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14.

Die Leute von Kalkreut kamen aus den Erregungen über die Mordgeschichte auf dem Brintnerhof gar nicht heraus.

Kaum hatte man sich etwas über die Verhaftung des Knotzen-Lipp und seine Enthüllungen beruhigt, da lieferten die Vorgänge auf dem Brintnerhof wieder neuen Gesprächsstoff. Dort hatte man nun eine gute Berichterstatterin in der alten Hiefinger, die Marei pflegte.

Und was wußte sie nicht alles zu berichten.

Einmal von Marei selbst, die den Verstand verloren habe, seit sie erfahren, wie schändlich die Schwester und Konrad Fercher sie betrogen hatten.

Dann war dort die Toni Maibach, die auf einmal wie ausgewechselt schien, mit den Kindern spielte und das Regiment im Hause führte, die hochmütige, verschlossene Toni, die sich nicht einmal in ihren Mädchenjahren daheim um die Wirtschaft gekümmert hatte und der Kinder immer ein Greuel gewesen waren.

»Vielleicht hat sie auch den Verstand verloren!« meinten die Leute. »Oder, das Unglück hat sie so klein gemacht?«

»Die? – Klein?« eiferte die Hiefinger, die nicht gut auf Toni zu sprechen war, giftig. »Was glaubt ihr denn? Die trägt ja die Nase so hoch wie der Kalkreuter Kirchturm! Und herumschaffen tut sie wie ein Mann in Haus und Hof! Überall hat sie die Nase drin, und keinen Mucker darf einer tun neben ihr. Oje, die und klein! Daß ich nicht lache!«

»Gar so viel wird sie in der Wirtschaft wohl nicht anzugeben haben«, warf ein Bedächtiger ein. »Dafür ist ja der Bruder der Brintnerin da. Es heißt, er versteht seine Sache, und auf dem Brintnerhof soll schon lange nicht so gut gewirtschaftet worden sein wie jetzt.«

»Oje – der!« kicherte die Hiefinger in sich hinein. »Ja, der versteht seine Sache! Aber mehr im Herrenspielen als in der Wirtschaft. Ihr glaubt wohl, der kümmert sich groß um die Arbeit?«

»Was denn sonst? Dazu ist er ja gekommen.«

»Beileibe nicht! Der kutschiert ja alle Tage herum in der Gegend und sitzt stundenlang in den Wirtshäusern. Ah nein, der strengt sich nicht an. Früh ein Stündel und abends ein Stündel, daß er den Leuten nachschaut in Stall und Feld, das ist aber auch alles.«

»Es ist wahr«, sagte jemand, »der junge Schwaigreiter sitzt oft stundenlang in der ›Sonne‹. Ich habe ihn selbst öfter getroffen dort. Wer weiß, dem taugt's vielleicht gerade, sich hier auf dem herrenlosen Hofe ins warme Nest zu setzen? Wenn die Brintnerschen verurteilt werden, übernimmt er die Vormundschaft über die Kinder und ist ein gemachter Mann.«

Auch über Stina wurde gezischelt.

»Die weiß mehr von der Sache als wir alle!« behauptete die Hiefinger. »Ich habe so meine Gedanken! Umsonst schwört sie nicht auf die Unschuld ihrer Herrenleute und will nichts gesehen haben in der Mordnacht. Das ist eine, die's faustdick hinter den Ohren hat!«

Lange ahnte man im Herrenhause des Brintnerhofes nicht, was für eine scharfe Zunge man mit der alten Hiefinger unter das Dach bekommen hatte.

Bis es dann Stina einmal dem Arzt unter Schluchzen verriet.

»Jetzt will die auch mich noch hineinbringen in die ganze Geschichte! An niemandem läßt ihre böse Zunge ein gutes Haar! Wenn sie noch lange im Hause bleibt, so gehe ich!«

Der Arzt war sehr ärgerlich über diese Neuigkeiten. Er hatte von Tag zu Tag mehr Respekt gewonnen vor den Leuten vom Brintnerhof und gehofft, daß Bastls und Tonis Eintreten für die Verwandten auch bald einen Umschwung zu deren Gunsten in der öffentlichen Meinung herbeiführen würde. Nun verdarb das alte Klatschweib wieder alles.

Wie ein Gewitter kam er über sie. Ob er sie vielleicht dazu auf den Brintnerhof gebracht hätte? Für die Krankenpflege habe er sie ausgebildet, aber nicht dafür, daß sie ehrliche Menschen verleumde.

Natürlich setzte die Hiefinger eine unschuldsvolle Miene auf und schwor, sie habe nie ein Wörtlein gesagt. Und fortschicken konnte man sie leider zur Zeit noch nicht, denn Marei war immer noch schwer krank.

Einmal fragte der Arzt Bastl, ob er schon mit dem Knecht Egid Lufner gesprochen habe?

Bastl mußte verneinen. Er hatte den Mann an seinem Dienstort aufgesucht, dort aber erfahren, daß Lufner nach einem Streit mit Greinbacher plötzlich entlassen worden war und Kalkreut verlassen habe.

Wohin er sich gewandt, wußte niemand anzugeben. Dieses Verschwinden des Knechtes war die Hauptursache von Bastls häufigen Überlandfahrten. Überall fragte und forschte er nach Lufner, bis jetzt ohne Erfolg.

Mit Toni stand er auf einem seltsamen Fuß. Es war, als sei seit jener Aussprache, da sie einander so unvermittelt nahegetreten waren, wieder eine Entfremdung eingetreten.

Wie auf Verabredung wichen sie einander aus, und wenn sie der Wirtschaft wegen etwas zu besprechen hatten, was beinahe täglich vorkam, so geschah es in einer scheuen, hastigen Weise, wobei beide es vermieden, einander anzusehen.

Dennoch fielen Worte, die wie warmer Tau in Tonis vereinsamtes Herz sanken. Wenn Bastl ihr zum Beispiel, ehe er fortfuhr, kurz mitteilte, welche Arbeiten er den Knechten für heute aufgetragen hatte, dann setzte er regelmäßig hinzu: »Gelt, schaust halt ein bisserl nach, daß alles in Ordnung geschieht? Auf dich kann ich mich verlassen!«

Es war ein Samstagabend in den ersten Tagen des Juli. Bastl war später als sonst heimgekommen, die Kinder waren bereits zu Bett. Toni saß mit einer Näharbeit beschäftigt im Wohnzimmer, als er eintrat und gleich hinter ihm Stina mit seinem Abendbrot.

»Wie geht's Marei?« fragte er, sich müde auf seinen Platz niederlassend.

»Besser, Bastl! Der Doktor meint, jetzt brauchten wir keine Sorge mehr um ihr Leben zu haben. Ich war vorhin bei ihr drin, und sie hat mich gleich erkannt. Auch nach den Kindern hat sie gefragt. In zwei bis drei Tagen, sagt der Doktor, könnte sie aufstehen. Die warme Sonne unten im Garten und die Kinder wären dann die beste Medizin für sie. Nur von der Mordsache dürfe niemand reden vor ihr, damit sie womöglich gar nicht daran denke.«

Toni hatte sich den ganzen Tag darauf gefreut, Bastl diese Freudenbotschaft mitzuteilen. Sie wußte, wie sehr er an Marei hing. Eben darum hatte sie ihn auch gegen ihre sonstige Gewohnheit im Wohnzimmer erwartet.

Aber die erhoffte frohe Wirkung blieb aus. Bastl seufzte nur und blickte trübe vor sich hin.

»Na – freust du dich denn nicht darüber, Bastl?« fragte Toni.

»Ja. Aber grad das, was der Doktor wünscht, wird sich nicht durchführen lassen. Die Verhandlung über den Mord findet in einer Woche statt ...«

»Schon?« unterbrach ihn Toni bestürzt. »So bald schon?«

»Bald? Sie sitzen fast drei Monate in Untersuchungshaft! Kannst dir vorstellen, was das heißt, Toni? Und – unschuldig!«

»Dann werden sie doch jetzt endlich erlöst sein davon?«

»Vielleicht auch nicht. Ich habe heute mit dem Adjunkt vom Bezirksgericht gesprochen. Er sagt, ihre Sache stünde schlimm. Der Knotzen-Lipp bleibt bei seinen Behauptungen, die Volksmeinung hält fester als je daran, daß sie's getan haben müssen, und zu ihrer Entlastung ist nichts da als der gute Glaube einiger weniger Vernünftiger!«

Schweigen folgte diesen Worten.

Dann fragte Toni beklommen: »Sind sie schon in Wien?«

»Ja. Gestern hat man sie hingeschafft. Natürlich werden sie die Marei auch vorladen zur Verhandlung!«

»Nein, du, darum brauchst du dich nicht zu sorgen. Daran hat der Doktor auch schon gedacht und gesagt, das ließe er nicht zu. Er schreibt ihr ein Zeugnis, daß sie nicht vernehmungsfähig ist. Schließlich weiß sie ja auch gar nichts. Sie schlief nach hinten hinaus und hat nicht das Geringste vernommen, weder in der Mordnacht noch später. Und das hat sie ohnehin schon in den ersten Tagen zu Protokoll gegeben.«

»Wenn auch. Der Adjunkt meint, die Geschworenen würden bestimmt einen Lokalaugenschein verlangen. Dann kommen sie alle hierher, Richter, Geschworene und die – Angeklagten. Es wird ein harter Tag werden, Toni!«

Wieder herrschte Schweigen in der Stube.

Plötzlich richtete Toni sich lebhaft auf.

»Aber du hast ja immer an ihre Unschuld geglaubt, Bastl, und hast den wahren Täter suchen wollen – hast du denn nichts, gar nichts gefunden?«

»Nein. Der einzige Mensch, der mir vielleicht hätte einen Fingerzeig geben können, ist nicht aufzufinden.«

»Wer ist es?«

»Ein gewisser Egid Lufner.« Er erzählte ihr, was ihm Doktor Heimdacher mitgeteilt hatte.

»Seit vielen Wochen suche ich ihn wie eine Stecknadel überall, aber alles ist umsonst. Heute habe ich mit dem Adjunkt darüber gesprochen. Aber der gibt nichts auf Lufners Angabe. Lufner sei wahrscheinlich betrunken gewesen.«

»Ich erinnere mich an das Gerede damals, ehe noch irgendein Verdacht gegen Andres und Justina laut wurde. Man glaubte, es sei ein Fremder gewesen. Und Lufner ist wirklich nirgends zu finden?«

»Wenigstens ist es mir bisher noch nicht gelungen, obwohl mir ja schon oft dieser oder jener Ort angegeben wurde, wo er gesehen worden sein sollte. Kam ich dann hin, war es immer ein Irrtum. Erst heute wieder sagte mir jemand, Lufner halte sich im Breitlingerwald bei Hinterberg auf, wo er als Holzknecht in Arbeit stehe. Aber ich habe keine Lust mehr, die lange Fahrt umsonst zu machen.«

»Doch mußt du hin, Bastl! Wir dürfen gar nichts unversucht lassen, so wie die Dinge liegen!«

Und als sie die Unentschlossenheit in seinem Gesicht sah, fuhr sie energisch fort, während Röte ihr Antlitz überzog:

»Weißt du was, Bastl? Nimm mich und die Kinder mit, dann wird dir die Fahrt nicht so lang erscheinen! Kinder bringen immer Kurzweil. Morgen ist Sonntag, da sind wir nicht nötig daheim, und am Montag schaut Stina zum Rechten. Ich will's gleich der Stina sagen und alles zurechtmachen. Denn, gelt, wir fahren schon mit dem ersten Zug?«

»Freilich. Um fünf Uhr geht er. Gute Nacht, Toni.«

Er blickte ihr lange nach und horchte auf ihren leichten Schritt im Haus.

Wie anders war diese Toni als jene, vor der er damals unten zwischen Koffern und Kisten gestanden hatte! Wie weich ihr Gesicht geworden war, und wie warm die einst von Bitterkeit durchtränkte Stimme!

*


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