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Die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf das vergitterte Fenster, an welchem Schuhmacher und seine Tochter Ethel saßen.
»Mein Vater,« sagte Ethel, »ich habe diese Nacht von einer glücklichen Zukunft geträumt . . . Blicken Sie auf, mein Vater, und betrachten Sie diesen schönen Himmel!«
»Ich sehe ihn durch die Eisengitter meines Kerkers,« erwiederte der Gefangene und ließ sein Haupt, das er einen Augenblick erhoben hatte, wieder in seine beiden Hände sinken.
»Glauben Sie nicht, daß Ordener bald zurückkommen werde? Er ist schon vier Tage fort.«
Der Greis schüttelte traurig das Haupt: »Wenn er vier Jahre abwesend sein wird, werden wir seiner Rückkehr eben so nahe sein, als heute.«
Ethel erblaßte: »Mein Gott! Glauben Sie denn, daß er nicht zurückkommen wird?«
»Hat er denn versprochen, zurückzukommen?«
»Gewiß, das hat er!«
»Also kommt er nicht wieder, denn er ist ein Mensch. Der Geyer mag zurückkehren zu dem verlassenen Leichnam, der Frühling kehrt nicht zurück, wenn der Winter naht.«
»Er wird zurückkommen, er ist kein Mensch wie andere.«
»Was weißt Du davon, Mädchen?«
»Was Sie selbst davon wissen.«
»Ich, ich weiß nichts. Ich habe die Worte eines Menschen gehört, sie verkündeten mir Thaten eines Gottes. Ich habe darüber nachgedacht und gefunden, daß das zu schön ist, um daran glauben zu können.«
»Und ich glaube daran, weil es schön ist.«
»Gut, mein Kind, daß Du nicht bist, was Du sein sollst, Gräfin von Tongsberg und Prinzessin von Wollin, umgeben von einem Hofe schöner Verräther und selbstsüchtiger Anbeter, dann würde diese Leichtgläubigkeit Dir und Andern verderblich werden.«
»Es ist nicht Leichtgläubigkeit, sondern Vertrauen.«
»Man sieht, daß französisches Blut in Deinen Adern wallt, denn Diejenigen, die Deinen Vater tiefer gestürzt haben, als er je erhöht war, können doch nicht hindern, daß Du nicht die Tochter der Prinzessin Charlotte von Tarent bist, und daß eine Deiner Ahnfrauen Adele Gräfin von Flandern war, deren Namen Du trägst.«
»Mein Vater, Sie beurtheilen den edlen Ordener falsch.«
»Edel, meine Tochter! Welchen Sinn verbindest Du mit diesem Wort? Ich habe Edle geschaffen, die sehr elende Menschen waren.«
»Ich meine nicht edel durch den Adel, den man Einem schenkt.«
»Stammt er denn von einem Jarl oder Hersa ab?«
»Ich weiß es nicht, mein Vater. Mag er der Sohn eines Leibeigenen sein! Man malt Krone und Leyer auf den Sammt eines Fußteppichs. Er ist edel durch den Adel des Herzens.«
»Edel durch den Adel des Herzens!« wiederholte der Greis. »Dieser Adel steht höher, als der, den die Könige geben, er ist von Gott. Gott verschwendet ihn nicht, wie die Fürsten . . .« Der Gefangene hob das Auge auf sein zertrümmertes Wappen, und fügte hinzu: »Und er nimmt ihn nie zurück.«
»Wer den Adel von Gott hat, mein Vater, tröstet sich leicht, den der Fürsten verloren zu haben.«
»Du hast Recht, meine Tochter, aber Du weißt nicht, daß die Ungnade, welche ungerecht erscheint in den Augen der Welt, bisweilen in unserem innersten Gewissen ihre Rechtfertigung findet. So ist unsere elende menschliche Natur. Einmal im Unglück, erheben sich in uns selbst hundert Stimmen, welche im Glück geschwiegen haben, um uns unsere Irrthümer und Fehler vorzuwerfen.«
»Sprechen Sie nicht so, mein edler Vater,« sagte Ethel tief bewegt, denn die Rührung seiner Stimme hatte ihr gezeigt, daß ihm ein schmerzliches Geheimniß entwischt war. »Sie urtheilen sehr streng über zwei edle Menschen, Ordener und Sie, mein ehrwürdiger Vater.«
»Du urtheilst leichthin, Ethel! Man sollte glauben, daß Du nicht wissest, welch eine ernste Sache das menschliche Leben ist.«
»Habe ich denn übel gethan, dem edelmüthigen Ordener Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?«
Der Vater runzelte die Stirne: »Ich kann nicht billigen, meine Tochter, daß Du auf solche Weise Deine Bewunderung einem Unbekannten schenkst, den Du ohne Zweifel niemals wieder sehen wirst.«
»Glauben Sie das nicht, mein Vater! Wir werden ihn wieder sehen. Hat er nicht für Sie diese Reise unternommen? Besteht er nicht für Sie diese Gefahren?«
»Ich habe mich, wie Du, anfangs durch diese Versprechungen täuschen lassen, aber er wird nicht gehen, und auch nicht wieder kommen.«
»Er geht gewiß, mein Vater!«
»Nun, wenn er auch geht und diesen Räuber bekämpft, so ist es das Gleiche: Er kommt nicht zurück.«
Ethel erblaßte und Thränen traten in ihre Augen: »O mein Vater,« sagte sie, »in dem Augenblicke, wo Sie so reden, stirbt vielleicht dieser Unglückliche für uns.«
Der Greis schüttelte das Haupt zum Zeichen des Zweifels.
»Ich glaube es eben so wenig,« sagte er, »als ich es wünsche, und welches Verbrechen hätte ich denn auch begangen? Ich wäre undankbar gegen diesen jungen Mann gewesen, wie so Viele es gegen mich waren.«
Ein tiefer Seufzer war die einzige Antwort seiner Tochter, Ihr Vater drehte sich seinem Schreibtisch zu und riß einige Blätter aus Plutarchs Leben berühmter Männer, wovon ein Band vor ihm lag, der schon an zwanzig Stellen verstümmelt und mit Noten überladen war.
Jetzt öffnete sich die Thüre. Als Schuhmacher das Geräusch hörte, rief er, ohne sich umzuwenden, sein übliches Verbot: »Draußen geblieben! Laßt mich! Ich will Niemand sehen!«
»Es ist Se. Excellenz der Gouverneur,« antwortete die Stimme des Schließers.
Ein bejahrter Mann in Generalsuniform, mit mehreren Orden geschmückt, trat herein. Schuhmacher erhob sich halb von seinem Sitze, indem er zwischen den Zähnen murmelte: »Der Gouverneur!«
Der Gouverneur war in der Absicht gekommen, ein strenges Verhör mit dem Staatsgefangenen anzustellen, um möglichstes Licht über den Aufstand zu erhalten, bei welchem Schuhmachers Name zum Losungswort diente. Er hielt es für seine Pflicht, hier als unerbittlicher Richter sich zu zeigen; aber kaum war er in das Zimmer des Gefangenen getreten, so fühlte er sich angezogen durch das ehrwürdige, obgleich mürrische Gesicht des Greises, erweicht durch die sanften, obwohl stolzen Züge seiner Tochter, und schon der erste Anblick des Gefangenen milderte seine Strenge zur Hälfte. Er trat auf den gestürzten Minister zu, reichte ihm, gleichsam unwillkürlich, die Hand und sagte: »Ich grüße Sie, Herr Graf von Greiffenf . . . Herr Schuhmacher!«
»Sie sind der Gouverneur von Drontheim?« sagte der Gefangene nach einer Pause.
Der General, etwas verwundert, von demjenigen gleichsam verhört zu werden, den er verhören wollte, machte ein bejahendes Zeichen.
»In diesem Fall,« fuhr der Gefangene fort, »habe ich eine Klage bei Ihnen vorzubringen.«
»Eine Klage! Worüber haben Sie sich zu beklagen?«
»Nach einem Befehl des Vicekönigs soll man mich hier in diesem Kerker ungestört und in Ruhe lassen.«
»Ich kenne diesen Befehl.«
»Gleichwohl, Herr Gouverneur, erlaubt man sich, mir hier in meinem Gefängniß beschwerlich zu fallen.«
»Wie! Wer wagt dies?«
»Sie selbst, Herr Gouverneur!«
Diese in hohem Ton ausgesprochenen Worte beleidigten den General und er erwiederte mit einer fast zornigen Stimme: »Sie vergessen, daß meine Gewalt, wo es sich um den Dienst des Königs handelt, keine Grenze kennt.«
»Die Grenzen der Achtung, welche man dem Unglück schuldig ist, sollten Sie kennen! Aber freilich wissen das die Menschen nicht.«
»Ich hatte Unrecht, Herr Graf von Greiffenf . . . Herr Schuhmacher! Ich konnte Ihnen den Zorn lassen, weil ich die Macht habe.«
Der Gefangene schwieg einige Augenblicke, dann fuhr er nachdenklich fort: »In Ihrem Gesicht und in Ihrer Stimme, Herr Gouverneur, ist etwas von einem Manne, den ich ehedem gekannt habe. Es ist schon lange her; Niemand als ich erinnert sich dieser Zeit: es war zur Zeit meines Glückes. Dieser Mann war ein gewisser Levin von Knud aus Mecklenburg. Haben Sie diesen Narren gekannt?«
»Ich habe ihn gekannt,« erwiederte der General mit Ruhe.
»So, Sie erinnern sich seiner? Ich glaubte, man erinnere sich der Leute bloß, wenn man im Unglück ist.«
»War er nicht Hauptmann in der königlichen Miliz?« fuhr der Gouverneur fort.
»Ja, nur Hauptmann, obgleich er bei dem König sehr beliebt war; aber er dachte nur an das Vergnügen und zeigte keinen Ehrgeiz. Es war ein überspannter Kopf. Läßt sich eine solche Mäßigung von einem Günstling begreifen?«
»Warum denn nicht?«
»Ich liebte ihn ziemlich, diesen Levin Knud, weil er mich nicht beunruhigte. Er war ein Freund des Königs, wie wenn dieser König ein gewöhnlicher Mensch gewesen wäre. Man hätte glauben sollen, daß er ihn bloß aus Zuneigung liebe, nicht um seines Glücks willen. Da Sie ihn gekannt haben, Herr Gouverneur, so werden Sie vermuthlich wissen, daß er einen Sohn hatte, der noch jung gestorben ist. Erinnern Sie sich noch, was bei der Geburt dieses Sohnes vorging?«
»Ich erinnere mich noch besser, was bei seinem Tode geschah,« sagte der General mit bewegter Stimme und hielt die Hand vor seine Augen.
»Es ist,« fuhr Schuhmacher gleichgültig fort, »eine wenig bekannte Thatsache, welche diesen Levin in seiner ganzen Sonderbarkeit darstellt. Der König wollte Pathe des Kindes werden. Glauben Sie wohl, daß Levin es ihm abschlug und dagegen einen alten Bettler, der sich an den Thoren des Palastes herumschleppte, zum Taufpathen annahm? Ich habe den Grund dieser tollen Handlung nie begreifen können!«
»Ich will Ihnen den Grund sagen. Als der Hauptmann Levin einen Fürbitter für die Seele seines Kindes wählte, dachte er ohne Zweifel, daß das Gebet eines Armen vor Gott wirksamer sei, als das eines Königs.«
»Sie können Recht haben,« sagte der Gefangene. »Ja,« fuhr er fort, »dieser Knud war ein sonderbarer Mensch. Er ist der Einzige von denen, die ich in den Zeiten meiner Größe sah, dessen Andenken mir nicht Ekel und Abscheu einflößt. Wenn er auch die Sonderbarkeit bis zur Narrheit trieb, so war er doch vermöge seiner edlen Eigenschaften ein Mann, wie es wenige gibt.«
»Ich bin nicht Ihrer Meinung. Dieser Levin war nichts weiter als die andern Menschen auch. Es gibt sogar Viele, die mehr Werth haben als er.«
Schuhmacher kreuzte die Arme und hob die Augen zum Himmel: »So sind sie doch alle, diese Menschen! Kaum lobt man vor ihren Ohren einen Mann, der Lob verdient, so beschmutzen sie ihn mit ihrem Geifer. Selbst gerechtes Lob vergiften sie, und doch kann man so selten loben!«
»Wenn Sie mich kennten, so würden Sie mich nicht der Anschwärzung des Gen . . . . . des Hauptmanns Levin beschuldigen . . .«
»Lassen Sie mich! Lassen Sie mich! Kurz, ich sage Ihnen, was Rechtlichkeit und Edelmuth betrifft, so hat es nicht einen zweiten Menschen gegeben, wie dieser Levin Knud war, und wer das Gegentheil sagt, verleumdet ihn zu Gunsten dieses verfluchten Menschengeschlechts.«
»Ich versichere Sie, daß ich keine böse Gesinnung gegen diesen Levin hege . . .«
»Sagen Sie das nicht. Obwohl er ein Narr war, habe ich doch Seinesgleichen unter den Menschen nicht gekannt. Die Menschen sind heimtückisch, undankbar, neidisch, verleumderisch. Wissen Sie, daß Levin Knud mehr als die Hälfte seines Einkommens dem Spital in Kopenhagen schenkte?«
»Ich wußte nicht, daß Ihnen dies auch bekannt war.«
»Recht so! Recht so!« rief der Gefangene triumphirend aus. »Er glaubte ihn mit Sicherheit schmähen zu können, weil er wähnte, daß ich die guten Handlungen dieses armen Levin nicht kenne!«
»Nicht doch . . .«
»Wissen Sie auch nicht, daß er das vom König ihm bestimmte Regiment einem Offizier, der ihn im Duell verwundet hatte, abtrat, weil er im Dienste älter war als er?«
»Ich glaubte, daß diese Handlung Niemand bekannt . . .«
»Und wenn sie Niemand bekannt wäre, ist sie darum weniger schön, Herr Gouverneur von Drontheim? Weil Levin seine Tugenden verbarg, soll man sie darum in Abrede ziehen? Wissen Sie auch nicht, daß er der Wittwe eines Soldaten, der ihn ermorden wollte und welchen er der Strenge der Kriegsgesetze nicht zu entziehen vermochte, eine Pension gab?«
»Wer hätte nicht das Gleiche gethan?«
Schuhmacher lachte laut auf: »Wer? Sie! Ich! Jedermann! Halten Sie sich denn für einen Mann von Verdienst, weil Sie die Generalsuniform tragen und mit Orden behängt sind? Sie sind General, und der arme Levin ist vielleicht als Hauptmann gestorben. Er war freilich ein Thor, der nicht an seine Beförderung dachte.«
»Wenn er nicht selbst daran dachte, so hat die Gnade des Königs daran gedacht.«
»Die Gnade! Sagen Sie die Gerechtigkeit! Wenn es anders gerechte Könige gibt! Nun, welche ausgezeichnete Gnade ist ihm denn geworden?«
»Mehr als er verdiente.«
»Das wäre! Vielleicht hat man ihn zum Major befördert, nachdem er dreißig Jahre Hauptmann war?«
»So hören Sie mich doch . . .«
»Sie hören! Um aus Ihrem Munde zu vernehmen, daß Levin von Knud irgend einer elenden Beförderung unwürdig gewesen sei . . .«
»Ich schwöre Ihnen, daß das nicht . . .«
»Nächstens werde ich von Ihnen erfahren, daß er, wie Ihr alle, ein Verräther war, ein Betrüger, ein Bösewicht . . .«
»Gewiß nicht . . .«
»Was weiß ich Alles? Vielleicht hat er einen Freund verrathen, einen Wohlthäter verfolgt, wie Ihr alle? Oder Vater und Mutter vergiftet? . . .«
»Sie irren sich, ich bin weit entfernt . . .«
»Wissen Sie, daß dieser Levin es war, der vier meiner Richter vermochte, nicht für den Tod zu stimmen? Und ich soll ihn kaltblütig verleumden hören! So hat er gegen mich gehandelt, und ich habe ihm nie einen Dienst erwiesen, eher Schaden zugefügt, denn ich bin ein Mensch, wie Ihr alle, schlecht und bösartig!«
Der gereizte Greis hielt noch eine lange heftige Standrede gegen die Undankbarkeit des menschlichen Geschlechts, bis er endlich erschöpft in den Lehnsessel zurückfiel.
Der General hatte noch nicht den wichtigen Gegenstand berühren können, der ihn nach Munckholm geführt hatte. Die Aufregung, in welcher sich Schuhmacher befand, gab keine Hoffnung, daß er auf amtliche Fragen befriedigende Antwort ertheilen könnte, und im Uebrigen schien ihm dieser Mann nach seinem Aeußern und ganzen Benehmen kein Verschwörer und Staatsverräther zu sein. Gleichwohl trieb den Gouverneur seine Pflicht zu einem nochmaligen Versuch, sich in dieser wichtigen Sache Licht zu verschaffen.
»Beruhigen Sie sich doch, Herr Schuhmacher,« sagte er, »es ist für mich eine unangenehme Pflicht, daß ich hieher kommen muß . . .«
»Vor allen Dingen,« unterbrach ihn der Gefangene, »erlauben Sie mir zu fragen, auf welche Weise man Levin Knud für seine Dienste belohnt hat?«
»Der König hat ihn schon vor zwanzig Jahren zum General ernannt, und er lebt noch glücklich und geehrt.«
»So geht es in der Welt,« sagte der Gefangene bitter, »dieser Narr Levin, dem es gleichgültig war, als Hauptmann alt zu werden, stirbt als General, und dieser weise Schuhmacher, der als Großkanzler sterben wollte, stirbt als Staatsgefangener.«
»Sehen Sie doch, mein Vater,« sagte Ethel in der Absicht, ihn zu zerstreuen, »dort nördlich jene Flamme, die ich noch nie in dieser Richtung bemerkt habe.«
Wirklich erblickte man, durch das Dunkel der Nacht, am fernen Horizont ein schwaches Licht, das von einem auf dem Gipfel eines weit entfernten Berges brennenden Feuer zu kommen schien. Der General wurde aufmerksam. »Das ist vielleicht ein Feuer, dachte er, welches die Rebellen angezündet haben.«
Dieser Gedanke brachte ihm eindringlich den Zweck seiner Anwesenheit zu Munckholm in Erinnerung. »Graf Greiffenfeld,« sagte er, »es ist mir leid, Ihnen lästig sein zu müssen, aber es ist durchaus nöthig, daß Sie ein Verhör . . .«
»Ich verstehe, Herr Gouverneur! es ist nicht genug, daß ich meine Tage in einem Kerker verlebe, daß ich gebrandmarkt und verlassen bin, daß mir nichts übrig geblieben ist, als das bittere Andenken an meine vergangene Größe, man stört mich noch in meiner Einsamkeit, um meinen Schmerz auszubeuten und sich an meinem Unglück zu weiden. Wäre doch dieser Levin Knud hier an Ihrer Stelle commandirender General, er wäre gewiß nicht hieher gekommen, einen Unglücklichen in seinem Kerker zu quälen!«
Der General, der mehrmals im Begriff gewesen war, sich zu erkennen zu geben, um diesem seltsamen Gespräch ein Ende zu machen, wurde durch diesen indirekten Vorwurf davon abgehalten.
»Aber,« sagte er ziemlich verlegen, »wenn seine Pflicht ihn dazu gezwungen hätte, zweifeln Sie nicht, daß alsdann Levin Knud . . .«
»Ja, ich zweifle,« rief der Gefangene mit Bitterkeit aus. »Und Sie, zweifeln Sie nicht daran, daß er mit dem ganzen Edelmuth seines Herzens das Geschäft, die Qualen eines armen Gefangenen zu mehren und zu häufen, von sich gewiesen haben würde. Ich kenne ihn besser als Sie, er würde nie die Funktionen eines Henkers über sich genommen haben. Jetzt, Herr Gouverneur, bin ich bereit. Thun Sie, was Sie Ihre Pflicht nennen. Was befehlen Euer Excellenz?«
Bei diesen Worten maß der alte Minister den Gouverneur mit stolzem Blick. Es war um den Entschluß des Generals geschehen, sein erster Widerwille gegen diese Amtsverrichtung war unwiderstehlich wieder erwacht.
Er hat Recht, dachte er bei sich. Einen Unglücklichen auf bloßen Verdacht hin peinigen! Damit mag sich ein Anderer befassen als ich!
Die Wirkung dieser Betrachtung war schnell. Der Gouverneur trat zu dem erstaunten Gefangenen, drückte ihm die Hand und wendete sich der Thüre zu mit den Worten: »Graf Schuhmacher, bewahren Sie immer die gleiche Achtung vor Levin von Knud.«