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Andres Brintner war der erste, der dem Knotzen-Lipp am nächsten Morgen gegenübergestellt wurde.
Er war auf Antrag des Gerichtsarztes die letzten Tage auf der Beobachtungsabteilung des Inquisitenhospitals in Wien gewesen. Dort hatte man ihn als Gewohnheitstrinker mit völlig zerrüttetem Nervensystem erkannt, der infolge plötzlichen Alkoholentzugs im Gefängnis einen Anfall von Säuferwahnsinn bekommen hatte.
Nun der Anfall vorüber, war er wieder ruhig und schien sich in sein Schicksal als Angeklagter ergeben zu haben.
Stumpfsinnig und gleichgültig betrat er das Zimmer des Untersuchungsrichters.
Als er den Knotzen-Lipp erblickte, huschte ein flüchtiges Rot über sein Gesicht. Was will denn der da? schien sein Blick unruhig zu fragen.
»Kennen Sie den Burschen da, Brintner?« fragte ihn der Richter.
Er nickte. »Der Knotzen-Lipp. Er war einmal Knecht bei mir.«
»Nun, er kam ja auch noch später auf den Brintnerhof!«
»Davon ... davon weiß ich nichts«, stammelte Andres unruhig.
»Sonderbar. Er behauptet doch dabei gewesen zu sein, als Sie im Verein mit Ihrer Frau und Fercher Ihren Vater umbrachten! Erzählen Sie einmal, Lipp, wie es da zugegangen ist.«
Der Angeredete wiederholte seine Angaben. Andres Brintner hörte ohne sonderliche Bewegung zu. Als der Richter ihn fragte, was er darauf zu erwidern habe, zuckte er die Achseln.
»Ich weiß nichts davon. Ich bin unschuldig. Vom Knotzen-Lipp weiß ich überhaupt nichts, der phantasiert!«
Der Untersuchungsrichter mischte sich ein.
»Der Knotzen-Lipp behauptet auch, er sei von Ihnen zum Fleischessen eingeladen worden, und damals sei die Tat besprochen worden. Ist das wahr oder nicht?«
Brintner schwieg.
»Aha – das leugnen Sie also nicht?«
»Es kann sein, daß er einmal da war ...«, gab Brintner verdrossen zu. »Aber geredet ist dabei nichts worden. Er hat sein Fleisch bekommen ...«
»Und eine Zigarre«, schaltete Lipp ein. »Die hat mir der Großvater dann aus dem Mund geschlagen, aber ich hab' sie doch wiedergefunden!«
»Kann sein. Aber von einem Mord ist nichts geredet worden. Als er gegessen gehabt hat, ist er gleich fortgegangen.«
»Wann war das?«
»Ich glaube, ein oder zwei Tage vor dem Mord.«
Brintner zögerte. Dann sagte er mürrisch: »So gegen Mitternacht wird's gewesen sein.«
»So spät? War sonst noch jemand dabei?«
»Nein.«
»Nicht wahr ist's!« schrie Lipp. »Der Fercher und die Brintnerin waren auch dabei. Damals ist's ausgeredet worden!«
»Was haben Sie dazu zu bemerken, Brintner?«
»Daß er lügt! Er war allein. Und ich will's jetzt auch sagen, warum. Heimlich gestohlenes Wild hat er mir gebracht. Er versteht sich aufs Schlingenlegen. Da hat er mir öfter einen Rehbock gebracht. Und weil es gestohlen war, und in der Schonzeit noch dazu, hat's niemand wissen dürfen. So ist er in der Nacht gekommen. Das Fleisch, das er zu essen bekommen hat, war sein Lohn. So war's.«
Der Richter sah von einem zum andern.
Brintner war rot und verwirrt, Lipp grinste vor sich hin.
»Er behauptet aber auch, nach der Tat Geld von Ihnen bekommen zu haben, Brintner!«
»Er phantasiert ja!«
»Aber wie kam er in den Besitz des Geldes? Es wurde ja bei ihm gefunden. Ebenso die Uhr des Ermordeten.«
»Ich weiß nichts davon.«
»Ist es nicht sehr auffallend, daß er von Ihrer Frau und Fercher in bezug auf die Tat ungefähr dasselbe sagt, was Sie selbst anfangs behaupteten?«
Brintner zuckte die Achseln und schwieg.
»Sie haben Ihre damaligen Geständnisse inzwischen zurückgenommen. Wie kamen Sie überhaupt dazu zu sagen, Ihre Frau und Fercher hätten es getan?«
»Ich weiß es selbst nicht. Die Leute haben es halt gesagt, und da habe ich mir zuerst gedacht, es könnte wahr sein.«
»Sind Sie dem Zahlmeister feind?«
»Nein. Wir waren immer gute Freunde.«
»Haben Sie je einen Verdacht gehabt, er könne Ihre Frau zur Untreue verleitet haben?«
»Nein ... früher nie ...«
»Aber später?«
»Ich weiß nicht. Die Leute haben es behauptet und mir zugetragen. Ich habe nimmer gewußt, was ich glauben soll. Ganz verwirrt war ich und habe immer nur getrunken.«
»Und jetzt?«
»Jetzt glaube ich's nimmer.«
»Auch nicht, daß sie den Mord begangen hat?«
»Nein!«
»Vielleicht waren Sie doch dabei?«
»Nein!«
»Er war dabei!« rief Lipp dazwischen. »Ich kann's beschwören!«
»Hören Sie es, Brintner? Er wäre bereit, einen Schwur darauf abzulegen!«
Andres Brintner fuhr sich über die Stirn und blickte den Knotzen-Lipp verstört an.
Dann stammelte er hilflos: »Ich weiß von nichts! Wenn er mich wirklich gesehen hat dabei, dann muß ich einen Rausch gehabt haben. Im Rausch weiß ich nichts von mir.«
Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen. Er wurde abgeführt, und an seine Stelle trat Konrad Fercher.
Sein ruhiges, bestimmtes Auftreten stach vorteilhaft ab von Andres Brintners unsicherem Wesen.
Als der Untersuchungsrichter ihm Lipps Beschuldigungen vorhielt, streifte er den Halbkretin mit einem verächtlichen Blick.
»Ich kenne den Menschen gar nicht und habe nie im Leben mit ihm gesprochen. Als er auf dem Brintnerhof diente, war ich noch beim Militär, später habe ich ihn niemals dort erblickt. Der Mensch lügt.«
»Nun, Lipp, was sagen Sie dazu?«
»Er ist ein Schuft! Alles ist wahr!« rief Lipp hitzig.
»Schimpfen Sie nicht! Damit kommen wir nicht zum Ziel. Wie steht es um Ihre Beziehungen zu Frau Brintner, Herr Fercher?«
»Sie sind nicht um ein Haar anders als die aller anderen Inwohner des Brintnerhofes.«
»Wie konnte da das Gerücht entstehen, Sie seien ihr Liebhaber?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Fercher langsam. »Ich bewerbe mich um die Schwester Frau Brintners. Wir sind heimlich verlobt.«
»Seit wann?« fragte der Untersuchungsrichter. »Fand diese Verlobung schon vor dem Mord an Brintner statt?«
»Nein. Damals sprach ich erst mit Frau Brintner über die Sache, und sie ermutigte mich. Mit dem Mädchen sprach ich kurz vor meiner Verhaftung.«
»Ach so.« Die Stimme des Untersuchungsrichters hatte plötzlich einen scharfen Klang. »Demnach standen Sie nun aber zur Familie Brintner doch in einem anderen ... sagen wir ... viel intimeren Verhältnis als die übrigen Inwohner!«
Nach einer schwülen Pause fuhr er wie beiläufig fort: »An dem betreffenden Abend sind Sie also vom Brintnerhof nach Ebental zu Ihrem älteren Bruder gegangen, der dort ein Anwesen besitzt?«
»Ja. Aber ich traf ihn leider nicht zu Hause.«
»Trotzdem sind Sie, wie die Magd des Gemeindesekretärs Schlazer, deren Kammer an die Ihre stößt, angibt, erst nach Mitternacht heimgekommen! Wo hielten Sie sich denn so lange auf? In einem Wirtshaus waren Sie erwiesenermaßen nicht. Im Hause Ihres Bruders auch nicht, obwohl dessen Frau daheim war und Sie zum Bleiben aufforderte!«
»Ich wollte mit dem Bruder unter vier Augen sprechen. Erstens über meine Absicht zu heiraten, zweitens über mein Erbteil, das in seiner Wirtschaft steckt. Beides in Gegenwart der Schwägerin zu besprechen wäre mir peinlich gewesen. Ich legte mich daher draußen im Obstgarten nahe dem Hauseingang in den Rasen und wollte dort die Heimkehr des Bruders erwarten. Erst als er um Mitternacht noch immer nicht da war, ging ich nach Hause.«
»Sie wollen also drei bis vier Stunden dort ganz allein im Obstgarten verbracht haben?«
»Ja, das habe ich!« erklärte Fercher nachdrücklich.
Ton und Miene des Untersuchungsrichters wurden immer kühler.
»Schön. Ich wollte diesen Punkt nur bei dieser Gelegenheit gleich feststellen. Sie können nun abtreten, Schließer, führen Sie Frau Brintner vor, wenn Sie den Angeklagten in seine Zelle zurückgebracht haben.«
*