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In Großhadersdorf. Nach einem Jahr. Figaro hatte den bestrenommierten Friseursalon übernommen. Links eine Tür zur Privatwohnung. Es ist Ende Dezember, so um den Mittag herum. Im Friseursalon bedient Susanne soeben den Herrn Forstadjunkten, einen geriebenen Naturburschen. Sie seift ihn ein.
Adjunkt Aber rasieren wird mich doch der Herr Gemahl?
Susanne lächelt: Nein. Haben Sie Angst, Herr Forstadjunkt?
Adjunkt Offen gestanden, ein Rasiermesser in zarten Händchen – Aber ich werd mich schon revanchieren! Er lacht.
Stille.
Was machen Sie denn am Donnerstag, Frau Susanne?
Susanne Wieso, Herr Forstadjunkt?
Adjunkt Donnerstag ist doch Silvester und dann beginnt ein neues Jahr.
Stille.
Susanne Mein Mann und ich, wir gehen zum Postwirt.
Adjunkt Dann gehe ich auch zum Postwirt. Tanzen Sie gern?
Susanne Ja.
Adjunkt Daß man Sie aber nirgends sieht, bei keinem Kränzchen, keiner Reunion –
Susanne In Großhadersdorf gibts keine Tänzer.
Adjunkt Stimmt! Ich persönlich stamm nämlich nicht aus Großhadersdorf, ich bin hier nur stationiert.
Susanne lächelt: Ich auch.
Adjunkt Dann wären wir ja Leidensgenossen. Wenn ich nicht grad im Wald bin, langweil ich mich zu Tod.
Susanne rasiert ihn nun: Sie sind der einzige Mann, der sich von mir rasieren läßt.
Susanne Der rasiert sich selber.
Stille.
Adjunkt Wo steckt denn der Herr Gemahl?
Susanne Er schläft. Immer nach dem Mittagessen.
Adjunkt Und Sie schlafen nicht?
Susanne Wir wechseln uns ab.
Adjunkt Sie schlafen also nie zusammen?
Susanne stockt, starrt ihn einen Augenblick erschrocken an und rasiert dann weiter, als hätte sie nichts gehört.
Stille.
Also ich bin der einzige – der einzige, der sich von Ihnen rasieren läßt?
Susanne Ja.
Adjunkt Ich fürcht mich nicht. Von Ihnen ließe ich mir auch gern die Gurgel durchschneiden – Er grinst.
Susanne lacht gezwungen: Gott, wie blutig! Was würd denn das Fräulein Braut dazu sagen? Ein Bräutigam ohne Gurgel!
Adjunkt Die muß sich an alles gewöhnen.
Stille.
Susanne hat ihn nun fertig rasiert: Scharf oder Stein?
Adjunkt Scharf und noch schärfer. Ich bin für das Scharfe –
Er packt sie plötzlich brutal und raubt ihr einen Kuß.
Susanne reißt sich los; unterdrückt: Nicht! Was fällt Ihnen ein?!
Adjunkt Etwas durchaus Natürliches – Er erhebt sich und nähert sich ihr langsam.
Susanne Lassens mich, Sie – Sie, ich schneid Ihnen wirklich die Gurgel durch –
Adjunkt unterbricht sie: Schneid nur! Er faßt blitzschnell ihr Handgelenk und drückt zu.
Susanne Au! Sie läßt das Rasiermesser fallen. Sie, mein Mann! Wenn der aufwacht, ich rufe ihn – Ich ruf –
Adjunkt hat sie in die Ecke gedrängt: Ruf nur, es wird dich keiner hören, nur ich – Er packt sie wieder und küßt sie.
Susanne reißt sich wieder los und verliert dabei einen Brief: Sie Tier – Sie Tier – Gehen Sie jetzt, sonst geh ich –
Adjunkt rührt sich nicht.
Stille.
Adjunkt wendet sich langsam von ihr ab und zieht sich seinen Pelz an: Dich hol ich ein.
Susanne Nie.
Adjunkt Morgen. Nach dem Kino.
Susanne antwortet nicht.
Ich muß noch bezahlen.
Susanne Vierzig.
Adjunkt gibt es ihr: Da.
Susanne Danke.
Adjunkt ab; er trifft in der Tür die Hebamme, die eben mit einem kleinen Koffer eintritt.
Hebamme Grüß Sie Gott, Frau Figaro! Schnell eine kleine Ondulation, muß gleich wieder weiter – Sie setzt sich. Wie gehts Geschäft?
Susanne bedient sie: Danke, man lebt.
Hebamme Ich kann mich kaum mehr retten vor lauter Arbeit. Fünf Geburten in einer Woch. Davon gleich zweimal Zwillinge. Das hielt der stärkste Mann nicht aus! Wenn das so weitergeht, wird unser braves Großhadersdorf bald eine Weltstadt und meine armen Locken sind schon ganz deformiert vor lauter Storch! Eine Invasion! Grad komm ich von der Frau Hauptlehrer. Der hat er ein Töchterchen gebracht – klein wenig zu früh, aber die Frau Hauptlehrer wird trotzdem ihre Freud mit dem Kind haben, es ist gut bestrahlt, Steinbock und Merkur.
Susanne Kennen Sie sich aus am Himmel?
Hebamme Ich kenn mich überall aus.
Susanne Was ist denn Mai?
Hebamme Den Mai regiert die Venus im Zeichen des Stieres. Wer soll denn das sein?
Susanne Ich.
Hebamme So? Und der Herr Gemahl?
Susanne Das weiß man nicht. Er ist ein Findelkind.
Hebamme Ach! Na, na. Bei den Herren der Schöpfung spielen die Sterne überhaupt keine solche Rolle, Mannsbilder verändern sich leicht und trotzdem bleibens immer Gauner, manchmal möcht man schon meinen, ein Mannsbild hätt überhaupt keinen Stern. Wie lange sinds denn bereits verheiratet, junge Frau?
Susanne Sieben Jahre.
Hebamme Schon? Sieht man Ihnen aber nicht an.
Susanne Ich hab mit achtzehn geheiratet.
Hebamme Gebens nur acht, die Zahl Sieben ist eine verflixte Zahl! In jeder Ehe gibts nämlich alle sieben Jahre einen Klaps, das ist eine so verflixte metaphysische Regel. Warum habt ihr eigentlich keine Kinder? Das erste Haus in seiner Branche, ihr könnt euch doch wirklich welche leisten!
Susanne Ich möcht auch, aber mein Mann ist schuld.
Stille.
Hebamme Ihr lebt doch wie Mann und Weib?
Susanne Selten. Was habe ich ihm schon zugeredet, daß ich ohne Kind verkomm. Aber er geht auf mich nicht ein. Radikal nicht.
Hebamme Dem Manne kann geholfen werden. Glaubens mir, ich hab solche Fälle schon massenweis miterlebt! Hörens her, junge Frau. Sie treten jetzt einfach vor den Herrn Gemahl hin und beschwindeln ihn kategorisch, daß seine Befürchtungen eben Früchte getragen hätten. Was will er darauf erwidern? Nichts!
Susanne Da kennen Sie ihn schlecht.
Hebamme Was kann er dagegen tun? Höhere Gewalt! Er wird sich von der lieben Natur überlistet fühlen und wird nichts mehr befürchten, wenns eh keinen Sinn mehr hat. Diese Lösung des Problems, nämlich die Vorwegnahme der Folgen, das ist das Ei des Kolumbus! Sie erhebt sich, denn sie wurde nun fertig onduliert. Was bin ich Ihnen schuldig, junge Frau?
Susanne Ich wär Ihnen ewig dankbar. Achtzig, bitte!
Hebamme zahlt: Im September sehen wir uns wieder. Mars und die Waage, ich gratuliere! Lebens wohl, Frau Figaro! Ab.
Susanne Auf Wiedersehen, Madame!
Figaro kommt im Hausrock und Pantoffeln aus der Privatwohnung; er ist noch etwas verschlafen, gähnt, zieht den Hausrock aus, den Friseurmantel an und kontrolliert dann die Kasse: Eine Rasur, eine Ondulation – Zu Susanne. Ist das alles?
Susanne Ja.
Figaro Komisch, daß sich jetzt vor Neujahr nicht mehr Leut die Haare schneiden lassen, werden dann wieder alle auf einmal daherkommen, am Silvesternachmittag, knapp vor der Sperrstund, damit man die Hälfte wieder zur Konkurrenz schicken muß – na servus! Ich werde diese Frage wieder mal im Wirtschaftsverein ventilieren. Und den Herren Lehrern täts auch nicht schaden, wenn sie mal die Eltern aufklären würden, daß sie ihre Kinder nicht immer am Samstagnachmittag herschicken – die schönsten Vollbärt muß man auslassen wegen so einem Saububen, wo man doch am Kinderhaarschneiden eh nichts verdient. Wieso liegt denn da ein Rasiermesser auf dem Boden? Er hebt es auf. Ein gebrauchtes Rasiermesser! Er wirft einen strafenden Blick zu Susanne. Schlamperei sowas! Er wendet sich fast feierlich an Susanne. Ich muß ein ernstes Wort mit dir reden, Susanne. Es wird allmählich Zeit. Vor dreiviertel Jahren haben wir hier diesen Salon übernommen und es ist meiner Kunst gelungen, daß sich alle örtlichen Honoratioren, vom Pfarrer bis zur Hebamme, bei uns behandeln lassen, rasieren, frisieren, ondulieren, maniküren, ja sogar das Pediküren hab ich eingeführt, etcetera, etcetera – aber die größere Kunst ist es nicht, Kundschaft zu erobern, sondern selbe nicht wieder zu verlieren, und hierbei kommts nicht nur auf erstklassiges Rasieren, Frisieren etcetera an, sondern auf gewisse diplomatisch-psychologische Kniffe, indem man der Kundschaft menschlich entgegenkommt, sich für ihre Probleme interessiert, mit ihrem Urteil übereinstimmt, ihren Eitelkeiten schmeichelt, ihre Sorgen teilt, ihre Fragen beantwortet, lacht, wenn sie lacht, weint, wenn sie weint –
Susanne unterbricht ihn: Ist das deine Freiheit?
Figaro Verwirr mich nicht, bitte, und laß mich ausreden! Meine Freiheit äußert sich nicht zuletzt darin, daß ich heucheln darf, und geheuchelt muß werden, sonst liegen wir eines Tages draußen im Dreck! Du verkennst den Ernst der Situation. Unlängst auf der Reunion in der Turnhalle hast du die Bürgermeisterin fast geschnitten –
Susanne fällt ihm ins Wort: Sie hat in einer Tour von ihrem Bruch erzählt, das hält kein Mensch aus.
Figaro Bruch her, Bruch hin, du hast es auszuhalten! Du trägst eine Verantwortung, und es ist auch deine selbstverständliche Pflicht, morgen abend das dramatische Fest des humanitären Vereines zu besuchen! Die Frau Konditor ist eine prima Kundschaft, und du mußt dir ihre Tochter Irma anschauen!
Susanne Ich bleibe lieber zuhaus und lese einen Roman –
Figaro Du hast keinen Roman zu lesen, du hast dir die Irma anzuschauen!
Susanne Das häßlichste Mädel der Welt! Ein schielender Zwerg mit so einem Wasserkopf –
Figaro Wasserkopf her, Wasserkopf hin! Du hast diese Mißgeburt für äußerst herzig zu halten und hast zu applaudieren, bis du rote Hände kriegst, bitt ich mir aus!
Susanne Ich hasse diese Spießer!
Figaro Wir leben von diesen Spießern, ob du sie liebst oder haßt!
Susanne Wenn sie en masse nur nicht so riechen würden –
Figaro Die Zeiten, wo wir von Herrschaften umgeben waren, die eine parfümierte Existenz hatten, diese Zeiten sind tot. Endgültig tot.
Susanne Tu nur nicht so, als sehntest du dich nicht auch zurück!
Figaro Ich pflege mich nicht mehr zu sehnen, das hab ich mir abgewöhnt. Ich pflege nur zu denken, an das Heute und an das Morgen.
Susanne dumpf: In diesem Nest verkomm ich noch – Sie fährt ihn plötzlich an. Ich bin nicht dazu geboren, eine Frau Konditor zu frisieren und Mißgeburten für charmant zu halten, ich hab schon an den größten Sängerinnen Kritik geübt, ich bin nicht dazu geboren, in verräucherten Wirtshäusern Bier zu trinken, ich hab schon mal in meinem Leben Champagner getrunken, ich bin nicht dazu geboren, in Damenkränzchen über Brüche zu diskutieren, ich war die Vertraute einer Gräfin – Sie stockt plötzlich und weint heftig. Wären wir doch bei Almavivas geblieben!
Figaro Möchte nicht wissen, wie rosig es jetzt den ärmsten Almavivas ergehen mag.
Susanne weinend: Besser wie mir auf jeden Fall.
Figaro Versündige dich nicht!
Stille.
Susanne Manchmal sprichst du schon wie unsere Kundschaft –
Figaro Wir müssen uns nach der Decke strecken, sonst bekommen wir kalte Füße und werden krank – Er grinst.
Susanne Großhadersdorf ist der Tod.
Figaro Ich bin nicht schuld, daß wir hier gelandet sind.
Susanne fährt ihn plötzlich wieder an: Sondern?! Natürlich! Ich bin schuld daran! Ich! Nur wegen mir und meiner »blöden« Treue zur Herrschaft sind wir ja emigriert und haben uns all dies eingebrockt, denn wir hätten ja ruhig daheim bleiben können wie Onkel Antonio, Pedrillo, Fanchette – und du wärst sogar vielleicht Schloßverwalter geworden, was, wie?! Ich hör es ja jeden Tag dreimal!
Figaro Das ist nicht wahr! Nur ein einziges Mal hab ich dergleichen geäußert!
Susanne Aber ich höre es, auch wenn du schweigst! Ich höre es, wenn du die Zeitung liest, ich höre es, wenn du zum Fenster hinausschaust, ich höre es, wenn du neben mir liegst, daß du es träumst –
Figaro ironisch: Was hörst du denn noch?
Susanne Daß es nicht mehr stimmt zwischen uns, Figaro.
Stille.
Figaro Wieso?
Susanne Als wir uns von der Gräfin trennten, da habe ich dir gesagt, ich gehe mit dir überall hin, denn ich gehöre zu dir – Erinnerst du dich? – Ich folge dir auch nach Großhadersdorf, hab ich gesagt, denn ich liebe dich, aber ich muß auch deine Frau sein, richtig deine Frau.
Figaro Was heißt das? Bin ich nicht dein Mann?
Susanne Erinnerst du dich denn nicht?
Stille. Es dämmert.
Hebamme kommt rasch zurück: Habe ich hier nicht meine Tasche gelassen? Da ist sie ja, Gottseidank! Sie nimmt ihren kleinen Koffer an sich.
Figaro Bei uns kommt nichts weg, Madame!
Hebamme Das wär eine teure Überraschung gewesen und der Storch hätt Augen gemacht. Apropos teure Überraschung: Wissen Sie es schon, Herr Figaro?
Figaro Was?
Susanne plötzlich: Ich habe es ihm nicht erzählt.
Figaro Versteh kein Wort.
Susanne zu Figaro: Ich konnt es dir nicht sagen.
Figaro Was heißt das? Es gibt nichts auf der Welt, was du deinem Mann nicht sagen könntest, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Nur nach dem Essen wünsche ich nicht gestört zu werden. Zur Hebamme. Hat sie was zerbrochen?
Hebamme lächelt: Im Gegenteil, Herr Figaro! Eine freudige Botschaft.
Figaro Freudige Botschaft?
Hebamme zu Susanne: Nur Mut! Zu Figaro. Hören Sie mal – Sie flüstert mit ihm.
Figaro kriegt große Augen und blickt immer wieder auf Susanne.
Susanne wendet den beiden den Rücken zu und säubert in Gedanken versunken das gebrauchte Rasiermesser.
Hebamme So. Zu Susanne. Jetzt ist es heraußen. Zu Figaro. Ich gratuliere, gratuliere! Auf Wiedersehen, junge Frau! Ab.
Figaro starrt versteinert auf Susanne; leise: Ist das wahr?
Susanne tonlos: Ja.
Figaro Woher?
Susanne fährt herum: Woher, fragst du? Traust du es mir denn zu, daß ich dich betrüge?!
Figaro Nein, das trau ich dir natürlich nicht zu. Wie kämst du denn auch dazu, wo du doch alles hast. Verzeih, ich bin etwas wirr. Ein so ein Unglück.
Susanne Unglück?
Figaro Soll ich vielleicht jubeln?
Stille.
Susanne Du bist ein Unmensch.
Figaro Wie oft soll ich es dir noch sagen, daß ich kein Unmensch bin. Ich besitze lediglich Verantwortungsgefühl und du weißt, ich kann prophezeien. Soll ich es vom Himmel droben mitansehen, wie mein Kind im nächsten Krieg fällt?
Susanne Ich glaube, du hast für den Himmel zuviel Verantwortungsgefühl. Du kommst in die Hölle.
Figaro Überlaß das mir, bitte! Mit ruhigem Gewissen kann man sich in unserer Zeit kein Kind leisten. Liest du denn keine Zeitungen? Jeden zweiten Tag ein neuer Tod – alle werden daran glauben müssen. Hier in Großhadersdorf wird sichs ja relativ noch am längsten leben lassen, keine Festung in der Nähe, kein Knotenpunkt, nichts, was wert wäre, zerstört zu werden. Sie werden aber auch das Wertlose zerstören und die Erdbeben werdens vollenden. Wir leben in einer Völkerwanderung, Susanne, und nie noch haben Menschen mit mehr Recht wie du und ich sagen dürfen: nach uns die Sintflut! Setz du dein Kind in die Welt, setz es nur! Es wird in einer Mondlandschaft leben, mit Kratern und giftigem Dunst – ich muß mal mit dieser braven Hebamme reden, sie wird schon einen Ausweg wissen –
Susanne bricht los: Red nur mit ihr, red nur! Ich will auch kein Kind mehr von dir – Und wenn ich eins bekäme, ich würd mich verkriechen wie eine Hündin, damit du es nicht weißt, wo dein Kind das Licht der Welt erblickt, damit du es nicht behext, denn du wünschst ihm ja nicht das Leben – nie würde ich dir dein Kind zeigen, nie! Du verdienst es ja nicht anders, du bist der Tod! Der Tod!
Figaro sieht sich besorgt um, er geht zur Tür und öffnet sie, schließt sie wieder: Nicht so laut, Susanne! Wahren wir wenigstens die Form. Die Leut tuscheln bereits –
Susanne fällt ihm gehässig ins Wort: Immer diese Leute!
Figaro Immer und immer und ewig! Jawohl!
Stille.
Susanne fixiert ihn gehässig: Du willst deine Ruhe haben?
Figaro Erraten.
Susanne langsam und gehässig: Dann werd ich jetzt den Streit schlichten. Figaro, ich hab dich vorhin belogen. Ich erwarte kein Kind von dir –
Figaro fährt hoch: Was?! Kein Kind?!
Susanne Ich habe es nur so gesagt, damit du dich endlich meiner erbarmst. Es war nur eine List von mir –
Figaro List?
Susanne Deine Frau wollte dich überlisten, damit sie durch dich, du Herrlicher, Mutter wird. Doch das ist nun aus. Der Mann, von dem sie ein Kind haben möchte, der wohnt nicht in Großhadersdorf.
Figaro Sei so gut!
Susanne Ich habe heut Nacht von ihm geträumt. Er beugte sich über mich und sein Schatten war dreimal so groß wie die Welt. Ich habe ihn genau erkannt.
Figaro Wen?
Susanne Meine große Liebe.
Stille.
Figaro Wie heißt er?
Susanne Er ist tot.
Stille.
Susanne Er hieß Figaro.
Figaro Figaro?!
Susanne Ja. Mein Figaro freute sich über die Zukunft, wenn ein Gewitter am Himmel stand, und sprang ans Fenster, wenn es einschlug, aber du? Du gehst nicht ohne Schirm aus dem Haus, wenn nur ein paar Wölkchen am Himmel stehen! Mein Figaro saß im Kerker, weil er seine Meinung schrieb, du würdest dich nicht mal trauen, heimlich seine Schriften zu lesen! Mein Figaro war der erste, der selbst einem Grafen Almaviva auf der Höhe seiner Macht die Wahrheit ins Gesicht sagte, du wahrst die Form in Großhadersdorf! Du bist ein Spießer, er war ein Weltbürger! Er war ein Mann, und du!
Figaro Ob ich ein Mann bin oder nicht, das kannst du nach siebenjähriger Ehe nicht so mir nichts, dir nichts konstatieren. Ich konstatiere es aber, daß du eine Schwindlerin bist und keine Mutter, mehr Zofe als Geschäftsfrau, immer vor dem Spiegel und dennoch verschlampt im Betrieb, eitel, gefallsüchtig, wehleidig, äußerlich –
Susanne fällt ihm ins Wort: Äußerlich? Äußerlich, sagst du?!
Figaro grinst: Äußerlich und innerlich, wir kennen uns aus.
Susanne Du hast dich mal ausgekannt, aber heut hast du alles vergessen.
Hauptlehrer kommt: Haarschneiden, bitte! Guten Tag, schöne Frau!
Susanne läuft aufschluchzend in die Privatwohnung. Hauptlehrer sieht ihr perplex nach. Was hat sie denn?
Figaro Launen.
In einer großen fremden Stadt. Billig möbliertes Zimmer. Die Gräfin sitzt im einzigen Lehnstuhl und liest Novellen aus der Leihbibliothek. Sie ist weiß geworden. Der Graf steht am Fenster. – Es schneit.
Graf Es schneit.
Gräfin lächelt: Es wird wieder Winter. Hoffentlich ein milder, denn das Holz ist gestiegen.
Graf Ist die Post schon gekommen?
Gräfin Erwartest du etwas?
Graf Ja. Antwort von der Redaktion.
Gräfin Es wäre Zeit.
Graf Wir werden heute bezahlen.
Gräfin Ich fürcht mich schon direkt, wenn wer klopft, wo wir doch vierzehn Tage nichts mehr beglichen haben –
Graf Ein Graf Almaviva bleibt niemand etwas schuldig. Es klopft an der Türe. Herein.
Magd bringt zwei Briefe: Die Post, Herr Graf! Ab.
Graf Für dich. Und von der Redaktion – Er öffnet seinen Brief und überfliegt ihn.
Gräfin öffnet den ihren und liest die Unterschrift: Ach! Sie vertieft sich in den Inhalt.
Graf hat den seinen gelesen und steckt ihn apathisch ein; tonlos: Wer schreibt dir?
Gräfin Susanne.
Graf Susanne? Ich hab dich doch ersucht, nicht mit ihnen zu korrespondieren.
Gräfin Ich korrespondier ja auch nicht, da sieh das Kuvert! Es ging noch ins Esplanade und wurde uns nachgesandt.
Graf liest die Adressen auf dem Kuvert: Esplanade, Carlton, Regina –
Gräfin lächelt: Von Station zu Station.
Graf Von Stufe zu Stufe. Stille.
Gräfin Hast noch Sehnsucht nach dem Esplanade?
Graf starrt noch immer auf die Adressen: Dritter Stock. Möbliert. Bei Therese Bader – Er legt das Kuvert auf den Tisch.
Gräfin Frau Bader ist ein braver Mensch.
Graf Ja. Sie hat Mitleid mit uns. Gräßlich.
Gräfin Du mußt noch lernen.
Graf Ich habe meine Studien bereits absolviert.
Gräfin Wir sitzen noch in der Schule, wenn auch in einer höheren Klasse, vielleicht sogar schon auf der Universität – Sie lächelt. Siehst du, die kleine Susanne, die lernt erst lesen und schreiben und fürchtet sich, wie alle Kinder, wenn man sie allein im Dunkeln läßt. Wir fürchten uns nicht mehr, was?
Graf Du bist so tapfer geworden – Er lächelt leise.
Gräfin Ich hab mich verändert. Gottseidank.
Stille.
Graf Was schreibt denn Susanne?
Gräfin Sie möchte fort von Figaro.
Graf überrascht: Fort? Warum?
Gräfin Weil er sich verändert hat.
Graf Betrügt er sie?
Gräfin Nein, doch scheint er nur seinen Salon zu kennen und vernachlässigt ihre Liebe – Sie blickt in den Brief. Arme Susanne! Sie fragt, ob sie wieder zu uns kommen könnte –
Graf Zu uns?
Gräfin Als Zofe.
Graf grinst.
Sie hat Sehnsucht nach dem, was gewesen ist.
Stille.
Graf erhebt sich und geht auf und ab: Die Redaktion schrieb mir übrigens, daß meine Memoiren fürs Feuilleton nicht in Frage kämen, auch nicht für die Sonntagsbeilage. Ein Graf Almaviva bietet sich an und kommt nicht in Frage! Sein Name wird ausradiert, sein Leben wird Nebel – Er holt seinen Brief aus der Tasche und überfliegt ihn noch einmal. Frechheit! Ich hätte einen altertümelnden Stil, schreiben diese Proleten, wo doch heutzutage keiner mehr einen anständigen Satz verfassen kann – lauter Schmieranten! Da – Er gibt ihr seinen Brief.
Gräfin liest ihn und sieht dann den Grafen groß an: Willst du nicht ins Café gehen?
Graf Ich hab kein Geld.
Gräfin Ich habe noch etwas – Komm, geh!
Graf Und was willst du heut abend essen?
Gräfin Für dich ist schon gesorgt. Ich esse nichts.
Graf Du kannst doch nicht hungern!
Gräfin Gesundheitlich ist es nur gut, wenn man mal aussetzt – Geh nur, spiel bißchen Schach, kommst auf andere Gedanken –
Graf lächelt: Heut bin ich mal wieder dein Sohn – Er zieht den Mantel an und will ab, hält jedoch in der Türe. Und was wirst du Susanne antworten?
Gräfin Ich werd ihr schreiben, sie soll den Mut nicht verlieren.
Graf Und über unsere momentanen Verhältnisse, da geh so darüber hinweg –
Gräfin Ich gehe, ich gehe – Sie nickt ihm lächelnd Abschied zu.
Graf Lebwohl! Ab.
Gräfin holt Briefpapier und schreibt: Liebe Susanne, eine Frau gehört zu ihrem Mann –
Nach einem halben Jahre, im Lande der Revolution und zwar auf dem ehemaligen ländlichen Herrensitz des emigrierten Grafen Almaviva. Vor dem herrlich barocken Schloßportal sitzen Antonio, der alte Schloßgärtner, und Pedrillo, der einstige Reitknecht des Grafen und jetzige Schloßverwalter, in der Sonne. Der Erste raucht, der Zweite liest die Zeitung. Es ist Hochsommer.
Antonio Was steht denn in der Zeitung?
Pedrillo Es geht vorwärts.
Pedrillo Bei uns. Überall auf der Welt gehts rapid abwärts, nur bei uns gehts aufwärts.
Antonio Schön wärs, wenn mans auch spüren tät –
Pedrillo Du bist ein gefährlicher Nörgler. Meiner Seel, wenn du nicht mein leibhaftiger Schwiegervater wärst, dich hätt ich schon längst vor das Revolutionstribunal gebracht.
Antonio Kannst mich ruhig bringen, Herr Schwiegersohn, ich bin ein Greis und leb eh nimmer lang, und ich täts auch deinen Freunderln im Tribunal sagen: als hier bei uns noch der hochgeborene Graf Almaviva residierte, diese Zeiten kommen nie wieder!
Pedrillo Gottseidank!
Antonio Das waren bessere Zeiten.
Pedrillo So? Und was ist mit den unzähligen Verbrechen deines hochgeborenen Grafen? Erinnerst du dich denn nicht mehr, was dieser hochgeborene Lump für empörende Schandtaten übereinander gehäuft hat, ha?! Ich erinnere dich nur, mit welch brutalem Egoismus er seinen zynischen Herrenrechten frönte! Die armen Mädchen des Volkes waren ja schier Freiwild für seine niedere Lust, selbst jene Susanne, die Frau seines intimsten Kammerdieners, hätt seinerzeit als Braut fast dran glauben müssen – hätt sie doch nur, ich hätt es diesem elenden Figaro von Herzen vergönnt, diesem Verräter an der Idee des Volkes! Hilft dem Grafen über die Grenze, einem Grafen, der allzeit nur seinem bestialischen Triebleben frönte! Ein Sarkast!
Antonio Ich glaub, wenn wir zwei Grafen gewesen wären, dann hätten wir auch gefrönt –
Pedrillo Wir waren aber keine Grafen, bitt ich mir aus! Du warst hier sein bedauernswerter, gequälter Schloßgärtner –
Antonio unterbricht ihn: Was war ich? Gequält?
Pedrillo Hast der Gräfin die extravagantesten Gemüse gezüchtet für ihre raffinierte Tafel – und deine Tafel? Du hast Kraut gefressen, tagaus – tagein!
Antonio grinst boshaft: Kraut erhält jung.
Pedrillo brüllt ihn an: Ich mag aber kein Kraut, verstanden? Weder Kraut, noch Rüben!
Kinder laufen lachend und schreiend vorbei; sie spielen mit einem Ball und der Ball trifft Antonio.
Antonio sieht den Kindern böse nach: Freche Lümmel –
Pedrillo Das sind keine Lümmel, das sind Zöglinge des staatlichen Kinderheimes im ehemaligen Schlosse deines hochgeborenen Grafen, merk dir das endlich! Wo früher geschminkte Vergangenheit frivole Scherze trieb, wächst nun ein starkes Geschlecht der Zukunft heran, froh, frei und gestählt.
Antonio Dein gestähltes Geschlecht der Zukunft hat mir neulich meine ganzen Äpfel gestohlen –
Pedrillo Du bist ein alter, boshafter Nihilist!
Antonio braust auf: Beleidigen laß ich mich nicht! Wer bist denn du? Der blödeste aller Schloßverwalter! Siehst nur die »Zukunft«, die »Zukunft«! Aber daß das kunstvollste Inventar im Keller vermodert, all die Bilder, Möbel, Gobelins, das ist dir wurscht! Mir bricht das Herz, wenn ich an die Keller denk!
Pedrillo Ein lebender Mensch ist mir mehr wert als alle tote Kunst der Welt.
Antonio In welchem Bücherl hast denn das gelernt?
Pedrillo Wenn ich so unbelesen wär wie du, dann tät ich mir leid!
Fanchette läuft aufgeregt herbei: Pedrillo, Pedrillo!
Pedrillo Wo brennts denn?
Fanchette Denk dir nur, was ich sah – ich steh grad im Park, am Brunnen des Neptun –
Pedrillo unterbricht sie: Es gibt keinen Brunnen des Neptun, nur einen Brunnen des dreiundzwanzigsten September, merk dir das endlich!
Fanchette Ist ja egal!
Pedrillo Hoho! So spricht mein Weib – Zu Antonio. Deine Tochter!
Pedrillo Das werd ich dich nicht haben! Zu Fanchette. Weiter.
Fanchette Kommandier mich nicht, ich gehör nicht zu deiner Garde! Also: ich steh an dem Brunnen des dreiundzwanzigsten Neptun und da kommt wer über die große Wiese, mir blieb direkt das Herz stehen, momentan dacht ich, es kommt ein Gespenst!
Antonio Ein Gespenst?
Fanchette zu Antonio: Am hellichten Tag!
Pedrillo zu Fanchette: Es gibt keine übersinnlichen Wesen. Weiter!
Fanchette Es war auch nichts Übersinnliches, sondern ein durchaus sinnlicher Mensch aus Fleisch und Blut – ein alter Bekannter!
Pedrillo Wer?
Fanchette Ihr werdet es mir nicht glauben –
Pedrillo So red doch schon!
Fanchette Figaro.
Antonio Figaro?!
Pedrillo Was?! Dieser elende Emigrant wagt sich zurück?! Das ist ja der Gipfel des Hohns, die Dreistigkeit in persona, die schamloseste Herausforderung des Jahrhunderts!
Fanchette Ich bitt dich, red nicht so geschraubt!
Pedrillo fixiert sie: Paßt es dir etwa nicht, wenn ich ihn einkerkern laß?
Fanchette Bist schon wieder eifersüchtig?
Pedrillo Auf einen Emigranten? Für was hältst du mich?!
Figaro kommt und hält: Ach! Da seid ihr ja – Er lächelt. Die Drei verziehen keine Miene. Grüß Gott, Fanchette!
Pedrillo finster: Guten Tag.
Figaro zu Pedrillo: Habe die Ehre! Wie gehts?
Antonio Schlecht. Stille.
Pedrillo grimmig: Wir haben dich nicht erwartet.
Figaro lächelt: Ihr seid überrascht, was?
Pedrillo grinst grimmig: Sehr angenehm sogar – Er fährt Figaro an. Lumpiges Emigrantengesindel, das täte uns hier noch not!
Stille.
Figaro plötzlich: Wiedersehen! Er will ab.
Pedrillo Halt! Du weißt, was dir blüht!
Figaro lächelt: Viel kann mir nicht blühen –
Pedrillo Oho!
Figaro Ich bin doch zu guter Letzt nur wegen meiner Frau fort, ein Emigrant aus Liebe – Er grinst.
Pedrillo Liebe ist ein privates Problem der individuellen Anarchie und alles Individuelle interessiert uns politisch einen Dreck.
Fanchette Wo steckt denn Susanne?
Figaro Keine Ahnung.
Fanchette perplex: Wieso?
Figaro Wir sind geschieden.
Fanchette Geschieden?!
Figaro Von Tisch und Bett. Schon seit einem halben Jahr.
Fanchette Du hast sie betrogen?
Figaro Im Gegenteil! Und umgekehrt.
Fanchette kann es nicht fassen: Sie dich?
Figaro Ja.
Pedrillo wirft einen raschen Blick auf Fanchette; grimmig grinsend zu Figaro: Was du nicht sagst!
Fanchette für sich: Arme Susanne!
Pedrillo Mit wem hat sie dich denn betrogen? Er wirft wieder einen Blick auf Fanchette. Mit dem Grafen?
Figaro lächelt: Nein, nur mit einem Forstadjunkten, einem gewöhnlichen Sterblichen –
Pedrillo Es gibt weder gewöhnliche noch ungewöhnliche Sterbliche, es gibt einfach nur Sterbliche und basta, merk dir das, du Hergelaufener!
Figaro fixiert ihn: Wer ist ein »Hergelaufener«? Ich bin kein Hergelaufener, hörst du! Ich bin zwar ein Findelkind, und weiß es nicht, ob ich hier geboren wurde, aber es ist mir bekannt, daß ich hier gefunden wurde –
Pedrillo Leider!
Figaro Ob es dir leid tut oder nicht, ich bin hier zuhause, wie die Bäume, die Wiesen, das Wasser, die Luft, verstanden?!
Pedrillo drohend: Du brüll dich nicht mit mir. Ein Emigrant ist immer ein Hergelaufener und hat auch kein Zuhause, denn er hat es verraten.
Figaro Einen Schmarrn hab ich verraten, du Narr! Ich erinnere mich an einen gewissen Pedrillo, er war der Reitknecht des Grafen, und ohne einen gewissen Figaro würdest heut noch ein Stallknecht sein! Wer gab dir denn das erste Buch, in dem es schwarz auf weiß stand, daß ein Knecht nicht ewig Knecht bleiben muß?! Von wem hast denn du die Revolution gelernt?! Von mir, von einem gewissen Figaro!
Pedrillo fährt ihn an: Aber ohne einen gewissen Figaro wär mir der Graf nicht entkommen – wer schaffte ihn denn über die Grenze? Du! Verräter! Wenn ich nicht so viel revolutionäre Disziplin hätt, dann tat ich dir jetzt eine hinhaun!
Fanchette So hörts doch endlich auf!
Pedrillo zu Fanchette: Misch dich da nicht hinein, sonst passiert noch ein Unglück!
Figaro zu Pedrillo: Was hat denn dir der Graf getan?
Pedrillo Er hat mein Weib vergewaltigt.
Figaro perplex: Vergewaltigt? Er wirft einen fragenden Blick auf Fanchette.
Fanchette lächelt verlegen und macht ihm heimlich ein Zeichen, es wär nicht so schlimm gewesen.
Pedrillo Wenn ich diesen gewissen Grafen erwischt hätt, den hätt ich mir ausgeborgt – Er schlägt in die Luft. So. Und so und so! – Er wirft Figaro einen vernichtenden Blick zu. Jetzt geh ich und hol die Wache. Ab.
Fanchette zu Figaro: Flieh, ich bitt dich, flieh! Mein Mann kennt keine Witz, wenn er bei seiner Gesinnung gepackt wird. Du glaubst es mir nicht, wie der hassen kann!
Antonio Er ist ein reißendes Tier –
Fanchette fährt Antonio an: Red nicht immer per Tier von ihm, Papa! Auch Pedrillo hat seine guten Seiten, er glaubt eben an unsere Idee! Zu Figaro. Figaro, bei unserer einstigen Freundschaft fleh ich dich an, lauf davon! Er bringt dich noch ins Zuchthaus, und du verlierst den Kopf!
Figaro Den Kopf? Die Zeit, in der ein Kopf keine Rolle spielte, diese Zeit ist vorüber. Heut ist das Köpfchen wieder Trumpf und die Todesurteile werden gefällt, um nicht vollstreckt zu werden. Die »Hingerichteten« bevölkern die Börse und geben dem Henker falsche Tips – Er lächelt. Nein, Fanchette: Figaro bleibt. Er hat Großhadersdorf verlassen und ist nach Damaskus gegangen. Aber in Damaskus scheinen auch nur Großhadersdorfer zu wohnen, allerdings mit einem anderen Vorzeichen –
Pedrillo kommt mit der Wache; zu Figaro: Im Namen des Volkes! Figaro, jetzt verhafte ich dich!
Figaro Einen Moment! Zum Wachtmeister. Bevor Ihr mich in Ketten zu legen geruht, geb ich Euch den guten Rat, einen kleinen Blick in dieses Dokument zu werfen – Er überreicht dem Wachtmeister ein Dokument. Ich möchte Euch nämlich eine Blamage ersparen, die ich jenem – Er deutet auf Pedrillo – vergönn!
Pedrillo perplex: Was heißt das?
Wachtmeister liest das Dokument und kriegt große Augen.
Figaro zu Pedrillo: Ich hätt sie dir nicht vergönnt, wenn du nicht derart undankbar dumm gewesen wärst – Zum Wachtmeister. Wachtmeister, haben Sie das Dokument entziffert?
Wachtmeister Zu Befehl! Er kommandiert der Wache. Angetreten! Habt acht! Präsentiert das Gewehr! Links schaut! Wache präsentiert vor Figaro.
Pedrillo außer sich: Was ist?! Ihr präsentiert da?!
Wachtmeister zu Pedrillo: Ruhe!
Pedrillo »Ruhe«?! Ich werd verrückt!
Figaro zu Pedrillo: Einen Moment! Es ist aus, Pedrillo. Schwarz auf weiß – Er überreicht ihm das Dokument. Du bist pensioniert.
Pedrillo trifft fast der Schlag: Pensioniert?
Fanchette Wer?!
Pedrillo Ich?!
Figaro Ja.
Antonio beiseite: Höchste Zeit!
Fanchette zu Pedrillo: Gib her – Sie reißt ihm das Dokument aus der Hand und liest es hastig mit ihm.
Figaro zum Wachtmeister: Danke, Herr Wachtmeister!
Wachtmeister kommandiert der Wache: Augen gerade aus! Links um! Marsch! Ab mit der Wache.
Pedrillo hat nun das Dokument hinter sich und schreit auf: Was?! Jetzt werd ich aber wirklich verrückt – du, du bist der neue Schloßverwalter?!
Figaro zu Fanchette, die ihn mit offenem Munde anstaunt: Ja. Soll ich etwa draußen redlich rasieren – frisieren, wenn ich zuhaus mit nur bißchen Verstand Schloßverwalter werden kann? Nein! Ich bin fort von hier, heimlich geflohen bei Nacht und Nebel, als war ich ein Aristokrat und kein Diener – jaja, die Liebe schläferte mich ein, ich schlief und träumte blauen Dunst – aber nun bin ich wieder erwacht, bin wieder zurück. Schon seit drei Wochen. Ich hab mich den neuen Herren zur Verfügung gestellt, hab ihnen alles gebeichtet, und sie haben mir meine Emigrationssünden vergeben, obwohl ich nicht absonderlich zerknirscht war – Er grinst. Jaja, die Revolution ist »menschlicher« geworden, eine günstige Basis für selbständige Charaktere, die den zweiten Joker suchen –
Pedrillo Solche Charaktere machen die Karrier!
Figaro Du schweig von Charakteren!
Pedrillo Was hab ich denn verbrochen, daß ich so rapid abgesägt werd? Bin ich etwa zu revolutionär?!
Figaro Vielleicht! Sehr leise, damit es die Wache nicht hört. Aber außerdem hast du falsch verrechnet.
Pedrillo Wieso falsch?
Figaro Du hast hier im Kinderheim achtundvierzig Findelkinder betreut, doch hast du diese Zahl konstant von rechts nach links gelesen: vierundachtzig. Und daß ich dich jetzt nicht verhaften laß, das verdankst du nur mir, edler Ritter.
Fanchette zu Pedrillo: Siehst du, ich habe immer gesagt, daß das mal ans Tageslicht kommt!
Pedrillo Du schweig! Wer hat sich denn das Piano auf Raten gekauft? Ich oder du?
Fanchette Und wer hat denn die Raten im Wirtshaus versoffen? Du oder ich?
Figaro Regt euch nicht auf, liebe Leute. Ihr habt ja nur das getan, was alle Schloßverwalter tun. Ich wollt, ich könnt sprechen!
Antonio beiseite: Ich könnt schon sprechen, aber ich werd mich hüten!
Fanchette Und Susanne?
Figaro Susanne? Das gibt es nicht mehr, die wollt es nicht anders haben, sie hat mich betrogen.
Fanchette Mit Recht.
Figaro Oho!
Fanchette Wenn es dich heute nichts angeht, ob sie draußen etwa bettelt, dann hat sie dich sicher mit Recht betrogen. Es gibt nämlich zweierlei Recht. So oder so.
Figaro stutzt und sieht sie groß an.
Fanchette langsam und fast lauernd. Und warum hat sie dich eigentlich betrogen, deine Susanne?
Figaro Wieso, warum? Wir haben uns eben auseinandergelebt –
Fanchette Soso, »auseinander« – Und wer war schuld?
Figaro Ich nicht.
Fanchette Du warst ganz unschuldig, was?
Pedrillo lacht grimmig kurz auf.
Figaro Ich war ihr immer treu.
Fanchette Das beweist noch nichts.
Figaro scharf: Sondern?
Stille.
Fanchette Ihr habt noch immer keine Kinder, was?
Figaro Nein. Gottseidank.
Stille.
Fanchette Arme Susanne! Eine Frau ohne Kind hat doch gar keinen Sinn!
Figaro In der heutigen Zeit hat gar manches keinen Sinn –
Fanchette Aber Schloßverwalter werden, das hat einen Sinn, was, du Unschuldiger? Stille.
Schäm dich. Du bist ja noch korrupter wie wir. Jawohl, korrupt – durch und durch.
Figaro Tatsächlich?
Antonio zu Fanchette: Laß ihm seine Freud!
Figaro zu Antonio: Laß sie nur! Zu Fanchette. Red ruhig weiter!
Fanchette Ich würd auch weiterreden, wenn du mich nicht lassen würdest, Herr Schloßverwalter!
Stille.
Figaro zu Fanchette: Hör mal her: Seit Susanne mich betrogen hat, bin ich um eine Erkenntnis reicher; es wird auf der Welt nichts besser gehaßt und verachtet als ein redlicher Mann mit Verstand, und da gibts nur einen Ausweg. Du hast dich zu entscheiden: Redlichkeit oder Verstand. Bist du nur redlich, mußt du opfern, hast du nur Verstand, wird dir geopfert. Ich hab mich entschieden.
Antonio Bravo!
Pedrillo Hör mal her, Figaro, bevor ich jetzt ins Wirtshaus geh: ganz im Ernst, ich möcht dir jetzt nur sagen, ich hab für eine große Idee gekämpft, auch wenn ich falsch abgerechnet hab, aber das tut der Idee nichts an, und es wird immer vorwärts gehen, auch wenn alle Schloßverwalter Schwindler sind!
Antonio wegwerfend: »Vorwärts«!
Figaro fährt Antonio an: Denk nur ja nicht, daß etwa unser Herr Graf Almaviva nicht auch korrupt gewesen wär, er war es sicher genau so begeistert wie wir, nur ist das bei ihm nicht mehr so aufgefallen, weil wir uns seit Generationen daran gewöhnt haben – seine Korruption war gewissermaßen schon ein Gewohnheitsrecht geworden!
Pedrillo Stimmt!
Figaro Wer war denn überhaupt unser Herr Graf? Ein großer Herr, der sichs drum eingebildet hat, auch ein großer Geist zu sein! »In zwei Monaten ist alles aus!« Essig! Geburt, Reichtum, Stand und Rang machten ihn stolz! Was tat er denn, der Herr Graf, um so viele Vorzüge zu verdienen? Er gab sich die Mühe, auf die Welt zu kommen, und das war die einzige Arbeit seines ganzen Lebens, dessen übrigen Teil er verpraßt, verprunkt und verspielt hat!
Pedrillo Oh wie wahr! Er fährt Antonio an. Ich laß mir mein Ideal nicht nehmen, auch wenn ich jetzt pensioniert bin, verstanden?!
Antonio Hängts euch alle auf! Wütend ab.
Figaro zu Pedrillo: Du hast noch ein Ideal?
Pedrillo ernst: Ja. Stille.
Fanchette zu Figaro: Wenn er kein Ideal hätte, warum hätt er denn dann die Revolution gemacht?
Figaro Damit es ihm besser geht.
Pedrillo Das ist noch nicht alles. Zu Fanchette. Sags ihm.
Fanchette Es soll uns besser gehen, damit wir edlere Menschen werden können.
Pedrillo zu Figaro: Hast es gehört, Herr Schloßverwalter?
Figaro Ja.
Pedrillo Merk dirs – Er nickt ihm traurig zu und geht ab.
Figaro zu Fanchette: Dein Mann ist ein Narr.
Fanchette fährt ihn plötzlich an: Du wirst mir nicht alles Menschliche zerstören, du nicht!
Figaro Du hast das Wesen der Dinge noch nicht erfaßt. Wir leben in Zeitläuften, wo die Läufte wichtiger sind, als die Menschen. Leider!