Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Die Jahre gingen hin.

Daß du nicht etwa Papa sagst, daß heute mein Geburtstag ist! sprach Caecilie eines Mittags, als Enzio aus der Schule kam, – ich möchte doch wissen, ob es ihm nicht noch von selbst einfällt.

92 Es fiel dem Kapellmeister aber nicht ein, obgleich sie schließlich Anspielungen machte, indem sie die Rede auf seinen eignen Geburtstag brachte, für den er auch sofort zu einigen Wünschen angeregt ward. In den ersten Jahren ihres Zusammenlebens hatte er sich schon lange vorher auf diesen Festtag seiner Frau gefreut, und seine geheimnisvollen Andeutungen kommender Geschenke hatten sie stets mit noch größerem Glück erfüllt als die Zeichen seiner Liebe selber. Das schien vorbei zu sein. Die letzten Male waren geschäftsmäßig verpackte Kartons ins Haus geschickt, kostbarer, reicher als frühere Geschenke, und dieses Mal war der Tag wie jeder andre. Ein paarmal sah sie ihn mit einem besondern Blick an, der aber nur zur Folge hatte, daß der Kapellmeister sagte: Mein liebes Herz, was stierst du so? und ihr aus dem Wege ging, indem er dachte: Gott weiß, was sie wieder hat.

Am Abend kam dann alles, was sich in Caecilie angesammelt hatte, zur Aussprache.

Du kommst mir vor, sagte sie, wie ein reicher Engländer, der sich bei einer Dame eingemietet hat, die ihm weder sympathisch noch unsympathisch ist, der grade noch pünktlich zu den Mahlzeiten erscheint und im übrigen treibt, wozu er Lust hat.

Wie ein Engländer? fragte er, halb gereizt und halb geschmeichelt, warum grade wie ein Engländer? – Weil das die egoistischsten Menschen 93 von der Welt sind! – Er hatte unwillkürlich schon in den Spiegel gesehn, jetzt wandte er sich zurück und sagte: Caecilie, Egoismus ist wohl das letzte, was du mir vorwerfen kannst! Wir leben nun viele, viele Jahre in der Ehe miteinander, und ich glaube, ich habe nie auch nur das Geringste getan, was egoistisch wäre oder dich verletzen könnte. Wenn jemand verletzt, so bist du es! Hier ist ein gutes Beispiel: Schon heute Mittag merkte ich, daß du nicht eben guter Laune warst, du ließest es mich deutlich genug fühlen, obgleich ich wahrhaftig nicht an deinen Launen schuld bin. Was tat ich? Ich bemühte mich, sie zu übersehen, dachte dann aber: Besser, ich ziehe mich zurück, vielleicht hat sie Kopfweh. Dann vergesse ich das Ganze – du kannst doch nicht verlangen, daß ich immer nur an dein Kopfweh denke – komme heute abend harmlos und zufrieden nach Haus, du bist wieder wortkarg und verstimmt, und plötzlich fährst du ohne jede Veranlassung auf mich los! Erwartest du vielleicht, daß ich dir noch immer wie ein Bräutigam mit offnen Armen entgegenfliegen soll? In unsern Jahren, dächte ich, wäre das vorüber. – Du weißt genau, was ich erwarte, und was jede Frau verlangen kann: Wärme und Freundschaft von dem Manne, mit dem sie sich fürs Leben verbunden hat; einige Gedanken über sich selbst hinweg, aber du, du bist immer nur mit dir allein beschäftigt. – Freue dich, daß es so ist! In meinem Unterbewußtsein aber ist es anders! Traurig, daß ich das aussprechen muß, das solltest du als selbstverständlich annehmen. – Was habe ich von deinem Unterbewußtsein? Das ist nur eine bequeme Ausrede! Und es sollte zum mindesten Tage geben, wo dies Unterbewußtsein etwas wachgerüttelt wird – mein Geburtstag zum Beispiel. –Dein Geburtstag? Er dachte einen Augenblick nach, dann umarmte er sie etwas majestätisch: Ach so, nun verstehe ich! Verzeih, Caecilie, ja, ja, an den hätte ich denken müssen, da hast du recht. Ich werde es um so ausgiebiger nachholen: Stell mir eine hübsche große Liste deiner Wünsche zusammen, morgen früh lasse ich alles kommen. – Als ob es das wäre, was ich vermißt habe! Und ich soll dir eine Liste zusammenstellen! Hast du mir je eine Liste zusammengestellt? Jawohl, das hast du auch, aber habe ich nicht stets Überraschungen für dich gehabt, Erfüllungen von Wünschen, die ich heimlich an dir auskundschaftete, die ich im täglichen Zusammenleben mit dir erriet? Ich verlange nicht, daß du dir um Wünsche für mich den Kopf zerbrichst, ich weiß, du hast an anderes zu denken, aber alles, was du mir sagst, braucht doch nicht nur zu sein: Stell mir eine Liste deiner Wünsche zusammen! – Also ich gratuliere dir! Herzlich und aus voller Seele. Nun, ist dir das immer noch nicht genug? Einen 95 Geburtstagskuß sollst du auch noch extra bekommen, gleich, sofort, hier am Fleck, obgleich ich das eigentlich lächerlich finde. Im Grunde ist doch ein Geburtstag wie jeder andre Tag. Kinder mögen eine besondere Freude daran haben, aber Erwachsene nicht mehr! – So hättest du früher nicht gesprochen! Du bist anders geworden im Lauf der Zeit. – Ich kann mich aber auch nicht mehr so viel um dich bekümmern wie früher! – Das weiß ich wohl! Aber du bekümmerst dich überhaupt nicht mehr um mich! Wenn ich nicht Enzio hätte, so wüßte ich nicht, wie ich es aushalten sollte. – Aber du hast Enzio doch auch! – Diese Antwort ist echt nach dir! Als ob du damit alle Verantwortung von dir abwälztest! Bequem und gedankenlos. – Caecilie, ich bitte dich, einen etwas andern Ton anzuschlagen. Manche Ehen sind gänzlich kinderlos, du bist bevorzugt vor vielen Frauen und solltest dem Geschick und auch mir dankbarer sein, daß du diesen schönen Sohn hast. Und nun bitte ich dich, einmal objektiv die Jahre unsers langen Zusammenlebens zu betrachten; und zwar, dir die Frage zu stellen: Wie war es früher, und wie ist es jetzt. Ich will sie dir gleich beantworten, um es dir leichter zu machen. Dann entscheide, ob du jetzt besser lebst, oder ob du damals besser lebtest: Die ganzen früheren Jahre waren eine Kette von Jammer und Depressionen. Ich rang 96 mit meinem Talent wie Jakob mit dem Engel. Schön waren diese Zeiten nicht für dich, obwohl ich sofort hinzufügen muß: ich hatte es tausendmal schlimmer als du. Denn schließlich handelte es sich doch nur um mich, du saßest unglücklich dabei und sahest dem Zweikampf zu. Du hättest ja auch unmöglich mitringen können. – Wie? fragte Caecilie, ich hätte nicht mitgerungen? Laß deinen Engel fort und rede einfacher! Entweder leidest du an Gedächtnisschwäche oder du bist undankbar! – Ich sage ja auch: schön waren diese Zeiten nicht für dich, obgleich du immer noch deinen Sohn als Ablenkung gehabt hast! – Ich habe keinen andern Gedanken gehabt als den: Wenn du dich doch durchrängest! Ich sah, daß du auf einer falschen Bahn warst, aber wenn ich so etwas auch nur andeutete, so wurde ich zurückgewiesen. Du kannst mir weiß Gott nicht vorwerfen, ich hätte nicht teilgenommen an deinen Kämpfen! – Ich sage ja auch noch gar nichts. – Und was ich unklar vorausgesehen und gewünscht habe, das ist ja dann auch eingetreten: Du hast die schwere, tragische Musik aufgegeben und dich wieder der ursprünglichen Seite deines Talentes zugewandt, du hast seit ein paar Jahren wieder eine leichtere Musik geschrieben und jetzt arbeitest du an deiner komischen Oper, versprichst dir den größten Erfolg davon, und ich kann dir sagen: Ich hoffe mit dir, ich sehe voll Angst und Freude dem 97 Tag entgegen, wo dies Werk von dir aufgeführt wird! – Das brauchst du doch nicht extra zu betonen! Als ob das nicht selbstverständlich wäre! Lenk doch nicht ab! Was ich sagen wollte, ist dieses: Früher habe ich Kämpfe durchgemacht und du hast es wirklich schwer gehabt an meiner Seite. Du hast als tapfere Frau mitgestritten für mich. Jetzt, jetzt habe ich mich wiedergefunden, mein Stern ist im Aufgehen begriffen, ich lebe in einer neuen Welt für mich, die ich ausbaue und vollende – du solltest stolz und froh sein – und nun kommst du mit Vorwürfen und Klagen, wie eine kleine Bürgersfrau, deren Mann tagüber im Bureau ist und dessen Sorgen vorüber sind, sowie er sein Bureau verläßt! Du scheinst keine Ahnung zu haben, was ein Künstler ist, obgleich du es allmählich wissen solltest! Und nun stelle ich dir die Frage: Mußt du nicht jetzt unendlich glücklicher sein als früher? Wo du siehst, daß mein Mühen von Erfolg begleitet ist? Was hast du denn jetzt noch für Kämpfe durchzumachen? Jetzt kommt die Ernte, der Ertrag! Man wird dich beneiden, daß du meine Frau bist! Da sollten doch kleinliche, private Wünsche ganz zurücktreten! Ich habe wahrhaftig keine Zeit und keine Neigung, mich noch um deine häuslichen Sorgen und Interessen zu kümmern, denn das meint ihr Frauen ja doch immer, wenn ihr klagt, daß der Mann sich zu wenig mit euch 98 beschäftigt! Mach mir das Leben leicht und freundlich, laß die Zimmer etwas besser heizen, dann werde ich auch nicht wie ein Engländer herumgehen und mir die Hände wärmen müssen; heute nicht, heute nicht, heute ist es warm genug hier, aber manchmal ist es furchtbar kalt! Du siehst, ich gehe nicht etwa wie ein fremder Geist herum, sondern als Mensch mit menschlichen Bedürfnissen! Laß den Kopf nicht hängen, sondern freue dich nun einmal ordentlich, daß dein Mann es zu etwas Rechtem bringt! Du wolltest mir immer eine Kameradin sein: Jetzt ist die Zeit gekommen, es zu zeigen! – Entweder du verstehst mich nicht, sagte Caecilie, oder du willst mich nicht verstehen. Mit kleinlichen Hausfrauensorgen habe ich dich stets verschont und du irrst dich, wenn du denkst, daß es solche Sorgen seien, in denen ich deine Teilnahme vermisse. Du hast recht, wenn du sagst: Wir sind keine Brautleute mehr und eine Ehe wandelt sich allmählich. Aber muß sie sich denn so wandeln, daß man wie Tiere in einer Menagerie umhergeht? Denn so ungefähr ist es; so ungefähr benimmst du dich. – Ich bin eben oft zerstreut, das mußt du mir doch nachfühlen können! Du hast keine Ahnung, was für Fragen in meinem Kopf herumgehen, und wie schwer es ist, sie alle durchzuarbeiten, ganz allein; ob nun ein Werk heiter oder tragisch ist: heiligen Ernst verlangt es immer! Es steht dir 99 wahrhaftig schlecht zu Gesicht, mir Zerstreutheit vorzuwerfen: Mich hindert doch meine Zerstreutheit nicht, so wie es sich für einen Vater und Gatten gehört, zu Haus zu bleiben! Erinnere dich, was du einmal getan hast, wie du dich stark mit einer Sache beschäftigtest: Da bist du auf und davon gegangen und hast Mann und Haushalt im Stich gelassen! Jawohl, das hast du getan, und mich in die größte Angst und Sorge versetzt! – Muß ich denn das immer und immer wieder hören? – Bloß weil dir ein Roman gefiel, den du fertig lesen wolltest! Alles andre war dir gleichgültig, und mich hattest du gänzlich vergessen! – Du scheinst immer noch keine Ahnung zu haben, daß grade du es warst, an den ich fortgesetzt dachte! An niemand weiter! Schon damals vermißte ich etwas in dir, und das ist mit den Jahren mehr und mehr gewachsen. Es ist nicht Zerstreutheit, was ich in dir fühle, es ist Gleichgültigkeit! Deine Augen sind leer, wenn sie mich ansehen, ich habe kaum eine Erinnerung daran, wie sie früher waren, in unsrer schönen Zeit. – Aber Caecilie! Er trat auf sie zu, sie weinte.

Ähnliche Gespräche hatten früher schon stattgefunden, und wie jedesmal nach ihnen, gab sich der Kapellmeister auch jetzt wieder die nächsten Tage etwas Mühe, herzlicher zu sein. Aber bald wurde sein Wesen wieder so flau und indifferent wie zuvor.

100 Was ist es nur, wodurch habe ich ihn denn so ganz verloren? dachte Caecilie oft. Auf den Gedanken, daß zwischen ihm und einer andern eine Verbindung bestehen könne, die nun schon jahrelang andauerte, geriet sie nicht. Manchmal dachte sie auch, sie selbst könne zu dieser Entfremdung beigetragen haben, dadurch, daß sie Enzio zu sehr zu sich heranzog; merkte dann aber immer wieder, daß dieses der Grund doch nicht sein könne, denn wenn sie ihn einmal an einer Erziehungsfrage teilnehmen ließ, lenkte er bald ab, schien jedoch in dem Wahn zu leben, die Quelle alles Guten für Enzio sei er selber. Die Musikstunden wurden zwar noch fortgeführt, aber längst nicht mehr so regelmäßig wie früher. Manchmal fragte sie sich, ob es nicht falsch von ihr gewesen sei, daß sie ihrem Mann niemals in ihrem ganzen Leben einen Anlaß zu einer Furcht gegeben habe. Sie fühlte, daß sie nicht die Kunst verstanden hatte, ihn dauernd an sich zu fesseln. Darüber waren ihre besten Jahre hingegangen, freudlos für beide. Aber jetzt, wo sie sich Schritt für Schritt aus der Jugendzeit entfernt hatte, ward sie an ihrem Mann etwas ganz andres gewahr: Er schien sich mit dem Alter noch mehr zu verschönen. Sein Gesicht hatte einen beinah abgeklärten Blick bekommen, sein leicht ergrautes Haar gab dem Kopf einen ausgezeichneten Rahmen, er war eine auffallende Erscheinung, die einen 101 bedeutenden Eindruck machte. Stand diese Friste in einem Zusammenhang mit der Wendung, die sein Schaffen genommen hatte?

Die Oper wurde vollendet, der Klavierauszug gestochen, die Aufführung am Theater vorbereitet; Caecilie dachte: Wenigstens wird dieses ein Tag der Freude werden! Sie wußte nicht, mit welch andern Gefühlen sie auf die Bühne sehen würde und auf ihren Mann, wenn er nach den Aktschlüssen Hand in Hand mit Fräulein Battoni vor den Vorhang trat.

 


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