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»Es ist ruhig geworden nebenan,« sprach eine von Zorn bebende Stimme aus dem Bette zum 90 Lager des Gefährten hinüber; »jetzt können wir rathschlagen.«
»Die Schweine sind zwar in ihre Koben gekrochen,« erwiderte Jener behutsam flüsternd; »doch wer bürgt uns dafür, daß nicht ein Lauscher zurückblieb? Ihr unvorsichtiger Ausbruch von Wuth, da Sie Tisch und Stuhl umstürzten, hat die Bestien stutzig gemacht. Was wir jetzt zu verabreden haben, darf nur Seine höllische Majestät hören. Ich begebe mich zu Ihnen.«
Franz Sara verließ seine Ruhestätte und legte sich neben Emil: »Nun, wer hatte Recht?« fragte er.
»Du! Du! Immer wieder Du! Tod dem Verräther; er muß sterben!«
»Das muß er, ja! Aber ich bin's ja nicht. Weßhalb packen Sie mich und bohren Ihre aristokratisch-gehaltenen langen Nägel in meine Schultern? Mein Blut soll ja nicht fließen!«
»Nein, Franz; das seinige!«
»Also lassen Sie ab von mir und hören Sie mich an. Der Schurke, der Liebe, Dankbarkeit, Erinnerung, Vertrauen, feierliche Schwüre mit schnödem Weine wegschwemmt und darin versäuft, wie man nur jemals neugeborne blinde Bastarde von häßlichen Hunden ersäufte, darf nicht leben, darf nicht 91 länger prahlen mit Ihrer Schande; darüber sind wir einig. Aber wie soll er sterben? Durch wessen Hand? Wollen Sie . . .«
»Ich trete morgen vor ihn, werfe ihm seine Niederträchtigkeit in's Angesicht, schlage ihn in die Augen und wir schießen uns, auf Tod und Leben!«
»Vortrefflich! Prachtvoll ausgesonnen. Und wenn er Sie über den Haufen schießt?«
»Dann – ich verlange nichts Besseres!«
»Nach Belieben. Ich will darüber nicht mit Ihnen streiten; obwohl Sie's bequemer haben könnten, durch eigene Hand, ohne von mir gehindert zu werden, und ohne öffentlichen Skandal, der die Sache nur schlimmer macht. Nehmen wir aber den anderen Fall, den so genannten besseren: Sie jagen ihm Ihre Kugel in die Brust –«
»Ha, welche Wonne!«
»Eine saubere Wonne! Abgesehen von der Festung, der Sie nicht entgehen, wird der Verstorbenen Schande, wird die Ihrige dadurch abgewaschen? Ein Duell auf den Tod macht allgemeines Aufsehen. Alle Welt fragt: weßhalb haben die Zwei sich geschossen? Die Saufbrüder, die jetzt nicht die entfernteste Ahnung haben, daß ihre Nachbarn aus dem Elsaß zu jenem fabelhaften Schwarzwaldau in Beziehung stehen, 92 gewinnen morgen entschiedene Gewißheit, sobald Sie Sich zeigen und nennen. Indem Sie den Schurken herausfordern, bestätigen Sie als unumstößliche Wahrheit, was Jene jetzt noch für ›Dichtung und Wahrheit‹ aus des Erzählers Erlebnissen halten. Bestätigen es durch die That. Denn mögen Sie verkündigen, so laut Sie können, Sie wollten nur einen Verleumder zur Rechenschaft ziehen und diesen bestrafen, – wer davon hört, wird sagen, wie der Schuft, den seine Spießgesellen den ›Zigeuner‹ nennen: Etwas muß doch daran sein.«
»Was soll geschehen?«
»Sie fragen mich? Seltsam! Wozu haben Sie Ihren Dolch mitgenommen?«
»Abermals hast Du Recht! Auf die Klinge dieses Dolches legte er den schändlich gebrochenen Schwur ab. Dieses Dolches Spitze, – so sprach er den Eid mir nach, – dürfe ich in sein Herz bohren, wenn er jemals durch frevelnde Geschwätzigkeit entweihen könnte, was ihm heilig bleiben sollte! O, jetzt fühl' ich Muth! Zweifle nicht, Franz! Gerechter Zorn giebt mir Kraft. In dieser Stunde noch . . . .«
»Was?«
»Will ich's vollbringen!«
»Sie sind rasend, Emil! Das wäre ja zehnmal 93 ärger als der Zweikampf; zehnmal nachtheiliger in seinen Folgen, – des Henkerbeiles gar nicht zu gedenken. Na, nun schaudern Sie schon, bei dem einzigen Worte. Mensch, was haben Sie für elende Nerven! Wer Dolche in Herzen stoßen will, den muß nicht Fieberfrost schütteln, wie er das Beil nur nennen hört. Auf dem Wege von hier bis an des Trunkenboldes Bett, verlören Sie zehnmal die Thatkraft.«
»So – thue – Du's –? Pfui, was hab' ich da gesagt!? Verzeih' mir, Franz; das war erbärmlich.«
»Nicht so sehr, wie Sie meinen; wenigstens nicht in Ihrem Sinne. Erbärmlich wär' es, weil es dumm wäre; nutzlos. Was die tugendhaften Menschen Schandthat heißen, wird erst dazu durch den Mangel an Klugheit. Nur der Dumme, wenn er schlechte Mittel anwendet, wenn er für thörichte Zwecke das Aeußerste wagt, sinkt zum gemeinen Verbrecher herab. Sie sind klüger als ich in Allem, was gelernt werden kann. In Allem, was man mitbringt, was sich aus angeborener Naturkraft entwickelt, bin ich Ihnen überlegen; bin ich klüger wie Sie. Morden – aus innerstem, unverlöschlichem Rachedurst, wie wir Beide ihn gegen den Herrn Grenznachbar 94 hegen, – das ist natürlich, menschlich, erlaubt, wie jede Selbsthilfe, wo das Gesetz die seinige versagt. Nur muß man's klug anfangen. Sich zu solcher Selbsthilfe bekennen, sich als Mörder fangen, sich den Kopf dafür abhauen, oder sich, wenn's gnädig abläuft, auf Lebenszeit dahin konfiniren lassen, wo ich meinen Namen Sara mir holte, ist nicht erlaubt, eben weil es dumm wäre. Unnatürlich, unerlaubt dumm! Ich nahm einmal aus einem Ihrer Bücherschränke, unter andern Büchern, welche ich auf mein Jägerzimmer – Gott verdamm' es! – trug, ein Schauspiel, nach, ich weiß nicht welchem, spanischen Dichter in unsere Sprache übersetzt. Es hieß: ›Geheime Rache für geheimen Schimpf.‹ Und die Moral dieses Drama's lautete:
›Denn Rache schreit mit tausend Zungen aus,
Was die Beleid'gung kaum mit einer sagte!‹,
»Diese Moral wollen wir zu der unsrigen machen. Und Herr Calderon de la Barca – jetzt fällt mir sein Name ein, wo ich ihn brauche, – mag sie verantworten. Geheimniß bleibe Gustav's Frevel. Was er davon bis jetzt ausgeschwatzt, verläuft wie das Bächlein in den Strom, – in den Strom des rauschenden, wechselnden Lebens. Wird den drei Lumpenhunden sein Tod bekannt, – was übrigens nach 95 meinem Plane nicht so rasch eintreten dürfte, – so sollen sie, das ist ebenfalls meine Sorge, auf eine fern von uns abliegende Veranlassung des Mordes schließen. Ehe Lucie, (die auf dem Sprunge steht,) sich aus dem Staube macht, wird sie Mancherlei plaudern, was uns Beide nicht berührt und dennoch nach Rache schmeckt. Das ist abgemacht und gilt nur Denjenigen, die sich persönlich für ihn und wahrhaft interessiren; also zunächst Carolinen. Daß er dieser schon vor der Hochzeit Alles aus Schwarzwaldau vertraut habe, ist nicht anzunehmen. So tolldreist war er nicht. Er wird sie bei dem gelassen haben, was sie aus eigener Anschauung wußte, und das schadet nichts. Nach der Hochzeit soll er ihr keine Entdeckungen machen, wenn geschieht was ich will. Was ich will aus Haß, was Sie wollen aus beleidigter, verrathener Liebe und Freundschaft, die denn auch Haß wird und als dieser nicht minder nach Rache lechzt, wie der meinige. Sie trösten sich mit dem Gedanken, und ich raube Ihnen diesen Trost nicht, daß Ihre Motive edler, begründeter sind, als die meinigen; daß Sie berechtiget sind zur Rache, während ich nur dem niedrigeren Antriebe noch nicht unterdrückten Neides, gemeiner Eifersucht folge? Gleichviel! Unser Ziel bleibt ein gemeinsames. Wir müssen 96 es gemeinsam verfolgen, soll es sicher und gewiß erreicht werden. Ihnen fehlt Besonnenheit, Umsicht, Kraft, Ausdauer. Diese Eigenschaften besitze ich. Wollen Sie Sich mir unterordnen? Wollen Sie blind gehorchen und gehorsam folgen, wohin ich Sie leite?«
»Ich will! Sei der Rache-Engel, der meiner Seele Höllengluthen mit Blute löscht! Stähle mich durch Dein Beispiel! Ja, ich will mich an Dich halten, wie ich Dich jetzt umklammere; wie ich Dich nicht lasse, bis er kalt ist, kalt und stumm auf ewig!«
»So hören Sie! . .«
Und das leise Gespräch ging über in unvernehmbares Flüstern, von Lippe zu Lippe, von Ohr zu Ohre.
Am nächsten Morgen fuhr Gustav von Thalwiese, ehe noch die Andern ihre Räusche ausgeschlafen, wirklich mit Sonnenaufgang aus dem Thore des Gasthofes.
Etliche Minuten später setzten sich die Herren aus dem Elsaß in ein ähnliches Fuhrwerk, die Spur des ersteren immer in gewisser Entfernung einhaltend.
Um zwölf Uhr Mittags waren die endlich Erwachenden nicht wenig erstaunt, von der in Wahrheit erfolgten Abreise ›ihres Freundes‹ zu hören.
97 »Hat uns aber der alberne Bengel gestern angelogen!« sagte Miß Viola.
»Wenigstens hab' ich ihm dafür einen bittern Trank eingerührt,« meinte der Baron. »Mein Briefchen wird jetzt bald in ihren Händen sein, und er soll seine ganze Suada aufbieten müssen, sich wieder weiß zu waschen.«
Der Zigeuner wiederholte: »Etwas Wahres ist an seinen Großsprechereien; das geb' ich zu. Aber gelogen hat er daneben auch, das laß' ich mir eben so wenig nehmen. Uebrigens nimmt der Bursch' ein schlechtes Ende, so gewiß ich heute Katzenjammer habe. Es steht ihm zwischen den Augenbrauen. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken!«