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In einem, jetzt schon längst verschollenen Gasthause zweiten, vielleicht dritten Ranges auf dem Valentinskamp, nahe beim Gänsemarkt, zu Hamburg, hatten zwei Herren das größte, dreifensterige, die ganze Front des schmalen Gebäudes einnehmende Fremdenzimmer bezogen, welche mit Extrapost aus Meklenburg angelangt waren. Ihre Reisepässe, von vielem Gebrauche fast vernützt, seit Monaten nicht mehr visirt und abgelaufen, hätten streng genommen keine Giltigkeit mehr gehabt. Doch wem fiel es bei, in tiefen Friedenszeiten gegen Extrapostreisende strenge zu sein? Und gar in einer freien Stadt, wo unausgesetzter Verkehr zu Lande wie zu Schiffe wechselt und von deren Hafen aus schon viele Bedrängte glücklich entkommen sind? Aber bedrängt wurden diese Beide durchaus nicht. Kein Verdacht drohte, keine Requisition verfolgte, kein Steckbrief bezeichnete sie. 124 Nachforschungen, zwei angeblich aus dem Elsaß stammenden Handelsleuten ›Schwarz und Müller‹ (offenbar fingirte Allerweltsnamen!) geltend, hatten sich zwar durch verschiedene Postämter hin und her verzettelt und verliefen sich endlich auch bis Hamburg. Doch von diesen verdächtigten Individuen wußte kein Mensch auf dem ganzen Valentinskamp das Geringste; die zwei Herren, welche das beste Zimmer der Bel-Etage inne hatten, hießen: ›Emil von Schwarzwaldau, Gutsbesitzer, und Franz Sara, Secretair.‹ Ein Paar angenehme, umgängliche Genossen am Mittagstische des Hôtel de Saxe. Aus dem Zwecke ihres Aufenthaltes in der Seestadt machten sie durchaus kein Geheimniß: sie warteten nur noch einige Briefe und Sendungen aus der Heimath ab, um sich dann zu trennen. Der Secretair um sich einzuschiffen und ein neues Glück in der neuen Welt zu suchen, wohin schon von Kindheit an der Sinn des unternehmenden, thatlustigen Menschen getrachtet; der Gutsbesitzer, um auf sein Besitzthum heimzukehren, sobald der bisherige Schützling, den er ausstattete, flott geworden wäre. Dabei zeigten sie sich so innig vertraut und so fest verbunden; der nahebevorstehende Abschied schien Beiden so schwer zu fallen, daß man sie im Voraus herzlich bemitleidete und daß einige Tischgäste 125 sich untereinander befragten, warum zwei Freunde, die sich so unentbehrlich geworden, sich doch solchen Schmerz auferlegten? Denn in der That, sie ließen nicht von einander, bewachten gegenseitig ihre Schritte und Tritte, waren wie zusammen gewachsen.
Unter den damaligen Besuchern des Hôtels müssen sich keine mit scharfer Beobachtungsgabe versehene Menschenkenner befunden haben; solchen könnte unmöglich entgangen sein, daß es mehr Mißtrauen, als Zuneigung gewesen, welches die Beiden anregte, sich nicht aus den Augen zu lassen; daß die Süßigkeit, die sie im Umgange vor Zeugen zur Schau trugen, viel zu gemacht war, um aufrichtig zu sein. Während es ihnen gelang, über diese Seite ihres erzwungenen Verhältnisses rings umher zu täuschen, begab sich doch etwas, wodurch ein Stammgast des Hauses, ein aus Kopenhagen nach Deutschland übersiedelter Advocat veranlaßt wurde, eines Abends hinter ihnen her zu grinsen: »Wenn ich Criminalbeamteter wäre, die Herren, besonders der Aeltere, könnten mich aufmerksam machen!« – womit der alte schlaue Fuchs, der übrigens selbst in sehr schlechtem Rufe stand, mehr sagen wollte, als er aussprach. Die Sache, die durchaus nicht in unsere Erzählung gehört, sei nur kurz 126 angedeutet, weil sich aus ihr rascherer Fortgang der Geschichte entwickelt.
Eine am Rhein verübte Mordthat machte zu jener Zeit um so allgemeineres Aufsehen, und bot lange Zeit hindurch Stoff zu Discussionen, als sich an einen, auf öffentliche Stimme gestützten, von ihr getragenen Ausspruch des Geschworenengerichtes lebhafte Widersprüche älterer Rechtsgelehrten knüpften, die den dunklen Vorfall benützten, ihre Bedenken wider das Institut der Jury wissenschaftlich zu begründen. Der Verurtheilte ist, wie bekannt, später begnadiget worden, und noch heute, nach so vielen Jahren, dürfte die Meinung darüber getheilt sein, ob er schuldig, ob er unschuldig gewesen?
Es war nach einer Durchsprechung jener Begebenheit, wobei die einzelnen Umstände derselben auf's Genaueste auseinander gesetzt wurden, daß Herr von Schwarzwaldau über körperliches Uebelbefinden klagend, die Abendtafel früher als gewöhnlich verließ und der Secretair, sichtbar verlegen durch den raschen Aufbruch, ihm unwillig folgte; und daß dann der Kopenhagner Advocat seine spitzige Bemerkung wagte, die entschiedene Mißbilligung erregte, weil sämmtliche Anwesende den Rabulisten nicht leiden 127 mochten. Weßhalb denn auch nicht sonderlich weiter darauf geachtet wurde.
Anders gestalteten sich die Dinge zwischen Emil und Franz, da sie auf ihrem Zimmer allein waren.
»Wenn ich nur erst das Schiffsverdeck unter meinen Fußsohlen spürte,« rief Letzterer aus; »wenn ich nur erst Sie nicht mehr sehen dürfte! Sie sind doch der erbärmlichste Schwächling, den es auf Erden giebt. Wechselt Farbe, wie ein Schuljunge, den der Lehrer auf der That ertappt, wie er Kirschen aus der Tasche zieht und heimlich nascht. Was zum Teufel geht Sie das Verdict über einen Liqueurhändler an, der sich seines brutalen Quälers durch ein scharfes Bandmesser entlediget haben soll? Muß ich noch lange an Ihrer Seite bleiben, steh' ich für nichts! Schämen Sie Sich, Emil! Wer gerechte Rache an einem Meineidigen zu üben, den Dolch in ein treuloses Herz stieß, der darf nach geschehener That nicht feig verzagen. Sie haben nicht zu fürchten, wo Sie Sich nicht durch Ihr albernes Benehmen selbst verdächtigen. Meine Anstalten waren zu gut getroffen.«
»Du redest immer nur von mir! Sagst immer: Sie haben zu fürchten, haben nicht zu fürchten und so fort, – als ob ich allein stände? Wem gehört denn die That, die That, die wir gemeinsam verübten? Dir, oder mir? Wer bahnte die Wege, reizte mich auf, leitete mich, schaffte alle Mittel herbei? Wer hielt den aus lallendem Rausche Halberwachenden mit eisernen Krallen danieder und lehrte mich, teuflisch lachend, die richtige Stelle der entblößten Brust zu treffen? Wer – ich darf's nicht denken, – verstümmelte die schönen, edlen Züge des mir einst so theuren Angesichtes mit kaltem Hohn? Wer, endlich, hat das Sündengeld, dem Ermordeten – nein, seiner ärmsten Mutter – geraubt, und will es nicht hergeben?«
»Daß ich ein Narr wäre! Faseln Sie nicht so tugendhaft und scheinheilig, Emil; es verschlägt nicht bei mir. Sie wünschen mich los zu sein, ich sehne mich weg von Ihnen, – darin treffen unsere Wünsche zusammen. Aber Sie sind schlecht bei Casse und sollte endlich einmal der Geldbrief eintreffen, den wir in dieser langweiligen Kneipe erwarten, so wird er auch nicht große Summen enthalten. Schwarzwaldau wird schlecht bewirthschaftet; es geht auf die Neige mit Ihnen. Müßt' ich nicht ein Esel sein, wollt' ich die paar Tausend Thaler, die das lüsterne mannstolle Carolinchen ihrem reichen Vater für den Langersehnten, spät in ihre Schlingen Gegangenen 129 ablockte, und die bei unserer künstlich-angelegten Expedition, (bei welcher ich doch wahrlich keine leichte Rolle zu geben hatte) mir als schwererworbenes Arbeitslohn zufielen, der alten Frau nach Thalwiese schicken? Für die mag der Schwachkopf sorgen, der Thalwiese nun besitzen und sich mit diesem Besitz den Adel erkaufen wird. Er hat Geld im Ueberfluß. Ich brauche das Wenige, was ich in Gustav's Taschen fand, um als freier Bürger der neuen Welt Urwälder niederzubrennen, Blockhäuser zu errichten. Das Einzige, was ich thun kann für Ihren geliebten, von Ihnen ermordeten Freund, ist etwa, daß ich meine künftige Besitzung ihm zu Ehren ›Thalwiese‹ nenne. Dank bin ich ihm allerdings schuldig, dafür, daß er sich in seiner, von Mann und Weib gepriesenen Schönheit herabgelassen, mir ein Bißchen ähnlich sehen zu wollen. Denn ohne diese Aehnlichkeit war die Anlage meines ganzen Planes nicht möglich und die Täuschung der dummen Wirthin von Neuland unausführbar. Es bleibt also dabei: mein Landgut jenseit des Meeres heißt: Thalwiese, und sobald ich ein zweites habe, nenn' ich es Neuland.«
»Ich weiß nicht, soll' ich Dich mit Abscheu betrachten, oder mit Bewunderung? Du weilst gleichsam behaglich bei der Erinnerung an Greuel, 130 die ich zu vergessen strebe! Ist das Kraft, oder ist es . . .?«
»Sprechen Sie's nur aus: ist es Verworfenheit? wollten Sie sagen. Meinethalben nennen Sie's wie Sie wollen; meinethalben denken Sie von mir was Sie wollen; ich thue desgleichen, was Sie betrifft. Also: sans gêne! wie der gebildete Deutsche zu äußern beliebt. Sobald ich unterweges sein werde, mögen Sie meinethalben sich auch bloß stellen wie Sie wollen, sich durch Roth- und Bleichwerden, durch unheilkündende Mienen verdächtigen – ganz nach Belieben. Nur so lange ich noch den Vorzug genieße, in Ihrer Nähe zu bleiben, für Ihren Secretair zu gelten, werd' ich alles Ernstes um einige Besonnenheit und Vorsicht gebeten haben. Ich empfinde kein Verlangen danach, vor Gericht befragt zu werden: welches Urtheil ich in Ihrem Dienste mit rother Schrift niedergeschrieben.«
»Mit Blute! Mit seinem Blute!«
»Wie abgeschmackt, diese Scheu vor Blute, die einzig und allein in der Einbildung liegt. Immer hab' ich mich geärgert über die gewisse, oft citirte Phrase des Dichters, die er seinem Teufel beim Abschluß des Pactes in den Mund legt: ›Blut ist ein ganz besonderer Saft!‹ Warum denn? Blut im 131 Allgemeinen, von Thieren, ist gar nichts; hat keine Bedeutung, als für die Chemie, oder gar für den Zuckersieder, Wurstmacher. Und Menschenblut? Dummheiten! Wenn Sie des Abends, bei Dämmerung, an einem unheimlichen Orte, die Steine voll Blutflecken finden und Ihre Phantasie Ihnen die fürchterlichsten Möglichkeiten vorspiegelt, und Sie rufen, Mord ahnend ›wie er auf's Beste ist‹ Leute herbei; und es tritt hinter dem Gebüsch, oder aus dunklem Winkelverstecke ein haarstruppiger, wildaussehender Kerl, vor dem Sie zurückbeben? . . . ist das nicht entsetzlich? Aber zum Glücke finden sich beschützende Wachen ein, auf Ihre Anzeige umstellen diese den Verdächtigen, deuten zagend auf die verrätherischen rothen Flecke; . . und der Kerl sagt bestätigend: Ja, ich gesteh's – ich leide oft an Nasenbluten, wenn ich zu viel Schnaps gesoffen habe! – – ist da nicht sämmtliche tragische Poesie aus den geheimnißvollen vielsagenden Blutspuren verschwunden? Oder soll der Wundarzt, welcher dem Kranken Blut ließ, ihn zu heilen, vor den rothen Streifen seiner Aderlaßbinden zurückprallen, wenn etwa der Patient darauf ging? Wie lächerlich, diese Blutscheu. Hätten Sie unsern Freund Gustav weniger umgebracht, wenn Sie ihm Pülverchen in den Wein gerührt und ihn 132 eingeschläfert hätten, ohne Herz-Aderlaß? Und mußte er nicht sterben, mußte er nicht mit dem Leben büßen, – so, oder so?«
»Das mußte er! Ja, Du sagst die Wahrheit! Er durfte nicht länger die Luft athmen, die er durch zwiefach gebrochenen Eid verpestet. Wir haben an ihm vollzogen, wozu er mich durch seinen Schwur feierlichst berechtiget hatte. Und läge es in meinem Willen, die That ungeschehen zu machen, . . . ich würde nicht wollen. Nein, ich würde nicht!«
»Bravo! das klingt männlich. Und daran halten Sie fest, bleiben Sie fest und bewahren Sie unsern alten Wahlspruch: ›es wächst Gras über Alles.‹ Ich werde in der neuen Welt recht lustig sein und Sie können in der alten auch noch vergnügt leben, – auf Ihre Art und Weise.«
»Mein Wahlspruch lautet anders.«
»Ah, Sie meinen Ihren lateinischen, von Stunden und Wunden? Das ist eben auch nur persönlich und er gilt, oder gilt nicht, je nachdem die verschiedenen Menschen gehäutet sind. Ich geb' es zu: die Stunden, von den Alten Horen geheißen und als junge Weibsbilder umhertanzend, führen allerdings Waffen, zum Schlagen, Schneiden, Stechen. Die Eine ist stärker, die Andere schwächer bewaffnet; so wie der 133 Sterblichen Häute dicker, oder dünner sind. Durch ein dünnes Fell dringt auch ein Mückenstich, ja die verdammten kleinen Sauger setzen sich auf solche am Liebsten. Von abgehärteten Häuten gleiten ihre Stacheln ab. Mücken und Horen, ein Geschmeiß wie das andere! Mich kitzeln sie nur noch. Weh' thun können sie mir nicht mehr. Bis denn die Letzte hereinbricht, welche allerdings auf's Lebendige kommen wird. Diese ist noch nicht da und ich will sie mir vom Leibe halten, so lange als möglich.«
Dieses Zwiegespräch belehrt uns genügend über den inneren Zustand Emil's und seines ehemaligen Büchsenspanners, so wie über deren gegenseitiges Verhältniß nach dem Morde. Was dem untersuchenden Richter, was den heimischen und fremden Zeugen in Neuland unerforschlich bleiben mußte, und unerklärlich, können wir leicht, mit einiger Nachhilfe eigener Einsicht so weit ergänzen, daß wir nichts Wunderbares mehr in dem traurigen Vorgange finden, sondern eingestehen müssen, Franz verdiene das empörende Selbstlob, welches er seiner eignen Umsicht bei Anlage des Planes ertheilte. Wir wollen uns nun auch nicht länger in Hamburg aufhalten, sondern dem Schluße unserer Geschichte nacheilen.
Die von Emil erwarteten Summen trafen ein 134 und die Wünsche der nach Trennung schmachtenden Gefährten gingen in Erfüllung:
Bei stürmischer Herbstnacht begleitete Herr von Schwarzwaldau den zur See gehenden Franz nach dem Hafen, wo sich ein für die weite Fahrt fertiges Schiff an schweren Ankerketten knirschend wiegte und bäumte. Der Abschied war kurz. Franz trug bei sich, was er bedurfte, um seiner Meinung nach, das neue Leben glücklich zu beginnen. Reue empfand er nicht. Wehmuth noch weniger. Von beiden war Emil durchdrungen. Die Reue wühlte in der schwachen Brust und Wehmuth stieg ihm auf, bei dem Gedanken, daß mit diesem letzten, wenn auch gefürchteten, ja gehaßten Genossen, doch auch der letzte Mensch von ihm scheide, dem er (sei es immer durch verbrecherische Gemeinschaft) nahe gestanden.
»Ich habe ihn doch auch einmal lieb gehabt,« – seufzte der Unglückliche, vom Hafen in's Gasthaus zurückkehrend; – »ich habe ihn doch einmal lieb gehabt, da er mir den Dolch aus der Hand gerissen und mir Tages darauf seine Schicksale vertraute! Ach, das waren gute Zeiten! –«
Und dann bedeckte Emil sein Gesicht mit beiden Händen und weinte: »wohin ist es mit mir gekommen, daß ich jene Zeiten die guten nenne! – Aber sei's 135 wie es wolle: ihn bin ich los! Für immer! Und ein gemeiner Mörder bin ich nicht.«