Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Am nächsten Morgen, zu ziemlich später Stunde, saß er allein auf seinem Sofa und dachte darüber nach, wie dieses alles so plötzlich gekommen war. – Ich war halb wahnsinnig, ich muß halb wahnsinnig gewesen sein, denn jetzt ist es mir unbegreiflich; es riß mich mit fort, ohne Überlegung. Wäre ich doch nicht aus dem Haus gegangen! Dann wäre es nicht geschehn!

Was sollte er nun tun? Er mußte seine Freundschaft mit Pimpernell abbrechen; einen andern Ausweg schien es nicht zu geben. Aber wie sollte er das machen? Sollte er ihr sagen, er habe sich durch ihre Empfindung mitreißen lassen? Dies war noch das Glimpflichste.

Heute, am späten Nachmittag, wollte sie wiederkommen; er hatte nicht den Mut gehabt, darauf zu antworten; aus schuldbewußtem Zartgefühl und aus Feigheit war er beim Abschied so liebevoll und 413 warm gewesen, daß sie sagte: Ach, Enzio, endlich hat uns das Geschick zusammengebracht!

Ein andrer Gedanke schoß ihm durch den Kopf: Wenn er nun gar nichts sagte, auch zu Bienle nicht, und alles gehen ließ, wie es ging? – Das wäre, dachte er, die allererste wirkliche Gemeinheit.

Pimpernell kam, ahnungslos und glücklich. Über Erwarten war sie um einen Riesenschritt ihrem Ziel näher gekommen; sie hätte diesen neuen Zwischenzustand zwar lieber nicht gesehn, aber er mußte rasch überwunden werden.

Enzio war schweigsam. – An was denkst du? fragte sie und suchte ihn an sich zu ziehn. – An meine Freundin. – Ach, Enzio, denk doch nicht an sie. – Nach einer Weile fuhr sie fort: Wollen wir noch vor Ostern oder gleich nach Ostern unsere Verlobungsanzeigen verschicken? Ich glaube, grade zu Ostern wäre vielleicht das beste. Osterglück ist doch noch besser als gewöhnliches. – Enzio lief alles Blut zu Herzen. Denkst du denn, daß wir uns heiraten?! – Ja aber selbstverständlich, ich bin doch ein ehrenhaftes Mädchen, das solch einen Schritt nicht tut, wenn er nicht zur Ehe führt! Und du bist der Sohn aus einer ehrenwerten Familie. – Und meine Freundin? – Die hättest du über kurz oder lang doch verlassen! Sie wird sich bald mit jemand anders trösten! Ich kenne solche Mädchen! Die gehn ganz auf in einer Liebe, aber es wird ihnen 414 dann auch nicht schwer, sie zu wechseln, wenn es sein muß. Sie wird ein paar Tage weinen, das ist alles. Und im Grund mußt du doch zugeben: Irgend etwas in ihrem Wesen ist vulgär und paßt nicht zu dem deinen! Du sagst das ja auch gar nicht im Ernst. – Ein Jähzorn wollte in Enzio aufkochen; aber er beherrschte sich. – So! sagte er; glaubst du, ich werde den Verkehr mit ihr nun aufgeben? – Das mußt du jetzt, denn ich verlange es! – Er machte eine Bewegung, als wenn er ein Netz von sich abschütteln wolle, dessen Maschen er fühle, und rief: Das wäre eine üble Belohnung für alles Gute, was sie an mir getan hat, und dann vergißt du eines: Daß ich sie liebe und nie aufgehört habe sie zu lieben! – Das ist es ja: das darfst du von jetzt an nicht mehr! Ich werde nun sofort unsere Verlobungsanzeigen drucken lassen. – Glaubst du denn im Ernst, wir würden uns heiraten? Ich denke nicht daran, das verspreche ich dir hiermit auf Ehrenwort! – Pimpernell sah wie versteint aus. Aber sie gab noch nicht alle Hoffnung auf: Wenn du nicht willst, so sage ich alles meinem Vater! Du weißt: er ist Schuldirektor. Im Point d'honneur ist nicht mit ihm zu spaßen! Mit der Tochter eines Schuldirektors macht man so was nicht, wenn man es nicht ernsthaft tut! Ich sage dir: er fordert dich auf Revolver und aufs Schwert. – Tu, was du willst, aber ich tue auch, was ich 415 will. Ich fühlte mich schuldig gegen dich, aber wenn du gleich so kommst, dann komme ich auch anders! Ich habe mich hinreißen lassen, das war schlecht und abscheulich von mir, und ich wollte, ich wüßte etwas, wie ich es wieder gut machen kann. Aber geheiratet wird nicht! Ich fühle, daß wir nun nicht mehr miteinander verkehren können, ich bitte dich hiermit um Verzeihung, und du wirst es selbst einsehn, daß es besser ist, wenn wir uns künftig vermeiden. – Also hinausgeworfen! rief Pimpernell. Dann sprudelte sie sinnlose Worte vor, ihr ganzer Haß entlud sich gegen Bienle. Schließlich rief sie: Du bist verblendet, Enzio, du hast dich einfangen lassen von einem ganz gewöhnlichen Geschöpf, das dich mit dem Erstbesten betrügen wird! Sieh doch nur ihr Gesicht an! Darin steht deutlich geschrieben, was sie wirklich ist! – Schweig! rief er; wie kannst du es wagen, meine Freundin anzutasten! – Ich weiß doch, was ich weiß! – Dann sprich es gefälligst aus! Bitte, ich warte! – Er sagte dies in einem Ton, der sie maßlos erbitterte; er redete die Sprache des vollen, unangreifbaren Glücks, und auf der andern Seite stand sie selbst mit ihrem Unglück, mit ihrer niedergetretenen Ohnmacht. – Ich sage nichts mehr! – Weil du nichts zu sagen weißt! Ich aber sage dir: sie ist hundertmal mehr wert als du, denn sie verleumdet ihre Nebenmenschen nicht. – Bravo! vorzüglich repliziert! 416 »Ich aber sage dir«: du wirst noch an mich denken!

Ohne ein weiteres Wort eilte sie hinaus. – Was tut sie nun? dachte Enzio, halb voll Mitleid, halb in Angst und Selbstvorwürfen. Ob sie jetzt zum Bienle ging und ihr alles sagte? Dem mußte er zuvorkommen. Er eilte sofort zu Bienles Haus, holte sie ab zu einem Spaziergang und erzählte ihr alles. Ihr Herz krampfte sich zusammen: Ich dachte mir immer, daß irgend etwas geschehn würde! sprach sie nur. – Weshalb hast du mir das denn nie gesagt? – Sie sah ihn an: Muß man denn immer alles sagen? Du hättest es wohl merken können. – Was tust du nun? fragte sie nach einer Pause. – Nichts! Unsere Freundschaft ist zu Ende. Sie wird nicht mehr zu mir kommen. – Bienle schwieg, aber in ihr war eine unbestimmte Angst.

*


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