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Erster Akt

Halle des Hotels zur schönen Aussicht.

Dies Hotel zur schönen Aussicht liegt am Rande eines mitteleuropäischen Dorfes, das Dank seiner geographischen Lage einigen Fremdenverkehr hat. Saison Juli-August. Zimmer mit voller Verpflegung sechs Mark. Die übrige Zeit sieht nur durch Zufall einen Gast.

Es ist drei Uhr Nachmittag und die Sonne scheint. Im Monat März. Links Portierloge. Rechts Glastüre mit Aufschrift: Speisesaal. Im Hintergrunde führt eine Treppe nach oben und eine breite weit offene Türe ins Freie. Am Horizont Berge. Im Vordergrund ein kleiner Tisch und zwei Rohrstühle. In der Ecke eine vergilbte Palme. Eine mächtige alte Karte von Europa hängt an der Wand. Alles verstaubt und verwahrlost.

Max in Hemdsärmeln; sein Kellnerfrack liegt neben ihm auf dem Pulte der Portierloge; er liest Zeitung, frißt Brot und schlürft aus einer großen Tasse Kaffee.

Im Zimmer über der Halle spielt ein Grammophon Südseeweisen.

Karl  in lederner Chauffeuruniform, erscheint in der Türe im Hintergrund; fixiert Max; tritt langsam auf ihn zu und beugt sich über das Pult: Guten Morgen, Liebling.

Max Gute Nacht, Liebling.

Karl Kannst du es erraten, was ich jetzt am liebsten tun würde?

Max Nein. Und dann interessiert es mich auch nicht.

Karl Aber mich. Du hast dein Ehrenwort gebrochen.

Max Interessiert mich nicht.

Karl Du hast mich bestohlen. Du Hund.

Max Es interessiert mich nicht. Mein Herr.

Karl Du bist eine korrupte Kreatur.

Max Sie haben ja den Südpol entdeckt! Man gratuliert.

Karl Oh, bitte! Diese gewaltige Entdeckung ist nicht mein Verdienst, sondern ist bereits gerichtsnotorisch protokolliert!

Max Brüll nicht! Er lauscht. Es gibt doch auch Fehlurteile.

Karl  grinst: Freispruch.

Max Und Justizmord.

Karl  finster: Das auch.

Schweigen.

Max Apropos korrupte Kreatur: Baronin lassen sagen, der Chauffeur solle warten.

Karl So? – Was mich das Frauenzimmer neuerdings warten läßt!

Max Was sich liebt, das läßt sich warten. Und apropos Justizmord: ich habe einmal läuten hören, daß du damals, als du noch hübsch und knusprig warst, vor 1914, ich glaube in Portugal –

Karl  scharf: Was war in Portugal?

Max Du warst doch in Portugal?

Karl Ja.

Schweigen.

Was ist mit Portugal?

Max Du warst doch auch mal Kaufmann, vor 1914 – in Portugal?

Karl Ja. Und?

Max Stimmt.

Karl Was stimmt?

Max In Portugal gibt es korrupte Charaktere, sehr korrupte – besonders vor 1914 gab es dort außerordentlich korrupte Charaktere. Da konnte man keinen ungestraft an sein Ehrenwort erinnern.

Karl Was soll das?

Max Es ist schon mancher bestraft worden, in Portugal. So um die Ecke – bestraft.

Karl Wer?

Max Zum Beispiel: Jener – Er stockt.

Karl Wer jener?

Max Was weiß ich!

Karl brüllt: Heraus damit!

Max Verzeihung! – Ich dachte, jener hätte sich nur verletzt, leicht verletzt, oberflächlich verletzt, ich dachte, du hättest jenen nur niedergeschlagen, leicht, oberflächlich niedergeschlagen, gewissermaßen k. o. – und jener hätte sich dann wieder erholt, hätte blühender ausgesehen wie je zuvor, aber jener ist verschieden, inzwischen – so ganz von allein verschieden –

Karl  finster: Ganz von allein. Hörst du?

Max  schluckt: Ganz von allein. Gut. Lassen wir den Spiritismus.

Im Zimmer über der Halle fällt ein Stuhl um. Karl, Max starren empor. Das Grammophon bricht plötzlich ab.

Müller  erscheint in der Eingangstüre; hält auf der Schwelle: Na guten Tag! Mein Name ist Müller, Vertreter der Firma Hergt und Sohn. Ich will mal Direktor Strasser sprechen.

Max Herr Direktor ist leider im Augenblick –

Müller unterbricht ihn: Nanana! Wann kommt denn der Augenblick, in dem man bezahlt wird? Wann denkt man denn hier, die Rechnung zu begleichen? Oder wird hier geglaubt, die Schulden werden erlassen, wie?

Max Da ich nur Kellner bin, kann ich diese Fragen nicht beantworten. Ich kann nur sagen, daß ich den Eindruck habe, als würde es uns sehr schwerfallen zu bezahlen. Wir haben seit fünf Monaten nur einen einzigen Gast, eine alte Dame, die sich hierher zurückzog, um still leben zu können.

Im Zimmer über der Halle lacht eine Frau kreischend; das Grammophon ertönt wieder.

Müller lauscht: Nur ein Gast?

Max Leider.

Müller grinst: Nur Mut, junger Mann! Nur Mut! Die Masse macht es nicht! Qualität ist Trumpf! Einer zählt für zwanzig, einer zahlt für zwanzig, wenn er eine Persönlichkeit ist!

Wieder fällt im Zimmer über der Halle ein Stuhl um; und dann hüpft jemand hin und her, daß alles erzittert.

Toll! – Still leben. Und zurückgezogen. Mit wem hat sie sich denn zurückgezogen? Er wiehert.

Max Mit dem Kaiser von China.

Müller Nanana, Kellner! – Seit wann ist unser Freund und Meister Direktor Strasser, Besitzer dieses Etablissements, Kaiser von China, Sohn des Himmels? – Na denn auf Wiedersehen! Ab.

Strasser mit schiefsitzender Krawatte und zerwühlter Frisur; steigt langsam die Treppen herab; hält auf der letzten Stufe und ordnet Krawatte und Frisur.

Das Grammophon verstummt: schläft ein.

Karl  hatte sich gesetzt; erblickt Strasser: Na endlich!

Strasser Der nächste.

Karl erhebt sich und ordnet sich die Uniform.

Baronin dürften sogleich erscheinen. Baronin ziehen sich nur an.

Karl Haben Baronin mit Stühlen jongliert?

Strasser Baronin tanzten.

Karl Menuett!

Strasser Wie ein Roß. Er erblickt Max. Mensch! Wie siehst du wieder aus?

Max Wie?

Strasser Zieh dir doch den Frack an! Das will Kellner sein!

Max Erstens: will ich ja gar nicht Kellner, und zweitens: eigentlich bin ich ja –

Strasser unterbricht ihn: Laß das! Erstens, zweitens, drittens: du bist Kellner! Daß du ursprünglich Plakate entworfen, Kunstgewerbler oder dergleichen Schnee warst, geht uns hier nichts an! Erwähne ich denn mein Vorleben?

Max Im eigenen Interesse? Kaum!

Strasser Kehre ich jemals den Offizier hervor? Betone ich jemals, daß ich eine Hoffnung, ja mehr als das, eine Erfüllung der europäischen Filmindustrie war? Daß ich ein Bonvivant, einmalig!

Max Aber der Bonvivant hat Pech gehabt.

Strasser Ich verbitte mir das! Das ist ja alles nicht wahr! Das sind gemeine Verleumdungen! Das war schon lange vorher! Der Bonvivant hat sich dieses Hotel gekauft, weil seine Augen die Jupiterlampen nicht ertragen konnten!

Max Wird gesagt.

Strasser Halt dein Maul! Und Schluß! Jetzt bist du Kellner! Verstanden?! Ob du noch vor einem Jahre Autos verschoben hast –

Max  unterbricht ihn: Mit dir!

Strasser Mit mir. – Ja, was soll denn das?

Max Ich meinte nur.

Strasser Der Zeigefinger hat mir nicht gefallen, der Zeigefinger!

Max Der? – Das war ja gar nicht der Zeigefinger, nur der kleine Finger. Der kleinste Finger.

Strasser Jetzt hast du dir den Frack anzuziehen. Was sollen denn die Gäste denken?

Max Es kommen keine Gäste. Höchstens Vertreter. Ab und zu.

Strasser War einer da?

Max Ja. Ein Herr Müller.

Strasser Ich bin nicht zu sprechen.

Max Er wird wiederkommen. Pinke, Pinke!

Strasser Zieh dir den Frack an.

Max Nein. Ich schwitze.

Karl gehässig: Im März?

Max Gott, auch im März kann es einem heiß werden, im August werden wir vielleicht frieren.

Karl Vielleicht!

Max Vielleicht sicher sogar.

Strasser Also kriegen wir dann überhaupt keine Saison mehr?

Max Möglich. Die Erdachse soll sich ja verschoben haben.

Strasser Woher weißt du denn das?

Max Ich beschäftige mich doch mit Astrologie.

Strasser Du sollst dir den Frack anziehen.

Max folgt zögernd; zieht sich unter allerhand Faxen langsam den Frack an und lächelt gelangweilt.

Die Sonne verschwindet hinter einer Wolke.

Schüttelt sich und schlägt rasch den Kragen hoch. Brrr! Jetzt friert es mich. Er tritt vor das Pult; er ist barfuß. Ich muß mir nur noch die Schuhe holen. Ab in den Speisesaal. Die Sonne scheint wieder.

Karl  sieht Max nach: Ein geborener Verbrecher.

Strasser Die Alte behauptet, er hätte eine reine Seele.

Karl Aber dreckige Füße.

Strasser  geht auf und ab; lacht vor sich hin: Die Erdachse, die Erdachse – Diese Erdachse! Er bleibt vor der Landkarte stehen. Europa. Europa.

Karl Man müßte fort.

Max  kommt aus dem Speisesaal; er ist noch immer barfuß: Hat vielleicht jemand meine Schuhe gesehen? – Hat niemand meine Schuhe gesehen? – Ich kann meine Schuhe nirgends finden –

Emanuel Freiherr von Stetten ein zierlicher Lebegreis mit Trauerflor, tritt rasch durch die Eingangstüre; betupft sich mit einem Spitzentaschentuch nervös die Stirne: Bin ich hier richtig? Bin ich hier richtig? Hotel zur schönen Aussicht, wie? Ja? – Melden Sie mich Baronin Stetten. Da! Er übergibt seine Karte Karl, der ihm am nächsten steht. Karl reicht sie, ohne sie eines Blickes zu würdigen, Strasser.

Max  im Hintergrund: Wer ist denn?

Stille.

Wer ist denn?

Emanuel Nun – wird man es noch erleben können? Bewegung, bitte! Bewegung!

Karl Sie werden es auch noch erleben. Die kommt gleich runter.

Emanuel Wer ›die‹?

Max Wer ist denn?

Emanuel  empört: Zustände!

Strasser Herr Baron!

Max  entsetzt: Was ist der?!

Strasser  verbeugt sich: Im Moment! Ada Freifrau von Stetten ein aufgebügeltes, verdorrtes weibliches Wesen mit Torschlußpanik; steigt in einem rosa Kleidchen, Automantel und Mütze, in der Hand eine Reitgerte, feierlich die Stufen herab; erblickt Emanuel; bleibt angewurzelt.
Emanuel verbeugt sich tief.

Ada Ach! – Welch charmanter Besuch.

Emanuel Ich kann es dir nachfühlen, daß dich mein unerwartetes Auftauchen seltsam berührt.

Ada Das war deine Stimme. – Ich glaubte schon, ich sähe Gespenster.

Emanuel Man darf wohl noch hoffen. Er tritt zu ihr und küßt ihre Hand. Zehn Minuten. Nur zehn Minuten, bitte.

Ada  zu Karl: Herkules! Wir fahren in fünf Minuten.

Stille.

Emanuel Also fünf Minuten. – Ich bitte, dich unter vier Augen sprechen zu dürfen. Nur fünf Minuten. Strasser, Karl, Max machen Miene sich zu entfernen.

Ada Hiergeblieben! Hiergeblieben!

Stille.

Emanuel Schwester. Ich kann es durchaus begreifen, daß du mich haßt. Aber diese Grausamkeit – ich hätte es nie für möglich gehalten, daß du die primitivsten Gesetze gesellschaftlichen Verkehrs –

Ada  unterbricht ihn: Kritik?! Dicht vor ihm. Unterstehe dich, unterstehe dich nicht noch einmal – Man sagt zwar, daß sich Zwillinge gut verstehen, sozusagen: lieben, aber in unserem speziellen Falle, Herr Zwillingsbruder, stimmt das nicht. Es stimmt etwas nicht. Ja ja!

Emanuel Wir sind alle verrückt!

Ada Ich bin nicht verrückt. Hörst du? Ich will nicht verrückt sein! Ich denke nicht daran, dir diesen Gefallen zu erweisen! – Du hast dich schon einmal zum Anwalt gewisser Individuen erniedrigt. Ich bin nicht verrückt – ich lasse mich nicht unter Kuratel – Kusch! Gewisse Individuen wollten mich nämlich unter Kuratel – Sie erblickt den Trauerflor an seinem Arme; stockt; grinst und berührt ihn mit der Gerte. Diese Familie – Ich trage keinen Trauerflor. Keinen. Ich bin nicht stolz auf Gespenster – War es eine fröhliche Leiche?

Emanuel Laß die Toten, wenn ich bitten darf.

Ada Es gibt keine Toten. Wir Menschen haben eine unsterbliche Seele. Sie schminkt sich die Lippen.

Emanuel Ich weiß, daß du religiös bist.

Ada  zuckt zusammen; fixiert ihn mißtrauisch: Du findest ein Wort der Anerkennung, du? Jetzt wird man sich hüten müssen – Heraus mit der Hinterlist! Was willst du? Sprich! So sprich!

Stille.

Emanuel Es geht um ein Menschenleben. – Du allein sollst richten, ob dieser Mensch die nächsten zwölf Stunden überleben darf, oder ob er sich Punkt fünf Uhr früh selbst guillotinieren muß. Um was ich dich bitte, ist eine solch lächerliche Geringfügigkeit, verglichen mit eines Menschen Leben, daß – Ada, es dreht sich um ein Menschenleben. Ohne mein Verschulden hat mich das Schicksal in eine vernichtende Situation hineinmanövriert. Gestern abend wurde im Klub gespielt, wie immer. Karten. Gott, man spielt ja nicht, um zu gewinnen, aber trotzdem kann man verlieren! Ich verlor, verlor, verlor – das Blatt wandte sich gegen mich, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich spielte bis fünf Uhr früh, mit ganzer Kraft bemüht wiedergutzumachen, doch wen die Götter vernichten wollen, dem nützt der gute Wille nichts. Ich verlor, bis fünf Uhr früh. – Nun bist du meine letzte Hoffnung. Du kannst mich begnadigen. Nur du. Ich bin hierhergestürzt – bis ich nur diese Station auf dem Fahrplan fand! – Es ist meine vorletzte Station.

Ada Möglich.

Stille.

Wieviel hast du denn verloren?

Emanuel Siebentausend.

Ada Und das kannst du nicht?

Emanuel Passé.

Ada Und du, du wolltest mich unter Kuratel?

Emanuel Nicht ich!

Ada Kusch!

Stille.

Emanuel Ada. Ich komme zu dir nicht nur als Mensch zum Mensch. Einst standen wir zwei ja fast, als wären wir gar nicht Schwester und Bruder – erinnerst du dich noch?

Ada Ich will mich nicht erinnern.

Emanuel  zieht einen Revolver: Ich habe mir meine Guillotine bereits besorgt –

Ada Auch die Kugel?

Emanuel Wie du einen quälen kannst!

Ada  lacht ihn aus.

Emanuel  steckt langsam den Revolver ein.

Ada Langen drei?

Emanuel Was drei?

Ada Dreitausend.

Emanuel entrüstet: Ich bin doch kein Hebräer!

Ada Langen drei?

Stille.

Lächelt. Darf man den Herrn Baron einladen, über Nacht hierzubleiben? Du könntest es ja dann telegraphisch – wenn ich dir die drei bewilligt haben sollte – Strasser! Ein Zimmer! Ein Gast! Ein Gast!

Emanuel Du hast dich nicht verändert.

Ada Keine Komplimente!

Emanuel Da du als Kind schon Tiere gequält hast, kann mich dein jetziges Benehmen keineswegs wundern – doch hoffe ich, daß du mich nicht zu Tode peinigst. Ada, es geht um sieben. Drei kosten mich den Kopf.

Ada Diesen Kopf! – Strasser! Führe den Herrn Baron auf sein Zimmer!

Strasser Sonnenseitig?

Ada Nur nicht Mond! Damit er nicht anfängt zu wandern!

Emanuel Ich darf wohl bitten, meine Gebrechen nicht derart vor dem Personal –

Ada  unterbricht ihn: Unter uns! Unter uns! Wir haben keine Geheimnisse! Du erlaubst, daß ich dich deinen Verwandten vorstelle: mein Bruder Emanuel, genannt Bubi. – Dein Schwager Direktor Strasser. Dein Schwager Karl, der wagemutigste Rennfahrer seit Ben Hur, fünf Kilometer in der Stunde –

Karl Kilometer ist gut! Sehr gut!

Ada  grinst: Nicht? – Und dein Schwager Max!

Max Angenehm!

Emanuel erstarrt.

Stille.

Ada  schleicht zu Emanuel und küßt ihn auf das Ohr; grinst: Nicht weinen, Bubi, nicht weinen –

Emanuel unterdrückt: Es ist erschütternd!

Ada  lacht: Bubi! Bubi!

Emanuel Als Mensch möchte ich jetzt tot umfallen, aber als Kavalier muß ich mich degradieren lassen.

Strasser Darf ich bitten, Herr Baron!

Müller erscheint in der Eingangstüre.

Und Generaldirektor Müller, Präsident der Vereinigten Kalkwerke von Paneuropa!

Müller He?

Strasser Einen Augenblick, Herr Generaldirektor! Darf ich bitten, Herr Baron!

Stille.

Emanuel  starr; lächelt sarkastisch und verbeugt sich steif: Zu freundlich! Er eilt die Treppen empor.

Strasser folgt ihm.

Müller Halt!

Strasser Im Augenblick, Herr Generaldirektor! Ab.

Müller Was bin ich?

Ada  zu Karl: Allons, Ben Hur!

Karl Was man alles werden kann!

Ada Wie du willst, Herkules!

Es dämmert.

Müller Was bin ich?

Ada zieht sich den Mantel aus und wieder an; pudert sich die Nase, schminkt sich die Lippen.

Karl Laß das! Los! Die Sonne ist weg – du bist schon schön!

Ada Wird es regnen?

Karl Es wird Nacht.

Ada So? Dann wollen wir nunmehr bis zur Kapelle – ich liebe diese Spätgotik. Zu Müller. Bleiben Herr Generaldirektor die Nacht über?

Müller verwirrt: Was für Nacht?

Ada Charmant! Dies Kind im Manne – Au revoir, Herr Generaldirektor! Ab mit Karl.

Müller  sieht ihr nach; zu Max: Wohin reiten denn die?

Max Die reitet nicht nur, die fährt auch. Automobil.

Müller Mit der Peitsche?

Max Auch das, Herr Generaldirektor. Er blickt suchend umher.

Müller Was bin ich?

Max Generaldirektor.

Müller Ich bin kein Generaldirektor! Ich bin Müller, Vertreter der Firma Hergt und Sohn –

Max  unterbricht ihn: Aber bei Ihren Fähigkeiten könnten Sie jederzeit Generaldirektor sein!

Müller setzt sich.

Natürlich! Aber natürlich!

Stille.

Müller Bei meinen Fähigkeiten? – Natürlich! Er schnellt empor und eilt hin und her.

Max Wenn ich nur meine Schuhe finden könnte –

Müller Es wäre nur zu natürlich – Jederzeit! Fähigkeit, Begabung, Genie! Jederzeit! Aber, junger Mann, die Welt ist zu verlogen, sie will belogen sein! Glück müßte man haben, Glück!

Max Haben Sie nicht irgendwo, etwa, zufällig, ein Paar Schuhe gesehen?

Müller  hält ruckartig: Was für Schuhe?

Max Schwarze Schuhe.

Müller Schwarze Schuhe?

Max Meine Schuhe.

Müller Was gehen mich Ihre Schuhe an? Laufen Sie nackt! Mit bloßen Sohlen!

Max Das tue ich ja!

Müller So passen Sie auf, daß Sie in keinen Reißnagel treten!

Max Man dankt für Ratschläge! Helfen Sie mir lieber die Schuhe suchen!

Müller Ich helfe keine Schuhe suchen!

Max Meine armen Zehen!

Müller Was gehen mich Ihre Schweißfüß an!

Max Schweißfüß?! Herr, das sind Zehen! Gepflegte Zehen! Polierte, rosige, zarte, zerbrechliche – das sind schon gar keine Zehen mehr, das sind Zehlein!

Müller brüllt: Halten Sie Ihr loses Maul! Woher will er wissen, was ich für Zehlein habe?!

Max Ich?

Müller Schluß! Ich möchte den Direktor Strasser! Aber sofort!

Strasser  tritt aus dem Speisesaal rasch ein: Herr Generaldirektor!

Müller Ich bin kein Generaldirektor! Sie scheinen mich ja vergessen zu haben?

Max Wer das könnte!

Müller  zu Strasser: Ich will Sie erinnern. Sie werden sich schon noch erinnern! Sie sollens nimmer vergessen! Garantiert!

Strasser Ach, Sie sind ja der Herr Müller! Ja, richtig! Der Müller von Hergt und Sohn – Ich habe Sie jetzt verwechselt. Verzeihen Sie, daß ich Sie mit meinem Freunde Generaldirektor Müller verwechselt habe. Aber diese Ähnlichkeit! Dasselbe markante Mienenspiel!

Max Natürlich! Aber natürlich!

Müller Finden Sie?

Strasser Frappant! Frappant! Stille.

Max Diese Schuhe – diese Schuhe – Bekümmert ab nach oben.

Strasser  bietet Müller Platz an: Bitte –

Müller  wehrt ab: Keine Konferenz! Selbst wenn ich Generaldirektor wäre, hier wird nicht geredet, hier wird bezahlt! Es dreht sich um jene sechs Kisten Sekt. Geliefert am siebzehnten Februar. Voriges Jahr.

Strasser Am fünfzehnten.

Müller Am sechzehnten! Bezahlen Sie, bezahlen Sie! Ja oder nein?

Strasser Nein.

Müller setzt sich und schlägt wütend die Beine über Kreuz. Strasser beugt sich über den Tisch. Nein. Er setzt sich. Aber ich bin selbstverständlich bereit, Möglichkeiten zu erwägen –

Müller unterbricht ihn: Ich lasse pfänden, Herr! Pfänden!

Strasser Defizit. Garantiert.

Müller Ich lasse alles beschlagnahmen!

Strasser »Alles«? Ein unsolider Begriff!

Müller Und dann erstatte ich Strafanzeige: wegen Betrug!

Strasser Ach! Sie wollen sich selbst stellen?

Müller Mich selbst? Was soll das? Wieso?

Strasser Ich kenne nämlich einen Generaldirektor, einen gewissen Müller, der verkauft auch Autos, so nebenbei – und hat auch so nebenbei einen gewissen Strasser betrogen – ›betrogen‹ ist dabei noch galant formuliert.

Müller Wann soll denn das gewesen sein?

Strasser Am dritten März. Voriges Jahr.

Müller Was war das für ein Wagen?

Strasser Ein rotbrauner –

Müller  unterbricht ihn: Ach, der Kleine!

Strasser Klein oder nicht klein! Der Staatsanwalt kennt nur Pferdekräfte!

Müller Sie wollen erpressen?

Strasser Ich könnte erpressen, aber ich will zu anständig sein.

Müller Was verdienen Sie dabei?

Strasser Nichts. Nichtmal sechs Kisten Sekt. Ich bin so und so bankrott.

Draußen weht der Wind.

Der Sommer war verregnet. Zu Weihnachten blühte der Flieder. Zu Ostern fiel Schnee. Schlechter Schnee. Kein Wintersport, nur Grippe. Verseuchte Saison. Kaum ein Gast. Ich hänge hier zu sehr vom Wetter ab.

Der Regen klopft auf ein Dach.

Hören Sie?

Müller Was?

Strasser Wie es regnet. Pfingsten naht. Wieder verregnet.

Schweigen.

Müller Ich gratuliere. Sie haben ja einen außerordentlich vorteilhaften Vertrag mit dem lieben Gott. Solange Sie Grammophon spielen, scheint die Sonne – aber wie einer um sein Geld kommt, gibt es sogleich einen Wolkenbruch.

Strasser Also abgesehen vom lieben Gott: sehen Sie denn nicht, daß das Gras schon zur Türe hereinwächst? Die Kräuter?

Müller Was für Kräuter?

Strasser Mann, Müller! Sehen Sie doch nur diese ungeheure Verwahrlosung! Diese Einsturzgefahr! Man wagt ja kaum mehr Platz zu nehmen!

Müller Nanana! Der Stuhl unter ihm bricht zusammen; er stürzt zu Boden.

Strasser Es geht abwärts. Er zündet sich eine Zigarette an.

Schweigen.

Müller  am Boden: Bankrott. Hm – Was verdienen Sie dabei? Er grinst.

Strasser  Sie fallen vom Stuhl!

Müller Würde Ihnen so passen!

Strasser Sie können es sich anscheinend nicht mehr vorstellen, daß jemand wirklich zu Grunde gehen kann?

Müller lacht: Wirklich? Wirklich ›wirklich‹?

Strasser So wahr Sie jetzt am Boden kauern!

Müller gekränkt: Ich kauere nicht. Kauern tut ein Tier. Ich sitze. Man ist doch immerhin noch ein Mensch – Au! Was war das? Was ist das? – Ich kann nicht mehr auf – Au, ich glaube, jetzt ist etwas verrenkt – es wird doch nichts gebrochen, au! So helfen Sie mir doch!

Strasser  geht auf und ab: Hernach! Zuerst das Geschäftliche –

Müller unterbricht ihn: Hernach, hernach!

Strasser Nein! Zuerst die Pflicht! Also: ich kann nicht bezahlen –

Müller unterbricht ihn: Ich kann nicht aufstehen!

Strasser Ich kann nicht bezahlen.

Müller Betrug! Betrug! Eine alte Ziege finanziert den Zirkus! Diese sinnliche Aristokratin! Ist ja bekannt, bekannt, stadtbekannt!

Strasser Ich halte nichts vom Geschwätz der Leute!

Müller Herr, ich bin unglücklich!

Strasser Ich kann Ihnen lediglich versichern, daß sobald es mir meine Lage gestatten wird, das heißt: bei günstiger Witterung, ich meine Schulden anfangen werde zu begleichen. Ratenweise, natürlich! Sonst müßte man sich ja sogleich aufhängen!

Müller Wollen Sie mich hier liegen lassen, wie einen überfahrenen Hund, ja?! Hilfe! Hilfe! Hilfe!!

Strasser  stürzt sich auf ihn und hält ihm den Mund zu; brüllt: Ruhe! Ruhe! Ruhe!!

Stille.

Stützt ihn empor. Sammlung, Herr Müller! Sammlung! Solch ein ausgewachsenes Exemplar, und so brüllen – Wie kann man nur – wegen einer lumpigen Ratenzahlung!

Müller  weinerlich: Au – meine Existenz – Strasser, ich habe das Gefühl, ich bin entzwei – ob ich mir etwas gebrochen habe? Sie können das gar nicht beurteilen, diese Ratenzahlung in Verbindung mit der Witterung – meine Existenz – nein, nein! Ich bin kein Hypochonder – und betrogen habe ich Sie auch nicht, das mit dem Auto, dem Kleinen – mit demselben Rechte könnte man ja sagen, ein jedes Geschäft – wenn ich mir nur nichts gebrochen habe –

Strasser  sanft: Herr Müller. Ich werde Sie nun nach dem Speisesaal bringen – Sie werden mir Recht geben: sobald man etwas im Magen hat, fühlt man sich erleichtert.

Max tritt in schwarzen Schuhen aus dem Speisesaal; läßt die Türe offen und verbeugt sich tief mit einer Serviette über dem Arm.

Müller Und die Nacht über muß ich nun auch hier – Heut kann ich unmöglich weiter, so hinkend.

Strasser  führt ihn in den Speisesaal: Ich habe ja auch Zimmer –

Müller seufzt: Nur kein Geld! Aber Sie haben ein goldenes Herz, Sie Schwein – Ab.

Max  allein: Ich bin nur froh, daß ich endlich meine Schuhe wieder habe. Man ist ja sogleich ein anderer Mensch.

Christine einfach dunkel gekleidet; erscheint in der Eingangstüre.

Max  formell. Sie wünschen?

Christine Ich wollte nur fragen, ob ich Herrn Strasser sprechen könnte.

Strasser tritt aus dem Speisesaal.

Max  leise: Es ist ein Frauenzimmer hier, das dich sprechen will.

Strasser ebenso: Mich? Wie sieht es denn aus?

Max Geschmacksache.

Strasser grinst: Dünn? Dick? Lang? Kurz? Stämmig?

Max Ich weiß nicht, was du darunter verstehst.

Strasser So laß mal sehen!

Max knipst das Licht an.

Strasser erblickt Christine, fährt zusammen, will schleunigst ab.

Christine Strasser!

Strasser  tut, als erblickte er sie erst jetzt: Christine! – Du? Kolossal! Ich hab dich jetzt gar nicht gesehen, auf Ehrenwort!

Christine Lüg nicht.

Stille.

Strasser  zu Max: Was lungern Sie hier herum, Kellner, als gäbe es nichts zu tun! Der Herr Generaldirektor wollen ja soupieren! Daß mir keine Klagen kommen!

Max  ab in den Speisesaal: Hoi! Hoi!

Stille.

Strasser Christine. Dein plötzliches Erscheinen wirft die ganze Exposition über den Haufen –

Christine Warum hast du meine Briefe nicht beantwortet?

Strasser Was für Briefe?

Christine Alle können nicht verloren gegangen sein.

Strasser Doch! Doch! Die Post ist derart unzuverlässig –

Christine  unterbricht ihn: Lüg nicht.

Stille.

Betrachtet Strasser; sieht sich scheu um; eilt plötzlich auf ihn zu, ängstlich lächelnd, schlingt ihre Arme um seinen Hals und küßt ihn. Nein, nein! Das ist ja alles nicht wahr – alles nicht wahr, still! Wir reden ja nur aneinander vorbei. Verzeih mir. Bitte verzeihe, daß ich soeben sagte, du lügst – aber ich bin so ängstlich geworden, ich weiß doch, daß du nicht lügst, nie lügst, daß du nie die Unwahrheit sagst –

Strasser Einmal habe ich einen Brief erhalten –

Christine küßt ihn rasch auf den Mund: Nein nein nein – Ich weiß ja, daß die Briefe verloren gegangen, alle Briefe, und dann habe ich sie auch vielleicht gar nicht abgesandt – es ist ja, als hätte ich sie gar nicht geschrieben, und die Post ist derart unzuverlässig – warum, warum gibst du mir denn keinen, keinen Kuß?

Strasser küßt sie.

Stille.

Ich habe dir geschrieben, daß mein zweiwöchentlicher Sommeraufenthalt, voriges Jahr, hier, nicht ohne Folgen für mich – für uns –

Strasser Du willst doch nicht sagen –

Christine  unterbricht ihn: Ja.

Stille.

Ja.

Sturm.

Es war eine harte Zeit. Ich wurde abgebaut, und wenn der liebe Gott mir nicht geholfen hätte, wäre ich untergegangen – ich weiß, du wärest zu mir geeilt, wenn du es auch nur geahnt hättest. Ich gehöre zu dir. Hier ist meine Heimat, in der Stadt friere ich nur. Ich werde dir die Wirtschaft führen – ich habe es dir gesagt, wie ich dich liebe, alles, deinen Körper, es wird mir immer kalt und heiß –

Emanuel kommt lautlos die Treppen herab.

Strasser hört ihn trotzdem, stößt Christine von sich.

Emanuel Pardon! – Pardon! Sind Baronin schon wieder zurück?

Strasser Nein.

Emanuel Noch nicht zurück? Bei diesem Wolkenbruch? Das ist ein Orkan! Man wird die Behörde verständigen müssen, es wird doch nichts geschehen. – Wo, wo läßt sich hier telefonieren?

Strasser  deutet auf das Pult: Dort. Aber ob die Behörde Sie beruhigt, ist fraglich. Neulich hat sich ein Auto überschlagen, doch die Behörde –

Emanuel  unterbricht ihn: Wie können Sie so reden?! Um Gottes Christi Willen! Er eilt an das Telefon.

Orkan.

Christine leise: Was ist das für eine Baronin?

Strasser Ach!

Schweigen.

Christine Ich habe gehört, daß hier eine Baronin wohnt –

Sie stockt.

Strasser So?

Christine Du, der liebe Gott hat geholfen. Der liebe Gott – Ich habe nämlich – Sie stockt wieder.

Strasser Was?

Christine Später. Später.

Strasser Was verstehst du unter ›lieber Gott‹?

Christine Strasser. Gib mir dasselbe Zimmer –

Strasser Welches war denn nur das?

Christine Du weißt es doch – Nummer elf.

Strasser Elf ist leider besetzt. Aber selbst, wenn es noch frei wäre, würdest du es wahrscheinlich nicht wiedererkennen, da wir es anders eingerichtet haben.

Christine Schöner?

Strasser Vorteilhafter.

Christine  ergreift seine Hand: Gib mir irgendein Zimmer – Komm! Sie steigt mit Strasser die Treppen empor.

Emanuel  allein; am Telefon: Keine Verbindung. Grotesk! Grotesk! Er hängt ein; geht nervös hin und her. Dieser Orkan! Es wird doch nichts geschehen sein – Jedes Auto überschlägt sich ja nicht, man sollte es nicht für möglich halten –

Max kommt aus dem Speisesaal.

Ober! Wieso kann es möglich sein, daß man keine Verbindung bekommt? Ach, ich meine: am Telefon.

Max Weil das Telefon verdorben ist.

Emanuel So gehört es repariert.

Max Gott, das ist schon seit Wochen in Unordnung – Er sieht sich suchend um. Sagen Sie: haben Sie nicht irgendwo eine Speisekarte gesehen?

Emanuel Ich?!

Max Der Herr Generaldirektor wollen nämlich frühstücken.

Emanuel Zustände!

Karl  tritt ohne Gruß ein; sieht sich verstört um; lallt: Den Strasser brauche ich, den Strasser – Wo kann ich einen Strasser haben? Aber nicht zu teuer – ein Stück Strasser brauche ich –

Emanuel, Max starren ihn entgeistert an.

Karl plärrt plötzlich los. Ja, heiliges Dromedar, hat euch denn alle der Schlag gerührt, ihr Bolschewisten!

Emanuel knickt in den Knien ein: Bolschewist?!

Karl zu Max: Du Mandrill! Wo steckt der Strasser, wo?!

Max Herr Gorilla, es ist mir leider nicht bekannt, wo die hochwohllöbliche Direktion sich derzeit herumtreiben.

Karl Da muß sie her! Die muß her! Her muß sie! Daher! Hierher! Daher, hopp! Er rülpst.

Max Ach, du bist wieder betrunken?

Karl Ha?

Emanuel zittert: Empörend!

Max  zu Karl: Du bist verstört.

Karl Nichts ist unmöglich. Er rülpst und wankt.

Emanuel Empörend! Also das ist empörend! Ein berauschter Lenker im Orkan! Zuchthaus! Jawohl: Zuchthaus! – Jetzt wage ich nicht mehr konsequent zu denken –

Max Wenn ich nur wüßte, wo die Speisekarte –

Karl Baronin liegen in der Karosse und betonen, nicht aussteigen zu können, bis der Strasser kommt. Sie bilden sich nämlich ein, daß die Direktion sie auf den Händen herauftragen müßte.

Emanuel Was bedeutet das?

Karl Wir sind umgekippt.

Emanuel Um Gottes Christi Willen! Mein Kopf! – Chauffeur! Ist sie verletzt!? Leicht? Schwer?

Karl Baronin sind besoffen. – Oder habt ihr euch etwa eingebildet, wir fahren im Orkan zur Scheißkapelle?!

Max  zu Emanuel: Wie kann man auch nur!

Karl Wir haben nur unsere Gaumen benetzt, den Schlund, die Schlünde – im roten Aar, im bleichen Bock, weiß der Satan wo! Aber die verträgt ja nichts, deine Schwester ist, was Alkohol anbelangt, eine Fehlgeburt! Nach dem vierten Glas hat sie schon gesungen, und dann hat sie die Kotflügel vollgespien – du, die kann singen!

Aus der Ferne tönt Adas Stimme, falsch und kreischend, ein sentimentaler Gassenhauer.
Emanuel hält die Hand vor die Augen.
Max hält sich die Ohren zu.
Karl krümmt sich.
Ada verstummt plötzlich.
Die drei lauschen.

Max  leise: Sie kommt –

Karl Quatsch!

Max Pst!

Schweigen.

Karl Vorgestern ist sie auch nicht gekommen.

Max Heute kommt sie. Oder gibt es da etwa ein Gesetz? Wetten?

Karl Mit dir? Er spuckt aus.

Max Wer wettet mit mir?

Müllers Stimme aus dem Speisesaal: Ober! Ober!

Max  zuckt zusammen: Dieser Beruf! Ab in den Speisesaal.

Ada erscheint in der Eingangstüre, abgespannt; hustet heiser.
Emanuel zog sich in eine finstere Ecke zurück.
Es ist still geworden.

Ada  hängt sich an Karl, der leicht torkelt: Herkules, Herkules – es geht mir so miserabel, mein Leib – So hilf mir doch! Ich huste ja meine Seele hinaus – Sag: liebst du mich?

Karl rülpst: Ja.

Ada Aber nicht nur meinen Leib, meine Reize – auch meine Seele, nicht?

Karl Auch deine Seele.

Irgendwo singt eine blonde Geige Schmachtfetzen.

Ada Ist das schön, du – du starker, großer, du Siegfried! Und dann regnet es auch nicht mehr, die Sterne stehen am Himmel – Wenn ich nur nicht so durstig wäre! Durst!

Durst! Ist das die Sehnsucht?

Karl Nein, das ist Durst.

Die blonde Geige hat ausgesungen.

Ada  reißt sich los von Karl: Pfui! Jetzt war ich wieder sentimental, was?

Karl Das ist die Liebe, Gretchen.

Ada Ich schäme mich. Ich schäme mich! Nein! Das muß ich vergessen! Komm! Ich habe Durst!

Karl Es lebe die Sehnsucht!


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