Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Enzio war inzwischen aus dem Haus gelaufen. Ruhelos trieb ihn der Gedanke an Irene um. War alles schon entschieden, ihr Entschluß gefaßt? – Ich warte noch bis heute nachmittag! Dann gehe ich zu ihr. Aber ich muß ihr Haus sehn, wenigstens will ich ihr Haus sehn!

Durch die Parkstraße näherte er sich dem Garten. Ob sie wohl am Fenster hinter der Gardine 492 stand, wenn er jetzt vorbeischritt? Er blieb in der Ferne stehn und spähte durch die entlaubten Bäume. Dann konnte er nicht anders: Er schritt näher, immer hart an der Gartenmauer, bis er dicht am Hause war.

Wie war alles verändert! Wie froh näherte er sich ihm sonst! Wie selbstverständlich trat er ein, in Hoffnung, ihre Gestalt schon irgendwo zu entdecken! Und jetzt stand er wie ein Dieb versteckt.

Immer näher zog es ihn, er wollte nicht, er mußte. Mechanisch ging er durch die Gartentür, aufs Haus zu, die Stufen bis zur Pforte hinauf und läutete. Er hörte drinnen einen Schritt, und nun jagten sich auf einmal die Gedanken.

Der Diener öffnete und sagte, er habe einen Brief für ihn, er liege noch in Irenes Zimmer, er habe den Auftrag gehabt, ihn persönlich in Enzios Haus zu bringen, nun sei er ihm zuvorgekommen.

Enzio lief alles Blut zu Herzen, er starrte ihm nach, dann rief er: Lassen Sie, ich hole ihn mir selbst! und rannte an ihm vorbei, bis vor Irenes Zimmer. Er klopfte. Niemand antwortete. – Irene, ich bin es! Bist du nicht da? – Keine Antwort. Er fragte noch einmal, dann noch einmal, und endlich trat er ein. Der Brief lag mitten auf dem Tisch.

Was soll das? dachte er wie im Schwindel, empfängt man mich hier nicht mehr?

493 Er erbrach den Brief und las ihn stehend. Dann verriegelte er das Zimmer und blieb darinnen bis zum Nachmittag, stumpf und starr.

Ihm war wie jemandem, dem ein geliebter Mensch gestorben ist, den man nicht verlassen kann, solang sein Körper noch dem Lichte angehört. Er konnte dieses Zimmer nicht verlassen.

Endlich klopfte es. Er antwortete nicht. Die Stimme des Professors ertönte. Enzio öffnete.

Mein lieber Junge, was machen Sie denn da! sagte er, blickte ihn an und fuhr ihm aufmunternd durch das Haar: Behalten Sie den Kopf oben, es gibt schlimmere Dinge im Leben als das, was Sie jetzt durchmachen! – Enzio war wie leblos. Der Professor schüttelte ihn: Benehmen Sie sich doch etwas männlicher! Sind Sie ein Waschlappen? Tränen sind für die Weiber! Sie werden noch einmal ein ganzer Kerl, ich wette, übers Jahr sind Sie neu verlobt und glücklicher! Ein Mensch wie Sie bleibt nicht lange traurig. Im Grunde haben Sie ja viel zu viel Lebenslust! Sie vergessen schneller als Irene! Ich sage Ihnen das nicht, um Sie zu kränken, ich meine es ganz aufrichtig und will Ihnen nur Mut machen! Die Menschen sind verschieden, Irene habe ich mit andern Worten getröstet, aber die ist auch viel schwerer veranlagt als Sie! Kommen Sie herab, Enzio, zu einer Tasse Kaffee mit mir, rauchen Sie unten eine 494 Zigarre, oder trinken Sie einen Kognak, Sie sehn ja hundeelend aus.

Enzio schüttelte den Kopf. Adieu, sagte er und reichte ihm die Hand. – Nicht? Sie wollen nicht? Essen und Trinken hilft zunächst immer, gegen alles in der Welt.

Wann kommt Irene wieder?

Das sollen Sie gar nicht wissen. Sie hat Ihnen geschrieben, daß sie mit ihrer Mutter nach Italien gereist ist, und wenn Sie vernünftig sind, müssen Sie einsehn, daß dieser Brief das letzte ist zwischen ihr und Ihnen. Sehn Sie das ein? – Ja, sagte Enzio. – Dann kommen Sie. – Enzio ging, blieb aber auf der Schwelle von Irenens Zimmer noch einmal stehn und warf einen langen, letzten Blick zurück.

*


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