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1633 bis 1650

 

Der Kurfürst von Sachsen wurde durch die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft Oxenstiernas in Dresden in üble Laune versetzt; er habe gedacht, sagte er, die schwedische Wirtschaft sei mit dem Tode des Königs zu Ende, nun gehe es wieder los; er wolle einmal nichts damit zu tun haben. Herr von Taube und die anderen Räte suchten ihn zu beschwichtigen und schlugen vor, den Kanzler wie den König selbst zu empfangen, damit womöglich alles glimpflich geordnet würde; er betone ja seine Friedensliebe, vielleicht könne man einen guten Frieden erlangen. Solange Oxenstierna sich bescheiden aufführe, entschied der Kurfürst, solle er nach Gebühr traktiert werden; ließe er sich aber einfallen, den Herrn zu spielen, so wolle er als ein vornehmer deutscher Kur- und Reichsfürst ihn Mores lehren. Besonders der Oberhofprediger Hoë redete dem Kurfürsten zu, das schwedische Bündnis zu halten; Gott habe die schwedischen Waffen gesegnet und werde es ferner tun, Abfall und Untreue ständen einem christlichen Fürsten nicht an. Man könne auch nicht wissen, wie Gott das getreue Ausharren des Kurfürsten noch lohnen werde. Als ihn die Böhmen im Jahre 1618 zum Könige hätten wählen wollen, habe er die große Zukunft dem Kaiser aufgeopfert; vielleicht kröne ihn dafür jetzt der Himmel freiwillig mit dieser uralten und reichen Krone. Es gehe ja alles kopfüber, kopfunter in Böhmen, die liebe Religion liege in den letzten Zügen, Mensch und Vieh kämpften miteinander um den letzten Grashalm, und das wisse ja jeder, wie die frommen böhmischen Exulanten auf den Kurfürsten als auf ihren Messias blickten. Der Kurfürst brummte, er wolle nichts, als was ihm mit Fug zustehe, und der hartköpfige böhmische Adel müsse sich noch viel tiefer bücken, bevor er sich mit ihm einließe; aber das Projekt rumorte doch in seinem Kopfe.

Ernstlicher gingen die Kurfürstin und ihre Söhne mit dem Gedanken an Böhmen um; die jungen Prinzen wären glücklich gewesen, wenn sie der väterlichen Tyrannei hätten entrinnen und außer Landes einen ansehnlichen fürstlichen Hof hätten einrichten können.

Ach, sagte der schwedische Resident Nikolai, Tränen im Auge, zu Oxenstierna, als er ihn in Dresden begrüßte, er sei ja so froh, den Kanzler zu sehen; es sei ihm fast, als hafte noch ein Stückchen von des Königs Seele an ihm.

Das möge wohl so sein, nickte Oxenstierna; denn er fühle sich zuweilen zu Handlungen und Plänen getrieben, die er früher mißbilligt hätte und die er jetzt gleichsam zu des Königs Gedächtnis und wider seinen Willen tun müsse. Früher sei er mit des Königs Herumstürmen im Reich nicht jederzeit einverstanden gewesen, habe gemeint, es führe ihn zu weit ab von Schweden, und er habe ihm oft geraten, sich mit einem guten Beutel voll Geld aus dem Knäuel zu ziehen, solange es noch mit Ehren möglich sei. Jetzt steckten sie vollends wie die heiligen Märtyrer in einem Löwenzwinger, umringt von heimlichen und offenen Feinden, losgetrennt von der Heimat, ein verschlagenes Häuflein, nur der eigenen Fäuste und des eigenen Kopfes mächtig.

Des Kanzlers Kopf zähle aber auch für viele, sagte Nikolai, und er sei insoweit der alten neunköpfigen Hydra zu vergleichen.

Oxenstierna lachte und sagte, er sei mit diesem Instrument zufrieden, brauche es aber auch. Die gesamten evangelischen Stände des Reichs, eigenmächtige und verschlagene Leute, samt Frankreich unter einen Hut zu bringen, dazu müsse man ein nüchternes Gehirn und einen festen Schlaf haben. Bis jetzt habe sich der Herkules noch nicht gezeigt, der ihm das kostbare Hauptbüschel vom Halse schlüge, sicher sei es der Kurfürst von Sachsen nicht.

Nikolai schüttelte bedenklich den Kopf. Es würden mehr Stämme durch wucherndes Unkraut umgebracht als durch den Blitz gefällt, sagte er. Oxenstierna möge ihm gestatten, daß er, Nikolai, ihm mit seiner Erfahrung diene, und möge sich seine Warnungen, mehr als der hochselige König getan hätte, zu Gemüte ziehen. Er sei jetzt in Dresden zu Hause, kenne sich aus mit sächsischer Falschheit und Hinterlist. Der Kurfürst sei niemals aufrichtig schwedisch gewesen und werde es nie sein, ebensowenig sei dem Arnim und dem Lauenburger zu trauen, wie sie sich auch anstellen möchten. Ein redlich schwedisches Gemüt habe nur der alte Graf Mathes Thurn, freilich sei er nicht tief, werde leicht betrogen und könne schlecht dissimulieren. Überhaupt meine es niemand so treu mit den Schweden wie die böhmischen Emigranten, weil das mit ihrem Partikularinteresse zusammenhänge.

Freilich, ohne Köder fange man keine Fische, lachte Oxenstierna; der sächsische zappele ja schon an der böhmischen Krone, und dem brandenburgischen habe er auch einen ausgeworfen, nämlich die schwedische Heirat des Kurprinzen Friedrich Wilhelm. Das Würmlein komme ihnen zu Berlin fett genug vor, und mittels Brandenburg hätte er Sachsen ohnehin, da sich Sachsen kaum von Brandenburg trennen würde.

Bevor Nikolai sich verabschiedete, schlug er Oxenstierna vor, ihn mit dem Grafen Kinsky bekannt zu machen. Der sei kein Heißsporn wie der alte Thurn, sondern vorsichtig und gelinde. Arnim habe ihn im Jahre 1631 kriegsgefangen aus Prag gebracht, seitdem lebe er in Dresden und genieße das Wohlwollen des Kurfürsten, weil er Anno 1618 nicht dem Pfälzer, sondern ihm, dem Kurfürsten, seine Stimme gegeben habe.

So, so, sagte Oxenstierna, er denke das wohl jetzt noch zu effektuieren?

Nikolai zuckte die Schultern. Daß Kinsky, als ein eifriger Protestant, sein Vaterland wieder in den vorigen Freiheits- und Blütenstand setzen möchte, sei gewiß; aber er kenne den Sachsen zu wohl, um von ihm allein viel zu erwarten. Er wisse, daß Böhmen das Heil nur von den Schweden kommen könne. Vor allen Dingen könne er dadurch nützlich werden, daß er vermittelst seiner Frau, die eine Terzka sei, in genauer Verbindung mit Wallenstein stehe; er unterhalte auch mehrere Kundschafter bei dem General und sei von allem, was dort vorgehe, aufs beste unterrichtet.

Die Verhandlungen Oxenstiernas mit den kurfürstlichen Räten wollten indessen zu keinem Ziele führen, wie scharf er sie auch anhielt, bei der Sache zu bleiben. Ihre Versicherungen, daß der Kurfürst des geopferten königlichen Blutes eingedenk sei und von den Glaubensgenossen nicht weichen wolle, unterbrach er bald mit der Forderung, diese löblichen Absichten in Tat umgesetzt zu sehen; namentlich sollten sie sich erklären, in welcher Weise die Kräfte der Evangelischen künftig zusammengefaßt und vertragsmäßig konstituiert werden könnten.

Der Kurfürst sei gesonnen, sagten die Räte, seine Liebe zu der verstorbenen schwedischen Majestät auf den Kanzler zu übertragen und sich nicht von ihm zu separieren; das Weitere würden Zeit und Gelegenheit geben. Sachsen sei ja vom Feinde gesäubert, der Kurfürst wolle sich aber damit nicht begnügen, sondern seine Waffen mit schwedischer Hilfe in Böhmen hineintragen und dem flüchtigen Feinde gänzlich den Garaus machen.

Oxenstierna lehnte sich in den Sessel zurück und spielte mit seiner Feder. So weit wären sie noch nicht, sagte er ablehnend, es sei nicht ratsam, das Kriegstheater weiter auszudehnen, bevor noch eine Basis für den Krieg geschaffen sei. Man müsse zuerst wissen, wie die Mittel für den Krieg aufzubringen wären und wer künftig das Wesen zu dirigieren hätte, damit der Brei nicht versalzen würde, wie es bei allzu vielen Häuptern zu geschehen pflege.

Daß dem Kurfürsten, als der vornehmsten evangelischen Säule des Reichs, der gebührende Respekt zuteil werde, antworteten die Räte, verstehe sich wohl von selbst. Ob Oxenstierna Ursache habe, dem Kurfürsten zu mißtrauen?

Dies höflich verneinend, machte Oxenstierna die Herren darauf aufmerksam, daß er viele Geschäfte zu erledigen hätte und deshalb den Sachen gerade auf den Leib ziehen müsse. Er habe sich ausgerechnet, daß das evangelische Kriegswesen auf dreierlei Weise könnte geordnet werden: Erstens könnten wie bisher alle Glieder zu einem Corpus formiert werden, das unter schwedischer Direktion stehe; oder aber es könnten zwei getrennte Corpora gemacht werden, von denen eins Schweden, das andere den Kurfürsten von Sachsen zum Haupte hätte; drittens könnte, falls die Deutschen der schwedischen Hilfe nicht mehr zu benötigen meinten, diese Krone durch eine billige Entschädigung befriedigt werden, worauf sie sich gänzlich aus dem Kriege zurückziehen würde. Die Räte möchten diese drei Punkte dem Kurfürsten vorlegen und einen schleunigen Entschluß zuwege bringen.

Johann Georg hörte den Bericht der bestürzten Herren entrüstet an. Das fehle noch, sagte er, daß er sich von einem schwedischen Adligen an die Wand drücken ließe! Man müsse doch Zeit zum Besinnen und Überlegen haben, auf ein Entweder-Oder ließe er sich überhaupt nicht stellen.

Es sei nicht zu leugnen, meinten jene, daß der Kanzler sehr gereizt und empfindlich zu sein scheine; man müsse sich wohl oder übel entschließen, über die vorgeschlagenen drei Punkte zu beraten.

Dazu brauche er keinen Rat, schalt der Kurfürst, um zu wissen, daß er sich nicht unter einen schwedischen Edelmann stellen wolle; einen solchen Schimpf könne er sich nicht selbst antun.

Das erwarte Oxenstierna wohl auch nicht, sagten die Räte; und der erste Punkt sei also von selbst hinfällig. Der zweite Punkt sei aber auch heikel, weil Sachsen dadurch ganz isoliert werden würde.

Den erbosten Einwurf ihres Herrn, warum denn nicht davon die Rede sei, daß er, der Kurfürst, das ganze Wesen dirigiere, was doch dem Leipziger Schlusse gemäß sei, schoben die Räte mit der Bemerkung zurück, bei der exorbitanten Meinung, die Oxenstierna von seiner Krone habe, könnten sie sich nicht wohl getrauen, einen solchen Vorschlag einzubringen. Der verstorbene König habe ja mit dem König von Frankreich stets Anstände darüber gehabt, daß er mit diesem auf gleichem Fuße habe traktiert sein wollen. Da nun die Entschädigung vollends gar schwer falle, wüßten sie nichts anderes, als einen Modus zu ersinnen, wie man sich jeder bestimmten Antwort überhaupt entschlüge.

Bald jedoch meldeten die Räte, der schwedische Kanzler habe einen solchen Humor, daß verständige Leute nicht mit ihm auskommen könnten. Er habe ihre wohlgemeinten Insinuationen rotunde von sich gewiesen und in einem fast imperiosischen Tone gesagt, er wolle auf seine deutliche Frage eine kategorische Resolution haben.

Nun habe er es satt, rief der Kurfürst aus. Die phantastische Einbildung dieses Menschen sei durch den königlichen Empfang, den er ihm wider Willen und bessere Einsicht bereitet hätte, völlig ins Närrische ausgeschlagen. Er solle sich die Resolution aus seinen Fingern saugen und damit abfahren; ihm dürfe von nun an keiner mehr mit dem schwedischen Bündnis kommen.

Während diese Verhandlungen sich hinschleppten, trafen an einem der letzten Dezembertage Oxenstierna und Graf Kinsky bei Nikolai zusammen. Es war nach Kinskys Wunsch eine späte Abendstunde gewählt worden, damit der Besuch womöglich geheim bliebe, und beim Eintreten hafteten seine Blicke scheu in den düsteren Winkeln des niedrigen holzvertäfelten Zimmers. Während Nikolai ihm half, sich seines Pelzmantels zu entledigen, sagte er erklärend, die Herren kennten ja die wunderliche Gemütsbeschaffenheit des Kurfürsten, wie er bald mit diesem, bald mit jenem unzufrieden sei und daß er ihm, Kinsky, Späher nachzuschicken pflege, die ihm alle seine Schritte hinterbrächten. Er würde sogleich etwas Verräterisches dahinter wittern, wenn er mit Oxenstierna zusammenträfe, obgleich er doch der Herren Schweden Bundesfreund wäre.

Ihm, einem alten Diplomaten, sagte Oxenstierna beruhigend, könne Kinsky Vorsichtigkeit und Verschwiegenheit zutrauen. Übrigens habe er nicht im Sinne, diesen Abend Staatssachen zu traktieren, wolle sich im Gegenteil davon erholen. Er freue sich, die Bekanntschaft eines so hochgelehrten, weitberühmten Mannes zu machen, wie Kinsky sei; es ständen viel böhmische Exulanten als Offiziere im schwedischen Heer, der verstorbene König habe sie wohl zu schätzen gewußt, und es sei sein Wunsch gewesen, den armen Märtyrern zu helfen und sie in ihr Vaterland zurückzuführen. Ihm, Oxenstierna, wären des Königs Wünsche heilig, und wenn er es vermöchte, würde er die böhmischen Herren in den Frieden einschließen, sofern es einmal dazu käme.

Sofern es einmal dazu käme, wiederholte Kinsky, indem er seine traurigen schwarzen, ein wenig starren Augen auf den Kanzler heftete. Es eröffne sich ja nirgend eine Aussicht. Und so wie es in Böhmen jetzt stehe, verlange es ihn auch gar nicht heim; es sei nichts als Untreue und Unfrieden da zu finden.

Ihm komme es seltsam vor, sagte Nikolai, daß die böhmischen Herren sich so still unter dem österreichischen Joch verhielten. So kluge, mächtige und stolze Herren! Man sollte meinen, es hänge nur von ihrem Willen ab, ob sie wieder frei würden.

»Sie sind stark zur Ader gelassen,« sagte Kinsky, »das Blut von 1621 ist noch nicht ersetzt.«

»Und noch nicht gerächt«, fügte Nikolai hinzu.

Er wolle die Gerichteten von 1621, denen Gott gnädig sei, nicht verteidigen, sagte Kinsky; sie hätten keine ganz reine Sache gehabt, und er hätte sich deshalb in ihre Rebellion nicht eingelassen. Man müsse nicht unsinnig auf die eigene Kraft pochen, sondern auch den Gegner recht einschätzen, und nie einen Fuß heben, bevor man wisse, wo man ihn wieder aufsetzen könne.

Der Graf fuhr zusammen, als in diesem Augenblick dröhnend an die Haustür geschlagen wurde, und er wandte sein gelbes Gesicht ängstlich horchend nach dem Fenster, an dem große Schneeflocken, lautlos aus dem Dunkel ins Dunkel tauchend, vorüberglitten. Das sei nichts Besorgliches, sagte Nikolai gutmütig, vielleicht sei es ein Bote mit Briefschaften für ihn. Es könnten aber auch Kinder sein, die das alte Jahr austreiben wollten.

Kinsky erklärte, er sei schreckhaft, weil er krank sei, laboriere schon seit Jahren an Magenschwäche. Es lägen ihm auch zu Hause zwei Kinder krank, so sei er immer auf eine Hiobspost gefaßt.

»Ja, ja,« sagte Nikolai, »die Pest ist es, die jetzt gefährlich herumgeht, vom Kriege ist dermalen weniger zu befürchten.«

Kinsky war aufgestanden und blickte auf die Straße hinunter, wo ein paar Knaben standen und mit dünner Stimme ein Lied absangen, zog ein Geldstück aus der Tasche und warf es hinaus, das Fenster behutsam ein wenig öffnend. Dann sagte er, an Nikolais Worte anknüpfend, die kaiserliche Armee unter Wallenstein sei allerdings zur Zeit nicht formidabel. Dazu stecke sie so voll Protestanten, daß gar kein Mut zum Kriege gegen die Glaubensgenossen darin herrschen könne. Auch sei Wallenstein selbst krank und liege meistenteils zu Bette. Einer seiner Leibärzte habe gesagt, wenn er das Jahr überlebe, so sei es nur eine Gnadenfrist, die Gott ihm bewillige.

Er habe auch dergleichen gehört, sagte Oxenstierna, es aber für Geschwätz gehalten. Das Podagra hätten andere auch, das bringe einen Fünfzigjährigen nicht ins Grab.

Das sei je nachdem, sagte Kinsky, von den Ärzten werde er für einen Mann des Todes ausgegeben.

»So hätten wir freilich einen mächtigen Bundesgenossen«, sagte Oxenstierna.

Kinsky wiegte den Kopf und sagte zögernd, es sei die Frage, ob die Schweden nicht mehr Ursache hätten, Wallensteins Leben als seinen Tod zu wünschen. Viele wollten wissen, daß der General keine Lust mehr zum Kriege habe und den Evangelischen eher wohl als übel wolle.

»Ja, wer hätte denn noch Lust zum Kriege!« rief Oxenstierna aufseufzend. Übrigens wisse er von seinem seligen Könige, daß Wallenstein ein Wasser ohne Grund sei, in dem sich kein Schiff verankern könnte. Es seien da allerlei Knoten geschürzt gewesen, aber niemals zugezogen worden. Auf Traktate mit Wallenstein könne man keinen Wert legen, ja nicht einmal auf seine Taten. Er mache es wie gewisse Leute beim Brettspiel, die jeder Zug gereute, den sie eben getan hätten. Nach seiner Ansicht sei ein offener Feind besser als ein zweideutiger Freund, deren er leider ohnehin genug hätte.

Oxenstiernas Ablehnung schien Kinsky ein wenig zu reizen; soviel er wisse, sagte er, habe es das eine Mal an Gustav Adolf gelegen, daß das Projekt nicht zustande gekommen sei. Wallenstein sei dazumal sehr empfindlich und der alte Thurn ganz desperat gewesen. Freilich, setzte er hinzu, wären das subtile Sachen, von denen schwer zu reden wäre.

Als die Herren sich trennten, hatte Kinsky den Eindruck, daß Oxenstiernas Mißtrauen gegen Wallenstein schwer zu überwinden sei und daß er sicherlich dem kaiserlichen General nicht entgegenkommen werde. Da aber Wallenstein, wie er nun einmal war, den ersten Schritt nicht tun würde, müsse man, so dachte er, mehr Samen ausstreuen; vielleicht, daß auf einem anderen Acker etwas aufginge.

*

Nach der Schlacht bei Lützen stieß Herzog Georg von Lüneburg zum schwedischen Heere und vertrieb mit Bernhard von Weimar die kaiserlichen Besatzungen aus Sachsen, worauf sie bei Altenburg Quartiere bezogen. Sie erwarteten ungeduldig die Ankunft Oxenstiernas, um mit schwedischem Beistande ihre Eroberungen vollenden zu können, Georg nach Norden, Bernhard nach Süden strebend. In der Reisekutsche, die den Kanzler von Berlin nach Sachsen führte, bereitete er sich auf das bevorstehende diplomatische Gefecht mit den beiden Herzögen vor, von denen er voraussah, daß sie durch des Königs Tod doppelt ausgelassen geworden sein würden und von neuem gebändigt werden müßten. Gott sei Dank hatte er einen festen Blick und eine geschickte Hand, und an Besonnenheit und Selbstbeherrschung glaubte er seinem verstorbenen Freunde sogar überlegen zu sein. Wäre der Augenblick geeignet gewesen, eine ansehnliche Entschädigung zu erpressen, so hätte er den Krieg am liebsten abgebrochen; da das nicht der Fall war, wollte er so operieren, daß er sich nicht in weitaussehende Pläne verwickelte, sondern das Nächstliegende und Erreichbare verfolgte. Es wäre wünschbar gewesen, ein starkes Heer mit einem starken Feldherrn aufzustellen; aber da sich einem schwedischen die deutschen nicht unterwerfen würden, ein deutscher sich aber gegen ihn, den Kanzler, auflehnen könnte, beschloß er zu tun, was er an und für sich mißbilligt hätte, nämlich das Heer zu teilen. Am liebsten hätte er gesehen, wenn Herzog Wilhelm von Weimar Generalleutnant der Armee geblieben wäre, wie Gustav Adolf vorsorglich angeordnet hatte; aber Bernhard hatte dem älteren Bruder den Oberbefehl bereits aus der Hand gewunden, und Oxenstierna hielt es für unklug, das rechtmäßige Verhältnis wieder herstellen zu wollen, da er bei Bernhards trotzigem Charakter so viel zu erzwingen nicht hoffen konnte. Lieber wollte er von vornherein anerkennen, was er nicht ändern konnte, damit es von ihm auszugehen schien, und womöglich keine Befehle erlassen, denen der Gehorsam nicht sicher wäre. Dagegen wollte er, wo er seinen Willen durchsetzen könnte, standhaft dabei bleiben und mit Drohungen und Grobheiten nicht sparen; das würde bei den deutschen Fürsten bessere Wirkung tun, als wenn er suaviter und caute vorginge. In Berlin hatte er schon guten Erfolg gehabt; vielleicht, dachte er, würde er mit Fuchsschritten weiter kommen als der selige König mit seinen Roßsprüngen. Seine Augen wurden feucht, wie er an die tote Majestät dachte: mit was für weiten Nüstern hatte der die Lebensluft verschlungen, was für Funken hatte sein Ritt aus den Kieseln geschlagen! Es war festlicher und kurzweiliger gewesen an seiner Seite, und außer dem, daß eine Anregung fehlte, drückte auch noch die schwerere Last der Verantwortung.

Als Oxenstierna den schwedischen Feldmarschällen Horn und Banér auseinandersetzte, warum er das Heer zu teilen beabsichtige, und daß er sie ausersehen habe, die deutschen Häupter, namentlich Herzog Georg und Herzog Bernhard, zu beobachten und zu zügeln, sah Horn mißvergnügt vor sich nieder, und Banér lachte geradeheraus. Die Rolle passe nicht für ihn, sagte er, er habe nicht das Zeug zu einem Jesuiten und Spion. Es sei bekannt, wie er mit seiner Meinung herauszufahren pflege, er würde alles verderben. Er glaube nicht, unverträglich zu sein, aber einen Kameraden am Oberbefehl könne er nicht leiden, der Kanzler solle ihn allein schalten lassen, so werde es recht, zu zweit sei er nicht zu brauchen.

Horn, Oxenstiernas Schwiegersohn, erklärte, er sei bereit, sich zu fügen, gehorche ja überhaupt in diesem Kriegswesen mehr der Notwendigkeit, als daß er Lust dazu habe; aber es sei eine undankbare Aufgabe, die Eule oder Kassandra zu spielen, er habe auch vom verstorbenen König wenig Dank für seine wohlgemeinten Warnungen geerntet. Das habe er jedoch hingehen lassen, weil es sein König gewesen sei; von einem Deutschen und jungen, unerfahrenen Draufgänger wie Herzog Bernhard Widerspruch und Widerstand zu ertragen, sei härter.

Oxenstierna versprach, ihn getreulich zu flankieren und nicht im Stiche zu lassen. Er leiste dem Vaterlande einen wichtigen Dienst; denn da man die beiden Herzöge einmal nicht aus der Welt schaffen könne, müsse man sehen, sich ihrer zu möglichst großem Vorteil und möglichst geringem Schaden zu bedienen. Sie hätten ja auch schon mancherlei genützt und wären durch ihr Interesse mit der Krone Schweden verknüpft, man dürfe die wenigen Freunde, die man im Reich hätte, nicht verscherzen. Der Lüneburger sei fast gefährlicher als der Weimaraner; denn beide wären stolz und wollten hoch hinaus; aber Bernhard lasse sich durch Gemüt und Phantasie beeinflussen, Georg dagegen frage wenig nach Glauben und Ehre, desto mehr nach Gewinn und Vorteil, und mit dem Katechismus würden eher Reiche auf Erden errichtet.

Horn schlug vor, Oxenstierna solle womöglich Knyphausen die Aufsicht über Herzog Georg anvertrauen; Knyphausen habe dem verstorbenen König treu gedient, sei als ein niedersächsischer Ritter dem niedersächsischen Fürsten nicht sonderlich gewogen, werde nun auch alt und denke daran, sich zu versorgen, also werde er für einen Rekompens empfänglich sein.

Der Kanzler atmete auf, als er diese schwere Angelegenheit der Lösung nahe sah. So wolle er denn Banér, sagte er, allein ins Zentrum setzen, damit er das ganze Kriegstheater überblicken und, je nachdem es sich notwendig erweise, hierhin und dahin eilen könnte. Vor allen Dingen müsse er mit dem Landgrafen Wilhelm von Hessen in steter Korrespondenz bleiben, ihm in der Not beispringen oder ihn, als den verläßlichsten Bundesgenossen, wenigstens mit guten Worten vertrösten. Banér, mit dieser Einrichtung zufrieden, war guter Dinge und hatte Lust zu feiern und zu bankettieren; aber weder Herzog Georg noch Herzog Bernhard stand der Sinn danach.

Aus Obersachsen sei der Feind vertrieben, sagte Georg, nun wolle er Niedersachsen säubern; es sei hohe Zeit, daß man sich in jenen Orten zeige, wo seit dem Tode des Königs Treulosigkeit und Abfall umginge. Der Herzog von Wolfenbüttel, Friedrich Ulrich, dem der Krieg nie recht angestanden habe, wolle seinen, Georgs, Truppen kein Quartier mehr geben und erkenne sein Recht auf die Stadt Einbeck nicht an, die Gustav Adolf ihm, nebst mehreren Ämtern, angewiesen habe; habe sogar das Amt Uslar, das dazu gehöre, seinem eigenen Feldhauptmann, dem von Uslar, verschrieben. Nun sei es offenbar, daß ein Heer nicht in der Luft kampieren könne, und wenn der Soldat seine Notdurft nicht erhalte, habe man ausgekriegt; Oxenstierna möge dazu tun, daß Friedrich Ulrich bei der Pflicht erhalten werde.

Ja, er habe schon vernommen, erwiderte dieser, daß der Herzog von Wolfenbüttel sich widerwärtig anstelle und große Lust mit dem Kaiser zu traktieren spüren lasse. Er rüste heimlich und habe auch einen niedersächsischen Kreistag ausgeschrieben, wozu er doch nicht das mindeste Recht hätte, als welches dem Administrator von Magdeburg zukäme. Ob Herzog Georg wisse, wer das wäre? Er, Oxenstierna, sei jetzt Administrator von Magdeburg; wer außer ihm einen niedersächsischen Kreistag ausschreibe, maße es sich widerrechtlich an, und er werde einen solchen zu bestrafen wissen.

Oxenstierna hatte sich im Reden erhitzt und sah Georg herausfordernd an, der nur ein wenig stutzte und dann wieder ruhig die Daumen umeinander drehte. Er wolle es dem Kanzler danken, sagte er, wenn er Friedrich Ulrich, seinen Vetter, bei der Pflicht erhielte. Derselbe sei ein schwacher Mann, leider allzuleicht von dunstigen Einfällen und Schimären oder von falschen Räten zu regieren, und da er ohne Leibeserben sei, habe die Gesamtfamilie ein großes Interesse daran, ihn zu beaufsichtigen, damit er nicht durch liederliche Politik Land und Leute verzettele. Was ihn, Georg, betreffe, so sei er gesonnen, treu bei dem mit dem verstorbenen König abgeschlossenen Würzburger Traktat zu verbleiben, und wünsche, daß die Krone Schweden denselben bestätige. Es sei Oxenstierna gewiß bekannt, wie der König von Frankreich goldene Schlingen nach den evangelischen Reichsfürsten auswerfe, ihm gefalle aber das französische Wesen nicht, und er werde sich nicht fangen lassen. Dagegen möge Oxenstierna bedenken, was er zugesetzt, wie er sein Amt Herzberg preisgegeben habe und kaum einen Stein am Wege, um seine Familie zu behausen, besitze. Ohne die rechten Mittel könne er als General nicht operieren und das gemeine evangelische Wohl nicht befördern. – Hiernach wurde das monatliche Gehalt des Herzogs auf 18 000 Reichstaler festgesetzt, worauf die Verhandlungen mit ihm vorläufig abgeschlossen waren.

Unverweilt brach Georg auf und eröffnete seinen Offizieren, er gedenke stracks die Weser zu überschreiten und mit der Wiedereroberung der Stadt Hameln zu beginnen. Die Offiziere betrachteten das als eine ungewöhnlich hitzige Expedition, und besonders Knyphausen erklärte sich rundheraus dagegen. Man sei jetzt im Anfang des Februar, sagte er, der Winter habe erst recht begonnen, da sei es wohlbegründeter Usus, die Truppen in gute Quartiere zu legen und zu verpflegen, damit sie im Frühjahr desto besser bei der Hand wären. Eine Belagerung im Winter verschlinge Zeit und Leute, im gefrorenen Boden richte man in Monaten nicht aus, womit man im Frühjahr in Tagen zustande käme.

Herzog Georg wendete dagegen ein, mit dem Stilliegen lasse man auch dem Feinde Zeit, sich zu stärken, und es sei allemal leichter, ein Heer bei der Arbeit im Stande und in der Disziplin zu erhalten, als in den Quartieren. Knyphausen solle aber immerhin mit den Unlustigen zurückbleiben, während er mit den Willigen und Gehorsamen ans Werk ginge.

Im Kreise vertrauter Freunde schimpfte Knyphausen auf die Habgier des Herzogs: da könne alles in Grund und Boden verderben, wenn er sich nur sein Fürstentum zusammenkratzte. Für den verstorbenen König habe er, Knyphausen, sein Gut und Blut darangesetzt und Ruhe und Gesundheit geopfert, der habe aber auch an andere gedacht und königlich zu belohnen gewußt. Dieser geizige Herzog jedoch ästimiere niemanden, um niemanden beschenken zu müssen, und obgleich er keinen Schwertstreich für das Reich oder die Kirche tun würde, halte er doch jedermann für schuldig, ihm auf seinen Raubzügen beizustehen. – Trotzdem entschloß sich Knyphausen, dem Herzoge zu folgen, den er nach seinen Abmachungen mit Oxenstierna doch nicht wohl sich selbst überlassen durfte und der ihn etwa noch vor der ganzen Welt um seine wohlerworbene Reputation gebracht hätte, indem er ihn für feige ausschrie. Also überschritt in den ersten Märztagen an einer seichten Stelle, wo im Sommer das Vieh durchzuwaten pflegte, das Heer die Weser, und die Kaiserlichen, die es hatten geschehen lassen, zogen sich fliehend auf Hameln zurück.

*

Vor dem Rathause der Prager Altstadt waren Gerüste und Galgen für die Exekution derjenigen Offiziere und Soldaten errichtet, die den in der Schlacht bei Lützen empfangenen Befehlen nicht gehorcht hatten oder fahnenflüchtig geworden waren.

Bei grauendem Morgen rasselten die Kutschen heran, in denen die Herren vom Kriegsgericht saßen; es sei so dunkel, sagte einer, daß man kaum zur festgesetzten Zeit würde beginnen können. Ei was, entgegnete Holk, der Vorsitzender der Kommission war, der Henker würde den Hals schon finden, bei solchen Gelegenheiten müsse man exakt sein. Die anderen schlossen sich der Meinung an, und Colloredo sagte, in diesem Falle sei es besonders hoch vonnöten; denn es würden sicher noch Pressuren zur Begnadigung ausgeübt, Seine Fürstliche Durchlaucht, der General, sei schon über Gebühr mit der Sache drangsaliert worden. Holk sagte, er sei mit der Gemütsmeinung des Herzogs bekannt und wette seinen Kopf, daß es nichts nütze. Auch hätten diese Leute den Tod reichlich verdient, es könne ehrliebenden Soldaten nicht zugemutet werden, mit Feiglingen zusammen zu dienen.

Ja, sagte Piccolomini, der Herzog habe den Grundsatz, Gnade gegen Schuldige sei Ungerechtigkeit gegen das Verdienst, und das passe freilich manchem nicht. Jedenfalls zögen sie sich durch diese Arbeit mancherlei Haß zu.

»Desto besser«, sagte Holk; »Haß gebührt einem rechten Manne, und die Gnade des Herzogs ist eine gute Rüstung.«

Während das Armesünderglöckchen läutete, bestiegen die Herren die für sie errichtete Bühne. Ein feiner eisiger Wind trieb ihnen die Nässe des Nebels oder Regens ins Gesicht, sie zogen die Mäntel fest um sich zusammen, und Colloredo bemerkte, mit einem gehässigen Blick auf Holk, davor schütze selbst der erwähnte Panzer nicht. Colloredo war nämlich erbittert darüber, daß Holk nach der Schlacht zum Feldmarschall, er dagegen, der ältere General und Graf, nur zum Feldzeugmeister befördert worden war. Holk beachtete weder diese Worte noch die Witterung; seine ganze Aufmerksamkeit war darauf gespannt, daß die Hinrichtung ungestört verliefe; er gab nach verschiedenen Seiten Winke und suchte mit scharfen, ungeduldigen Blicken zur Eile anzutreiben. Der kleine Platz war rings mit Soldaten umstellt, die das Gewehr auf der Schulter und die Hand am Schwerte hielten, hinter ihnen drängten sich die neugierigen Zuschauer. Unter denen, die mit dem Schwerte gerichtet wurden, war ein achtzehnjähriger Fähnrich, ein hübscher Mensch, der sich mit augenscheinlicher Sorgfalt herausgeputzt hatte und kecke Sorglosigkeit zur Schau trug. Wie das Schicksal ihm näher rückte, warf er verstohlene Blicke die Karlsgasse hinunter, ob nicht eine Gnadenbotschaft von der Kleinen Seite her käme, und auch der Zuschauer und der Soldaten, ja der Richter bemächtigte sich eine gewisse Unruhe. Da sich nichts zeigte, zuckte der kleine Fähnrich die Achseln, zupfte an seinem keimenden Schnurrbart und begann als letztes Mittel, um den verhaßten Augenblick hinauszuzögern, eine Rede; allein Holk sprang auf, stampfte wütend mit den Füßen, winkte den Soldaten, zu trommeln, und dem Scharfrichter, ein Ende zu machen.

Um Mittag bewegte sich die Sänfte des Grafen Slawata über den Marktplatz, wo an der Abtragung der Gerüste und Säuberung des Pflasters gearbeitet wurde; er war jetzt sechzig Jahre alt, grauhaarig und gebückt, und klagte beständig über seine Gesundheit, die er seit dem Fenstersturze nicht wiedererlangt habe. Unweit des Rathauses ließ er halten, winkte ein paar Arbeitern und fragte einen, der herbeilief: »Du mußt wohl die Spuren des edlen vergossenen katholischen Blutes tilgen?«, ferner, wo die gemarterten Leichname geblieben wären. Der Mann gab Auskunft, sie wären ihren Familien ausgeliefert, soweit sie von Adel gewesen wären, und fügte hinzu, es wäre freilich ein erbärmliches Schauspiel gewesen, so vornehme Herren einen so schimpflichen Tod leiden zu sehen, auch hätten Männer und Frauen laut geschluchzt, zumal als das liebe junge Blut, der Fähnrich, den Kehraus hätte tanzen müssen. Da wäre jedem zumute gewesen, als würde sein eigenes Kind geschlachtet.

Slawata schüttelte sorgenvoll den Kopf und sagte, die armen Opfer hätten wohl ihre Pflicht verletzt, denn das Kriegsgericht könne keinen ungerechten Spruch gefällt haben; aber man wisse ja, wie es in einer Schlacht zugehe, in dem grauslichen Getümmel könne manches mit unterlaufen; sie wären deshalb doch gute katholische Christen und des Kaisers treue Diener gewesen.

Das hätten sie selbst auch gesagt, fiel der Arbeiter eifrig ein, alle hätten ihre Unschuld beteuert und auch klar begründet, nur habe der Holk sie nicht zu Worte kommen lassen. Der Fähnrich habe zu guter Letzt noch gerufen: warum er eigentlich sterben müsse? Er habe nichts verbrochen, als daß er mit seinem General davongelaufen sei. Man habe deutlich gesehen, wie der Holk grün und gelb über diesen Worten geworden sei.

Ja, sagte Slawata, der Holk sei ein Ketzer, und manche wollten sogar wissen, daß er mit dem Teufel zu tun hätte. Dergleichen Leute wären leider an gewissem Orte wohl angesehen. Schließlich gab er den Arbeitern ein reichliches Almosen, indem er sie ermahnte, der frommen Märtyrer im Gebet zu gedenken.

Während des Mittagessens, das er bei seinem Freunde, dem Oberstburggrafen Martinitz, einnahm, erzählte Slawata, was er soeben vernommen hatte. Der junge Fähnrich, sagte Martinitz, habe argloserweise ausgesprochen, was jeder ehrliche Mann hätte laut sagen sollen: Wallenstein habe die Schlacht verloren und mit dieser Exekution seine Schande maskieren wollen. Warum hätte er auch sonst Sachsen so eilfertig geräumt? In Prag begreife niemand, wieso der Kaiser seinen prahlerischen Kriegsberichten Glauben schenken könne.

Das sei nur ein Glied in der Kette, sagte Slawata, Martinitz könne sich nicht vorstellen, wie es in Wien hergehe. Da sei keine rechte Regierung am Hofe, sondern ein paar Ambitiöse, die er wohl nicht zu nennen brauchte, tyrannisierten alles, um ihren Beutel zu füllen, wie die berüchtigten römischen Statthalter im Altertum. Es wäre vielleicht vermessen, einem so gnädigen, gottseligen Kaiser etwas aufmutzen zu wollen; aber das sei gewiß, sein himmlisches Gemüt tauge für die von der luziferischen Schlange begeiferte Erde nicht, weil er das Böse nicht merke. Er sei wie ein Kind, das sein Händlein ganz gutmütig in den aufgesperrten Löwenrachen tauche.

So sei es ja unter den hochseligen Kaisern Rudolf und Matthias auch gewesen, stimmte Martinitz ein, man hätte sie oft wider ihren Willen retten müssen. Das sei jetzt auch notwendig, wenn nicht der allgemeine Ruin um sich greifen sollte.

Ihm sei es geradezu unleidlich, fuhr Slawata fort, daß ein gottloser Bösewicht wie Holk gutes adliges katholisches Blut verströmen dürfte. Ihm sei es nicht anders, als habe das vergossene Blut seinen eigenen Ehrenschild bespritzt. An diesem Beispiel zeige sich deutlich, daß man in schmähliche Servitut geraten sei.

Nach dem Essen kamen noch mehrere Herren, darunter die Grafen Michna und Mitrowitz, die alle ihrer Entrüstung über die Exekution des Morgens Ausdruck gaben. Man müsse sich mit Wallensteins baldigem Ableben trösten, sagte Graf Mitrowitz. Er habe einige seiner Diener in Sold, von denen kürzlich einer berichtet habe, der General könne es nicht lange mehr machen, esse fast nichts mehr und stöhne des Nachts vor Schmerzen.

Das Stöhnen, meinte Slawata, könne auch eine Frucht des bösen Gewissens sein, vielleicht habe er einen Pakt mit dem Gottseibeiuns geschlossen, und seine Zeit laufe bald ab. Wenn es aber wirklich so weit sei, würde Wallenstein um so mehr eilen, seine bösen Projekte zur Ausführung zu bringen, würde den Exulanten die Tür öffnen und mit ihrer Hilfe der heiligen Religion den Todesstoß versetzen. Darauf habe ihn der Teufel vereidigt, oder er tue es als ein Atheist aus eigenem Belieben.

Es wurde beklagt, daß mehrere Familien in Böhmen geblieben wären, die mit den vertriebenen Rebellen zusammensteckten, namentlich die Terzkas. Ihm sei kürzlich, sagte Martinitz, von einem, der auf den Terzkaschen Gütern bedienstet sei, eine Warnung zugekommen, als wollten die Terzkas den Wallenstein zum König von Böhmen machen. Der alte Terzka habe des Friedländers Bild in seinem Gemach hängen, und seine Frau, ein Teufelsweib, sei vollends außer Rand und Band und halte es mit den Schweden.

Das sei bekannt, sagte Slawata, welcher selbst in der Jugend das Bekenntnis gewechselt hatte, daß der Glaube der Neubekehrten nur ein dünngewebtes Mäntelein zu sein pflege, durch welches die alte Ketzerei häßlich hervorscheine. Die Alte solle ja auch evangelischen Prädikanten, die billigerweise an den Galgen gehörten, Unterschlupf gewähren.

Ja, das Geschlecht lasse von der alten Bosheit nicht, sagte Martinitz. Dem Kinsky, der alten Terzka Schwiegersohn, habe der Kaiser die Gnade mit vollen Händen angeboten; die Gnade habe er freilich angenommen, das lutherische Gift aber doch nicht von sich geben wollen. Es verlaute, daß häufige Briefe zwischen ihnen hin und her gingen, sie würden wohl etwas miteinander auskochen. Der alte Erzverräter Thurn spiele auch seinen Part dabei, möchte wohl wieder Oberstburggraf werden.

Indem sie erwogen, was für eine Umwälzung entstehen würde, wenn die Emigranten ihre konfiszierten Güter wiederbekämen, sagte Martinitz, man könne doch kaum glauben, daß Wallenstein ein solches Spiel in Gang brächte, wobei er selbst das meiste verlöre; denn er hätte ja, wie jeder wisse, dazumal das meiste an sich gerissen.

Slawata kicherte und sagte, wer das Vieh hätte, könne leicht eine Fuhre Mist verschenken; da liege eben der klare, gültige Beweis, daß der Friedländer auf die böhmische Krone ausginge, er würde sonst die Prätentionen der Rebellen nicht unterstützen.

Und wie es denn in Wien stehe? erkundigten sich die anderen; ob man da auf der Hut sei?

Der Kaiser wolle noch nicht recht heran, sagte Slawata, hörte und sähe leider mit Eggenbergischen und Questenbergischen Ohren und Augen. Auch sei er schon recht abgelebt, Gott wolle ihn noch lange erhalten. Der Thronfolger dagegen, der König von Ungarn, würde lieber heute als morgen mit Wallenstein abfahren, er sei fest überzeugt, daß der General an allem schuld und gleichsam der auf das Haus Österreich gewälzte Leichenstein sei. In dem König von Ungarn blühe die wahre spanische Tugend und Größe des habsburgischen Hauses wieder auf. Unter den hohen Offizieren könne man sich auf Aldringen verlassen, schade sei es, daß Collalto so früh habe dahin müssen.

Ohne den Kaiser werde sich doch aber nichts ausrichten lassen, wendete Martinitz ein.

Slawata zwinkerte listig mit den Augen. Der Kurfürst von Bayern, sagte er, der habe doch noch mehr Macht über den Kaiser als Eggenberg oder irgendein anderer, schließlich werde der wieder voran und Bresche schießen müssen. Zwar werde der fromme Fürst sich ungern aussetzen; aber die fast in den letzten Zügen liegende Religion werde er doch nicht verkommen lassen.

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