Der Mann. Halb auf die Seite, halb vor Gunnars Füße.

Oernulf. Das kündet nur halbe Rache. Ja, ja – wir werden sehen!

Gunnar nähert sich. Oernulf! Ich weiß, daß all mein Hab und Gut den Verlust nicht aufwiegen kann. Doch fordere von mir, was Du willst –

Oernulf streng abbrechend. Gib mir Thorolfs Leichnam und laß mich ziehen! Wo liegt er? Gunnar deutet stumm nach dem Hintergrund.

Oernulf geht ein paar Schritte, dann aber wendet er sich um und spricht mit Donnerstimme zu Sigurd, Dagny und mehreren, die ihm teilnehmend folgen wollen: Bleibt! – Glaubt Ihr, Oernulf brauche ein Trauergeleit wie ein wehklagend Weib? – Bleibt, sag' ich! Den Thorolf trag' ich ganz allein. Ruhig-kraftvoll. Ohne Söhne geh' ich von dannen, doch keiner soll sagen, daß er gebeugt mich sah!

Er geht langsam hinaus.

Hjördis mit gezwungenem Lachen. Laßt ihn gehen, wenn er will! Zahlreich brauchen wir nicht zu sein, sollt' er im Unfrieden wiederkehren. Nun, Dagny, denk' ich, ist es wohl das letzte Mal, daß zu solchem Handel Dein Vater von Island zog.

Sigurd aufgebracht. Schändlich!

Dagny ebenso. Du kannst ihn noch verhöhnen – verhöhnen nach dem, was geschah!?

Hjördis. Ist die Tat getan, so soll sie auch gerühmt werden! Haß und Rache schwur ich Oernulf diesen Morgen. Jökuls Ermordung könnt' ich vergessen, alles – nur das nicht, daß Oernulf mein Geschick schmähte. Eine Buhle nannt' er mich. Bin ich's, so hab' ich mich dessen nicht zu schämen: denn Gunnar ist jetzt mächtiger als Dein Vater. Er ist herrlicher und berühmter als Sigurd, Dein eigner Gatte!

Dagny in heftiger Erregung. Da irrst Du, Hjördis – und gleich jetzt sollen alle es wissen, daß Du unter dem Dach eines Feiglings wohnst!

Sigurd heftig. Dagny, was tust Du!

Gunnar. Feigling?

Hjördis mit Hohnlachen. Du sprichst im Wahnwitz!

Dagny fährt fort. Nicht länger soll es verschwiegen werden. Ich blieb still, als Du meinen Vater und meine gefallenen Brüder verhöhntest; blieb still, solange Oernulf zugegen war – denn er sollte nicht hören, daß Thorolf von eines Buben Hand gefallen. Nun aber – nun rühme Du Gunnar nimmermehr um jene Tat auf Island, denn Gunnar ist feige! Das Schwert, das blank und bloß zwischen Dir und dem Entführer lag, das hängt an meines Gatten Seite – und der Ring, den Du vom Arm Dir zogst, – gegeben hast Du ihn Sigurd! Sie zieht den Ring ab und hält ihn hoch empor. Da ist er!

Hjördis wild. Sigurd!

Die Menge. Sigurd! Sigurd vollbrachte die Tat!

Hjördis bebend vor innerer Erregung. Er, Er! – Gunnar, ist es wahr?

Gunnar mit edler Ruhe. Alles ist wahr! Nur das nicht, daß ich feige bin; – ich bin weder ein Feigling, noch ein Bube!

Sigurd bewegt zu Gunnar. Das bist Du nicht, und bist es nie gewesen! Zu den übrigen. Auf, meine Mannen, fort von hier!

Dagny im Abgehen zu Hjördis. Wer ist der erste Mann hier in der Halle – mein Eheherr oder Deiner?

Ab mit Sigurd und seinem Gefolge.

Hjördis für sich. Jetzt hab' ich eine Tat noch zu vollbringen, nur auf eine Tat noch zu sinnen: Sigurd muß sterben – oder ich!



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