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In einer Breisacher Herberge saßen der Graf von Nassau, Oberst Rosen und die anderen Offiziere, die Herzog Bernhard neben Erlach zu Direktoren des Heeres ernannt hatte, beim Wein und besprachen die Zukunft. Er betrauere des Herzogs Tod aufrichtig, sagte Rosen, indem er sich mit einer lebhaften Gebärde durch das buschige Haar fuhr; bei Gott, er habe Tränen bei seiner Leiche vergossen; aber da es nun so sei, wollten sie das Üble zum Guten zu kehren suchen. Sie wären jetzt in der Lage, dem Heer eine gute Verfassung zu geben, die das Wohl der Gesamtheit in Betracht zöge.
Ja, sagte der Graf von Nassau, er sei auch der Meinung, daß es beim Heerwesen nicht gut sei, wenn alles in einer Hand läge. Es sei gemeinhin keiner von Launen und Ehrgeiz frei. Besonders würde er sich niemals einem falschen und glattzüngigen Franzosen unterwerfen.
Nein, davon dürfe keine Rede sein, sagte ein anderer. Sie wollten dem Heer eine republikanische Verfassung geben; ein Heer sei eigentlich eine Republik, wo ein jeder seine Pflichten und Rechte hätte. Nur in Republiken herrsche Freiheit und Gerechtigkeit.
Ja, in diesem Kriege, rief Rosen begeistert, könne nur ein freies, unbestechliches Schwert siegen. Nur ein wahrhaft freies, reines Schwert könne den verworrenen Knoten durchhauen. Sowie ein Feldherr die ganze Gewalt in Händen hätte, schlichen sich doch gleich wieder Habgier und Ehrsucht, kurz, Partikularinteressen ein.
Leider, sagte der Graf von Nassau, habe der verblichene Herzog dem Erlach zuviel vertraut. Dieser Schweizer sei an Frankreich verkauft, und weil er Frankreich hinter sich wisse, gebärde er sich als Herr. Ihn habe es gewidert, mit anzusehen, wie Erlach, als der Herzog kaum kalt gewesen sei, seine Schubfächer erbrochen, sich alles Geldes und der Schmucksachen bemächtigt und mit allem hantiert hätte, als stehe es ihm zu.
Rosen sagte einlenkend, er habe es doch in guter Absicht getan, habe ihnen ihre Legate richtig ausgezahlt, und man müsse bedenken, daß im Verkehr mit Frankreich Vorsicht geboten sei, als ein Mann in etwas schäbiger bürgerlicher Kleidung eintrat, sich umsah und, die Offiziere erblickend, sich an Rosen wendete mit der Frage, ob er an ihrem Tische Platz nehmen dürfe. Rosen begrüßte ihn und stellte ihn halblaut als einen Agenten des Pfalzgrafen Karl Ludwig vor, den dieser Prinz mit Aufträgen an sie abgeschickt hätte.
So, so, sagte Graf von Nassau mit einem geringschätzigen Blick auf den schäbigen Mann. Ob der Herr denn etwas Schriftliches zur Beglaubigung habe?
Der Mann zog ein Päckchen schmutziger Papiere aus der Tasche; aber Rosen winkte ihm, sie für jetzt wieder einzustecken, und sagte, er habe allerdings Briefe des Kurprinzen und der Königin-Witwe bei ihm gesehen, es sei ganz in der Ordnung. Herzog Bernhard habe die feste Absicht gehabt, etwas für den Kurprinzen zu tun, und sie als seine Erben hätten dieselben Gesinnungen.
Ja, sie wären jetzt umworben wie eine reiche Erbin, sagte der Agent schmunzelnd. Jetzt würde mancher zum Freier, der früher mit Steinen geworfen hätte.
Kavaliere wären keine schwachen Weibsbilder, sagte einer der Offiziere; sie unterschieden nach der Gesinnung.
Es treibe sich jetzt ein alter Jude in Breisach herum, sagte der Agent, der vom Kaiser abgesandt sein wollte und sich mit einem vollen Beutel aufspielte.
Wenn er eine falsche Musik aufspielte, lachte Rosen, könne er etwa mitsamt seinem Beutel zur Tür hinausfliegen. Er, Rosen, werde bis an seinen Tod für Glauben und Freiheit, gegen Österreich und Spanien kämpfen. Und er würde sich's zur Ehre anrechnen, den Kurfürsten wieder in sein rechtmäßiges Land einzusetzen. Sie müßten vorerst aber einmal seine Qualitäten und Absichten näher kennenlernen.
Der Kurfürst, berichtete der Agent, sei zuerst nach England gereist, um sich von seinem Oheim, dem König von England, mit Geldmitteln versehen zu lassen. Der König habe sich verlauten lassen, er wolle seinen Neffen wieder in seine Würde einsetzen, und solle es ihn ganz England und Schottland kosten. Das englische Volk habe den Kurfürsten auf den Schild gehoben, wo er sich habe blicken lassen, so beliebt und verehrt sei er dort. Jetzt wäre er schon wieder in Frankreich und würde demnächst wohl in Breisach eintreffen.
Wenn es so wäre, sagte der Graf von Nassau, und der Kurfürst die Kosten aufbrächte, so könne er sich keine liebere Aufgabe denken, als diesen armen Vertriebenen wieder in sein Land zu führen. Käme er selbst, so sei es wohl möglich, daß sie eins miteinander würden.
Die Unterhaltung wurde leise geführt, weil allerlei Gäste in dem Wirtszimmer saßen und ein und aus gingen. Eben jetzt näherte sich ein dicker schwarzer Mann in Mantel und Reisehut und fragte unter tiefen Bücklingen, ob er den Herren seine Aufwartung machen dürfe? Er sei vom Grafen Philipp von Mansfeld abgesandt, um in seinem Namen an dem Begräbnis des Herzogs von Weimar teilzunehmen. Unter wahren Helden sei es von jeher Brauch gewesen, daß sie Tapferkeit und Edelsinn auch am Feinde verehrten. Der Herzog habe in Wien große Verehrung genossen, das sollten die Herren nur glauben, sein Bild sei bei den Buchhändlern reißend abgegangen. Er würde sich glücklich schätzen, wenn er die jungen Helden kennenlernen dürfte, die unter ihm gekämpft hätten.
Indem er sich setzte und bei der Bedienung etwas bestellte, warf er, wie um sich zu erleichtern, einen schweren Beutel auf den Tisch, worüber einige Offiziere zu lachen anfingen. Er sah sich vergnügt um, betrachtete dann mißtrauisch den schäbigen Agenten und sagte, wenn seine Menschenkenntnis gut fundiert wäre, so wäre der Herr nicht vom Soldatenhandwerk?
Bevor der Agent antworten konnte, sagte Rosen lachend, nein, der Herr sei ein Pferdehändler; aber sie wären gut versehen und würden eben jetzt wohl keinen Handel abschließen.
Der Agent warf unwillige Blicke um sich, wagte aber nichts zu sagen und entfernte sich. Ihm nachblickend, sagte der Dicke, die Herren hätten recht, ihm nichts abzunehmen, der Mann sei ein holländischer Jude und würde sie doch übervorteilt haben. Er wolle damit nichts Nachteiliges gegen die Holländer gesagt haben, sie wären in Wien von Vorurteilen frei. Die Herren sollten nur einmal wissen, wie gütig, gnädig und versöhnlich der neue Kaiser wäre! Er würde verleumdet, als wäre er ein Tyrann, und läge doch des Morgens um fünf Uhr schon auf den Knien, um für seine Feinde zu beten. Im Vertrauen könne er den Herren sagen, wenn sie nur einmal die Vorschläge des Kaisers mit aufrichtigem Gemüt prüfen wollten, würden sie über sich selbst erstaunen, daß sie nicht längst die Hand eines so gnädigen Herrn ergriffen hätten.
Er erstaune vielmehr, sagte der Graf von Nassau, die Brauen finster zusammenziehend, daß man ihnen kaiserlicherseits überhaupt Vorschläge zu machen wage. Das sei geradeso, wie wenn ein Mann einer keuschen Jungfrau unziemliche Anträge stellte. Womit sie es verdient hätten, so angesehen zu werden, als verkauften sie ihr Schwert an den Meistbietenden? Sie hätten das Schwert um einer guten und heiligen Sache willen ergriffen. Wieviel Verrat auch zur Zeit im Schwange sei, sie wären Kavaliere von Ehre.
Während in solcher und ähnlicher Weise unter den Direktoren des verwaisten Heeres gehandelt wurde, empfing Erlach einen sehnlich erwarteten Gast, den Finanzier Bartholomäus Herwarth aus Lyon. Die Freude, daß er selbst komme! rief Erlach, indem er den Ankömmling umarmte und ihm die Hand schüttelte. Er würde ihm Palmzweige unter die Füße legen, wenn er sie hätte!
Herwarth bewegte leicht dankend und ablehnend die Hand. Er habe nicht nur sein Geld selbst eskortieren wollen, sagte er, sondern es habe ihn gedrängt, sich nach dem geschehenen schweren Unglück mit Erlach auszusprechen. Er meine immer, es müsse sich plötzlich eine Tür auftun und der gute, biedere Herzog müsse hervortreten.
Der sei nun nichts mehr als Moder und ein Name, sagte Erlach mit dem Kopfe nickend.
Ja, ein Name, sagte Herwarth, darauf komme es eben an. Alles Schicksal und Glück hänge vom Namen und Kredit ab. Wie Fürsten und Privatleute ihm, Herwarth, glaubten, so habe er dem Herzog Bernhard geglaubt. Mit dem großen Wettermacher, dem Tode, habe er freilich nicht gerechnet.
Bernhard habe den Glauben verdient, fiel Erlach ein; wenn er am Leben wäre, würde er es hinausführen.
Sein Herz sei empfindlich wie Wachs und sein Wille unnachgiebig wie Eisen gewesen, fuhr Herwarth fort. Er schwebe ihm noch vor Augen, wie er ihn kurz vor dem letztjährigen Feldzug in Paris gesehen hätte. Wie da er, Herwarth, ihn vor dem Hasse Richelieus gewarnt hätte, habe der Herzog in französischer Sprache geantwortet: »Wir setzen beide ein, was wir haben, Sie Vermögen und Ehre, ich Leben und Ehre; sollte ich weniger großmütig sein als Sie?« Ein wahrer Freund sei der Herzog ihm gewesen, und er hätte sein Geld auch an ihn gewagt, wenn er sich nicht ohnehin dem König von Frankreich verknüpft hätte.
Er sei froh, zu vernehmen, sagte Erlach, daß Herwarth seine Gefälligkeit gegen Frankreich nicht von des Herzogs Person abhängig mache.
Nein, sagte Herwarth, er werde den König nicht verlassen. Seine Familie sei nun schon lange in Frankreich stabiliert, und er finde seine Rechnung dabei. Im Reich sei es schwer, Kapital mit Vorteil zu verwerten. Das Reich sei wie eine riesengroße Kuh, die nichts als Gras fräße und den lieben langen Tag mit Wiederkäuen zubrächte.
Ja, lachte Erlach, im kaiserlichen Rachen zumal verschwinde alles auf Nimmerwiedersehen; was endlich hervorkomme, dünge die Felder der Enkel und Urenkel.
Davon abgesehen, fuhr Herwarth fort, wisse Erlach wohl, daß er evangelisch sei und daß der Glaube ihm über die Finanzen gehe. Wenn sie miteinander ihren Vorteil fänden, um so besser. Vergliche er sich einem Baum, so wären Stamm und Krone wohl französisch, grabe man aber bis ans Wurzelwerk, so finde man deutsche Erde daran hängen. Er habe dank der Arbeit seiner Vorfahren und seiner eigenen ein schweres Gewicht in die Kriegswaage zu werfen: nun, so wolle er den Sieg seiner Glaubensgenossen damit befördern.
Erlach wußte nicht, wie er seiner Bewunderung hinreichenden Ausdruck geben sollte. Die evangelische Sache habe nur noch an einem Fädlein gehangen, sagte er, wäre Herwarth nicht gekommen, so wäre alles verloren gewesen. Es sei da ein kaiserlicher Rattenfänger, der Fallen stellte, und am Ende wären die Direktoren aus purer Langerweile hineingegangen. Auch kennte ja Herwarth die Deutschen: wenn ihnen jemand ein altes Ammenliedlein vorleierte, fingen sie zu heulen an und liefen der Musik nach, ob es auch geradeswegs in den Abgrund ginge. Nun sei Herwarths gutes Geld da, und sie würden den echten Speck schon riechen.
Wie es denn mit Bernhards Nachfolger stehe? erkundigte sich Herwarth.
Leider, leider, sagte Erlach, sei Bernhard als Heerführer kaum zu ersetzen. Guébriant habe Verstand und Mut, aber es fehle ihm die Faust und der Instinkt. Das Tempo werde wohl langsamer werden.
»Das läßt sich denken«, erwiderte Herwarth. Schließlich komme alles darauf an, wer es am längsten aushalten könnte. Er kalkuliere, der Kaiser könne es höchstens noch zehn Jahre treiben. Spanien sei ganz und gar erschöpft, Bayern habe wohl einen kleinen Sparschatz, davon könne es aber nur eben selbst fett werden. Nur in Frankreich sei großes Kapital flüssig.
»Solange es in diesen Händen ist,« sagte Erlach, seinem Gast auf die Schulter klopfend, »ist mir für das gemeine Wohl nicht bange.«
*
An den ersten Oktobertagen kamen die Gäste zur Hochzeit des Johann Anton Eggenberg mit der brandenburgischen Prinzessin Anna Maria, welche in Regensburg gefeiert wurde. An der Stadtgrenze fand die erste Begegnung der Brautleute statt, wobei die Zuschauer eine Überraschung erlebten; während man erwartete, daß zu gleicher Zeit die Braut aus ihrer Kutsche und der Bräutigam vom Pferde stiege, um nach gleich viel zurückgelegten Schritten in der Mitte eines Teppichs aufeinanderzustoßen, blieb die Braut steif in ihrem Wagen sitzen, so daß der Bräutigam sich entschließen mußte, wiewohl er es ersichtlich ungern tat, bis an die Kutsche heranzugehen. Man wollte bemerkt haben, daß die Prinzessin eine saure Miene machte und die Begrüßung des Bräutigams nur mit einem scharfen Kopfnicken erwiderte. Noch mehr fiel es auf, daß der vornehme sächsische Kavalier, welcher die Braut zu begleiten und dem Bräutigam zu übergeben hatte, diesen nach vollzogener Trauung in einer vortrefflichen, sehr anzüglichen Rede an seine Pflicht mahnte, die Prinzessin in Ausübung ihres Glaubens unperturbiert zu lassen; vollends aber, daß die Braut noch während des Banketts, vor Beginn des Tanzes, unter dem Vorwande schwächlicher Leibesbeschaffenheit von der Tafel aufstand und sich zu Bette legte.
Eggenberg zog den Oheim der Braut, den ehemaligen Administrator von Magdeburg, Christian Wilhelm, in eine Ecke und sagte vorwurfsvoll, hätte er den absonderlichen Charakter seiner Nichte gekannt, würde er sich nicht zur Heirat entschlossen haben. Sie lasse sich trotzig und mürrisch an, wolle ihm auch gar nicht schön vorkommen, Christian Wilhelm habe sie ihm anders geschildert. Dieser fuhr sich verzweifelt durch die Haare und bat, Eggenberg möge doch um Gottes willen Geduld haben, seine Nichte habe die leidigen ketzerischen Gewohnheiten an sich; wären die erst einmal abgestreift, so würden die Annehmlichkeiten desto glänzender hervorschauen. Daß sie nicht geschwätzig sei wie so manche Weiber, solle Eggenberg nur für gut halten; eine Frau, die immer widerbelle, hätten schon die Philosophen der alten Zeit mit Drachen und Furien verglichen.
Sie lasse aber den Mund so grämlich hängen, klagte Eggenberg weiter, das verderbe die gute Laune, mache auch dem Bräutigam wenig Ehre.
Ja, die Törin hätte wohl Ursache, einen solchen Bräutigam anzulachen, sagte Christian Wilhelm und lobte Eggenbergs prächtigen Aufzug, der ganz in weiße Seide mit Silberbesatz gekleidet war und in den Weichselzopf, der ihm am Ohr herabhing, ein Kleinod aus Rubinen und Diamanten verflochten trug, das auf mehrere tausend Reichstaler geschätzt wurde. Übrigens stehe Bräuten ein wenig Sprödigkeit und Schamhaftigkeit wohl an; aber es sei auch an dem, daß seine Nichte stets von zarter Gesundheit gewesen und wie ein junges Vögelein gehegt und behütet worden sei. Eggenberg wäre ja gottlob reich genug, daß sie Dienerschaft und Ärzte zur Pflege genug haben könne.
Wenn es sich wirklich so verhalte, sagte Eggenberg, dessen gutmutiges Gesicht sich wieder geglättet hatte, so wolle er sich zufriedengeben. Wenn sie nur keinen sauertöpfischen Charakter hätte, denn dagegen habe er eine besondere Abneigung, und auch die schuldige eheliche Liebe zu ihm trüge.
Ja, das wisse er bestimmt, die habe sie, sagte Christian Wilhelm eifrig. Es sei ganz gewiß nur jungfräuliche Scham und fürstlicher Anstand, daß sie sich so trocken anstellte. Sie habe ihm, Christian Wilhelm, bei der Begrüßung aufrichtig gedankt, daß er ihr einen so ansehnlichen Bräutigam verschafft hätte, habe auch über Tisch öfters verliebte Blicke nach Eggenberg geworfen. Eggenberg habe noch nicht viel Erfahrung, aber er, Christian Wilhelm, kenne sich aus, die Kalten und Spröden wären die Allerhitzigsten, daß es einem oft zuviel würde.
Davor sei ihm nicht bange, sagte Eggenberg vergnügt, er könne viel aushalten.
Nachdem sie hierüber eine Weile gelacht hatten und Eggenberg ganz besänftigt schien, suchte Christian Wilhelm das Schlafzimmer seiner Nichte auf und ließ mit Pochen und Bitten nicht nach, bis ihm aufgemacht wurde. Er setzte sich ein wenig zaghaft an ihr Bett, fragte nach ihrem Befinden und drückte seine Hoffnung aus, daß sie am folgenden Tage wiederhergestellt wäre, damit die Hochzeitsfeierlichkeiten ihren Fortgang nehmen könnten.
Da die Prinzessin nicht antwortete, fuhr er fort, es betrübe ihn, daß sie sich der Heirat, die er wie ein Vater für sie zurechtpraktiziert hätte, so wenig zu erfreuen scheine, und sprach von der Pflicht der Frau, ihren Eheherrn durch liebevolles, demütiges Betragen an sich zu fesseln, anstatt durch Trotz und bitterböses Maulen seinen Abscheu zu erregen.
Ihr sei an der abgöttischen Heirat nichts gelegen, sagte die Prinzessin, von deren Kopf die in dünne Zöpfe geflochtenen Haare wie lange harte Rattenschwänze abstanden; wenn er sie nicht wolle, gehe sie gern wieder heim.
Ach, sagte Christian Wilhelm, da rede das stachelige, rebellische Gemüt der Evangelischen aus ihr, unter denen sie aufgewachsen sei. Ihm sei es ja bekannt, er habe selbst mit beiden Füßen daringesteckt und müsse sich nur wundern, wie Gottes Barmherzigkeit die übeln Örter in lauter Lilienhügel hätte verwandeln können. Sie könne nichts dafür, ihre Eltern wären schuld, die sich gegen die göttlichen Zeichen verstockt hätten. Sie solle doch dankbar sein für das Glück, das er, Christian Wilhelm, ihr bereitet habe. Ob sie wirklich wieder nach Hause zurück möchte, wo sie sich oft kaum am Brot habe satt essen können? Wo manche Krämerfrau bessere Kleider als sie getragen habe! Wieviel Hemden sie gehabt habe, danach wolle er gar nicht fragen. Und jetzt könne sie mit Edelsteinen würfeln, wenn sie wolle! Ein Fingerzeig Gottes sei diese Heirat, der nach dem Himmel wiese, sie solle nur die Augen auftun und sehen. Für seine väterliche Treue ernte er nur schwarzen Undank, indem sie ihm vor allen Leuten Schande bereitete. Sie solle doch um Gottes und aller Heiligen willen ihr ketzerisches Genick nicht versteifen, sondern durch Lachen, Tanzen und verliebtes Wesen sich des Glückes und der Gnade würdig zeigen, womit sie überhäuft wäre.
Als Christian Wilhelm endlich innehielt und sich eine Träne abwischte, warf die Prinzessin einen frostigen Blick auf ihn und sagte: »Halt's Maul!«, worauf sie sich umdrehte, die Bettdecke über sich zog und die Augen schloß.
Jedoch erschien sie am folgenden Tage beim Bankett und trug auch eine leidliche Miene zur Schau, so daß die Hochzeit in der üblichen Weise zu Ende gebracht werden konnte.
*
Banérs kranke Frau hörte einem an ihrem Bette sitzenden Offizier zu, der in großer Aufregung seine Gründe auseinandersetzte, weshalb er den Dienst quittieren wolle. Er habe zu der angegebenen Stunde durchaus nicht in Budweis sein können, weil keine Brücke über den Fluß geführt hätte. Er hätte entweder einen großen Umweg machen oder mit Zeitverlust den Übergang bewerkstelligen müssen, und das letztere habe er gewählt. Banér habe ihm nicht nur Vorwürfe wegen des Zuspätkommens gemacht, sondern ihm ins Gesicht gesagt, es sei nicht wahr, daß sich keine Brücke dort befinde. Wie er da unwillkürlich mit der Hand ans Schwert gefahren sei, habe Banér ihm gedroht, ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen. So lasse ein ehrlicher Kavalier sich nicht beschimpfen, noch dazu von einem Ausländer; er wolle seine Rückstände und den Abschied.
Nein, nein, sagte die Gräfin, das dürfe nicht sein, sie wisse bestimmt, was für große Stücke ihr Mann auf ihn halte. Vielleicht sei Banér damals im Rausche gewesen, überhaupt sei er ja in letzter Zeit oft unwirsch, weil es ihm mit Prag fehlgeschlagen sei. Es sei ja auch kläglich, wie die Jesuiten Böhmen zugerichtet hätten, da sei kein Glauben und keine Tapferkeit mehr, nur Furcht und Verstellung. Sie habe jetzt auch viel von ihrem Manne zu leiden, verschlucke es aber in der Stille, weil sie in sein Herz sähe.
Ein Mann könne sich nicht so schicken und ducken wie eine Frau, sagte der Offizier, dennoch ein wenig besänftigt. Wenn er nicht eine gründliche Genugtuung erhielte, könne er bei diesem Wesen nicht bleiben.
Sie wolle es ihrem Mann vorstellen, sagte die Kranke, sie sei überzeugt, es gereue ihn schon. Er sei nur rasch, nicht böse. Sie gab ihm zum Abschied die magere gelbe Hand und legte sie wieder auf die grüne Bettdecke, wo sie lag wie ein leichtes herbstliches Blatt, das der nächste Windhauch mitnehmen wird. Sie schloß die Augen und fing an einzuschlummern, als Banér eintrat und sich auf den von dem Offizier verlassenen Stuhl setzte. Er möchte sich auch einmal ausruhen, sagte er mürrisch; die ganze Sache sei ihm unsäglich zuwider. Jetzt sei er gewarnt worden, daß sein Traktieren mit Schlick bereits in Schweden bekannt sei, und doch habe er nur ein einziges Mal vor vier Tagen mit dem Arzt gesprochen, den Schlick ihm geschickt hätte, weil sie, seine Frau, krank läge. Ihr zuliebe habe er den Mann vorgelassen und aus Höflichkeit sein Gefasel angehört. Ob jemand so abgeschmackt sein könnte, zu glauben, er, Banér, ließe sich wie ein hirnloses Huhn mit goldenen Körnern locken? Jedenfalls wären Spione in seiner Umgebung, die seine Handlungen überwachten. Der Gedanke mache ihn rasend; er habe Lust, den zehnten Mann im Heere hängen zu lassen.
Um Gottes willen, rief die Frau, die, durch sein Eintreten aus dem Schlaf geschreckt, mit Anstrengung die Augen offenhielt; er solle doch solche Gedanken fahren lassen! Der Spion könne leicht Schlick selbst sein, der ihn verdächtigte, um ihm daheim Verlegenheiten zu bereiten und ihn dadurch zum Abfall anzuspornen; dergleichen sei doch in diesem Kriege öfter praktiziert worden. Was er davon hätte, wenn er Unschuldige für seinen gerechten Zorn büßen ließe? Sie ergriff die Gelegenheit, ihn an den Offizier zu erinnern, gegen den er auch zu rasch gewesen sei, einen ergebenen und anhänglichen Diener, einen fleißigen und pflichttreuen Soldaten, auf den er sich verlassen könne.
So? brummte Banér, der Kerl habe sich hinter sie gesteckt? Es sei nicht rücksichtsvoll, sie jetzt zu belästigen, und empfindliche Narren könne er ohnehin nicht leiden. Nun wolle er es ihm erst recht eintränken! Sich hinter seine Frau zu verschanzen, wie wenn er, Banér, ein Weiberknecht wäre! Ein Lächeln flog über das kranke Gesicht, das es jung und hell machte. »Gott sei gelobt, daß du es zuweilen bist!« sagte sie.
Sie wurden durch den Arzt unterbrochen, den Schlick aus Prag zur Behandlung der kranken Frau, mit der er verwandt war, geschickt und den er zugleich mit diplomatischen Aufträgen versehen hatte. Er wolle sich erkundigen, sagte er, wie seine Vorschriften wirkten. Ja, ob die Dame aber auch danach gelebt habe? Ob sie der Ruhe gepflegt habe wie eine Tote in der Gruft? Freilich, antwortete sie, sie liege zu Bette, das sehe er ja.
Das sei nicht genug, sagte der Arzt, es müsse um sie her auch Ruhe sein. Sie habe zuviel Kraft spendiert mit Kindergebären, Nachtwachen, Reisen, Kummer und Sorgen, das müsse wieder eingebracht werden.
So ein Weib sei doch auch ein gebrechliches Geschöpf, sagte Banér. Was wollten sie erst machen, wenn sie mit in den Krieg müßten?
Hm, sagte der Arzt, es gäbe viele Frauen, die müßten alle Tage in den Krieg. Was das im Nebenzimmer für ein Lärmen sei?
Das wären die Kinder, sagte die Frau, über deren Gesicht ein heißes Rot huschte. Der Bube sei etwas wild geraten und prügele zuweilen das Schwesterlein, wenn sie nicht beständig dahintersitze. Er meine es aber nicht böse.
Banér stieß einen Fluch aus und drohte, dem Jungen die Knochen zusammenzuschlagen, wobei er Miene machte, in das Nebenzimmer zu stürzen; aber die angstvollen Bitten seiner Frau hielten ihn zurück. Er könne dem Buben ein Leids antun, klagte sie, wenn er im Zorne losschlüge.
Die Sache könne hernach und anderswie geschlichtet werden, entschied der Arzt, indem er Banér am Rock faßte. Ruhe müsse die Frau haben. Wie alt der Herr Sohn sei? Er sei sechs Jahre alt, sagte die Gräfin.
Nun, so könne man ihm schon ernstlich vorrücken, meinte der Arzt, daß es um das Leben der Mutter gehe.
Ob es denn wirklich so ernstlich sei? fragte Banér unruhig.
Das wolle er ihm nicht verhehlen, sagte der Arzt halblaut. Sie sei jetzt wie ein Feuerlein, das zu erlöschen drohe. Mit gelindem Atem könne man es vielleicht wieder anfachen, fahre man aber täppisch mit Blasebalg oder Zange dazwischen, könne man es auch vollends ausblasen.
Banér blickte entsetzt nach seiner Frau hin, deren schönes, geradliniges Gesicht frühzeitiges Altern und Todesnähe mit einem spinnwebgrauen Schleier überzogen hatten, und warf sich mit einem lauten Schrei neben ihrem Bett auf die Knie. Indem er die Arme um ihren Leib schlang, sie fast aus dem Bette reißend, flehte er sie an, ihn nicht zu verlassen. Sie wisse ja, daß er ohne sie nicht leben könne, er wolle alles tun, was sie verlange, ihr in allen Stücken gehorchen, nur verlassen solle sie ihn nicht. Wenn sie stürbe, würde er sich lebend mit in ihr Grab vergraben lassen. Was ginge ihn Schweden und Sachsen und Böhmen an? Sie sei seine Heimat, in ihr habe sein Herz Wurzel gefaßt, und nicht einmal Gott könne es herausreißen.
Während dieses Ausbruchs bearbeitete der Arzt den Feldherrn mit Worten und Händen, bis er ganz erhitzt war. »Was fällt Euer Gnaden ein?« rief er böse, »das sind unleidliche Exorbitanzien!« Doch machten seine Ermahnungen keinen Eindruck auf Banér, bis seine Frau, sich über ihn beugend, ihm allerlei zugeflüstert hatte, worauf er sich gutwillig fortführen ließ.
Nachdem er fort war, grub sie einen Augenblick mit dem Ausdruck tiefster Erschöpfung ihren Kopf tief ins Kissen und schloß die Augen; dann läutete sie nach der Kammerfrau. Sie wolle ein wenig Suppe und gewürzten Wein, sagte sie freundlich, und hernach wolle sie aufstehen; es sei ihr viel wohler.
Die Kammerfrau schüttelte den Kopf und machte Einwände, die die Feldmarschallin nicht gelten ließ; der Arzt habe es erlaubt, sagte sie, und sie wolle sich Bewegung machen. Mit Hilfe der Dienerin zog sie sich an und ließ sich die Frisur aufbauen. Wie sie in den Spiegel sah, wurde sie nachdenklich. Was wollte die geheimnisvolle, trauernde, uralte Frau von ihr, die sie daraus anblickte? Sie versuchte sich anzulachen; aber ein Schaudern überlief sie, und sie legte den Spiegel langsam aus der Hand.
Ein wenig Schminke und Puder werde nicht schaden, sagte sie zur Kammerfrau. Helfen aber auch nicht, erwiderte diese grollend. Die Feldmarschallin lachte. Ihr Gemahl sei nicht so grämlich, sagte sie, wie sie, die Kammerfrau, sondern habe sie lieb; das helfe sicher.
Als Banér gleich darauf eintrat, stand sie mit fröhlichem Gesicht auf und ging ihm entgegen; er zog sie an sich und schwang sich einige Male mit ihr herum. Also habe er sie wieder! rief er tief aufatmend. Der verdammte Doktor habe falschen Lärm geblasen, habe ihm vielleicht eine Falle stellen wollen und gemeint, in der Todesangst ginge er hinein. Aber ob sie wirklich wieder gesund sei? Viel wohler als vorher, sagte sie und nickte beteuernd. Noch ein wenig müde, das komme gewiß vom ungewohnten Bettliegen.
Nun wolle er auch dem empfindlichen Narren, dem Offizier, ein paar gute Worte geben, sagte Banér vergnügt, obwohl es abgeschmackt sei, sich so heikel mit ihm anzustellen. Aber alle Welt solle wissen, wieviel ihr Fürwort bei ihm gelte.
*
Um die Mitte Mai 1640 vereinigten sich die hessischen Truppen unter Melander, die lüneburgischen unter Klitzing und die Weimaraner unter dem Prinzen von Longueville mit Banér, der in der Ebene um Erfurt ein Heer von 40 000 Mann mustern konnte. Er rückte mit dieser Macht gegen die Kaiserlichen vor, die sich jedoch, obwohl geringer an Zahl, nicht zurückzogen und dadurch die Verbündeten in große Verlegenheit brachten. Da die Gegend zu arm war, um so viele Menschen zu ernähren, litt die Mannschaft bald Hunger, und es wurde notwendig, irgendeinen Ausweg zu ersinnen, zu welchem Zweck die Generale und Kriegsräte am 7. Juni sich versammelten. Banér begann mit der Erklärung, daß die Unmöglichkeit, das kaiserliche Lager zu überwältigen, auf der Hand liege. Zu einer Schlacht wagten sie sich nicht heraus, sie trieben das Stilliegen nach Wallensteinischer Mode. So könne es nicht weitergehen.
»Was sagt er?« fragte der Prinz von Longueville sich vorbeugend, worauf es ihm wiederholt wurde. Nun, sagte er lächelnd, dasselbe habe er vor acht Tagen gesagt. So sei denn Banér jetzt einverstanden, daß sie sich auf Erfurt zurückzögen.
Banér warf wütend den Kopf nach dem Franzosen herum und sagte, er denke nicht daran, auf Erfurt zurückzugehen; er sei kein Pendel in einem Uhrwerk.
»Was sagt er?« fragte Longueville. Es sei lächerlich, sich gegen das Notwendige zu sträuben. Nach acht Tagen würden sie sich doch auf Erfurt zurückziehen müssen.
Guébriant sagte einlenkend, sie könnten vielleicht erst vernehmen, wie Banér den Knoten zu lösen dächte.
Jetzt fiel der hessische Kriegsrat ein, um vorauszuschicken, daß seine Regierung sich zu einem Vorrücken auf Schlesien keinesfalls verstehen würde, aus mehreren in der Kürze nicht gründlich auseinanderzusetzenden Gründen.
»Wer spricht von Schlesien?« rief Banér, der vergessen hatte, daß er kürzlich durchaus nach Schlesien hatte gehen wollen. Er denke zur Zeit nicht an Schlesien! Das einzig Richtige sei, nicht vom Flecke zu weichen, bis sie die Kaiserlichen aus ihren Schanzen getrieben hätten; sie brauchten nur Verstärkung dazu, die der Herzog von Lüneburg wohl imstande sei zu schicken; er berufe sich dabei auf Klitzing.
Ihm komme es wenigstens vor, als sei es nicht unmöglich, sagte Klitzing mit einem furchtsamen Blick auf den lüneburgischen Kriegsrat.
Melanders faltiges Gesicht verdüsterte sich noch mehr, indem er mit wegwerfendem Ausdruck sagte, sie könnten sich hier doch ohnehin nicht ernähren; kämen noch mehr, würden sie vollends verhungern.
Verhungern! höhnte Banér. Dafür solle Melander ihn sorgen lassen. Er führe lange genug Krieg, um zu wissen, daß ein Heer nicht verhungerte, das stark genug sei, um zu siegen.
Und zu saufen hätten sie ja einstweilen noch genug, fügte Klitzing hinzu; aber dieser schwache Versuch, die Gemüter durch Lachen versöhnlich zu stimmen, wurde nicht beachtet.
Daß der Herzog von Lüneburg Verstärkung schickte, erklärte der Kriegsrat, sei ausgeschlossen, sonst wäre ja sein eigenes Land des Schutzes entblößt.
So bliebe ihnen nichts anderes übrig, als sich auf Niedersachsen zurückzuziehen, drohte Banér.
»Also gehen wir doch nach Erfurt?« fragte Longueville lächelnd.
Banér machte eine Bewegung, als wolle er dem Prinzen den vor ihm stehenden Bierkrug an den Kopf werfen, und Guébriant flüsterte ihm zu, es sei nicht von Erfurt, sondern vom Lüneburgischen die Rede.
Das bedauere er außerordentlich, sagte Longueville, ganz außerordentlich. Er sei für seine Truppen verantwortlich und müsse in Verbindung mit dem Rheine bleiben.
Wenn die Stellung hier aufgegeben würde, sagte Melander, so müsse er nach Hessen, für den Fall, daß der Kriegsschwall sich dorthin zöge.
Die Herren kämen ihm absonderlich vor, sagte Banér mit drohend erhobener Stimme; sie wären doch keine Kinder, die um die Vesperzeit nach Hause liefen, um ihr Stück Brot zu empfangen. Er habe vor acht Tagen vorgeschlagen, daß sie nach Hof durchbrächen, um die Kaiserlichen von Bayern abzuschneiden. Das sei nicht beliebt worden; aber besser wäre es gewesen, wenn er seinen Willen damals durchgesetzt hätte. Wer es redlich mit der guten Sache meinte, spräche nicht von Trennung.
Melander hob langsam die Augen zu Banér und wollte eine scharfe Antwort geben, als ein Banérscher Kammerdiener in großer Bestürzung gelaufen kam und meldete, die Frau Feldmarschallin liege im Sterben, der französische Doktor habe es gesagt.
»Der Doktor soll zur Hölle fahren!« schrie Banér; er wäre ein Narr, und ohne ihn würde seine Frau längst gesund sein. Fluchend folgte er dem Diener, der erschrocken davongelaufen war. Am Bette der Sterbenden war lautes Geschrei der drei behandelnden Ärzte, von welchen die beiden deutschen dem französischen, der im Auftrage des Prinzen von Longueville eingegriffen hatte, vorwarfen, der von ihm angeordnete Aderlaß sei die Ursache ihres Todes. Durch das Erscheinen Banérs vertrieben, setzten sie vor dem Hause ihr Gezänk fort, in welches sich bald die Offiziere mischten, die auf das Gerücht vom Tode der Gräfin herbeikamen. Er habe sich's am Morgen gleich gedacht, sagte einer, als ihm ein Wachtmeister gemeldet hätte, daß ein Bienenschwarm sich angehängt habe. Das habe noch nie etwas Gutes bedeutet.
So? sagte der eine Arzt; das sei doch sonst für ein gutes Zeichen angesehen worden. Er erinnere sich noch wohl, wie sich am Tage der Kaiserwahl Anno 1619 ein Bienenschwarm auf Frankfurt niedergelassen habe und wie man das allenthalben als glückliches Omen angerufen habe.
Mehrere Offiziere erhoben lautes Gelächter. Die hätten wohl Honig für des Teufels Küche gemacht, sagten sie. Nun, ihnen könne es freilich recht sein, sie wären den Krieg gewohnt, hätten zuletzt mehr Profit als Schaden davon.
Ja, es müsse auch Krieg geben, sagte der Arzt, zufrieden wären die Menschen doch nie. Am Tage vor der Prager Schlacht Anno 1620 habe sich am Weißen Berge auch ein Bienenschwarm gezeigt, erzählte ein anderer Offizier; er habe damals unter Buquoy gedient, und sie hätten es auf den großen Sieg bezogen.
Daß es jetzt einen Trauerfall bedeutet hätte, sei doch aber unwidersprechlich, beharrte der erste Offizier, worauf die übrigen stillschwiegen.
Als sich Banérs Vertrauteste am folgenden Morgen in das kleine niedrige Zimmer wagten, wo die Tote lag, fanden sie den Feldmarschall schlafend vor dem Bette; sein blonder Kopf ruhte auf ihrem Kissen. Sie getrauten sich endlich, ihn zu wecken, und meldeten, Klitzing und Melander wären in Streit geraten, der letztere wolle abziehen; wenn Banérs Ansehen nicht durchdränge, stehe das Schlimmste zu befürchten. Banér richtete sich ein wenig auf, starrte die Herren an und sagte nach einer Pause, die beiden sollten sich doch die Köpfe abreißen, ihm wäre das ganz gleichgültig. Wie er aufstand und das kalte Gesicht der Toten sah, ward er sich plötzlich der Gegenwart und seines Unglücks bewußt und warf sich laut aufjammernd mit ganzem Leibe zu Boden. Die Herren, die ihn aufrichten und besänftigen wollten, stieß er ungestüm von sich: Teufel wären sie, daß sie ihn nicht einmal weinen ließen. Er wollte weinen; weinen, schreien und heulen, bis ihm das Herz auseinanderspränge. Es wäre ihm einerlei, was aus dem Heer würde! Möchten sie doch Hungers sterben! Ihm wäre es recht, wenn sie allesamt krepierten!
Das Zureden seines alten Kammerdieners brachte es doch zuwege, daß er ein paar Gläser Wein hinuntergoß, worauf er in angetrunkenem Zustande sich die Gesellschaft der Generale gefallen ließ. Inzwischen war neue Aufregung entstanden, weil Piccolomini zwar die Banér zuständigen Gefangenen ausgewechselt hatte, nicht aber die hessischen und lüneburgischen, von welchen er sogar einige hatte aufhängen lassen, weil sie nicht rechtschaffene Feinde, sondern Marodebrüder wären.
Er wolle es dem heimtückischen Welschen zeigen, tobte Klitzing, daß er ein wohlbestallter General sei, so gut wie einer von den Wiener Schranzen. So etwas lasse er nicht auf sich sitzen. Lieber hinge er sein Schwert an den Nagel.
Melander wollte wissen, wie der von Banér abgeschlossene Vertrag wegen Auswechselung der Gefangenen wörtlich gelautet habe. Es sei ihm unbegreiflich, daß ein Edelmann wie Piccolomini vornehmen Bundesgeneralen so an die Ehre griffe. »Der Piccolomini ist immer ein Giftmolch gewesen«, sagte Banér; die Herren möchten ihm nur die Zähne zeigen, er habe nichts dagegen.
Melander sagte, es sei Banérs Sache, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
»Was? Meine Sache?« rief Banér. Ihm habe ja Piccolomini seine Gefangenen zurückgegeben, sie sollten für die ihrigen sorgen. Bisher hätten sie stets gegen seine Verfügungen angebellt, jetzt solle er für sie eintreten! O lustig, sehr lustig! und plötzlich verfiel er in ein lautes, anhaltendes Gelächter.
Es könne ja sonst das Ansehen gewinnen, sagte Melander, als billige Banér das Verhalten Piccolominis. Solche Verleumdungen sei es besser von vornherein zu verstopfen.
Banér konnte mit seinem sinnlosen Gelächter nicht aufhören. »Lustig, sehr lustig!« rief er dazwischen. Er sollte mit Piccolomini durchstechen? Etwas Besseres habe er nie gehört! Nein, ihm wäre alles gleich, er ginge jetzt ohnehin fort.
Die Generale stutzten und fragten, was das zu bedeuten hätte?
Das habe zu bedeuten, sagte Banér triumphierend, daß er seine Kinder und die Leiche seiner Gattin nach Schweden führen wolle. Ob sie glaubten, er habe Lust, sich länger in ihre Querelen verwickeln zu lassen? Sie sollten gehen, wohin sie wollten, er gehe ausgemacht nach Schweden.
Die Abwesenheit Banérs war benutzt worden, um den Leichnam seiner Frau einzusargen; als er aber zurückkommend die damit beauftragten Männer im Begriffe fand, die letzten Nägel einzuschlagen, sprang er zornig auf sie los und befahl ihnen, den Deckel wieder abzunehmen. Die Leute wußten nicht, was sie tun sollten, als Banérs Feldprediger eintrat und es unternahm, dem Feldmarschall ins Gewissen zu reden. Er sprach von der Pflicht des Christen, sich in Gottes Willen zu ergeben, schilderte, wie der Held aller Helden, Christus, den Kreuzestod gefürchtet und wie er sich ritterlich zu dem Gebet durchgefochten habe: ›Nicht wie ich will, sondern wie du willst‹, welches seitdem das Haupt- und Schlußgebet jedes Menschen sein müsse. Banér sollte ihm nun einmal die Worte nachsprechen, wie er sie ihm vorspräche: Herr, nicht wie ich will, sondern wie du willst.
Zornig stieß Banér die Worte mit rauher Stimme hervor. Nein, so könne es nicht dienen, sagte der Feldprediger, betrübt den Kopf schüttelnd; das dürfe nicht wie Blut kommen, das man sich aus den Adern kratze, sondern gelinde wie die köstlichen Tränen. Banér brach in lautes Schluchzen aus, warf sich mit ganzem Leibe über den Brettersarg und preßte das Gesicht leidenschaftlich gegen das Holz. So, sagte der Feldprediger, nun sei es gut; nun habe Banér das Opfer gebracht und seinen liebsten Schatz in Gottes Arme gelegt, der werde ihn behüten und ihn am Jüngsten Tage ihm wiedergeben.
*
Es wurde festgesetzt, daß Banérs verstorbene Frau, bis die Überführung nach Schweden ins Werk gesetzt werden konnte, im Chor der Predigerkirche in Erfurt, wo seine erste Gemahlin beigesetzt war, bestattet würde, und er selbst führte den Sarg dorthin. Seine Kutsche mußte so fahren, daß er den Sarg stets im Auge hatte, und müde, wie er nach den starken Erregungen war, strengte er sich doch an, wach zu bleiben, damit ihm der geliebte Leichnam nicht unversehens entschwände. Er war ärgerlich auf seinen Feldprediger, der ihn, so schien es ihm, seine Schwäche ausnützend, überlistet hatte. Warum sollte er seinen Willen in Gottes Willen ergeben, wenn Gott grausam war und etwas Ungereimtes tat? Warum sollte er sich nicht aufs äußerste dagegen wehren? Er dachte daran, wie oft er auf seinen vielen Fahrten von einem Feldlager zum andern in der Kutsche geschlafen hatte, den Kopf an die Brust der teuren Frau gelehnt, und wie unmöglich es sei, daß das nie wieder so sein sollte. Im Halbschlummer kam es ihm so vor, als ob der Feldprediger an allem schuld sei und als würde er seine Frau wiederbekommen, wenn er sich nur von dem alten Zauberer nicht wieder betören ließe.
Um der Gattin des großen Feldherrn die letzte Ehre zu erweisen, kamen mehrere fürstliche Herrschaften nach Erfurt und versammelten sich zu der feierlichen Stunde in der Predigerkirche. Banér hatte sich festlich ankleiden lassen: er trug eine grüne Feder am Hute, wie die des Königs von Schweden gewesen war, ebenso einen ledernen Koller und eine Schärpe mit dem Trauerflor darüber. Er nahm die Beileidsbezeigungen der erschienenen Trauergäste teilnahmslos entgegen und stand während der ganzen Predigt in sich versunken, die Augen auf den Sarg geheftet. Als die weinerliche Stimme des Redners verstummte und ein paar schwarzverhüllte Männer sich des Sarges bemächtigten, um ihn an Stricken in die Gruft hinunterzulassen, fuhr er zusammen und machte Miene, sich auf den Sarg zu werfen. Die, welche ihm zunächst standen, ergriffen ihn an den Armen und winkten den Männern, sich zu beeilen, damit die Sache ein Ende nähme. Wie der Sarg gehoben wurde und über der Tiefe schwebte, taumelte Banér einen Schritt vorwärts, so daß ein Schrecken durch die um die Öffnung gruppierte Gesellschaft lief, indem es nicht anders aussah, als ob er sich hinunterstürzen wollte. Es zeigte sich, daß einer seiner Füße in die Stricke verwickelt und er dadurch mitgerissen worden war, was er selbst rechtzeitig genug bemerkte, um sich befreien zu können. Als er sich aufrichtete, während der Sarg langsam in die Gruft sank, fiel sein Blick auf ein ihm gegenüberstehendes junges Fräulein, dessen Augen erschreckt und neugierig auf ihn gerichtet waren. Um ein rundes, flaumiges Kindergesicht herum waren blonde Haare majestätisch gerollt und gepufft, von ihren Ohren hingen tränenförmige Perlen und dahinter ein paar schön gedrehte, tanzende Locken herunter. Die stattliche Einfassung hätte jungfräuliche und fürstliche Würde vortäuschen können, wenn nicht ihre lustigen Augen, die verstohlen in der Kirche abenteuerten, der Schmelz der Haut und das frische, kühle Mündlein das Kind verraten hätten, das sich am glücklichsten fühlt, wenn es zu Hause mit Hunden, Katzen und Puppen spielen durfte. Banérs erste Regung, als er in das helleuchtende Gesicht sah, war, mit einem Satze über die Öffnung zu springen, durch die der Sarg eben verschwunden war, und es zu küssen; und wenn er das auch unterließ, so warf er doch einen solchen Blick hinüber, daß das Fräulein unwillkürlich einen Schritt zurücktrat, ohne aber die Augen von ihm abzuwenden. Sowie er in seinem Quartier angelangt war, befahl er dem Kammerherrn, welcher das Trauermahl anzuordnen hatte, dem kleinen Fräulein, welches eine Prinzessin von Baden-Durlach war, den Platz an seiner Seite anzuweisen. Dieser wehrte erschrocken ab, das sei eine abscheuliche, ganz unzulässige Unziemlichkeit und könne böse, unabsehbare Folgen haben; allein Banér erklärte, mit dem Fuße aufstampfend, er wolle es so haben und nehme die Folgen über sich. Indessen auf die beschwörenden Bitten des Herrn hin begnügte er sich damit, daß das Fräulein ihm gegenübergesetzt wurde, und jedesmal, wenn er in das rosige Kindergesicht sah, zu dessen Seiten die tanzenden Löckchen wie jubilierende Glocken zu läuten schienen, kam es ihm vor, als sei er begraben gewesen und nun wieder auferstanden und stehe auf der goldenen Schwelle der ewigen Seligkeit.
Als alle Gäste sich entfernt hatten und er allein in seinem Schlafzimmer war, fiel sein Blick auf den Trauerflor, der seine Schärpe verhüllte, und wie einer etwa sein erstes weißes Haar, das er im Spiegel bemerkt, rasch auszieht, bevor es jemand anders sähe, riß er ihn herunter und hielt ihn in die Flamme der Wachskerze, die vor seinem Bett brannte und die das dünne Gewebe in einem Nu verzehrte.
*
Die Landgräfin Amalie Elisabeth sah in den Spiegel, während ihr die Kammerfrau die Frisur herrichtete, und bemerkte, wie sie nun fast über Nacht ein weißhaariges altes Weib geworden. Vor drei Jahren, als ihr Mann gestorben sei, wäre sie noch ganz braun gewesen.
Weiße Haare wären die schönste Witwentracht, sagte die Kammerfrau.
»Die Zeit kriecht wie eine Schildkröte, wenn man jung und leichtfüßig ist,« sagte die Landgräfin, »und wird man alt und hinkt und humpelt, so läuft sie davon wie ein Hase.«
»Das ist das beste an der Zeit,« erwiderte die Kammerfrau, »daß sie uns immer schneller zu Gott trägt.«
Die Landgräfin lachte ein wenig ungehalten. »Ich dächte,« sagte sie, »wir beide hätten noch manches Geschäft auf Erden zu besorgen.«
Wenn die Landgräfin wüßte, was für greuliche Zeichen vorgefallen wären, sagte die Kammerfrau, würde sie nicht lachen. Es könne ja doch nicht verschwiegen bleiben, so wolle sie es nur gleich erzählen, daß ihr Mann, der Küster, am Abend spät, da er noch in der Schloßkirche gesäubert hätte, es laut in der Gruft habe klopfen hören, wie wenn jemand heraus wollte. Als er sich am andern Morgen mit einer Laterne hinuntergetraut hätte, da sei im Sarge des hochseligen Landgrafen August, des hochseligen Moritz' Vater, ein klaffender Riß gewesen.
»Nun also denn!« rief die Landgräfin ärgerlich. Sie sähe nichts Greuliches darin, daß altes Holz risse!
Die Kammerfrau schüttelte mißbilligend den Kopf. Das sei noch gar nicht alles, fuhr sie fort. Heute früh sei die Bauersfrau aus Lohne hereingekommen, die den Honig für die Frau Landgräfin zu bringen pflegte, und sei so voll Angst und Bangen gewesen, daß sie kaum hätte sprechen können. Wie sie am letzten Samstag bei einbrechender Nacht mit andern Frauen an den Brunnen gegangen sei, um Wasser zu holen und für den Sonntag zu scheuern, da sei vor aller Augen eine verhüllte Gestalt aus dem Brunnen gestiegen, habe die Hände über dem Haupte gerungen und sei dann ohne Laut wieder versunken. Vor Schrecken hätten sie sich kaum nach Hause getraut, weil sie gemeint hätten, der Feind stehe schon vor der Tür.
»So weit ist es noch nicht«, sagte Amalie Elisabeth. »Ich bin auch noch da!«
Ja, das habe die arme Bäuerin auch gesagt, fiel die Kammerfrau ein, wenn sie nur gewiß wüßte, daß die Frau Landgräfin da wäre, so würde sie sich eher trösten können. Aber draußen auf den Dörfern gehe die Rede, die Herrschaft sei wieder aus dem Lande geflohen wie vor vier Jahren, und nun werde der Feind kommen und alles niederbrennen und ausrauben wie dazumal.
Die gute Frau solle hereinkommen und sich überzeugen, daß sie da sei, befahl die Landgräfin; aber von klopfenden Särgen und Brunnengespenstern wolle sie nichts mehr hören; sie wären hier nicht abergläubische Heiden, sondern vernünftige Christen.
Nachdem die Bäuerin entlassen war, empfing die Landgräfin ihren Rat von Schollei, den sie aus Rücksicht auf die Ritterschaft duldete, aber ungern anhörte. Er habe es auch schon gehört, was sich mit dem Sarge des hochseligen Landgrafen August begeben habe, sagte er mit sorgenvoller Miene. Die Zeit sei freilich danach, daß die Toten aus der Erde steigen möchten.
»Besser, als daß die Lebendigen in die Erde kriechen«, erwiderte die Landgräfin. »Der Tod ist unser aller Erbteil und fällt uns früher oder später gewiß zu; ich hoffe, wir tun alle unsere Pflicht, ohne uns schrecken zu lassen.«
Ja, die Pflicht, sagte Schollei, die möchte er schon tun. Aber welches sei die Pflicht? Darüber zu wachen, daß das arme Hessenvolk nicht in Grund und Boden ruiniert würde. Nun sei das Unglück da, das er geweissagt hätte, als die Landgräfin sich von den schelmischen Franzosen wieder in den Krieg hätte hineinziehen lassen. Es könne und könne kein gutes Ende nehmen, und die Frau Landgräfin solle ihm nur das eine zugeben, daß er es vorausgesagt hätte. Nun könne nicht einmal Westfalen mehr gehalten werden; sonst sei niemand zum Löschen da, wenn ganz Hessen in Flammen stände.
Der Herzog von Lüneburg würde sie nicht verlassen, sagte die Landgräfin.
Der! rief von Schollei. Der merkte auch schon, daß der Boden heiß würde, und träte den Krebsgang an. Das Unglück sei da, man brauche kein anderes Zeichen mehr, wenn schon der hochselige Kurfürst August selbst aus dem Sarge stiege, um es anzuzeigen.
»Das Winseln und Wehklagen mag ich nicht einmal an einem Weibe leiden«, sagte Amalie Elisabeth. »Je größer das Unglück, desto schneller muß man die Hände rühren, nicht das Maul.« Es müsse augenblicklich ein Eilbote an Melander und Banér abgehen, Melander müsse jetzt alles andere hintansetzen, um die hessische Grenze zu schirmen.
Der Bote war noch nicht abgefertigt, als die Ankunft Melanders in Kassel gemeldet wurde. Er lasse fragen, so hieß es, ob er der Frau Landgräfin in dringenden Geschäften seine Aufwartung machen dürfte?
Der Landgräfin schoß das Blut ins Gesicht, und sie mußte sich anstrengen, um den Ärger und Schreck, der sie durchfuhr, zu verbergen. Ohne Erlaubnis hatte der eigenwillige Mann seinen Posten verlassen! Hätte er sich dessen erdreistet, wenn ihr Mann noch lebte? Laut sagte sie, das treffe sich gut, so könne sie mündlich mit ihrem General Rücksprache nehmen. Dann schickte sie Schollei fort und ließ ihren alten Rat Sixtinus rufen, mit dem sie in besserem Einvernehmen war als mit jenem.
Sie empfing Melander, den seine Gemahlin begleitete, mit ausgesuchter Freundlichkeit und sagte scheinbar unbefangen, es müsse etwas Außerordentliches sein, das ihn veranlasse, in dieser bösen Zeit in die Stadt zu kommen. Oder ob er ihr seine Gemahlin habe bringen wollen, damit sein lieber Schatz in sicherer Obhut sei?
Melanders Gemahlin, eine geborene Freifrau von Effern, die viel gestikulierte, um die Perlen und Edelsteine in Bewegung zu setzen, mit denen sie an Kopf, Hals, Brust, Armen und Händen beladen war, ergriff rasch das Wort und sagte, das Lager sei jetzt allerdings kein Aufenthalt mehr für eine Dame. Der Tisch könne nicht einmal ordentlich beschickt werden, so mangle es an allem. Davon wolle sie jedoch gar nicht reden. Aber Banér! Nein, sie wolle lieber mit einem Kuhmelker verkehren! Und wenn der schwedische Adel schon so sei, was könne man dann von den gemeinen Leuten erwarten? Sie liebe gewiß das Einfache, ihr Mann habe ja auch eine rauhe Art und sie eben dadurch gewonnen; die Landgräfin könne also schließen, wie arg es sein müßte, wenn sie die Nase rümpfte.
Melander warf einen ungeduldigen Blick auf seine Frau und unterbrach sie mit den Worten, er sei gekommen, weil jetzt ein Entschluß gefaßt werden müsse. Sie wären am Rande des Abgrundes. Er könne nicht leiden, daß die Geschicke eines Landes, für das er so lange gekämpft hätte, an einen Tollkopf wie Banér geknüpft würden. Der habe nur noch seine neue Liebschaft im Sinne, gehe nicht dem Feinde, sondern der Braut nach. Anstatt die Länder der Verbündeten zu schützen, verlange er immer mehr Verstärkungen und habe sich unterstanden, ihn wie einen Stallknecht herunterzuschimpfen, weil er seine Truppen auf Eschwege gezogen hätte, was zur Rettung Hessens notwendig gewesen sei.
Übergriffe dürfe Banér sich nicht gestatten, sagte die Landgräfin, darüber wolle sie ihn zur Rede stellen.
Ebensogut könne sie einen wütenden Stier zur Rede stellen, sagte Melander. Er habe es satt. Vielleicht werde er noch einmal gegen die Schweden kämpfen, aber mit ihnen nimmermehr!
Das sei ein rasches Wort, sagte die Landgräfin gemessen, und Melander wohl nur im Zorn entfahren. Banér sei ja nicht Schweden und Schweden nicht die evangelische Kirche und deutsche Libertät. Er könne sie doch nicht jetzt in der Not verlassen, nachdem er ihrem verstorbenen Gemahl so lange ein treuer Diener und Mitkämpfer gewesen wäre.
Er habe schon damals manches wider seinen Willen aus Liebe und Verehrung für den Verstorbenen getan, sagte Melander.
Nun, so werde er auch nicht vergessen haben, fiel Amalie Elisabeth ein, daß ihr Gatte ihm im Sterben seine Kinder wie einem Freunde und Vater empfohlen habe. Er hielte sein Wort schlecht, wenn er sie jetzt verließe.
Wenn die Landgräfin, sagte Melander scharf, ihn als einen Treubrüchigen hinstellen wolle, so weise er das zurück. Auch von seiner Fürstin könne er sich das nicht sagen lassen. Er habe ihr nach Kräften gedient, indem er ihr zum Frieden mit dem Kaiser geraten habe. Er sei von Anfang an gegen das Bündnis mit Schweden und Frankreich gewesen; denn die Deutschen gingen nicht zusammen mit den Schweden, und mit den Franzosen auch nicht. Jetzt liege es vor jedermanns Augen offen, wohin das Bündnis geführt hätte: Hessenland werde von Feind und Freund zugleich überschwemmt und aufgezehrt. Es gehe wider sein Gewissen, sich dazu gebrauchen zu lassen.
Was auf ihr Gewissen gehe, das könne seines sich auch gefallen lassen, sagte die Landgräfin streng.
Ja, solange er ihr General sei, fuhr Melander auf; aber von dieser Stunde an sei er es nicht mehr. Er habe sich's geschworen, nicht länger gemeine Sache mit landfremden Räubern zu machen.
Die geborene von Effern legte eine ihrer klirrenden Hände auf Melanders Mund, die andere auf den Arm der Landgräfin und beschwor beide mit hoher Stimme, sich zu beruhigen. Sie liebe und bewundere die rauhe Art ihres Mannes, sagte sie; aber trotz dieser närrischen Vorliebe sehe sie doch ein, daß sie nicht immer, namentlich der Gemahlin und der fürstlichen Herrin gegenüber, am Platze sei. Er habe ja recht, tausendmal recht im Kerne der Sache; aber General oder nicht, er bleibe doch stets Kavalier oder sollte es bleiben. – Wie nun gleichzeitig auch Melander, seine Frau und Sixtinus ihrer Meinung Gehör zu verschaffen suchten, raffte sich die Landgräfin auf und gebot Stille. Wenn Melander seinen Abschied verlange, sagte sie, so solle er ihn haben. Er möge es redlich meinen, sie tue es auch. Sie kämpfe um einen guten, gerechten Frieden; davon lasse sie sich auch von ihrem wertesten Diener nicht abbringen.
Als das Melandersche Ehepaar sich entfernt hatte, lehnte sich die Landgräfin, ohne auf Sixtinus' Anwesenheit Rücksicht zu nehmen, in ihren Sessel zurück und weinte.
Es sei doch ein rechtes Glück, begann Sixtinus nach einer Weile in großer Verlegenheit und voll Mitleiden, daß sie den Melander los sei. Nun könne der Krieg mit ganz anderem Nachdruck geführt werden. Melander habe kein hessisches Herz, sei im Grunde immer kaiserlich gewesen. Vielleicht sei es auch an dem, was man sich zuflüstere, daß er insgeheim papistisch geworden sei.
Da die Landgräfin schwieg und die Tränen fließen ließ, als hätte sie Lust, sich selbst darin aufzulösen, sagte Sixtinus, es gehe ihm ganz unerträglich zu Herzen, eine solche Fürstin und Heldin, die ganz Europa bewundere, weinen zu sehen.
Amalie Elisabeth sah mit ihren geröteten Augen an ihm vorüber und sagte: »Eine Fürstin soll die Mutter ihres Volkes sein; meine Kinder schreien nach Brot, und ich reiße ihnen den letzten Bissen vom Munde.«
»Ultra posse nemo obligatur«, sagte Sixtinus. Kein Mensch sei über Vermögen verbunden, und das gelte auch für die Fürsten. Das gemeine Volk verlange vornehmlich das Brot, welches den Bauch fülle, es sei aber von Fürsten auch dasjenige, mit dem der Geist sich ernähre, in Betracht zu ziehen. Die Nachkommen würden es ihr einmal danken, daß sie das lautere Wort Gottes gerettet und mit mancherlei gegenwärtigem Unglück erkauft hätte.
»Ja, unglücklich bin ich gewiß gewesen«, sagte die Landgräfin.
Sixtinus horchte ein wenig betroffen. Das könne eine so hochgepriesene und auch siegreiche Fürstin doch nicht ernstlich meinen, sagte er.
»Es wird der seligste Augenblick in meinem Leben sein,« sagte Amalie Elisabeth, »wenn ich mich in meinem Sarge ausstrecken und ruhen kann, weil die Arbeit getan ist!«
Zunächst wurde beschlossen, im engen Einverständnis mit Herzog Georg von Lüneburg zu bleiben, damit man auf einen Bundesgenossen sicher zählen könne. Die Schweden betreffend, wünschte die Landgräfin eine gewisse Unabhängigkeit von ihnen zu gewinnen, um so mehr, als auch Herzog Georg sich hatte verlauten lassen, er wolle sich der Tyrannei Banérs nicht länger unterwerfen. Indessen war die Nähe der Kaiserlichen so drohend, daß beide Verbündete der Schweden doch nicht ganz entraten zu können glaubten und nach allerlei Mißhelligkeiten und gegenseitigen Bedrohungen wieder einlenkten. Herzog Georg öffnete dem Feldmarschall den verlangten Paß in sein Land, wo das schwedische Heer bis auf weiteres die Winterquartiere genießen sollte, freilich ungern und lauernd, wie er den unwillkommenen Besuch wieder loswerden könnte.
*
Die Sonne schien hell in das kleine Zimmer in Heiligenstadt, wo Graf Guébriant übernachtet hatte, und weckte ihn, der sich mit einem Seufzer auf die Obliegenheiten des Tages besann. Am liebsten hätte er geläutet und die Fenster verhängen lassen, damit er weiterschlafen könnte; aber er unterdrückte diese Regung und schloß nur die Augen, um sich zu sammeln, ehe er aufstände. Der Prinz von Longueville, im Grunde gesünder als er, lag zu dieser Zeit in Kassel bei guter Pflege, sorgfältig ernährt, frei von allen Widerwärtigkeiten, indes er, Guébriant, das Knäuel der von jenem begangenen Fehler entwirrte. Als Banér mit seinem ersten Vorschlage an sie herangetreten war, hatte Guébriant vor den Folgen gewarnt, die es für sie haben mußte, wenn sie sich zu weit in Deutschland hineinziehen ließen: sie würden mitten in einem unbekannten, feindlich gesinnten, rauhen Lande, abgeschnitten von heimischer Hilfe sein; wenn der unbändige Banér sie für seine Zwecke ausnützen wollte, wenn die trotzigen Direktoren des weimarschen Heeres anmaßend und unbotmäßig wären, im Fall einer Niederlage oder eines Verlustes würden sie rettungslos preisgegeben sein. Dies alles hatte Longueville eingesehen; als aber die Landgräfin von Hessen-Kassel eine Weile auf ihn eingeredet hatte, verflogen die vernünftigen Bedenken, und die gewagte, für Frankreich nutzlose Verbindung mit Schweden wurde vollzogen. Was hatte Guébriant seitdem ausgestanden: stets hatte er vermitteln, einlenken, vorbeugen, wieder gutmachen müssen. Longueville hatte die weimarschen Direktoren zu einer Zeit gereizt, wo man die Mittel nicht hatte, sie mit Gewalt zum Gehorsam zu bringen, und als die Verwickelung gefährlich zu werden drohte, hatte er sich ihr entzogen und ihm, Guébriant, die Lösung übertragen. Dennoch würde der Ruhm jeder geleisteten Tat Longueville als dem Heeresobersten zugeschrieben werden, nur der Vorwurf des Nichterreichten ihn treffen. Warum unterzog er sich denn diesen Quälereien? Warum verwickelte er sich immer tiefer in die Angelegenheiten dieses Krieges, von dem er ahnte, daß er ihm irgendwie zum Verhängnis werden würde? Er erinnerte sich des Tages, als er zuerst die unliebenswürdigen Laute der deutschen Sprache vernommen, diesen ruhelosen Himmel, die zackigen Städte und Wälder, die traurigen Heiden gesehen hatte: ein Schauer hatte ihn überlaufen, wie wenn der Tod an ihm vorübergegangen wäre.
Warum war er doch hier, da doch sein Leben und seines Lebens Güter alle in Frankreich waren?
Indem er sich diese Frage vorlegte und sich die Antwort gab, fühlte er, wie eitel solche Betrachtungen waren: er diente dem König und mußte gehorchen, und als einem Edelmanne ziemte ihm, es willig und mit äußerster Kraft zu tun. Wenn er sich nie beklagt haben würde, daß er in einer Schlacht tödlichen Waffen entgegenreiten mußte, wie töricht und unzusammenhängend war es, über andere Aufgaben zu murren, die er nun eben peinlich fand? Wie auch die Pflicht beschaffen war, sie mußte ohne Zaudern und Zweifel so vollkommen wie möglich erfüllt werden.
Er stand rasch auf, nahm ein kleines Frühstück ein, wobei er sich überlegte, mit was für Gründen er den Direktoren und Offizieren des Heeres entgegentreten wollte, und ritt zur festgesetzten Vormittagsstunde auf das Rathaus, wo er sie versammelt wußte. Es war ein mäßig großer Fachwerkbau mit spitzen Erkern und Giebeln und kleinen, bleigefaßten Fenstern, die ihn wie lauter spöttische Fratzen anzuglotzen und die Zunge gegen ihn auszustrecken schienen. Als er den Saal betrat, in dessen Mitte etwa hundert Offiziere auf einem Haufen standen, den Degen an der Seite, einer Meute von Bluthunden ähnlich, die beim Anblick des zu packenden Gegners ein leises, langgedehntes, lechzendes Knurren hören lassen, empfand er ein lähmendes Unbehagen; allein er überwand es, ging gelassen auf sie zu und bot den Direktoren höflich die Hand, die sie nicht auszuschlagen wagten.
Er freue sich, sagte er, die Herren so zahlreich versammelt zu finden, und betrachte das als ein Zeichen, daß sie, wie er, die bedauerlicherweise entstandenen Mißhelligkeiten behoben zu sehen wünschten. Zunächst sprach er von dem Gerücht, als hätten die Direktoren mit dem Herzog von Lüneburg angeknüpft, um in dessen Dienst zu treten. Er habe den Herzog Georg darüber befragt und von ihm die Antwort erhalten, daß er keineswegs die Absicht habe, Frankreich seine ihm eidlich verpflichteten Soldaten abtrünnig zu machen, daß er vielmehr seine Dienste zur Vermittelung anbiete. Er, Guébriant, sei überzeugt, daß auch sie beschworene Verträge halten und den König nicht zwingen wollten, sie als fahnenflüchtig anzusehen.
Der Graf von Nassau stemmte den Arm in die Seite und sagte, Guébriant solle nicht vergessen, daß er, als freier deutscher Reichsfürst, Bündnisse nach Belieben schließen könne.
Im Deutschen Reich möge er Reichsfürst sein, entgegnete Guébriant; in Beziehung zum König von Frankreich sei er dessen Oberster und gelte für ihn kein anderes Gesetz als für andere bestallte Offiziere.
Er wartete einen Augenblick, und da keine Antwort erfolgte, ging er zu dem Vertrage über, den die Direktoren in Breisach freiwillig unterschrieben und durch den sie sich verpflichtet hätten, dem Könige von Frankreich überallhin zu folgen und sich gegen jeden Feind gebrauchen zu lassen.
Rosen ergriff das Wort und sagte, sie bestritten das nicht; aber sie hätten den Vertrag in der Meinung abgeschlossen, daß der Krieg, wie es auch im Vertrage heiße, zur Wiederherstellung deutscher Freiheit geführt werde. Sie wären nicht ehrlose Söldner, die sich gleichgültig hierhin und dorthin schleppen und abschlachten ließen, sie wären deutschen Stammes, wollten für ihr Vaterland und nicht für eigennützige Fremde kämpfen.
Nun erwiderte Guébriant in längerer Rede: Sie hätten recht, für ihr Vaterland den Frieden erkämpfen zu wollen, was im Vertrage als Zweck des Krieges genannt wäre. Eben zu diesem Zwecke, durchaus nicht um des eigenen Nutzens willen, wäre der König von Frankreich in den Krieg eingetreten. Was für Vorteil er davon hätte? Was das französische Volk bewegen könnte, sein Blut im fremden Lande zu vergießen, als reinstes Wohlwollen für die unterdrückten deutschen Nachbarn? Nur um sie vor Tyrannen zu schützen, ihnen ihre uralte Freiheit wiederzugeben, habe er seit Jahren ungeheure Summen gespendet. Er erinnerte an Herzog Bernhard, den sie alle als Vorbild der Tapferkeit und des Edelsinns im Herzen trügen, wie oft er beteuert hätte, daß er sich nie von Frankreichs Fahnen trennen wolle; denn er wisse, daß auf französischen Siegen die Freiheit und der Frieden Deutschlands beruhe. Zum Schlusse verlas er den Vertrag von Breisach, um die gegenseitigen Verpflichtungen festzustellen.
Die Folge hiervon war, daß die Erregung der Offiziere, die zur Annahme des Vertrages durch die Direktoren überredet worden waren, sich plötzlich gegen diese wandte. Sie, die Direktoren, hätten, durch große Summen bestochen, das Heer in ein Verhältnis hineingezogen, aus welchem nur sie Vorteil zögen, für die Allgemeinheit nur Schmach und Untergang hervorginge. Als das Getümmel der Streitenden bedrohlich wurde, trat Guébriant zwischen sie und bat sie, die Schwierigkeiten der Lage nicht durch Uneinigkeit zu vermehren. Sie wären alle Männer von Ehre, hätten alle dasselbe Ziel, Deutschlands Heil; warum sie sich entzweien sollten? Ihrer aller persönliches Wohl liege dem König am Herzen. Das Geld zur Auszahlung des Soldes sei angelangt. Was die Offiziere vorgestreckt hätten, Verluste, die die Kriegsläufte mit sich gebracht hätten, alles werde der König ersetzen; er, Guébriant, sei ermächtigt, es in Ordnung zu bringen.
Als die Unterredung beendet war, atmete Guébriant auf, ohne doch ganz befriedigt zu sein. Für den Augenblick schien er den Sieg für Frankreich gewonnen zu haben; aber wie lange würde das dauern? Er kam sich vor wie einer, der in einen Käfig voll wilder Tiere geraten ist: eine Zeitlang kann er sie von sich abhalten, indem er ihnen etwas hinwirft, was sie benagen, aber der Augenblick ist vorauszusehen, wo sie sich zähnefletschend auf ihn werfen werden; denn mit dem bloßen Blick, sagte er sich, würde er sie auf die Dauer nicht bändigen können. Im Grunde, er fühlte es deutlich, haßten sie ihn als einen Fremden, der sich in ihre Angelegenheiten gemischt hatte, um sie irgendwie zu übervorteilen. Er sie übervorteilen! Er lächelte melancholisch. Wenn nicht sein Leben, so ließ er doch sicherlich sein Glück, seine Kraft und auch wohl seine Ehre in den deutschen Sümpfen. Frankreich, ja Frankreich, das würde und müßte endlich über diese Wilden triumphieren und ihnen, wie unverständig sie sich auch sperrten, den Segen seiner Kultur aufzwingen; aber er, der arme Guébriant, würde dabei zugrunde gehen. Möchte nur sein Name aus seiner Asche steigen, ein gereinigtes Feuer, das eine Weile wenigstens noch lebte und leuchtete!
*
Am Abend des letzten August wurde der Himmel gelb, die Sonne erblich zu einer fahlen Scheibe und verschwand, und die auf den Zelten des kaiserlichen Lagers aufgerichteten Wimpel und Fahnen flatterten plötzlich auf, als wollten sie hastig Zeichen drohender Gefahr geben. Dann erhob sich Sturm; er lauerte geduckt und kam mit einem Sprunge wie ein Raubtier, das sich auf weichen Tatzen nahegeschlichen hat, um sich laut aufbrüllend auf das überraschte Opfer zu werfen. In Staubwirbeln flogen Mützen und Bänder durch die Luft, man hörte die Wälder von den Hügeln her rauschen und das Wiehern der geschreckten Pferde. Nach einer halben Stunde legte sich der jähe Wind, und im Lager begann man über die sonderbare Erscheinung zu reden.
Wenn es nur nichts Häßliches zu bedeuten hätte, sagte Generalfeldwachtmeister von Beck. Sie säßen ohnehin fast wie Daniel in der Löwengrube.
So schlimm sei es nicht, sagte Piccolomini. Der Feind sei doch nicht besser daran als sie, eher schlechter, es verlaute ja, daß sie sich selbst bei den Köpfen hätten. Übrigens sei doch ein Wind kein portentum; er sähe ihn schlechtweg für ein verschlagenes Gewitter an.
Beck pfiff durch die Zähne und blickte nach dem Himmel; denn sie standen vor dem Zelte. Gewitter? wiederholte er. Da müßte man doch Blitz und Donner vernommen haben. Es habe auch keine absonderliche Hitze vorher geherrscht. Er wisse nur so viel, daß vor der unglücklichen Leipziger Schlacht Anno 1631 auch ein heftiger Wind eingefallen sei, der jedermann in Erstaunen gesetzt hätte und den man hernach, als das Unglück geschehen sei, auch leicht hätte deuten können.
Piccolomini war im Begriff, sich über die Ursachen des Verlustes dieser Schlacht auszusprechen, als ein Leutnant kam und berichtete, bei seinem Bataillon habe sich ein Wunder begeben. Die Spitzen mehrerer Hellebarden, die die Soldaten nach ihrer Art über Kreuz in die Erde gesteckt hätten, wären unter dem Sturm gleichsam lebendig und feurig geworden und hätten dermaßen hin und her gezüngelt, daß sie hüpfenden Irrlichtern geglichen hätten. Es herrsche infolgedessen große Niedergeschlagenheit bei den Leuten, obgleich einige meinten, es deute auf ein blutiges Treffen und reiche Beute. Er erlaube sich vorzuschlagen, man könne den Warner darüber befragen, den sie bei Chemnitz gefangen hätten, der ein berühmter Prophet und Wahrsager sein solle und dem König von Schweden alle seine Siege und auch andere Geheimnisse vorausgesagt hätte.
Ja, sagte Piccolomini, er wolle sich den Menschen gern einmal ansehen, man solle ihn vorführen.
Während Warner erwartet wurde, sagte Piccolominis Beichtvater, er halte es nicht für richtig, daß man einen Ketzer, der vermutlich ein gefährlicher Betrüger oder gar Hexenmeister sei, sich zeigen ließe, als ob man ihn für einen Wundertäter hielte. Wenn er seine untertänige Gesinnung äußern dürfe, so sei der Tau der Piccolominischen Großmut in diesem Falle auf ein schädliches Giftkraut gefallen, das man lieber ausrotten sollte.
Nein, er sei kein Herodes, lachte Piccolomini, und könne den gemeinen Bauernkerl auch nicht für schädlich halten. Der verstorbene König von Schweden habe ihn ja mitgeführt und gut gehalten, also müsse doch etwas daran sein. Etwa könne er, Piccolomini, auch von ihm profitieren.
Nach einer Weile wurde Warner vorgeführt, der, als er gesehen hatte, daß es kein Entrinnen gab, gutwillig, aber in großer Angst mitgekommen war und Gebete vor sich hinmurmelte. Mit einem verstohlenen Blick den Feldherrn herauskennend, warf er sich Piccolomini zu Füßen, hob die Hände auf und flehte um Gnade.
Er solle aufstehen, sagte Piccolomini, es geschehe ihm nichts zuleide. Wenn er der Prophet sei, für den er sich ausgebe, so solle er erklären, was das eben vorgefallene Unwetter zu bedeuten habe.
Er sei ja gar kein Prophet, jammerte Warner, und es sei ganz gewiß nicht seine Schuld, daß man es von ihm sage. Er wisse wohl, daß Prophezeien eine verbotene Sünde sei, und habe viel zuviel Ehrfurcht vor hohen Herrschaften, als daß er sich mit seiner Wenigkeit so hoher Dinge unterfangen würde.
Der verstorbene König von Schweden, sagte Piccolomini, habe ihn doch aber deswegen mitgeführt, und es sei allbekannt, daß er seinen letzten Sieg und Tod richtig vorhergesagt habe.
Er wisse nichts davon, meinte der Bauer, bei Gott und seiner Seligkeit, er wisse es nicht. Wenn er es getan hätte, so habe er es nicht mit Willen und Absicht getan. Allerdings möchte es sein, daß Gott ihn ausersehen habe, um ihm in Träumen seinen Willen zu offenbaren, denn der unerforschliche Ratschluß Gottes bediene sich zuweilen unscheinbarer und niederträchtiger Gefäße; aber es geschehe ohne sein Zutun, und er getröste sich, daß ein so herrlicher Fürst wie Piccolomini es ihn nicht werde entgelten lassen.
Es solle ihm nichts zuleide geschehen, sagte Piccolomini; wenn er ihn hätte wollen hängen lassen, so hätte er es längst getan. Es solle ihm im Gegenteil ein gutes Handgeld gereicht werden, wenn er die Wahrheit über das Unwetter bekenne.
Der Bauer verdrehte sich nach allen Seiten und sagte, Gott habe ihm, dem unwürdigen Gefäß, zwar mancherlei offenbart, aber insgeheim; denn die Menschen wären viel zu böse, um die Warnungen zu verstehen. Wenn er denn aber durchaus reden solle, so habe der Sturm ganz sicherlich ein Zeichen der Warnung sein sollen, damit die Menschen, namentlich die Soldaten und die Bauern, vom Huren und Saufen abließen; was es aber insbesondere zu bedeuten hätte, das wäre nichts anderes, als daß Gott im Sinne hätte, einem hohen Haupte das Lebenslicht auszublasen. Er wolle sich aber lieber die Zunge ausreißen und die Ohren abschneiden lassen, als daß er verriete, wer das sei; denn er habe überhaupt nicht freiwillig prophezeit, und es könne sich auch leicht alles ganz anders verhalten.
Jetzt nahm Beck das Wort und drang ernstlich in Warner, wenigstens zu sagen, ob das hohe Haupt auf kaiserlicher, französischer oder schwedischer Seite oder wo sonst fallen würde; worauf Warner nach vielem Seufzen und Augenverdrehen sagte, kaiserlicherseits habe Gott nichts verlauten lassen, es werde also wohl die Schweden angehen.
Nachdem Warner abgeführt war, unterhielten sich die Herren über ihn, indem Beck begeistert erklärte, er habe allerdings die Allüren und Qualitäten eines wahren Propheten, wohingegen Piccolomini fand, er sehe nicht anders als ein guter, dummer Bauernkerl aus, und der Beichtvater dabei blieb, er sei ein Teufelskind, und das Unwetter sei vielleicht deshalb gekommen, weil sie einen solchen abgefeimten Erzketzer mit sich herumschleppten. Piccolomini entschied, er wolle ihn bei nächster Gelegenheit laufen lassen, bis dahin solle er so gut wie die anderen Gefangenen gehalten werden. Man könne nicht wissen, ob er nicht etwa doch zaubern könnte, und wenn er ein Narr sei, was er für wahrscheinlicher hielte, so pflege er sich an dergleichen Kreaturen auch nicht zu vergreifen.
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