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Rapps rosige Laune hielt nicht stand. Als er die Angelegenheit mit Centa innerlich so flott erledigt hatte, drängte sich der verflixte Ehrenhandel wieder vor. Weil nun sein alter Leibfuchs, Rechtsanwalt Doktor Mosler zwei, drunten in Egern in der Sommerfrische weilte, führte ihn sein Weg am Sixenhof vorbei. Er hemmte ganz von selbst den Schritt, als er so weit gekommen war, und überlegte, ob er nicht trotzdem zu Brokkenhuus hineinsehn solle. Blöd war es schon, sich so um nichts und wieder nichts mit dem Kamel zu schießen. Jetzt, da die Eifersucht einmal verraucht war, hatte für ihn die Sache kaum noch einen richtigen Sinn. Der andre aber sollte selber schaun, wie er mit seinem besoffnen Ehrenworte fertig wurde! Und wenn einer, war Brokkenhuus der Mann dazu, seinen Neveu aus diesem seelischen Konflikt herauszuwurzeln. Centa, die sicherlich nicht wollte, daß er sich als Angsthas zeigte, sah das ganz im richtigen Licht. – Indessen, wenn er nun gleich lief und folgsam tat, was sie verlangte – stellte er sich da nicht gar zu sehr als Lapp und ... als Pantoffelheld auf Vorschuß hin? Und dann: sich denken, daß da drinnen bestimmt der Henne saß! Wie der wohl auf dem Stockzahn lachen tat! – Nein, besser schon zum Mosler gehn! Das brauchte ja noch nicht zu heißen, daß er sich deshalb gleich schoß! Der Mosler kannte sich in diesen Dingen aus und wußte zweifellos den besten Rat. » Avanti!« sagte Rapp und setzte sich wieder in Marsch. Aber so federnd wie vor kurzem noch war jetzt sein Gang nicht mehr. Denn wußte man es auch gewiß, ob so ein Rat, der gut war, einem deshalb auch gefiel? Im Scherrerhof zu Egern traf der Doktor aber nur Frau Mosler an, die ihm erzählte, daß ihr Eduard zu Klettertouren in den Dolomiten sei und heute nach seinem Programm mutmaßlich die Fünffingerspitze »mache«. Seiner Heimkehr sah sie in acht Tagen frühestens entgegen, wenn, unberufen, alles gut abging. »Auch einer, der sich ohne Not in die Gefahr begibt!« schoß es Rapp durch den Kopf, und er empfahl sich unter dem Ausdruck lebhaften Bedauerns, daß er den Freund nicht hatte sprechen können. Unter gelinden Zweifeln, ob sich in dies Bedauern nicht auch eine Spur Erleichterung mische, ging er den Weg, den er gekommen war, zurück und hetzte sich dabei nicht ab – was sich ihm auch nicht gut zumuten ließ; denn es war fürchterlich heiß. – Als Sekundanten mußte er nun notfalls den Müller Alois verwenden, der frohbewegt bereit sein und die schönste Hetz darin erblicken würde. Wie er sich sonst dazu anstellen mochte, schien freilich zweifelhaft. Natürlich konnte man ihn instruieren, oh, das schon; das Pech war nur, daß man sich selber nicht recht taktfest im Komment von so Pistolenkisten fühlte. Und bei der Vorstellung, man müßte sich wegen Tappigkeit in diesen Sachen von dem selbstverständlich ausgekochten Duellanten aus dem Baltenland belächeln lassen – nein, da freute einen bald »die ganze Leich« nicht mehr!
Ein Zufall wollte, daß er grade wieder vor dem Eingang zum Sixenhof genötigt war, ein Weilchen haltzumachen, um sich den Schweiß von Nase, Stirn und Hals zu wischen, und sogar von den Brillengläsern, die beim Lüften des Hutes ein paar fettige Tropfen abbekommen hatten. Das brauchte seine Zeit, und die benutzten allerhand Erwägungen, die Rapp vorhin am gleichen Platz von sich gewiesen hatte, dazu, sich wieder seiner zu bemächtigen. – Als er so eine Weile mit dem blöden Blick des Kurzsichtigen in die Luft gesehen hatte, schob er die Brille wieder vor die Augen – richtig klar war sie noch immer nicht – und hatschte matt dem eignen Gartentore zu. Da hörte er trotz ihrer Schwere flinke Schritte hinter seinem Rücken und bezog sie gleich auf sich. Richtig, es war der gräfliche Bediente Sepp. Schon riß der Bursch sich militärisch stramm vor ihm zusammen: »Hab die Ehr, Herr Dokta! Gut, daß ich Herrn Dokta triff! Schöne Empfehlung vom Herrn Graf! Herr Graf ließ den Herrn Dokta bitten, Herr Dokta möcht so gut sein und geschwind einmal hereinschaun.«
»Ja, ich komm«, antwortete der Doktor und fügte gleich heuchlerisch hinzu: »Ist doch nicht was passiert?«
»Da wüßt ich nix, Herr Dokta«, meldete der Diener.
»Werden's gleich erfahren«, ließ Rapp halblaut fallen. Aber oh, wie zügig er jetzt trotz der Hitze ausschritt! Plötzlich schaute sich die Sache völlig anders an: er ging ja nicht aus freien Stücken, nein, man hatte ihn geholt. Da mußte auch Centa verstehn, daß sie nicht bloß anschaffen durfte, und schon hupfte er! – Knapp vor der Haustür drehte er sich noch einmal nach dem Diener um und wollte wissen, ob auch Herr Henne drinnen sei. »Jetzt nimmer«, sagte Sepp. »Grad erst, kaum fünf Minuten kann es sein, ist der Herr Henne mit dem jungen Herrn Grafen fort.«
»So, so?« murmelte Rapp gleichgültig und konnte sich's doch nicht verhehlen, daß er dies nicht ungern hörte. Schon hatte Brokkenhuus sich also den Neveu gekauft. Wie gut, daß er beim erstenmal nicht der Versuchung nachgegeben hatte, hineinzugehn! Er wäre heilig auf den Kerl geplatzt. – Hatte er nun nicht recht behalten mit dem, was er doch immer sagte: Überstürzung tut nicht gut, nur keine jüdische Hast, abwarten heißt's, und Kuchen essen, und wer langsam fährt, kommt auch zum Ziel! – Kurzum, ein Rapp, der äußerst mannhaft wirkte, betrat die Wohnstube des Grafen Brokkenhuus.
»Schon da?« rief der ihm zu, »das ist ja rasch jejangen.«
»Nein, ich kam grad vorbei«, erklärte der Ankömmling kurzatmig, »und da hat mich der Sepp ... Du hast nach mir geschickt? Vor allem aber: Grüß dich Gott!«
»Grüß Gott, mein lieber Rapp! Ich steh nicht erst auf. Nimm Platz!« Und als der Doktor saß, verlor der Graf nicht weiter Zeit mit Einleitungen, sondern sagte kopfschüttelnd: »Kinder, was macht ihr für appeldwatsche Sachen!«
»Ach, dann war dein Neffe Henne wohl bei dir?«
»Ja. Und wie er mir von diesem Unsinn da erzählte, zitierte ich auch Goswin schnell herbei.«
»Ach was?« Der Doktor tat überrascht.
»Hör, Rapp, wie kann man nur!«
»Hab ich denn ihn gefordert?« fragte Rapp. »Daß ich im Anfang dran gedacht hab, geb ich zu. Aber da hatte ich auch einen Grund. Jetzt, wo die Centa mir gesagt hat, wie das alles lief ...«
»Ach, hat sie dir jebeichtet? Dann ist's gut! – Damit wird dies Duell nun aber ganz zur Farce, und ich duld es einfach nicht. Das hab ich Goswin ersten auch erklärt.«
Dies fand der Doktor sehr gescheit, aber er fragte kühl: »Ja, und? Zieht er die Forderung zurück? Wenn nicht – dann bitte! Ich hab keine Angst!«
»Jeh, Rapp, das hat bestimmt noch nie ein Mensch von dir jeglaubt. Und grade, weil du über jede falsche Auslejung erhaben bist, muß es dir um so leichter sein, hier das Vernünftije zu tun.«
»Mir schien es praktischer, wenn du erst einmal deinem Neffen den Kopf zurechtsetztest!«
»Ja, schön, wenn jejen Dummheit nicht die Jötter selbst verjebens kämpften, und wenn dies Ehrenwort nicht wär!«
»Hab ich's ihm angeschafft, daß er im Suff mit Ehrenwörtern umeinanderschmeißt?«
»Es ist nu mal jeschehn; und um das überlejen und humorvoll zu betrachten, fehlt ihm das Nötigste.« Der Graf tippte sich an die Stirn. »Da muß der Klüjere beweisen, daß er klüjer ist.«
»Danke fürs Kompliment! Und was meinst du nun, was ich jetzt soll?«
»Nichts, als ihm's möglich machen, in der Jeschichte halbwegs das Jesicht zu wahren. Tu's mir zulieb! Und mag er zwanzigmal erwachsen sein – wo er jetzt bei mir ist, fühl ich mich seiner Mutter jejenüber doch irgendwie verantwortlich für ihn.«
»Kommst du mir auch so wie der Henne?« murrte Rapp. »Soll ich ihn um Entschuldigung bitten, weil er sich schlecht benommen hat? Damit er jedem sagt, ich hätt gekniffen! Ging mir ab!«
»Rapp, bis heut abend hält er schon den Mund, dafür verbürg ich mich. Und morjen früh reist er ja ab.«
»So, morgen reist er?«
»Ja, ich fand es besser. Denn ist er nicht mehr da, so ist er fort. Und kuck – ihr seht euch nie im Leben wieder, von Kurland bis nach Tegernsee ist so ein weiter Weg ...«
»Schon; und wär auch alles recht!« räumte der Doktor ein, schlug aber plötzlich auf den Tisch und rief: »Und doch ist mir nicht zuzumuten ...!«
»Es soll dir gar nichts zujemutet werden, lieber Freund! Goswin weiß jenau – dafür hab ich jesorgt –,daß, wie die Dinge liejen, höchstens ein Austausch von Erklärungen anwendbar ist, und er will nichts von dir als die Bestätijung, daß dein von ihm falsch aufjefaßtes Wort: ›Ich pfeif auf Abstammung und Adel‹ nichts als ein Zitat war, und daß du damit weder ihm persönlich, noch seinem Stand als Edelmann zu nahe treten wolltest. Nu, hast du das vielleicht jewollt? Natürlich nicht! Die Wahrheit kann man unterschreiben, ohne daß es einen degradiert. Manny und ich als alterfahrene Goswin-Psychologen haben dies Schriftstück, schon bevor er herkam, mit viel List so aufjesetzt, daß nur er selbst blamiert ist, wenn er's einem zeigt – nicht du!«
Der Graf nahm einen Briefbogen vom Tisch und gab ihn Rapp. »Dajejen erklärt er sich bereit, dir schriftlich zu versichern, daß ihm bei seinem jestrigen Besuch in deinem Haus jegliche unkorrekte Absicht fernjelegen hat, und daß er es bedauert, wenn sich sein Verhalten anders deuten ließ. Ich denk doch, das jenügt! Die Dokumente werden Zug um Zug jetauscht, mit Manny als Treuhänder sozusagen. Und Goswin kriegt das deinije erst, wenn er seins abjejeben hat.«
Der Doktor hatte mittlerweile das Konzept gelesen und antwortete nun: »Ja, Brokkenhuus, das ist nicht ungeschickt gemacht und wär soweit schon recht, ich mein aber doch ... – Du, und was ist das da unten dran, was gar so dick durchstrichen ist?«
»Ach, weiter nichts«, schmunzelte Brokkenhuus. «Eine echt Mannysche Idee! Er hatte sich jedacht, noch einen Zusatz anzufüjen, etwa so: Ferner erkläre ich, daß meine mit den Worten: ›Sie mich auch!‹ umschriebene Aufforderung an Graf Goswin Brokkenhuus nicht buchstäblich, sondern symbolisch aufzufassen war. – Aber das strich ich dann doch lieber aus.«
»Warum?« rief Rapp. »Wenn ich das aufnehmen darf, soll er den Schrieb bekommen! Macht mir sogar Spaß.«
»Nu Gott sei Dank! Dann schreib's nur gleich ins reine! In dem Karton da ist Papier. Feder und Tinte stehen auch bereit.«
»Brauchts nicht – hab eine Füllfeder dabei.« Der Doktor nahm sich einen Bogen und fing ohne Zaudern mit der Abschrift an.
Der Graf klemmte verstohlen seinen Kneifer vor die Augen und schielte aufmerksam hinüber. Plötzlich sagte er: »Genug! Nein, dies Bonmot von Manny laß doch besser fort! Man soll das Negative bei dem guten Goswin auch nicht überschätzen. So merksch ist schließlich sogar er!«
»Meinst du? Wie schad! Hab überhaupt gar nicht gewußt, daß diese Redensart droben bei euch auch üblich ist.«
»O Rapp! Hast du sie für ein bayrisches Reservatrecht anjesehn? Ich glaub, sie ist – mit Variationen – international, und stell mir deshalb vor, daß sie im Paradiese schon jebräuchlich war. Zum ersten Male könnte das wohl Adam als Freudenschrei von sich jejeben haben, als plötzlich eine seiner Rippen in Jestalt der Eva vor ihm stand.«
Rapp mußte lachen. »Und ich schreib es doch!« sagte er flott. »Wie war's noch gleich gefaßt?«
»Daß du's jern möchtest, fühl ich dir schon nach«, erwiderte Brokkenhuus. »Aber es jibt Belustijungen, die sich der weise Mann männlich verkneift. Nein, Rapp, jib deinem Herzen einen Stoß: Ort noch und Datum und die Unterschrift. Nichts weiter sonst!«
Der Doktor zögerte, gehorchte aber dem festen Blick, mit dem sein Freund ihn musterte, am Ende doch. »Denken kann ich mir deshalb noch immer, was ich mag!« stellte er sich zum Troste fest.
»Hier kannst du es sogar mit lauter Stimme sagen, wenn dich das erleichtert!« lächelte der Graf. »Nur ungeniert! – Nu aber steck das ins Kuvert und adressier: Immanuel Henne, Alte Post. Das Jejendokument kriegst du dann prompt. Erledigt, Schluß! Manny besorgt das weitre. Und ich bin froh!«
»Ich auch!« entfuhr es Rapp. Doch merkte er gleich, daß dies zu deutlich nach Erleichterung klang, und fügte schnell hinzu: »Besonders für die Centa freut es mich. War ihr schon arg, daß sich zwei Leute wegen ihr ernsthaft hätten schießen sollen. Ganz auseinander ist sie dir gewesen über dies Duell.«
»Hotz Kuckuck, du hast ihr erzählt ...?«
»Nein! Das hatten andre Menschenfreunde schon besorgt.«
»Ja, wer? Ich find das unerhört! – Dann jeh nur schnell nach Hause, daß sie gleich erfährt ...«
Ihm nicht bequeme Dinge aber schob Rapp gern hinaus, und Gründe dafür fanden sich ja leicht. Er widersprach: «Ach, weiß nicht recht ... In so was hab ich meinen Aberglauben. Bloß nicht gackern, vor das Ei gelegt ist!«
»Nu, Rapp, es jeht schon glatt!«
»Nein, weißt, der Centa jetzt erzählen: so und so, und plötzlich ist es wieder nix, und das Theater geht auf ein neues an.«
»Theater?«
»No, daß sie sich wieder aufregt, gel? Erwarten tut sie mich ja so noch nicht. Hat fünf Minuten noch bis eins, und ich hab ihr gesagt, ich käm um zwei, halb drei Uhr zu Tisch. – Du tust den Sepp sofort zum Henne schicken? No, und bis dahin ist er lang zurück. Ist besser, ich kann es der Centa dann gleich schwarz auf weiß zu lesen geben.«
»Nu, vielleicht ... Ich dachte nur«, begann der Graf. Da klopfte es, er rief: »Herein!«
Karline drückte mit dem Ellbogen die Klinke auf und schob sich seitlich in die Stube, sie trug ein Brett mit Eßgeschirr und tat erstaunt: »Ach, ist Herr Doktor da? – Gut Morjen!«
»Grüß Sie Gott!« Rapp nickte leutselig.
»Kann ich Tisch decken jetzt?« erkundigte sie sich. »Herr Graf muß essen. Höchste Zeit!«
»Laß dich nicht stören!« bat der Doktor. »Wenn's dir recht ist, bleib ich noch und schau dir zu.«
»Nein, du ißt mit!« bestimmte Brokkenhuus. »Karline, wird's wohl jehn? Was jibt es denn?«
»Wenn man früher jewußt hätt!« sagte die Köchin vorwurfsvoll. «Ist nichts Besondres nicht. – Ach ja, ich weiß«, rief sie dann freundlicher, »großes Stück Schierfleisch hab ich da: zu's Abendessen für die Jungherrn. Schneid ich paar Scheibchen ab und mach ich für Herrn Doktor Zwiebelklops.«
»Guter Jedanke!« nickte Brokkenhuus vergnügt. »Karlines Zwiebelklops – nu, du wirst sehn! Mir sind dergleichen Dinge leider ärztlich untersagt. – Also, Karline, sorjen Sie ...! Tisch decken kann man dann nachher, bevor die Klopse in die Pfanne kommen. Und jetzt schicken Sie mir Sepp herein!«
»Kann er aufdecken«, schlug sie vor, »soviel hab ich ihm schon jelernt.«
»Nein, kann er nicht!« entschied der Graf. »Er soll gleich einen Brief wegtragen in die Alte Post herunter.«
»Wei, jetzt? Unschuldijes Kind, was wachst, muß Essen kriejen auch zu richtije Zeit.«
»Nu gut«, fügte sich Brokkenhuus, »dann füttern Sie ihn noch fix ab! Vor allem soll er schleunigst kommen, daß ich ihm das Nötije sag!«
Kaum war die Köchin draußen, da erschien schon Sepp. »Herr Graf?«
»Sepp, nimm da den Brief und lauf ... Das heißt: erst ißt du draußen was! Aber im Hui; verstanden? Fünf Minuten sind dir zujebilligt – richte dich darnach!«
»Jawohl, Herr Graf!«
»Dann trägst du schleunigst diesen Brief hier nach der Alten Post – mach aber keinen Fettfleck drauf! – und jibst ihn dort Herrn Henne ab – ihm in die Hand, verstanden – und fragst, ob du auf Antwort warten sollst!«
»Ob ich auf Antwort warten soll ...«
»Ja und – Rapp, wär das nicht ganz gut? –, und auf dem Hinweg jehst du in der Villa Rapp an und richtest aus, daß der Herr Doktor heute bei mir Mittag ißt, nach Tisch aber sofort nach Hause kommt.«
»Du, Sepp«, rief Rapp dazwischen, »und das erzählst dem gnädigen Fräulein selbst, dem Fräulein Hollerieth! – Ich sag dir's nachher schon, weswegen, Brokkenhuus.«
»Dem gnädigen Fräulein selber«, wiederholte Sepp. »Daß Herr Dokta beim Herrn Graf zu Mittag essen tät und ...«
»Ja«, fiel ihm sein Herr ins Wort, »schon gut! Schwirr ab!«
»Weißt du«, erklärte Rapp, als er wieder allein mit seinem Freunde war, »wenn jetzt die Centa hört, ich wäre hier, spannt sie's schon, wie der Hase läuft. Sie hat mich ums Verrecken deshalb zu dir schicken wollen. Ich aber hab nicht mögen, weißt.«
»Und bist dann doch jekommen.«
»Nur, weil du mich hast rufen lassen!«
»Ja und, war Centas Rat nicht klug?«
»Schon, ja, in einer Hinsicht geb ich's zu. No, andrerseits war es mir schon ein Fest gewesen, deinen Neveu um ein paar Lot Blei gewichtiger zu machen!«
»Erbarmung!« lächelte der Graf. »Wer hätte diesen Durst nach Blut in dir jesucht! Ich rat dir, lieber Freund, still ihn mit Zwiebelklops! Der ist inwendig auch noch bißchen rot und zweifellos bekömmlicher. Hörst du, Karline klopft ihn schon!«
Daß Rapp vor einer Stunde noch wie wild darauf erpicht gewesen sei, möglichst viel Kugeln mit Goswin zu wechseln, bildete vielleicht er selbst sich ein – dem Grafen schien die auf einmal übersprudelnd muntre Laune seines Gastes vielmehr zu beweisen, daß die unblutige Wendung der Affäre einen Druck von ihm genommen hatte. Karlines meisterliches Essen und ein spritziger Mosel taten das Ihre zur Erhöhung des Behagens. Und als Rapp dann noch drei Tassen Mokka und vier Gläschen grünen Chartreuse getrunken hatte, bemächtigte sich seiner eine angenehme Rührung, die, wie sich leicht verstehen läßt, zunächst ihm selber galt. Erwärmend ging es ihm wieder einmal auf, was für ein netter und großzügiger guter Kerl er war. Das hatte er der Centa heute früh wohl klar genug bewiesen! – Nun war das ja ein bißchen eigenartig von ihr aufgenommen worden; und obgleich dies wenig zu bedeuten hatte – schnöd mißverstanden und verkannt fühlte er sich von dem Mädel doch. So wurde denn die Sehnsucht in ihm wach, sich jetzt von einem andern nach Gebühr geschätzt zu sehn. Die Hemmungen, die ihn sonst hinderten, seine Gefühle vor den Menschen preiszugeben, hatte der Alkohol hinweggeschwemmt. Was Wunder, daß ihm nun die Seele auf die Zunge trat! »Du, Brokkenhuus ...« Er stockte, bevor er weitersprach: »Ich möcht dir im Vertrauen eine Neuigkeit versetzen. Aber halt dich erst fest!«
»Doch nichts, daß man erschrecken muß, hoff ich?«
»Im Gegenteil! – Wie fang ich nur gleich an? Du weißt, weshalb die Centa deinen schönen Neveu gestern gar so ... ermutigen tat?«
»Ich kann mir's denken, ja.«
»Ich mein: sie hat es dir gesagt?«
»Ja, sie ... sie sagte wohl so etwas. Aber mir schien das nicht der richtije Weg zum Ziel.«
»Und wenn sie es nun doch erreicht hat?« fragte Rapp.
»Ach was?« Der Graf war starr. »Heißt das ...?«
»Ja, schau: ich wollt auch nicht so sein ... Sind jetzt fünf Jahr, daß man sich kennt ... Und weil ihr so dran liegt ... Mir ist es schließlich wurscht, und ich mach keine Wichtigkeit daraus ...«
»Evviva, lieber Freund! Sonst dachtest du zwar anders drüber ...«
»Geh: es kostet nix wie den Entschluß. Kurzum: wir heiraten! – No, Brokkenhuus, was denkst du nun davon?«
Der Graf fing sein Likörglas ein, erhob es huldigend gegen Rapp und sagte: »Endlich! Klug, sehr klug von dir!«
»Ob wirklich gar so klug? Aber mein Gott ...«
»Glaub es mir: höchste Zeit! – Und sie? War sie nu froh?«
»Hast du da einen Zweifel?« lachte Rapp. »Ist doch ihr höchster Wunsch erfüllt!« Jäh aber wurde ihm bewußt, daß er damit ihre Begeisterung stark übertrieb, und schandenhalber setzte er hinzu: »Das heißt ... Im Anfang so ein bißl ein Trara – schau, ohne dem tuns ja die Weiber nicht.«
»Trara?«
Das Glück ersparte Rapp die Antwort auf die Frage – es klopfte an die Tür.
»Herein!« rief Brokkenhuus. »Nu, kommst du endlich, Sepp? Fix, und jib her!« Er nahm seinem Bedienten das Schreiben aus der Hand.
»Hab beim Herrn Henne so lang warten müssen«, meldete der. »Und dann am Heimweg in Herrn Dokta seine Villa nüber ...«
»Wieso denn Heimweg?« fragte Brokkenhuus und riß den Umschlag auf.
»So hat Herr Graf mir's aber angeschafft!« verteidigte sich Sepp.
»Unsinn! Erst hättest du ... Nie hört er richtig, was man sagt.« Der Graf schob sich den Kneifer auf die Nase, überflog schnell das Geschriebene und reichte es Rapp. »In Ordnung! Hier das Dokument! Von Manny liegt ein Zettel bei, darauf steht nur: Schwere Jeburt! Der accoucheur! – Nu, wenn das Kind jesund zum Vorschein kam ...!«
»Haha!« platzte der Diener aus.
Rapp las und schob das Blatt nachlässig in die Tasche. »Eigentlich schad!« murmelte er. »Ich hätt zu gern ...!«
Das Heldenlied, das so begann, kannte Brokkenhuus bereits und gab nicht weiter darauf acht. »Du, Sepp«, erkundigte er sich, »und hast du es dem gnädijen Fräulein wenigstens jetzt ausjerichtet?«
»Nein, Herr Graf.«
»Das gnädige Fräulein ist ja nicht daheim gewesen ...«
Der Doktor rief verblüfft: »Bald Essenszeit – und nicht daheim?«
»Hättest du Ordre pariert und wärst gleich anjegangen!« schalt der Graf.
»Ja aber«, murrte Sepp gekränkt, »wie ich hier fort bin und war grad am Mauereck, ist doch das Auto, wo das gnädige Fräulein dringesessen ist, schon naus beim Gartentor.«
Rapp fuhr vom Stuhl empor. »Was? Auto?«
»Freilich, der Mercedes«, stellte der Kleine fachmännisch fest.
»Ich hab ja dem Gestettner eigens noch gewunken, aber er hat nicht geschaut.«
»Was kann sie da ...?« Der Doktor fing im Zimmer auf- und abzulaufen an.
»Ja, weiter ist mir nix bekannt«, erklärte Sepp.
Rapp hielt vor seinem Freunde an. »Verstehst du das?«
Der Graf zeigte mit einer hilflosen Bewegung seine Handflächen vor. »Ja, lieber Rapp ...?«
»Vielleicht, daß der Herr Graßl ...?« Sepp zeigte nach der Tür. »Weil er ja auch mit rüber ist und den Herrn Dokta sprechen möcht.«
»Ist heut die ganze Welt verrückt?« schrie Rapp. »Wer ist Herr Graßl? Kenn ich nicht! Soll sich zum Teufel scheren, der Herr Graßl! Gel?«
»Doch der Herr Otto«, feixte Sepp.
»Otto? Mein Diener? – Rein dann mit dem Deppen! Aber schnell!«
»Und du, Sepp, jehst jetzt in die Küche und spülst ab!« befahl der Graf.
Sepp ging, und Otto kam, geleckt wie immer, und stand stramm.
»Entschuldigen, Herr Doktor«, sagte er, »aber wie ich vom Sepp gehört hab, wo Herr Doktor sind, hielt ich's für meine Pflicht ...«
»Ja, ja«, fiel Rapp ihm barsch ins Wort. »Also: was wollen S' denn?«
»Könnt ich Herrn Doktor nicht allein ...?«
»Zu was denn? – Tempo! Vorwärts, Mensch!«
Otto zuckte mit den Achseln und meldete: »Das gnädige Fräulein ist verreist, vor einer halben Stund beiläufig.«
»Sie meinen: ausgefahren!« wies Rapp ihn zurecht.
»Wenn eins sein ganzes Sach einpacken läßt und nimmt es mit ...« wendete Otto ein.
»Was sagen Sie? Hat sie vielleicht ein Telegramm gekriegt? Daß was bei ihr daheim geschehn wär?«
»Da wüßt ich nichts. Aber zwei Telegramme telephonisch aufgegeben.«
»So? Sie haben wohl gehorcht?«
»Wenn so laut buchstabiert wird ...! An die Leut vom gnädigen Fräulein ist das eine gewesen. Den andern Namen hab ich nicht verstehen können. Bloß mit ›O – wie Oskar‹ hat er angefangen.«
»Ach was?« entschlüpfte es unwillkürlich Brokkenhuus. Rapp warf einen schnellen Blick zu ihm hinüber, ihn fragen aber wollte er in Gegenwart des Dieners nicht. Dieser fuhr fort: »Weiter ist nichts Besondres dringestanden. Nur von ›Kommen‹ war die Red in alle zwei.«
»Was glauben Sie, daß mich das interessiert!« brüllte der Doktor plötzlich los.
»Rapp, einen Augenblick!« mischte der Graf sich ein. »Sie, Otto, hat das gnädije Fräulein denn gar nichts hinterlassen?«
»Doch!« besann sich der Bediente, fuhr in seine Jackentaschen und holte mit der Rechten ein viereckiges Päckchen, mit der Linken einen Brief hervor. »Das sollt ich dem Herrn Doktor geben, wenn er heimkäm, und für den Herrn Grafen hätt ich hier den Brief.«
Rapp faßte nach dem Päckchen und schrie, blaß vor Zorn: »Was sagen S' das nicht gleich? Statt dessen ...! – Ach, halten S' keine Vorträg und verschwinden Sie! Daheim ist wohl gar nix zu tun?«
Der Diener zog ein tief beleidigtes Gesicht, gab aber als der Klügere nach und drückte sich mit einem Grinsen, das sein Herr nicht hätte sehen dürfen, schnell zur Tür hinaus.
Rapp schüttelte das Päckchen ärgerlich. »Tut drinnen scheppern«, sagte er. »Und drei so Trümmer Siegel drauf! Was soll das wieder sein?«
Der Graf, schon ganz vertieft in seinen Brief, sah ihn über den Kneifer weg nur flüchtig an und brummte: »Kuck doch nach!«
Der Doktor zog aus seiner Lederhose das griffeste Messer, sägte mit dessen schartiger Schneide den Bindfaden durch und legte ein saffianbezognes Kästchen bloß. Natürlich, ja, das hatte er sich schon gedacht! Er riß den Druckknopf auf, der hier statt eines Schlosses diente, und schüttelte den klirrenden Inhalt über das Tischtuch aus. »Da schau: der ganze Schmuck, den sie von mir in die fünf Jahr gekriegt hat!« rief er so empört, als ob man ihm Wertgegenstände widerrechtlich weggenommen hätte.
»Hm«, machte Brokkenhuus und streifte das Geschmeide nur mit einem Seitenblick. Dann las er weiter, las und las – das schien ein langer Brief zu sein.
»Was schreibt sie denn?« erkundigte sich Rapp.
»Gleich! Einen Augenblick noch!« murmelte der Graf.
Der Doktor griff gedankenlos nach dem Einwickelpapier und merkte jetzt erst, daß noch eine zweite, weiße Hülle darin steckte. Eilig riß er dies Blatt hervor und strich es glatt. Es war mit Centas zierlicher und wie gestochener Schrift bedeckt. Da stand:
»Lieber Ferdinand!
Leb also wohl und machen wir es kurz! Denn was zum sagen war, habe ich Dir schon gesagt. Daß Du es Dir gut gehen lassen sollst, brauche ich Dir nicht wünschen, dafür sorgst Du schon. Anbei der Schmuck retour, ich mag mir da nichts nachsagen lassen wegen Deinem Geld und so! Und bloß den kleinen Ring mit dem hellroten Stein, ich weiß nicht, wie der heißt, gekostet haben kann er nicht viel, möchte ich behalten zur Erinnerung, weil er das erste war, was Du mir gegeben hast. Und diese Zeit vergesse auch nicht, schade nur, daß es nicht dabei hat bleiben können!! Sonst lasse Dir alles da, daß ich die Kleider mitnehme, ist natürlich klar. Was tätest Du damit, und ich kann auch nicht nackigt aus dem Haus gehen. Und als Letztes bitte Dich in allem Ernst, daß Du gar nicht versuchen sollst, mich wieder davon abzubringen, ich weiß meinen Weg, und Du tröstest Dich sicher bald, so groß war Deine Leidenschaft die letzten Jahre her ja nicht! Eine, die besser zu Dir paßt wie ich, da gibt es viel! Am besten sucht Dir Deine Frau Mutter eine aus, die ihr zum Heiraten für Dich großkopfig genug scheint. Ich werde ihr deshalb nicht neidig sein, und Du gewöhnst es nachher schon. Vielleicht merkst Du auch einmal, daß ich noch lang nicht die schlechteste gewesen bin, was Dir im übrigen nicht wünschen will! Und dies blöde Duell, damit machst Du Dich höchstens lächerlich!! Laß es gescheiter unterwegs, sprich mit dem Brokkenhuus, der richtet es Dir schon!
Gruß Centa.«
»Sauber!« schnaufte Rapp mit einem Auflachen, das nicht sehr glaubhaft klang, und warf den Bogen Brokkenhuus hinüber. »Schau dir das an!«
Der Graf nickte nachdenklich vor sich hin, legte den Brief, den er bekommen hatte, in die alten Falten und steckte ihn in die Tasche. Seufzend nahm er das andre Schreiben zur Hand und fing zu lesen an.
Der Doktor musterte ihn von der Seite her und fand, er wirke älter noch als sonst, hinfällig, fast wie ohne Leben, müde und stumpf; und auch in ihm selber breitete sich ein Gefühl von Leere aus.
»Ja«, sagte Brokkenhuus zuletzt, nahm seinen Kneifer ab und legte den Bogen vor sich hin. »Und was jedenkst du nun zu tun?«
»Was heißt denn: tun!« Rapp schwang sich krampfhaft in die rauhe Männlichkeit zurück. »Abwarten, bis es ihr von selbst zu dumm wird mit dem Pflanz! Die kommt schon wieder – hab ich keine Angst!«
»Und wenn du dich da täuschst, und sie kommt nicht?«
»Von mir aus holt sie dann der Fuchs!«
Ein Fünkchen Schlauheit glomm in des Grafen Augen auf, als er anscheinend ohne besondres Ziel erwiderte: »Für einen Fuchs halt ich ja diesen Herrn Oggetti nicht, aber ...«
»Oggetti? Wie? Ist das nicht der ... verflossene Bräutigam? Der Ladenschwengel, oder was weiß ich?«
»Ich glaub: Kontor, und offenbar inzwischen zu den höheren Würden des Kontors heraufjestiejen. Hat Centa dir gar nicht erzählt ...?«
»Nein, keinen Ton! Was ist denn los?«
Dem Grafen wurde es warm ums Herz. Rapps Ahnungslosigkeit tilgte für sein Gefühl einen bedrückend falschen Zug aus Centas Bild. Dies gab ihm ja den bündigen Beweis, daß sie trotz manchem ungeschickten Versuch dazu im Grund gar nicht so kühl und berechnend war. Sonst hätte sie den schärfsten Pfeil, den sie besaß, nicht unbenutzt im Köcher stecken lassen.
»So red doch!« drängte Rapp. »Ich dachte ... Ist der Kerl wieder im Land? Weißt du da was?«
Der Graf war sichtlich besser gelaunt als noch vor kurzem. »Was ich weiß, will ich dir jern erzählen«, sagte er und tat das denn auch in gedrängter Form.
»Paar Wochen spielt das schon? Dann freilich!« rief der Doktor. »Drum ist sie plötzlich gar so scharf darauf gewesen, daß ich ...?«
»Ja, lieber Freund, wenn sie ein anderer mit Heiratsanträjen förmlich bombardiert!«
»Das geb ich zu, laßt sich schließlich verstehn. Aber jetzt dies! Spinnt sie nicht hörbar? Solang als ich nicht zog, gibt sie ihm Korb auf Korb, sagst du doch selbst; und als sie mich da hat, wo sie mich möcht, sticht eine Wepsen sie, und sie geht durch und ... – Meinst denn, sie denkt im Ernst an den?«
Nach kurzem Nachdenken griff Brokkenhuus in seine Tasche. »Lies, was sie mir schreibt! Dann wirst du wohl merken, daß es ihr um keinen Spaß jeht. Und wenn dir manches darin nicht jerade süß schmeckt – nimm es als Medizin; ich glaube, das jehört zur Kur.«
»Was heißt denn: Kur?« Rapp riß ihm fast die Bogen aus der Hand.
»Weiß selbst nicht, wie ich grade zu dem Ausdruck kam«, entschuldigte sich Brokkenhuus.
»Brauchst mir nicht sagen, daß ich neuerdings ein krummer Hund in ihren Augen bin«, erwiderte der Doktor etwas bitter und war schon in den Brief vertieft. Er las ihn hastig, aber Wort für Wort, und schnarchte dabei manchmal einen Laut des Unwillens hervor. »Jetzt weiß ich also, wer ich bin!« rief er, als er am Ende war. »Findest du, Brokkenhuus, daß man auf das hin noch mit mir verkehren kann?«
»Rapp, du mußt den Ärjer abziehn, der da mitspricht. Du hast für deinen Antrag offenbar nicht ganz den richtijen Augenblick jewählt und wohl auch nicht den richtijen Ton.«
»Den hat, so scheints, der Koofmich da besser getroffen! So ›lieb‹ schreibt er ihr ausgerechnet heut, daß sie sich unbesehen wieder in den Kerl verknallt!«
»Steht davon etwas drin?« fragte der Graf und blinzelte.
»Zwischen den Zeilen – ja! Ich bin fei nicht so dumm! Was stell ich überhaupt in ihren Augen vor! Von dir wird ihr der Abschied schwerer wie von mir! Das steht einmal gewiß drin!«
»Gott, Rapp, ein kleines Pflaster nur aus Liebenswürdigkeit. Auf mich kommts doch nicht an.«
»So, Brokkenhuus, dir wär es also wurscht, wenn sie jetzt nimmer käm?« erkundigte sich Rapp mit beinah teilnahmsvoller Ironie.
»Nein«, antwortete der Graf geradezu und schlicht, »sie würde mir schon fehlen; aber wüßte ich, daß dieser Weg der bessere wär für sie ...«
»Ja, trief nur auch von Edelmut!« schrie Rapp gereizt. »Grad dies Großartige, dies ... dies Geschwollene, dies – du weißt schon, was ich mein – ists ja, was mich an dem Geschreibsel von ihr fuchst. Die Krampfhenne markieren! Schau bloß das!« Er zeigte auf den Schmuck, raffte die Ringe, Armbänder, Broschen, Anhänger und Ketten flüchtig in die Hand und schwang sie hoch. »Am liebsten schmiß ich ihr den ganzen Krempel nach!«
» Bring ihn ihr nach!« riet Brokkenhuus vergnügt.
»Wie meinst du das?«
»Mein lieber Rapp, jenau wie du! Denn reiche Leute schmeißen Schmuck nicht so zum Fenster raus. Du hast doch ein zweites Automobil. Braus damit los wie ein jeölter Blitz! Willst du sie ohne Kampf dem Herrn Oggetti lassen?«
Rapp sprang auf. »Da kennst mich schlecht! Den Burschen schmeiß ich an die Wand, daß er grad pappen bleibt!«
»Ich weiß nu nicht, ob grade das auf Centa überzeujend wirken würde. Beeil dich lieber und komm ihm zuvor! Sie ist ja noch nicht lange fort, und gleich wird er auch nicht parat sein, trotz des Telegramms von ihr. Erinnre dich: das eine war an ihn!«
»Ja, Sakrament, da sollte man ...!«
»Denn, wenn du als der erste da bist und jibst ihr nur ein gutes Wort ...«
»Ich soll sie um Verzeihung bitten? Daß sie das Heft für immer in die Hand bekommt! Denn es erst einmal haben und dann wieder fahren lassen – da kennst du sie schlecht!«
»Verzeihung bitten? Nein, mach einen guten Witz – das wirkt viel besser! Und Heft in der Hand – laß ihr das doch! Ist in der Ehe ja die einzige Art, auf die der Mann in großen Dingen die Hosen anbehält. Denn in den kleinen sind die Frauen selbstverständlich stärker. Manchmal – überhaupt. Auch dies kommt vor.«
»No, du verstehst es, einem Lust aufs Heiraten zu machen!« knurrte Rapp.
»Ja, lieber Freund, wer Licht verlangt, der muß auch Schatten nehmen. Wenn du den lieber Herrn Oggetti gönnst, laß dein Automobil im Stall und freu dich deines Lebens künftig als célibataire! Aber bedenk, daß jener damit auch noch manches andre kriegt, was du ihm wenijer jönnst!«
»Also, ich fahr!« erklärte Rapp. »Nur knüpf ich daran die Bedingung: du fährst mit!«
»Erbarmung, was soll ich dabei?«
»Auf dich hört sie halt mehr! Und weißt du, ob sie mich in ihrem Rappel überhaupt empfängt? Sie hat so eine Wut gehabt ...«
»Ich dachte, sie hat sich jefreut?«
»Tu mich nicht frozzeln, Brokkenhuus! – Gel ja, du bringst sie vorerst zur Vernunft, und dann ... Du bist ein Diplomat – ich bin es nicht! Das hab ich heut schon klar genug bewiesen. Obgleich ... so wie sie dir es schreibt, war es na doch nicht ...«
»Jeder sieht's von seiner Seite, ja, ich weiß«, erwiderte der Graf ein wenig ungeduldig, »aber das erzähl mir lieber unterwegs!«
»Dann fährst du mit?«
»Gott will es offenbar, wie Manny zu sagen pflegt. Und es wird auch das Klüjere sein. Vor deinem kleinen Adlerwagen hab ich allerdings den heiligsten Respekt. Man kommt ja kaum herein! Einmal fuhr mich Jestettner drin, und ich tat einen Schwur: Nie wieder! So werd ich deinetwejen meineidig auf meine alten Tage.«
»Geh, tu nicht so! Ist nicht bloß wegen mir, sondern wegen der Centa auch. Ich trau mich nebenbei zu wetten, daß der Gestettner uns ein ganzes Stück vor München schon entgegenkommt. Dann stellen wir den Adler ein, in Sauerlach, Holzkirchen oder so, und fahren fashionable im Mercedes voll hin. Und heimzu sitzt du ganz gewiß kommod und – hast die Centa neben dir.«
Der Graf klopfte beschwörend unter den Tisch. »Wenn schon, dann auch prestissimo! Hol du den Wagen her und schick mir Sepp! In Schlafrock und Pantoffeln tritt kein Diplomat vor eine ungnädije Könijin.«
»Ist wahr: umziehn darf ich mich auch», sagte der Doktor. »Denn nach München in der kurzen Wichs – das wär das Richtige nicht.«
»Aber beeil dich, Rapp! Daß wir auch Vorhand kriejen und inzwischen keine Entscheidung fällt! Centa hat einen harten Kopf. Legt sie sich erst mal fest, dann wird die Sach schwierig!«
»Weiß ich genau und schick mich schon! In zehn Minuten längstens bin ich wieder da. Und dieser Zeitverlust – hab keine Angst! – wird aufgeholt. Der Adler ist ja wendiger wie der schwere Wagen, und ich will um die Ecken wetzen, daß du bloß so schaust! – Behüt Gott derweil!«
»Freundlicher Zeitjenosse!« dachte Brokkenhuus bei sich. »Jetränk hat er auch etwas viel im Leib ... Heißt glatt den Hals riskieren! Nu, für Centa lohnt sich's wohl, und viel ist dieser alte Hals auch nicht mehr wert. – Wo Sepp nur wieder bleibt? – He, Sepp! – Ach ja, jeb Gott, daß ›O – wie Oskar‹, als das Telegramm kam, zufällig ausjegangen war!«