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Auf hartgefrorenen Wegen reisend, traf Wolfgang Wilhelm grollend in Wien ein und trug dem Vizekanzler vor, wie sehr das Verfahren des Kaisers ihn enttäusche und daß er endlich wissen möchte, ob der Kaiser ihn als Feind oder Freund ansehe. Der Mansfeld und der Piccolomini, die der Kaiser ihm über den Hals geschickt hätte, wären in seinem eigenen Lande wie die Herren aufgetreten und hätten über seinen Kopf weg regiert, als ob er ein Missetäter oder kindisch und unvermögend wäre; sie hätten ihm das Heer abspenstig gemacht, seine treugebliebenen Offiziere ihm zum Tort niedergeschossen und an seinen Untertanen wie Blutegel gesogen, bis sie voll abgefallen wären. Sein Stammland Neuburg habe er jetzt, als er durchgereist sei, wüst und leer gefunden, als ob die Sündflut es abgewaschen hätte. Die ehemals reichsten und angesehensten Bürger wären wie Bettler vor ihm aufgezogen und hätten ihm Greuel vorgetragen, daß auch ein steinernes Herz darüber bluten müßte. Die entmenschten Soldaten hätten sich nicht begnügt, den armen Pöbel zu mißhandeln, sondern auch den Landmarschall und Oberjägermeister Hartenstein umgebracht und dem siebzigjährigen Freiherrn von Graveneck beide Hände abgehauen, die er flehend zu ihnen aufgehoben hätte, welche Herren noch dazu Katholiken gewesen wären.

Ach Gott, sagte Strahlendorff, wenn man alle Klagen der Art sammeln wollte, so möchte man das kaiserliche Archiv damit anfüllen. Kriege könnten nun einmal nicht mit Handschuhen geführt werden, und das würde doch Wolfgang Wilhelm nicht behaupten, daß der Kaiser Schuld am Kriege trüge?

So weit wolle er sich nicht einlassen, sagte Wolfgang Wilhelm, er wisse nur so viel, daß er, Wolfgang Wilhelm, nicht nur keinen Krieg angezettelt, sondern stets und überall seine Friedensliebe beteuert hätte.

Eben dadurch habe er den Feinden des Kaisers Vorschub geleistet, sagte Strahlendorff. Er zweifle nicht an Wolfgang Wilhelms aufrichtig katholischem Herzen, denn Graf Mansfeld habe dem Kaiser geschrieben, daß Wolfgang Wilhelms katholische Frömmigkeit ihn bis zu Tränen gerührt habe; aber an wen der Kaiser sich denn halten solle, wenn nicht an die treugebliebenen katholischen Reichsglieder? Wie man sonst der zahlreichen, übermütigen Feinde und Rebellen Herr werden sollte?

Dagegen zählte Wolfgang Wilhelm auf, was für Zurücksetzungen er seit Jahren vom Kaiser erfahren hätte: in der Besitznahme des Herzogtums Jülich-Berg, worauf er allein begründete Rechte und wovon Brandenburg einen schönen Teil ganz usurpatorisch abgerissen hätte, sei er vom Kaiser nicht unterstützt worden; er könne auch nicht unerinnert lassen, daß der Kaiser die pfälzische Kur Bayern übertragen habe, die nach uraltem Recht und Herkommen ihm zustehe. Er wolle nun sehen, wie der Kaiser sich in der Zweibrückenschen Sache verhalten werde. Sein junger Schwager, Pfalzgraf Friedrich, habe sich nicht zurückhalten lassen, in französischen Dienst zu treten, und führe die Waffen gegen den Kaiser, was ihm, als dem nächsten und doppelten Verwandten, herzlich leid sei und was er gern verhindert hätte. Wenn nun etwa der Kaiser Zweibrücken als verwirktes Lehen einzöge, so werde er hoffentlich ihn, Wolfgang Wilhelm, nicht wieder übergehen, sondern es ihm übertragen, der unzweifelhaft das nächste Anrecht darauf habe. Wenn der Kaiser sich darin gerecht zeigte, so habe er auch im Sinn, sich als treuer Fürst finden zu lassen.

Strahlendorff versicherte, daß der Kaiser sich gänzlich nach den Vorschriften der Goldenen Bulle richten würde. Übrigens sei der Kaiser hocherfreut, Wolfgang Wilhelm in Wien begrüßen zu dürfen, und hoffe, der Besuch solle sie inniger miteinander verknüpfen.

Wolfgang Wilhelm horchte auf und benutzte die Gelegenheit, um über die Heirat seines Sohnes etwas einfließen zu lassen. Was für Pläne denn der Kaiser in bezug auf seine Tochter hätte? fragte er. Er habe in der Heimat auch seine Sorgen. Der Kurfürst von Brandenburg habe es wegen einer Tochter auf seinen, Wolfgang Wilhelms, Sohn abgesehen und möchte auf die Art seine vermeintlichen Ansprüche auf Jülich-Berg effektuieren. Er sei jedoch einstweilen nicht darauf eingegangen, weil er eine katholische Heirat für seinen Sohn wünschte, der auch selbst in diesem Sinne ein Gelöbnis abgelegt hätte.

Strahlendorff antwortete, die Erzherzogin Maria Anna sei jetzt allerdings fünfundzwanzig Jahre alt, und es könne am Ende wohl an eine Heirat gedacht werden. Auch fühle der Kaiser sich alt werden und gehe damit um, seine Kinder zu versorgen; aber es dürfe ein Punkt, der das Herz des Kaisers angehe, nur mit Vorsicht berührt werden, biete sich jedoch eine Gelegenheit, wolle er nicht verfehlen, das kaiserliche Herz zu erforschen.

In Wahrheit war über die Hand der Erzherzogin bereits zugunsten des verwitweten Kurfürsten von Bayern verfügt, und sollte diese Heirat Ausdruck und Bekräftigung des erneuerten Zusammenschlusses der beiden Vettern Ferdinand und Maximilian sein. Als die Tatsache Wolfgang Wilhelm zu Ohren kam, der sich nun wiederum durch Maximilian ausgestochen sah, wollte er in der ersten Erbitterung sogleich abreisen; aber er überlegte sich, daß er dadurch nur seine Enttäuschung verraten und daß er besser tun würde, zu bleiben und bei der Hochzeit der Braut in seiner Person vorzuführen, wie ein wahrhaft großer, pompöser und galanter Fürst beschaffen sein müsse, und sie samt Bräutigam und Vater dadurch zu beschämen. Indessen auch diese Absicht mußte er aufgeben; denn da, wie er in Erfahrung brachte, die Verteilung der Plätze unter Benachteiligung seines Ranges vorgenommen war, beschloß er, der Festlichkeit fernzubleiben, um seine Würde keinen Abbruch leiden zu lassen.

Auch die jüngere Schwester der Braut, Cäcilie Renate, hatte ihre Bedenken wegen der Heirat und fragte am letzten Abend, als die Schwestern zu Bett gingen und ihrer Gewohnheit nach miteinander schwatzten, ob es Maria Anna nicht grause, weil der Bräutigam gar so alt und streng sei.

Was ihr einfalle! antwortete Maria Anna ein wenig empfindlich; ein Alter sei ihr lieber als ein milchbärtiger Geck, und es gefalle ihr ganz wohl, wenn ein Herr streng sei, daß einen jezuweilen Furcht überlaufe.

Ja, sagte Cäcilie Renate, wenn einer zornig würde! Aber dazu sei der Oheim Maximilian doch viel zu trocken und sauertöpfisch. Sie könne sich noch gut erinnern, als er vor einigen Jahren in Wien gewesen sei, wie Maria Anna selbst gesagt habe, sie getraue sich nicht, ihn anzureden, weil er eine so finstere Miene habe.

Damals sei sie noch fast ein Kind gewesen, sagte Maria Anna, und seit er ihr Bräutigam sei, führe er sich auch anders auf, sei recht artig und vertraulich. Sie wolle viel lieber einen, der grämlich und langweilig sei, als einen, der sich vollsaufe, wie so viele täten. Ihr Bräutigam saufe nicht und habe überhaupt kein Laster, sei der tugendhafteste Fürst in der Christenheit.

Er solle doch aber so geizig sein, meinte Cäcilie Renate, man bekomme nicht satt bei ihm zu essen, sie habe es von der Kammerfrau, die bei der seligen Kurfürstin im Dienst gewesen sei. Überhaupt solle es in München recht bäurisch zugehen.

Was das betreffe, sagte Maria Anna mit Bezug darauf, daß über eine Heirat ihrer Schwester mit ihrem Vetter, dem polnischen Prinzen Ladislaus, verhandelt wurde, so sei sie froh, daß sie nach Bayern käme und nicht unter die ungewaschenen Polen müßte, die sauren Rahm und schwarzes Brot fräßen, keine Leintücher hätten und mit Stiefeln und Sporen zu Bette gingen.

Oh, sagte Cäcilie Renate errötend, das stelle sie sich wundervoll vor, einen Mann, der mit den Stiefeln zu Bette ginge! Das habe etwas Heroisches.

Nein, es wäre nicht ihr Geschmack, sagte Maria Anna; da möchte sie noch lieber in ein Kloster gehen, wo man so gemütlich und fast wie die Heiligen lebte.

Ach freilich, sagte Cäcilie Renate nach einer Pause gedankenvoll, so leicht könne es einem in der Welt nicht werden, das habe ihnen ja der Vater auch immer gesagt. Lieber möchte sie auch ins Kloster gehen als heiraten.

Für sie wäre es vielleicht auch besser, sagte die ältere Schwester gutmütig, da sie zart und schwächlich sei. Sie, Maria Anna, sei gesund, werde es mit Gott aushalten.

*

In einem abseits liegenden Hause in Zweibrücken stand eine Frau an einer Bütte und wusch, während zwei Kinder, ein Mädchen und ein Knabe, auf einer Bank hinter dem Ofen lagen und schliefen. Durch Regen und Wind hörte die Frau plötzlich ein Klopfen an der Fensterscheibe und tastete sich durch das dunkle Zimmer, um zu sehen, wer da sei. Sie solle nicht erschrecken, rief eine leichte Kinderstimme, es sei nur die kleine Lise da, des Besenbinders Enkelkind; sie habe im Walde Reisig und Bucheckern für den Großvater gesucht und sei nun so müde, daß sie nicht mehr von der Stelle könne; ob sie sich ein Viertelstündchen ausruhen dürfte? Die Frau ließ das Mädchen eintreten und bückte sich dicht über sie, um sie zu betrachten. Ja, sie solle nur dableiben, sagte sie dann, in der Kammer stehe ihr Bett, da dürfe sie schlafen. Das Mädchen dankte erschrocken, es sei ja genug, wenn sie in einem Winkel ein wenig rasten dürfte; aber die Frau beruhigte sie: sie selbst müsse noch waschen, und die Kinder lägen hinter dem Ofen, sie, die kleine Lise, zittere ja vor Nässe und Kälte am ganzen Leibe, sie solle ins Bett. Dabei faßte sie das Mädchen am Arm, um sie in die anstoßende Kammer zu ziehen. Der Kleinen wurde es plötzlich bange. Ob sie nicht bei den Kindern hinter dem Ofen liegen dürfe? fragte sie. Ach nein, sagte die Frau, da sei kein Platz mehr für sie. Sie solle ins Bett kriechen, es sei auch noch ein kleines Stück Brot da, das wolle sie ihr geben, weil sie so durchnäßt und erfroren sei, Gott würde es ihr lohnen.

Als die Frau zurückkam und hinter den Ofen blickte, hatte sich das kleine Mädchen halb aufgerichtet und starrte die Mutter mit großen Augen an. Warum sie das fremde Mädchen in die Kammer gebracht hätte? fragte sie. Sie solle schlafen, entgegnete die Frau, was sie das angehe?

Und warum die Mutter dem fremden Mädchen ihr letztes Stücklein Brot gegeben hätte? fragte das Kind weiter; sie hätten doch selbst so großen Hunger.

Sie würde es schon wieder einbringen, sagte die Frau mit einem leisen Lachen. Wie sie das meine? fragte das Kind, die Frau am Rock fassend. Und warum sie vorhin, als sie aus der Kammer gekommen wäre, gemurmelt hätte: das Mädchen habe ihr der Herrgott ins Haus geschickt?

Die Frau zog ihren Rock aus der Hand des Kindes und befahl ihr flüsternd, indem sie drohend die Faust erhob, ruhig zu sein, damit der Bruder nicht aufwache. Das Kind zog sich in seinen Winkel zurück und verfolgte mit den Augen in der Dunkelheit die Mutter, wie sie erst an einen Kasten ging, dann sich vor eine Truhe kniete und einen starken Strick herauszog, dessen Länge sie prüfte, dann an die Kammertür ging und horchte. Es konnte sich nicht mehr zurückhalten, lief zur Mutter hin und fragte, was sie vorhabe? Sie wolle ja dem fremden Mädchen etwas zuleide tun. Die Frau befahl dem Kinde Schweigen. Es sei jetzt ein Lamm im Stall, flüsterte sie, das wolle sie schlachten, damit sie morgen einen Braten hätten.

Nein, nein, schluchzte das Kind, es wolle keinen Braten essen. Die Mutter hätte dem Mädchen das Brot nicht geben sollen.

So? sagte die Frau. Aber das Häslein habe ihnen doch geschmeckt, das sie letzthin gebraten habe?

Ja, das Häslein, sagte das Kind. Die Mutter solle wieder ein Häslein im Walde fangen. Das Häslein sei auf zwei Beinen gelaufen, sagte die Frau, und sei der Bub gewesen, mit dem sie damals in den Wald gegangen sei. Wenn sie jetzt stillschwiege, bekäme sie morgen etwas zu essen. Oder ob sie alle zusammen verhungern wollten?

Die Kleine kroch wieder hinter den Ofen und klammerte sich an ihren schlafenden Bruder. Ihr Herz klopfte stark, und sie zog die Decke über ihr Gesicht, während sie zugleich horchte. Als sie ein Wimmern aus der Kammer vernahm, fing sie zu weinen an und stopfte sich die Decke fester in die Ohren. Noch eine lange Weile lag sie vor Angst zitternd wach, dann überwanden sie Müdigkeit und Schwäche, daß sie einschlief.

*

Auf einem Herrenhof an der Weser hatte Knyphausen eine Zusammenkunft mit seinem Schwiegersohn Wolf von Lüdingshausen, dem Kommandanten der Festung Minden im Dienste Herzogs Georg von Lüneburg. Lüdingshausen war voll Staunen, als er vernahm, daß Knyphausen wieder eine Bestallung angenommen habe. In seinem Alter, sagte er, sich wieder eine solche Last auf den Buckel zu schnallen, nachdem er es ein- für allemal verschworen gehabt habe! Der französische Gesandte müsse eine geschwinde Zunge haben, daß er ihn so überrumpelt habe!

Ach was, Zunge, sagte Knyphausen, einen vollen Beutel habe er. Er, Knyphausen, sei kein solcher Gimpel mehr, sich mit glatten Worten fangen zu lassen. Dann komme dazu, daß es ihn freue, dem Herzog Georg einen Tort zu tun.

Ob es denn Georg wirklich aufrichtig mit dem Kaiser halten wolle? fragte Wolf von Lüdingshausen. Es verlaute doch, es sei ihm nicht Ernst, und er erwarte nur eine Gelegenheit, wieder zu den Schweden abzuschwenken.

Einstweilen tue er ihnen aber Abbruch, wo er könne, sagte Knyphausen heftig, hätte dem Kaiser alle seine Regimenter zugeführt, wenn er Geld genug gehabt hätte. Saint-Chaumont habe einen Haß auf ihn, Oxenstierna desgleichen, werde sich nie wieder von ihm nasführen lassen. Er, Knyphausen, hoffe nur, daß sein Schwiegersohn sich nunmehr auch von ihm trennen werde.

Lüdingshausen geriet in Verlegenheit. Das sei leichter gesagt als getan, erwiderte er. Er habe nun einmal dem Herzog den Eid geleistet; daß der Herzog es jetzt mit dem Kaiser halte, ändere daran nichts, ohnehin könne es leicht wieder anders kommen.

Je dringender Knyphausen auf seinen Schwiegersohn einredete, desto fester versteifte sich dieser in seiner Meinung. Er sei gesonnen, sich in diesem Dilemma an das Nächste zu halten und bei seiner Soldatenpflicht zu bleiben. Tue er's nicht, könne der Herzog sich empfindlich an ihm rächen.

Nun, so wolle er ihm denn sagen, fuhr Knyphausen zornig heraus, daß er Saint-Chaumont, dem französischen Gesandten, sein Wort verpfändet habe, Lüdingshausen werde ihm die Festung Minden übergeben. Wenn Lüdingshausen sich nicht dazu verstehen wolle, mache er ihn, seinen Schwiegervater, ehrlos.

Lüdingshausen fiel mit bleichem Gesicht in seinen Stuhl zurück und blieb eine Weile starr wie an allen Gliedern gelähmt, dann fuhr er sich mehrmals mit zitternden Händen über die Stirn und durch die Haare. Ob das Ernst oder Scherz sei? stammelte er endlich. Und was denn daraus werden solle?

Wenn Wolf vernünftig sei, könne etwas sehr Gutes daraus werden, sagte Knyphausen. Wegen Herzog Georg müsse er sich keine Gedanken machen, der habe es wahrlich nicht verdient. Ob denn Georg gegen die Schweden anders gehandelt habe? Schon den großen König Gustav habe er bei Lützen im Stiche gelassen, und nun habe er's dem Oxenstierna nicht besser gemacht. Viel tausend ehrlicher Soldatenherzen wolle er dem jesuitischen Kaiser in die Hände spielen! Es nehme ihn wunder, daß Lüdingshausen Ritterehre und Seelenheil so wie einen schmutzigen Pfennig von einer Hand in die andere sollte wandern lassen. Übrigens sei die Meinung nicht, daß sie sich umsonst von den Franzosen gebrauchen ließen. Er habe es von Saint-Chaumont schwarz auf weiß, daß er alle die geistlichen Güter bekäme, die an sein Gütlein grenzten, und Lüdingshausen sei ja sein alleiniger Erbe.

Der Kommandant war während dieser Auseinandersetzung allmählich wieder ins Gleichgewicht gekommen. Wenn es denn sein müsse, sagte er, wolle er's seinem Schwiegervater zuliebe tun. Es habe ihn ohnehin der Gedanke gewurmt, seine Glaubensgenossen könnten ihn einen Überläufer schelten.

Knyphausen legte ihm mit liebevoller Wucht die Hand auf die Schulter. Es werde ihn sicherlich nicht reuen, rief er aus, das Glück habe sich sowieso den Schweden wieder zugewendet. Wolf sei ihm ja lieb wie ein leiblicher Sohn, das Herz habe ihm geblutet, ihn auf der Seite der Widerwärtigen zu wissen. Nun sei er wieder vergnügt, Gott werde schon seinen Segen dazu geben.

Nachdem die beiden Herren verabredet hatten, wie die Übergabe der Festung ausgeführt werden sollte, begab sich Knyphausen nach Harburg, um die Obersten für den französisch-schwedischen Dienst zu gewinnen, die einstmals unter Herzog Georg gestanden hatten, dann, als dieser sich zum Prager Frieden neigte, sich von Speerreuter für Oxenstierna gewinnen ließen, nun aber wieder mit dem Herzog verhandelten, während Speerreuter sich ganz zurückgezogen hatte, im stillen seinen Übertritt zum Kaiser vorbereitend.

Es war Anfang Dezember, Regen und Schnee fielen vermischt und lösten den Erdboden in einen trüben Brei auf; eine schmutziggelbe Farbe durchsickerte die Luft und machte sie dick und undurchsichtig. Von den Obersten, die die heiße Stube füllten, weigerte sich nur einer, die Bestallung anzunehmen, da er wegen seines kurz vorher dem Herzog gegebenen Wortes Gewissensbedenken habe.

Er werde sich doch nicht absondern, redete Knyphausen ihm zu. Die anderen Herren wären doch auch Soldaten von Ehre.

Das wohl, sagte der Oberst; aber der eine fühle es mehr, der andere weniger. Er habe an jenem Tage dem Herzoge zunächst gestanden und ihm den Handschlag gegeben, wenn er ja freilich so wenig wie die anderen das versprochene Geld empfangen habe. Er wolle es mit seinem Pfarrer besprechen.

Die Religion in Ehren, sagte der Feldmarschall, aber von Kriegswesen und soldatischer Ehre verständen die Theologen nichts. Das könne ihm übrigens jedes Kind sagen, daß er in schwedischem Dienst für sein ewiges Heil stritte, daß er sich aber die Hölle erhandelte, wenn er in Kaisers Dienst träte. Davon wolle er nicht reden, daß der Herzog von Lüneburg nie das Geld aufbringen würde, um sie auszuzahlen, vom Kaiser ganz zu schweigen. Mit diesen Worten schob der Feldmarschall dem Obersten den Vertrag hin und drückte ihm die Feder in die Hand, damit er unterschriebe.

Der Oberst blickte unschlüssig in das Dokument und fuhr plötzlich erschrocken zurück. Nie und nimmermehr werde er heute unterschreiben, rief er aus. Ob die Herren nicht wüßten, daß der 2. Dezember ein Unglückstag wäre? Es sei der Geburtstag des Judas Ischariot und der böseste Tag im Jahre.

Ein Tag sei wie der andere, sagte Knyphausen, man hänge nicht von Tagen, sondern von Gottes Willen und dem Glück ab.

Nein, nein, beharrte der Oberst, an einem solchen Tage gebe er seine Unterschrift nicht her, am wenigsten für eine so heikle Sache. Wenn eine Schlacht auf den Tag fiele, würde er zuvor sein Testament machen und sich dann in Gottes Namen abstechen lassen.

Wenn er denn durchaus nicht wolle, sagte Knyphausen, so wolle er ihm zuliebe den Vertrag auf morgen umschreiben lassen. Der Oberst müsse ihm aber die Hand darauf geben, daß er am folgenden Tage keine Sperenzen mehr machen wolle.

Aufatmend versprach es der Oberst, worauf die Herren für diesmal auseinandergingen und der Vertrag am nächsten Tage abgeschlossen wurde.

*

Professor Matthias Bernegger saß mit Schreibzeug und Büchern am Ofen, als seine Frau eintrat, die kühlen Kacheln befühlte und seufzend sagte, der Holzvorrat gehe schon wieder zu Ende, sie habe nichts mehr zum Nachlegen, und doch sei es schon recht kalt im Zimmer.

Er wolle noch einmal an den Rat gelangen, der ihm ja das Holz zu liefern schuldig sei, sagte Bernegger. Freilich habe der auch genug auf dem Buckel und werde ihm nicht helfen können. Gottlob habe er ja seinen Pelzmantel, zur Not könne er es darin aushalten.

Es sei eine Schande und tue ihr im Herzen weh, sagte die Frau, ihn in dem vermotteten, löcherigen alten Mantel zu sehen.

Sie würden eben alle miteinander alt, sagte Bernegger gutmütig lächelnd.

Das sei Gott geklagt, erwiderte seine Frau, wenn sie nur auch weiser würden.

Mit diesen Worten spielte sie darauf an, daß Bernegger sich trotz seiner vielen schlechten Erfahrungen kürzlich für den jungen Grotius verbürgt hatte.

Er hätte doch den armen jungen Toren, den Sohn eines solchen Vaters, nicht in der Not steckenlassen können, entschuldigte sich Bernegger. Eine wunderliche Sache sei es übrigens, was für defekte Söhne so große Geister herausbrächten; dem Ludwig Kepler müsse man ja auch rechts und links unter die Arme greifen.

Des eigenen Früchtleins nicht zu gedenken, fügte die Frau zwischen Ernst und Scherz hinzu.

Darüber mußte Bernegger herzlich lachen. Nun, Gott sei gelobt, sagte er, der habe sich tüchtig herausgearbeitet, und daraus sei zu schließen, daß er, Bernegger, kein so großer Geist sei wie jene, was er ohnehin wisse, oder daß seine Kinder eine besonders vortreffliche Mutter hätten. Und das sei gewiß, einen starken, tätigen Willen hätten sie von ihr erben können.

»Um so besser für sie«, sagte Frau Bernegger. »Der Wille ist der gewaltigste Zauber und auf keiner Schule zu lernen, außer im Mutterleibe.«

Bernegger begann wieder zu arbeiten, wurde aber aufs neue unterbrochen, und zwar durch einen Herrn vom Rate, der atemlos zum Professor geführt zu werden verlangte. Er sei ein Unglücksbote, rief er schon auf der Schwelle, wolle gar nicht damit hinter dem Berge halten. Man hätte sich's ohnehin denken können, daß die Zeitläufte zum Ruin führten, dies sei nur das Vorspiel, bald würde es über die ganze Stadt hergehen, besonders wenn gewisse Ausländer ihre Unbesonnenheit nicht im Zaume halten könnten.

Ob das auf ihn gehe? fragte Bernegger mit großen Augen; er sei sich doch keines Vergehens bewußt. Oder ob es seinen Sohn betreffe?

Von dem sei derzeit nichts ruchbar, brummte der Ratsherr, es komme auf Berneggers eigenes Konto. Vor einer Stunde sei der Sekretär, der vom Feldmarschall Gallas aus mit der Stadt zu verhandeln pflege, fuchswild dahergebraust, wie er denn ohnehin nach Art der Kriegsleute sich so hoffärtig aufzublasen pflege, als ob er es mit Leibeigenen zu tun hätte. Sie hätten einen Brief aufgefangen, das sei sein Bericht gewesen, den Bernegger an seinen Schüler und vertrauten Freund Freinsheim in Frankreich geschrieben hätte, aus welchem die verräterische Gesinnung desselben sowie der ganzen Stadt Straßburg offensichtlich hervorginge. Der Feldmarschall verlange, daß Bernegger an ihn ausgeliefert und zum abschreckenden Exempel seinem crimen gemäß bestraft werde.

»Das ist in der Tat eine Überraschung!« sagte Bernegger, und seine Frau fragte mit strengem Blick auf den Besucher, wie der Rat sich darauf habe vernehmen lassen.

Der Rat, antwortete dieser, habe sein Ansehen wohl gewahrt und dem Sekretär zu verstehen gegeben, daß es niemandem, auch dem Kaiser nicht, zukomme, in die Gerichtsbarkeit einer freien Reichsstadt Übergriffe zu tun, und daß man hoffe, er werde die Stadt mit ungebührlichen Forderungen verschonen. Worauf er seine Hörner ein wenig eingezogen und sich mit einer Erklärung des Rats begnügt habe, derselbe werde für geeignete Bestrafung des Malefikanten schleunig und ernstlich Sorge tragen.

Da Bernegger vor Erstaunen nicht imstande schien, die Tragweite des Unfalls zu begreifen, rief ihm seine Frau zu, mit der Konsternation komme er nicht weiter, jetzt gelte es, einen Entschluß zu fassen, und auch der Ratsherr ermahnte ihn, sich zusammenzunehmen.

Er sei ja zu allem bereit, wenn er etwas tun solle, sagte Bernegger; aber es komme ihm so vor, als könne er nur noch stillhalten, wenn sie ihm den Kopf abschlügen.

Stillhalten? rief Frau Bernegger. Ja, das möchte ihm gefallen. Fliehen müsse er auf der Stelle nach Frankreich, da müßten sie ihn doch gut aufnehmen, und der Rat würde ihm wohl ein Türlein oder Ritzlein offen lassen, um bei Gelegenheit wieder hereinzuschlüpfen.

Ach, dazu sei es jetzt leider zu spät, sagte der Ratsherr; wenn sie den Verbrecher entkommen ließen, würde Gallas die Stadt dafür verantwortlich machen und ganz Straßburg in Asche legen.

Das sei leichter gesagt als getan, sagte die Frau, durch solche Rodomontaden dürfe eine ehrbare Stadt sich nicht schrecken lassen. Es wäre eine Schande, wenn sie ihren Mann aufopferten, der nichts begangen hätte, im Gegenteil hielten sie es ja selbst mit Frankreich und hätten ihn noch dazu aufgemuntert.

Nach zwei Tagen der Angst und Ratlosigkeit kam der Ratsherr mit einer Aussicht auf Rettung zu Bernegger. Ob er sich eines gewissen Wessel entsinne, der vor etwa fünfzehn Jahren bei ihm studiert hätte?

Ja, sagte Bernegger fröhlich, er habe das Latein schneller als andere das liebe Brot gefressen und habe die Reden des Cicero an Catilina so abdonnern können, daß einem die Knochen im Leibe gezittert hätten.

Nun, derselbe sei jetzt Generalfelddirektor beim Gallas, sagte der Ratsherr, und wenn der sich für Bernegger verwendete, so könnte die Fatalität etwa noch glimpflich abgewendet werden.

Ja, der Wessel, sagte Bernegger, der werde ihn gewiß nicht verkommen lassen, sie hätten oft bei einem Glase Wein miteinander disputiert und dabei weder Kaiser noch Papst und nicht einmal den lieben Gott geschont.

Nachdem der Rat Berneggern ermahnt hatte, nicht außer acht zu lassen, daß Wessel inzwischen in eine ansehnliche Stellung gerückt und vermutlich von der bei der Soldateska herrschenden hochfahrenden Gloriosität ergriffen sei, daß er also guttun werde, den Honig untertäniger Schmeichelei dick aufzuschmieren, setzte Bernegger einen Brief an den ehemaligen Schüler auf, der bald erwünschten Erfolg brachte: der Professor kam mit einer Verwarnung und einem mehrwöchigen Hausarrest davon.

Die häusliche Gefangenschaft sich zu verkürzen, ging Bernegger an ein Geschäft, das er als ein zeitraubendes und zugleich liebes und wichtiges stets auf eine gelegentliche längere Muße verschoben hatte, nämlich das Ordnen der zahlreichen Freundesbriefe, die er seit etwa fünfundzwanzig Jahren erhalten hatte. Er betrachtete sie als seinen teuersten Schatz, wertvoller noch als seine Bibliothek, von der Teile zu veräußern er in diesen harten Zeiten sich schon gezwungen gesehen hatte. Diese mit gedrängter Schrift bedeckten Blätter bedeuteten ihm eine Essenz des Lebens, aromatischer als aus persischen Rosen gepreßtes Öl. Der Atem geliebter, verehrter, großer Menschen wehte daraus, deren Augen ihn herzlich angeblickt, deren Hände die seinen gedrückt hatten. Was für einen Ertrag hatte sein Leben, der dieser Ernte der Freundschaft gleichwertig war? Ja, diese Briefe waren der Niederschlag, der im Tiegel bleibt, wenn das Feuer erlosch und die brodelnde Mischung erkaltete, und als ein Zeugnis der Glut und des edlen Stoffes golden in ferne Zeiten funkelt.

Da waren zuerst die Briefe Gruters, des freien, unabhängigen Niederländers, der römische Gesinnung und Sprache handhabte wie Tacitus, nur daß ihm die Togafalten weicher und anmutiger fielen. Die Tränen der Begeisterung, die er beim ersten Lesen vergossen hatte, wandelten sich jetzt in solche der Wehmut. Mit dem Fall Heidelbergs fielen die ersten Schatten auf das heitere Bild des berühmten Gelehrten. Anfänglich trösteten ihn über den Verlust der Bücher und der heimatgewordenen Stadt die Blumen und Vögel im Garten seines Tübinger Gastwirts. Dann kam die Heirat der Tochter, das leichtsinnige und gewissenlose Hausen und Wüten des Schwiegersohnes, dem der allerwärts eingeschränkte Exulant vergebens zu steuern suchte, Krankheit und schneller Verfall des unglücklichen Kindes, das der Tod befreite. Noch träufelte zuweilen Honig von seinen Lippen, wenn er von der großen Weltrepublik sprach, in der einst alle vom wahren Geist Gottes erfüllte Menschen friedliche Bürger sein würden, noch umleuchtete ihn rosiges Licht, wenn er, im hügeligen Garten wandelnd, das Unkraut von den Beeten entfernte oder welke Blüten und kranke Blätter mit zitternder Hand abbrach; aber häufiger strauchelte er, weil ihn ein Schwindel überfiel, Atemnot und Sorgen um die Zukunft ängstigten ihn. Es war die Abendröte, in deren Helligkeit er ging; tiefer und länger wurden die Schatten, und nun war es schon fast zehn Jahre her, daß das Gras auf seinem Grabe in dem noch immer verlorenen Heidelberg wuchs.

Inzwischen war auch Tübingen, damals eine Zuflucht, gefallen. Der letzte Brief des unglücklichen Schickard erzählte von dem Einbruch der Kaiserlichen und dem Tode der geliebten Mutter; dann erfuhr Bernegger durch gemeinsame Freunde, daß der mit seinem Sohne in der Fremde umherirrende Mann nach Tübingen zurückgekehrt war, um gleich darauf die treue Schwester zu verlieren und selbst von der Pest dahingerafft zu werden.

Nun kamen die zahlreichen Briefe des herrlichen Kepler, ein Strang unschätzbarer Perlen, aus dem Meere des Lebens gefischt, sanft wie Mondstrahlen, tränenhaft schimmernd. Wie viele er durchlas, alle zeigten den einsamen Mann auf steinigem Wege sich weiterkämpfend, oft schweißtriefend in den Staub gebückt, indes sein Geist, unbegreiflich entfesselt, als ein Adler den Äther durchrauschte. Während die Geier der Walstatt auf dem Reichstage zu Regensburg um die Beute stritten, brach mitten unter ihnen das königliche Herz unbemerkt. Wie sehr hatte sich Bernegger gewünscht, nach dem Grabe des verklärten Freundes pilgern zu können; aber inzwischen hatte das Kriegsgewitter sich schwarz und blitzend auf den deutschen Süden herabgelassen, und er selbst, Bernegger, war älter, ärmer und gebrechlicher geworden und glaubte zuweilen ein stygisches Raunen unter seinen Füßen zu hören. Wenn er aber auch nach Regensburg käme, so würde er Keplers Grab nicht finden; denn es war, so hatte man ihm berichtet, bei der letzten Belagerung durch den Zusammenbruch eines Teils der Mauer verschüttet worden. Bernegger schloß sinnend die feuchten Augen: nicht die Wut zerstörender Menschen, das hatte Gott getan, der den Staub seines Lieblings aus dem Brettersarge riß und unter die Sterne säte. In das Weltall ergoß sich sein Grab und durchzückte die Unendlichkeit mit der Feuerspur seines Gedächtnisses.

Als Kleinodien seines Schatzes betrachtete Bernegger zwei Briefe des berühmten Galilei, den, in welchem er ihn, Bernegger, bat, seine Dialoge ins Lateinische zu übersetzen, und den andern, worin er ihm für das vollendete Werk dankte. Davon, daß der verfemte Mann selbst mit ihm in Verbindung getreten war, hatte nichts in die Öffentlichkeit dringen dürfen: es war Berneggers und seiner Vertrauten köstliches Geheimnis. Er wußte davon zu sagen, wie hart es für einen Reformierten war, im lutherischen Straßburg durchzuschlüpfen; wenn man sich schon um Gottes Sandalen blutig balgte, was wagte der, der die Schleier von seinem Antlitz lüftete?

Und war es denn ein Antlitz? ein Menschenantlitz? Blickte es mit Menschenaugen? Er, Bernegger, hielt seine Augen für zu schwach, um in die Sonne der Sonnen zu sehen; er begnügte sich, anzubeten und etwa das zu erforschen, was das ewige Licht erzeugte.

Es schien Bernegger, als hätte er seit Jahren nicht eines so himmlischen Wohlbehagens genossen wie während dieser Gefangenschaft. Wieviel Sorgen hatten die Kriegsdrangsale mitgebracht: kleinliche Not um den auszugebenden Pfennig und bitteres Quälen um das Wiedereingehen des geliehenen, endlich den Schmerz, die lieben Bücher verkaufen und zum ersten Male Geld für den Unterricht fordern zu müssen. Die ärgste und letzte Prüfung jedoch, die Angst vor Schande und Tod, hatte sich plötzlich gewendet und ihn unverhofft begnadet.

›Seid gesegnet, ihr ambrosischen Tage,‹ so dachte er, ›die ich mit unsterblichen Geistern teilen durfte. Werdet ihr mich drüben empfangen, wenn nun auch meine Schatten länger auf die Erde fallen und meine Nacht anbricht? Wird ein Paradies im Weltall diejenigen vereinen, die hienieden eins in der göttlichen Liebe waren? Fühlte ich doch oft mitten im irdischen Schlachtgetümmel meine Seele sicher in der göttlichen Liebe ruhen: so wird sie auch mich Entschlafenen umfangen, sei es, um mich ihrem Dasein ganz zu verschmelzen, sei es, um zu neuen Tagen mir frische Sinne des Lebens zu erziehen.‹

*

Am 18. August wurde in Wien der Geburtstag des Königs von Ungarn gefeiert, von dem man angesichts der zunehmenden Hinfälligkeit seines Vaters annahm, daß er bald Kaiser werden würde. Allerdings war er noch nicht zum römischen König gewählt worden, aber Ferdinand II. zweifelte nicht daran, daß die Kurfürsten an dem auf den Oktober nach Regensburg ausgeschriebenen Tage sich endlich bequemen würden. Sein siegreiches Schwert hatte die vorlauten Herren scharf aufs Maul geschlagen; andererseits konnten und würden sie ja dankbar sein, dachte der Kaiser, daß er die sichtbare Erhöhung durch Gottes Hand nicht zur Rache und Strafe anwandte, sondern in seiner angeborenen Milde verharrte. Die Kaiserin hatte sich die Ausrüstung des Festes nicht nehmen lassen und überraschte die Gäste, die sich gegen Abend bei ihr einfanden, durch die an das Nachtessen sich anschließende Aufführung eines italienischen Theaterstückes; es war ein Gespräch Charons mit einer Seele, die er über das stygische Wasser in das jenseitige Land zu führen hatte.

Als der Vorhang sich teilte, erblickten die Zuschauer das Gemälde einer Straße in Venedig. Vor den bespülten Stufen eines Palastes lag eine schwarze Gondel, in der in schwarzer spanischer Tracht mit weißer Lockenperücke der unterirdische Fährmann stand. Er hielt in einer Hand das lange Ruder, in der andern die Mandoline, mit deren Klängen er die Seele auf den Balkon locken wollte. Nach Absingung einer Serenade erschien eine schöne Dame, beugte sich über das Geländer und fragte flüsternd, wer da sei und was ihn so kühn mache, sie zu stören? Liebe zu ihr, antwortete Charon, treibe ihn an; sie solle ihn erhören und ihm folgen, die Gondel sei bereit.

Er habe nicht die Stimme ihres Freundes, sagte die Dame zaghaft, sie kenne ihn nicht und wisse nicht, wohin er sie führen wolle.

Die Fahrt sei weit, erwiderte Charon, und das Ziel namenlos; aber sein Schiff und sein Ruder irrten nicht.

Die Nacht sei dunkel, fuhr die Dame fort, sie könne sein Gesicht nicht erkennen; aber sein Haar schimmere weiß wie der Marmor auf den Bergen. Wenn er alt sei, so gebühre ihm die Süßigkeit der Liebe nicht und solle er von ihr ablassen.

Da, wohin sie gingen, sagte Charon, herrsche süßes Zwielicht, wo Alter und Jugend, Hell und Dunkel, Tod und Leben ineinander verschmölzen. Da sei nicht Sonne und Mond, da wären keine Juwelen, keine Schminke, keine Flitter, keine Larven.

Die Dame, welche ein prächtiges, tief ausgeschnittenes Kleid trug und sich mit einem aus Perlmutter und Spitzen gefertigten Fächer fächelte, erschrak und klagte, ob sie denn nichts von ihren Kostbarkeiten mitnehmen dürfe?

Was sie Vergängliches besitze, sagte Charon, müsse sie in dies schwarze Wasser versenken; mitnehmen dürfe sie nur die unsterblichen Schätze, die sie im Leben gesammelt hätte.

»Ach, grausamer Liebhaber,« seufzte die Dame, »was verlangst du von mir? Was bietest du mir, um mich zu entschädigen?«

Nun erhob Charon seine Mandoline und schilderte, mit verlorenen Akkorden seine Rede begleitend, die Inbrunst seiner Leidenschaft. Nicht die Kunst ihrer Kammerfrau, nicht der Reiz gedrehter Locken, nicht das Blitzen ihres Halsbandes, auch nicht der Schmelz ihrer klopfenden Brust habe ihn entzündet; was kein irdisches Auge sehe, die Frommheit ihrer Seele, das ziehe ihn an, die Sorge um ihr ewiges Heil bewege ihn. Er malte ihr das samtene Lager, das er in der Gondel zum Genuß ihrer heimlichen Umarmung bereitet habe, den erlösenden Rausch des Vergessens, den sie von seinen Lippen trinken werde, und wie sie lautlos von nie bestrahlten Wellen in das zeitlose Land getragen werden würden.

Auf seinen Wink erschienen im Vordergrunde der Bühne mehrere maskierte Herren und Damen mit Fackeln in den Händen und führten ein Ballett auf, zu welchem unsichtbare Spielleute eine leise Musik machten. Die Darsteller gehörten dem Gefolge der Kaiserin an, und es belustigte die Zuschauer außerordentlich, sie unter der Maske zu erkennen. Die Dicke dort, sagte der Kaiser zu seiner Frau, scheine ihm die Breuner zu sein; er hätte aber nie gedacht, daß sie so hüpfen und so geschickte Referenzen machen könnte.

Sie sei es auch nicht, scherzte die Kaiserin. Das Bild der Breuner scheine ihm vor den Augen zu gaukeln.

Der Kaiser lachte vergnügt. Sie sei es doch, beharrte er, wenn sie nur einmal die Schleppe aufraffen wollte, so würde er sie gleich an ihren dicken Waden erkennen.

Die Kaiserin schlug ihm lachend mit dem Fächer auf den Mund und sagte, er solle sich so gottloser Scherze nicht unterstehen, was seine gute Laune noch vermehrte. Zuweilen blinzelte er nach seinem Sohne hin, der eine ernsthaft thronende Haltung bewahrte, und dachte, sein Leopold Wilhelm, obwohl fast ein Heiliger, sei doch traulicher; aber der Ferdinand schicke sich trefflich zum Reichsoberhaupt. Er würde große Ehre mit ihm in Regensburg einlegen, dachte er, und malte sich aus, was für eine majestätische Figur er bei den vielen schweren und wichtigen Zeremonien machen werde. Er selbst würde sich in Regensburg noch recht zusammennehmen müssen, nachher aber wollte er sich gründlich ausruhen. Mit den lästigen Geschäften wollte er dann nichts mehr zu tun haben, die ihm seit Eggenbergs Tode ohnehin zuwider geworden waren; dagegen wollte er ein paar schöne Wallfahrten unternehmen und sich in diesem und jenem Kloster aufhalten, wie seine Mutter getan hatte, um sich gehörig auf den Tod vorzubereiten. Hätte er nur erst sein Haus bestellt und wäre aller Sorgen ledig, so erholte er sich auch vielleicht so weit, daß er wieder zur Jagd gehen könnte, was immer seine beste Erfrischung und Arznei gewesen war.

Solche Gedanken zogen ihm träumerisch durch den Sinn, während der Reigen sich auf der Bühne drehte und die Schöne, entzückt von der Zauberkunst ihres fremden Liebhabers, sich bereit erklärte, ihm zu folgen. Sie verschwand vom Balkon und erschien nach kurzer Zeit auf den rieselnden Stufen. Eine Zofe legte ihr einen schwarzen Mantel um die Schultern und begleitete sie die Treppe hinunter, wo Charon sie mit einem Handkuß empfing und sie in die schwarzverhängte Gondel führte.

*

Die Brüder Jeremias und Joachim Gottwald, seit Jahren Diener des verstorbenen Grafen Schaffgotsch und Verwalter seiner Güter, schrieben Briefe über Briefe an die Vormünder seiner fünf hinterlassenen Kinder, sie sollten sich beim Kaiser dafür verwenden und durchzusetzen suchen, daß ihnen wenigstens diejenigen Güter erhalten blieben, die als ihres Vaters persönliches Eigentum der Konfiskation nicht anheimfielen; allein die Vormünder beteuerten zwar, die Verlassenen beschützen und ihre Rechte wahrnehmen zu wollen, kamen aber bei einer Zusammenkunft dahin überein, daß es unter den obwaltenden Umständen allzu keck sein würde, die herrschende Partei gegen sich aufzubringen, und daß sie sich anstatt dessen darauf beschränken müßten, die Sache dieser armen Waisen Gott anheimzustellen. Auch war Herr von Maltzan, der Gatte von Anna Ursula, der Stiefschwester des Hingerichteten, sehr unzufrieden, als seine Frau in die Angelegenheit eingriff; allein sie bestand darauf, den Mutterpflichten, die sie schon früher an den Mutterlosen ausgeübt hatte, auch jetzt in der Not nachzukommen, sei es mit Hintansetzung ihrer eigenen Kinder, und nahm das verscheuchte Häuflein in ihren Schutz. Von den Brüdern Gottwald und Konstantin von Wegner unterstützt, suchte sie sich der kaiserlichen Offiziere und Beamten zu erwehren, die nacheinander von allen Schaffgotschen Gütern Besitz ergriffen, mußte jedoch am Ende froh sein, mit ihren Pfleglingen auf einem Schlosse des Kardinals von Dietrichstein Zuflucht zu finden. Anfänglich bemühte sie sich auch, die Kinder beim evangelischen Glauben zu erhalten, da sie aber sah, daß sie ihnen nur um den Preis ihres Übertritts einen kleinen Teil des väterlichen Vermögens würde erhalten können, gab sie den Widerstand auf.

Er sei im Zweifel, sagte Konstantin von Wegner eines Abends, nachdem die Kinder zu Bett gebracht waren, ob er länger bei ihnen bleiben könnte, nun sie sich akkommodierten. Das gehe wider sein Gewissen, und er hätte lieber mit seinem Herrn den Tod erlitten, als daß er den schrecklichen Abfall seiner Kinder mit erlebte.

Was sie denn aber sonst tun sollten? sagte Anna Ursula. Sie würden gewiß ihr Brot an den Türen erbetteln müssen, wenn sie nicht nachgäben. So könnten sie doch wenigstens das Leben nach ihrem Stande führen.

Ob es denn nicht besser wäre, zu betteln als seinen Gott zu verleugnen? sagte Wegner. Sollte denn der arme Märtyrer, ihr Vater, sein Blut umsonst vergossen haben?

Anna Ursula trocknete ihre fließenden Tränen und sagte, sie wisse eben keinen anderen Ausweg. Sie würde ja die Kinder gern bei sich aufnehmen, aber wenn auch ihr Mann es litte, so würde der Kaiser sie deswegen verfolgen und sie auch noch um das Ihrige bringen, und wie sie das vor ihren eigenen Kindern verantworten sollte?

Die Kinder seines Herrn sollten nicht betteln, solange er lebte, sagte Wegner, und die Brüder Gottwald würden sie auch nicht im Stiche lassen.

Ach, das wäre doch ein klägliches Leben! rief Anna Ursula. Und Wegner könne doch allein gegen die Übermacht des Antichristen nicht an. Er sähe ja, daß Anna Elisabeth ganz bereit zum Übertritt und Christoph Leopold sogar darauf erpicht wäre. Mit dem Kleinen würde es wohl einen harten Kampf geben, der wolle von seinen lutherischen Liedern und Gebetlein durchaus nicht lassen, verstecke sich und trotze, wenn die Jesuiten kämen; aber Anna Elisabeth habe leichtes Blut, verlange nach Lust und Lachen, und Christoph Leopold wolle durchaus ein großer Herr sein. Da werde auf die Dauer kein Widerstreben helfen.

Es gefalle ihm nicht, sagte Wegner, daß Christoph Leopold so schweigsam und so hinterhältig sei. Das sei seines Vaters Art nicht gewesen, der habe wohl auch leichtes Blut gehabt, aber man habe ihm doch nicht zürnen können, weder im Glück noch im Unglück.

Ach, bat Anna Ursula, Wegner solle ihr versprechen, die armen Kinder nicht zu verlassen, wenn sie auch schwach wären und papistisch würden. Er könnte sie doch zuweilen an das teure Gotteswort erinnern und ihnen etwa noch zur ewigen Seligkeit verhelfen.

Nach einigem Besinnen sagte Wegner, er habe es seinem armen verstorbenen Herrn versprochen, sie nicht zu verlassen, und wolle es halten, obwohl es ihm oft ins Herz schnitte, zu sehen, was er sähe. Daß es so schnell gehen würde, hätte er sich nie träumen lassen.

Anna Elisabeth, die anfangs untröstlich über den Verlust ihres Vaters gewesen war, ließ nun wieder ihr Lachen hören, das bald hell plätscherte, bald leise rieselte und zuweilen wie eine glitzernde Kaskade sprang und jubelte. Wenn sie ihrer Tante oder Wegners ansichtig wurde, fiel sie ihnen um den Hals und bat sie, nicht grämlich zu sein, die Messe sei gar nicht so arg, wie sie dächten, die Priester und auch die Jesuiten wären gute, freundliche Leute, der Teufel könne nicht dabei im Spiele sein. Sie behalte ja doch ihr altes Herz, das könne ihr niemand nehmen und umwandeln; ob sie glaubten, sie hätte sie weniger lieb als früher? Sie würde sich dankbar erweisen, wenn sie erst wieder in Trachenberg oder auf dem Kynast wäre.

Ach, sagte Anna Ursula lächelnd und seufzend, sie solle sich nicht zuviel einbilden, das habe der Kaiser schon alles vergeben; wenn sie nur das kleinste, schlechteste Gütlein behielten, müßten sie sich glücklich schätzen.

Nun, sagte Anna Elisabeth nach einer Pause, sie müßte doch einmal heiraten, ihr Gemahl würde ja auch Güter und ein Schloß haben, dahin wolle sie Wegner mitnehmen. Sie würde die Heirat davon abhängig machen, daß ihr Mann es erlaubte.

Da der Kaiser den Wunsch aussprach, Anna Elisabeth, von der er gehört hatte, daß sie sehr schön sei, zu sehen, begab sich die Tante mit ihr nach Wien, wo sie im Hause des Grafen Schlick Aufnahme fanden. Während der Kaiser in Gesellschaft seines Sohnes Leopold Wilhelm ihren Besuch erwartete, sagte dieser, wenn die Kinder sich bequemt hätten, müsse ihnen doch von den vielen Gütern ihres Vaters etwas zugesprochen werden.

Ja, das sei eine heikelige Sache, sagte der Kaiser, es sei schon so viel ausgeteilt und versprochen, daß er sich schier nicht zu helfen wisse. Er würde in des Teufels Küche kommen, wenn er dem Hatzfeld Trachenberg nicht ließe. Solche Eile habe es am Ende auch nicht. Schlick habe gemeint, man dürfe mit der Gnade nicht zu flink sein, sonst habe es das Ansehen, als wolle man ein Unrecht wieder gutmachen. Das Mädchen müsse man so schnell wie möglich verheiraten, damit es versorgt sei.

Als die Erwartete hereingeführt wurde, machte sie Miene, dem Kaiser, wie es sie gelehrt war, zu Füßen zu fallen, woran er sie hinderte. Zuerst solle sie einmal den Schleier zurückschlagen, sagte er, sie sähe ja wie eine alte Parze aus, die ihm den Lebensfaden abschneiden wollte. Er winkte Leopold Wilhelm, mit der Kerze, die auf dem Tische stand, zu leuchten, denn es war Abend, und schaute ihr nah ins Gesicht und schlug dann in komisch übertreibender Bewunderung die Hände zusammen. Ja, nun sei er einverstanden damit, sagte er, daß sie einen dicken Schleier trüge, sonst bräche das Gesichtlein allen Männern die Herzen und wäre er zuletzt ein Herr ohne Diener. Er müsse ihr durchaus einmal über die Wangen streichen, ob sie gemalt wären.

Nein, sie male sich nicht, sagte Anna Elisabeth rasch, sie sei nur rot, weil das Herz ihr so stark geklopft hätte.

Ach, sie müsse keine Angst vor ihm haben, lachte der Kaiser, sie sei viel gefährlicher als er, und er wolle sie geschwind in einen Käfig sperren, damit sie nicht noch schlimme Stücklein anrichtete.

Anna Elisabeth schlug die Augen nieder. Sie sei noch jung, sagte sie, habe zur Zeit noch nicht an Heiraten gedacht.

Nun, sie solle gestehen, fuhr der Kaiser fort, warum sie von dem Lamboy nichts wissen wolle; er sei doch ein hochangesehener, vortrefflicher, auch stattlicher General.

Anna Elisabeth warf einen hilfesuchenden und zugleich mutwilligen Blick auf den Kaiser. Der Lamboy schnaufe so stark, sagte sie, er komme ihr vor wie ein Bär, und einen solchen könne sie doch nicht heiraten.

Darüber lachte der Kaiser bis zu Tränen und tröstete sie, er wolle sie nicht wider ihren Willen verheiraten, habe es eben erst seinem Sohn, dem Leopold Wilhelm, versprochen. Vielleicht habe das Fräulein seine Augen schon auf einen anderen geworfen?

Anna Elisabeth errötete und machte ein frommes Gesicht. Sie unterwerfe sich dem gnädigen Willen des Kaisers, sagte sie leise.

In der Tat hatte sich ihr Herz für einen Obersten in polnischem Dienst, Jakob von Weiher, entschieden, den sie, da er ein häufiger Gast ihres Vaters gewesen war, seit ihrer Kindheit kannte, und sie war beglückt, als die erwünschte Verlobung zustande kam. Der Kaiser selbst rüstete ihr die Vermählung aus und ordnete an, daß sie in Regensburg bei Gelegenheit der dort tagenden Kurfürstenversammlung gefeiert werde. Am Hochzeitsmorgen begab sich Konstantin von Wegner schweren Herzens zur Braut, die schon geputzt war und wie ein von Frühtau benetztes Rosenbäumchen funkelte. Als ein runder Heiligenschein stand das blonde Gekräusel des Haares um das lachende Gesicht herum, und über der rosigbraunen Haut lag ein silberner Schimmer, wie wenn sie sich gepudert hätte. Er warf einen Blick auf ihren Arm und sagte, sie habe ja das Brasselett nicht, das ihr Vater ihr vor seinem Tode vererbt habe. Ja, das hätte sie fast vergessen, sagte sie, holte es aus einer Kassette hervor, küßte es und schob es über die Hand. Dann schlang sie beide Arme um Wegners Hals und sagte, sie könne sein liebes altes Gesicht nicht traurig sehen. Heute sei ja ein Freudentag! Auch ihr Vater würde froh sein, wenn er ihr Glück sehen könnte. Wegner nickte. Aber wenn sie über den Platz ›Auf der Heide‹ führen, sagte er, solle sie ihres armen Vaters gedenken und daß er ritterlich in unverschuldeten Tod gegangen sei.

Anna Elisabeth versprach es, und als die Kutsche, in der sie neben der Gräfin Schlick saß, am Gasthof zum Goldenen Kreuz vorbeirollte, sah sie aus dem Fenster und versuchte sich vorzustellen, wie er aus jener Tür gegangen und auf das Schafott zugeschritten war; aber die aufgeregte Erwartung, welchen Eindruck sie auf ihren Bräutigam und die Hofgesellschaft machen und was der Kaiser zu ihr sagen würde, zerstreute das Bild im Entstehen.

Inzwischen hatte Wegner mit sich gekämpft, ob er in den Dom eintreten sollte. Es war ihm, als dürfe er das Kind nicht ohne Aufsicht lassen, bis es demjenigen anvermählt sei, der künftig sein Beschützer sein würde. Konnte er andererseits seinem Gewissen Gewalt antun und der abscheulichen Abgötterei beiwohnen, an der die Tochter des armen Märtyrers teilnahm? Er beschloß, am Portal stehenzubleiben und dort das Ende der heillosen Zeremonie zu erwarten. Eine nach der andern sah er die Kutschen und Sänften ankommen, aus denen die Herrschaften stiegen; der Kaiser, vergnügt, wenn auch müde, Graf Slawata, gekrümmt und etwas vernachlässigt in der Kleidung, mit gottseligem Lächeln, die popanzartig hergerichteten Damen. Wie er die Bettler, zwischen denen er stand, die Hände ausstrecken und Almosen empfangen sah, dachte er, dahin möchte es leicht mit ihm kommen, wenn seine Herrschaft nichts mehr von ihm wissen wollte. Vielleicht würde sein Anblick ihnen bald ein lästiger Vorwurf sein, wenn er auch zu allem schwieg, was er nicht ändern konnte. Anna Elisabeth zwar hing an ihm wie an einem Vater, sie würde ihn niemals verlassen können. Hatte sie auch einen leichten Sinn, so war ihr Herz doch gut; er hätte lieber an sich selbst als daran zweifeln mögen. Es fiel ihm ein, während er dastand und träumte, sich ein Zeichen zu machen; wenn sie beim Herausgehen aus der Kirche sich nach ihm umsehen und ihn finden würde, sollte das bedeuten, daß ihr Herz gut bleiben und daß sie ihn nie verlassen würde.

Er wartete mit Ungeduld, und doch hätte er die fliehenden Minuten gern zurückgehalten; ja allmählich wurde seine Aufregung so groß, daß seine Knie zu wanken anfingen und er am liebsten fortgegangen wäre, um der Entscheidung auszuweichen. Endlich entstand eine Bewegung unter den Zuschauern, sie drängten vom Portal zurück und machten den Weg frei, und da kam sie am Arm ihres Mannes, der eine hohe, pelzbesetzte polnische Mütze trug und sich mit einem Tüchlein den Schweiß von der Stirn trocknete. Sie blieb stehen, witterte mit der feinen Nase die wohltätige Luft, blickte um sich, und nun, als wäre ihr plötzlich etwas Schönes eingefallen, drehte sie den Kopf dahin, wo er stand, und nickte ihm eifrig zu, während ein glückliches Lachen über ihr Kindergesicht flog. Die Tränen liefen ihm aus den Augen, und er schalt sich einen grämlichen, lieblosen Zweifler. Er gelobte sich, bis an seinen Tod für sie betend und über sie wachend bei ihr zu bleiben, ja bis über den Tod hinaus, wenn Gott es gewährte, damit er sie am Tage der großen Auferstehung ihrem Vater in die Arme führen könnte.

*

Am Vorabend des Wahltags, als der König von Ungarn aus dem Dome kam, wo er Andacht gehalten hatte, drängte sich der alte Slawata an ihn und bat unter vielen Entschuldigungen um Gehör. Der junge Eggenberg lasse ihm keine Ruhe, daß er es anbringe, sagte er, habe ihn sogar während der Andacht am Ärmel gezupft und ihn gemahnt; er prätendiere nämlich, bei dem großen Bankett an der kaiserlichen Tafel zu sitzen, was nicht vorgesehen und eigentlich gar nicht zu billigen und zuzulassen sei. Doch könne er es nicht verschweigen, denn der junge Mann sei ganz exasperiert, werde den Acheron in Bewegung setzen, um durchzudringen.

Der König lud Slawata ein, mit in seine Kutsche zu steigen, damit sie sich besprächen. Ihm komme der junge Eggenberg recht unbescheiden vor, sagte er, er poche allzusehr auf die Gnade, in der sein verstorbener Vater bei seinem Vater gestanden hätte.

Es sei nur zu fürchten, sagte Slawata, daß er sich an den Kaiser zu machen wüßte. Bisher habe er ihn zurückgehalten mit Vorstellung, daß die Majestät leidend sei. Man müsse auch dem jungen Eggenberg nachsagen, daß er sehr fromm sei und mehr spendiere als sein Vater. Er habe schon mehrere Jesuitenkollegien gestiftet und erst kürzlich wieder ein Stift für die unbeschuhten Karmeliter in Graz.

Nach einigem Nachdenken sagte der König, Gott habe alles so wohl geführt, er wolle an diesem Tage nach Möglichkeit jedem billigen Wunsche Rechnung tragen. Auch getraue er sich nicht, den Eggenberg ohne seines Vaters Vorwissen abzuweisen, Slawata solle die Sache lieber diesem vortragen und ihm verschweigen, daß er vorher schon mit ihm, dem König von Ungarn, darüber gesprochen hätte.

Der Kaiser kniete vor einem Kruzifix, den Rosenkranz durch die Finger ziehend, und stand mühsam auf, als Graf Slawata sich melden ließ. Er habe nun eine Stunde lang fließend gebetet, sagte er ihm, habe auch mit der Kaiserin zwei Wallfahrten gelobt, darum habe er gewisse Zuversicht, daß morgen alles gut gehen werde. Die Kurfürsten wären ja so willig und dienstfertig, dahin habe er es endlich gebracht, und könne das Reich seinem Sohne in weit besserem Zustande übergeben, als er es zu seiner Zeit übernommen hätte.

Die Wallfahrt möchte wohl geradeswegs in den Himmel gehen, dachte Slawata bei sich, indem er des Kaisers heroische Laufbahn rühmte, und kam dann auf die Angelegenheit des jungen Eggenberg zu sprechen. Dem Kaiser sei es ja bekannt, sagte er, daß er des verstorbenen Eggenberg Freund nicht durchaus gewesen sei; aber das sei nun alles vergessen und vergeben, er wolle alles in die Gnade des Kaisers stellen.

Das sei doch recht lästig, sagte der Kaiser, daß der Eggenberg so hoch hinaus wolle, er habe es schon bemerkt; er sei dabei nicht so treuherzig, wie sein Vater gewesen sei, auch nicht so fleißig. Er habe noch nie etwas Schriftliches von ihm gesehen.

Aber fromm sei er, sagte Slawata, er versäume keine Messe.

Ja, sagte der Kaiser, ihm wäre es ja auch recht, wenn nur die Kurfürsten nicht wären. Die wären hoch empfindlich und würden es gleich als Ehrenkränkung auffassen; und da sie so manierlich wären, sollten sie auch nicht meinen, daß er sie gar wie Kamele hielte und ihnen etwas Ungebührliches aufschnallte.

Sie wären oft genug störrische Esel gewesen, meinte Slawata.

Ja, wenn er an Anno 30 dächte, lachte der Kaiser. Nun, am Ende möchte er es dem Eggenberg auch nicht abschlagen.

Es könne ja bemerkt werden, schlug Slawata vor, daß es niemandem zum Präjudiz geschehen solle.

Den Reichsstandsitz könne er freilich nicht darauf gründen, sagte der Kaiser; ob er sich darüber auch habe verlauten lassen?

Er brüte über etwas, sagte Slawata, es werde wohl nach einer Weile ausbrechen. Mit dem bloßen Fürstentitel werde es nicht getan sein.

Nun, kicherte der Kaiser, wenn er gar nicht nachließe, könne man ihm Aquileja anhängen. In den Sumpf habe sich noch niemand setzen wollen.

Slawata lachte ebenfalls. Er wolle sich's merken, sagte er, aber nicht vorzeitig damit hervorrücken.

Die Anwesenheit Eggenbergs an der Haupttafel erregte die Unzufriedenheit der Fürsten in hohem Maße, und sie äußerten sich am folgenden Tage sehr aufgebracht darüber. Er habe es vor Jahren bei einer gewissen Gelegenheit gleich gesagt, sagte der Kurfürst von Sachsen, daß aus den Standeserhöhungen kein Segen blühe, und er bleibe dabei. Dergleichen Neuerungen müßten dem Reich freilich den Untergang bereiten. Der alte Eggenberg sei gut und recht gewesen, habe sich auch nicht überhoben; aber jetzt wolle jeder etwas Besseres, das sei französische Sitte. Er, als ein biederer altdeutscher Fürst, wolle sich dawidersetzen, streng am alten halten.

Ihm gefalle es überhaupt nicht in Regensburg, sagte Kurfürst Georg Wilhelm, und dem römischen König sei nicht zu trauen, er könne kaum recht Deutsch, setze den Fuß wie in Spanien; wenn er nach Berlin käme, würden die Gassenbuben ihn auspfeifen.

Wenn er Frankreich nicht hätte das Maul stopfen müssen, brummte Johann Georg mißmutig, hätte der Habsburger ihm keinen Finger an die Krone legen dürfen. Diese neukreierten Fürsten lasse er sich aber doch nicht auf die Nase setzen. Es fange jetzt an davon zu hüpfen im Römischen Reich, wie nach dem Regen von Fröschen auf der Landstraße. –

Früh am 23. Januar brach der Kaiser mit seiner Gemahlin von Regensburg nach Wien auf. Es war ein Tag gewählt worden, an dem er sich leidlich wohl befand und Aussicht hatte, die Reise gut zu bestehen. Als er im Wagen bei der Donau anlangte, wo das Schiff ihn erwartete, lag noch dichtgeballter Dunst über dem Wasser, den die eben aufgehende Sonne mit feurigen Geschossen schmelzen zu wollen schien; aber es gelang ihr nicht, die kalte Nebelmasse ganz aufzulösen. Den Aussteigenden empfingen Bürgermeister und Räte und trugen ihm die flehentliche Bitte der Bürgerschaft vor, er möge die Stadt beim Reiche behalten und nicht wieder an Bayern überlassen. Der Kaiser nickte freundlich und sagte, er sei überzeugt, die Stadt sei belehrt und werde sich nicht wieder verführen lassen, es solle nun alles vergeben und vergessen sein; dann ließ er sich auf das Schiff führen und setzte sich auf einen von der Sonne eroberten Fleck, während seine Gemahlin mit ihrem Gefolge sich in die für sie hergerichtete Kabine begab. Wie das Schiff sich schwerfällig in Bewegung setzte, blickte er nach der Stadt hinüber, die wachsend durch den leicht geröteten Nebelvorhang drang; mächtig schwebten die Türme des Domes näher. Nun wäre diese Arbeit zum letzten Male getan, dachte der Kaiser. Es fiel ihm ein, wie er das erstemal, im Jahre 1608, als Stellvertreter seines Oheims Rudolf den Reichstag eröffnet hatte, wie er sich damals hatte plagen müssen und doch zuletzt nichts ausgerichtet hatte. Und es war doch schön gewesen, schöner, so schien es ihm jetzt, als jemals nachher. Wie der gefrorene Schnee unter den Pferden gekracht hatte in jenem kalten Winter und wie die Eisblumen selbst im erwärmten Zimmer die Fenster gleichsam mit weißem Gobelin bedeckt hatten! Wie gern er sich damals schön gekleidet und sich öffentlich gezeigt hatte! Und wie er die Briefe von zu Hause erwartete und sich nach seiner Mutter, seiner Frau und seinem Erstgeborenen bangte, die nun alle lange tot waren!

Die Augen fielen ihm zuweilen über diesen Bildern zu, und dann flossen sie durcheinander und verschwanden ganz, bis ihn ein Geräusch auf dem Schiffe weckte. Plötzlich fiel ihm die Schule von Ingolstadt ein und die Abschiedsfeier, die seine Lehrer und Mitschüler für ihn veranstalteten, als er nach seines Vaters Tode die Universität verließ. Die Knaben waren als Genien gekleidet, trugen Blumenkränze in den Haaren und sagten Gedichte auf, in denen sie seine Tugend und erworbene Gelehrsamkeit priesen und seinen Verlust beklagten. Das, dachte er, während die turmüberragten Dächer von Regensburg sacht in den Dunst der Ferne zurückwichen, wäre doch der allerschönste Augenblick seines Lebens gewesen. Ob er noch etwas davon wiederfände, wenn er nach Ingolstadt ginge? Aber zuerst mußte er ja die gelobten Wallfahrten ausführen, damit er, wenn Gott ihn abriefe, alle mögliche Vorsorge für sein ewiges Heil getroffen hätte.

Einige Tage, nachdem der Kaiser in Wien angekommen war, starb er in den Armen seines Freundes, des Oberjägermeisters von Mansfeld.

*

In der Freigrafschaft ritt Herzog Bernhard auf müdem Pferde über die mit kurzem Gebüsch bewachsenen Hügel des Jura. Wie ein Schiff das Wasser durchschneidend eine Schaumstraße hinter sich läßt, glomm der Westen noch über der versunkenen Sonne, überall sonst war matte weiße Helligkeit. Jenseits von schwarzen Hügeln und Tälern erstreckte sich unabsehbar die Ebene, aus der man zuweilen den Rhein aufblitzen sah.

Bernhard dachte über die Möglichkeit nach, den Rhein vom baselschen Gebiet aus zu überschreiten. Würden die evangelischen Eidgenossen ihm den Durchzug gestatten? Wäre es besser, einem möglichen Abschlag durch die Tat zuvorzukommen? Würde er imstande sein, wider ihren Willen den Übergang zu erzwingen, und würde er gut tun, das zu wagen? Und wenn es mißlang, was blieb ihm dann übrig? Sollte er dann Richelieu mit seinem Abfall drohen und dadurch wirksamere Unterstützung von ihm erpressen? Er hatte über dies alles seit vielen Tagen schon so viel nachgedacht, daß er kaum noch etwas anderes denken konnte. Wie von dem unerreichbaren Ufer einer anderen Welt her hörte er die süße Musik schlagender Nachtigallen; er vernahm sie und fühlte sich doch davon ausgeschlossen. Er hätte viel darum gegeben, wenn er vom Pferde steigen, sich in das Gebüsch hätte werfen und laut klagen können, um dann zu schlafen. Warum tat er es nicht? Er raste weiter mit seinen Gedanken, wund und müde wie sie, ohne sie und sich selber aufhalten zu können.

Ein Adjutant kam und fragte den Herzog, ob er etwas essen wolle; etwa eine Stunde weit sei ein Dorf, woher man etwas für ihn holen könnte. Bernhard schüttelte den Kopf und dankte; er habe ein Stück Brot in der Tasche, das genüge ihm.

Die Feuerspur des versunkenen Sonnenschiffes erlosch. Nun war nirgend mehr Farbe; aber aus allen Poren des Himmels und der Erde strömte ein starker, unnennbarer Duft. Bernhard dachte plötzlich an seinen Bruder Johann Friedrich, der sich, wie es hieß, dem Teufel verschrieben hatte und einen schändlichen, verzweifelten Tod gestorben war. Jetzt wußte er, wie hart man kämpfen mußte, um den Nachstellungen des Höllenfürsten zu entgehen. Hätte der Glaube ihm nicht den Panzer umgeschnürt und das Schwert umgegürtet, so hätte der allgegenwärtige Feind wohl längst einen Augenblick erspäht, wo er aus Schwäche sich hätte überwältigen lassen. Es fiel ihm ein, wie der verstorbene Schwedenkönig vor der Schlacht bei Lützen gesagt hatte: ›Der Herr ist mein Harnisch‹; und indem er daran dachte, richtete er sich unwillkürlich gerader auf, lächelte und hielt sein Pferd an, um die ihm folgenden Begleiter zu erwarten.

Seit er Nachricht von Herrn von Erlach erhalten habe, sagte er munter zu den Herren, habe er großes Vertrauen zur Sache. Erlach sei aus angesehenem Berner Geschlecht, stehe in hohem Respekt bei den evangelischen Eidgenossen; er würde es den Baslern gewiß beibringen, daß sie ein Auge zudrückten.

Wenn sie im Bistum Basel Quartiere bekämen, sagte einer von den Offizieren, dann wäre ihnen geholfen. Dann könnten sich die Soldaten einmal recht erquicken, da wäre Überfluß.

Lieber noch wollte er doch stracks über den Rhein gehen, sagte Bernhard.

Ein paar Tage später, als Bernhard in der eroberten Abtei Lüders lag, traf Erlach bei ihm ein; der Herzog ging ihm entgegen, umarmte ihn und sprach seine Freude aus, ihn wiederzusehen.

Erlach nickte und lachte. Wenn es dem Herzog recht sei, sagte er, so blieben sie jetzt ein Weilchen beisammen. Er müsse sich einmal auslüften. Wäre man so lange draußen in der Welt gewesen, so gefiele es einem zu Hause nicht mehr.

»Ich wollte, ich hätte ein Zuhause«, sagte Bernhard.

Nun, entgegnete Erlach, das habe er doch. Sie würden ihn daheim wohl mit offenen Armen aufnehmen.

Ja, in Weimar, sagte Bernhard; da dürfte er vielleicht Kräuter für die Apotheke trocknen.

Eben, eben, lachte Erlach; dazu brauche man kein Held und Herzog zu sein.

Ein Imbiß war vorbereitet worden, und sie setzten sich einander gegenüber in den Schatten des Zeltes; Bernhard sprach von der bösen Zeit und wie er manchmal am Verzagen gewesen sei. Daß sein Oheim Johann Georg ein Judas sei und das Vaterland verraten habe, das hätte man erwarten können; aber eine bittere Erfahrung sei es, daß auch die anderen abtrünnig geworden wären. Selbst der Landgraf werde nur mühsam mit Tonnen Goldes beim französischen Bündnis gehalten.

Es sei freilich mißlich, ohne Geld Krieg zu führen, meinte Erlach. Der Landgraf habe alles Seinige zugesetzt, und seine Ritter rückten nichts heraus. Er habe ja jetzt bis auf Gröningen zurück müssen, nachdem halb Hessenland abgebrannt sei.

»Was macht das?« sagte Bernhard. »Er hat ein Heer und ein Schwert.«

»Ohne Geld kann er sich das auch nicht erhalten,« sagte Erlach, »und Geld ist nur bei Frankreich zu finden.«

Bernhard klagte über Frankreich, daß sie ihn mit Versprechungen an sich zögen, in der Hoffnung, durch ihn zu gewinnen, zugleich aber fürchteten, er könne mächtig und selbständig werden, und ihn deshalb im Stiche ließen.

So hätten sie es ja mit Gustav Adolf auch gemacht, sagte Erlach. Wer sich mit Frankreich einließe, müsse Augen und Ohren offen halten. Sonst könne man sich auch keine Achtung bei ihnen verschaffen. Aber nach seiner Meinung sei Bernhard auf dem rechten Wege. Er sei der Mann für ein Wagnis. Frankreich sei nun einmal der natürliche Verbündete der Evangelischen im Reiche sowie in der Schweiz; im Kriegswesen wären sie aber rückständig, darum bedürften sie der Deutschen, und könne jeder bei dem Handel zu seinem Rechte kommen. Wenn Heinrich IV. nicht gestorben wäre, hätte man es freilich leichter gehabt. Zwei Todesfälle hätte er nun erlebt, die zur Unzeit gekommen wären: Heinrichs IV. Tod und Gustav Adolfs.

Bernhard verfiel in Gedanken. Was Gottes Absichten dabei gewesen sein möchten, sagte er, daß er gerade diese beiden Beschützer des evangelischen Wesens so früh abgerufen hätte!

Gott könne wohl auch einmal daneben greifen, schmunzelte Erlach. Übrigens mißfiele es ihm vielleicht, wenn sich alle zu sehr auf einen verließen und einen vergötterten. Freilich wären die Menschen einmal so. Wie wäre es in seiner Jugend mit Moritz von Oranien gewesen! Hätte einer unter dem etwas mitgemacht, so hätte er geglaubt, die ganze Kriegswissenschaft im Leibe zu haben. Und die Niedergeschlagenheit, als damals vor Jülich die Nachricht von Heinrichs IV. Tode gekommen wäre! Er fing an, sich in Erinnerungen zu ergehen, wie lustig das Lagerleben damals gewesen wäre, wie es fast alle Tage Zweikämpfe und Bankette und Zechereien gegeben hätte. Er sei wohl dabeigewesen, habe aber weder mit duelliert noch mit gesoffen, weil er seinem Vater versprochen gehabt hätte, vor dem achtzehnten Jahre nicht damit anzufangen. Das habe er auch gehalten, habe immer die Betrunkenen mit ins Bett tragen können.

Bernhard hörte mit ungewohntem Behagen zu; er kam sich dem um etwa fünfzehn Jahre älteren, festen, breiten, kühlsinnigen Berner gegenüber fast wie ein Kind vor und fühlte sich wohl dabei.

Von allen Feldherren, unter denen er gedient habe, erzählte Erlach, wären Moritz von Oranien und Gustav Adolf die besten gewesen. Bei denen wäre es nicht kreuz und quer, sondern gerade auf ein Ziel zugegangen; Oranien sei kaltblütiger und dadurch auf einer Seite im Vorteil gewesen, doch habe er sich auch nie so weit expandieren können wie der Schwede. Jetzt sei keiner da, der seine Stelle einnehmen könnte, außer Bernhard.

»Ich hatte es auch einmal gedacht,« sagte Bernhard, »aber ich bin kein König, sondern muß einem Könige dienen.«

Das werde schon anders kommen, tröstete Erlach, und hernach werde sein Ruhm desto größer sein. Was an ihm sei, so wolle er sich gern für Bernhard und die gemeine Sache einsetzen. Zuerst hoffe er zu erwirken, daß die Basler ihn durchpassieren ließen. Lust hätten sie wohl dazu, es fehle ihnen nur an Mut.

Wie Erlach ihnen denn Mut machen wollte? fragte Bernhard.

Das Maul voll nehmen und Sprüche machen, lachte Erlach. Die Donnerhagel von katholischen Eidgenossen nähmen sich alle Tage mehr heraus, weil man zuviel Umstände mit ihnen machte. Es möchte ja beim katholischen Bekenntnis auch rechte Leute geben, aber eine Schlamperei sei es doch, und im eignen Hause dürfe man es nicht leiden. Solange die Eidgenossenschaft den Krebs im Eingeweide hätte, würde es nie Ruhe und Ordnung geben. Schelme und Verräter wären die katholischen Orte, die jeden Tag Österreich und Spanien einlassen würden, wenn ihnen die Evangelischen nicht aufpaßten. Hundertmal in diesem Kriege hätten sie Österreich Vorschub geleistet, das sei jedermann bekannt, und doch hätte man Bedenken, wenn es gälte, die evangelische Sache zu fördern. Die österreichische Nachbarschaft im Elsaß habe ihnen genug zu tun gegeben, eine evangelische wäre ihnen lieber. Hätten also Ursache, Bernhard die Hand hinzustrecken, wenn er hinüberspringen wollte.

Er beanspruche ja nicht viel, sagte Bernhard, die Basler brauchten nicht für ihre Güter und Vorräte zu fürchten. Korn brächte er mit; wenn die Basler es ihm nur backen wollten, so bedürfe er nichts weiter.

Um so besser, sagte Erlach, die Basler wären nicht wie die Nürnberger, steuerten womöglich nichts umsonst, außer etwa ein Gebet.

Unter heimlicher Begünstigung der Straßburger gelang es Bernhard, nachts bei Rheinau den Strom zu überschreiten und sich so fest zu verschanzen, daß seine Stellung für uneinnehmbar gehalten wurde. In der Tat prallte ein Angriff ab, den Johann von Werth trotzdem wagte; dennoch vermochte Bernhard seinen Erfolg nicht auszunützen. Außer Werth führten auch Savelli und Speerreuter ihre Truppen gegen ihn heran; diese vereinigte Macht zu durchbrechen, war Bernhards Heer nicht stark genug, und umsonst bat er Richelieu um Unterstützung. Während des Stilliegens in den Schanzen ging der Proviant aus und rissen Seuchen ein, der Herzog selbst war oft krank. Unglücksnachrichten schlugen seine Hoffnung nieder, namentlich daß die Festung Hanau, die als Verbindungspunkt zwischen ihm und Hessen wichtig war und die der schottische Oberst Ramsay lange mit Geschick gehalten hatte, endlich hatte akkordieren müssen. Diejenige Abteilung seines Heeres, die von der Schweizer Seite aus den Rhein hatte überschreiten sollen, kehrte kläglich herabgemindert zu ihm zurück, da die Baseler trotz der Bemühungen Erlachs den Durchzug abgeschlagen hatten.

Im September mußte Bernhard sich entschließen, Rheinau zu verlassen und Winterquartiere zu suchen. Die Schanzen, deren Verteidigung er einem französischen Offizier übertragen hatte, wurden bald durch Johann von Werth erobert, womit die einzige kostbare Frucht des mühseligen Feldzuges verloren war.

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