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Die Tage gingen hin und glichen sich. In hohem Bogen zog die Sonne über den grausam klaren Himmel ihre Bahn. Versuchte je ein Lämmerwölkchen diese Reinheit zu beflecken, so büßte es mit schnellem Tod dafür: es wurde auf getrunken von dem tiefen Blau, ihm blieb nicht einmal mehr die Zeit, der Erde, deren Rinde schon hier und da vor Dürre sprang, auch nur das durchsichtigste Schattenfleckchen als kargen Bettelpfennig hinzuwerfen. Auf den Wiesen stockte jeder Wuchs, ihr Grün verblich zu fahlem Gelb. Und auch die Bäume, deren Wurzeln doch aus größeren Tiefen schöpften, ließen mißmutig die Blätter hängen und warfen wohl die Hälfte ihres Laubes vorzeitig ab; so manche Fichte, manche Tanne starb sogar vor Durst, braun wurde, was für immergrün gegolten hatte. Tiere und Menschen fühlten sich stumpf und müde unter dieser Glut, nur daß die Stumpfheit keine Ruhe und die Müdigkeit keine Erholung in sich barg. Es war, als laure irgendwo schon das Gewitter, dem alles Lebende mit Sehnsucht und doch mit einem Beben in den Nerven machtlos entgegensah.
Arm an Abwechslung, aber unterhaltsam verfloß die Zeit für Henne. Von vierzehn Abenden hatte er elf bis zwölf im Rappschen Haus verbracht, die anderen – auch nicht ohne einen kräftigen Trunk – bei seinem Onkel Woldemar. Zehnmal war er vormittags nach München hineingefahren, die Ausstellung im Glaspalast und die Sammlungen zu besuchen. Lange war seines Bleibens hier nicht mehr, das wußte er und sah, zwar ohne Ungeduld, dem Telegramm entgegen, das ihm die Ankunft seines Vetters Goswin melden würde. Natürlich traf es zu guter Letzt so ein, daß es ihn und den Grafen Brokkenhuus im Mittagsschlafe störte.
Als sie nachher beim Kaffee saßen, fragte der Graf: »Denkst du, daß Goswin hier in unserm Kreis erfreulich wirken wird?«
»Belustijend fraglos, Onkel Woldemar.«
»Weißt du, ich habe das Jefühl, es könnte eher peinlich sein. Er ist so ...«
»Nennen wir es höflich: minderbegabt!« schlug Henne vor.
»Das fraglos, Manny, aber auch zu töricht in sein, nu ja, Milieu verrannt, um sich den mal vorhandenen Verhältnissen mit dem jehörijen Takte anzupassen.«
»Du meinst wohl, die Verhältnisse sind hier zu landesüblich, und der Süßing wundert sich? Laß er sich wundern, Onkel Woldemar! Kuck, wenn man das ›Milieu‹ bedenkt, das ihn dort in Gastein verschlang, kann man ja hoffen, er wird ziemlich abjehärtet sein.«
»Dann doch erst recht«, entschied der Graf. »Nein, besser schon, er kommt gar nicht heraus. In München ist auch viel mehr, was ihn reizen wird.«
»Vielleicht«, gab Henne zu. »Also, ganz wie du meinst! Einfahren muß ich doch. Dann bleib ich mit ihm in der Stadt die ein, zwei Tage. – Nur, entschuldije, Onkel Woldemar, willst du auf seinen Anblick überhaupt verzichten?«
»Nein, ihn begrüßen und mit ihm bei einem Glas Wein paar Stunden zubringen, das muß ich wohl. Ich könnte ja mit dir ... Rapp leiht mir sicher das Automobil. – Wann kommt er? Morjen?«
Henne schaute in das Telegramm. »Von Salzburg depeschiert er. Zwölf Uhr fünfzehn, ja.«
»Dann jehn wir sofort zu Rapp hin und erkundijen uns. Du kannst ihnen dort auch gleich adieu sagen. Mit heute abend wird ja kaum was sein, wenn du morjen früh fährst?«
»Merkwürdiges Jefühl das, Onkel Woldemar: auf einmal ist es aus! Man kam sich wirklich wie zu Hause vor. Nun hat der Urlaub kulminiert, und abwärts jehts, hast du mir nicht jesehn. Bei langsam sperrt das Kassabuch den Rachen nach mir auf. Hotz, meine Freude darauf ist wohl sehr jedämpft!«
Auf der Terrasse vor Haus »Meine Ruh!« stand auch der Kaffeetisch gedeckt. Der Müller Alois hatte sich bereits empfohlen, Rapp und Centa saßen noch im Ahornschatten und konnten sich nicht entschließen, auf zustehn. Er sog an seiner Pfeife und döste vor sich hin, sie blätterte die Zeitung durch, ohne zu wissen, was sie las.
Unten beim Eingang, wo der Weg aus dem Gebüsch ins Freie trat, erschien, auf seines kleinen Dieners Arm gestützt, Graf Brokkenhuus. Er tastete sich unsicheren Schrittes bergan, und Henne hinkte hinterdrein.
»Ja, schau nur grad!« rief Rapp. »Da kommt dein ganzes baltisches Spital am hellen Nachmittag dahergehumpelt.«
Centa war sichtlich erstaunt. Dann sagte sie: »Dich über andrer Leute Körperfehler spöttisch machen – soll das vielleicht geschmackvoll sein?«
»Verbessre du nur meine Kinderstube!« grinste er.
Unter dem Tisch erscholl ein Knurren. Centa griff hin und packte Bürschei am Nackenfell. »Das Rabenviech schaff ich hinein – sonst kriegt der Henne wieder einen Todesschreck.« Sie hob den Köter auf den Arm, stieg die Freitreppe hinan und ging ins Haus.
»Wenn nur deinen Balten nix geschieht!« rief er ihr nach.
Als Centa wiederkam, waren Onkel und Neffe schon jeder in einen Korbsessel gesunken und wischten sich den Schweiß. »Grüß Gott!« rief sie. »Bleib sitzen, Brokkenhuus!« Sie lief hinunter und begrüßte ihn und seinen Neffen.
»Sepp«, sagte der Graf, »wir bleiben heut nicht lang. Verzieh dich mittlerweile in die Küche und nimm dir an Otto dort ein Beispiel, wie sich ein perfekter Diener zu benehmen hat!«
»Jawohl, Herr Graf.«
»A? Wollt ihr so bald wieder gehn?« erkundigte sich Centa. »Warum noch einmal fort?«
»Ja, leider«, antwortete Brokkenhuus. »Wir kommen, uns für heute abend zu entschuldijen. Manny fährt nämlich morjen früh.«
»Das gibt's fei nicht!« rief Rapp. »Wo ich am Donnerstag Geburtstag hab! Da sind Sie noch dabei! Grad schick wird es: mit Illumination des ganzen Gartens. Echt chinesische Lampions, dreihundert Stück! Vollmond hab ich mir auch bestellt.«
»So? Alle Schikanen ohne falsche Sparsamkeit!« lächelte Henne. »Schade nur, daß dieser Glanz mich nicht mehr zu bescheinen den Vorzug haben wird!«
»Drei Tag bloß länger!« redete ihm Centa zu.
»Fräulein Hollerieth, die harte Faust des Unvermeidlichen rafft mich dahin und wirft mich meinem Vetter Goswin an die Brust. Ein Telegramm von ihm brach jäh auf uns herein.«
»Bleibt halt der Vetter auch bis Freitag!« sagte Rapp.
»Wir müssen aber weiterreisen.«
»Ah, ist er erst hier, dann kriegen wir ihn schon herum.«
»Er kommt gar nicht heraus«, beeilte sich der Graf zu melden.
»Und besucht dich überhaupt nicht?« Centa war verblüfft.
»Nein. Ich muß selbst nach München einfahren, wenn ich ihn sehen will. Deshalb wollt ich mal fragen, ob mich Jestettner morjen früh wohl in die Stadt und dann am Nachmittag wieder nach Hause bringen kann?«
»Na klar!« sagte der Doktor. »Nur wär es viel gescheiter, auch der andre Neveu käm raus, und der Herr Henne blieb noch die paar Tage da.«
»Ganz ausjeschlossen!« gab der Graf bestimmt zurück.
»Sie sehn, das Schicksal stellt sich in den Weg.« Henne zuckte die Achseln.
»Schad ist es schon drum. Sie werden uns sehr abgehn«, stellte Centa fest. »Aber wenn es nicht anders ist, dann fahr ich morgen mit hinein.«
»Ach, das wär nett!« rief Brokkenhuus, aber ein Zögern klang hindurch.
»No, aber, Cenzerl!« spöttelte der Doktor. »Findest du nicht selber, daß dein faible für die Grafen langsam pathologisch wird?«
»Depp!« sagte sie. »Weißt nimmer, daß ich übermorgen so hineinmüßt? Spart man Benzin und geht in einem hin. – Auf deinen gräflichen Neveu verzicht ich dankend, Brokkenhuus. Ich hätte auch morgen überhaupt gar keine Zeit dafür.«
»Mei, diese Wichtigkeit! Was hast denn alles zu besorgen, armes Ding?« erkundigte sich Rapp.
»No, dein Geburtstag?«
»A, Präsente willst mir kaufen? Am End gar einen Ehering? Ich laß mir aber keinen durch die Nase ziehn.«
»Ja, ich schenk dir schon was!« erwiderte sie eisig.
»Du verlierst an meinem Neffen Goswin auch nicht grade viel«, sagte der Graf.
»Weiß ich nu nicht.« Henne schielte den Onkel listig prüfend an. »Goswin ist immerhin ein Fall für sich. Ja, und daneben ein so schöner Mann, daß man ihn fast als Mißjeburt mit umjekehrtem Vorzeichen charakterisieren darf. – Aber Sie machen sich wohl nichts aus schönen Männern, Fräulein Hollerieth?«
»Und warum schaun Sie mich dabei so kritisch an?« Rapp zeigte ihm scherzhaft die Faust.
»Ihr vorteilhaftes Äußere in Ehren, lieber Herr Rapp! Mit meinem Vetter Goswin aber mißt man sich doch schwer. Da jehn von Ihrer Art schon zwei auf einen – wenigstens der Länge nach. Und sein Profil! Wie eine klassische Schtatüh!«
»Kann mich nicht reizen«, wehrte Centa ab. »Nein: Stirn und Nas' in eins – so auf die alten Griechenköpf, da kann es gehn. Im Leben aber – Brokkenhuus, findst du nicht auch, daß das sofort was Dummes bringt in ein Gesicht?«
»Sie ahnungsvoller Engel!« grinste Henne stillvergnügt.
»Aha? – No ja, das pflegt bei schönen Männern vorzukommen«, sagte Rapp. »Was ich aber entschieden häßlich von ihm find, ist, daß er Sie uns entführt. Sie haben uns die ganze Zeit so lustig ... No, wie soll ich's heißen?«
»Den Hanswurst jemacht«, ergänzte Henne. »Gott wird Sie trösten. Ein jewählter Kreis von Hofnarren bleibt Ihnen unberufen ja auch ohne mich.«
»Dann doch zum wenigsten heut abend noch«, bat Centa. »Wo wir ja schon darauf gerichtet sind. Kommt niemand sonst, wir bleiben unter uns. Sie spielen uns noch einmal was vor ...«
»Wär mir ein Fest. Nur muß ich packen«, sagte Henne.
»Mein Gott, wann müssen Sie denn drinnen sein?«
»Um zwölf Uhr funfzehn steht der Vetter mir bevor.«
»Dann ist doch in der Früh noch übrig Zeit«, erklärte Rapp. »Wenn ihr halb zwölf von hier aus mit dem Auto fahrt ...«
»Ich?« Henne sackte kraftlos gegen die Stuhllehne zurück. »In ein Automobil? Mitnichten! Selbstmordpläne liejen mir vollständig fern.«
»Jeh!« sagte der Graf. »Jestettner fährt so vorsichtig und gut ...«
»Kann alles sein. Ich sterbe aber auch nicht jern vor Angst.«
»A was, beim Auto passiert viel seltner was wie auf der Bahn«, behauptete der Doktor.
»Himmel, wenn Sie mir meine Phantasie nu noch mit Zugentgleisungen verjiften, muß ich zu Fuß nach München jehn!« wehklagte Henne. » Haben Sie denn was davon?«
Rapp konnte es nicht lassen: »Meinen Sie, der Tod bei Bahnunglücken ist viel schöner wie bei Autozusammenstößen?«
»Immerhin traditioneller«, meinte Henne, »und damit vielleicht um eine Spur natürlicher. Aber bitte, hören Sie jetzt endlich davon auf!«
»Ja, ja, die Tapferkeit!« schmunzelte Rapp.
»Wer hat behauptet, daß ich tapfer bin? Aber ich fürcht mich nicht und fahr um neun Uhr funfzig mit der Bahn.«
»Ich weiß was!« sagte Centa frisch. »Wir nehmen Ihr Gepäck im Auto mit. Sie lassen einfach alles liegen, wie es liegt, und ich pack morgen in der Früh für Sie.«
»Oh, Fräulein Hollerieth, heißesten Dank! Nein, das verbietet sich von selbst. Sie stellen sich wahrscheinlich seidene Pyjamas vor? Nein, Illusion: verflickte Jungjesellenwäsche, deren Glück es ist, daß man meist noch was drüber trägt. Nein, nein, ich pack schon selbst«, erklärte Henne, »und stürze mich – jetzt ist es viertel sechs – in einer halben Stunde drauf. Abschied ist ja nicht so was Schönes, daß man es unbedingt verlängern muß. Weinen wir also unsre Träne gleich! Ach, à propos, Herr Rapp, der sojenannten Rasselbande entbiet ich auf französisch meinen Gruß. Herrn Alois Müller aber dürfte noch die Hand zu schütteln sein. Kann ich das eben tun?«
»Natürlich, ja. Soll ich ihn rufen lassen? Oder gehn Sie mit mir ins Labor?«
»Nu ja, vielleicht. Dies Allerheiligste betrat ich bisher nie.« Henne stand auf. »Sie können sich verbürgen, daß dort nicht am Ende, wenn ich grade drin bin, etwas explodiert?«
»Jawohl. Sprengstoffe stellen wir zur Zeit nicht her. Also nur Mut! Da links ums Haus!« –
»Morgen muß sich's dann zeigen!« sagte Centa, als sie mit Brokkenhuus allein geblieben war.
»Zeijen?« Er blickte sie nachdenklich an. »Du willst ...? Du willst nu doch zu seiner Mutter hin?«
»Ja, war's denn nicht so ausgemacht?«
»Weil du nie wieder davon sprachst?«
»Gedacht hab ich fei jeden Tag daran. Und sag einmal, Brokkenhuus, wer hat mich denn darauf gebracht, daß ich das soll?«
»Ich. – Aber wenn's nicht unbedingt ...«
»A so? Weil der Oggetti Karl glücklich erledigt war, meinst du? – Da täuschst dich aber.«
»Wie? Hast du ihm nicht abjeschrieben?«
»Doch. Hab ich. Bloß, er laßt nicht aus und schreibt und schreibt – den dritten Brief schon gestern.«
»Nu, und du?«
»Mein Gott, ich antwort alleweil das gleiche. Ihm grob kommen geht ja aber nicht. Es ihm in übel nehmen, daß er einen mag, wär unnatürlich; gel, das sagst du auch? Nein, Brokkenhuus, versteh mich recht: kein Schein, daß ich dran denk ... Bloß darf schließlich der andre auch das Seine tun. Und tut's gewiß nicht, wenn man ihn nicht stupft. Es reut mich heut schon, daß ich so lang zugewartet hab. Was einen nicht grad freut, zieht man ja gern hinaus. Einen Termin hab ich mir freilich gleich gesetzt: bis zum Ferdl seinem Geburtstag muß es in der Reih sein, länger wart ich nicht.« Sie lächelte. »Wär auch zu gspaßig, dieser dumme Kopf von ihm, wenn er dazu den Muttersegen als Präsent bekäm! – Bin froh, daß es durch dich schon morgen ist. Und jetzt, wo ich das weiß, hab ich gleich eine andre Schneid. Mit Gottvertraun drauf los! Wirst sehn, daß ich es zwing!«
»Siejesjewißheit ist der halbe Sieg.« Brokkenhuus nickte und fügte nach einer Pause festen Tons hinzu: »Ja, ich glaub auch.«
Denn ihr den Mut für diesen schweren Gang zu stärken, war eine fromme Lüge wert.
Als am nächsten Tag der große sandfarbig lackierte Tourenwagen des Doktors mit angezogenen Bremsen den Giesinger Berg hinunterfuhr, erkundigte sich Centa: »Wohin soll ich dich nun bringen, Brokkenhuus? Zum Hauptbahnhof wär es noch reichlich früh.« Sie schaute auf die Armbanduhr. »Halb zwölf grad durch.«
»Ich werd ihn nu am Zug erwarten!« widersprach der Graf. »Ich hab mit Manny verabredet, wir treffen uns in der Odeonbar und bleiben da, bis mich Jestettner wieder holt.«
»Also Odeonbar, Gestettner, gel?« rief Centa.
»Wie wär's denn ...?« schlug der Graf ihr vor. »Die Neffen kommen sicher nicht vor eins. Frühstück noch schnell mit mir! Ein Schluckchen alter Sherry stärkt ja schließlich auch die Contenance.«
»Ich dank dir! Aber leider geht's nicht, Brokkenhuus. Ich hab mich schon zum Mittag angesagt bei meine Leut. War ja so lang nimmer daheim. Nach Tisch mach ich dann meine Kommissionen. Denn zu ihr, der andern, kann ich erst um vier herum. Vorher, weiß ich vom Ferdl, halt sie ihren Mittagsschlaf, und so von fünf an gibt es meistens Teebesuch.«
»Da wird's wohl fünf, halb sechs, bis wir heimfahren können«, rechnete der Graf. »Längliche Sitzung ... Aber wenn man seine Kräfte spart ... Und Manny ist dabei. Ein kleiner Trost! Nu, auf die zwei zusammen bin ich ja jespannt. Jespannter aber noch darauf, was du mir dann zu erzählen hast.«
»Ach ja«, seufzte sie tief, »wird kaum viel Gutes sein!«
»Jeh doch!« sprach er ihr tröstend zu. »Warum denn auf einmal? Mach dir keine Jedanken! Ich bin überzeugt ...«
»Auf Ehre und Gewissen, Brokkenhuus: Bist du das echt?«
»Wenn ich's dir sag!« beteuerte er lebhaft, lenkte aber schleunigst wieder ab: »Du kommst dann an der Bar vorbei? Und schickst Jestettner rein, daß ich es weiß?«
»Ja, ich bleib draußen. Meinst nicht auch?«
»Schon besser; denn in ihrer Jejenwart kannst du mir nicht berichten, wie's mit der Könijin Gambrina jing.«
»Du«, sagte sie und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Muß ich sie als ›Frau Geheimrat‹ ansprechen?«
Er zuckte schmunzelnd mit den Achseln. »Ich sag in solchen Fällen einfach ›gnädige Frau‹. Nu aber, landesüblich mag's ja sein.«
»Na sag ich so wie du«, erklärte sie. »Nicht, daß sie mich für was Geringres hält!« Der Wagen hielt vor der Odeonbar. Gestettner stieg aus und öffnete den Schlag. Sie reichte Brokkenhuus die Hand. »Also behüt dich Gott, halt mir den Daumen; gel? Gestettner, helfen S' dem Herrn Grafen doch!«
»Grüß Gott! Und, Centa, führ's zum guten Ziel!« Brokkenhuus drückte ihr die Lippen auf den Handschuh und krabbelte sich mühsam hinaus.
Sie sah ihm nach, bis er am Arme des Chauffeurs hinter der Tür verschwunden war. Ach ja, da ging er hin! So ähnlich mochten die Gefühle eines armen Sünders sein, der zum Schafott hinaufsteigt, nachdem ihn als der Letzte auch sein Beichtiger verlassen hat. –
»Das wär geschafft«, meldete der Chauffeur, die Mütze in der Hand.
»Dultstraße!« befahl sie, halb abwesend noch.
»Achtzehn, jawohl.« Gestettner ging zum Kurbeln vor.
Als der Motor dann ansprang, machte Centa plötzlich ihren Rücken steif. Und aufmunternd sprach sie zu sich: »Ach was, im fünfzigpferdigen Mercedes fährt eins doch nicht zum Schafott!«
»Palazzo Dreißig Prozent« nannten die Münchner so boshaft wie hochachtungsvoll das stattliche Gebäude an der Arcisstraße, vor dessen Türe Centa stehenblieb, als von den Türmen weit und breit zweimal vier Schläge nacheinander niederklangen. Sie hatte ihren Wagen auf dem Königsplatz halten lassen und war das letzte Stück zu Fuß gegangen, weil ihr das passender erschien, und weil Gestettner auch nicht alles wissen mußte. Abweisend stieg die mit Schlichtheit protzende Sandsteinfassade vor ihr auf. »Ah, bange machen gilt nicht! Ohren steif!« sprach sich Centa zu, hob schnell die Hand und klingelte.
Der an den Schläfen schon ergraute Diener, der ihr aufmachte, paßte zu dem Hause, wie dafür geboren. Die Tadellosigkeit seiner Erscheinung dämpfte sogar den fast hoflakaienhaften Prunk seiner Livree. Hiergegen war ihr glattgeleckter Otto draußen nur ein Dilettant in seinem Fach.
Centa ging unwillkürlich gleich in Abwehrstellung und fragte hochmütig wie eine Herzogin: »Kann ich die Frau Geheimrat sprechen?«
»Wen darf ich melden?«
»Hier!« Sie gab ihm die Besuchskarte.
Er nahm sie und verneigte sich. »Im Augenblick!«
Als er aber leichtfüßig die Stufen zum Hochparterre hinaufstieg, fand ihn Centa gar nicht mehr tadellos: sie sah, wie er verstohlen ihren Namen entzifferte, und merkte ihm von hinten an, daß er Bescheid darüber wußte, wer sie war – der freche Kerl!
Das ärgerte sie nicht nur, sondern rief merkwürdigerweise ihre gewaltsam unterdrückte Unruhe von neuem wach. Im gleichen Lichte wie der windige Herrschaftsdiener hier sah selbstverständlich jeder Außenstehende ihre Beziehungen zu Ferdinand. Sie fühlte sich auf einmal »klein und häßlich« in dem feierlichen Vorraum mit der kassettierten Decke, den polierten grauen Marmorwänden und dem Perserläufer auf der blankgewichsten Treppe. Wie sich zum Trost trat sie vor den wandhohen Spiegel und nahm befriedigt wahr, daß sie im Grunde weder klein noch häßlich wirkte. Ihr weißes Kleid und der sehr große weiße Hut waren genau, wie sie es wollte: schlicht, aber nicht aufdringlich schlicht, vielmehr, man mußte schon das Fremdwort brauchen: distinguiert. Jetzt schnell noch ein Blatt Puderpapier – die Nase glänzte so – und mit dem Taschentuche nachgewischt! Nun war es recht. Trotzig warf sie den Kopf in das Genick.
Die in Bronze gefaßte Glastür oben ging, der Diener kam zurück, verneigte sich, wie sie bedünken wollte, spöttisch und sagte, ohne eine Miene zu verziehen: »Frau Geheimrat lassen bitten!« Der Nebel zaghafter Bedenken sank um Centa herab, klar lag nun wieder ihr gerader Weg vor ihr. Also frisch drauf zu, dann gab der richtige Augenblick ihr schon das richtige Wort!
Der Diener führte sie durch zwei geräumige Zimmer, die in ihrer strengen Stileinheit prunkvoll, aber nicht recht wohnlich wirkten – dazu waren sie beinah zu reich mit wahren Museumsstücken aus der Hochrenaissance ausgestattet. Nachgedunkelte Ölgemälde an den Wänden, Perserteppiche in gleichfalls dunkeln Tönen und schwere Vorhänge halfen mit, diesen Gemächern auch an dem sonnigen Sommertag eine entschiedene Düsterkeit zu geben. Der Raum aber, den Centa nachher betrat, lag ganz in goldne Helligkeit getaucht. Es war eine Veranda, um deren Säulen starkstämmiger wilder Wein seine gepflegten Ranken schlang. Zwischen dem Grün hielten zur Hälfte herabgelassene Markisen von lebhaftem Orange die stechende Sonne ab und schufen im Verein mit dem hellgelben stucco lustro des Wandverputzes dies kleidsam warme Licht. Auf ein paar Korbsessel hindeutend, die einen ovalen Tisch umstanden, sagte der Diener: »Bitte, einen Augenblick hier Platz zu nehmen!«
Der Augenblick, von dem der Mann gesprochen hatte, zog sich in die Länge. Centa kam auf den Verdacht, daß man sie zielbewußt so warten lasse, und der Zorn darüber vermehrte ihre Ungeduld. Sie merkte bei dem Warten auch, daß sie sich nicht so sicher fühlte, wie sie sich's vorher versprochen hatte. Endlich trat die Hausfrau ein.
»Entschuldigen Sie, bitte, daß ich warten ließ – ich hatte grade ... Fräulein Hollerieth? Grüß Gott!« Die Dame mit dem eisengrauen Haarhelm über dem feingeschnittenen Gesicht streckte dem Gast ihre edelgeformte, sorgsam gepflegte Rechte hin.
»Gnädige Frau!« Centa neigte die Lippen auf die puderduftige Hand und machte dazu eine Art Hofknicks, wie sie es von jungen Aristokratinnen und solchen, die dafür gehalten werden wollten, öfters bei der Begrüßung älterer Damen im Theater und Konzertsaal hatte sehen können.
Ein flüchtiges Lächeln spielte um die Lippen der Geheimrätin und gab Centa das Gefühl, daß sie vielleicht gar zu formell gewesen sei. Ein bißchen unbeholfen setzte sie sich, als die andre sie durch eine Handbewegung dazu aufforderte.
Ein Schweigen dehnte sich. Und schon das glich einem Kampf, wie jede von der anderen das erste Wort erwartete. Und hierbei fiel der Sieg der Hausfrau zu – Centa hielt es schließlich nicht mehr aus, sie hob den Kopf, zeigte ins Freie und begann: »Schön haben Sie's hier, gnädige Frau! Man möcht nicht glauben, in der Stadt zu sein.«
»Weil man nichts von den Nachbarn sieht? In vierzig Jahr wächst so ein Garten zu.« Die alte Dame lächelte. »Übrigens sagt das jeder, der zum erstenmal hier sitzt, und es gibt Leute, die es jedesmal von neuem sagen; aber ich nehme an, daß Ihr Besuch was anderes bezweckt, als bloß den Garten zu bewundern?«
Centa schien es nun Zeit, der Feindin offen ins Gesicht zu sehn. »Da haben Frau Geheimrat recht!« begann sie kampflustig, schlug aber unwillkürlich erst noch einmal einen Haken und fuhr fort: »A was? Seit vierzig Jahr schon steht das Haus? Da muß Ihr Herr ... Ihr Sohn ja schon hier auf die Welt gekommen sein?«
»Ja, warten Sie ... Ja, doch! Das heißt, wohl eigentlich im Roten Kreuz. – Mir scheint, jetzt nähern wir uns unserm Thema schon?«
»Allerdings!« Centa saß plötzlich sehr gerade da. »Ich muß wohl nicht erst lang ... Denn über meine ... Beziehungen zu Ihrem Sohn sind Sie ja unterrichtet, gnädige Frau.«
»Ja, was ganz München weiß, pflegt mir im allgemeinen auch nicht unbekannt zu sein.«
»Ach, was die Leut so schwätzen, braucht deswegen längst noch nicht zu stimmen«, sagte Centa.
Frau Rapp hielt die Lorgnette vor die Augen. »Ach? Ist es dann am End gar – reine Freundschaft?«
»Nein!« sagte Centa schroff. »Das wissen gnädige Frau sehr gut. Und wenn Sie mich damit ...«
»Entschuldigen Sie, ich ahnte nicht, daß reine Freundschaft etwas Ehrenrühriges ist! Wie also unterscheidet sich denn dieser Fall von andern Fällen seiner Art? – Vermutlich dadurch, daß es – reine Liebe war?«
»So große Worte liegen mir nicht, gnädige Frau. Daß ich ihn gern hab, ist wohl klar. Warum hätt ich denn sonst ...?«
»Freilich, ich geb schon zu, daß man sich auch in einen reichen Mann verlieben kann.«
»Gnädige Frau!«
»Nur friedlich! Ich verkenne nicht die Möglichkeit, daß Sie nicht ahnten, wer er war, und eben ... einfach Glück gehabt haben.«
»Weil Reichtum schon dasjenige ist, was glücklich macht! Für Ihren Sohn wär's einmal sicher besser, wenn er weniger hätt!«
»Da sind wir ganz d'accord. Läg es in meiner Hand, ihn eine Zeit aufs Trockene zu setzen, tät ich's sofort.«
»Mich würde das gewiß nicht kränken, gnädige Frau. Ich mach mir wenig aus dem Geld und bin vollkommen anspruchslos.«
»Ansprüche sind was Relatives.« Die Geheimrätin sah Centa lächelnd durch die Lorgnette an. »Die Geßler gilt grad mit Modellen nicht als die billigste. Und Ihr Hut ist von der Lenok, nicht?«
»Das sehen gnädige Frau sofort?«
»Ich hab ihn selber einmal aufprobiert und darin furchtbar ausgeschaut. Grad wie ein Schwammerling. No, aber Ihnen steht er zu Gesicht.«
Centa sagte mit einem Anflug von Schelmerei: »Doch immerhin ein bißchen was von Trost, daß Ihnen wenigstens mein Hut gefällt!«
»Nicht nur der Hut. Par distance kenn ich Sie länger schon. Aus den Premieren und Konzerten. Was die Erscheinung anbetrifft, so geb ich zu: in Ihrem Falle hat mein Sohn gezeigt, was sonst nicht immer seine starke Seite ist, nämlich Geschmack.«
»Den hat aber sein Vater auch bewiesen, also wird's ein Erbteil sein von ihm.« Und Centas Grübchen tauchten plötzlich auf.
»So? Schlagfertig sind wir anscheinend auch?« bemerkte die Geheimrätin.
»Ja, gnädige Frau, mag sein, daß ich nicht immer so auf den Mund gefallen bin wie heut. – Gestatten schon – Sie machen's einem auch nicht leicht ... Ich hab 'ne Heidenangst vor Ihnen«, sagte Centa und sah auf einmal wie ein kleines Mädchen aus.
»Vor mir?« Die Hausfrau lächelte. »Und nicht am Ende mehr vor Ihrem eigenen Mut?«
»Gnädige Frau, es ist die ganze Art von Ihnen und ...«
»... und was mein Sohn, der Held, Ihnen von mir erzählt hat, nehm ich an!« ergänzte die Geheimrätin. »Ja, aber ändern werd ich mich in meinen Jahren kaum noch. Heut nachmittag gewiß nicht mehr. Es kann ja jeden Augenblick auch wer gemeldet werden. Also praktisch wär's vielleicht, wenn wir fürs erste mich so ließen, wie ich bin, und Sie zum Zweck Ihres Besuches kämen.«
»Den werden sich die gnädige Frau am End schon denken.«
»Denken? Ahnen, sagen wir! Aber trotzdem ...«
»Schön, Frau Geheimrat, dann erlaub ich mir die Frage: was haben Sie dagegen, daß Ihr Sohn mich heiratet?«
Die andere nickte: »So, das möchten Sie? Nun, und mein Sohn: möchte er auch?«
»Das wissen Sie doch, gnädige Frau!«
»Daraus, daß er's bisher noch nicht getan hat, schließ ich eher aufs Gegenteil. Zeit hätt er ja gehabt.«
»Nein, das will nichts besagen. Hat mir im Anfang selber nicht damit pressiert, weil es ... weil's früher oder später doch so kommen mußte, da ich am End ja nicht die erste beste bin.«
»Die Erste einmal sicher nicht. Über die Qualität erlaub ich mir kein Urteil, weil von den früheren keine bei mir angehalten hat um ihn.«
»Gnädige Frau, wenn ich mich nicht für etwas andres hielt wie jene, säß ich nicht hier. Ich bin nicht irgend so ein Wassermädel oder eine ... eine ...«
»... Ladnerin.« Die Hausfrau blinzelte verschmitzt. »Entschuldigen Sie, wenn ich das Wort aus Ihrem Munde nehm! Mir wirft man es ja hier in München vor, daß ich so was gewesen wär, weil ich in jungen Jahren ... Einerlei.«
»Laden und Laden ist ja auch ein Unterschied«, gab Centa zu. »Und was meine Familie betrifft ... Reich war mein Vater freilich nicht, aber gehobner Beamter immerhin. Und meine Brüder, alle zwei, haben studiert. Der älteste ist Badearzt in Tölz, der andre ...«
»Dank schön! Ich hab auch keinen Zweifel, daß, wenn vielleicht Schwestern ...«
»Doch! Fünf Stück!«
»Ja, gibt's das auch? Und alle gut verheiratet, nicht wahr?«
»Will's meinen! Bloß die jüngste ausgenommen, die nach mir kommt. Denn die ist Lehrerin. Ich selber hab nicht gar so viel studieren mögen ...«
»Braucht's für ein Mädel auch nicht«, stellte die Geheimrätin so überzeugt fest, daß es beinah herzlich klang.
»Gel, sagen Sie das auch, gnädige Frau!« rief Centa, die allmählich Mut bekam. «Ein bißl gute Kinderstube ist ja recht. Aber die Lernerei! Kommt viel mehr darauf an, daß eine etwas ist!«
»Sie meinen: hübsch ist? Oder wie?«
»Nein, nicht nur das. – Aber ist Schönheit zu verachten, gnädige Frau? Und hat bei Ihnen nicht die Schönheit mitgewirkt, daß Sie die Frau Geheimrat Rapp geworden sind?«
»Mein Mann? Den hab doch ich genommen – nicht er mich.«
»Und wenn ich Ihrem Beispiel folg und nehme Ihren Sohn?«
»Und Sie wollen behaupten, daß Sie auf den Mund gefallen sind!« Die Hausfrau wiegte schmunzelnd den Kopf.
Centa fuhr fort: »Schaun S', gnädige Frau, natürlich fehlt es weit, daß ich so schön und gebildet war, wie Sie damals gewesen sind, vom Geld gar nicht zu reden, und es ist klar, daß ich gar nie solch eine Stellung in der Münchener Gesellschaft erobern kann ... Aber Schande machen als Schwiegertochter würd ich Ihnen niemals, gnädige Frau. – Und es moralisch mir in übel nehmen ... Ganz im Gegenteil! Hätt ich zum Ferdinand gesagt: nein, erst vor's Standesamt, und früher nicht – dann dürft man vielleicht eine Spekulantin in mir sehn.«
»Ja«, wendete die Hausfrau ein, »ob's mit dem Spekulieren bloß nicht grad wie mit dem Fahren ist: wer langsam spekuliert, spekuliert gut?»
Centa ließ sich durch diesen Einwand nicht beirren und fuhr fort: »Ja, und selbst wenn – wird denn dies sogenannte Ärgernis nicht hintennach durch eine Heirat wieder gutgemacht?«
»Leicht!« räumte die Geheimrätin fast müden Tones ein. »Ich kenn in München manche große Dame, die es auf dem Weg geworden ist. Da brauchen Sie mir nichts beweisen. Überhaupt: warum erzählen Sie das alles mir? Auf meinen Sohn hat es wohl nicht gewirkt: Mon Dieu, ich sag nicht, daß ich's will, aber selbst wenn ich's wollt – befehlen kann ich ihm doch nicht, daß er Sie heiratet.«
»Verbieten aber scheinbar schon!« fuhr Centa auf.
»Wie stellen Sie sich das denn vor? Er hat mir schon als Kind bloß immer so lang gefolgt, wie ich dabei war. Und jetzt dürft er erwachsen sein, wenigstens seinen Jahren nach.«
»Juristisch selbstverständlich nicht«, gab Centa zu. »Aber wenn Sie sich so dagegen stemmen, tut er's nicht.«
»Mir ganz was Neues! Und ich glaub, Sie täuschen sich. Hindern Sie doch einen Mann, der so was ernstlich will! Ja, können Sie denn glauben, ich stell mich am Petersbergl vor das Standesamt und halt ihn auf?«
»Ich weiß nicht«, sagte Centa schneidend, »ob mit dem Enterben drohn am End nicht stärker wirkt?«
»Mit dem Enterben drohen? Oh, da bringen Sie mich ja auf was. Merci!«
Centa erschrak im Augenblick, antwortete aber kühl: »Braucht's wohl, daß ich Sie auf was bring! Sie haben's ja schon getan!«
»Ich? Wann?«
»Ach? Ganz vergessen? – Wie der Ferdinand das letztemal bei Ihnen war. So, vierzehn Tag, drei Wochen kann es sein.«
»Richtig, da ist er in Geschäften bei mir gewesen. Aber, und mein Gedächtnis ist recht gut: von Ihnen und – Ihren Geschäften war mit keinem Wort die Rede.«
»Was? Er hat Sie überhaupt gar nicht gefragt?« stammelte Centa jäh erblaßt. Na wart!«
»Das ist er, wie er leibt und lebt!« schmunzelte die Geheimrätin. »Er selber traut sich nicht und sagt deshalb zu Ihnen: Sprich mit meiner Mama!«
»Natürlich hat er keine Ahnung, daß ich heut hierher bin«, rief Centa hastig.
»Nein, auch nur so viel Schneid säh ihm nicht gleich«, räumte die alte Dame ein. »Jedenfalls ergibt sich daraus klar, wie leidenschaftlich gern er – möchte. Wenn ich Sie wär – den tät ich überhaupt nicht nehmen.«
»Ja, das könnt ihm passen!« höhnte Centa. »Ihnen freilich scheinbar auch! Ich aber sag Ihnen: jetzt grad!« Dabei schlug sie mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß eine chinesische Bronzeschale, die als Aschenbecher da stand, einen richtigen Sprung vollführte. »Entschuldigen Sie!« stotterte sie und sah in der Verlegenheit ihren Handballen an.
»O bitte, bitte! Die hält schon achthundert Jahr. Der macht das nix. Ist mir nur leid, daß Sie es gar so tragisch nehmen. Das verdient er kaum.«
»Wie Sie von Ihrem Sohn zu denken scheinen, sollten Sie froh sein, wenn ihn eine will«, fing Centa wieder an.
»Nein, ich bin nicht dafür,« klang es sachlich zurück. »No, eine – vielleicht schon!«
»Und warum denn nicht ich? Ich würd ihm eine gute Frau!«
»Kann sein. Fragt sich nur sehr, ob gute Frauen – gut für Männer sind. Besonders für einen Mann wie meinen Sohn. In manchem, wenn auch mehr in seinen schwächern Eigenschaften, gleicht er seinem Vater auf ein Haar. Und den hab ich durch dreiundzwanzig Jahr gekannt. Sie haben mir so dankenswert ausführlich Ihre Tugenden beschrieben ...«
»Ja, und das war blöd von mir; ich bin sonst gar nicht so ...« fiel Centa ein.
»Macht nichts. Und warten Sie erst ab, wo ich hinaus will! Gesetzt den Fall, daß Sie sich richtig sehn, dann wären Sie für meinen Mann durchaus nicht die gegebne Frau gewesen, und er wär mit Ihnen nie so weit gekommen, wie er gekommen ist mit seinem ›bösen Weib‹. Sie wundern sich, daß ich das selber sag? Ich wiederhol damit ja nur, was sich ganz München in die Ohren flüstert. Oh, die behaupten auch: da er mit noch nicht fünfzig starb, hätt er sich tot geschafft für mich, weil ich so hinterher gewesen wär.«
»Das hab ich nie gehört«, betonte Centa, »und das find ich auch ...«
»Sie brauchen mich nicht zu trösten«, fuhr die andre fort. »Ich weiß, daß Magenkrebs, wie ihn der Arme hatte, nicht davon kommt. Und haben Sie schon einen gebornen Münchner gesehen, der sich totgeschafft hat? Ich noch nicht. Nein, sollen die Leut nur reden! Ich selber bin mir recht so, wie ich bin, und geb es zu: ich war als junges Mädel schon anspruchsvoll und nicht bescheiden und darum auch aufs Geld aus, gar nicht wegen dem Geld bloß, sondern weil es einfach nichts gibt, was man um Geld nicht haben könnt.«
»Das möcht ich doch bezweifeln!« wendete Centa fast entrüstet ein.
»Was Sie da sagen wollen, ist Philosophie«, erklärte die Geheimrätin. »Und Geld ist Wirklichkeit. Hätte mein Mann nicht seine Brauerei gehabt, aus der etwas zu machen war, dann hätt ich ihn doch nie genommen. Das geb ich ruhig zu. Und ohne seine Frau, für die er Geld herschaffen mußte, und die ihn sonst auch trieb und ihm so manchen guten Rat gegeben hat – ja, ohne mich wüßt heute nicht die ganze Welt bis zu den Menschenfressern auf den Südsee-Inseln hin, was Rappenbräu besagen will, und niemand außerhalb von München kennte den Namen Rapp!«
Das Feuer, mit dem die alte Dame ihre Taten lobte, machte auf Centa Eindruck, aber nach einer kleinen Pause widersprach sie doch: »Das war mein Ehrgeiz nicht. Was ist denn schon damit geschafft?
»Geschafft, geschafft!« Die andre zeigte plötzlich auf ihr Gegenüber hin: »No ja, zum Beispiel Ihr Gewand da.«
»Grad nackigt wie ein Südsee-Insulaner brauchet ich auch ohne das wohl kaum herumgehn«, gab Centa zurück. »Und dann: wo diese Karre nun einmal im Gang ist, lauft sie doch von allein.«
»Wenn Sie sich da nicht täuschen! Mir ist beinah, als hört ich meinen tüchtigen Sohn! So recht kommod bloß in den Mond schaun! Andre Leute brauen wohl kein Bier?«
»Ja, sogar besseres«, erdreistete sich Centa zu erwidern.
»Lassen S' mich aus mit diesem Schmarrn! Das sind so die bekannten Münchner Sprüch. Wenn es so schlecht wär, wie die sagen, ging's nicht so. Er aber, ja, das kenn ich gut, stimmt ein in den Gesang und trinkt bei sich nur Weihenstephan! So ein Depp, hätt ich beinah gesagt! Froh bin ich, daß ich ihn draußen hab aus dem Geschäft!«
»Er ist, denk ich, im Aufsichtsrat!«
»Von mir aus gern! Mit seinem Sitzfleisch kann er ja nicht viel verpatzen.«
Trotz ihrem Zorn auf Ferdinand mußte nun Centa für ihn eintreten. »Er hat halt andere Interessen.«
»Freilich, der Beweis davon sitzt mir ja vis à vis.«
»Als Chemiker soll er ... Seine Erfindung ...«
»Jessas, Erfindung! Das ist ja so echt, daß er sich auf ein Fach verlegt, wo ihn beileibe keiner kontrollieren kann, ob er denn überhaupt was tut. Die Bastler hab ich dick. Eins ist gewiß: wo andre vielleicht zehn Jahr, da braucht er fünfzig und stirbt drüber weg. Das kann man hintennach auf seinem Grabstein lesen: Ferdinand Rapp, Erfinder von etwas, was niemals fertig wurde. Herr, schenk ihm nach der zeitlichen die ewige Ruh!«
»Da haben Sie bloß keine Angst!« fiel Centa ein »Wenn ich erst seine Frau bin, mach ich ihm schon Dampf.«
»Ach was? Nein, ich muß dabei bleiben, daß eine bequeme Frau halt nicht das Rechte ist für einen bequemen Mann.«
»Ich werd es schon beweisen, daß ich auch unbequem sein kann«, kündigte Centa an.
»Jessas, wenn Sie das könnten, wären Sie schon lang mit ihm verheiratet.«
»Und ich heirat ihn doch!«
»No, Waidmannsheil! Bloß: daß es Ihnen nicht so geht wie damals mir. Als ich ihn einmal hab fest am Krawattl packen wollen, saß er auch schon draußen am lago di Tegernsee. Könnt sein, daß er sich dann in eine andre Gegend hinverzieht.«
»Soll er probieren! Hab ich keine Angst!«
»Und überhaupt: Sie sind doch so ein nettes Ding und viel zu schad für ihn! Sie finden doch auf Anhieb einen andern.«
»Selbstverständlich! Aber ...«
»Und dann kommen Sie zu mir! Über 'ne Mitgift laß ich mit mir reden!«
»Wär ja noch schöner! Mir so etwas anzubieten! Das ist schon das Höchste! Unerhört, zu glauben, daß ich eine solche wär! Nein, hier wird's die Frau Geheimrat doch einmal erleben, daß man ums Geld nicht alles kriegt!«
»Dreht sich ja bloß ums Aushandeln. Daß Sie nicht auf den Sturz ja sagen würden, hab ich schon gewußt. Aber die Möglichkeit bleibt Ihnen offen. Lumpen laß ich mich da nicht. Und wenn ich so was sag, führt es auch was im Mund.«
»Kommt nicht in Frage. Ich heirat Ihren Sohn! Ihn deshalb im Ernst aufs Pflichtteil setzen werden Sie ja nicht?«
»Vorzügliche Idee! Ich danke Ihnen sehr. Entschieden werd ich das. – Pst, halt, der Diener!« unterbrach die Hausfrau sich. Und schon stand der prunkvoll Livrierte da und meldete: »Seine Exzellenz, Herr General von Broederich.«
»Ich lasse bitten!« rief die Geheimrätin. Und als sie wieder allein mit Centa war, begann sie: »Liebes Fräulein, dann ...«
Ihr Gast hatte sich schon erhoben. »Gnädige Frau, ist das Ihr letztes Wort?«
»Jawohl.«
»Dann werden gnädige Frau – Ihr Testament doch ändern müssen.«
»Und wenn! Auch die Notare wollen leben.« Die Geheimrätin reichte ihr lächelnd die Hand.
Centa ergriff sie nicht. »Gnädige Frau!« Sie neigte hoheitsvoll den Kopf und ging. Doch in der Tür prallte sie fast mit einem in Rohseide gekleideten weißhaarigen Herrn zusammen, der überrascht zur Seite wich. Als sie an ihm vorbei hinausgegangen war, sah er ihr nach und klemmte dazu eigens das Monokel ein.
»No, Exzellenz, wie haben wir es denn?« erklang spöttisch die Stimme der Geheimrätin.
Er fuhr herum, ließ das Einglas aus dem Auge fallen, trat auf sie zu und küßte ihr die Hand. Dabei fragte er neugierig: »Aber ... war das nicht Ihre, sozusagen, Schwiegertochter? – Phänomenales Weib!«
»No, setzen Sie sich, Exzellenz, und ruhn Sie das sturmgeprüfte Kriegerherz von diesem Schock erst einmal aus! Bis dahin kommt dann auch der Tee. – Was für ein Korps ihr Männer seid! Ist eine nur ein bißl jung und hübsch und hat das nötige Holz vor ihrer Hütten, da reißt es – Sie entschuldigen schon – sogar den ältesten Esel noch.«
»Zu liebenswürdig, gnädige Frau! Ich bin erkannt.« Der General warf sich in den kürzlich von Centa verlassenen Stuhl.
»Und was das Mädel anbetrifft«, sagte die alte Dame und strahlte wie nach einem gottgefälligen Werk, »da kann ich Ihnen eins verraten: ihre Schwiegermutter werd ich kaum; daß sie mich aber heut schon für des Teufels Unterfutter hält – dafür hab ich getan.«
»Glücklicher Teufel!« schmunzelte der General. »Um solch ein Unterfutter darf man ihm wohl neidig sein.«
»Herrschaft nein, Sie sind und bleiben alleweil der gleiche Schlankl, Exzellenz.«
Graf Brokkenhuus hatte in der Gesellschaft seiner Neffen mehr getrunken, vor allem aber mehr geraucht, als ihm bekömmlich war. Seit einer Stunde schon zog er darum häufig die Uhr zu Rat und fragte sich besorgt, wo nur Gestettner bleibe, und ob diese Verzögerung ein günstiges oder ein schlechtes Zeichen für den Erfolg von Centas Unternehmen sei.
Als dann plötzlich kurz vor sechs sie selber dastand, war er verblüfft. »Du, Centa?« stotterte er.
»Grüß Gott!« sagte sie munter. »Bleib nur sitzen, Brokkenhuus! – Grüß Gott, Herr Henne! – Ach, und Sie sind wohl der andere Neveu? Grüß Gott!« Sie reichte auch dem blonden jungen Riesen die Hand.
Henne stellte vor: »Mein Vetter Goswin Brokkenhuus – Fräulein Hollerieth!«
»Ich bin bejeistert«, sagte Goswin und starrte sie mit schon etwas verglasten Augen huldigend an.
»Wir fahren gleich, gel, Brokkenhuus!« rief sie und setzte sich. »Ich hatt bloß von der Hitzen so viel Durst.«
Goswin winkte mit weiter Armbewegung durch den Raum. »He, Kellner, fix! Ein neues Glas!«
Ein Pikkolo kam angerannt.
»Nein, keinen Sekt!« erklärte Centa. »Bringen S' mir einen Lemon squash!«
»Das sei nu ferne!« widersprach ihr Henne. »Junger Mann, nur über meine Leiche kommt Zitronenjewässer an den Tisch! Man schwimme ab! Das Glas bleibt da! – Nein, Fräulein Hollerieth, von mir Abschied nehmen – jeht nur mit Heidsieck Monopol.«
»No dann, Herr Henne, weil Sie es sind! Aber nicht mehr wie ein Glas! – Die Herren haben, scheint's, schon einige Flaschen von der Sorten hinter sich?«
»Ach so, Sie merken's meinem kleinen Vetter wohl an seinem Strahlen an, daß er Sie doppelt sieht?« fragte Henne vergnügt.
»Pfui, Manny!« wehrte Goswin ihm. »Gnädijes Fräulein, mir ist es, bei Gott, jenug, wenn ich Sie einmal seh!«
Henne jubelte. »Fräulein Hollerieth, hab ich zuviel von ihm erzählt? Ist er nicht nett?«
»Eine Gewissensfrage!« sagte sie. »Nein mag man und ja darf man drauf nicht sagen. Müßt man sich erst auch näher kennen. Und dafür sind die Aussichten ja schlecht. In fünf Minuten fahren wir. Gel, Brokkenhuus?«
»Ja, find ich auch«, stimmte der Graf verdrießlich zu. »Wir kommen sonst noch in die Nacht hinein.«
»Hell bleibt es bis um acht Uhr leicht. Aber trotzdem! – Und Sie, Herr Graf, draußen bei uns zu sehn, besteht wohl keine Möglichkeit?«
»Wenn Sie mir winken!« Goswin sah sie schmachtend an.
»Wei, niemand winkt!« sagte sein Onkel schnell. »Hast du denn Zeit? Du willst auch München kennenlernen. Und ihr müßt dann bald fort.«
»Ich bleib mit Wonne hier«, rief feurig Goswin. »Manny, was ist? Wir jeben hier ein paar Tage zu und schenken uns dafür den Rhein!«
»Ganz Deutschland sei dir freijebig jeschenkt«, erklärte Henne, »wenn ich paar Tage noch herauskomm an den Tegernsee.«
»Also, Herr Henne, sind Sie zum Geburtstag vom Ferdl doch noch da. Der wird sich freun!« rief Centa.
» Wessen Jeburtstag?« fragte Goswin.
»Von ... meinem Bräutigam.«
»Sie sind verlobt?«
»Nu ja!« fiel Henne ein. »Ich hab dir doch vom Rappschen Philisteer erzählt.«
»Ach so? Dann bin ich schon im Bild. Sie sind – die Braut!« Goswin leuchtete vor Eingeweihtheit.
»Wir kommen sicher«, lenkte Henne ab.
»Wär es da nicht das einfachste, Sie führen jetzt gleich mit?« schlug Centa vor.
Henne erschrak. »Was? Im Automobil? So trunken bin ich doch nicht. Ja, und das Jepäck? Unmöglich!«
»Wär auch ein Unsinn!« rief sein Onkel. »Muß es sein, dann ist noch übermorjen reichlich Zeit! Und dann, wo wollt ihr wohnen? Denn für zwei hab ich nicht Platz in meinem winzijen Haus.«
»Onkel Woldemar«, beruhigte ihn Henne, »kuck, der mit dem großen Portemonnaie ist einpassiert – wir wohnen unten im Hotel. Heißt es nicht ›Alte Post‹?«
»Aber vor übermorjen nicht«, betonte noch einmal der alte Graf.
»Und hier die Münchener Sehenswürdigkeiten wollen auch jenossen sein.«
»Das jeht doch schnell«, beruhigte ihn Henne. »Bilder, Goswin, werden dich kaum interessieren? Und ich hab sie jesehn.«
»Aber die Kirchen?« warf Centa dazwischen.
»Ach, die sind doch katholisch«, lehnte Goswin fast verächtlich ab.
»Herrschaft, Herr Graf, was sagen Sie denn da von mir? Ich bin es nämlich auch.« Und Centa zog ein zaghaftes Gesicht.
»Was sind Sie auch?«
»Katholisch.«
»Wenn ich Sie ankuck, möcht ich selbst katholisch werden!« seufzte Goswin schwärmerisch.
»Und was für Sehenswürdigkeiten interessieren dich noch außer Fräulein Hollerieth?« erkundigte sich Henne.
»In die Bavaria muß man herauf klettern.«
»Mußt du? Ich nicht. Wird wohl die einzije Bayrin sein, der du zu Kopfe steigst.«
»Weiß man das so genau?« wendete Centa ein und musterte Goswin kokett. »Herr Henne, können Sie denn gar nicht anders als so boshaft sein!«
Goswin aber überfiel ein Taumel wilder Glückseligkeit. »Prost, gnädijes Fräulein!« Und er hob sein Glas. »Trinken Sie aus! Was kann da sein! – Wir machen Bruderschaft!«
»Bist wohl verrückt jeworden, Goswin?« rief sein Onkel ärgerlich.
Da legte Centa ihm die Linke auf den Unterarm, zum Zeichen, daß sie sich schon selber half. »Nein, so schnell schießen hier im Bayernland die Preußen nicht», lächelte sie. »Und trinken tu ich keinen Tropfen mehr. Denn der« – sie zeigte auf den Wein – »steigt ganz gewiß zu Kopf. Und das würd doch ein bißl viel, Herr Graf. – Wie ist's dann, Brokkenhuus? Fahren wir jetzt?«
»Ja, es wird Zeit«, stimmte er nachdrücklich zu.
Und so lebhaft auch die beiden andern widersprachen – dabei bliebs.
Der Graf und Centa wechselten während der ersten fünf Minuten ihrer Fahrt kein Wort. Er war in sich versunken, schaute trübsinnig vor sich hin und ließ die Unterlippe hängen. Sie sah ihn verstohlen an, und es dünkte sie, er wirke älter und hinfälliger noch als sonst.
»Bist wohl rechtschaffen müd?« fragte sie schließlich.
»Es war recht anstrengend, jawohl, und dieser Teepott von Goswin jeht mir auf die Nerven«, antwortete er matt, »ich wundre mich, daß er dir so jefällt.«
»Wenn du das glaubst, bin ich beruhigt, Brokkenhuus.«
»Wie meinst du das?«
»No, wenn schon du ... Dann kriechen andre noch sichrer auf den Leim.«
»Ach so? Sich aber dafür diesen Strohkopf auszusuchen, Centa!«
»Ist Stroh zum Feueranzünden denn nicht recht?«
»Schließlich ist er ja auch so dumm, daß man nicht einmal eifersüchtig werden kann auf ihn.«
»Wart's ab! Was wetten wir, daß es der Ferdl wird? Das laß nur meine Sorge sein! Ich geb schon zu: mir selber wär ein Geistesriese lieber für den Zweck. Ja aber: weißt mir einen? Gel, du auch nicht? Muß man also nehmen, was man hat. Er laßt sich schon verwurschten so als Don-Juan-Ersatz. Gehört ja nicht einmal zum richtigen Don Juan viel Verstand. – Und Spaß beiseite, Brokkenhuus: es muß etwas geschehn, da hilft kein Gott!« Sie dämpfte ihre Stimme, damit Gestettner nichts erlausche, und fügte hinzu: »Du warst doch so gespannt, hab ich mir denkt, und fragst jetzt gar nicht, wie's gegangen hat?«
»Ach, Centa, muß ich dich nach alledem noch fragen? Wundert mich nur, daß das Jespräch so lange dauerte.«
»Ach, du meinst, weil ich so spät zu euch ...? Nein, ich bin nicht direkt von ihr gekommen. Ich bin nach dem Besuch auf eine Art dermatscht gewesen, daß ich mich bei dem« – sie blickte auf den Chauffeur – »nicht gleich hab zeigen mögen. Wenn ich das Auto auch am Königsplatz hab halten lassen – glaubst du, der hätt es nicht gespannt, wo ich inzwischen gewesen bin? Hab mich deswegen nach der andern Seiten, gegen den Glaspalast, verzogen und bin eine gute Stund zu Fuß herumgestreunt. Hab dabei auch geschwind noch was gekauft – ich zeig es dir dann schon.«
»Also war es wohl unerquicklich?«
»Ja, hat mir gelangt! Und das Zuwiderste von allem ist, daß ich mich selbst saudumm benommen hab. Ist mir ja klar gewesen schon beim ersten Blick, daß es nix wird, und hab doch noch eine geschlagne halbe Stund den größten Schmarrn daherbracht: daß ich ihm eine gute Frau würd, und was weiß ich!«
»Das wirst du aber auch!« sagte der Graf.
»Und wenn! Sich klein machen vor der – hat keinen Zweck! Mein einziger Trost ist, daß es jeder andern grad so gangen wär! Ich sag dir: in das Haus bloß wenn du kommst, ist ja die ganze Luft schon voll von ihr!«
»Sie ist wohl intensiv«, gab Brokkenhuus nachdenklich zu.
»Eine Mistamsel ist sie«, sagte Centa, »eine eiskalte; das bleibt wahr! Aber daneben hat sie was, was einem auch noch in der größten Wut, hol mich der Sparifankerl, imponiert! Sie ist ... Wie heiß ich's gleich? Sie hat ...«
»Stil hab ich's wohl mal jenannt«, half er ihr ein.
»Ja: Stil und Rass' und ...«
»Darum brauchst du sie doch nicht zu beneiden, Centa; denn das hast du auch.«
»Bin aber bös aus meinem Stil gefallen, wie ich zu ihr bin. Schau, Brokkenhuus, glaubst du denn, daß sie dazumal auf die Art hin zu ihrer künftigen Schwiegermutter wär?«
»Bei ihr kam das ja nach der ganzen Lage gar nicht in Betracht. Und, lieber Gott, sie hat auch wenijer Phantasie.«
»Und dafür mehr Verstand. Wenn Phantasie eins nix wie blöd macht – lieber Schluß damit! Ich hab heut viel von ihr gelernt!«
»Nein, Centa; eifre ihr nur ja nicht nach! Sich selber treu sein, das führt zum Erfolg!«
»Ja, aber wann? – Und es pressiert fei, Brokkenhuus! Durch den Besuch bei ihr hab ich mir nämlich sicher nicht nur nix genützt, sondern vielmehr noch allerhand verpatzt.«
»Wieso?«
»No, das ist gleich. Ich sag dir's später einmal. – Jetzt schau her!« Sie kramte aus ihrer Handtasche ein lederbezogenes Schächtelchen hervor, doppelt so lang als breit, öffnete es und hielt es ihm entgegen. »Kennst du, was das ist?«
»Trauringe!« sagte er erstaunt.
»Ja, Eheringe!« nickte sie. »Und, da verlaß dich drauf: umsonst hab ich sie nicht gekauft! Ist anfangs mehr als Witz gedacht gewesen. Als Revanche für den saudummen Spruch, den wo der Ferdl gestern daherbracht hat von wegen Präsent und so, du weißt. Ich bin heut nachmittag, vor ich die Alte aufgesucht hab, schon einmal bei dem Juwelier gewesen, hab mich dann aber doch nicht recht getraut, das zu Verlangen, und hab anstatt dessen ein goldnes Feuerzeug für ihn gekauft. Hat wohl auch was von Aberglauben mit hereingespielt: es könnt von schlechter Vorbedeutung sein, wenn man sich gar so sicher fühlt. Aber wie ich dann von der Bisgurn fort bin – grad extra noch ein zweites Mal zum Juwelier und nix wie eingekauft! Jetzt aber nimmer, um ihn damit aufzuzwicken, sondern weil wir sie brauchen werden, und das bald – die Fangeisen, wie er zu sagen pflegt!« Sie knipste das Kästchen zu und steckte es weg.
Der müde Graf war plötzlich hellwach. Er schmunzelte. »Das hätte diese nüchterne Jeheimrätin nie jetan, das bist ganz du! Darin steckt Phantasie!«
»Und es wird Wirklichkeit daraus! Jetzt geht es hart auf hart, mein lieber Ferdinand! Glaubst es mir, Brokkenhuus?«
»Ja, Centa, aber bißchen Sorje macht es mir, daß du dir grade Goswin vor den Wagen spannen willst. Er ist so ein Idiot!«
»A was! Hauptsache, daß man selber kein Idiot ist!« Und auf einmal lachte sie. »Wenn alle Stricke reißen, hab ich ja den Oggetti Karl noch alleweil in der Hinterhand. – Jawohl, da schaust: weil ich nicht zog, hat er sich hinter meine alte Dame klemmt. Wie einem lahmen Gaul ist mir heut mittag zugeredet worden, daß ich ihn nehm, weil's mit dem Ferdinand ja so nix würd. – Da könnt ich einen glücklich machen, Brokkenhuus, und – kann's doch nicht. Ach, diese Welt ist ein verrücktes Kaffeehaus. Muß einen immer bloß das freun, was man nicht von selber kriegt?«
»Und eijentlich kommt alles Gute doch von selbst», gab er gedankenvoll zurück.
»Brauchts bloß, daß man ihm im richtigen Moment den richtigen Renner gibt«, sagte sie mit froher Zuversicht. »Nein, weißt, wenn ich mir Grafen massenhaft zu Füßen zwing, wird wohl ein Doktor phil. auch zum erobern sein. Das war gelacht!«