Carl von Holtei
Schwarzwaldau
Carl von Holtei

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Achtes Capitel.

Wir unterbrechen die Erzählung der Vorgänge auf der Jagd, um später darauf zurückzukommen, und widmen dieses achte Capitel den beiden Freundinnen, welche wir neulich in Agnesens Schlafgemach nicht zu behorchen wagten, deren Gesprächen aber wohl zu lauschen vergönnt sein wird, wenn sie auf der Herrin grünem Bänkchen am See im Park sitzen? Sollte 112 der Romanschreiber nicht mindestens eben soviel Berechtigung dazu haben, als der zahme Storch, der nachdenklich auf einem Beine vor ihnen steht, so aufmerksam, wie wenn er sich auch nicht eine Silbe entschlüpfen lassen dürfte von ihrem lieblichen, anmuthigen Geschwätz? Es ist ein kluger Vogel, der Storch; ein Thier, um dessen Familien- und öffentliches Leben sich vielerlei wundersame Sagen, (vielleicht Märchen) ziehen, die jedoch lange noch nicht genau genug beobachtet und erforscht sind, um so kurzweg fortzuleugnen, was schwer begreiflich erscheint; obgleich die meisten Menschen mit ungläubigem: »dummes Zeug!« gern bei der Hand sind, sobald ihnen Etwas unbequem scheint und sie in ihrem Alltäglichkeits-Systeme zu stören droht. Ist es nicht recht bequem, ein für Allemal jede höhere Fähigkeit der Thierseelen abzuleugnen, lediglich weil weder Schnauze noch Schnabel auf belehrenden Widerspruch, und unsere Sinne nicht darauf eingerichtet sind, zu verstehen, was jene uns in ihrer Zunge sagen können?

Der Storch im Park zu Schwarzwaldau legte unbezweifeltes Verständniß menschlicher Zustände an den Tag und hatte schon viele Proben seiner Intelligenz gegeben. Das ganze Dorf war voll von kleinen Geschichten, die seine Klugheit beweisen sollten 113 und viele Kinder glaubten nicht nur, daß er es sei, der sie aus dem See gefischt und ihren Eltern im Schnabel gebracht habe, – (um so größer war das Erstaunen, warum sich die Gemalin des Gutsherrn noch nicht mit kleinem Nachwuchs versorgen lassen?) – sondern sie waren auch steif und fest überzeugt, der kluge Storch führe zugleich eine Art von Oberaufsicht über die herrschaftlichen Gärten und bringe jedwede darin verübte Ungebühr zur Anzeige. Wer ihn so sitzen und beobachten sah, konnte leicht auf ähnliche Muthmaßungen gerathen. Agnes und Caroline ließen sich durch des Vogels Aufmerksamkeit in ihren vertraulichen Mittheilungen nicht stören. Vielmehr flüsterte das unaufhörliche Geschwätz der Freundinnen ohne Unterbrechung mit dem Bächlein um die Wette, welches, nach langen Schlangenwindungen durch Wiesen und Gebüsche, sich rieselnd in den See ergießt und immerwährend murmelt und murmelt.

Es kommt häufig vor, daß innige Freunde neben einander gehen, beisammensitzen – und schweigen. Wer hat das an Freundinnen erlebt? Ich nicht. Ich muß es eingestehen; kann es nicht unterdrücken, sollte auch die schöne Leserin mein Buch unwillig aus der Hand werfen, mit dem Ausrufe: Der alte Narr! – Ausnahmen will ich gern gelten lassen. Ich 114 spreche nur im Allgemeinen; spreche nur von meinen Erfahrungen in diesem Gebiete; und da muß ich eingestehen: ich habe den unerschöpflichen Fluß nimmer versiegender Rede stets bewundert; bisweilen auch mich verwundert, wo denn diese Fülle von Stoff im Kopf und Herz hinreichenden Raum fand, sich aufbewahren zu lassen, um dann bei nächster Gelegenheit gleich so mächtig hervorzubrechen? Bei Agnes und Caroline verwundere ich mich nicht. Eine junge Frau, welche bereut, daß sie Frau wurde: ein Mädchen über die Zwanzig, bedauernd, daß sie noch nicht Frau ist! können zwei solche Freundinnen wohl jemals fertig werden, ihre Gedanken, Gefühle, Klagen, Hoffnungen sich mitzutheilen? Ihnen wird der Stoff nicht ausgehen, so lange das kleine Wiesenbächlein sich in den kleinen Gartensee ergießt.

Was Agnes Carolinen über sich und Emil anvertraut, wissen wir noch nicht; denken seiner Zeit mehr davon zu erfahren, als wir gern vernehmen werden. Jetzt gerade ist Caroline im Zuge, das Verzeichniß von jungen Männern zu vervollständigen, die mehr oder minder günstigen Eindruck auf sie hervorgebracht; eine Empfänglichkeit, die Agnesen an der Freundin befremdete, weil sie ihr selbst fehlte. Es war schon ziemlich lang dieß Verzeichniß; es 115 reichte von Sachsen nach Böhmen und wieder zurück, von Rumburg nach Zittau, wie wir mit einem Bruchstück belegen. Caroline sagte, – oder murmelte vielmehr, im eintönigen Riesel-Quellen-Tempo, wo Wort an Wort, wie Welle an Welle sich kräuselnd schmiegt: »In Zittau hat Vater einige Geschäftsfreunde aus der Zeit, da er überhaupt noch Geschäfte machte. Als er diese vor zwei Jahren zum letztenmale besuchte, nahm er mich mit. Wir sollten bei Einem seiner Freunde wohnen; Jeder bewarb sich förmlich um uns. Aber mein guter Vater wünscht immer und überall sein eigener Herr zu bleiben und zog deßhalb den Aufenthalt im Gasthofe vor. Wir langten an einem heißen Sommertage an und nahmen Besitz von zwei erquickend-kühlen und geräumigen Zimmern, deren Frische mir unendlich wohl that. Als ich erst vom Staube des Tages gereiniget, umgekleidet und neu belebt war, begann ich, daran zu denken, wie wir doch den langen Abend ausfüllen sollten, der in dieser Jahreszeit so zu sagen kein Abend, sondern ein in den nächsten Morgen hinein schleichender Tag genannt werden darf. Mit meinem Vater ist nicht viel zu plaudern; ohne Spielkarten entschläft er beim dritten Worte; und nun gar im Sommer! Mir graute vor einer Partie Piquet, die er mir antragen könnte? 116 Ihm vorzulesen, obgleich mit Büchern versehen, daran durft' ich nicht denken; noch weniger für mich allein nach einem Buche zu greifen. Denn mein guter Vater hat die Eigenheit –«

»Dein guter Vater scheint mancherlei ganz eigene Eigenheiten zu haben?« –

»Ach Gott ja, Agnes; wie die Väter nun so sind! – er hat die Eigenheit, augenblicklich aufzuwachen, sobald ich in seiner Gegenwart lese, und zu behaupten, er habe gar nicht geschlafen. Das giebt dann eine ewige Marter zwischen Einschlummern und Erwachen seiner-, zwischen Lesen und Gestörtwerden meinerseits. Um dieser zu entgehen, schickte ich heimlich, gegen seinen Willen, einen Hausknecht zu den Familien, die er erst morgen von unserer Ankunft unterrichten lassen wollte. Ich war fest überzeugt, sie würden auf den ersten Wink herbei eilen und mich erlösen. Doch traf es sich so unglücklich, daß sie den schönen Tag zu einem Ausfluge benützt hatten. Nun war guter Rath theuer. Ich langweilte mich zum Sterben und verwünschte tausendmal in einer Minute, daß ich es mir als Vergünstigung erbeten, die kleine Reise mit machen zu dürfen. In meiner trostlosen Unruhe lief ich Thüraus Thürein und bei diesem Umherrennen bemerkte ich, daß den Gang, der 117 in unsern Vorflur mündete, in entgegengesetzter Richtung aber nach einem im Hintergebäude liegenden Saale führte, verschiedene Personen theils paarweise, theils einzeln durchzogen, die unmöglich alle in diesem Gasthofe eingekehrt sein konnten. Ich läutete nach unserem Stubenmädchen und erhielt alsbald die Lösung des Räthsels in Form eines gedruckten Programm's, welches ›Freunde der Poesie und des Gesanges‹ einlud, der von zwei jungen Reisenden veranstalteten declamatorisch-musikalischen, Punct sieben Uhr beginnenden Abend-Unterhaltung beizuwohnen. Nur wenige Minuten fehlten noch bis zur festgesetzten Stunde und es war keine geringe Aufgabe, meinen Vater aus seinem schon angelegten Schlafrock in andere Kleider zu bringen. Doch gelang es mir, indem ich aus dem langen Verzeichniß, worin gesprochene mit gesungenen Nummern abwechselten, ihm nur die letzteren vorlas. Er gestand ein, daß er bei sanftem Gesange gern schlummere und äußerte die zuversichtliche Hoffnung, der reisende Troubadour werde ihm sein Bißchen Ruhe gönnen, ohne ihn durch wildes Gebrüll aufzuschrecken. Daß nur auf der Guitare begleitet werde und kein Orchester zu befürchten stehe, machte ihn vollends nachgiebig. Wir erlegten unsere sechszehn Groschen für zwei Billets an der Casse 118 und traten ein. An leeren Stühlen fehlte es nicht. Meines Vaters erste Sorge war, sich eines bequemen Eckplatzes zu versichern. Mich drückte eine andere. Ich war gespannt auf den Beginn, um zu erfahren, welcher von den Beiden das Geld einnehmenden und die Eintrittskarten ausgebenden Musensöhnen der Sänger sei? Denn die brüderlich mit einander Reisenden, wofern sie anders Brüder in Apollo waren, sahen sich durchaus nicht ähnlich: der Eine hatte, was mir gefällt, – was mir schon gefiel, da wir noch wie eine Heerde Lämmer durch den großen Garten getrieben wurden; der Andere war durchaus uninteressant für mich. Bei meiner Vorliebe für Liedergesang mußte ich natürlich wünschen, daß der zierliche, schwarzlockige, dunkelblauaugige Billets-Ausgeber die musikalische Partie des Abends verwalten möge; nicht der lang aufgeschossene, glatthaarige, grau-blaublickende Geldeinnehmer. Mein Wunsch ging in Erfüllung. Der fade Jüngling redete uns in Versen, der pikante Schwarzkopf sang uns in Liedern an. Und in was für Liedern! Und mit welcher Stimme! Dir, freilich, ist schwer deutlich zu machen, wie bald und wie tief er sich mir in's Herz gesungen!? Du achtest nicht auf die Gewalt der Stimmen, Agnes?«–

»Doch! Ein reiner, starker Sopran kann auch 119 mich entzücken. Allenfalls ein sonorer Baß. Den Tenor lieb' ich nicht. Je mehr man um mich her sie bewunderte, desto unmännlicher klangen mir die Stimmen berühmter Tenoristen; ich möchte sagen: eines Mannes unwürdig. Und ich setze voraus, Dein Schwarzkopf sei ein recht weichlicher Tenor gewesen? Ich sehe ihn ordentlich, mit seiner Guitare am rothseidenen Bande, und billige, daß Papa Reichenborn sanft entschlief, während seine Tochter . . . .«

»Mit dem Sänger coquettirte? Ich will nur für Dich den Satz vollenden, Agnes; denn er ist richtig; so unumstößlich wie nur irgend ein mathematischer sein kann. Ja, ich coquettirte mit ihm und er sparte das Feuer seiner Augen eben auch nicht. Dir Agnes erscheint das unerklärlich und Du klagst mich deßhalb nachträglich an; ich fühl' es aus Deinem Schweigen. Gleichwohl gehört auch diese kleine Sünde auf mein Register, soll es vollständig sein; und sie mag zugleich beitragen, mich von einer neueren, die Du mir Schuld giebst, zu reinigen; denn daß ich nur gestehe: mein Sänger schmachtender Lieder, und mein Schläfer an eurer Waldgrenze – sie scheinen mir ein und derselbe Mensch gewesen zu sein. Ja, sieh' da, nun beleben sich Deine Züge und der geschlossene Mund verzieht sich wider seinen Willen zum Lächeln . . .«

120 »Weil ich Deine Combination kindisch finde, Caroline. Verzeih' mir, daß ich es offen sage: sie schmeckt gewaltig nach unserm Erziehungsinstitute und es fehlte weiter nichts, als daß der Troubadour jetzt Räuberhauptmann, oder wenigstens jener Pferdedieb wäre, der vor etlichen Monaten unseren Bauern drei Füllen von der Waide stahl! Wohin verirrt sich Deine Sehnsucht!? Und wie sollte der fahrende Concertgeber in unsere Nadelhölzer gelangen, sich hier eine Schlafstelle zu suchen? Und warum hältst Du, nachdem Du auch an ihm eine sprechende Aehnlichkeit entdecktest, nicht gleich lieber meines Mannes Jäger für den damaligen Sänger? Konnt' er sich, da er Abendunterhaltungen gab, die Haare nicht schwarz gefärbt haben? Geh' und mache Dir nichts weiß. Im Capitel der Aehnlichkeiten bin ich eine Ungläubige. Sie werden meist durch Denjenigen geschaffen, der irgend einen Grund hat, sie entdecken zu wollen.«

»Spotte nur; es ist doch, wie ich sagte. Zwei Eigenschaften sind es, welche durch ihr Zusammentreffen dafür sprechen: des jungen Mannes Schönheit – und seine Verschlafenheit. Denn mag es noch so verletzend für Deine Freundin klingen: sie lag, als ihr Vater zu Bette gegangen, vergeblich eine halbe Mondnacht hindurch in ihrem Fenster, fest 121 überzeugt, der Sänger werde unter diesem Fenster eins der Lieder wiederholen, die sich in ihre Seele gewühlt, gleich einer Biene in einem Blumenkelch? – er schlief wie ein Mehlsack und kam nicht, und sang nicht, und reisete am andern Morgen sammt seinem Klimperkasten und seinem declamatorischen Begleiter auf und davon, um in irgend einer andern Stadt wieder Billets zu verkaufen, wieder Empfindungen wach zu singen, wieder zu schlafen! Gleicht das nicht dem unentdeckten Waldschläfer, wie ein Ei dem andern? Je länger ich über beide Persönlichkeiten nachdachte, desto näher sind sie einander gerückt und endlich . . .«

»Sind sie Dir in eine einzige verschmolzen, deren bezaubernde Erscheinung Dich auf Schritt und Tritt umschwebt. Für sein schönes Haupt ist auch wahrscheinlich dieser grüne Kranz bestimmt, den Deine kunstreichen Hände aus Eichenblättern so zierlich schlingen? Doch er läßt, wie zu fürchten steht, den Kranz unbeachtet liegen, und greift nach Deines Papa's Schlafmütze!«

Caroline mußte wider ihren Willen lachen, zerriß dabei ärgerlich den kaum vollendeten Kranz und sagte: »Wenn er sich nur fände, wir wollten ihn schon munter machen! Wir wollten ihn necken, daß die Schläfrigkeit . . .«

122 Hier wurde sie unterbrochen durch das heftige Geklapper, welches der Storch jedesmal mit seinem Schnabel hervorzubringen pflegte, wenn etwas Ungewöhnliches ihn in Erstaunen setzte, oder beunruhigte. Durch die Seitenpforte des Parkes drangen, Emil an ihrer Spitze, mehrere Landleute vor, einen wildaussehenden, fremden Kerl umgebend, der die zusammengebundenen Fäuste wüthend erhob und zornige Drohungen ausstieß. Jäger Franz, neben seinem Schießgewehre noch ein zweites tragend, schlich niedergebeugt, ohne die Blicke zu heben, hinter ihnen her. Der Zug bewegte sich nach dem Flügel des Schlosses, wo der Amtmann, der zugleich die Districts-Polizei verwaltete, seine Geschäftszimmer inne hatte.

Agnes winkte Franzen herbei, sie rief sogar seinen Namen, weil sie Aufschluß über das seltsame Ereigniß zu erhalten wünschte. Doch der Jäger sah und hörte nicht. Er folgte wie träumend den Andern.

»Wolle Gott, daß es nicht etwa Dein Landstreicher sei, den sie da zur Haft geleiten!« sprach Agnes; denn weder sie, noch Caroline hatten den Gefangenen deutlich erblickt.

Und beide Damen verließen den Park. 123


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