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»Was gibt es? Was willst Du, Paul? Wer hat Dich kommen heißen?«
»Euer Excellenz vergessen, daß Sie mich eben selbst gerufen haben.«
»Richtig,« sagte der General. »Hm! Gib mir diese Mappe da.«
Paul reichte dem Gouverneur die Mappe dar, nach der er nur den Arm hätte ausstrecken dürfen, um sie selbst zu nehmen.
Der Gouverneur blätterte mit zerstreuter Miene in einigen Papieren.
»Paul, ich wollte Dich auf diesem . . . Wie viel Uhr ist es?«
»Sechs Uhr,« erwiederte der Bediente dem General, vor dessen Augen eine Uhr hing.
»Ich wollte Dich fragen . . . Was gibt es Neues im Hause?«
»Nichts, als daß ich immer noch auf meinen Herrn warte, und ich sehe, daß Euer Excellenz wegen seines Ausbleibens auch besorgt sind.«
»Ich, besorgt! Ich weiß, warum er abwesend ist . . . ich erwarte ihn noch nicht.«
Der General Levin von Knud hielt so sehr auf sein Ansehen, daß er es für gefährdet hielt, wenn ein Untergebener einen seiner geheimen Gedanken nur hätte errathen können. Er wollte nicht wissen lassen, daß Ordener ohne seinen Befehl gehandelt habe.
»Paul,« fuhr er fort, »Du kannst gehen.«
»In der That,« sagte der General mißmuthig für sich, »er mißbraucht mich, dieser Ordener. Wenn man den Bogen zu stark spannt, bricht er. Mich eine schlaflose Nacht zubringen lassen! Den General Levin den Spöttereien einer Kanzlerin und den Vermuthungen eines Reitknechtes aussetzen! Und Alles das um einem alten Feinde die ersten Umarmungen zu bringen, die er einem alten Freunde schuldig ist! Ordener! Ordener! Launenhaftigkeit ist nicht die wahre Freiheit. Er soll nur kommen, ich will ihm tüchtig den Kopf waschen!«
In diesem Augenblicke rief eine wohlbekannte Stimme: »Mein edler Vater!«
Ordener lag in den Armen des Generals.
»Ordener, lieber Ordener!« rief dieser freudig aus. »Wie glücklich bin ich, daß Du da bist! . . .«
Plötzlich hielt der alte Herr inne und fuhr dann in anderem Tone fort: »In der That, ja es freut mich, daß Du so Herr Deiner Gefühle bist. Ohne Zweifel wolltest Du Dir eine Büßung auflegen, daß Du vierundzwanzig Stunden zugebracht hast, ohne mich zu besuchen.«
»Mein Vater, Sie haben mir oft selbst gesagt, daß ein unglücklicher Feind einem glücklichen Freunde vorgehe. Ich komme von Munckholm.«
»Allerdings, Du hast Recht, wenn im Verzuge Gefahr liegt, aber Schuhmachers Zukunft . . .«
»Ist ärger bedroht als je, mein Vater! Ein schändliches Complot ist gegen diesen Unglücklichen angesponnen. Menschen, die seine geborenen Freunde sind, wollen ihn verderben. Ein Mann, der sein geborener Feind ist, wird ihn zu retten wissen.«
»Ganz wohl, lieber Ordener,« erwiederte der General, dessen Gesicht immer freundlicher geworden war. »Aber was sagst Du da? Welche Menschen? Welche Umtriebe? Schuhmacher steht unter meinem Schutze.«
»Welche Umtriebe! Welche Menschen! In wenigen Tagen werde ich Alles erforscht haben, und dann sollen Sie das Ganze erfahren. Ich muß diesen Abend wieder abreisen.«
»Wie! Du willst nur so kurze Zeit bleiben! Und wohin gehst Du, warum willst Du fort, mein lieber Sohn?«
»Sie haben mir schon mehr als einmal erlaubt, eine gute That im Stillen zu thun.«
»Allerdings, mein Sohn! Ist Deine Abreise aber auch so dringend nothwendig, und bedenke, welche große Angelegenheit Dich zurückhalten sollte! . . .«
»Mein Vater hat mir einen Monat Bedenkzeit gegeben, diesen verwende ich zum Nutzen eines Andern. Gute That gibt guten Rath. Bei meiner Rückkunft werden wir weiter sehen.«
»Wie! Mißfällt Dir etwa diese Heirath? Ulrike Ahlfeldt soll sehr schön sein. Hast Du sie gesehen?«
»Ja, und sie scheint mir wirklich schön.«
»Nun denn?« sagte der Gouverneur.
»Sie wird mein Weib nicht,« erwiederte Ordener.
Dieses kalte entschiedene Wort traf den General wie ein Donnerschlag. Der Verdacht der hochmüthigen Gräfin kam ihm ins Gedächtnis zurück.
»Ordener,« sagte er mit Kopfschütteln, »Ordener, der alte Gefangene hat eine Tochter!«
»Davon eben wollte ich mit Ihnen sprechen, mein Vater! Ich bitte Sie um Ihren Schutz für dieses schwache, unglückliche Wesen.«
»Du bittest sehr lebhaft,« sagte der General ernst.
Ordener faßte sich: »Ich bitte für eine unglückliche Gefangene, der man die Unschuld rauben will.«
»Die Unschuld! Bin denn ich nicht mehr Gouverneur? Ich weiß nichts von all diesen Gräueln. Erkläre Dich näher.«
»Mein edler Vater! Schuhmachers Leben ist durch ein höllisches Complot bedroht . . .«
»Das wird ernsthaft, welche Beweise hast Du dafür?«
»Der älteste Sohn einer mächtigen Familie ist in diesem Augenblicke zu Munckholm; er ist dort in der Absicht, die Gräfin Ethel zu verführen . . . er hat es mir selbst gesagt.«
Der General wich drei Schritte zurück.
»Mein Gott! die arme Verlassene!« rief er aus. »Ordener! Schuhmacher und seine Tochter stehen unter meinem Schutze. Wer ist dieser Elende? Wie heißt die Familie?«
»Ahlfeldt.«
»Ahlfeldt!« rief der alte General aus. »Jetzt ist mir Alles klar. Friedrich von Ahlfeldt ist zu Munckholm. Und an diese Race will man Dich verkuppeln, mein edler Ordener! Jetzt wundere ich mich nicht mehr über Deinen Widerwillen.«
Der Greis blieb eine Zeitlang mit verschränkten Armen stehen, dann trat er auf Ordener zu und drückte ihn an seine Brust: »Du kannst gehen. Ich bleibe der Beschützer jener Unglücklichen. Geh und handle. Diese höllische Gräfin von Ahlfeldt ist hier.«
In diesem Augenblicke öffnete der Thürsteher das Zimmer: »Die gnädige Gräfin von Ahlfeldt!«
Ordener wich unwillkürlich in einen Winkel des Zimmers zurück. Die Gräfin stürmte herein, ohne ihn zu bemerken.
»Herr General,« rief sie, »Ihr Zögling treibt sein Spiel mit Ihnen; er war nicht zu Munckholm.«
»Wirklich!« sagte der General.
»Allerdings! Mein Sohn Friedrich hatte gestern die Wache, und hat Niemand gesehen.«
»Wirklich, gnädige Frau?« wiederholte der General.
»Mithin,« fuhr die Gräfin mit einem triumphirenden Lächeln fort, »warten Sie nicht mehr auf Ihren Ordener.«
»In der That warte ich auch nicht mehr auf ihn,« sagte der General ernst und kalt.
»Ich glaubte, wir seien allein,« sagte die Gräfin, die sich umgewendet hatte. »Wer ist . . .«
Ordener verbeugte sich.
»In der That,« fuhr sie fort . . . »ich habe ihn nur einmal gesehen . . . aber . . . ohne diese Kleidung . . . wäre er der Sohn des Vicekönigs?«
»Er ist es, gnädige Gräfin!« sagte Ordener und verbeugte sich zum zweitenmal.
Die Gräfin lächelte.
»Wenn es so ist, so erlauben Sie einer Dame, die Ihnen bald näher angehören wird, zu fragen, wohin Sie gestern gegangen sind, Herr Graf?«
»Herr Graf! Ich hoffe nicht, daß ich so unglücklich gewesen bin, bereits meinen Vater zu verlieren, Frau Gräfin!«
»Dieser Sinn liegt nicht in meiner Rede. Besser ist es, Graf zu werden durch den Gewinn einer Gattin, als durch den Verlust eines Vaters.«
»Das Eine taugt nicht viel mehr, als das Andere.«
Die Gräfin wurde, durch diese Antwort ein wenig in Verlegenheit gesetzt, war aber gewandt genug, um ihre scherzhafte Seite aufzufassen, und brach in ein lautes Lachen aus.
»Richtig,« rief sie aus, »man hat nicht gelogen, seine Bildung ist etwas wilder Art. Sie wird sich inzwischen mit den Geschenken der Damen vertraut machen, wenn Ulrike Ahlfeldt ihm die Kette des Elephantenordens um den Hals schlingen wird.«
»In der That, eine wirkliche Kette!« sagte Ordener.
»Wir werden noch erleben, General,« fuhr die Gräfin fort, deren Lachen etwas peinlich wurde, »daß Ihr unlenksamer Zögling auch seinen Rang als Oberst einer Dame nicht wird verdanken wollen.«
»Sie haben Recht, gnädige Gräfin,« erwiederte Ordener; »ein Mann, der ein Schwert an der Seite trägt, müßte sich schämen, seine Epauletten von einem Unterrock anzunehmen.«
Das Gesicht der Gräfin verfinsterte sich ganz und gar.
»Ho! Ho! Woher kommt denn der Herr Baron? Ist es denn wirklich wahr, daß Seine Ritterlichkeit nicht zu Munckholm gewesen ist?«
»Gnädige Gräfin, ich pflege nicht alle Fragen zu beantworten. Auf Wiedersehen, mein Vater!«
Er drückte dem General die Hand, verbeugte sich gegen die Gräfin und verließ das Zimmer.