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Die »Leiden des jungen Werther« sollte man konfiszieren und verbrennen, bis auf einzelne Exemplare. Diese übergebe man den Bibliotheken, wo sie der Oberbibliothekar selbst in Verwahrung nehme. Wer nun das Buch lesen will, hat sich zunächst vor ihm und den versammelten Bibliothekaren einer ernsthaften und gründlichen Reifeprüfung zu unterziehen. Hat er bestanden, darf er etwa die ersten zwanzig Seiten lesen.
Dann mag er dem Oberbibliothekar allein über das Gelesene berichten.
Aeußert er sich nicht weitschweifig oder überfein oder süßlich, sondern bescheiden aber nervose, so mag er zu Ende lesen.
Wie die Sachen jetzt liegen, daß nämlich allen Wasserköpfen, bekanntlich die erdrückende Majorität der Menschheit, dies kostbarste Prosawerk der Deutschen zugänglich ist, hört man viele das Buch sentimental und schwächlich nennen, viele aber auch leiten ihre Liebesgeschichten für Backfische, die sie psychologische Probleme nennen, von diesem hohen Ahnherrn ab, – und Leute von gesunden Sinnen geraten in Verlegenheit, welcher von beiden Sorten sie die Palme des Banausentums erteilen sollen.
Diese Orakel des Geschmackes lesen nämlich nichts andres heraus, als daß Werther sich aus Liebesgram tot schösse.
Nein, ihr Braven: er giebt sich den Tod, weil er keine Möglichkeit mehr sieht, da zu sein.
Eine für das harte Leben allzu zart empfindende Natur, von einer Kränkung, die von einer gröberen Epidermis wirkungslos abprallen würde, tief verwundet, begiebt sich in die Gefahr der Einsamkeit und Unthätigkeit. Wird hier überall mißverstanden, anders fühlend als andere Menschen immer wieder zu sich selbst zurück geworfen. Findet endlich eine Einzige, die ihn wahrhaft versteht, mit ihm fühlt und sich trotzdem in voller Harmonie mit Leben und Wirklichkeit befindet. Sie erscheint ihm wie das Paradies selber, himmlisch und verboten; zur Hölle wird ihm sein eigenes Leben.
Er stirbt .....
Dies ist eine Steigerung, wie sie in der Litteratur einzig dasteht, an Kraft nur von den besten Dramen Shakespeares, an tief innerer Folgerichtigkeit überhaupt nicht erreicht.
Etwas vielleicht analog zu nennendes ist in einigen Werken Beethovens, vor allem in jener Cismollsonate, die man, vermutlich um die Manier solcher Benennungen lächerlich zu machen »Mondscheinsonate« gescholten hat.
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Ein schlanker Jüngling mit hoher weißer Stirn, in geschmackvoller, wenn auch etwas nachlässiger Kleidung, augenscheinlich ein hoch bedeutender Mensch. Aber ein müdes Lächeln liegt auf den feinen Lippen; das Lächeln des Wissenden, Entsagenden.
Was mag er alles erlebt haben! Große Schicksale haben ihn die Nichtigkeit des menschlichen Hastens und Treibens gelehrt. Seine Illusionen sind hin. Er hat die Menschen, die er einst liebte, verehrte, in Katastrophen, Versuchungen gesehen. Keiner hat bestanden. Er fühlte vielleicht einst tief religiös. Aber seinem Grübeln hat der Glaube nicht Stand gehalten ...
Ach, liebe Unschuld! Mit so langweiligen Dingen schreibt man doch keinen Roman!
Verliebt ist er gewesen, und sein Mädchen hat ihn betrogen. Daher der ungeheure Weltschmerz. Natürlich begiebt sich ein Wunder: er verliebt sich wieder.
Welch interessantes Problem! Vielleicht wird er abermals betrogen oder kann beim besten Willen nicht mehr ernstlich lieben: dann löst sich das Problem tragisch.
An sich wäre, da an eine Rückkehr zu Goethe vorläufig kaum zu denken ist, gar nichts dagegen einzuwenden, daß unsere Schriftsteller, wie es thatsächlich geschieht, durchweg Nachahmer der Franzosen sind. Die französische Litteratur steht heute nun einmal höher als die deutsche, und in unserem politischen Zeitalter können wir ja dem von seiner politischen Höhe so tief und endgültig gestürzten Volke diesen Ruhm gönnen.
Aber es ist erstaunlich: unsere Seelenstudenten haben es fertig gebracht, sich, bei so viel tüchtigen Vorbildern eine ans Unheimliche grenzende Treffsicherheit, einen faden, seichten und weichlichen Schwätzer herauszusuchen: Paul Bourget.
Er studiert immerfort interessante und tiefe Probleme, nämlich vielerfahrene, höchst komplizierte Männer, die im Grunde ihr ganzes Leben hindurch nichts sind als läppische Schürzenjäger, und Frauenzimmer, die sich durch eine ganz eigenartige Schönheit auszeichnen, gar nicht Sache jedermanns, aber der Kenner, und die schließlich einen Liebhaber bevorzugen, auf den wahrhaftig niemand gekommen wäre, oder wohl gar – wunderbares Rätsel des Frauenherzens – ihren eigenen Ehemann.
Ich muß jedesmal lachen, wenn unsere Schriftsteller »interessante« Frauen einführen.
Wohl bekannt war übrigens schon der Marlitt ein immer noch gut wirkendes Rezept: blondes Haar zu dunkeln Augen oder schwarzes zu blauen. – Geradezu köstlich ist es, wenn ein dämonisches Weib auftaucht. Das bedeutet nämlich unfehlbar, daß sie ihren Mann betrügt.